OLG Jena
Beschluss
vom 19.02.2025
Verg 10/24
1. Für die Vergleichbarkeit erforderlich, aber auch ausreichend ist die Vorlage solcher Referenzleistungen, die der ausgeschriebenen Leistung soweit ähneln, dass sie einen tragfähigen Rückschluss auf die Fachkunde und Leistungsfähigkeit des Bieters auch für die ausgeschriebene Leistung ermöglichen.
2. Die referenzierte Leistung muss im Zeitpunkt der Abgabe nicht vollständig erbracht sein. Bei mehrjährigen Dienstleistungsaufträgen, deren "passgenauer" Ablauf letztlich zufällig ist, kann der gewünschte Nachweis auch dadurch erbracht werden, dass die Leistungserbringung bereits seit längerer Zeit erfolgt.
3. Dass der Referenzauftrag auf einer festgestellt rechtswidrigen Vergabe beruht, ist irrelevant.
4. Sofern der öffentliche Auftraggeber aufgrund anderweitiger gesicherter Erkenntnisse zu der beanstandungsfreien Feststellung gelangt, das Angebot eines Bieters sei nicht ungewöhnlich oder unangemessen niedrig, darf er auf eine Aufklärung verzichten.
5. Dokumentationsmängel können durch geeigneten Vortrag infolge einer Rüge oder im Nachprüfungsverfahren geheilt werden.
OLG Jena, Beschluss vom 19.02.2025 - Verg 10/24
Tenor:
1. Auf die sofortigen Beschwerden des Antragsgegners und des Beigeladenen wird der Beschluss der Vergabekammer vom 10.12.2024, Az. 5090-250-4003/396 - aufgehoben. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 18.07.2022 wird zurückgewiesen.
2. Die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin wird als unzulässig verworfen.
3. Die Antragstellerin hat die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners und des Beigeladenen zu tragen. Die Hinzuziehung von anwaltlichen Bevollmächtigten durch den Beigeladenen wird für notwendig erklärt.
Die Antragstellerin hat die Kosten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens sowie die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit dem Aktenzeichen des Thüringer Oberlandesgerichts 2 Verg 2/23 jeweils einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners und des Beigeladenen zu tragen.
4. Der Streitwert für das vorliegende Beschwerdeverfahren wird auf 665.000,- Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsgegner - Vergabestelle - schrieb den in den Nrn. II. 1.1), 1.4), 2.4) und 2.7) des Supplements zum Amtsblatt der EU vom 27.04.2022 (Tag der Absendung der Bekanntmachung) näher bezeichneten und im Zeitraum vom 01.10.2022 bis 30.09.2026 zu erbringenden Dienstleistungsauftrag betreffend Winterdienst und Störungsbeseitigung auf Bundes- und Landesstraßen im Unstrut-Hainich-Kreis im Rahmen eines offenen Verfahrens europaweit öffentlich aus.
Nach Nr. II. 2.5) der Auftragsbekanntmachung war der Preis alleiniges Zuschlagskriterium. Der Antragsgegner benannte in Nr. III.1) die für die Bieter geltenden Eignungskriterien und die von ihnen zu erbringenden Angaben und Nachweise. So verlangte der Antragsgegner in Nr. III.1.2),,Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit" bestimmte Angaben mit dem Formblatt,,Eigenerklärung zur Eignung" sowie in Nr. III.1.3),,Technische und berufliche Leistungsfähigkeit" u.a. die Vorlage bestimmter Referenzen, den Nachweis der Eignung der tauenden Streustoffe (Salz Natriumchlorid und Sole Natriumchloridlösung), den Nachweis der Vorhaltung eines Bereitschaftsdienstes in einem bestimmten Umfang, den Verfügbarkeitsnachweis über eine Mindeststreusalzmenge von 1.060 t im Unstrut-Hainich-Kreis sowie den Verfügbarkeitsnachweis über eine Mindestsolelagerkapazität von 90 t im Unstrut-Hainich-Kreis. Es wird ergänzend auf die Darstellung des Inhalts der Auftragsbekanntmachung in der angefochtenen Entscheidung der Vergabekammer (Seite 2- 5) Bezug genommen.
Der AG teilte der Antragstellerin mit Bieterinformation vom 08.07.2022 mit, dass beabsichtigt sei, nach Ablauf der Informationsfrist, frühestens am 19.07.2022, den Zuschlag auf das Angebot des Beigeladenen zu erteilen. Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 14.07.2022 die beabsichtigte Erteilung des Zuschlags auf das Angebot des Beigeladenen als vergaberechtswidrig. Bezüglich des Inhaltes der Rüge wird auf die Darstellung in der angefochtenen Entscheidung der Vergabekammer, Seite 5-7, Bezug genommen.
Nach Zurückweisung der Rüge durch den AG am 18.07.2022 stellte die Antragstellerin am selben Tage einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer.
Im Zuge der gewährten Akteneinsicht stellte die Antragstellerin fest, dass das Angebot des BEI an einer Stelle von der Ausschreibung abwich. Als Nachweis für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die Eignung der tauenden Streustoffe hatte dieser einen Massenanteil von wasserunlöslichen Solebestandteilen von < 0,1% angegeben, wohingegen nach der Vorgabe der AG nur ein Anteil von ≤ 0,03% zulässig war. Zugleich hatte der BEI die Sole im Angebot als "K+S Natriumchlorid-Sole (ca. 22% NaCl) gem. EN 16811-1, Sole für Winterdienst" näher bezeichnet. Auf die Beanstandung dieses Vorgangs durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren entschied die Vergabekammer mit Beschluss vom 05.04.2023, dass das vom AG durchgeführte Vergabeverfahren rechtswidrig gewesen und die Antragstellerin hierdurch in ihrem Anspruch auf Einhaltung der Vergabevorschriften nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt worden sei. Darüber hinaus verpflichtete sie den AG, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren in den Stand vor Prüfung und Wertung der Angebote zurückzuversetzen und das Vergabeverfahren von diesem Zeitpunkt an unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen. In ihrer Entscheidung setzte sich die Vergabekammer ausschließlich mit der "Korrektur" der Angabe zu den wasserunlöslichen Solebestandteilen auseinander und ging auf die sonstigen Rügen nicht ein. Auf die dagegen eingelegte Beschwerde des Beigeladenen hob der Senat die Entscheidung der Vergabekammer mit Beschluss vom 05.07.2023 (Verg 2/23) auf und verpflichtete die Vergabekammer, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats erneut über die Sache, einschließlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens, zu entscheiden.
In dem den Ilm-Kreis betreffenden Vergabeverfahren schloss der AG den Beigeladenen nach § 124 Abs. 1 Nr. 8 GWB von der Teilnahme mit der Begründung aus, der BEI habe zum Nachweis der geforderten Mindestsolelagerkapazität von 500 t sowie der sach/fachgerechten Lagerung für Streusalz und Sole für die Lagerstätte am Standort Suhl einen 1. Änderungsbescheid der Stadt S. vom 21.06.2021 mit seinem Angebot vorgelegt, der eine Gesamtlagermenge von 500 m3 Salzlauge ausweise, wohingegen die Stadt S. mitgeteilt habe, dass der durch die Stadt S. erlassene 1. Änderungsbescheid vom 21.06.2021 100 m3 ausweise und ein weiterer Änderungsbescheid durch die Untere Wasserbehörde der Stadt S. nicht erlassen worden sei. Mit Schreiben vom 26.09.2023 schloss der AG den Beigeladenen von der Teilnahme an dem hier verfahrensgegenständlichen Vergabeverfahren und sein Angebot gemäߧ 42 Abs. 1 VgV i. V.m. § 124 Abs. 1 Nr. 8 Var. 1 GWB von der Wertung aus. Der hierauf bezogenen Rüge des Beigeladenen vom 28.09.2023 half der AG nicht ab. Den mit Schriftsatz vom 16.10.2023 bei der Vergabekammer gestellten und unter dem Aktenzeichen 5090-250-4003/442 geführten Nachprüfungsantrag des Beigeladenen gegen seinen Ausschluss im vorliegenden Verfahren verwarf die Vergabekammer mit Beschluss vom 21.02.2024 als unzulässig mit der Begründung, dass der Beigeladene mit seinem Rügevorbringen gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB präkludiert sei. Auf die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde des Beigeladenen hob der Senat diese Entscheidung mit Beschluss vom 07.05.2024 auf (Verg 3/24) und verpflichtete die Vergabekammer, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats erneut über die Sache, einschließlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens, zu entscheiden. Mit dem daraufhin erlassenen weiteren Beschluss vom 25.06.2024 wies die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag mit der Begründung zurück, der AG habe seine Entscheidung im Vergabeverfahren zu Recht auf den Ausschlusstatbestand des § 124 Abs. 1 Nr. 8 Var. 1 GWB gestützt. Auf die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde des Beigeladenen hob der Senat mit Beschluss vom 02.10.2024 (Verg 5/24) die Entscheidung der Vergabekammer sowie die Entscheidung des AG über den Ausschluss des Beigeladenen von der Teilnahme am Vergabeverfahren auf und verpflichtete den AG bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht, das Vergabeverfahren unter Beteiligung des Beigeladenen und Berücksichtigung seines Angebotes fortzuführen.
Im Übrigen wird für die Darstellung des Vortrags der Beteiligten im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer auf den angefochtenen Beschluss, Seiten 7 - 18, Bezug genommen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 10.12.2024 hat die Vergabekammer festgestellt, dass das vom AG durchgeführte Vergabeverfahren rechtswidrig war und die Antragstellerin hierdurch in ihrem Anspruch auf Einhaltung der Vergabevorschriften nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt worden ist, und den AG bei fortbestehender Beschaffungsabsicht verpflichtet, das Vergabeverfahren in den Stand der Prüfung und Wertung zurückzuversetzen und das Vergabeverfahren von diesem Zeitpunkt an unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen. Zur Begründung hat die Vergabekammer - soweit den Erfolg des Nachprüfungsantrages tragend - ausgeführt, der Nachprüfungsantrag sei zulässig und begründet.
Dass der Beigeladene die in Nr. III.1.2) der europaweiten Auftragsbekanntmachung vom AG geforderte Vorlage geeigneter Referenzen über früher ausgeführte Liefer- und Dienstleistungen betreffend in den letzten höchstens drei Jahren erbrachte wesentliche Leistungen, dabei in mindestens 3 Fällen vergleichbare Leistungen im Winterdienst und in mindestens 1 Fall in der Störungsbeseitigung - wie gefordert - erbracht habe, könne nicht festgestellt werden, da es an einer Prognoseentscheidung des AG fehle, zumindest diese nicht dokumentiert sei. Die von dem BEI vorgelegten Referenzen seien geeignet, da die vom Beigeladenen vorgelegten Referenzen im Winterdienst auf dem klassifizierten Straßennetz erbracht worden seien. Ob die Vergleichbarkeit der von dem Beigeladenen vorgelegten Referenzen anzunehmen sei, lasse sich der Vergabeakte nicht entnehmen, da es angesichts der vom Beigeladenen vorgelegten Referenzen in der Vergabeakte an einer nachzuvollziehenden Prüfung und einer hierfür erforderlichen Prognoseentscheidung des AG fehle. Während die Referenzen im Winterdienst durch Betreuung des klassifizierten Straßennetzes nachzuweisen gewesen seien, sei die zu vergebende Leistung auf der freien Strecke zu erbringen. Die von dem Beigeladenen vorgelegten Winterdienst-Referenzen ähnelten dem Auftragsgegenstand weder in der zu betreuenden Fläche, noch in finanziellem Umfang und nur zum Teil in personeller Hinsicht. Es lasse sich der Vergabeakte nicht entnehmen, dass und ob der AG von seinem Beurteilungsspielraum Gebrauch gemacht habe und inwiefern er letztlich zu einer Vergleichbarkeit der vom Beigeladenen vorgelegten Referenzen komme, um einen sicheren Rückschluss zuzulassen, dass die für eine ordnungsgemäße Auftragsdurchführung erforderliche Fachkunde und Leistungsfähigkeit beim Beigeladenen vorhanden sei. Insofern differenziere der AG nicht zwischen geeigneten und vergleichbaren Referenzen. Der Beigeladene habe die geforderte Angabe der technischen Fachkräfte oder der technischen Stellen, die im Zusammenhang mit der Leistungserbringung für den Tätigkeitsbereich Winterdienst und Störungsbeseitigung eingesetzt werden sollten, erbracht. Der AG habe jedoch zu überprüfen, ob die Mitarbeiter dem Beigeladenen tatsächlich noch im Zeitpunkt des Zuschlags zur Verfügung stünden. Zwar dürfe der AG auf das Leistungsversprechen des Beigeladenen grundsätzlich vertrauen. Gelangten ihm aber konkrete Hinweise zur Kenntnis, hier weitere zahlreiche Aufträge, sei der AG gehalten zu prüfen, ob der Bieter vor diesem Hintergrund in der Lage sein werde, mit dem vorhandenen Personal und den Mitteln den vorliegenden Auftrag ordnungsgemäß ausführen zu können. Dies habe der AG vorliegend unterlassen.
Der Beigeladene habe den Nachweis der Verfügbarkeit über eine Mindeststreusalzlagerkapazität von 1.060 t und eine Mindestsolelagerkapazität von 90 t im Unstrut Hainich-Kreis nicht erbracht. Die Vergabekammer könne der Vergabeakte und dem Angebot des Beigeladenen schon nicht entnehmen, dass der Beigeladene Lagerkapazitäten nachgewiesen habe. Der Beigeladene habe lediglich nachgewiesen, dass ihm eine Grundstückfläche vermietet werden solle. Insofern habe auch hier eine nicht hinreichende Aufklärung durch den AG stattgefunden. Der Beigeladene habe nicht, wie in der Auftragsbekanntmachung gefordert, die Gesamtlagerkapazität für Salz und Sole angegeben. Dass der Beigeladene ausweichend hinsichtlich der Gesamtlagerkapazität eines Lagers antworte, spreche dafür, dass er eben nur über die Bestätigung einer Grundstücksfläche und eben nicht über die Bestätigung einer im Bedarfsfall anzumietenden Lagerhalle an dem angegebenen Standort verfügen werde. Die Vergabekammer gehe weiter davon aus, dass der Beigeladene den Verfügbarkeitsnachweis über die 90 t Sole darüber hinaus auch nicht hinreichend erbracht haben könnte, da bei einer Flüssigkeit hiermit untrennbar zusammenhänge, über die entsprechenden Behälter im Landkreis Unstrut-Hainich-Kreis am Standort Mühlhausen zu verfügen. Das würde heißen, dass für die Sole zumindest auch die Verfügbarkeit über entsprechende Behälter mit einem Volumen von mindestens 90 t für den Standort Mühlhausen belastbar nachzuweisen sei, was die Vergabekammer den Unterlagen nicht entnehmen könne.
Weiterhin fehle es für den Nachweis an einer sach-/fachgerechten Lagerung, wie von dem AG unter III.1.3) gefordert, an der mit dem Angebot vorzulegenden Anzeige zur Lagerung wassergefährdender Stoffe durch die zuständige Untere Wasserbehörde. Beigelegt habe der Beigeladene seinem Angebot die Anzeige einer Umschlaganlage bei der unteren Naturschutzbehörde, nicht jedoch die von dem AG geforderte Anzeige einer Lageranlage. Bei der vom BEI vorzulegenden Anzeige bei der unteren Wasserbehörde handele es sich um eine leistungsbezogene Anzeige i.S.d. § 56 Abs. 2 S. 12.Alt. VgV, die einer Korrektur nicht zugänglich sei.
Der Beigeladene habe die in Nr. II.1.3) der europaweiten Auftragsbekanntmachung geforderte Bestätigung der NOVASIB GmbH, dass die Leistungserfassung des Winterdienstes via MBDE zum Zeitpunkt der Auftragserteilung gewährleistet sei, nicht vollständig nachgewiesen. Es fehle der Nachweis für das Fahrzeug mit dem Kennz ... .
Der Beigeladene habe den Nachweis der Ausstattung (Geräte und welche technische Ausrüstung) mit Abgabe der Vordrucke "Geräteverzeichnis für Winterdienstfahrzeuge" und,,Geräteverzeichnis für zusätzliche Schneeräumtechnik" erbracht. Angesichts der der Vergabekammer im Verfahren 5090-250-4003/422 zur Kenntnis gelangten Zuschlagserteilungen an den BEI im Landkreis Hildburghausen und Sonneberg, im Landkreis Schmalkalden-Meiningen, im Landkreis Wartburgkreis sowie im vor der Vergabekammer anhängigen Nachprüfungsverfahren 5090-250-4003/483 im Rahmen einer Interimsvergabe, wäre hier durch den AG zu überprüfen, ob die angegebenen im Geräteverzeichnis für Winterdienstfahrzeuge und zusätzliche Schneeräumtechnik angegebenen Fahrzeuge und Geräte dem Beigeladenen tatsächlich noch im Zeitpunkt des Zuschlags zur Verfügung stünden. Im Offenen Verfahren werde die Eignung der Bieter - anders als die Vollständigkeit der Angebote und der geforderten Eignungsnachweise - nicht bezogen auf den Zeitpunkt der Angebotsabgabe oder den Fristablauf für die Einreichung der Nachweise, sondern bezogen auf den Zeitpunkt der Wertung bzw. des Zuschlags geprüft.
Der AG sei seiner Preisaufklärungspflicht nach näherer Maßgabe der §§ 60 Absätze 1 und 2 VgV, 9 Abs. 2 ThürVgG bislang nicht vollständig nachgekommen und habe nur eine Teil-Preisaufklärung betrieben. Die Vergabekammer entnehme der Kostenschätzung des AG, dass das Angebot des Beigeladenen die aktuelle Kostenermittlung um mehr als 10% unterschreite. Weiterhin liege das Angebot des Beigeladenen preislich um mehr als 20% unterhalb des nächsthöheren Angebots der Antragstellerin und habe damit die spezifische Aufgreifschwelle des § 9 Abs. 2 Satz 1 ThürVgG überschritten. Damit sei eine Verpflichtung des AG zur Überprüfung der Angemessenheit des Gesamtpreises des Beigeladenen nach näherer Maßgabe der §§ 60 Absätze 1 und 2 VgV, 9 Abs. 2 ThürVgG entstanden. Der Vergabedokumentation des AG lasse sich keine konkrete Preisaufklärung entnehmen. Aus welchen Gründen der AG offenbar davon ausgehe, dass der Beigeladene nachvollziehbar und auskömmlich kalkuliert habe, könne nicht nachvollzogen werden. Es fehle an einer nachvollziehbaren verbalisierten Niederlegung des Ergebnisses seiner Prüfung. Auch lasse sich den Vergabeunterlagen nicht entnehmen, dass der AG den Beigeladenen an der gebotenen Preisaufklärung beteiligt habe. Zwar lasse sich der Vergabeakte der Ansatz einer Beteiligung des Beigeladenen bei der Preisaufklärung des AG mit Schreiben vom 13.06.2022 entnehmen, der jedoch wieder fallen gelassen worden sei.
Der AG sei seiner Dokumentationspflicht nach § 8 VgV nicht vollumfänglich nachgekommen. Damit liege ein Verstoß gegen das bieterschützende Transparenzgebot gemäß § 97 Abs. 1 GWB vor. Es fehle z.T. an der unmittelbaren Nachvollziehbarkeit der hier für das Verfahren wesentlichen Entscheidungen. Nach Auffassung der Vergabekammer sei es dazu in der Regel erforderlich, die Entscheidung auch in verbalisierter Form darzustellen. So sollten der Vergabeakte regelmäßig zumindest in Kurzform die Gründe dafür zu entnehmen sein, warum ein Bieter den Zuschlag bekomme oder auch nicht oder warum ein Bieter vom Verfahren ausgeschlossen worden sei. Eine verbale Zusammenfassung mit einhergehender Begründung des Ergebnisses des Prüfungsprozesses der Eignung in nachprüfbarer Form, der auch den Prozess des Nachforderns von Unterlagen abbilde, sei der Vergabeakte nicht zu entnehmen. Dies gelte auch für die Prüfung der Angemessenheit der Preise.
Ergänzend wird auf den angefochtenen Beschluss der Vergabekammer Bezug genommen.
Gegen diesen, dem AG am 13.12.2024 (Verfahrensakte Vergabekammer, Blatt 2682), dem Beigeladenen am 10.12.2024 (Verfahrensakte Vergabekammer, Blatt 2689) und der Antragstellerin am 10.12.2024 (Verfahrensakte Vergabekammer, Blatt 2676) zugestellten Beschluss richten sich die am 23.12.2024 bei Gericht eingegangenen Beschwerden des AG und des Beigeladenen. Die Antragstellerin hat zudem mit ihrem am 17.01.2025 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage Anschlussbeschwerde eingelegt.
Mit seiner Beschwerde trägt der AG vor:
Die Erwägungen der Vergabekammer zu den Punkten der Verfügbarkeit technischer Geräte, der Preisaufklärungspflicht sowie einer ordnungsgemäßen Dokumentation könnten den angegriffenen Beschluss nicht stützen, da es sich hier um präkludiertes Vorbringen handele, welches in die materielle Prüfung durch die Vergabekammer gar keinen Zugang hätte finden dürfen.
Der Beigeladene habe qeeignete und vergleichbare Referenzen Winterdienst vorgelegt. Nach inhaltlicher Prüfung und Bewertung durch den Antragsgegner seien die in den Referenzen erbrachten Leistungen vergleichbar, da sie dem ausgeschriebenen Leistungsbild entsprächen. Nach den vorgelegten Referenzen habe der Beigeladene Winterdienst in den Städten Meiningen und Suhl im kompletten Stadtgebiet und Ortsteilen, dazu gehörten alle Landes-, Kreis-, und Stadtstraßen (Referenz 1 und 2), sowie Winterdienst im Landkreis Schmalkalden-Meiningen, auf Kreisstraßen im Thüringer Wald (Referenz 3) und Winterdienst auf Bundes- und Landesstraßen im Landkreis Sonneberg (Referenz 4) erbracht. Nach der vom AG getroffenen Prognose, belegten diese durchgeführten Aufträge, dass der Beigeladene die fachliche und technische Leistungsfähigkeit auch im Hinblick auf den zu vergebenden Auftrag besitze. Mit der Ausschreibung seien bewusst keine Anforderungen an die Quantität der Leistung gestellt worden, etwa in Bezug auf die Länge des Streckennetzes oder auf innerörtliche oder außerörtlichen Leistungen, sondern es sei nur auf die Klassifizierung der zu bearbeitenden Strecken abgestellt worden, um den Wettbewerb nicht übermäßig einzuschränken. Dies beruhe auch darauf, dass sowohl die Verbindungsfunktion als auch die Sicherheitsanforderungen betreffend Winterdienst innerörtlich entsprechend zu wahren seien wie auch außerörtlich. Insoweit sei auch auf die Straßengesetze abzustellen mit den entsprechenden Anforderungen bzgl. Bundes-, Landes- und Kreisstraßen. Maßgeblich sei daher, dass der Bieter dafür Sorge tragen könne, dass der Verkehr auf entsprechend klassifizierten Straßen gefahrlos laufe. Deswegen sei durch den Auftraggeber die Prüfung der Vergleichbarkeit auf die Prüfung der Klassifizierung der Strecken abgestellt. Im Vergabeverfahren sei durch die Vergabekammer nur kontrollfähig, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten, von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen worden sei, die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers nicht auf sachwidrigen Erwägungen beruhe und nicht gegen allgemein gültige Vergabegrundsätze verstoßen worden sei. Gegen keinen dieser Punkte habe der Antragsgegner in seiner Prognoseentscheidung verstoßen. Mithin sei auch die Vergabekammer nicht berechtigt, die Prognoseentscheidung durch eigene Erwägungen zu ersetzen.
Der Beigeladene habe auch geeignete Referenzen Störungsbeseitigung vorgelegt. Diese seien geprüft und aIs geeignet bestätigt worden. Die erbrachten Leistungen seien vergleichbar, da diese dem ausgeschriebenen Leistungsbild entsprächen. Über die Dauer der Leistungserbringung seien keine Vorgaben gemacht worden. Die in der Referenz erbrachte Störungsbeseitigung auf Bundes- und Landesstraßen im Landkreis Sonneberg habe auch die Bereitstellung eines 24/7 Bereitschaftsdienstes während der gesamten Vertragslaufzeit umfasst. Insofern könne man davon ausgehen, dass ein Bieter, der dieses Leistungsbild über 3 Monate erbringe, auch über die fachliche und technische Leistungsfähigkeit verfüge, diese Leistungen innerhalb eines Leistungszeitraumes von 4 Jahren zu erbringen. Entgegenstehende Sachverhaltsangaben oder -erwägungen Iägen nicht vor.
Der Beigeladene habe die geforderten Angaben und Nachweise der technischen Fachkräfte oder der technischen Stellen, die im Zusammenhang mit der Leistungserbringung für den Tätigkeitsbereich Winterdienst und Störungsbeseitigung eingesetzt werden sollten, erbracht. Nach der formellen und materiellen Prüfung im Rahmen der Eignungsprüfung habe der Antragsgegner davon ausgehen müssen, dass der Beigeladene mit den von ihm nachgewiesenen Mitarbeitern grundsätzlich in der Lage sei, die ausgeschriebenen Winterdienstleistungen für den Antragsgegner zu erbringen. Der Auftraggeber dürfe seine Entscheidung auf eine methodisch vertretbar erarbeitete, befriedigende Erkenntnislage stützen und von einer Überprüfung von Eigenerklärungen absehen, wenn und soweit sich keine objektiv begründeten, konkreten Zweifel an der Richtigkeit ergäben. Nur in diesem Fall sei er gehalten, weitere Nachforschungen anzustellen und gegebenenfalls von neuem in die Eignungsprüfung einzutreten. Ansonsten sei die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers über die Eignung eines Bieters bereits dann hinzunehmen, wenn sie unter Berücksichtigung der schon bei Aufstellung der Prognose aufgrund zumutbarer Aufklärung gewonnenen Erkenntnisse (noch) vertretbar erscheine. Ausgehend von diesen Vorgaben sei der Antragsgegner nicht gehalten, mittels einer nochmaligen Prüfung Zweifel an der personellen Leistungsfähigkeit mit Blick auf eine beabsichtigte Auftragserfüllung zu hegen und in eine vertiefte Prüfung der Auftragslage der Beigeladenen einzutreten.
Der Beigeladene habe den Nachweis über die Verfügbarkeit der Mindeststreusalzlagerkapazität und Mindestsolelagerkapazität erbracht. Mit dem Angebot habe der Beigeladene eine auf den 18.05.2022 datierte Erklärung beigefügt, in der er die konkrete Anschrift des Lagers benenne, erkläre, dass es sich nicht um eine Neuerrichtung eines Lagers handele, sondern vorhandene Lagerhallen genutzt würden, die gesamte Lagerkapazität des Lagers für Salz mit 1060 t benenne, die gesamte Lagerkapazität des Lagers für Sole mit 90 t Lauge benenne, ein Schreiben vom 22.04.2022 beifüge, indem die Anschrift des AnIagenbetreibers genannt sei und in dem der Anlagenbetreiber für die benannte Lageranschrift bestätige, dass er dem Beigeladenen eine Grundstücksfläche auf dem Firmengelände vermiete. Diese solle zur Nutzung aIs Streusalz- und Laugenlagerstätte verwendet werden. Aufgrund der Stellungnahme der Antragstellerin vom 17.01.2025 seien durch den Antragsgegner aktuelle Auszüge aus dem Liegenschaftskataster sowie aus dem Grundbuch für sämtliche fraglichen Grundstücke unter der Anschrift ... angefordert worden. Im Ergebnis lasse sich festhalten, dass die Angaben aus dem Angebot des Beigeladenen anhand der vorliegenden Registerauszüge bestätigt werden könnten. In der Erklärung vom 17.06.2022 habe der Beigeladene eindeutig beantwortet, dass der Anteil der Lagerkapazität, die im Rahmen der vorliegenden Ausschreibung genutzt werden solle, für Salz 1060 t und für Sole 90 t betrage. Nach seinen Angaben würden Streusalz und Sole in der gesamten Lagerhalle nur für die Mengen der Ausschreíbung WD+ SB 2022-2026 B+L LK UH eingelagert. Die Prüfung der Eignung sei zweistufig erfolgt: Auf der ersten Stufe sei die formale Vollständigkeit der Erklärungen und Nachweise geprüft und auf der zweiten Stufe die inhaltliche Prüfung, also díe materiellrechtliche Prüfung, vorgenommen worden. Im Rahmen der formellen Prüfung der Eignung hätten spätestens mit der Erklärung des Beigeladenen vom 17.06.2022 alle geforderten Nachweise zur Verfügbarkeít der Mindeststreusalzlagerkapazität und Mindestsolelagerkapazität vorgelegen. Gegenstand der materiellen Eignungsprüfung sei die inhaltliche Frage, ob der Bieter für den Auftrag geeignet sei. Der Antragsgegner habe die Anschrift des angegebenen Lagers auf Richtigkeit überprüft und nachvollzogen, ob der genannte Anlagenbetreíber Grundstückseígentümer der Lagerfläche bzw. Anlagenbetreiber sei. Die Ríchtigkeit dieser Angaben habe bestätigt werden können. Mit der Erklärung, eine Grundstücksfläche zu vermieten, sei gleichzeitig die Vermietung der darauf stehenden Gebäude verbunden. Insofern erstrecke sich die Bestätigung des Grundstückseigentümers eindeutig auch auf die zu dem Grundstück gehörenden Lagerhallen. Des Weiteren sei anhand der vom Beigeladenen mit dem Angebot (Erklärung vom 18.05.2022) unter Anlage 1 vorgelegten Bilder sowie anhand von G. M. - Luftbildern nachvollzogen worden, dass sich auf der benannten Grundstücksanschrift Lagerhallen befänden, die für die Nutzung eines Streusalz- und Solelagers mit der geforderten Menge geeignet seien. Entscheidend für die Eignungsprüfung anhand des vorliegenden Nachweises sei, dass nach objektiver Erkenntnislage die Verfügbarkeit der Mindestsolelagerkapazität für die vorliegende Ausschreibung gegeben sei. Das von der Antragstellerin angesprochene abgelaufene Prüfzeugnis für einen der Behälter sei von dem Beigeladenen unaufgefordert eingereicht worden und nicht notwendig gewesen. Inwieweit der Beigeladene durch die Umsetzung der Solebehälter gezwungen sei, neue Solebehälter ggf. für den Standort Suhl zu beschaffen, unterliege seiner unternehmerischen Planung und Freiheit.
Der Nachweis einer sach-/fachgerechten Lagerung, wie in 111.1.3) der Auftragsbekanntmachung gefordert, sei vom Beigeladenen erbracht. Die Anzeige bei der unteren Naturschutzbehörde liege vor. Die Verwendung der Anzeige als Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit führe dazu, dass es sich um eine eignungsbezogene Angabe handele. Es handele sich damit um eine unternehmensbezogene Unterlage i.S.v. § 56 Abs. 2 S. 1 VgV, da sie die Eignungsprüfung betreffe. Da der Beigeladene die Angabe zur Art der Anlage falsch ausgefüllt habe, Iiege eine fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlage vor, die einer Korrektur im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV zugänglich sei. Es sei maßgeblich, dass die Untere Naturschutzbehörde von dem Vorhaben der Lagerung von Salz und Sole Kenntnis erhalten habe. Zwar sei insoweit mit "Umschlaganlage" ein falsches Kreuz gesetzt worden, aber aus den weiteren Ausführungen in der Anzeige habe sich auch für die Untere Naturschutzbehörde erkennbar ergeben, dass es tatsächlich nicht um Umschlag sondern um Lagerung gehe. Die Untere Naturschutzbehörde sei daher in der Lage, die ihr obliegenden Prüfungen durchzuführen.
Für das im Vergabekammerbeschluss benannte Fahrzeug mit dem Kennzeichen ... sei keine NOVASIB-Bestätigung erforderlich. Dieses Fahrzeug sei ein zusätzliches Winterdienst-Fahrzeug, welches für die Leistungspositionen 02.01.0003; 04.01.0003; 06.01.0003 und 08.01.0003 eingesetzt werde. Diese Positionen würden mittels Stundennachweis abgerechnet.
Im Gegensatz zu den anderen Leistungspositionen, bei denen die Abrechnung mittels des NOVASIB Systems erfolge, enthielten diese Positionen nicht den Vermerk "Das in der Ausführungsbeschreibung Punkt D angegebene Datenerfassungssystem ist anzuwenden."
Der Beigeladene habe die geforderten Angaben der technischen Ausstattung, die im Zusammenhang mit der Leistungserbringung für den Tätigkeitsbereich Winterdienst und Störungsbeseitigung eingesetzt werden sollten, erbracht. Nach der formellen und materiellen Prüfung im Rahmen der Eignungsprüfung habe der Antragsgegner davon ausgehen müssen, dass der Beigeladene mit der von ihm nachgewiesenen technischen Ausstattung grundsätzlich in der Lage sei, die ausgeschriebenen Winterdienstleistungen für den Antragsgegner zu erbringen. Der Antragsgegner sei nicht verpflichtet, die derzeitige Auftragslage des Beigeladenen zu eruieren, um festzustellen, welche technísche Ausstattung mittlerweile gebunden sei.
Die Prüfung auf Angemessenheit der Preise habe anhand des mit Angebotsabgabe vorgelegten Formblattes "Kalkulation mit vorbestimmten Zuschlägen" stattgefunden. Darüber hinaus sei eine Prüfung hinsichtlich Spekulation oder Mischkalkulation erfolgt. Anhand eines selbst erstellten Preisspiegels (S. 2917 - 2935 der Vergabeakte; Darstellung der 4 verbliebenen Jahresscheiben) sei geprüft worden, ob auffällige Einheitspreise (untersetzt bzw. überhöht) vorlägen. Es hätten keine Belege hierfür gefunden werden können. Das Ergebnis sei unter Punkt 3 des Formblattes "E TH - HVA L-StB Angebotsprűfung HA" dokumentiert. Hierbei sei festgestellt worden, dass die Stoffund Gerätekosten bei der AntragstelIerin höher seien aIs bei dem Beigeladenen. Dies lasse sich dadurch erklären, dass entsprechend dem Geräteverzeichnis der Antragstellerin auch mehr Fahrzeuge für den Wínterdienst vorgesehen seien aIs bei dem Beigeladenen. Daher seien die im Kalkulationsblatt ausgewiesenen geringeren Geräte- und Stoffkosten des Beigeladenen schlüssíg. Des Weiteren habe der Beigeladene ím Gegensatz zur Kalkulation der Antragstellerin ohne sonstige Kosten und Nachunternehmerleistungen kalkuliert. Die entsprechende Dokumentation sei unter Punkt 10.1 des Vergabevermerks erfolgt, der diese Preisprüfung abhandele. Für die Dokumentation zum "Ergebnis und Bewertung der Aufklärung" sei auf einen entsprechenden Aktenvermerk verwiesen worden. Dieser sei Bestandteil der Vergabeakte.
Zutreffend rüge der Beigeladene die Aufnahme nicht protokollierter Einlassungen der Beteiligten in der Begründetheit des Vergabekammerbeschlusses.
Mit seiner Beschwerde beantragt der AG:
1. Der Beschluss der Vergabekammer des Freistaates Thüringen - Az. 5090-250-4003/396 - vom 10.12.2024 wird aufgehoben und der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
Mit seiner Beschwerde trägt der Beigeladene vor:
Soweit die Vergabekammer in dem Beschluss nicht protokollierte "Einlassungen" in der Begründetheit verwerte, greife die Rüge der Aktenwidrigkeit ein. Das Protokoll der mündlichen Verhandlung und der von der Vergabekammer selbst erstellte Tatbestand ergäben die Einlassungen nicht. In Wirklichkeit seien die "Einlassungen" belastbar und sprächen für eine ordnungsgemäße Bewertung. Die Einlassungen hätten protokolliert und den Vernommenen zur Kontrolle vorgespielt und von diesen genehmigt werden müssen. Dies sei rechtswidrig unterlassen worden. Die Vergabekammer sähe die "Einlassungen" als entscheidungserheblich an. Der Beschluss verwende fehlerhafte "Einlassungen", die den Verlauf der mündlichen Verhandlung nicht widerspiegelten. Darin liege eine entscheidungserhebliche Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs.
Der Nachprüfungsantrag sei unzulässig, weil die Missbrauchsgründe gemäß § 180 GWB vorlägen. Es gehe der Antragstellerin nicht um den Gewinn des Auftrages im Wettbewerb, sondern um Verdrängung des Beigeladenen aus dem Markt. Die Antragstellerin habe rechtswidrig versucht, den Beigeladenen auszuspionieren. Weiterhin habe die Antragstellerin in Sachen Salzlagerstätte vorsätzlich oder fahrlässig versucht, mit fehlerhaften Interpretationen (u.a. durch die Vorlage der Eidesstattliche Versicherung der Frau ...) einen Ausschluss des Beigeladenen zu erwirken. Dies führe insgesamt zum Ausschluss der Antragstellerin.
Präkludierte Verstöße dürften nicht von Amts wegen aufgegriffen werden. Die Vergabekammer hätte demnach folgende Punkte nicht aufgreifen dürfen:
- Der Antragsgegner habe im Hinblick auf die gewonnenen Verfahren zu überprüfen, ob die im Geräteverzeichnis für Winterdienstfahrzeuge und zusätzliche Schneeräumtechnik angegebenen Fahrzeuge und Geräte dem Beigeladenen tatsächlich noch im Zeitpunkt des Zuschlags zur Verfügung stünden (Beschluss, S. 36).
- Der Antragsgegner sei seiner Preisaufklärungspflicht bisher nicht in ausreichendem Maße nachgekommen (Beschluss, S. 36 - 27).
- Es liege eine unzureichende Dokumentation vor (Verstoß gegen das Transparenzgebot).
In der Rüge vom 14. Juli 2022 seien diese Punkte nicht angegriffen worden. Ein Aufgreifen durch die Vergabekammer sei mithin nicht möglich.
Der Beigeladene habe die erforderlichen Referenzen erbracht. Die Dokumentation sei ordnungsgemäß. Die Überprüfung der Vergleichbarkeit sei darauf beschränkt, ob der Antragsgegner als Vergabestelle den der Eignungsprüfung zugrunde gelegten Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt und bei der Eignungsprüfung berücksichtigt habe sowie ob er allgemeine Bewertungsmaßstäbe eingehalten habe und sachwidrige Erwägungen dabei keine Rolle gespielt hätten. Davon sei im konkreten Fall auszugehen. Die Prüfung der Vergabekammer verletze die o.g. Vorgaben. In dem Prüfungspunkt "Referenzen" arbeite die Vergabekammer mit eigenen Feststellungen und nicht mit der Überprüfung der von dem Antragsgegner gefundenen Ergebnisse. Die Vergabekammer verkenne den ihr zustehenden Prüfungsrahmen. Der Antragsgegner habe seine Entscheidung aufgrund einer zutreffenden und vollständigen Tatsachengrundlage ermittelt. Eine bestimmte "Begründungstiefe" werde hierfür nicht verlangt.
Bei den zur Kenntnis der Vergabekammer gelangten Zuschlagserteilungen an den Beigeladenen im Landkreis Hildburghausen und Sonneberg, im Landkreis Schmalkalden-Meiningen, im Landkreis Wartburgkreis sowie im vor der Vergabekammer anhängigen Nachprüfungsverfahren 5090-250-4003/483 im Rahmen einer Interimsvergabe im Landkreis Ilm-Kreis gehe es, bis auf die Interimsvergabe im Ilm-Kreis nicht um Winterdienst, sondern um Reinigungsleistungen, die grundsätzlich nicht parallel anfielen. Die Überlegungen der Vergabekammer zum Prüfungszeitpunkt seien rechtlich nicht haltbar In Bezug auf den Nachweis der Lagerkapazitäten setze die Vergabekammer fehlerhaft ihre Rechtsansicht an die Stelle derjenigen des Antragsgegners, ohne eine ermessenfehlerhafte Bewertung durch den Antragsgegner aufzuzeigen. Die Vergabekammer ziehe unzutreffend sowohl die Angaben zur Lagerhalle als auch zu der vom Beigeladenen geplanten und erläuterten Umsetzung von Solebehältern vom Standort Suhl zum Standort Mühlhausen mit zahlreichen Mutmaßungen in Zweifel. Dass der Beigeladene die Halle genau deswegen, weil sie zur geforderten Größenordnung passe, ausgesucht habe, so dass die zitierten Angaben genau den geforderten Nachweis enthielten, komme der Vergabekammer offenbar nicht in den Sinn, obwohl sich dies schon aus der mit dem Angebot eingereichten Anzeige bei der unteren Wasserbehörde ergebe. Hier habe sich die Vergabekammer nur mit dem versehentlich falschen Kreuz bei der "Umschlaganlage" statt bei der "Lageranlage" befasst, aber die ansonsten eindeutigen Angaben offensichtlich nicht beachtet. Im weiteren Genehmigungsverfahren bei der Behörde sei dies ohne weiteres zu ändern und daher hier unerheblich. Ebenso zweifele die Vergabekammer ohne nähere Hinweise schlicht an, dass der Beigeladene beide benannten Lagerbehälter aus Suhl nach Mühlhausen zu verlegen beabsichtige, weil dies nach ihrer Auffassung nicht sinnvoll sei. Die Lagerkapazitäten in Suhl seien aber nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens. Auch die weiteren Ausführungen zeigten auf, dass die Vergabekammer sich als Vergabestelle und nicht als rechtliche Überprüfungsinstanz sehe. Die Vergabekammer setze hier fehlerhaft ihre rechtliche Meinung an die Stelle derjenigen des Antragsgegners, ohne dass sie aber eine ermessenfehlerhafte Bewertung aufzeige. Auch die Ausführungen der Vergabekammer (Beschluss, S. 35) zur Gültigkeitsdauer des Prüfbescheids, der der Anzeige bei der unteren Wasserbehörde beigelegen habe, könnten nicht überzeugen. Denn dieser Prüfbescheid beziehe sich nur auf die Prüfung des Bauproduktes "GFK-Behälter" an sich und damit auf die Verwendung des Prüfbescheids im Sinne von erstmaligem Einbau des Gegenstandes, nicht aber auf die Verwendung im Sinne der späteren Nutzung. Der unteren Wasserbehörde habe dies genügt; am Ende müsse die Anlage (nach dem Umsetzen der Behälter) insgesamt am neuen Standort neu genehmigt werden. Zum Zeitpunkt des Leistungsbeginns werde eine genehmigte Anlage zur Verfügung stehen. Der Beigeladene habe sein Leistungsversprechen abgegeben und werde es auch halten. In dem Zeitpunkt, in dem die Leistung beginne, würden die entsprechenden Mittel vorhanden sein. Mehr sei nicht erforderlich. Unwahr trage die Antragstellerin vor, dass die Ausführungen des Antragsgegners zur Verfügbarkeit der Mindeststreulagerkapazität und Mindestsolelagerkapazität und zur sach-/fachgerechten Lagerung von Salz und Sole fehlerhaft seien.
Das Fahrzeug mit dem Kennz ... sei im Angebot ausdrücklich als zusätzliches Winterdienst-Fahrzeug aufgelistet. Wie sich eindeutig aus den Vergabeunterlagen ergebe, sei für dieses Fahrzeug die NOVASIB-Bestätigung nicht erforderlich.
Die Verfügbarkeit von technischen Geräten sei gegeben. Die Vergabekammer missachte die eigene Rechtsprechung, wonach die Verfügbarkeit erst zum Leistungsbeginn feststehen müsse. Davon sei im konkreten Fall auszugehen. Der Beigeladene habe sein Leistungsversprechen abgegeben und werde es auch halten. In dem Zeitpunkt, in dem die Leistung beginne, würden die entsprechenden Mittel, also Personal und Fahrzeuge, vorhanden sein.
Der Antragsgegner sei seiner Preisaufklärungspflicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Die Vergabekammer ersetze auch hier die Wertung des Antragsgegners durch ihre eigene Wertung. Dies sei rechtswidrig, weil das Auswahlverfahren des Antragsgegners nicht auf Ermessensfehler überprüft, sondern eigene Ermessenserwägungen angestellt würden. Bei der Antragstellerin handele es sich um eine oligopole Anbieterin mit überhöhten Preisen. Das Angebot der Antragstellerin müsse daher als spekulatives Überkostenangebot eines oligopolen Marktteilnehmers ausgeschlossen werden. Der Beigeladene habe seine Preise so kalkuliert, dass er den Auftrag erfüllen und gegenüber der Antragstellerin bestehen könne. Bei der hier vorliegenden Zweier-Konstellation sei nicht von dem Vorliegen einer Aufgreifschwelle auszugehen. Es liegt ein Überkostenangebot der Antragstellerin vor. Der Beigeladene sei im ausgeschriebenen Bereich seit sehr vielen Jahren vor Ort tätig. Der Beigeladene habe seinen preislichen Gestaltungsrahmen ausgeschöpft.
Der Antragsgegner habe das Vergabeverfahren mit der vorliegenden Dokumentation ausreichend dokumentiert. Weder müsse die Vergabestelle jedes Detail ihrer Überlegungen festhalten, noch müsse sie mit sachverständiger Hilfe vorab eine detaillierte Kostenschätzung in Form einer Preiskalkulation für alle Einzelpositionen der Leistungsbeschreibung vornehmen. Eine solche Anforderung würde den zumutbaren Rahmen eines Vergabeverfahrens sprengen. Verbleibende Dokumentationsmängel seien heilbar und könnten durch nachgeschobenen Vortrag der Antragsgegnerin im Verfahren geheilt werden.
Die Vergabekammer habe in der bisherigen Besetzung entschieden, da die Besorgnis der Befangenheit der Hauptamtlichen Beisitzerin nicht festgestellt worden sei. Aus den in den Schriftsätzen vom 22. August 2023 darstellten Gründen sei der Befangenheitsantrag allerdings begründet. Auf die Schriftsätze werde zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Die Befangenheit werde auch dadurch dokumentiert, dass die lange Vorgeschichte zum hiesigen Verfahren durch die Vergabekammer (erneut) ausgeblendet werde. Es falle auf, dass die Vergabekammer die von der Antragstellerin als unmittelbarer Wettbewerberin des Beigeladenen angeführten Punkte offenbar grundsätzlich für wahr halte, obwohl diese vielfach reine Mutmaßungen oder irrelevante Wertungen eines konkurrierenden Bieters im Verfahren seien. Dies dokumentiere zusätzlich die Befangenheit der abgelehnten Beisitzerin.
Die Antragstellerin habe im Nachprüfungsantrag vom 18. Juli 2023 (S. 15, 16), im Schriftsatz vom 12. August 2022 (S. 7, 10, 11) und im Schriftsatz vom 13. Februar 2023 (S. 17) Schwärzungen vorgenommen. Es werde insofern die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt.
Die Entscheidung über die Kosten sei fehlerhaft.
Mit seiner Beschwerde beantragt der Beigeladene:
1. Der Beschluss der Vergabekammer des Freistaates Thüringen - Az. 5090-2504003/396- vom 10. Dezember 2024 wird aufgehoben und der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Beigeladenen, auch im Nachprüfungsverfahren, trägt die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch den Beigeladenen wird für das Verfahren vor der Vergabekammer für notwendig erklärt.
Die Antragstellerin beantragt zu den Beschwerden des AG und des Beigeladenen:
Die sofortigen Beschwerden des Antragsgegners und des Beigeladenen werden kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt zu den Beschwerden des AG und des Beigeladenen vor:
In der in der Anlage AST 10 vorgelegten, 10-seitigen Rüge der Antragstellerin (Anwaltsschreiben) vom 14.07.2022 seien alle Punkte enthalten, die die Antragstellerin auch im Nachprüfungsantrag vom 18.07.2022 eingewendet habe. Dazu gehöre auch die nicht ausreichende Angabe bzw. das fehlende Vorhandensein von technischer Ausrüstung (WD-Fahrzeuge und Geräte) bei dem Beigeladenen. Die weiteren Punkte, fehlende Preisaufklärung und nicht ausreichende Dokumentation, seien erst im Ergebnis der Akteneinsicht und der dort erkannten Hinweise auf Vergabefehler in diesen beiden Punkten ergänzt worden. Vergabefehler, die erst im Verlaufe des Nachprüfungsverfahrens erkannt würden, seien nicht zu rügen.
Entgegen der Behauptung des Beigeladenen seien die von der Vergabekammer entschiedenen Ausschlussgründe nicht "verbraucht". Im Beschluss des OLG Jena vom 02.10.2024 (Az.: Verg 5/24) sei nur die Verpflichtung ausgesprochen worden, das Vergabeverfahren unter Beteiligung des Antragstellers und unter Berücksichtigung seines Angebotes fortzuführen. Eine Prüfung von weiteren Eignungskriterien und -nachweisen sei in diesem Verfahren (Az.: Verg 5/24) nicht erfolgt. Im ersten Verfahren (Az.: Verg 2/23) habe der Vergabesenat im Beschluss vom 05.07.2023 (Az.: Verg 2/23) ausdrücklich entschieden und darauf hingewiesen, dass die weiteren von der Antragstellerin im Nachprüfungsantrag- und -verfahren Az.: 5090-250-4003/396 genannten Ausschlussgründe und Eignungsmängel durch die Vergabekammer bis dahin nicht geprüft worden seien und noch geprüft werden müssten. Dieser Prüfung sei die Vergabekammer jetzt nachgekommen.
Soweit sich der Antragsgegner gegen die Feststellungen der Vergabekammer Thüringen bezüglich einer fehlenden Prognoseentscheidung und einer fehlenden Dokumentation der Ermessensentscheidung wende, seien die Feststellungen der Vergabekammer Thüringen richtig, denn offensichtlich habe der Antragsgegner weder seine Prognoseentscheidung zur Eignung, noch die entsprechende Dokumentation dazu vorgenommen. Entgegen der Meinung des Antragsgegners habe die Vergabekammer Thüringen gerade nicht in den Beurteilungsspielraum der Vergabestelle in Bezug auf den Mindestjahresumsatz für die Winterdienstleistungen oder in Bezug auf die Referenzen für den Winterdienst eingegriffen. Ebenso wenig habe die Vergabekammer Thüringen "eigene Anforderungen" an die Vergleichbarkeit der Referenzen gestellt. Die Vergabekammer Thüringen habe gerügt, dass die Prognose und das Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt, in jedem Fall aber nicht dokumentiert seien, weshalb die ordnungsgemäße Ausübung von Prognose und Ermessen letztlich auch nicht habe festgestellt werden können. Eine fehlende oder lückenhafte Dokumentation hätte durch den Antragsgegner innerhalb des Nachprüfungsverfahrens nachgeholt werden müssen. Das sei nicht erfolgt. Auch der aktuelle Vortrag des Antragsgegners sei nicht geeignet, die Prognoseentscheidung und die Ermessensentscheidung des Antragsgegners hinsichtlich der Referenzen (aber auch bezüglich der weiteren Eignungskriterien!) ausreichend zu dokumentieren.
Die Vergabekammer habe zu Recht bestätigt, dass, wenn die Vergabestelle ausdrücklich "3 vergleichbare Referenzen" über "früher ausgeführte Liefer- und Dienstleistungen in den letzten höchstens 3 Jahren" fordere und auch noch ausdrücklich hervorhebe: "Achtung: Winterdienstleistungen auf klassifiziertem Straßennetz (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen)", "die mit der ausgeschriebenen Leistung vergleichbar sind", dass dann der Antragsgegner selbst höhere Anforderungen an die Vergleichbarkeit gestellt habe, an diese auch gebunden sei und damit seinen Ermessensspielraum bei der Bewertung eingeschränkt habe. Die Vergabekammer habe im Ergebnis zu Recht bestätigt, dass die Beigeladene mit den vorgelegten Referenzen Winterdienst keine Referenz nachgewiesen habe, die mit den hier ausgeschriebenen 281 km Bundes- und Landesstraßen vergleichbar wäre. Der Winterdienst Stadt S. betreffe kein klassifiziertes Straßennetz, sondern innerörtlichen Winterdienst. Beim Winterdienst Stadt Meiningen habe die Beigeladene lediglich 20% der Referenzleistungen innerhalb der ARGE erbracht und dazu auch noch falsche Erklärungen abgegeben. Zu Recht halte die Vergabekammer den Winterdienst bzgl. Kreisstraßen im LK Schmalkalden/Meiningen mit 18 km Länge sowohl von den technischen wie den personell notwendigen Anforderungen und Kapazitäten für letztlich nicht vergleichbar mit den hier ausgeschriebenen 281 km Bundes- und Landesstraßen.
Im Tätigkeitsbereich Störungsbeseitigung habe der Beigeladene zwei (geschwärzte) Referenzen und als dritte Referenz den "Interimsauftrag Störungsbeseitigung im Landkreis Sonneberg vom 01.11.2020 bis 31.12.2020" (Seite 2712) genannt. Soweit der Antragsgegner auf Seite 4 unten zu dieser Referenz Störungsbeseitigung im Landkreis Sonneberg vortrage, stimme der vorgetragene Leistungszeitraum nicht. Nach den Angaben des Beigeladenen habe der angebliche Leistungszeitraum bereits mit dem 31.12.2020 geendet. Dementsprechend habe der Antragsgegner an dieser Stelle nicht ordnungsgemäß geprüft. Dementsprechend hätte die Beigeladene die Leistungen Störungsbeseitigung nicht über drei Monate, sondern lediglich über zwei Monate erbracht. Dem Antragsgegner habe als Auftraggeber auch selbst bekannt sein können, dass in dem Leistungszeitraum 01.11.2020 bis 31.12.2020 regelmäßig keine Leistungen der Störungsbeseitigung durchgeführt würden. Außerdem sei ihm bekannt, dass es innerhalb von 2 Monaten nicht möglich sei, Leistungen Störungsbeseitigung mit einem Mindestjahresumsatz von 50.000,00 Euro zu erbringen.
Bezüglich der Angaben der technischen Ausrüstung und der technischen Fachkräfte habe die Vergabekammer sehr deutlich aufgezeigt, dass dem Antragsgegner eine Reihe von Widersprüchen in den Erklärungen des Beigeladenen und Beschwerdeführers aufgefallen seien und er den Beigeladenen und Beschwerdeführer zur Aufklärung aufgefordert habe; sie habe aber auch festgestellt, dass sich der Antragsgegner dann mit Versicherungen oder fehlerhaften Angaben begnügt oder verbleibende Widersprüche gar nicht weiter verfolgt habe und dass eine Dokumentation über die Prüfung, die Gründe für die Ermessens- und Prognoseentscheidungen trotz fehlerhafter und/oder fehlender Nachweise/Angaben vergaberechtswidrig nicht erfolgt sei.
Der Beigeladene habe die in der Bekanntmachung geforderten Nachweise zur Verfügbarkeit der Mindeststreusalzlagerkapazität und der Mindestsolelagerkapazität nicht erbracht und der Antragsgegner habe die widersprüchlichen Angaben auch nicht überprüft. Auch in der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer habe der Beigeladene die Lagerkapazitäten nicht zweifelsfrei aufklären können. Und auch der Antragsgegner habe in der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer die Lagerkapazitäten des Beigeladenen nicht erklären können. Damit seien die in der Bekanntmachung geforderten Nachweise über die Verfügbarkeit der Mindeststreusalzlagerkapazität und der Mindestsolelagerkapazität nicht erbracht gewesen, was zu einem Ausschluss des Beigeladenen führe. In der Lagerhalle in der ... befänden sich Stallungen von Pferden. Auch die Gebäude und Freiflächen würden genutzt. Die Grundstückseigentümerin, Frau ..., bestätige in ihrer eidesstattlichen Versicherung, dass sie ihr Grundstück weder dem Beigeladenen, noch einem anderen Unternehmen zur Vermietung oder anderweitigen Verfügung angeboten oder eine solche bestätigt habe. Eine schriftliche Erklärung von ihr als Grundstückseigentümerin bezüglich einer Nutzung habe sie ebenfalls nicht abgegeben. Die auf dem Grundstück vorhandenen Gebäude und Stallungen seien in Benutzung und würden auch keiner Firma zur Nutzung angeboten. Frau ...habe auch erklärt, dass etwaige Erklärungen ihres Ex-Mannes ungültig seien, weil er keine Besitz- oder Eigentumsansprüche auf die Grundstücke und Gebäude habe. Weder nach der eidesstattlichen Versicherung von Frau ... noch nach der aktuellen Nutzung der Hallen und Gebäude sei die von dem Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung erklärte und von deren Bevollmächtigten nochmals ausdrücklich versicherte Verfügbarkeit eines Lagers für Streusalz und Sole gegeben, noch könne eine Anzeige bei der Unteren Naturschutzbehörde (uNB) für dieses Grundstück vorliegen. Sämtliche "fehlerhaften" Angaben des Beigeladenen seien nicht "offensichtliche Fehler" und nicht behebbar, weil es keine offensichtlich gebotenen, bloßen Klarstellungen gewesen seien, sondern das Angebot geändert worden sei. Der Antragsgegner habe die verschiedenen, fehlerhaften Angaben des Beigeladenen in der Anzeige lediglich als Schreibfehler gesehen. Ob das die uNB ebenso sehe, ob überhaupt eine korrigierte Anzeige bei der uNB eingereicht worden sei, die Grundlage für eine aktuelle Genehmigung/Zustimmung sein könnte, dazu sage der Antragsgegner nichts. Ein Nachweis über die Einreichung der korrigierten Anzeige, die eine erhebliche Bedeutung für den Nachweis der Eignung und der Verfügbarkeit eines Salz- und Solelagers habe, liege nicht vor. Für einen der Solebehälter habe der Beigeladene zudem ein abgelaufenes Prüfzeugnis vorgelegt.
Nach der Bekanntmachung sei für alle WD-Fahrzeuge, die im Winterdienst eingesetzt würden, und somit auch für das Ersatz-Fahrzeug SM-JW 55 ohne Ausnahme die Leistungserfassung des Winterdienstes via MBDE und der Nachweis durch schriftliche NOVASIB-Bestätigung zu erbringen, unabhängig davon, ob ein Fahrzeug später in LV-Positionen mit Stundenabrechnung eingesetzt werde oder nicht.
Bezüglich der technischen Ausstattung verfüge der Beigeladene nicht über eine ausreichende Anzahl WD-Fahrzeuge. Die 8 Fahrzeuge, über die er verfüge, seien bereits bei laufenden Verträgen bei den Autobahnmeistereien und für die Betreuung der Kreisstraßen (Stadt S. , Stadt Meiningen, Kreisstraßen Meiningen/Schmalkalden) vertraglich gebunden, (außer Stadt S. ) auch bis in den zukünftigen Vertragszeitraum. Der Antragsgegner sei bei solchen Informationen (zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung gemäß OLG Jena, Beschluss vom 02.10.2024, Verg 5/24), verpflichtet, solche erheblichen Änderungen bezüglich der technischen Ausstattung und damit der Eignung zu berücksichtigen und die Eignung erneut zu prüfen.
Zur Preisaufklärungspflicht habe die Vergabekammer die Rechtsansicht bezüglich der fehlerhaften Preisaufklärung bei 20% Preisabstand bestätigt. Insoweit bleibe es bei dem Vortrag dazu.
Der Überzeugungsbildung der Vergabekammer liege kein Verfahrensfehler in Form aktenwidriger Feststellungen zugrunde. Eine "aktenwidrige Entscheidung" liege erst vor, wenn der Streitstoff, den das Tatsachengericht seiner Entscheidung zugrunde lege, von dem tatsächlichen Streitstoff, wie er sich aus den Akten ergebe, zu entscheidungserheblichen Fragen abweiche, sei es, dass er darüber hinausgehe, indem aktenwidrig - "ins Blaue hinein" - Tatsachen angenommen würden, sei es, dass er dahinter zurückbleibe, indem Akteninhalt übergangen werde. Die Rüge der Aktenwidrigkeit verlange den schlüssigen Vortrag, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt sei ein Widerspruch gegeben, und zudem eine genaue Darstellung des Verstoßes durch konkrete Angaben von Textstellen aus den vorinstanzlichen Verfahren, aus denen sich der Widerspruch ergeben solle. Dieser Widerspruch müsse offensichtlich sein, so dass es einer weiteren Beweiserhebung zur Klärung des richtigen Sachverhalts nicht bedürfe. Auch nach dem Vortrag des Beigeladenen sei unstreitig, dass sämtliche der fünf Fragestellungen in der mündlichen Verhandlung erörtert worden seien. Streitig sei lediglich der Inhalt der Erörterung. Zudem weise die Rüge der Aktenwidrigkeit des Beigeladenen erhebliche Darstellungsmängel auf. Denn Teil der Darstellung müsse neben der Widersprüchlichkeit zum einen die Entscheidungserheblichkeit des vermeintlichen Widerspruchs sein. Deshalb sei es unerlässlich, dazu vorzutragen, was aus Sicht des Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung besprochen worden sei und welche abweichende Entscheidung sich hieraus zwangsläufig für die Kammer hätte ergeben müssen. Auch ohne die nicht protokollierten Aussagen / Ergebnisse der Nachfragen der Vergabekammer sei dem Nachprüfungsantrag bereits aus den im Nachprüfungsantrag genannten, verschiedenen Vergabefehlern bei der Eignungsprüfung stattzugeben. Bei der Ansicht der Vergabeakten und der dazu vorliegenden Nachweise und der dazu geführten Diskussion zwischen Vergabekammer, Beigeladenem und Antragsgegner sei die Antragstellerin aus Vertraulichkeitsgründen nicht zugelassen gewesen. Die Ergebnisse dieser Befragung der Vergabekammer, vertrauliche Feststellungen und Ergebnisse der Diskussion dürften gerade nicht protokolliert werden.
Weder lägen behauptete Missbrauchsgründe gem. § 180 GWB vor, noch bestünden Ausschlussgründe nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB. Die Antragstellerin und Herr ... hätten keine Verfehlungen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit im Sinne des § 124 Abs. 1, Nr. 3 GWB begangen und es hätten auch keine Absprachen bzw. wettbewerbswidrige oder vergaberechtswidrige Vereinbarungen oder Verhandlungen im Sinne von §§ 124, 180 GWB stattgefunden. Der Inhalt der beiden Gespräche sei wesentlich anders gewesen, als glauben gemacht werden solle. Die als Anlage BF 5 und BF 6 beigefügten Versicherungen an Eides statt der Herren Jürgen und Alexander Wolf entsprächen nicht den inhaltlichen Anforderungen an eine Versicherung an Eides statt und seien daher im vorliegenden Nachprüfungsverfahren nicht weiter von der Vergabekammer zu beachten. Ob die von Herrn ... unterschriebene Versicherung an Eides statt überhaupt als Beweismittel zulässig sei, stoße auf Bedenken. Durch die dargebotene Versicherung an Eides statt erkläre sich Herr ... unzulässigerweise als Partei über Behauptungen, zu deren Abgabe er prozessual (noch) nicht befugt sei. Zudem bestünden Bedenken, ob eine Glaubhaftmachung durch eine Versicherung an Eides statt möglich sei. Denn eine Glaubhaftmachung und somit die Versicherung an Eides statt sei nur dort zulässig, in denen eine gesetzliche Regelung eine Glaubhaftmachung nach § 294 Abs. 1 ZPO ausdrücklich vorschreibe.
Die hauptamtliche Beisitzerin sei nicht befangen. Dazu gebe es die Prüfung und Entscheidung mit Beschluss. Der Beigeladene habe auch nichts Konkretes vorgetragen, worin eine angebliche Befangenheit der hauptamtlichen Beisitzerin liegen solle. Allein der Vortrag "die lange Vorgeschichte zum hiesigen Verfahren sei durch die Vergabekammer ausgeblendet worden" sei für eine Befangenheit nicht ausreichend.
Der Antrag des Beigeladenen, ihm die geschwärzten Inhalte zugänglich zu machen oder diese entsprechend der Entscheidung des Kammergerichtes nicht zu bewerten, sei zurückzuweisen.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 18.Juli 2022 enthalte keine geschwärzte Stelle und auch keine mit Sperrvermerk hinterlegten Anlagen. Selbst wenn Inhalte geschwärzt wären, trage der Beigeladene nicht vor, dass und warum die geschwärzten Inhalte für die Entscheidung erheblich seien. Wenn bereits aufgrund der bekannten Akteninhalte feststehe, dass und wie die Entscheidung erfolgt sei, sei der Antrag zurückzuweisen. Vergaberechtliche Vorgaben, die die Offenlegung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen verböten, seien auch im Nachprüfungsverfahren zu beachten. Technische Details oder Spezifikationen sowie Preise und Preiskalkulationen seien und blieben nach diesen Maßstäben schutzwürdig. Im Übrigen sei der Beigeladene mit diesem Vortrag präkludiert. Wenn, dann hätte der Beigeladene den Einwand vermeintlich unzulässiger Schwärzung bereits im Nachprüfungsverfahren erheben müssen.
Die Kostenentscheidung der Vergabekammer entspreche der getroffenen Entscheidung und sei daher nicht fehlerhaft oder abzuändern.
Mit ihrer Anschlussbeschwerde beantragt die Antragstellerin:
Der Beschluss der Vergabekammer Thüringen - Az.: 5090-250-4003/396 - vom 10.12.2024 wird in dem Umfang aufgehoben, wie die Vergabekammer eine Eignung der Beigeladenen wegen nachgewiesenem Mindestjahresumsatz im Tätigkeitsbereich Störungsbeseitigung von 50.000,00 Euro bejaht hat.
Die Antragstellerin trägt zu ihrer Anschlussbeschwerde vor:
Der Beigeladene verfüge nicht über einen Mindestjahresumsatz von 50.000 im Tätigkeitsbereich Störungsbeseitigung und erst recht nicht über die drei Mindestjahresumsätze gemäß der Eigenerklärung zur Eignung.
Der Beigeladene verfüge über keinen als "Mindeststandard" geforderten Mindestjahresumsatz von 50.000,- Euro im Tätigkeitsbereich Störungsbeseitigung, weil er keine Tätigkeiten in der Störungsbeseitigung erbracht habe. Der Beigeladene habe in der von ihm vorgelegten Eigenerklärung zur Eignung für den Bereich Störungsbeseitigung (Vergabeakte Seiten 2708 ff.) die vergaberechtswidrig erteilte lnterimsvergabe "Störungsbeseitigung im Landkreis Sonneberg" (Seite 2712) als Referenz mit dem Zeitraum "vom 01.11.2020 bis 31.12.2020" und somit lediglich zwei Monate angegeben. Das sei auch die einzige Referenz, die der Beigeladene für den Bereich der Störungsbeseitigung angegeben habe. Damit sei das auch die einzige Referenz, mit der der Beigeladene Umsatz im Bereich der Störungsbeseitigung hätte generieren können. In diesen 2 Monaten sei es schlicht nicht möglich, 50.000 Euro Mindestjahresumsatz im Tätigkeitsbereich Störungsbeseitigung zu erwirtschaften. Auch nicht in 3 Monaten (bis 31.01.2021), die fälschlich die Vergabestelle und auch die Vergabekammer bei ihrer Prüfung zugrunde gelegt hätten. Bei der vergaberechtswidrigen Interimsvergabe Landkreis Sonneberg sei sowohl Winterdienst, als auch Störungsbeseitigung an den Beigeladenen beauftragt worden. Auch der Vergabestelle im UH-Kreis sei bekannt, dass üblicherweise im Zeitraum 01.11.2020 bis 31.12.2020 Winterdienst ausgeführt werde und eben gerade keine Störungsbeseitigung stattfinde. Die Bestätigung des Steuerberaters für das Jahr 2020 sei schlicht falsch. Das wäre für den Antragsgegner im Übrigen sehr einfach zu kontrollieren, weil der Antragsgegner selbst den Interimsauftrag Lkrs. Sonneberg an die Beigeladene beauftragt gehabt habe.
Darüber hinaus seien die Bieter mit der Bekanntmachung durch den ausdrücklichen Verweis auf die Eigenerklärung zur Eignung verpflichtet worden, den Mindestjahresumsatz im Bereich der Störungsbeseitigung für drei Jahre anzugeben. Es ergebe sich trotz geschwärzter Zahlen, dass der Steuerberater für alle drei Jahre entgegen der geforderten Bestätigung keinen Jahresumsatz Störungsbeseitigung bestätigt habe, sondern vielmehr Umsatz für alternative Leistungen, die aber gerade gemäß Bekanntmachung bei Mindestjahresumsatz Störungsbeseitigung nicht zugelassen seien. Das sei objektiv eine fehlerhafte Eigenerklärung, der kein Beweiswert zukommt.
Eine Öffnungsklausel, wie bei den Referenzen, wo der Antragsgegner ausdrücklich definiert habe, was er ebenfalls als vergleichbare Referenzen anerkenne, gebe es für den Mindestjahresumsatz nicht. Eine Aufweitung auf ähnliche Leistungen, wie bei den Referenzen für Störungsbeseitigung (Liefern und Aufstellen von Verkehrszeichen, Absicherung von Gefahrenstellen, Baum- und Gehölzarbeiten, Reinigung von Verkehrsflächen) habe der Antragsgegner beim Mindestjahresumsatz gerade nicht zugelassen. Insoweit habe von der Vergabestelle und auch von der Vergabekammer nur der Mindestjahresumsatz aus Leistungen der Störungsbeseitigung im engen Sinn bewertet werden dürfen.
Der Beigeladene erfülle nicht die geforderte wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit und sei zwingend auszuschließen.
Der Antragsgegner beantragt zur Anschlussbeschwerde der Antragstellerin:
1. Die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Anschlussbeschwerde der Antragstellerin aufzuerlegen.
Der Antragsgegner trägt zur Anschlussbeschwerde der Antragstellerin vor:
Die Anschlussbeschwerde sei mangels formeller Beschwer unzulässig. Die Vergabekammer habe über den Nachprüfungsantrag im Sinne der Antragstellerin entschieden.
Der Beigeladene habe den geforderten Mindestjahresumsatz im Bereich Störungsbeseitigung wirksam nachgewiesen. Mit Beschluss vom 21.12.2022, Verg 3/22, habe das OLG Jena bestätigt, dass die Angaben des Beigeladenen aus der Eigenerklärung zur Eignung (EzE) durch eine entsprechende Bescheinigung des Steuerberaters belegt worden seien. Die geforderten Mindestjahresumsätze seien somit, wie durch den Beigeladenen angegeben, nachgewiesen.
Der Beigeladene beantragt zur Anschlussbeschwerde der Antragstellerin:
Die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Anschlussbeschwerde trägt die Antragstellerin.
Der Beigeladene trägt zur Anschlussbeschwerde der Antragstellerin vor:
Die Anschlussbeschwerde sei unzulässig. Es fehle eine formelle Beschwer der Antragstellerin, denn die Vergabekammer sei ihrem Antrag gefolgt. Auf die Begründung der Vergabekammerentscheidung komme es dabei nicht an. Auch eine materielle Beschwer liege nicht vor. Der Auftraggeber werde nach Ziffer 2 des angefochtenen Beschlusses bei fortbestehender Beschaffungsabsicht verpflichtet, das Vergabeverfahren in den Stand der Prüfung und Wertung zurückzuversetzen und das Vergabeverfahren von diesem Zeitpunkt an unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen. Wie der Antragsgegner diesen Beschluss umsetze, sei seine Angelegenheit. Aufgrund der Vertragsfreiheit könne und dürfe der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich nicht dazu gezwungen werden, einen Auftrag an einen geeigneten Bieter zu erteilen.
II.
Die gemäß § 171 Abs. 1 Satz 1 GWB statthaften und auch im Übrigen in zulässiger Weise eingelegten Beschwerden des Antragsgegners und des Beigeladenen sind begründet. Die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin ist unzulässig.
1. Die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin ist unzulässig.
Es ist anerkannt, dass die in §§ 171 ff. GWB nicht explizit vorgesehene Anschlussbeschwerde den Beteiligten des Vergabenachprüfungsverfahrens grundsätzlich zur Verfügung steht (MüKoEuWettbR/Gröning, 4. Aufl. 2022, GWB § 171 Rn. 14; Ziekow/Völlink/Dicks/Willner, 5. Aufl. 2024, GWB § 171 Rn. 8 f.; BGH, Beschluss vom 4. April 2017 - X ZB 3/17 -, Rn. 18;OLG Celle, Beschluss vom 7. Juli 2022 - 13 Verg 4/22). Für die Zulässigkeit der Anschlussbeschwerde sind die Vorschriften der ZPO über die Anschlussberufung entsprechend heranzuziehen (Ziekow/Völlink/Dicks/Willner, 5. Aufl. 2024, GWB § 171 Rn. 9, beck-online; BGH, Beschluss vom 4. April 2017 - X ZB 3/17 -, Rn. 18; OLG Frankfurt, Beschluss vom 12. April 2022 - 11 Verg 11/21; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. April 2019 - VII-Verg 36/18).
Die Anschlussbeschwerde muss analog § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO bis zum Ablauf der Beschwerdeerwiderungsfrist erhoben werden (BGH, Beschluss vom 4. April 2017 - X ZB 3/17 -, Rn. 18; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 21. Dezember 2018 - 54 Verg 1/18 m.w.N.), was vorliegend geschehen ist. Sie kann auch bedingt erhoben werden für den Fall, dass dem in erster Linie gestellten Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels nicht entsprochen wird (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 9. August 2004 - Verg 015/04).
Die Anschlussbeschwerde verliert ihre Wirkung, wenn die Beschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird (§ 524 Abs. 4 ZPO; Ziekow/Völlink/Dicks/Willner, 5. Aufl. 2024, GWB § 171 Rn. 9, beck-online), nicht aber, wenn - wie vorliegend - über die Beschwerde in der Sache entschieden wird.
Die Anschlussbeschwerde bedarf zwar keiner eigenen Beschwer (Ziekow/Völlink/Dicks/Willner, 5. Aufl. 2024, GWB § 171 Rn. 9, beck-online). Jedoch muss eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung zugunsten des Anschlussbeschwerdeführers möglich sein (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 21. Dezember 2018 - 54 Verg 1/18). Es handelt sich um einen "Gegenangriff" innerhalb des vom Rechtsmittelführer angestrengten Rechtsmittelverfahrens. Ihre Zulässigkeit setzt somit voraus, dass sie sich mit einem gegenläufigen Ziel gegen den Rechtsmittelführer richtet, d.h. mit der Anschließung muss ein über die Zurückweisung des Rechtsmittels hinausgehender Erfolg gegen den Rechtsmittelführer angestrebt werden (OLG Koblenz, Beschluss vom 16. Januar 2017 - Verg 5/16). Im Rahmen der Anschlussbeschwerde bedarf es daher eines Antrags, der materiell über die bloße Zurückweisung der sofortigen Beschwerde selbst hinausgeht (BeckOK VergabeR/Michaels, 34. Ed. 1.2.2023, GWB § 171 Rn. 41, beck-online). Das Anschlussrechtsmittel ist deshalb unzulässig, wenn man mit ihr in Wahrheit nur ein bereits mit der Erstentscheidung zuerkanntes Begehren verfolgt, etwa, um das bereits zuerkannte Begehren auch aus einem anderen in der Erstentscheidung verneinten Grund zu erreichen (zur Anschlussberufung: Anders/Gehle/Göertz, 83. Aufl. 2025, ZPO § 524 Rn. 21, beck-online). Nicht zulässig ist die Einlegung eines Anschlussrechtsmittels deswegen lediglich zwecks Änderung der Gründe der angefochtenen Entscheidung (vgl. zur Anschlussberufung: Zöller - Heßler, ZPO; 35. A., § 524 ZPO, Rn. 30).
Hier erschöpft sich die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin materiell in der Verteidigung der angefochtenen Entscheidung mit der ergänzenden Begründung, der Beigeladene habe entgegen der Auffassung der Vergabekammer den erforderlichen Nachweis des Mindestjahresumsatzes nicht erbracht. Die Anschlussbeschwerde richtet sich damit allein gegen einen Begründungsstrang der Entscheidung der Vergabekammer, nicht aber gegen deren Ergebnis.
Die Anschlussbeschwerde ist auch nicht erforderlich, um zu verhindern, dass eine Entscheidung in der Sache lediglich unter Berücksichtigung der von den Beschwerdeführern angegriffenen Erwägungen getroffen wird. Gemäß § 175 Abs. 2 iVm §§ 75 Abs. 1, 76 Abs. 1 GWB erforscht das Beschwerdegericht den Sachverhalt von Amts wegen und entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Diese Verpflichtung reicht so weit, wie das Vorbringen der Beteiligten oder der sonstige Tatsachenstoff bei verständiger Würdigung dazu einen hinreichenden Anlass bietet. Demgemäß hat das Beschwerdegericht den Sachverhalt aufgrund eigener Ermittlungen (nur) insoweit aufzuklären, als der Vortrag der Beteiligten reicht oder sich entscheidungserhebliche Tatsachen aufdrängen. Hingegen zwingt der Untersuchungsgrundsatz nicht dazu, allen denkbaren Möglichkeiten von Amts wegen nachzugehen. Dem Beschwerdegericht obliegt eine Aufklärungs- und Ermittlungspflicht (nur) insoweit, als das Vorbringen der Beteiligten oder der Sachverhalt als solcher bei sorgfältiger Überlegung der Gestaltungsmöglichkeiten dazu Veranlassung gibt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2019 - VII-Verg 42/18). In diesem Rahmen hat das Beschwerdegericht auch in erster Instanz erfolglos geltend gemachte Vergaberechtsverstöße zu berücksichtigen, soweit dies für die materiell zutreffende Entscheidung in der Sache erforderlich ist, ohne dass es einer erneuten förmlichen Geltendmachung bedarf. Der Beschwerdegegner ist im Umfang seiner Verteidigung, nicht auf diejenigen Vergaberechtsverstöße beschränkt, die der Beschwerdeführer zum Gegenstand seiner Beschwerdebegründung macht (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Juli 2001 - Verg 16/01; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 28. Dezember 1999 - Verg 7/99).
2. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig. Die Antragstellerin ist als Mitbewerberin ohne Weiteres antragsbefugt i.S.v. § 160 Abs. 2 GWB.
Sie ist mit ihrem Vorbringen auch nicht gemäß § 160 Abs. 3 GWB präkludiert, soweit Aufklärungs- und Dokumentationsmängel geltend gemacht werden. Von diesen hat sie erst während des Nachprüfungsverfahrens im Zuge der Akteneinsicht Kenntnis erhalten. Einer Rüge bedarf es insoweit nicht (BGH, Beschluss v. 26. September 2006 - X ZB 14/06, NZBau 2006, 800, Rn. 37). Alle übrigen Beanstandungen waren Gegenstand ihres umfangreichen Rügeschreibens.
Gegen die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags spricht auch nicht eine von dem Beigeladenen geltend gemachte Rechtsmissbräuchlichkeit. Eine solche wird in § 180 GWB als Grund für einen Schadensersatzanspruch normiert und wäre insbesondere dann gegeben, wenn der Nachprüfungsantrag ausschließlich zu dem Zweck erhoben worden wäre, die Auftragserteilung zu verhindern oder dem Beigeladenen zu schaden. Wer aber "sich selbst realistische Chancen auf den Auftrag ausrechnen kann und selbst um diesen kämpft, dem kann schwerlich Behinderungs- oder Schädigungsabsicht unterstellt bzw. nachgewiesen werden" (MüKoEuWettbR/Gröning, 4. Aufl. 2022, GWB § 180 Rn. 18). Vorliegend besteht zwischen der Antragstellerin und dem Beigeladenen ein intensiver Wettbewerb, in dem Auseinandersetzungen mit "harten Bandagen" ausgetragen werden. Es ist nicht Aufgabe des Senats, die Grenzen wettbewerbsadäquaten Verhaltens allgemein zu bestimmen. Jedenfalls für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags kommt es im Hinblick auf das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis (vgl. Hertwig, VergabeR/Hertwig, 7. Aufl. 2021, Rn. 384) allein darauf an, dass der Wille der Antragstellerin erkennbar ist, anstelle des Beigeladenen mit der ausgeschriebenen Leistung beauftragt zu werden, und das Nachprüfungsverfahren diesem Ziel dient. Dies ist angesichts des Vortrags ganz offensichtlich der Fall. Für die Berücksichtigung weitergehender Motive bietet das geltende Recht keinen Ansatzpunkt.
Soweit der Beigeladene das Vorliegen der Ausschlussgründe gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3, 8, 9 GWB in Bezug auf die Antragstellerin geltend macht, steht dies der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags ebenfalls nicht entgegen. Es gilt grundsätzlich das Vorstehende entsprechend. Überdies handelt es sich nicht um zwingende, sondern um fakultative Ausschlussgründe, über deren Berücksichtigung der Antragsgegner (MüKoEuWettbR/Pauka/Krüger, 4. Aufl. 2022, GWB § 124 Rn. 46, 48; Ziekow/Völlink/Stolz, 5. Aufl. 2024, GWB § 124 Rn. 2), nicht der Senat zu entscheiden hat. Der Antragsgegner hat nicht zu erkennen gegeben, dass er einen Ausschluss des Antragstellers aus den von dem Beigeladenen vorgetragenen Gründen in Betracht zieht. Für eine Ermessensfehlerhaftigkeit dieser Entscheidung sieht der Senat keinen Anhaltspunkt.
3. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist unbegründet, weswegen die angefochtene Entscheidung der Vergabekammer aufzuheben und der Nachprüfungsantrag zurückzuweisen ist.
a) Der Beigeladene hat seine Eignung nachgewiesen.
aa) Der Beigeladene hat die geforderten Referenzen Winterdienst und Störungsbeseitigung erbracht.
Gemäß der Bekanntmachung waren drei "vergleichbare Leistungen" im Winterdienst, ergänzt um den Hinweis: "Achtung: Referenznachweise für die Erbringung von Winterdienstleistungen auf dem klassifizierten Straßennetz/Bundes-, Landes- oder Kreisstraßen", und eine "vergleichbare Leistung" in der Störungsbeseitigung im Zeitraum 2019-2021 nachzuweisen. Weitere Anforderungen, insbesondere in Bezug auf die Länge und Lage der Strecken hat der Antragsgegner nicht formuliert. Dies geschah nach seiner mehrfachen und unwidersprochen gebliebenen Darlegung im Verlauf der Nachprüfung bewusst, um den Wettbewerb offen zu halten.
(1) Der Beigeladene hat vier Referenzen für den Winterdienst erbracht, wovon sich zwei auf Stadtgebiete/Ortsteile einschließlich dort befindlicher Bundes-, Landes- und Kreisstraßen bezogen, davon ca. 18 km freie Strecke. Deren Bewertung als vergleichbare Leistungen durch den Antragsgegner ist nicht zu beanstanden.
Zweck von Referenzen i.S.v. § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV ist es, die tatsächliche Fähigkeit des Bieters zur Erbringung der ausgeschriebenen Leistung nachzuweisen. Das OLG Celle (Urteil vom 23.05.2019 - 13 U 72/17) hat diesbezüglich zutreffend ausgeführt:
"Bei dem Begriff "vergleichbare Leistung" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der anhand des Wortlauts der Vergabeunterlagen und von Sinn und Zweck der geforderten Angaben unter Berücksichtigung des Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgrundsatzes auszulegen ist. Dabei bedeutet die Formulierung "vergleichbar" nicht "gleich" oder gar "identisch", sondern, dass die Leistungen im technischen oder organisatorischen Bereich einen gleich hohen oder höheren Schwierigkeitsgrad hatten (vgl. OLG Frankfurt, a.a.O., Rn. 58; OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. Oktober 2006 - 11 Verg 8/06; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 28. Juni 2016 - 54 Verg 2/16; OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 39; VK Bund, Beschluss vom 14. Dezember 2011 - VK 1- 153/11). Die Referenzen für die Ausführung vergleichbarer Leistungen sind Teil einer Prognosegrundlage für die (spätere) Phase der Leistungserbringung.
Deshalb geht es nicht um einen "1:1" Vergleich bereits abgearbeiteter Aufträge mit dem zu vergebenden Auftrag, sondern allein darum, ob im Hinblick auf bereits durchgeführte Aufträge die Prognose gerechtfertigt ist, dass die fachliche und technische Leistungsfähigkeit auch im Hinblick auf den zu vergebenden Auftrag gegeben ist. Diese Auslegung des Begriffs der "Vergleichbarkeit" wird auch regelmäßig dem Sinn des Vergabeverfahrens und dem Wettbewerb gerecht, da anderenfalls alle Bewerber, die die ausgeschriebene Leistung bisher nicht oder nicht so in ihrem Programm hatten, von vornherein ausgeschlossen wären (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. Oktober 2006 - 11 Verg 8/06; OLG München, a.a.O., Rn. 49). Erforderlich, aber auch ausreichend ist deshalb die Vorlage solcher Referenzleistungen, die der ausgeschriebenen Leistung soweit ähneln, dass sie einen tragfähigen Rückschluss auf die Fachkunde und Leistungsfähigkeit des Bieters auch für die ausgeschriebene Leistung ermöglichen (vgl. OLG München, a.a.O., Rn. 47; OLG Frankfurt, Beschluss vom 8. April 2014 - 11 Verg 1/14, sowie Beschluss vom 24. Oktober 2006 - 11 Verg 8/06; OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 39; Schleswig-Holsteinisches OLG, a.a.O., Rn. 111, VK Bund, a.a.O.)."
Anzulegen ist mithin (nur) ein Ähnlichkeitsmaßstab (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7.2.2024 - Verg 23/23; MüKoEuWettbR/Hölzl, 4. Aufl. 2022, VgV § 46 Rn. 16 Beck VergabeR/Mager, 3. Aufl. 2019, VgV § 46 Rn. 15). Es kommt - nicht zuletzt vor dem Hintergrund des vergaberechtlichen Wettbewerbsgrundsatzes, § 97 Abs. 1 GWB - gerade nicht auf eine völlige oder auch nur weitgehende Übereinstimmung früherer Leistungen mit der ausgeschriebenen Leistung an, sondern allein auf die kategoriale Vergleichbarkeit. Erforderlich ist allein, dass die "Referenzleistung der ausgeschriebenen Leistung so weit ähnelt, dass sie einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung eröffnet" (OLG München, Beschluss vom 27.07.2018 - Verg 02/18). Zu diesem Zweck muss "jedenfalls ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit zwischen der referenzierten Leistung und der ausgeschriebenen Leistung besteh[en]" (OLG Frankfurt, Beschl. vom 23. Dez. 2021 - 11 Verg 6/21, ZfBR 2022, 295, 299).
Bei der Anwendung dieses Maßstabs "kommt der Vergabestelle, die regelmäßig über spezifisches Fachwissen und fachliche Erfahrung verfügt, ein nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu" (OLG München, Beschluss vom 27.07.2018 - Verg 02/18). Diesen hat das OLG Celle zutreffend wie folgt gekennzeichnet:
"Zwar steht der Vergabestelle bei der Prüfung der Eignung eines Bieters grundsätzlich ein nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Das gilt namentlich für die Überprüfung von Referenzen und die Beurteilung von deren Vergleichbarkeit (vgl. OLG München, Beschluss vom 12. November 2012, Verg 23/12; OLG Frankfurt, Beschluss vom 8. April 2014 - 11 Verg 1/14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. November 2008 - VIIVerg 54/08). Die Überprüfung der Vergleichbarkeit ist deshalb darauf beschränkt, ob der der Eignungsprüfung zugrunde gelegte Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt und bei der Eignungsprüfung berücksichtigt worden ist sowie allgemeine Bewertungsmaßstäbe eingehalten worden sind und sachwidrige Erwägungen dabei keine Rolle gespielt haben (vgl. OLG Frankfurt, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 51; Summa in: jurisPK -Vergaberecht, 4. Aufl., § 16 VOB/A 2012 Rn. 311)."
Diesen Maßstab zu Grunde gelegt, ist die Wertung des Antragsgegners nicht zu beanstanden. Es handelt sich in allen Fällen unstreitig um Winterdienstleistungen von wirtschaftlich erheblichem Umfang. Soweit zwischen der Antragstellerin und dem Beigeladenen streitig ist, ob die Winterdienstleistungen inner- oder außerorts schwieriger zu erbringen sind, kommt es darauf nicht an. Indem der Antragsgegner bewusst darauf verzichtet hat, Anforderungen an deren Erbringung aufzustellen, die über die Straßenklassifizierung - mit der spezifische Qualitätserfordernisse einhergehen - hinausgehen, hat er den Maßstab der Vergleichbarkeit in einer nicht rechtswidrigen Weise bestimmt und in der Folge konsequent angewendet. Denn beim Fehlen von - ggf. weiteren - Vorgaben, welche Art von Referenzaufträgen der Auftraggeber "als geeignet ansieht, liegt eine "geeignete" Referenz bereits dann vor, wenn der Leistungsgegenstand der Art nach in der Vergangenheit bereits erbracht wurde" (Ziekow/Völlink/Goldbrunner, 5. Aufl. 2024, VgV § 46 Rn. 14). Für sachwidrige Erwägungen und damit für eine willkürliche Handhabung bestehen keine Anhaltspunkte. Vielmehr ist sowohl die Festlegung der Anforderungen an Referenzen als auch deren Bewertung in einer besonders wettbewerbsorientierten Weise erfolgt (zur Gebotenheit siehe auch MüKoEuWettbR/Hölzl, 4. Aufl. 2022, VgV § 46 Rn. 16 m.w.N.). Den geforderten Nachweis der Befähigung zur Erfüllung der Qualitätsanforderungen im Winterdienst auf Bundes-, Landes- und Kreisstraßen konnte der Beigeladene mit den vorgelegten Referenzen daher erbringen.
Da der Beigeladene in Bezug auf den Winterdienst vier statt der geforderten drei Referenzen vorgelegt hat, kommt es nicht darauf an, ob die Referenz aus Meiningen im Hinblick darauf berücksichtigt werden kann, dass er dort als Teil einer ARGE tätig geworden ist. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass auch dies durch die Fassung der Bekanntmachung nicht ausgeschlossen wurde (zur grundsätzlichen Zulässigkeit siehe auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.9.2012 - VII-Verg 108/11).
Zutreffend hat die Vergabekammer es ungeachtet der Formulierung des § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV ("früher ausgeführte Liefer- und Dienstleistungsaufträge") nicht beanstandet, dass der Antragsgegner eine Referenz berücksichtigt hat, die auf einem zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe noch nicht vollständig erbrachten Auftrag beruht hat. Gegenteiliges war auf Grundlage der Bekanntmachung in Übereinstimmung mit der möglichst weitgehenden Wettbewerbsöffnung nicht gefordert und auch normativ nicht zwingend geboten. Vielmehr spricht der Wettbewerbsgrundsatz, § 97 Abs. 1 S. 1 GWB, tendenziell für ein anderweitiges Verständnis (vgl. Tomerius, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Auflage 2019, § 46 VgV Rn. 7). Das Ziel des Nachweises der tatsächlichen Befähigung zur Erfüllung des ausgeschriebenen Auftrags setzt auch nicht voraus, dass die betreffenden Referenzen sich auf abgeschlossene Aufträge beziehen (Voppel/Osenbrück/Bubert VgV/Voppel, 4. Aufl. 2018, VgV § 46 Rn. 31; a.A. Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal/Ackermann/Jauch, 3. Aufl. 2022, VgV § 46 Rn. 22; zur entgegengesetzten Problematik eines von der Vergabestelle geforderten "erfolgreichen Abschlusses" OLG Schleswig, Beschluss vom 28.6.2016 - 54 Verg 2/16, NZBau 2016, 593). Bei mehrjährigen Dienstleistungsaufträgen, deren "passgenauer" Ablauf letztlich zufällig ist, kann der gewünschte Nachweis auch dadurch erbracht werden, dass die Leistungserbringung bereits seit längerer Zeit erfolgt (vgl. MüKoEuWettbR/Hölzl, 4. Aufl. 2022, VgV § 46 Rn. 17). Damit scheiden soeben begonnene Aufträge als Referenz aus. Solche stehen vorliegend jedoch nicht in Frage.
(2) Nicht zu beanstanden ist des Weiteren die Berücksichtigung der Referenz zur Störungsbeseitigung.
Dass der betreffende Auftrag auf einer festgestellt vergaberechtswidrigen Interimsvergabe beruht, ist im Hinblick auf die Zielrichtung als Eignungsnachweis unerheblich. Andernfalls würde dem Bieter ein ihm nicht zuzurechnender Vergaberechtsverstoß eines öffentlichen Auftraggebers angelastet. Es geht jedoch nicht um den Nachweis umfassender Rechtmäßigkeit früherer Beauftragungen, sondern um denjenigen der Befähigung zur Leistungserbringung durch den Bieter. Diese wiederum ist von der Rechtmäßigkeit einer Beauftragung unabhängig.
Die kurze Dauer der Referenz in Bezug auf die Störungsbeseitigung stellt die Bewertung als vergleichbar durch den Antragsgegner unter Berücksichtigung der oben dargestellten Maßstäbe nicht in Frage. Der Antragsgegner hat bewusst auf potenziell die Zahl der Teilnehmer am Vergabewettbewerb beschränkende Anforderungen verzichtet und damit seinen Beurteilungsspielraum dahingehend genutzt, die Vergleichbarkeit im weitestmöglichen Maße zu bestimmen.
bb) Der Beigeladene hat auch den geforderten Nachweis über Mindestjahresumsätze erbracht.
Die Vergabekammer hat in zutreffender Auslegung der Formulierung in der Bekanntmachung ("Angaben zu bestimmtem Mindestjahresumsatz, einschließlich eines bestimmten Mindestjahresumsatzes in dem Tätigkeitsbereich des Auftrags") ungeachtet des Raums für drei Jahreseintragungen in den Vergabeunterlagen entschieden, dass nur ein derartiger Nachweis zu erbringen war, nicht aber - wie von der Antragstellerin angenommen - drei Nachweise.
Der Beigeladene hat die geforderte Erklärung eines Steuerberaters über einen Mindestjahresumsatz (auch) im Bereich Störungsbeseitigung beigebracht. Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 21.12.2022 - Verg 3/22 - hierzu ausgeführt: "Der Senat bestätigt aufgrund seiner Aktenkenntnis, dass die Angaben des Beigeladenen seitens des Steuerberaters bestätigt wurden." In Anbetracht dessen hatte der Antragsgegner ungeachtet der im Verlauf des Nachprüfungsverfahrens von der Antragstellerin geäußerten Zweifel an der Belastbarkeit der Angaben keine Veranlassung, an der Nachweisführung zu zweifeln.
Erneut ist es schließlich unerheblich, dass sich der Nachweis auf einen Auftrag bezieht, der vergaberechtswidrig erteilt wurde. Insofern gilt das Vorstehende in gleicher Weise.
cc) Es fehlt dem Beigeladenen auch nicht mangels beizubringender Verfügbarkeitsnachweise an der Eignung.
(1) Dies gilt zunächst für die Verfügbarkeit von Mindeststreusalz- und -solemengen. Der Beigeladene hat die hierfür erforderliche Zusagen seines Lieferanten beigebracht.
Des Weiteren hat er auch den Nachweis des Zugriffs auf die erforderlichen Lagerkapazitäten durch den Nachweis der Anmietbarkeit einer Grundstücksfläche beigebracht, auf der sich auch überdachte Lagerhallen mit der für den Auftrag erforderlichen Aufnahmekapazität befinden. Mehr ist im Zeitpunkt der Angebotsabgabe nicht geboten. Soweit das Vorbringen der Antragstellerin hinsichtlich der Vermietungssituation sowie der baulichen Gegebenheiten vor Ort darauf abzielt, dies in Zweifel zu ziehen, berücksichtigt sie nicht die Eigentumsverhältnisse der unter einer Adresse zusammengefassten Grundstücke. Es ist unstreitig, dass unter der benannten Adresse insgesamt vier Grundstücke zusammengefasst sind. Die Angaben (nur) einer Grundstückseigentümerin, die die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren in Bezug genommen hat, sind daher ohne Aussagekraft. Darüber hinaus verkennt die Antragstellerin, dass eine Vorbereitung des anzumietenden Grundstücks auf die Nutzung als Salz- und Solelager zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe durch den Beigeladenen noch nicht erfolgt sein muss.
Das von dem Beigeladenen eingereichte, allerdings abgelaufene Prüfzeugnis der angegebenen Solebehälter trifft keine Aussage über deren Verwendbarkeit und steht der Eignung des Beigeladenen ebenfalls nicht entgegen. Der Antragsgegner konnte dieses schon deshalb im Rahmen der Eignungsprüfung nicht berücksichtigen, weil er ein entsprechendes Zeugnis nicht angefordert hat. Auch gestattet das unaufgefordert eingereichte Zeugnis nicht den Schluss darauf, dass der Solebehälter des Beigeladenen zum Zeitpunkt des Beginns der Auftragsausführung nicht verwendbar wäre. Vielmehr obliegt es dem Beigeladenen in eigener Verantwortung, nicht nur dessen tatsächliche Verfügbarkeit, sondern auch seine rechtliche Nutzbarkeit sicherzustellen.
(2) Eine fehlende Eignung des Beigeladenen folgt auch nicht daraus, dass er bei der Anzeige an die untere Naturschutzbehörde in dem betreffenden Formular "Umschlaganlage" statt - wie richtigerweise geboten - "Lageranlage" angekreuzt hat. Zwar ist diese Angabe unzutreffend. Dies ist jedoch aufgrund der textlichen Darstellung, die klar auf eine Lageranlage verweist, für die Fachbehörde ohne Weiteres ersichtlich. Der Informationszweck der Anzeige wurde somit uneingeschränkt erreicht. Vorliegend ausgestaltet als Eignungserfordernis zielt die Notwendigkeit der Beibringung der Anzeige nicht darauf ab, die Fähigkeit der Bieter zur zutreffenden Ausfüllung von Formularen aller Art zu überprüfen, sondern ausschließlich auf einen frühzeitigen Hinweis der Fachbehörde auf mögliche Entwicklungen in ihrem Aufgabenbereich, der als unternehmensbezogenes Kriterium von den Bietern mit ihrem Angebot einzureichen war. Entgegen der Auffassung der Vergabekammer hätte der Antragsgegner daher eine Korrektur nach § 56 Abs. 2 S. 1 VgV veranlassen können. Es stand jedoch in seinem Ermessen, dies zu unterlassen, da der Zweck der Anzeige auch mit dem falsch angekreuzten Anzeigeformular erreicht wurde.
(3) Die Eignung des Beigeladenen entfällt auch nicht, weil unstreitig das Winterdienstfahrzeug mit dem amtlichen Kennz ... über kein NOVASIB-Zertifikat verfügt. Die damit zu bestätigende technische Ausstattung war nicht erforderlich, da nach der Leistungsbeschreibung bei dem nachzuweisenden zusätzlichen Winterdienstfahrzeug zwar sämtliche technischen Anforderungen zu erfüllen waren, allerdings mit einer explizit benannten Ausnahme für die elektronische Leistungserfassung. Gerade deren Vorliegen wird jedoch durch das NOVASIB-Zertifikat bestätigt.
Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass dem betreffenden Fahrzeug im Angebot des Beigeladenen die Funktion eines zusätzlichen Winterdienstfahrzeugs zukommen sollte. Das insoweit fehlende NOVASIB-Zertifikat war daher auch nicht beizubringen.
b) Aufklärungsmängel in Bezug auf das Angebot des Beigeladenen sind dem Antragsgegner nicht vorzuwerfen.
aa) Dies gilt zunächst im Hinblick auf den Fortbestand der Leistungsfähigkeit des Beigeladenen. Dessen mit der Angebotsabgabe abgegebene Erklärung der Verfügbarkeit von Personal und Fahrzeugen sowie des Solelagers liegt mehr als zwei Jahre zurück, so dass diesbezügliche Änderungen nicht ausgeschlossen sind. Dies gilt auch im Hinblick auf zwischenzeitlich erlangte andere Aufträge. Jedoch sind allein solche nicht geeignet, die Leistungsfähigkeit eines Bieters in Frage zu stellen, handelt es sich doch um normale Vorgänge des Wirtschaftslebens. In Anbetracht der wiederholt im Zusammenhang mit der Verlängerung der Bindungswirkung des Angebots von dem Beigeladenen implizit erklärten fortbestehenden Leistungswilligkeit und Leistungsfähigkeit bestand mangels sonstiger Anhaltspunkte für den Antragsgegner keine Veranlassung für weitergehende Aufklärungsmaßnahmen.
bb) Soweit die Vergabekammer Bedenken hinsichtlich der Erklärung des Beigeladenen gegenüber dem Antragsgegner hinsichtlich der Gesamtlagerkapazität für Salz und Sole hat, teilt der Senat diese nicht. Der Beigeladene hat zweifelsfrei erklärt, dass ihm die geforderten Mindestlagerkapazitäten zur Verfügung stehen. Zu darüber hinausgehenden Angaben ist er mit Blick auf den zu vergebenden Auftrag nicht verpflichtet. Überdies können von Bietern in einer Situation wie der vorliegenden, in der die Anmietung des Grundstücks und der darauf befindlichen, als Lager zu nutzenden Gebäude noch nicht erfolgt ist, keine Angaben verlangt werden, von denen er selbst mangels Besitzes nicht notwendig Kenntnis haben muss. Für eine Kenntnisverschaffungspflicht fehlt es - auch mangels Auftragsbezugs - an einer rechtlichen Grundlage.
cc) Auch die unterbliebene Einbeziehung des Beigeladenen in die Aufklärung der Preisangemessenheit durch den Antragsgegner stellt keinen Vergaberechtsverstoß dar. Unerheblich sind dabei die zwischen der Antragstellerin und dem Beigeladenen umstrittenen Gründe für den deutlich günstigeren Angebotspreis des Beigeladenen.
Grundsätzlich hat im Falle eines ungewöhnlich niedrigen Angebots, das vorliegend aufgrund der Preisdifferenz von mehr als 10% gegeben war, der öffentliche Auftraggeber nach § 60 Abs. 1 VgV von dem betreffenden Bieter Aufklärung zu verlangen; hierauf hat ein Wettbewerber gemäß § 97 Abs. 6 GWB Anspruch "insofern, als er, dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs vergleichbar, verlangen kann, dass sein Angebot nicht ohne den Versuch der vorherigen Aufklärung der aufgekommenen Fragen und Ausräumung entstandener Bedenken aus der Wertung genommen wird" (BGH, Beschluss vom 31.1.2017 - X ZB 10/16, NZBau 2017, 230 Rn. 20, 22). Diese Aufklärung ist vorliegend unterblieben. Im Hinblick auf die auch dem Schutz des betreffenden Bieters dienende Zwecksetzung (EuGH, Urteil vom 29.3.2012 − C-599/10, NZBau 2012, 376 Rn. 27 ff. - NDS) ist dessen Beteiligung jedoch verzichtbar, wenn der öffentliche Auftraggeber anderweitig Klarheit über die Seriosität des Angebotspreises erlangen kann. Denn "[d]as Gebot einer Aufklärung durch das betroffene Bieterunternehmen besteht ... nicht um seiner selbst willen. Sofern der öffentliche Auftraggeber aufgrund anderweitiger gesicherter Erkenntnisse zu der beanstandungsfreien Feststellung gelangt, das Angebot eines Bieters sei nicht ungewöhnlich oder unangemessen niedrig, darf er auf eine Aufklärung durch den betroffenen Bieter verzichten ... Eine Aufklärung nach § 60 Abs. 1 S. 2 VgV hat nicht lediglich aus formalen Gründen zu erfolgen" (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.10.2022 - VII-Verg 18/22, NZBau 2024, 425, Rn. 68).
So liegt der Fall hier. Der Antragsgegner hat auf der Grundlage der ihm bereits vorliegenden Angaben die Preiskalkulation des Beigeladenen umfassend nachvollziehen können und ist auf dieser Grundlage nachvollziehbar zu der Einschätzung gekommen, dass es weder weiterer Erläuterung bedürfe noch Risiken für eine ordnungsgemäße Leistungserbringung bestünden. Die Zwecke des § 60 Abs. 1 VgV wurden mithin umfassend auch ohne Einbeziehung des Beigeladenen erreicht, so dass diese rechtlich nicht erforderlich war.
dd) Die Antragstellerin wird schließlich nicht durch Dokumentationsmängel in ihren Rechten nach § 97 Abs. 1 S. 1 GWB (ex post-Transparenz) verletzt. Wenngleich die Verwendung von Formularen zum Ankreuzen per se zur Dokumentation von Entscheidungen im Vergabeverfahren nicht zu beanstanden ist, muss diese doch die jeweils maßgeblichen Gründe erkennen lassen. Daran fehlt es vorliegend bei isolierter Betrachtung der Dokumentation in Bezug auf die Vergleichbarkeit der als Referenz angegebenen Leistungen, die Verfügbarkeit des Lagers und die Angemessenheit des Preises. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass Dokumentationsmängel durch geeigneten Vortrag infolge einer Rüge oder im Nachprüfungsverfahren geheilt werden können (ausführlich m.w.N. Leinemann/Otting/Kirch/Homann/v. Ulmenstein, 1. Aufl. 2024, VgV § 8 Rn. 33 ff.). Der Antragsgegner hat jedenfalls vor der Vergabekammer wie auch vor dem erkennenden Senat schriftsätzlich und mündlich ausführlich und nachvollziehbar die Gründe für seine Entscheidungen dargelegt. Der Senat hat keinen Anlass, an der Richtigkeit der Darlegungen zu zweifeln, so dass die vormaligen Dokumentationsmängel geheilt sind.
4. Die Kostentragung durch die Antragstellerin entspricht der Billigkeit.
Da die Antragstellerin im vorliegenden Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer unterliegt, hat sie gemäß § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB die Kosten des Verfahrens und gemäß § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erforderlichen Kosten des Antragsgegners zu tragen. Darüber hinaus entspricht es der Billigkeit, ihr gemäß § 182 Abs. 4 Satz 2 GWB die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erforderlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, weil sich die Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsantrag ausdrücklich, bewusst und gewollt in einen Interessengegensatz zum Beigeladenen gestellt und der Beigeladene sich aktiv und mit eigenen Anträgen am Verfahren vor der Vergabekammer beteiligt hat (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Mai 2004 - VII-Verg 12/03; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 23. Mai 2002 - Verg 7/02).
Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten durch den Beigeladenen im Verfahren vor der Vergabekammer war gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB iVm § 80 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 VwVfG für notwendig zu erklären, da der Beigeladene der Wahrnehmung seiner Interessen bei den für Vergabenachprüfungsverfahren üblichen gesteigerten rechtlichen Anforderungen nur durch die Bevollmächtigung eines Rechtskundigen gerecht werden konnte (Burgi/Dreher/Opitz/Krohn, 4. Aufl. 2022, GWB § 182 Rn. 63, beck-online; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 9. Januar 2009 - 1 Verg 1/08), da nichts dafür ersichtlich ist, dass der Beigeladene auch ohnedies zweifelsfrei selbst über die erforderlichen personellen Kapazitäten verfügt hat, um eine der Komplexität des Falles gerecht werdende Bearbeitung des Nachprüfungsverfahrens sicherzustellen (Willenbruch - Schneevogl, Vergaberecht, 5. A., § 182 GWB, Rn. 65).
Es entspricht der Billigkeit, der Antragstellerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten im Beschwerdeverfahren Verg 2/23 aufzuerlegen (§§ 175 Abs. 2 iVm 71 Satz 1 GWB), da sie im Beschwerdeverfahren unterlegen ist. Im Regelfall entspricht es der Billigkeit, dass ein obsiegender Beschwerdeführer die Erstattung seiner Kosten verlangen kann. Ein Erstattungsanspruch ist bei einem Erfolg der Beschwerde nur zu versagen, wenn der Fall ausnahmsweise Besonderheiten aufweist, die einen solchen Anspruch unter Abwägung aller Umstände unbillig erscheinen lassen. Der Verfahrensausgang erweist sich damit im Regelfall weiterhin als das entscheidende Kriterium. Eine andere Verteilung ist zwar möglich, setzt aber besondere Umstände voraus (Burgi/Dreher/Opitz/Krohn, 4. Aufl. 2022, GWB § 182 Rn. 84, beck-online), die hier nicht vorliegen. Dies umfasst die Kosten des Beigeladenen im Beschwerdeverfahren, weil sich der Beigeladene aktiv und mit eigenen Anträgen auch am Beschwerdeverfahren beteiligt hat (Burgi/Dreher/Opitz/Krohn, 4. Aufl. 2022, GWB § 182 Rn. 95, beck-online; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. August 2014 - VII-Verg 10/14). Es ist nicht erforderlich, dass für das Beschwerdeverfahren gesondert die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts festgestellt wird, da § 80 Abs. 2 VwVfG über § 182 Abs. 4 S. 2 GWB nur für das Verfahren vor der Vergabekammer gilt (Beckscher Vergaberechtskommentar - Willner, 4. Aufl. 2022, GWB § 175 Rn. 14).
5. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.
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OLG München
Beschluss
vom 06.06.2024
28 U 1136/24 Bau
1. Wer das Baugrundrisiko trägt, ist durch Auslegung des Vertrags zu ermitteln.
2. Verpflichtet sich der Auftragnehmer zur Herstellung einer Gründung, die statischen und konstruktiven Erfordernissen entspricht, so ist die Schaffung der konstruktiven Erfordernisse von ihm versprochen und auch als funktionaler Werkerfolg geschuldet.
3. Der Umstand, dass der Auftraggeber ein Baugrundgutachten stellt, führt jedenfalls dann nicht zu einer Risikoübernahme durch den Auftraggeber, wenn der Auftragnehmer eine von den Empfehlungen des Baugrundgutachtens abweichende Art der Gründung vorschlägt und im Einvernehmen mit dem Auftraggeber ausführt.
4. Stellt der Auftraggeber ein unzureichendes Bodengutachten zur Verfügung, so hat der Auftragnehmer darauf hinzuweisen, dass eine mangelfreie Leistung ohne ausreichende Bodenbegutachtung nicht sichergestellt ist.
5. Ein Mitverschulden des Auftraggebers scheidet aus, wenn der Auftragnehmer eine andere als im Bodengutachten vorgeschlagene Gründungsmaßnahme aufgrund eigenen Vorschlags durchführt und damit das Bodengutachten für den entstandenen Mangel nicht kausal wird.
6. Ein Teil-Grundurteil kann ergehen, wenn grundsätzlich alle Fragen, die zum Grund des Anspruchs gehören, erledigt sind und nach dem Sach- und Streitstand zumindest wahrscheinlich ist, dass der Anspruch in irgendeiner Höhe besteht.
OLG München, Beschluss vom 06.06.2024 - 28 U 1136/24 Bau
Tenor:
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 27.02.2024, Az. 31 O 583/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Gründe:
I. Sach- und Streitstand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Ersatz von Mängelbeseitigungskosten sowie Schadensersatz im Zusammenhang mit einer von der Beklagten durchgeführten Gründungsmaßnahme bei einem Bauvorhaben der Klägerin. Die Klägerin ließ in elektronischer Form Angebote zur Ausführung einer Gründung für ein Bauvorhaben in Deggendorf (mit 9 oberirdischen und 2 unterirdischen Geschossen sowie einer Tiefgarage) von SOB-Säulen (Schneckenortbetonpfähle) einholen, unter anderem bei der Beklagten. Dem Schreiben vom 23.11.2017 (Anlage K1) waren beigefügt ein geotechnischer Bericht der Nebenintervenientin vom 6.2.2013 (Anlage K2) sowie eine geotechnische Stellungnahme vom 22.03.2017 (Anlage K3). Der geotechnische Bericht (Anlage K 2) empfahl eine Flachgründung und wies auf eine zwingende Gründungssohlabnahme durch einen Bausachverständigen hin. In diesen Bodengrundgutachten äußerte sich die Nebenintervenientin nicht zur Frage einer Pfahlgründung. Auf die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Sachverständigen für Bautechnik nach Aushub der Grube wird im Bericht der Nebenintervenientin (Anlage K 3) hingewiesen.
Mit Email vom 30.11.2017 (Anlage B 8) wies die Beklagte auf die Möglichkeit einer alternativen Gründung hin (Ortbetonrammpfähle/Verdrängungspfähle = Pfahlgründung), die Klägerin forderte die Beklagte auf, ein Angebot hierzu abzugeben. Mit Schreiben vom 06.12.2017 (Anlage K4) übermittelte die Beklagte der Klägerin ein Angebot über eine Gründung auf diese Weise, das netto eine Auftragssumme von 306.232,46 Euro auswies, im übrigen übernahm die Beklagte in das Angebot die Daten der Angebotsaufforderung durch die Klägerin. Die VOB/B wurden einbezogen, vgl. S. 5 des Angebots der Beklagten (Anlage K 4). Ergänzende Untersuchungen wurden nicht angefordert.
Die Klägerin erteilte am 12.12.2017 den Auftrag, der mit Vertragsdokument vom 24.01.2018 (Anlage K5) unterschrieben wurde. Dem Vertrag zugrunde lag das Angebot der Beklagten vom 06.12.2017 (Anlage K 4), das Bieterprotokoll vom 12.12.2017 und eine ergänzende Mail vom 21.12.2017 (vgl. Anlage K 5). Ersteller des Angebotes war die Beklagte. Unter Ziffer 2, Grundlagen des Angebotes nahmen das Leistungsverzeichnis mit Ziffer 2.3 auf das Bodengutachten und die geotechnische Stellungnahme der Nebenintervenientin Bezug.
Ferner findet sich unter Ziffer 6 des Leistungsverzeichnisses die Klausel einheitliche Angebots und Vertragsbedingungen im deutschen Spezialtiefbau, die unter Ziff. A 4 lautet:
"4. Baugrund
(1) Sofern sich während der Vertragsdurchführung Abweichungen zu den im Vertrag enthaltenen Angaben betreffend Boden- und/oder Wasserverhältnissen herausstellen, trägt der Auftraggeber bei Einhaltung der Voraussetzungen der VOB/B die Folgen (wie zum Beispiel verlängerte Bauzeit und/oder zusätzliche Kosten des Auftragnehmers).
(2) Enthält die Ausschreibung keine oder keine eindeutigen Angaben zu dem Boden- und/oder Wasserverhältnissen, sind die vom Auftragnehmer in seinem Vertragsbestandteil gewordenen Angebot schriftlich sachgemäß festgelegten Annahmen zu den vorgenannten Verhältnissen maßgebend. Ergeben sich zu diesen Verhältnissen im Verlauf der Vertragsdurchführung Abweichungen, gilt Abs. 1 entsprechend."
Das Bieterprotokoll vom 12.12.2017 (vgl. Anlage K 5) mit der Überschrift "Protokollvergabeverhandlung" enthielt folgende Regelung zur Vertragsgrundlage:
"Vertragsgrundlage ist VOB/B und VOB/C:
Es besteht Einverständnis, dass trotz im LV/bzw. Bauvertrag erfolgter Ergänzungen/Abweichungen von Teilbereichen der VOB/B oder VOB/C die VOB/B sowie die VOB/C ihre Gültigkeit behalten und vereinbart sind".
Am 14.02.2018 unterbreitete die Beklagte der Klägerin ein Nachtragsangebot im Wesentlichen über die Ausführung von Ortbetonrammpfählen (Pfahlgründung) im Bereich des Baufeldes II (Tiefgarage, Anlage K 6), das ebenfalls beauftragt wurde.
Die Beklagte führte die Arbeiten aus. Es zeigten sich im Zeitraum vom 26.2.2018 bis zum 23.2.2018 hinsichtlich der Stabilität und Belastbarkeit Probleme bei den eingebrachten Pfählen, diese wiesen Risse auf und waren damit nicht tragfähig. Mit E-Mail vom 07.05.2018 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie die Pfähle mittels gesteuerter und dokumentierter Injektion nachbessern und ertüchtigen werde (Anlage K 9).
Mit Schreiben vom 17.05.2018 (Anlage K 86) meldete die Beklagte einen Mehraufwand nach § 2 Abs. 6 und Abs. 8 VOB/B an.
Mit Schreiben vom 28.06.2018 (Anlage K 11) stellte die Beklagte der Klägerin in einer 4. Abschlagsrechnung einen Betrag von 2.402.129,23 Euro in Rechnung. Darin bezifferte sie die bisher durchgeführten Nachbesserungsarbeiten unter Position 3. Nachträge mit 225.156,62 netto und unter der Position 4. Zusätzliche Leistung mit 2.195.453,59 netto.
Mit Schreiben des anwaltlichen Vertreters vom 06.07.2018 (Anlage K 12) lehnte die Klägerin die Bezahlung der Abschlagsrechnung ab und forderte die Beklagte auf, "alle bisher vorliegenden Untersuchungsergebnisse zu übermitteln (...) und einen technisch machbar und wirtschaftlichen sinnvollen Lösungsvorschlag zu erarbeiten, damit die Herstellerverpflichtung erfüllt wird."
Die Beklagte kündigte in der Folge mit Schreiben ihres anwaltlichen Vertreters vom 09.07.2018 (Anlage K 13) die Einstellung weiterer Arbeiten an, falls nicht wenigstens die Abschlagsrechnung aus dem Monat April bezahlt werde. Zugleich kündigte sie weitere Abschlagsrechnungen für noch auf laufende Kosten an und verwies für den Fall der Nichtzahlung auf das "Streitverfahren".
Mit Schreiben vom 19.07.2018 (Anlage K 21) forderte die Klägerin die Beklagte nochmals unter Fristsetzung bis 24.07.2018 unter gleichzeitiger Androhung der Kündigung des Vertragsverhältnisses zur Vorlage der angeforderten Nachweise auf. Mit Schreiben vom 25.07.2018 (Anlage K 22) sprach die Klägerin die Kündigung des Vertragsverhältnisses einschließlich aller Nachträge gegenüber der Beklagten aus.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird im Übrigen auf die Feststellungen des Landgerichts verwiesen.
II. Urteil des Landgerichts
Das Landgericht hat durch Grund- und Teilendurteil entschieden. Das Landgericht sah einen Anspruch der Klägerin auf Ersatz der Mehrkosten und Schäden, welche aufgrund der von der Beklagten mangelhaft hergestellten Ortbetonrammpfähle im Baufeld 1 und Baufeld II des Bauvorhabens der Klägerin "Neubauverwaltungsgebäude H###, Deggendorf" entstanden sind, als dem Grunde nach gerechtfertigt an.
Ferner stellte das Landgericht fest, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den über den im Klageantrag 1 dargestellten und hinausgehenden Schaden sowie Folgeschäden aus dieser Baumaßnahme zu ersetzen.
Zur Begründung führte das Landgericht aus, dass der Klägerin ein Anspruch hinsichtlich des Baufelds I und Baufelds II aus §§ 4 Abs. 7 S. 3 i.V.m. § 8 Abs. 3 Ziff 2 VOB/B dem Grunde nach zustünde. Ferner bestehe ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 4 Abs. 7 S. 2 VOB/B. Ein Mangel vor Abnahme läge vor, da die Gründungspfähle (Pfahlgründung) infolge Rissbildung keine ausreichende Tragfähigkeit aufwiesen. Diese Mängel waren der Beklagten auch zuzurechnen. Etwas anderes ergäbe sich auch nicht den VOB/C bzw. den entsprechenden AN-Normen. Die Beklagte hätte das Risiko für den Baugrund übernommen. Jedenfalls hätte der Beklagte jedoch Bedenken anmelden müssen.
Nach Auffassung des Landgerichts konnte die Klägerin das Vertragsverhältnis zur Beklagten wirksam kündigen. Auch waren die entsprechenden Feststellungen zu weitergehenden Ansprüchen auszusprechen.
III. Berufung der Beklagten
Die Beklagte argumentiert, das Erstgericht habe übersehen, dass bereits kein Nebenangebot der Beklagten vorgelegen habe. Selbst wenn ein solches unterstellt werde, habe die Beklagte nicht sämtliche Planungs- und Ausführungsrisiken übernommen. Die Beklagte habe keine Prüf- oder Bedenkenhinweispflichten verletzt.
Vertragliche Regelungen wurden nicht ausreichend berücksichtigt und das Mitverschulden der Klägerin wurde außer Acht gelassen.
Es läge bereits keine wirksame Kündigung der Klägerin vor. Zudem seien dem Erstgericht Verfahrensfehler unterlaufen. So hätte hier nicht durch Teilurteil entschieden werden dürfen. Ferner lägen die Voraussetzungen einer Feststellungsklage nicht vor.
IV. Gegenwärtige Einschätzung des Senats
Die Berufung hat nach Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die angefochtene Entscheidung des Erstgerichts ist mit Ausnahme des Tenors in Ziff II. zur Feststellung richtig und zutreffend. Eine entsprechende Korrektur des Tenors in Ziff. II ist im Beschlusswege möglich. Das Ersturteil beruht nicht auf einer Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO). Vielmehr rechtfertigen die Tatsachen, die der Senat im Rahmen des durch § 529 ZPO festgelegten Prüfungsumfangs der Beurteilung des Streitstoffes zugrunde zu legen hat, in der Sache keine andere Entscheidung. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die sorgfältigen und zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts Bezug. Die Berufungsbegründung vom 26.5.2024 vermag dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg zu verhelfen, aus folgenden Gründen:
1. Das Landgericht konnte durch Grund- und Teilendurteil entscheiden. Das Landgericht hat hinsichtlich des Leistungsanspruches aus § 4 Abs. 7 i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 S.1 VOB/B zulässig durch Teilgrundurteil entschieden. Die Voraussetzungen des §§ 304, 301 ZPO waren gegeben. Ein Teil-Grundurteil kann ergehen, wenn grundsätzlich alle Fragen, die zum Grund des Anspruchs gehören, erledigt sind und nach dem Sach- und Streitstand zumindest wahrscheinlich ist, dass der Anspruch in irgendeiner Höhe besteht (BGH Urteil v. 20.9.2023 - VII ZR 432/21). Eine entsprechende Trennung in ein Grund- und Betragsverfahren setzt einen Anspruch voraus, der auf die Zahlung von Geld oder die Leistung vertretbarer, der Höhe nach summenmäßig bestimmter Sachen gerichtet ist. Die Klägerin hatte einen Antrag auf Zahlung von 2.195.273,35 Euro gestellt.
Zum Anspruchsgrund gehören alle anspruchsbegründenden Tatsachen und es dürfen keine berechtigten Einwendungen des Beklagten bestehen. Die Klägerin hat hier mehrere Streitgegenstände geltend gemacht, sodass eine Entscheidung über den Anspruch nach § 4 Abs. 7 S. 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 3 Nummer 2 Satz 1 VOB/B durch Grundurteil in Betracht kommt. Es ist zu erwarten, dass jedenfalls - trotz ggf. bestehender Sowiesokosten - ein Teil der geltend gemachten Ansprüche auch der Höhe nach zugesprochen werden, so dass ein Grundurteil auch zulässig ist.
a) Es handelt sich hier um teilbare Verfahrensgegenstände. Mit dem Klageantrag I wird zunächst ein Anspruch hinsichtlich des durch den Mangel (mangelhafte Errichtung der Ortbetonrammpfähle) geltend gemachten Mehraufwands verlangt gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 VOB/B. Diesen sieht das Landgericht als dem Grunde nach gegeben an. Ferner wird der weitergehende Schaden aus diesem Mangel als Mangelfolgeschaden begehrt. Diesen nimmt das Landgericht ebenfalls dem Grunde nach an und bejaht auch hier einen Schadensersatzanspruch aufgrund der mangelhaften Erstellung. Hierbei handelt es sich um einen Schadensersatzanspruch, der seine Grundlage in § 4 Abs. 7 S. 2 VOB/B hat und in den Anforderungen sich aus § 280 BGB ergibt.
b) Es besteht keine Gefahr widersprechender Entscheidungen im Hinblick auf den weitergehenden Feststellungsantrag. Die Entscheidung im Klageantrag I kann als Teilgrundurteil erlassen werden. Auch bei grundsätzlicher Teilbarkeit des Streitgegenstandes darf ein Teilurteil (§ 301 ZPO) nur ergehen, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen - auch infolge abweichender Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht - ausgeschlossen ist. Eine Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ist namentlich dann gegeben, wenn in einem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über andere Ansprüche oder Anspruchsteile noch einmal stellt oder stellen kann (BGH Urt. v. 11.4.2017 - VI ZR 576/15, BeckRS 2017, 110702 Rn. 10). Diesem Risiko ist das Landgericht durch die Entscheidung als Teil/Grundurteil begegnet. Zwar scheidet ein Grundurteil über einen unbezifferten Feststellungsantrag wesensgemäß aus (St. Rspr. vgl. BGH Urteil v. 20.9.2023 - VII ZR 432/21).
Die Entscheidung im Feststellungsantrag bedeutet hinsichtlich eines Schadensersatzanspruchs im Ergebnis auch eine Entscheidung dem Grunde nach, da das Landgericht feststellt, dass dem Grunde nach die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs bestehen und soweit diese Schäden bereits entstanden sind, damit umfasst sind. Nicht umfasst sind vom Antrag I die künftigen, noch nicht entstandenen Schäden.
Sowohl hinsichtlich des Klageantrags I, als auch hinsichtlich des Feststellungsantrags hat das Landgericht Deggendorf die Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach bereits festgestellt. Tatsächlich bedeutet die Entscheidung des Landgerichts als Grundurteil nicht, dass bereits ein Schaden in der geltend gemachten Höhe festgestellt ist. Es handelt sich um abgrenzbare, einer isolierten Entscheidung zugängliche Teile des Verfahrensgegenstandes, die durch Teilurteil entschieden werden können.
c) Dem steht die vollständige Entscheidung über den Feststellungsantrag nicht entgegen, da dieser auszulegen und entsprechend angepasst formuliert werden kann.
Verbindet der Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz mit dem Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftig eintretender Schäden, ist bei Erlass eines Teilurteils, mit dem über den Schadensersatzanspruch ganz oder teilweise befunden wird, besonders darauf zu achten, ob sich bei der abschließenden Entscheidung über den Feststellungsantrag gleiche Fragen stellen können, die bereits bei dem Teilurteil entschieden werden müssen, so dass die Gefahr einer Widersprüchlichkeit entsteht und deshalb ein Teilurteil unzulässig ist (MüKoZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, ZPO § 301 Rn. 15). Diesem Erfordernis könnte bei einem Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschränkung des Tenors auf künftige Schäden Rechnung getragen werden.
aa) Zwar ermöglicht der vorliegende Tenor der Entscheidung derzeit noch nicht eine trennscharfe Abgrenzung der beabsichtigten Entscheidung, dies ist der Berufung zuzugeben. Mit dem Klageantrag bzw. Tenor I sollen erkennbar bestehende Ansprüche sowohl wegen Fertigstellungsmehrkosten als bereits entstandene Schäden dem Grunde nach zugesprochen werden. Demgegenüber zielt der Feststellungsantrag, der nach §§ 133, 157 BGB auszulegen ist, darauf ab, dass eine Einsatzverpflichtung der Beklagten für derzeit noch nicht bekannte, also künftige Schäden rechtskräftig festgestellt wird.
bb) Der Tenor des Feststellungsantrags kann im Beschlusswege korrigieren werden und ist entsprechend dem Interesse der Parteien auf künftige, noch nicht entstandene Ansprüche zu beschränken. Dem Klageantrag ist eindeutig zu entnehmen, dass es die Zielrichtung des Feststellungsantrags ist, Zukunftsschäden zu erfassen. Damit kann der Gefahr widersprechender Entscheidungen abschließend begegnet werden. In der Fassung des Tenors ist das Gericht in den Grenzen des § 308 ZPO frei. Hinsichtlich des Anspruchsgrundes ist die Sache entscheidungsreif, so dass das Landgericht durch Teil/Grundurteil entscheiden konnte.
2. Auch der Feststellungsantrag war zulässig, gemäß § 256 ZPO. Ein Feststellungsinteresse war zu bejahen. Der Feststellungsantrag ist orientiert auf künftige Schäden, also Schäden die zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht erkennbar waren. Bei einem Schadensereignis wie dem vorliegenden sind auch spätere Schäden nicht ausgeschlossen, sodass ein Interesse der Klägerin daran besteht, diese abschließend festgestellt zu haben.
3. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Herstellungsmehrkosten, § 4 Abs. 7 S. 3, § 8 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 VOB/B sowie der Mangelfolgeschäden nach § 280 BGB dem Grunde nach.
a) Die Parteien haben einen Bauvertrag abgeschlossen und die Geltung der VOB/B vereinbart. Da der Vertrag in Bezug auf das Baufeld I am 24.1.2018 und das Baufeld II am 14.2.2018 geschlossen wurde, sind die Regelungen des BGB in der neuen Fassung ab 1.1.2018 in Verbindung mit der VOB/B anwendbar, Art. 229 EGBGB, § 39.
Dabei wurde das Vertragsangebot von der Beklagten gestellt, sie ist Verwenderin der VOB/B. Die Parteien schlossen einen Vertrag über die Herstellung von Ortrammpfählen (Pfahlgründung) auf Basis des Angebotes der Beklagten vom 06.12.2017 (Anlage K 4) sowie des Bieterprotokolls vom 12.12.2017 mit der Annahme des Angebots vom 11.01.2018 (Anlage K5). Der Angebotseinholung war beigefügt der geotechnische Bericht der I### GmbH (nachfolgend Nebenintervenientin, Anlage K2) vom 6.2.2013, sowie deren geotechnische Stellungnahme vom 22.03.2017 (Anlage K3). Mit dem Vertrag verpflichtete sich die Beklagte zur Errichtung der Gründung für das Baufeld I und später mit der Nachtragsvereinbarung vom 14.02.2018 (Anlage K6) für das Baufeld II wie von ihr als Pfahlgründung vorgeschlagen.
b) Der Klägerin steht aufgrund der mangelhaften Leistung der Beklagten noch in der Erfüllungsphase und der Kündigung des Vertrages ein Anspruch auf Ersatz der Mehrkosten sowie weitergehenden Schäden nach § 4 Abs. 7 VOB/B in Verbindung mit § 8 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 zu, da dessen Voraussetzungen erfüllt sind.
aa) Die Leistung der Beklagten wurde mangelhaft erbracht. Das Vorliegen eines Mangels ist zwischen den Parteien unstreitig und ist allein aufgrund des Umstandes anzunehmen, dass die eingebrachten Gründungspfähle infolge des Entstehens von Rissen nicht tragfähig waren. Die Beklagte selbst informierte die Klägerin über deren Architekten am 16.04.2018 telefonisch, dass die eingebrachten Pfähle nicht belastbar waren und führte Nachbesserungsarbeiten durch. Die Nichtbelastbarkeit der eingebrachten Pfähle führt zur Funktionsuntauglichkeit des Werks, da eine ausreichende Gründung für das Bauwerk nicht gegeben war. Die Beklagte schuldete die Beseitigung dieses Mangels als Nachbesserung bzw. im Fall des § 4 Abs. 7 VOB/B als notwendige Erfüllungsleistung. Das geschuldete Vertragssoll ergibt sich aus dem Vertrag über das "Nebenangebot" gem. Anlage K 5 vom 24.1.2018.
bb) Diese Nachbesserungsarbeiten konnten als nach § 4 Abs. 7 VOB/B geschuldete Mangelbeseitigungsarbeiten nicht Gegenstand eines berechtigten Nachtrags im Sinne von § 2 Abs. 6 bzw. 2 Abs. 8 VOB/B sein.
(1) Mit dem Angebot verpflichtete sich die Beklagte zur Errichtung einer Gründung durch Pfahlgründung für das Baufeld I bzw. Baufeld II des streitgegenständlichen Bauvorhabens. Der Bauunternehmer, der sich zur Errichtung eines Werks verpflichtet, schuldet die mangelfreie Errichtung dieses Werks, §§ 631 BGB, 13 Abs. 1 S. 1 VOB/B. Die werkvertragliche Erfolgshaftung ist eine verschuldensunabhängige Haftung, von der sich der Unternehmer nur durch einen Bedenkenhinweis nach § 4 Abs. 3 VOB/B enthaften kann. Dabei ist unerheblich, dass die Klägerin die grundsätzliche Eignung des von der Beklagten entgegen dem Bodengutachten vorgeschlagenen Systems nicht in Frage gestellt hat. Die Beklagte ist ein Fachunternehmen, die Klägerin durfte sich bei der Beauftragung eines Fachunternehmens darauf verlassen, dass diese ein geeignetes System anbot und durchführen konnte.
(2) Dabei war das Baugrundrisiko von der Verpflichtung zur mangelfreien Errichtung umfasst und ist der Beklagten zuzurechnen. Ob der Unternehmer bestimmte Risiken in der Funktionalität nicht übernommen hat bzw. inwieweit ein Bedenkenhinweis erforderlich ist, ist durch Vertragsauslegung zu bestimmen, ob und in welcher Weise die Beschaffenheit durch die Parteien festgelegt wurde, bzw. wie die vertragliche Risikozuweisung erfolgt ist.
Eine vertragliche Risikozuweisung dahingehend, dass Risiken, die sich aus der Baugrundbeschaffenheit ergeben, der Klägerin vertraglich zugewiesen waren, lassen sich dem Vertrag nicht entnehmen. Bereits aus dem Text des Angebots ergibt sich, dass die Beklagte funktionierende Bohrrammpfähle schuldete. Mit der vertraglichen Verpflichtung zu einem Werkerfolg, schuldet die Beklagte ein mangelfreies Werk und übernimmt dabei auch die Gewähr, dass das Werk auf dem von der Klägerin zur Verfügung gestellten Boden, mangelfrei errichtet werden kann. Die Klägerin hatte mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe bereits auf die geotechnische Problematik hingewiesen und für die von ihr vorgesehene Art der Gründung bereits ein Gutachten eingeholt. Dieses Gutachten erwies sich im Weiteren zwar als nicht geeignet, verdeutlichte aber bei der Beklagten den Hinweis darauf, dass es bei Gründung auf die geotechnischen Besonderheiten ankommt. Die Beklagte, die ein Fachunternehmen ist und eine fachtypische Leistung anbietet, musste sich aber bereits aufgrund dieser Gutachten der bodentypischen Besonderheiten gegenwärtig sein.
Eine vertragliche Risikozuweisung in Richtung der Klägerin erfolgte nicht wirksam. Die Beklagte hat einen Einheitspreis für die Errichtung von Ortrammpfählen angeboten im Leistungsverzeichnis des Angebots vom 6.12.2027 unter Ziff. 2.2.10. Hier heißt es:
"Ortbetonrammpfahl DU 510mm, System Keller Franki Piles mit Innenrohrrammung, entsprechend den statische und konstruktiven Erfordernissen herstellen (...)"
Verpflichtet sich die Beklagte eine entsprechende Gründung herzustellen, die statischen und konstruktiven Erfordernissen entspricht, so ist die Abklärung und Schaffung der konstruktiven Erfordernisse durch die Beklagte versprochen und auch als funktionaler Werkerfolg geschuldet.
Auch die Umstände des Vertragsabschlusses gebieten keine andere Auslegung oder ein anderes Verständnis, da durch die Beigabe der geotechnischen Untersuchung nicht etwa die Klägerin das Haftungsrisiko für den Baugrund nach den vertraglichen Vereinbarungen übernehmen wollte. Die geotechnische Untersuchung war aus Sicht der Klägerin bereits erforderlich, weil die Art der Gründung und damit die Abwicklung des Bauvorhabens planerisch entschieden und umgesetzt werden musste. Auf die Angebotsanfrage der Klägerin erfolgte das Angebot zum Einsatz der "Franki-Piles" (Gründungspfähle) auf Initiative der Beklagte in Kenntnis der vorgelegten Bodengutachten. Es kann mit der Bereitstellung dieser Gutachten auch keine Beschränkung des Leistungsumfangs bzw. des Leistungssolls der Beklagten angenommen werden, dies umso weniger, als sich die Parteien für die in den Bodengutachten vorgesehene Art der Gründung nicht entschieden hatten, sondern bewusst die von der Beklagten gewählte Art der Herstellung vertraglich vereinbarten.
Etwas anderes ergibt sich auch durch die vertragliche Inbezugnahme der VOB/C und ATV-DIN. Die VOB/C und ATV-DIN, wie hier die DIN 18304 sind, wie das Landgericht bereits völlig zutreffend ausführt, allgemeine Vertragsbedingungen und damit allgemeine Geschäftsbedingungen und können nur Leistungsnebenbedingungen darstellen, nicht aber die Leistung zwischen den Parteien selbst festlegen. Zwar können diese DIN Aufschluss darüber geben, wie die Ausführung von Arbeiten im Spezialtiefbau grundsätzlich zu erfolgen haben. Insbesondere sind danach für die Durchführung der Bohrarbeiten die entsprechenden Anforderungen in Bezug auf Baugrunduntersuchungen erfüllt sein (vgl. Sachverständigengutachten J., S. 245). Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wie in der Berufungsbegründung ausgeführt, durch den Verweis auf § 9 Nr. 4 Abs. 4 VOB/A, da hier der Vertrag nicht aufgrund einer öffentlichen Ausschreibung geschlossen wurde.
Durch diese allgemeinen Vertragsbedingungen wird jedoch nicht festgelegt, wer innerhalb des Vertrages diese Baugrunduntersuchungen durchführen muss. Eine Risikoübernahme der Klägerin als Auftraggeber für die Geeignetheit der durch die Auftragnehmerin angebotenen Leistung lässt sich diesen Regelungen nicht entnehmen bzw. aus diesen herleiten. Ein entsprechender Hinweis seitens der Beklagten unterblieb. Sofern nicht vertraglich eine andere Risikozuweisung vorgesehen ist, haftet der Unternehmer verschuldensunabhängig für die Mangelfreiheit des von ihm geschuldeten Werks (BGH Urteil v. 8.11.2007 - VII ZR 183/05).
(3) Ein enthaftender Bedenkenhinweis der Beklagten nach § 4 Abs. 3 VOB/B ist nicht erfolgt (vgl. Ersturteil S. 26). Dabei hat das Landgericht die Reichweite und den Bestand der Hinweisverpflichtung zutreffend eingeschätzt. Nach § 4 Abs. 3 VOB/B hat der Auftragnehmer Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung, gegen die Güte der vom Auftraggeber gelieferten Stoffe oder Bauteile oder gegen die Leistungen anderer Bauteilnehmer unverzüglich und schriftlich mitzuteilen. Zweck der Regelung ist die Abgrenzung der Haftungsverantwortung von Auftraggeber und Auftragnehmer für etwaige Mängel und Schäden (BeckOK VOB/B/Fuchs, 55. Ed. 1.5.2024, VOB/B § 4 Abs. 3). Die Prüfungs- und Hinweispflicht des Auftragnehmers umfasst bei der Art der Ausführung vor allem die Vorgaben der Planung (BGH Urteil v. 23.10.1986 -. VII ZR 48/85). Stellt der Auftraggeber also nicht ausreichende Bodengutachten zur Verfügung, so hat der Auftragnehmer darauf hinzuweisen, dass eine mangelfreie Leistung ohne ausreichende Bodenbegutachtung nicht sicher gestellt ist.
Natürlich verweist die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung zu Recht darauf, dass üblicherweise Planungsgrundlagen auftraggeberseits gestellt werden. Aus dieser Verkehrsüblichkeit kann keine vertragliche Verpflichtung der Klägerin oder Enthaftung der Beklagten hergeleitet werden, vielmehr kommt es auf die konkreten Vertragsumstände und Vereinbarung zwischen den Parteien an. Die Beklagte hätte auf die Vorlage geeigneter Unterlagen hinwirken müssen und dies entsprechend vertraglich festlegen müssen. Hinzu kommt, dass die Beklagte eine eigens vorgeschlagene und von der Planung nicht umfasste Gründung durchführen wollte und diese so schließlich beauftragt wurde, so dass für diese ohnehin eine Begutachtung erforderlich geworden wäre. Die geotechnischen Bodengutachten hatten diese Art der Gründung nicht überprüft, was der Beklagten bei der Angebotserstellung auch bewusst sein konnte.
Unbehilflich ist in diesem Zusammenhang der Verweis auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts München 27 U 3593/21, wonach sich Inhalt und Umfang der Hinweispflicht am Schutzbedürfnis des Auftraggebers orientieren. Wie sich aus den vorgelegten und vom Sachverständigen als untauglich angesehenen Bodengutachten der Nebenintervenientin ergibt, verfügte die Klägerin gerade nicht über die erforderliche Fachkunde, um die Geeignetheit verschiedener Bodengründungen zu beurteilen, weswegen sie mit der Beklagten ein Spezialunternehmen beauftragte und im Vorfeld die Nebenintervenientin mit der Erstellung von Bodengutachten befasste. Im Übrigen dient der Bedenkenhinweis der Enthaftung des Unternehmers und muss daher geeignet sein, die verschuldensunabhängige Haftung des Unternehmers entfallen zu lassen gem. § 13 Abs. 3 VOB/B. Es kommt in diesem Zusammenhang darauf an, ob die Bedenkenhinweispflicht aus rechtlicher Sicht entfallen kann und nicht ob sie aus technischer Sicht entbehrlich wäre.
Die verschuldensunabhängige Mängelhaftung wird durch einen Sach- oder Rechtsmangel des vom Unternehmer hergestellten Werks begründet. Erfüllt der Unternehmer die dem Werkvertrag immanente Bedenkenhinweispflicht nicht, so haftet er verschuldensunabhängig für entstandene Mängel (BGH v. 8.11.2007, VII ZR 183/05; NJW 2008, 511). Mit dem Vertragsschluss verpflichtet sich der Unternehmer, die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit herzustellen. Der funktionale Mangelbegriff verlangt vom Werkunternehmer sowohl zu prüfen, ob mit der eigenen Werkleistung das vom Besteller gewünschte Ergebnis erreicht werden kann, als auch die Prüfung, ob die vorgefundenen Gegebenheiten (zur Verfügung gestellte Materialien, Vorarbeiten Dritter, oder wie hier Bodengutachten) trotz ordnungsgemäßer eigener Leistung den gewünschten Erfolg verhindern könnten (BeckOGK/Preisser, 1.4.2024, BGB § 633 Rn. 137).
Die Beklagte wäre daher gehalten gewesen, die Bodengegebenheiten auf die Eignung für die vorgesehene Gründung und um die technischen Vorgaben der DIN EN 1536 (vgl. Sachverständigengutachten S. 245) selbst zu überprüfen, oder die Klägerin gem. § 4 Abs. 3 VOB/B auf die Ungeeignetheit der bisherigen Untersuchungen mangels ausreichendem geotechnischen Gutachten hinzuweisen. Da die Beklagte einen solchen Bedenkenhinweis nicht erteilte, bleibt ihre Haftung nach § 4 Abs. 7 VOB/B für die vorhandenen Mängel erhalten.
cc) Die streitgegenständlichen Mängel waren bereits während der Ausführung entstanden und die Klägerin konnte gem. § 4 Abs. 7 VOB/B eine Frist zur mangelfreien Fertigstellung setzen. Diese Fristsetzung ist durch das Schreiben der Klägerin vom 19.7.2018, Anlage K 21 in ausreichendem Maß durch die Bezugnahme auf das Schreiben vom 9.7.2018, Anlage K 12 erfolgt. Für den Auftragnehmer muss eindeutig und unmissverständlich klar werden, dass er zur Beseitigung eines Mangels oder einer vertragswidrigen Leistung aufgefordert wird. In der Aufforderung hat der Auftraggeber den zu beseitigenden Mangel bzw. die Vertragswidrigkeit der Leistung so konkret zu beschreiben, dass der Auftragnehmer eindeutig erkennen kann, welche Leistung von ihm gefordert wird (BeckOK VOB/B/Fuchs, 55. Ed. 1.5.2024, VOB/B § 4 Abs. 7 Rn. 25). Aus beiden Schreiben kommt klar zum Ausdruck, dass die Klägerin die Leistung als grob mangelhaft einstuft und dieser Mangel beseitigt werden muss. Ferner bringt die Klägerin zum Ausdruck, dass eine Vergütungspflicht für die Mangelbeseitigungsmaßnahmen verneint wird. Eine angemessene Frist wurde zweimal gesetzt.
dd) Die Klägerin konnte auch wegen der nicht berechtigten Abschlagsforderung und Beharren auf dieser aus wichtigem Grund kündigen. Die Parteien hatten ein Vertragsvolumen von ca. 300.000 Euro Vergütung nach Einheitspreis für eine von der Beklagten vorgeschlagene Gründungsmaßnahme vorgesehen. Tatsächlich forderte die Beklagte mit der Abschlagszahlung einen achtfachen Betrag und beharrte vor der Beseitigung der Mängel auf der Bezahlung dieser Abschlagszahlung. Tatsächlich handelte es sich um eine unberechtigte Abschlagsforderung der Beklagten, die bei Beharren auf dieser einen wichtigen Grund im Sinne des § 648a BGB begründet.
Da die bisher erbrachten Leistungen nicht vertragsgemäß, sondern völlig unbrauchbar waren, konnte die Klägerin die Bezahlung der Abschlagsforderung gem. § 632a Abs. 1 S. 2 BGB a.F., § 16 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B zutreffend verweigern. Ein Anspruch auf Abschlagszahlung einer Vergütung nach § 2 Abs. 6 bzw. Abs. 8 VOB/B bestand nicht.
(1) Ein Vergütungsanspruch aus § 2 Abs. 6 VOB/B bestand nicht, da es sich bei den vorzunehmenden Mangelbeseitigungsarbeiten nicht um eine zusätzliche Leistung handelte im Sinne von § 2 Abs. 6 VOB/B, sondern die Erfüllung der ursprünglichen Herstellungsverpflichtung. Bei dieser Bestimmung des Bau-Solls sind neben dem Vertragswortlaut auch die weiteren Vertragsgrundlagen wie in § 2 Abs. 1 VOB/B benannt, somit sind die Leistungsbeschreibung, die allgemeinen und besonderen Vertragsbedingungen sowie die zusätzlichen Vertragsbedingungen und die zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen einschließlich den allgemeinen technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen der Auslegung und Bestimmung des Vertragssolls zugrunde zu legen.
Es gilt bei § 2 Abs. 6 VOB/B nichts anderes als in den anderen Klauseln des § 2 VOB/B. Soweit danach eine Leistung von vornherein vom Auftragnehmer geschuldet ist und/oder sich die vermeintliche Änderung sich lediglich als Konsequenz einer Ausübung eines Wahlrechtes bei Alternativpositionen darstellt, liegt bereits begrifflich keine Leistungsänderung vor (BeckOK VOB/B/Kandel, 55. Ed. 1.5.2024, VOB/B § 2 Abs. 6 Rn. 17, 18). Die Leistung der Beklagten war mangelhaft erbracht und die "zusätzlichen Leistungen" der Beklagten wurden erbracht, um den vertraglichen Sollzustand nach mangelhafter Errichtung zu erreichen.
Der zusätzliche Nachtragsauftrag war von der Klägerin nicht beauftragt worden, der der 4. Abschlagsrechnung (Anlage K 11) zugrundelag und konnte daher auch nicht zum Gegenstand einer Abschlagsrechnung gemacht werden.
(2) Der Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 8 VOB/B.
Dies würde entweder voraussetzen, dass diese Leistungen durch die Klägerin nachträglich anerkannt worden sind oder dass diese Leistungen für die Erfüllung des Vertrages notwendig waren, dem mutmaßlichen Willen des Auftraggebers entsprachen und ihm unverzüglich angezeigt wurden. Diese Voraussetzungen sind nicht festgestellt oder vorgetragen. Unter § 2 Abs. 8 VOB/B hätten im konkreten Fall die Kosten für die nach DIN EN 1536 erforderlichen Bodengutachten gefasst werden können, da diese zur Bauausführung erforderlich gewesen wären.
ee) Einer Verantwortlichkeit für die Mängel steht auch nicht Ziffer 6 des Leistungsverzeichnisses die Klausel: einheitliche Angebots und Vertragsbedingungen im deutschen Spezialtiefbau, Ziff. 4 entgegen. Hier heißt es zwar, sofern sich während der Vertragsdurchführung Abweichungen zu den im Vertrag enthaltenen Angaben betreffend Boden- und/oder Wasserverhältnissen herausstellen, trägt der Auftraggeber bei Einhaltung der Voraussetzungen der VOB/B die Folgen. Wie bereits oben ausgeführt, steht der Beklagten unter den Voraussetzungen der VOB/B, nämlich § 2 Abs. 6 bzw. 2 Abs. 8 VOB/B gerade kein Anspruch auf Vergütung der erbrachten Leistungen zu. Die Beklagte verpflichtete sich zu Herstellung einer Pfahlgründung entsprechend dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag. Die vorgenommene Gründung erwies sich als mangelhaft, woraus sich bei Anwendung der VOB, nämlich § 4 Abs. 7 i.V.m. § 8 Abs. 3 ein Anspruch auf Mängelbeseitigung im Rahmen der Herstellungspflicht und im Fall der Nichterfüllung ein Kündigungsrecht für die Klägerin ergab.
Auch aus Abs. 2 der genannten Geschäftsbedingung folgt nichts anderes. Hier heißt es, enthält die Ausschreibung keine oder keine eindeutigen Angaben zu dem Boden- und/oder Wasserverhältnissen, sind die vom Auftragnehmer in seinem Vertragsbestandteil gewordenen Angebot schriftlich sachgemäß festgelegten Annahmen zu den vorgenannten Verhältnissen maßgebend. Ergeben sich zu diesen Verhältnissen im Verlauf der Vertragsdurchführung Abweichungen zu gilt Abs. 1 entsprechend. Die Bodengutachten der Nebenintervenientin waren zum Gegenstand des Vertrages gemacht worden. Nur hatte die Beklagte eine von diesen Begutachtungen abweichende Art der Gründung vorgenommen, so dass diese Regelung, wie das Landgericht zutreffend ausführt, nicht einschlägig ist. Diese Regelung, die als allgemeine Geschäftsbedingungen auszulegen sind, können keine grundsätzliche Risikozuweisung als Inhalt der vertraglichen Leistung festlegen und bestimmen.
ff) Da die Mängel durch die Beklagte nicht beseitigt wurden, konnte die Klägerin den Vertrag gem. §§ 4 Abs. 7 i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 aus wichtigem Grund kündigen. Die Leistung der Beklagten war nicht vertragsgemäß und konnte keine Grundlage für das weitere Bauvorhaben bilden. Trotz Aufforderung beseitigte die Beklagte die Mängel nicht, sondern beharrte auf der Erfüllung der überhöhten Abschlagsrechnung. Dieses grob vertragswidrige Verhalten berechtigte die Klägerin zur Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B.
gg) Der Kündigung steht nicht die mangelnde Anwendbarkeit des § 4 Abs. 7 VOB/B aufgrund der Entscheidung des BGH vom 19.1.2023, VII ZR 34/20 entgegen. Die Beklagte war Verwenderin der AGB und kann sich daher nicht auf die Unwirksamkeit einer Klausel berufen. Im Übrigen liegen die Voraussetzungen einer Kündigung aus wichtigem Grund vor gem. § 648a BGB. Die Leistung der Beklagten erwies sich als grob vertragswidrig, die Beklagte beharrte fehlerhaft auf der Begleichung einer zusätzlich erhobenen Vergütungsanspruchs, der nicht bestand.
Daraus folgt, dass dem Auftraggeber die Einrede des nicht erfüllten Vertrages zusteht, wenn mangelhafte Leistungen vorliegen und der Auftraggeber diese Einrede auch dem Zahlungsverlangen des Auftragnehmers etwa auf Abschlagszahlungen entgegensetzen kann (BeckOK VOB/B/Fuchs, 55. Ed. 1.5.2024, VOB/B § 4 Abs. 7 Rn. 6).
c) Rechtsfolge ist der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin hinsichtlich der Kosten, die ihr durch die Fertigstellung des Werks durch Beauftragung eines Dritten entstehen sowie ein weitergehender Schadensersatz dem Grunde nach aus § 4 Abs. 7 S. 3 VOB/B bzw. §§ 280, 281 BGB.
aa) Ein Vertretenmüssen im Sinne von § 280 BGB, § 4 Abs. 7 S. 2 VOB/B ist zu bejahen. Bereits bei Angebotsabfrage war durch die Vorlage der beiden Bodengutachten deutlich, dass die Geeignetheit der Bodenverhältnisse für die vorgesehene Gründung zu überprüfen war. Von der vorgeschlagenen Gründung, für die sich die Klägerin bereits sachverständig beraten hatte lassen, nahm die Beklagte bewusst Abstand.
Wie sich aus der einschlägigen DIN EN 1536 ergibt, sind bei der Errichtung von Bohrpfählen alle festgelegten Anforderungen des EC bezüglich der Baugrunduntersuchungen zu beachten. Ferner sind die Baugrunduntersuchungen zu prüfen, ob sie für die Bemessung und Ausführung ausreichend sind (Erstgutachten J.g, Bl. 245, S. 11 des Gutachtens unter Verweis auf die Anlage 6.1). Diese Überprüfung wurde nicht vorgenommen, da sonst andernfalls gegenüber der Klägerin als Auftraggeberin das Fehlen einer ausreichenden Bodenbegutachtung moniert worden wäre.
bb) Ein Mitverschulden der Klägerin bereits dem Grunde nach gem. § 254 BGB wurde durch das Landgericht zutreffend verneint. § 254 BGB setzt voraus, dass ein Mitwirken der Klägerin zur Entstehung des Schadens mit beigetragen hat. Das Landgericht hat sachverständig beraten festgestellt, dass die einbezogenen Gutachten der Nebenintervenientin untauglich waren und nicht die wesentlichen Fragen entsprechend den Anforderungen der DIN EN 1536 erstellt war. Für die streitgegenständlichen Mängel ist diese Frage jedoch ohne Belang, da die Beklagten eine andere als in diesen Gutachten und geotechnischen Stellungnahme Gründungsmaßnahme aufgrund eigenen Vorschlags durchführte und damit die Bodengutachten für den entstandenen Mangel nicht kausal waren.
Ein Mitverschulden lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass von der Klägerin kein Hinweis darauf erfolgte, dass nur ein unzureichendes Gutachten vorlag. Da die Klägerin selbst kein Spezialunternehmen für Tiefbau ist, können Kenntnisse zur Notwendigkeit von Bodengutachten von der Klägerin nicht erwartet werden.
Vielmehr wäre es eben gerade Aufgabe der Beklagten gewesen, als Spezialunternehmen für Tiefbau in Kenntnis der einschlägigen technischen Vorgaben auf eine ausreichende und genügende Fachplanung vor Übernahme des Auftrags hinzuwirken. Auch können Fehler der Nebenintervenientin nicht nach § 278 BGB zugerechnet werden, da diese nicht im vertraglich geschuldeten Pflichtenkreis für die Klägerin tätig war.
4. Der Klägerin steht zudem ein Anspruch auf weitergehenden Schadensersatz zu.
Das konnte das Landgericht entsprechend feststellen, § 4 Abs. 7 S. 2 VOB/B. Zutreffend konnte das Landgericht auch einen Schadensersatzanspruch für alle noch nicht bekannten Schäden aus dem Schadensereignis feststellen, hierbei ist die Feststellung auf künftige Schäden zu begrenzen.
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, § 522 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil, § 522 Abs. 2 Nr. 3 ZPO. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist nicht geboten, § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO.
Aufgrund obiger Ausführungen regt der Senat aus Kostengründen - eine Rücknahme der Berufung an, die Berufung zurückzunehmen.
Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB ist in Niedersachsen ...
Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB ist in Niedersachsen unanwendbar!
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VG Lüneburg
Urteil
vom 29.01.2025
6 A 55/24
Im niedersächsischen Rettungsdienstrecht findet die Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB keine Anwendung.
vorhergehend:
OLG Celle, Beschluss vom 03.01.2024 - 13 Verg 6/23
VK Niedersachsen, 13.07.2023 - VgK-14/2023
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich dagegen, dass der Beklagte die beiden Beigeladenen mit der Erbringung von Dienstleistungen im Bereich Notfallrettung und qualifizierter Krankentransport beauftragt hat und sie bisher nicht berücksichtigt hat.
Die Klägerin ist eine gewerbliche Rettungsdienstleisterin. Sie hat gegenüber dem Beklagten erstmals mit E-Mail vom 18. Mai 2020 Interesse an der Erbringung von Rettungsdienstleistungen im Landkreis ### bekundet und dieses Interesse regelmäßig wiederholt und intensiviert.
Die beiden Beigeladenen sind gemeinnützige Organisationen und Vereinigungen. Sie wurden vom Beklagten mit "öffentlich-rechtlicher Vereinbarung über die Übertragung der Durchführung des Rettungsdienstes und des qualifizierten Krankentransportes im Landkreis ###" vom 21. Dezember 1993 mit Leistungen des Rettungsdienstes und qualifizierten Krankentransports beauftragt. § 1 Abs. 1 dieser Vereinbarung lautet:
"Der Landkreis ### überträgt gemäß § 5 Abs. 1 NRettDG den Beauftragten für das Bedarfsgebiet die Durchführung der Leistungen des Rettungsdienstes (§ 2 Abs. 2 NRettDG) und die Einrichtung und die Unterhaltung der Einrichtungen (§ 4 Abs. 4) - ausgenommen die Rettungsleitstelle - nach Maßgabe dieser Vereinbarung."
Des Weiteren regelt § 2 Abs. 1 dieser Vereinbarung:
"Für die Anzahl und Standorte sowie für die personelle Besetzung und die Einsatz-Zeiträume der von den Beauftragten zu betreibenden Rettungswachen und einzusetzenden Rettungsmittel ist der Bedarfsplan des Landkreises in der jeweils geltenden Fassung maßgebend. Der endgültige Bedarfsplan wird Bestandteil dieser Vereinbarung." [...]
Die Beigeladenen zu 1. und 2. werden in der Praxis zu gleichen Teilen beauftragt.
Am 22. Juni 2022 teilte eine weitere Rettungsdienstleisterin, die aufgrund einer Genehmigung des Beklagten vom 22. März 2022 zur Durchführung des qualifizierten Krankentransports außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes nach § 19 NRettDG Krankentransporte durchführte, dem Beklagten telefonisch mit, dass sie mit Ablauf des 30. Juni 2022 den Betrieb einstellen werde (Bl. 259 der Vergabekammerakte). Mit Bescheid vom 1. Juli 2022 widerrief der Beklagte daraufhin die dieser Rettungsdienstleisterin erteilte Genehmigung zur Durchführung des qualifizierten Krankentransports außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes nach § 19 NRettDG mit sofortiger Wirkung.
Der Beklagte informierte die Kostenträger, AOK und Verband der Ersatzkassen e.V., am 22. Juni 2022 über diese Einstellung des Dienstbetriebs. Der damalige Leiter Ordnung des Beklagten schrieb in einer E-Mail vom 28. Juni 2022 an die zuständigen Personen der AOK und des Verbands der Ersatzkassen e.V.:
"Sehr geehrte Herren,
ich hatte Sie, Herr ###, bereits am letzten Mittwoch darüber informiert, dass die Firma ### ihren Dienstbetrieb mit Ablauf des 30.06.2022 einstellen wird. Das hat zur Folge, dass wir ab Freitag täglich ca. 14 Fahrten im KTP-Bereich übernehmen müssen, was in Anbetracht der ohnehin mehr als angespannten Situation im RDB ### ohne zusätzliche Kapazität nicht möglich sein wird.
Glücklicherweise hat Firma ### uns bereits am Tag der Ankündigung die detaillierten Einsatzdaten für den Zeitraum 01.04.2021 bis 31.03.2022 zur Verfügung gestellt, sodass Herr Dr. ### (### GmbH) bereits am Wochenende mit den Zahlen rechnen konnte. Da die Erstellung des Soll-Konzeptes ohnehin unmittelbar bevorstand, konnte mir Herr Dr. ### gestern Nachmittag das aus seiner Sicht fertige Soll-Konzept im Entwurf übersenden. Dieses sieht im Ergebnis eine Aufstockung der Vorhaltung im Bereich Notfallrettung von 1.460 auf 1.572 Wochenstunden und im Bereich Krankentransport von 285 auf 520 Wochenstunden vor. Die Steigerung bei der KTP-Vorhaltung ist deshalb so immens, weil die Erhöhung aus dem letzten Gutachten von 285 auf 402 Wochenstunden gar nicht umgesetzt wurde. Ohne den Wegfall der Kapazitäten von ### sähe das Soll-Konzept eine KTP-Vorhaltung von 452 Wochenstunden vor. Ich verweise insoweit auf die beigefügten Berechnungen von Herrn Dr. ###.
Fakt ist, dass wir das zusätzliche Fahrtenaufkommen in der aktuellen Situation nicht abgearbeitet bekommen werden. Die RTW sind schon jetzt über Gebühr mit Krankentransporten belastet, sodass die Hilfsfristquote bei nur noch 91,4 % liegt. Hinzu kommen mehr und mehr Beschwerden über lange Wartezeiten bei Patienten, Arztpraxen und dem Klinikum. Außerdem verursacht die hohe Belastung ein bedeutendes Aufkommen an Überstunden und dadurch bedingt sehr wahrscheinlich auch einen erhöhten Krankenstand. Wenn jetzt die Fahrten von ### dazu kommen, die im hohen Maß aus dem Bereich Dialyse und Klinikum kommen, dann wird dies zu nicht mehr haltbaren Zuständen führen.
In der beigefügten Excel-Tabelle habe ich einmal die aktuelle KTP-Vorhaltung dargestellt und in grün hinterlegt ergänzt, welche Vorhaltung ich gerne ab dem 01.07.2022 umsetzen würde. Wichtig scheint hier die Indienstnahme mehrerer Fahrzeuge ab 7 Uhr morgens, die Bereitstellung eines zusätzlichen Fahrzeuges in den Abendstunden bis 22 Uhr sowie eine Entlastung am Samstag und Sonntag durch einen zweiten KTW. Insgesamt komme ich auf eine Erhöhung der KTP-Vorhaltung von 285 auf 425 Wochenstunden sowie die Erhöhung der Anzahl der Fahrzeuge von vier auf sechs. Damit blieben wir deutlich unterhalb des von Herrn Dr. ### berechneten Bedarfs von 452 bzw. 520 Wochenstunden.
Ich bitte Sie, mir kurzfristig mitzuteilen, ob Sie der Maßnahme ohne das erforderliche formelle Verfahren zustimmen können. Wegen der unabhängig davon notwendigen Fortschreibung des Rettungsdienstbedarfsplanes melde ich mich noch gesondert bei Ihnen. [...]"
Der Referent des Verbands der Ersatzkassen e.V., ###, antwortete hierauf mit E-Mail ebenfalls vom 28. Juni 2022, 15:12 Uhr:
"Hallo Herr ###,
das sind ja überraschende Informationen.
Gibt es aktuell Anträge anderer 19er auf eine Genehmigung?
Ohne es jetzt nachgerechnet zu haben erscheint mir die Maßnahme unausweichlich. Die Vorhaltung wird ja dann als reine KTW erfolgen, Herr ### beziffert das leider immer als RTW Frequenz. Gibt es schon einen Plan, wie die zusätzliche Vorhaltung umgesetzt werden soll? Ich würde es ja begrüßen, wenn der S. die Vorhaltung der zusätzlichen Fahrzeuge und der zusätzlichen KTW-Schichten umsetzten könnte, da wir da ja bereits eine Einigung über die Kosten haben und sicherlich auch für zusätzliche Vorhaltungen eine Einigung erreichen können. Beim ### sehe ich da große Probleme. [...]"
Der Leiter Ordnung des Beklagte, ### antwortete hierauf mit E-Mail ebenfalls vom 28. Juni 2022:
"Hallo Herr ###,
vielen Dank für Ihre schnelle Rückmeldung. Anträge nach § 19 gibt es aktuell nicht und es gab in den letzten Jahren auch keine Interessenten. Sollte irgendwann ein Antrag kommen, müssten wir den ja erfahrungsgemäß genehmigen, was ggf. wiederum eine Reduzierung der öffentlichen Vorhaltung nach sich ziehen würde.
Was die Reduzierung der Bedarfsausweitung auf nur einen der beiden Beauftragten angeht, sehe ich hier momentan keine Handhabe. Der Landkreis ### hat ### und ### zu gleichen Teilen beauftragt, wobei mir Herr ### vom ### bereits mitgeteilt hat, dass er auf diese Regelung bestehen wird. Hier sehe ich tatsächlich nur die Lösung, dass sich ### und Kostenträger irgendwie annähern müssen.
In Bezug auf die Bedarfsausweitung insgesamt wäre die Frage, ob von Ihrer Seite eine Sitzung zur Erörterung und Diskussion der Zahlen gewünscht ist. Das wäre sicherlich entbehrlich, wenn Sie dem einfach per Mail zustimmen würden. ;-) Die komplette Umsetzung des Gutachtens würde sehr wahrscheinlich mehrere Monate dauern. Soll ich eventuell versuchen, den Gutachter für den 18.07. im Anschluss an unsere Verhandlungsrunde mit ins Boot zu holen, sofern dies bei Ihnen zeitlich passen sollte?
Ansonsten wäre es aus meiner Sicht wünschenswert, morgen einmal mit Ihnen und Herrn ### telefonisch oder per Videokonferenz zusammenzukommen, damit wir uns noch einmal abschließend besprechen. Vielleicht könnten wir dann auch auf die Budgetverhandlungen und dort insbesondere auf die Kosten des ### eingehen. Ich bin morgen den ganzen Tag im Büro und auch verfügbar und würde mich auf ein Signal von Ihnen freuen. [...]"
In weiterer E-Mail-Kommunikation vom 1. Juli 2022, 8:57 Uhr teilte der Leiter Ordnung des Beklagten dem Referenten ### folgendes zur geplanten Umsetzung der Erhöhung im Bereich qualifizierter Krankentransport (KTW) mit:
"[...] Da wir ja im Landkreis ### eine 50:50 Regelung in Sachen Vorhaltung haben, werden die zusätzlichen Vorhaltezeiten durch einen wöchentlichen Wechsel der Fahrzeuge gleichmäßig auf die Beauftragten verteilt. Grundsätzlich werden beide Beauftragte einen zusätzliche KTW in Dienst stellen." [...]
Am 4. Juli 2022 führten der Leiter Ordnung des Beklagten sowie Vertreter der AOK und des Verbands der Ersatzkassen e.V. ein Telefonat. Die dort erzielte Einigung teilte der Leiter Ordnung des Beklagten dem Rettungsdienstleiter des Beigeladenen zu 1., ###, per E-Mail vom 4. Juli 2022, 15:35 Uhr wie folgt mit:
"Hallo ###,
wir haben uns gerade in einem Telefonat mit den Krankenkassen darauf geeinigt, dass wir die KTW-Vorhaltung auf die 409 Wochenstunden einfrieren, die sich aus eurer Aufstellung bzw. Dienstplanung unten ergibt. Auf die weitere Aufstockung auf 425 Wochenstunden bitte ich daher vorerst zu verzichten, hierfür gibt es keine Freigabe!
Im Anschluss an die Krankenkassenverhandlung am 18.07.2022 wird der Gutachter seinen Abschlussbericht vorstellen. Ich gehe davon aus, dass es dann Klarheit über das weitere Vorgehen geben wird. Den Abschlussbericht werde ich vorab mit einer gesonderten Mail versenden. [...]"
In dieser E-Mail in Kopie gesetzt war Herr ### vom Beigeladenen zu 2.
Am 18. Juli 2022 fanden Verhandlungsgespräche zwischen dem Beklagten, den Kostenträgern sowie den beiden Beigeladenen auf Grundlage des aktuellen Rettungsdienstgutachtens statt. Danach sollte die KTW-Vorhaltung ab dem 1. Oktober 2022 auf 452 Wochenstunden erhöht werden sowie die erhöhte Vorhaltung von RTW zum 1. Januar 2023 initiiert werden. Das Ergebnis dieser Verhandlungen fasste die Leiterin Ordnung, Frau ###, in einer E-Mail vom 12. September 2022 gegenüber den Kostenträgern zusammen. Herr ### vom Beigeladenen zu 1. sowie Herr ### vom Beigeladenen zu 2. waren in Kopie gesetzt. In dieser E-Mail heißt es:
"[...] bei unserem Verhandlungsgespräch am 18.07.2022 haben wir uns auch über die Vorhaltungen von KTW und RTW auf Grundlage des aktuellen RD-Gutachten verständigt. Seit dem 01.07.2022 erfolgt eine KTW -Vorhaltung im Umfang von 409 Stunden.
### und ### haben nach Prüfung mitgeteilt, dass auch die am 18.07.2022 erhöhte Vorhaltung im KTW-Bereich auf 452 Stunden ab dem 01.10.2022 sowie die erhöhte Vorhaltung von RTW zum 01.01.2023 realisiert werden können. [...]"
Der Beklagte hat keine spezifische Vergabeakte zu dem Vorgang geführt. Schriftliche Nachtragsvereinbarungen oder -erweiterungen zwischen dem Beklagten und den Beigeladenen sind nicht vorhanden, lediglich Abrechnungsunterlagen.
Am 22. Dezember 2022 beschloss der Beklagte durch seinen Kreistag gemäß Beschlussvorlage Nr. 2022/432 vom 6. Dezember 2022 die "5. Fortschreibung des Rettungsdienstebedarfsplans". Dieser sieht eine vollständige Umsetzung der Empfehlung des Sachverständigengutachtens der ### GmbH in der Form des Abschlussberichts vom 15. November 2022 vor.
In der Beschlussvorlage 2022/432 heißt es zur KTW-Vorhaltung:
"Die Ergebnisse des Rettungsdienstgutachtens wurden im Bereich KTW-Vorhaltung aufgrund der Dringlichkeit durch die Nichtanpassung der Vorhaltung aus dem vorherigen Gutachten sowie des erhöhten Aufkommens durch die Konzessionsrückgabe bereits vor dem Beschluss der 5. Fortschreibung des Rettungsdienstbedarfsplans vorzeitig teilweise umgesetzt. Im Einvernehmen mit den Kostenträgern wurde die KTW-Vorhaltung zum 01.07.2022 von 285 auf 409 Wochenstunden, in einer weiteren Stufe zum 01.10.2022 von 409 auf 452 Wochenstunden erhöht."
Weiter wird zur KTW-Vorhaltung ausgeführt (Bl. 101 der Vergabekammerakte):
"Die Vorhaltestunden im Bereich des Krankentransportes mussten zwingend aufgrund der Übernahme der Fahrten des Konzessionsnehmers bereits in zwei Stufen im laufenden Jahr vorzeitig angepasst werden. In Einvernehmen mit den Kostenträgern erhöhte sich die Vorhaltung ab dem 01.06.2022 auf 409 Wochenstunden, ab dem 01.10.2022 erfolgte eine Erhöhung auf 452 Wochenstunden."
Die KTW-Vorhaltung wurde auf 520 Wochenstunden erhöht und die Rettungswagenvorhaltung auf 1.524 Wochenstunden. Die 5. Fortschreibung des Bedarfsplans trat am 1. Januar 2023 in Kraft.
Die Klägerin hat am 10. Mai 2023 einen Antrag auf Nachprüfung bei der Vergabekammer beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung gestellt. Die Klägerin ist der Auffassung, insoweit lägen unzulässige De-Facto-Vergaben in Bezug auf die Beigeladenen vor. In dem Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer Niedersachsen hat sie in der Sache - primär - die Feststellung beantragt, dass sie durch das De-Facto-Vergabeverfahren von Rettungsdienstleistungen im Gebiet des Antragsgegners in ihren Rechten verletzt sei und geschlossene Verträge zwischen dem Antragsgegner und den Beigeladenen nach § 135 Abs. 1 GWB unwirksam seien.
Die Vergabekammer Niedersachsen hat mit Beschluss vom 13. Juli 2023, Az. VgK-14/23, den Nachprüfungsantrag als unzulässig zurückgewiesen. Es sei schon nicht der Rechtsweg zur Nachprüfung durch die Vergabekammer eröffnet, weil die von der Antragstellerin beanstandete Beauftragung der Beigeladenen unter die Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB falle. Die Bereichsausnahme sei in Niedersachsen anwendbar, wie sich aus dem am 24. März 2021 in Kraft getretenen klarstellenden Zusatz in § 5 Abs. 2 Satz 2 NRettDG ergebe. Die Bereichsausnahme sei auch unionsrechtskonform. Sie verstoße nicht gegen Art. 10 lit. h) der Vergaberichtlinie, dessen Wortlaut nahezu unverändert übernommen worden sei. Lediglich der zweite Halbsatz von § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB stelle nach dem Urteil des EuGH vom 21. März 2019 (C-465/17) eine unzureichende Umsetzung des Unionsrechts dar; dieser Halbsatz sei jedoch im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich. Bei den von der Antragstellerin beanstandeten Beauftragungen der Beigeladenen handele es sich um direkte Beauftragungen außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens. Diese fielen unter die Bereichsausnahme, da die Aufträge ohne jegliche Öffnung des Wettbewerbs gegenüber gewerblichen Rettungsdienstleistern an gemeinnützige Organisationen im Sinne des Art. 10 lit. h der Vergaberichtlinie erteilt worden seien, wie sich aus der vorgelegten Beschlussvorlage ergebe. Dies genüge für die Anwendung der Bereichsausnahme.
Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer sofortigen Beschwerde zum Oberlandesgericht Celle (Vergabesenat) gewendet, mit der sie in der Sache die vor der Vergabekammer gestellten Anträge weiterverfolgt hat. Auf Nachfrage des Senats, auf welche konkreten Vertragsschlüsse sich ihre Nachprüfungsanträge beziehen, hat die Antragstellerin klargestellt, es gehe ihr "primär" um die Leistungsweiterungen ab dem 1. Januar 2023, insbesondere die in der Beschlussvorlage vom 6. Dezember 2022 genannten.
Mit Beschluss vom 3. Januar 2024 (Az. 13 Verg 6/23) hat der Vergabesenat festgestellt, dass der Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen unzulässig sei und das Verfahren an das Verwaltungsgericht Lüneburg verwiesen. Der Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen sei nicht gegeben, da die Regelungen des 4. Teils des GWB zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen - und somit auch die darin enthaltenen Bestimmungen zum Nachprüfungsverfahren (§§ 155 ff. GWB) - im Streitfall keine Anwendung fänden. Denn die von der Klägerin beanstandete "De-Facto-Vergabe" falle unter die Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB. Das Unionsrecht stehe der Anwendung dieser Bereichsausnahme nicht entgegen, die Träger des Rettungsdienstes seien auch landesrechtlich nicht gehindert, von dieser Bereichsausnahme Gebrauch zu machen, schließlich unterfielen die streitgegenständlichen Direktvergaben dem Anwendungsbereich der Bereichsausnahme.
Die Klägerin ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - zusammengefasst - der Auffassung, die Beauftragung sei unwirksam, weil gegen das für öffentlich-rechtliche Verträge zwingende Schriftformerfordernis sowie gegen grundlegende Dokumentations-/Aktenführungspflichten verstoßen worden sei. Es ergebe sich ein Anspruch der Klägerin auf Durchführung eines transparenten und gleichheitsorientierten Auswahlverfahrens aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG, zudem ein Beteiligungsanspruch aus Unionsrecht und der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG. Der Vertrag vom 21. Dezember 2021 sei zu kündigen, weil es sich um einen unionsrechtswidrigen "ewigen Vertrag" handele und der Beklagte in unzulässiger Weise kollusiv und sittenwidrig mit den Beigeladenen zusammenarbeite. Es lägen auch Verstöße gegen Kommunalrecht vor, indem unzuständige Stellen die Aufträge freigegeben bzw. den Vertrag geschlossen hätten.
Die Klägerin beantragt,
1. es wird festgestellt, dass die Entscheidungen des Beklagten rechtswidrig waren, die folgenden Rettungsdienstleistungsaufträge ohne Durchführung eines auch für gewerbliche Anbieter geöffneten Vergabeverfahrens direkt an gemeinnützige Rettungsdienstleister zu vergeben: Erhöhung der Krankentransportvorhaltung zum 1. Juli 2022 von 285 auf 409 Wochenstunden, Erhöhung der Krankentransportvorhaltung zum 1. Oktober 2022 von 409 auf 452 Wochenstunden, Erhöhung der Krankentransportvorhaltung vom 1. Januar 2023 auf 520 Wochenstunden und Erhöhung der Rettungsdienstvorhaltung zum 1. Januar 2023 von 1460 auf 1524 Wochenstunden;
2. es wird festgestellt, dass die zwischen dem Beklagten und der Beigeladenen vorgenommenen Beauftragungen im Bereich des Rettungsdienstes (Beauftragung vom 21. Dezember 1993 und folgende Beauftragungen/Leistungsänderungen/-erweiterungen) unwirksam (hilfsweise: rechtswidrig) gewesen sind;
3. der Beklagte wird verurteilt, den zwischen ihm und den Beigeladenen am 21. Dezember 1993 geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrag unverzüglich zu kündigen;
4. dem Beklagten wird bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht aufgegeben, ein unionsrechtskonformes und für die Klägerin geöffnetes Auswahlverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts durchzuführen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist - zusammengefasst - der Auffassung, es handele sich um eine Direktvergabe nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB, die kein Vergabeverfahren unter Beachtung der Vorschriften des 4. Teils des GWB erfordere. Auch die Dringlichkeit der streitgegenständlichen Auftragserweiterungen habe der Durchführung eines Vergabeverfahrens entgegengestanden. Hinsichtlich der klägerseitig begehrten Kündigung des Vertrags zwischen dem Beklagten und den Beigeladenen sei kein Anspruch ersichtlich, es fehle bereits an der Klagebefugnis.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat teilweise Erfolg. Sie ist zulässig (II.) und im tenorierten Umfang begründet (III.).
Über den Antrag zu 2) war allerdings nicht zu entscheiden (I.). Die Kammer erkennt in diesem Antrag eine Klageänderung nach § 91 VwGO, in die der Beklagte nicht eingewilligt hat und die auch nicht sachdienlich ist (§ 91 Abs. 1 VwGO).
I.
Es handelt sich bei dem Antrag zu 2) um eine objektive Klageänderung. Im Nachprüfungsverfahren und auch im Verfahren der sofortigen Beschwerde vor dem Oberlandesgericht Celle hat die Klägerin nicht beantragt, die Rechtswidrigkeit sämtlicher Beauftragungen auf Grundlage des Vertrags vom 21. Dezember 1993 festzustellen. Dieser Antrag wurde erstmalig im verwaltungsgerichtlichen Verfahren angekündigt oder gestellt. Dies ergibt sich aus den vor den Vergabenachprüfungsinstanzen gestellten Anträgen sowie aus einer Gesamtschau der Schriftsätze im Nachprüfungsverfahren. So hat das Oberlandesgericht Celle im Verfahren der sofortigen Beschwerde die Klägerin zur Klarstellung aufgefordert, auf welche Vertragsschlüsse sich der Nachprüfungsauftrag beziehen soll. In Schriftsatz vom 4. September 2023 teilte die Klägerin darauf bezugnehmend mit, es gehe primär um die Leistungserweiterungen ab dem 1. Januar 2023, insbesondere die in Beschlussvorlage Nr. 2022/432 vom 6. Dezember 2022 genannten Leistungserweiterungen (Bl. 317 der Gerichtsakte, Bd. 1). Vorsorglich werde auch die Nichtigkeit mündlicher Leistungserweiterungen der KTW-Vorhaltung angegriffen. Von der Überprüfung sämtlicher Vertragsschlüsse zwischen dem Beklagten und den Beigeladen war nicht die Rede. Wenn die Klägerin nunmehr sämtliche Erweiterungen des Vertrages von 1993 angreift, handelt es sich somit um zusätzliche Klagebegehren.
Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte es abgelehnt, in die Klageänderung einzuwilligen (§ 91 Abs. 1, Alt. 1 VwGO). Die Kammer hält die Klageänderung auch nicht für sachdienlich gemäß § 91 Abs. 1, Alt. 2 VwGO. An der Sachdienlichkeit fehlt es, da es sich nach der Überzeugung der Kammer um Streitigkeiten handelt, die mangels Anwendbarkeit der Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB nach dem 4. Teil des GWB von den Vergabenachprüfungsinstanzen zu entscheiden sind und für die das Verwaltungsgericht nicht zuständig ist (ausführlich zur Nichtanwendbarkeit der Bereichsausnahme unter III.1.a.).
II.
Die Klage ist zulässig. Der Verwaltungsrechtsweg ist aufgrund der Verweisung des Oberlandesgerichts Celle nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG - Beschluss vom 3. Januar 2024, Az. 13 Verg 6/23 -, eröffnet.
1. Der Antrag zu 1) ist als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO zulässig.
a. Weder die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) noch die - wegen einer möglichen Erledigung in Betracht kommende - Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog) sind statthaft. Hierfür wäre ein Verwaltungsakt gemäß § 35 VwVfG erforderlich, den die Kammer im Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Beauftragungen nicht erkennt.
Eine der Beauftragung vorgelagerte Entscheidung für die Direktvergabe und gegen die Durchführung eines auch für gewerbliche Anbieter geöffneten Vergabeverfahrens mit Regelungswirkung nach außen hat es nicht gegeben. Offenbar hat es nur behördeninternen Austausch zu der Frage gegeben, wie die frei gewordenen Kapazitäten verteilt werden sollen. Einen förmlichen Akt hierzu, der bekanntgegeben worden wäre und Außenwirkung entfalten könnte, gibt es nicht.
Auch die Beauftragung der Beigeladenen zu 1. und 2. ist kein Verwaltungsakt. Insofern fehlt es schon an der Hoheitlichkeit der Maßnahme. Nicht hoheitlich - und keine Verwaltungsakte - sind alle Maßnahmen, die nicht in Ausübung besonderer, nur der Verwaltung zustehender Befugnisse erfolgen. Dazu zählen vor allem Handlungen im Rahmen konsensualer Handlungsformen wie dem öffentlich-rechtlichen Vertrag. So liegen die Dinge hier, da sich der Beklagte mit den beiden Beigeladenen konsensual auf die Auftragserweiterungen geeinigt hat.
b. Der Zulässigkeit steht die Subsidiarität der Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht entgegen. Zwar ist grundsätzlich denkbar, dass das mit dem Klageantrag zu 1) verfolgte Begehren erreicht wird, indem eine Leistungsklage darauf erhoben wird, dass der Vertrag vom 21. Dezember 1993 gekündigt wird und die Aufträge neu auszuschreiben sind. Dies würde auch die im Antrag zu 1) streitgegenständlichen Beauftragungen umfassen. Solche Anträge hat die Klägerin auch gestellt. Allerdings ergeben sich für die erkennende Kammer hieraus keine durchschlagenden Bedenken gegen die Zulässigkeit des Feststellungsantrags zu 1). Entscheidend ist, dass es sich um einen ursprünglich vor den Vergabenachprüfungsinstanzen geführten Rechtsstreit handelt und dem Rechtsstreit daher eine besondere prozessuale Situation zugrunde liegt.
Die Klägerin ging von einer nach § 135 Abs. 1 GWB unwirksamen de-facto-Vergabe aus, wodurch es für sie zwingend erscheinen musste, den auf Feststellung der Unwirksamkeit gerichteten Nachprüfungsantrag nach § 135 Abs. 2 GWB unter Beachtung der strengen Fristen zu stellen. Dieses Vorgehen ist der Klägerin angesichts der vielen Unsicherheiten über die anzuwenden Rechtsvorschriften im Bereich Rettungsdienst- und Vergaberecht nicht vorzuwerfen. Der Rechtsstreit wurde erst vom Oberlandesgericht Celle an das Verwaltungsgericht verwiesen. Insofern handelt es sich bei dem Antrag zu 1) um einen "umgewandelten" Nachprüfungsantrag vom GWB in das Verwaltungsrecht.
Aus Sicht der Kammer ist auch die Frage der Subsidiarität des Feststellungsantrags im Lichte dieser besonderen verfahrensrechtlichen Situation zu bewerten. Dies gilt umso mehr, weil die erkennende Kammer im Ergebnis davon ausgeht, dass die Vorschriften über das Nachprüfungsverfahren - entgegen der Auffassung der Vergabenachprüfungsinstanzen - anwendbar sind (dazu ausführlich unter III.1.). Der Nachprüfungsantrag nach § 135 Abs. 2 Satz GWB ist auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Vergabe gerichtet, während die verwaltungsprozessuale Feststellungsklage auf die Feststellung der bloßen Rechtswidrigkeit gerichtet ist. Unwirksamkeit und Rechtswidrigkeit sind unterschiedliche Kategorien. Hier ist es sachgerecht, den Gedanken des § 43 Abs. Satz 2 VwGO heranzuziehen, wonach die Subsidiarität der Feststellungsklage nicht gilt, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird. Diese Norm trägt dem Umstand Rechnung, dass typischerweise unsicher ist, ob ein Verwaltungsakt nichtig oder nur rechtswidrig ist, und dass es deswegen auch bei einem tatsächlich nichtigen Verwaltungsakt möglich sein muss, zunächst Anfechtungsklage zu erheben (Möstl, in BeckOK VwGO, 72. Edition, § 43, Rn. 35). Vergleichbar liegen die Dinge auch hier: Der Antrag nach § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB ist auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Vergabe gerichtet, was mit der Nichtigkeit gleichzusetzen ist und nicht mit der Rechtswidrigkeit nach § 43 Abs. 1 VwGO. Zudem besteht eine Rechtsunsicherheit darüber, ob das Vergaberecht anwendbar ist und daher überhaupt die Feststellung der Unwirksamkeit der Vergabe in Betracht kommt.
c. Auch das nach § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. Da die Vergabe mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgte, muss ein qualifiziertes Feststellungsinteresse vorliegen. Dies ist der Fall. Es liegt Wiederholungsgefahr vor, zumal sich die Beauftragung der beiden Beigeladenen durch die Beklagte seit Bestehen des Vertrags von 21. Dezember 1993 zur Überzeugung der Kammer nach demselben Muster vollzieht und - insbesondere unter dem Eindruck der Möglichkeit der Direktvergabe nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB - nicht damit zu rechnen ist, dass von dieser Beauftragungspraxis in der Zukunft bei Bedarfserweiterungen abgewichen wird.
2. Auch der Leistungsantrag zu 3) ist zulässig. Mit der Verurteilung zur Kündigung des Vertrags verlangt die Klägerin ein schlichtes Verwaltungshandeln, wofür die nicht explizit geregelte, jedoch in §§ 43 Abs. 2, 111 Satz 1, 113 Abs. 4 VwGO vorausgesetzte Leistungsklage statthaft ist.
Insbesondere ist die Klägerin analog § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Ihr wäre die Klagebefugnis nur dann abzusprechen, wenn offensichtlich und eindeutig in keiner Weise die behaupteten Rechte bestünden oder ihr nicht zustehen könnten. Dabei genügt nicht die bloße Behauptung der rechtlichen Betroffenheit. Umgekehrt sind an die Geltendmachung der Rechtsverletzung keine überhöhten Anforderungen zu stellen. Ob tatsächlich eine Rechtsverletzung vorliegt, ist erst Gegenstand der Prüfung der Begründetheit der Klage.
Eine Klagebefugnis der Klägerin ergibt sich jedenfalls aus der möglichen Verletzung von Grundrechten. Bei der gewerblichen Tätigkeit der Rettungsdienstunternehmer, die in der Regel die Durchführung von - auch qualifizierten - Krankentransporten und Notfallrettung zum Gegenstand hat, handelt es sich um einen eigenständigen, durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Beruf. Hier kann eine Rechtsverletzung nicht offensichtlich ausgeschlossen werden, da die Klägerin aufgrund der Existenz des Vertrags und der etablierten Praxis zwischen Beklagtem und den beiden Beigeladenen überhaupt keine Möglichkeit erhält, im Zuständigkeitsgebiet des Beklagten in einen Bieterwettbewerb um die vertragsgegenständlichen Aufträge einzutreten. Auch der Wortlaut des § 5 Abs. 1 Satz 1 NRettDG gibt nichts dafür her, dass die Klägerin unter keinem Gesichtspunkt als Auftragnehmerin mit diesen Dienstleistungen beauftragt werden könnte.
III.
Die Klage ist hinsichtlich des Antrags zu 1) unbegründet, aber hinsichtlich der Anträge zu 3) und 4) begründet.
1. Dem Antrag zu 1) war nicht stattzugeben.
Die Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB ist - trotz des Verweises auf diese Norm in § 5 Abs. 2 Satz 2 NRettDG - im Niedersächsischen Rettungsdienstrecht nicht anzuwenden (a.). Selbst im Fall der Anwendbarkeit der Bereichsausnahme könnte sich der Beklagte nicht mit Erfolg auf eine rechtmäßige Direktvergabe berufen (b.). Folge dessen ist die Anwendbarkeit des 4. Teils des GWB, des sogenannten Kartellvergaberechts, allerdings kann die Unwirksamkeit wegen der sechsmonatigen absoluten Ausschlussfrist hinsichtlich der Auftragserweiterungen zum 1. Juli 2022 und 1. Oktober 2022 nicht mehr festgestellt werden und die Leistungserweiterungen zum 1. Januar 2023 haben kein erneutes Vergabeverfahren mangels wesentlicher Auftragsänderung erfordert (c.).
a. Im niedersächsischen Rettungsdienstrecht findet die Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB keine Anwendung.
Insofern folgt die Kammer den grundsätzlichen Ausführungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht im Beschluss vom 12. Juni 2019 - 13 ME 164/19 -, an, wonach die gesetzlich in § 5 Abs. 1 NRettDG vorgesehene Gleichrangigkeit von gemeinnützigen und gewerblichen Anbietern der Anwendbarkeit der Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB entgegensteht:
"Nach § 5 Abs. 1 NRettDG kann der Träger des Rettungsdienstes Dritte mit der Durchführung der Leistungen des Rettungsdienstes nach § 2 Abs. 2 NRettDG und der Einrichtung und der Unterhaltung der Einrichtungen nach § 4 Abs. 4 NRettDG ganz oder teilweise beauftragen (Satz 1). Dabei ist sicherzustellen, dass der Beauftragte die ihm übertragenen Aufgabe so erfüllt, wie dies der Träger des Rettungsdienstes selbst nach diesem Gesetz oder nach den aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen tun müsste (Satz 2). Bei der Auswahl der Beauftragten können die Eignung und Bereitschaft zur Mitwirkung am Katastrophenschutz sowie zur Bewältigung von Großschadensereignissen berücksichtigt werden (Satz 3). Beauftragter Dritter kann jeder sein, der zur Durchführung der Leistungen und/oder der Unterhaltung der Einrichtungen bereit und in der Lage ist. Hierfür kommen die Hilfsorganisationen (wie ASB, DRK, JUH, MHD, DRF und DLRG) ebenso in Betracht wie sonstige Krankentransportunternehmer oder die ADAC-Luftrettung GmbH. Im Gegensatz zu Rettungsdienstgesetzen anderer Bundesländer enthält das NRettDG auch keine Rangfolge, nach der die Beauftragung zu erfolgen hat. Es fehlt insbesondere eine Privilegierung der gemeinnützigen Hilfsorganisationen gegenüber gewerblichen Anbietern (vgl. Ufer/Schwind, NRettDG, Loseblatt, Stand August 2017, § 5 Anm. 2). Eine derartige Privilegierung könnte allenfalls faktisch durch Rückgriff auf die Kriterien des § 5 Abs. 1 Satz 3 NRettDG möglich sein (sog. "Hilfsorganisationenprivileg", vgl. LT-Drs. 16/4480, S. 2, Ufer/Schwind, a.a.O., Anm. 2 u. 3.2).
Geht mithin das NRettDG von der Gleichrangigkeit gemeinnütziger und gewerblicher Anbieter aus, so kann die ausschließlich auf gemeinnützige Beauftragte zugeschnittene Ausnahmeregelung des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB keine Anwendung finden. Mit der Vergabekammer Niedersachsen (Beschl. v. 22.1.2019 - VgK-1/2019 -) und der Vergabekammer Südbayern (Beschl. v. 14.2.2017 - Z3-3-3194-1-54-12/16 -) geht auch der Senat davon aus, dass es nicht von der Zufälligkeit der Auftragserteilung abhängen kann, ob die Bereichsausnahme Anwendung findet oder nicht. Es ist daher auf die generelle Gleichrangigkeit gemeinnütziger und gewerblicher Anbieter nach dem NRettDG abzustellen. Damit ist die Anwendung der Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB auf Ausschreibungen nach niedersächsischer Rechtslage grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. zu einem vergleichbaren Fall: Bay. VGH, Beschl. v. 26.4.2019 - 12 C 19.621 -). [...]"
Diese Ausführungen betreffen zwar die von 7. März 2012 bis 23. März 2021 geltende Fassung des § 5 NRettDG, die noch über keinen Zusatz in Abs. 2 Satz 2 verfügte, wonach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB unberührt bleibe; die Bezugnahme auf die Bereichsausnahme in § 2 Abs. 2 Satz 2 NRettDG gilt erst ab dem 24. März 2021. Die vorgenannten grundsätzlichen Ausführungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht treffen aber dennoch auf den streitgegenständlichen Fall zu, auch wenn er nach der neuen Gesetzeslage zu entscheiden ist. Entscheidend ist, dass die Einfügung der "Unberührtheitsklausel" des § 5 Abs. 2 Satz 2 NRettDG keine Privilegierung gemeinnütziger Anbieter gegenüber gewerblichen bedeutet, wie sie auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht grundsätzlich fordert, damit die Bereichsausnahme zur Anwendung kommen kann. Die Gleichrangigkeit von gewerblichen und gemeinnützigen Anbietern nach § 5 Abs. 1 NRettDG bleibt durch die neue Gesetzeslage, namentlich die Einfügung der Unberührtheitsklausel des Abs. 2 Satz 2, unangetastet. Insofern schließt sich die Kammer den entsprechenden, im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Bedenken des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes des Niedersächsischen Landtags an (Niedersächsischer Landtag, Drucksache 18/8749, Ausführungen zu Nummer 1 (§ 5 Abs. 2)).
Zunächst ist der Wortlaut des § 5 Abs. 2 Satz NRettDG heranzuziehen. Die Formulierung § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB "bleibt unberührt" kann verschiedene Bedeutungen haben, vgl. Bundesministerium der Justiz, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 4. Auflage 2024, S. 159:
"Die Formulierungen "§ x bleibt unberührt" und "vorbehaltlich des § y" signalisieren ein bestimmtes Verhältnis zwischen den per Verweisung miteinander verknüpften Regelungen. Allerdings lässt sich dieses juristische Verhältnis der Regelungen - besonders für Laien - nicht ohne Weiteres erkennen, z. B. ob die Verweisungsnorm gegenüber der Bezugsnorm Vorrang hat (oder umgekehrt), ob beide Regelungen nebeneinander angewendet werden können oder ob lediglich deklaratorisch über etwas informiert wird. Das vom Normgeber beabsichtigte Verhältnis zwischen den in Bezug gesetzten Regelungen soll jedoch eindeutig ausgedrückt werden. Zu empfehlen ist folgender fachsprachlicher Gebrauch:
Die Wendung "bleibt unberührt" soll nur verwendet werden, wenn Regelungen nebeneinander anwendbar sein können."
Der Wortlaut spricht - den Ausführungen des Bundesministeriums der Justiz folgend - für ein Nebeneinander von § 5 Abs. 1 NRettDG und § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB und nicht dafür, dass § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB die Regelungen des § 5 Abs. 1 NRettDG dergestalt beeinflussen soll, dass die Gleichrangigkeit gemeinnütziger und gewerblicher Anbieter aufgehoben werden soll.
Gegen die Privilegierung gemeinnütziger Anbieter spricht die Systematik des Gesetzes: Die Gleichrangigkeit von gemeinnützigen und gewerblichen Anbietern ist in § 5 Abs. 1 NRettDG geregelt, indem das Gesetz nicht zwischen diesen Gruppen differenziert, sondern pauschal von "Dritten" spricht. In diesem Absatz wird der potentielle Bewerberkreis festgelegt, also die Frage, "ob" man als Auftragnehmer in Betracht kommt. Abs. 2 - der in Satz 2 den Verweis auf die Bereichsausnahme enthält - regelt hingegen die Frage des "Wie", nämlich die Beauftragung; diese Frage ist der Regelung, welche Bieter überhaupt in Betracht kommen, logisch nachgelagert. Systematisch liegt die Annahme fern, dass eine Regelung zur Beauftragung in Abs. 2 den in Abs. 1 definierten Bewerberkreis betreffen soll. Dies gilt umso mehr, als dass § 5 Abs. 1 mit Satz 3 NRettDG eine Regelung enthält, wonach bestimmte Eignungen und Bereitschaften bei der Auswahl des Dritten berücksichtigt werden können. Hätte die Eigenschaft der Gemeinnützigkeit eines Anbieters bevorzugt werden sollen, wäre eine Regelung dieses Auswahlkriteriums in § 5 Abs. 1 NRettDG erforderlich gewesen. Tatsächlich spricht aber auch das geänderte Gesetz nicht von einer Privilegierung gemeinnütziger Anbieter.
Zuletzt spricht die Gesetzesbegründung zur Einfügung des § 5 Abs. 2 Satz 2 NRettDG, wonach der Auftraggeber lediglich eine Wahlmöglichkeit haben soll, gegen eine Privilegierung im Sinne der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts. In der Gesetzesbegründung heißt es:
"Das NRettDG soll zeitnah ergänzt werden, um vor allem für die kommunalen Träger des Rettungsdienstgesetzes möglichst eine größere Rechtssicherheit bei der Beauftragung von Hilfsorganisationen für die Erbringung von Leistungen des Rettungsdienstes zu erreichen. Dazu bedarf es einer ausdrücklichen Regelung in § 5 NRettDG als Grundlage für die Beauftragung von Dritten, dass die sowohl europarechtlich als auch national in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB verankerte Bereichsausnahme zur Anwendung durch die Kommunen gelangen kann." (Niedersächsischer Landtag, Drucksache 18/8095, unter A.I.)
sowie
"Nachdem nunmehr das OVG Lüneburg in einem Beschluss vom 12.06.2019 - 13 ME 164/19 - Obiter Dictum - ausgeführt hat, dass es dem NRettDG an einer Privilegierung der gemeinnützigen Hilfsorganisationen gegenüber gewerblichen Anbietern fehle, sehen sich die regierungstragenden Fraktionen veranlasst, hier Rechtssicherheit für die Träger des Rettungsdienstes herzustellen. Durch die Ergänzung wird nunmehr den Trägern im Falle der ausschließlichen Beauftragung von Hilfsorganisationen mit Rettungsdienstleistungen die Möglichkeit eröffnet, von der Bereichsausnahme Gebrauch zu machen." (Niedersächsischer Landtag, Drucksache 18/8095, B. zu Artikel 1, Zu Nummer 1 (§ 5 Abs. 2 Satz 2))
Durch eine Wahlmöglichkeit - wohlgemerkt auf Ebene des "Wie" - wird die Gleichrangigkeit, die den Bewerberkreis betrifft, durch den Gesetzgeber nicht aufgehoben und die Privilegierung gemeinnütziger Anbieter nicht vorgegeben. Mit den Ausführungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschluss vom 12. Juni 2019 - 13 ME 164/19 -) bedarf es einer Privilegierung der gemeinnützigen Anbieter, damit § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB im Rettungsdienstrecht Anwendung finden kann. Umgekehrt bedeutet dies: Die Einfügung von § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB selbst in § 5 Abs. 2 Satz 2 NRettDG kann nicht die erforderliche Privilegierung sein, setzt die Anwendbarkeit doch eine zuvor erfolgte Privilegierung gemeinnütziger gegenüber gewerblicher Anbieter voraus.
Eine solche Privilegierung gemeinnütziger Anbieter im Rettungsdienstrecht ist zur Überzeugung der erkennenden Kammer notwendig, damit die Bereichsausnahme zur Anwendung kommen kann. § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB ist eine Norm, die ausschließlich auf gemeinnützige Anbieter Anwendung findet. Hingegen eröffnet § 5 Abs. 1 NRettDG dem Auftraggeber grundsätzlich die Möglichkeit, auch gewerbliche Anbieter zu beteiligen. Insofern macht sich die erkennende Kammer auch die Erwägungen des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem Beschluss vom 26. April 2019 (- 12 C 19.621 -) zu eigen, indem es in einem vergleichbaren Fall die Bereichsausnahme für nicht anwendbar hält, weil das bayrische Rettungsdienstrecht private Rettungsdienstleister grundsätzlich zulässt:
"[...] Die landesrechtliche Regelung des Art. 13 BayRDG sieht hingegen ausdrücklich vor, dass auch private Unternehmen am Wettbewerb beteiligt werden können. Dies schließt bereits deshalb die Annahme einer Bereichsausnahme nach § 107 Abs. 1 Ziff. 4 GWB aus, weil diese Vorschrift das Erbringen der betreffenden Dienstleistungen allein durch gemeinnützige Organisationen voraussetzt. Mit den spezifisch landesrechtlichen Vorgaben in Bayern, die ausdrücklich auch private Anbieter zulassen, befasst sich die EuGH-Entscheidung nicht. Zu Recht weist der Beklagtenbevollmächtigte darauf hin, dass sich vorliegend sogar zwei private Hilfsunternehmen um die Erteilung der Konzession bemühen, sodass schon deshalb die Ausnahme des § 107 Abs. 1 Ziff. 4 GWB nicht zum Tragen kommen kann."
b. Auch wenn die Bereichsausnahme hier anwendbar wäre, könnte sich der Beklagte nicht mit Erfolg auf eine rechtmäßige Direktvergabe nach Maßgabe von § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB berufen.
(1) Der Beklagte wäre im Fall der Anwendbarkeit der Bereichsausnahme beweisbelastet im Hinblick auf die Entscheidung, die Rettungsdienstleistungen unter Dispensierung des 4. Teils des GWB direkt vergeben zu haben. Der Beklagte ist beweisfällig geblieben.
Aus der bloßen Nichteinhaltung der Vorgaben des 4. Teils des GWB kann noch nicht geschlossen werden, dass ein Verfahren gewählt wurde, das diese Vorgaben auch rechtmäßig dispensiert. Dies gilt bereits aufgrund des Umstands, dass das Niedersächsische Rettungsdienstrecht die Berücksichtigung gewerblicher Anbieter grundsätzlich ermöglicht.
Aus dem Verwaltungsvorgang ergibt sich nicht, dass sich der Beklagte im Verwaltungsverfahren für eine Direktvergabe unter den Voraussetzungen des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB entschieden hätte. Im Gegenteil nimmt der Beklagte im Verwaltungsverfahren, wie auch im Nachprüfungsverfahren und im hiesigen Verwaltungsgerichtsverfahren, mehrfach Bezug auf den zwischen dem Beklagten und den Beigeladenen geschlossenen Vertrag vom 21. Dezember 1993, der um die streitgegenständlichen Aufträge "aufgestockt" worden sei. Wird ein bestehender Vertrag in Bezug genommen, ist davon auszugehen, dass auch das damals gewählte Vergabemodell fortgesetzt wird. Um eine Direktvergabe nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB kann es sich im Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 21. Dezember 1993 nicht gehandelt haben: Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses und der damit verbundenen Beauftragung bestand die Möglichkeit der Direktvergabe nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB noch nicht. Die Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 dient der Umsetzung von Art. 10 Abs. 8 lit. g der RL 2012/23/EU, Art. 10 lit. h der RL 2014/24/EU sowie Art. 21 lit. h der RL 2014/25/EU (zur Historie Friton/Wolf, in: BeckOK Vergaberecht, Gabriel/Mertens/Stein/Wolf, 34. Edition, § 107 GWB, Rn. 26, Stand: 1. Februar 2023). Sie ist erst mit dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz von 2016 aufgenommen worden (siehe auch Gurlit, in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Aufl. 2022, § 107 Abs. 1 GWB, Rn. 3).
Vielmehr lag zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine Konstellation vor, die dem Submissionsmodell nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 NRettDG in der aktuellen Fassung entspricht, denn der Träger des Rettungsdienstes hatte nach § 5 Abs. 1 NRettDG i.d.F.v. 29. Januar 1992 bei der Beauftragung Dritter zwischen gewerblichen Anbietern und Privatunternehmen ermessensfehlerfrei zu entscheiden, vgl. hierzu die Ausführungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 15. Juni 1994 (-7 K 1713/93 -):
"Dem kommunalen Träger bleibt danach die Entscheidung überlassen, ob er den Rettungsdienst ganz oder teilweise selbst betreiben oder ob er sich bei der Erfüllung dieser Aufgabe auch Dritter - seien es gemeinnützige Hilfsorganisationen wie das DRK, der ASB, die JUH, der MHD oder Privatunternehmer wie der Antragsteller - bedienen will. Entscheidet sich der kommunale Träger - so wie hier der Antragsgegner im angegriffenen Bedarfsplan - für die Beauftragung Dritter, so räumt ihm das Gesetz ein weites Auswahlermessen ein, wobei es ihm auferlegt, die normierten vier Auswahlkriterien "Vielfalt der Anbieter", "gewachsene Strukturen", "Leistungsfähigkeit" und "Wirtschaftlichkeit" bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen. [...]"
(2) Gegen eine rechtmäßigerweise durchgeführte Direktvergabe spricht auch die in § 5 Abs. 2 Satz 1 NRettDG statuierte Einheitlichkeit des Rettungsdienstes.
Danach erfolgt die Beauftragung innerhalb eines Rettungsdienstbereiches einheitlich entweder durch die Erteilung eines Dienstleistungsauftrags (Submissionsmodell) oder durch die Erteilung einer Dienstleistungskonzession (Konzessionsmodell). Daraus wird gefolgert, dass gleiche Teilleistungen des Rettungsdienstes somit nur einheitlich im Submissionsmodell (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 NRettDG) oder im Konzessionsmodell (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 NRettDG) vergeben werden können (Freese, in Schwind: Niedersächsisches Rettungsdienstrecht, § 5 Erl. 4.1, Stand: September 2024). Dasselbe gilt nach Überzeugung der Kammer nach Einführung des § 5 Abs. 2 Satz 2 NRettDG dann, wenn der Auftrag im Wege der Direktvergabe nach § 107 Nr. 4 GWB vergeben wird. Hierfür spricht die Gesetzesformulierung, wonach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB "unberührt" bleibt. Wie ausgeführt, wird diese Formulierung verwendet, um auszudrücken, dass Regelungen nebeneinander anwendbar sein können, siehe grundsätzlich zur Formulierung auch Bundesministerium der Justiz, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 4. Auflage 2024, S. 159 sowie die obigen Ausführungen. Demnach ist die Direktvergabe nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB - sofern überhaupt anwendbar, was die Kammer hier nicht für gegeben hält - ein "dritter Weg" neben der Beauftragung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 NRettDG, für den somit auch der dargestellte Grundsatz der Einheitlichkeit gilt (Freese, in Schwind: Niedersächsisches Rettungsdienstrecht, § 5 Erl. 4.1, Stand: September 2024).
Wenn die Bereichsausnahme überhaupt anwendbar wäre, müsste sich der Auftraggeber daher einheitlich entscheiden, ob die Beauftragung mit gleichen Teilleistungen im Rettungsdienstbereich im Submissionsmodell unter Anwendung des 4. Teil des GWB oder im Wege der Direktvergabe ohne Anwendung des 4. Teils des GWB erfolgen soll (Freese, in Schwind: Niedersächsisches Rettungsdienstrecht, § 5 Erl. 4.3.2.1, Stand: September 2024). Wie aufgezeigt, erfolgte die ursprüngliche Beauftragung der Beigeladenen im Bereich Notfallrettung und qualifizierten Krankentransport im Rahmen des Submissionsmodells und nicht im Wege der Direktvergabe unter Anwendung der Bereichsausnahme. Auch die von dem Beklagten vorgenommenen "Aufstockungen" vor Einführung der Bereichsausnahme in das deutsche Recht erfolgten demnach auf dieser Grundlage, d.h. auf Grundlage es Vertrags vom 21. Dezember 1993, der unstreitig weiterhin für die vorgenannten Leistungen maßgeblich ist. Dies lässt nach dargestelltem Maßstab keinen Raum für eine Direktvergabe neuer Aufträge in den Teilbereichen der Notfallrettung und des qualifizierten Krankentransports.
c. Da die Beauftragung der Beigeladenen nicht im Wege der Direktvergabe nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB erfolgte, treten die Rechtsfolgen dieser Bereichsausnahme nicht ein, mit der Folge, dass 4. Teil des GWB Anwendung findet.
(1) Soweit sich die Klägerin gegen die Leistungserweiterungen im Bereich KTW-Vorhaltung zum 1. Juli 2022 und zum 1. Oktober 2022 wendet, ist mit der Vergabekammer - Beschluss vom 13. Juli 2023, Az. VgK-14/2023 - anzunehmen, dass der Nachprüfungsantrag vom 10. Mai 2023 erst nach Ablauf der sechsmonatigen Frist für die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer de-facto-Vergabe gemäß § 135 Abs. 2 Satz GWB gestellt wurde, sodass eine Unwirksamkeit dieser Beauftragungen nicht mehr festgestellt werden kann. Die diesbezüglichen, nachfolgend zitierten Ausführungen der Vergabekammer macht sich die hier erkennende Kammer zu eigen (S. 13 f. des Beschlusses, Bl. 296 f. der Vergabekammerakte):
"Selbst wenn man aber mit der Antragstellern die Auffassung vertreten würde, dass der Rechtsweg zur Vergabekammer gemäß §§ 155 ff. GWB eröffnet ist, ist die streitbefangene Direktvergabe von zusätzlichen Krankentransportfahrten bereits im Juli und zum 01.10.2022 erfolgt, so dass der vorliegende Nachprüfungsantrag erst nach Ablauf der sechsmonatigen Frist für die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer de-facto-Vergabe gemäß § 135 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz gestellt wurde.
Gemäß § 135 Abs. 1 GWB ist ein öffentlicher Auftrag von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber gegen § 134 GWB verstoßen hat oder den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist, und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt worden ist. Gemäß § 135 Abs. 2 GWB kann die Unwirksamkeit nach Abs. 1 jedoch nur festgestellt werden, wenn sie im Nachprüfungsverfahren innerhalb von 30 Kalendertagen nach der Information der betroffenen Bieter und Bewerber durch den öffentlichen Auftraggeber über den Abschluss des Vertrags, jedoch nicht später als 6 Monate nach Vertragsschluss geltend gemacht worden ist.
Vorliegend sind die streitgegenständlichen Beauftragungen - wie unter I.1. erörtert und durch den Antragsgegner durch die Vorlage der entsprechenden E-Mail-Korrespondenz mit den Kostenträgern und den Beigeladenen belegt - im Wege einer de-facto-Vergabe zum 01.07.2022 und zum 01.10.2022 erfolgt. Der vorliegende Nachprüfungsantrag ist erst am 10.05.2023 und damit mehr als 6 Monate nach der Beauftragung und der Übernahme der zusätzlichen Dienstleistungen im KTW-Bereich durch die Beigeladenen bei der Vergabekammer eingegangen.
Bei der Sechsmonatsfrist des § 135 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz GWB handelt es sich um eine absolute Ausschlussfrist (OLG Schleswig, Beschl. v. 04.11.2014 - 1 Verg 1/14; VK Bund, Beschl vom 19.02.2021 - VK 1-120/20). Da es sich bei allen 3 Fristen des § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB um formelle Ausschlussfristen handelt, ist weder eine Rechtsbehelfsbelehrung erforderlich noch ist erheblich, ob das Unternehmen, dass die Unwirksamkeit eines Vertrages geltend macht, die Rechtsfolgen bei Überschreitung der Frist kannte (VK Bund, Beschl. v. 19.02.2021 - VK 1-120/20). Ist nur eine dieser Fristen abgelaufen, ist der Vertrag wirksam (Gnittke/Hattig, in: Müller-Wrede, GWB, 2. Aufl., § 135 GWB, Rn. 63; Stumpf in: Willenbruch/Wieddekind/Hübner, Vergaberecht, 5. Aufl. § 135 GWB, Rn. 18).
Der Rechtswirksamkeit der streitgegenständlichen Beauftragungen und der Verfristung des Nachprüfungsantrags gemäß § 135 Abs. 2 GWB steht entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch nicht die Formvorschrift des § 57 VwVfG entgegen. Danach ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag schriftlich zu schließen, soweit nicht durch Rechtsvorschrift eine andere Form vorgeschrieben ist. Vorliegend ist ausweislich der vom Antragsgegner vorgelegten E-Mail-Korrespondenz die Beauftragung der Beigeladenen mit den streitgegenständlichen zusätzlichen Leistungen im KTW-Bereich zunächst telefonisch und dann per E-Mail und damit nur in Textform erfolgt. Dies führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Auftragserteilung. Der 4. Teil des GWB enthält keine Formvorschrift für die Erteilung des Zuschlags. Nach der herrschenden und zutreffenden Auffassung stellt der Zuschlag nichts anderes als die fristgerechte Annahmeerklärung nach allgemeinem Vertragsrecht (§§ 145 ff. BGB) dar (OLG Frankfurt, Beschl. v. 20.09.2013 - 11 Verg 12/13; OLG Naumburg, Beschl. v. 16.10.2007 v. 16.10.2007 - 1 Verg 6/07; VK Sachsen, Beschl. v. 10.09.2015 - 1/SVK/022-15), die als empfangsbedürftige Willenserklärung dem Bieter zugehen muss. Unter dem Begriff des Zuschlags ist im Ergebnis jeder zivilrechtlich wirksame Vertragsschluss zu verstehen, mit dem ein öffentlicher Auftrag oder eine Konzession vergeben wird, selbst wenn dies unter Verstoß gegen eine Vergabebestimmung geschehen sollte, sofern dieser Verstoß nicht zur Nichtigkeit führt (Kadenbach in: Müller-Wrede, GWB, 2. Aufl., § 168 GWB, Rn. 44, m.w.N.). Mit dem Zuschlag kommt der Vertrag zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem Bieter zustande, da es sich bei dem Zuschlag um die Annahme des Vertragsangebots des Bieters nach § 145 BGB durch den Auftraggeber gemäß §§ 148 ff. BGB handelt. Damit besteht im deutschen Recht die Besonderheit, dass Zuschlagserteilung und Vertragsschluss zusammenfallen. Einer besonderen Vertragsurkunde bedarf es notwendigerweise nicht mehr (vgl. Lausen in Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, 3. Aufl., § 58 VgV, Rn. 11).
Aufgrund des Ablaufs der 6-monatlichen Ausschlussfrist des § 135 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz GWB vor Stellung des Nachprüfungsantrags kann eine Unwirksamkeit der verfahrensgegenständlichen Beauftragungen nicht mehr festgestellt werden. Die Beauftragungen sind damit wirksam. Ein wirksam erteilter Zuschlag kann gemäß § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB zudem nicht aufgehoben werden.
Der Nachprüfungsantrag ist somit auch aufgrund der Verfristung unzulässig."
Damit ist die Prüfung der Wirksamkeit der Vergabe dieser Aufträge der erkennenden Kammer entzogen.
(2) In Bezug auf die Leistungserweiterungen zum 1. Januar 2023 im Bereich KTW von 452 auf 520 und im Bereich RTW von 1.460 auf 1.524 Wochenstunden kann dahinstehen, zu welchem Zeitpunkt der Vertrag geschlossen wurde und wann somit die Sechs-Monatige-Ausschlussfrist des § 135 Abs. 2 GWB beginnt. Es liegt in Bezug auf diese Erweiterungen bereits keine wesentliche Änderung eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit vor, die ein neues Vergabeverfahren erfordern würde. Grundsätzlich bestimmt sich die Frage, ob Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit ein Vergabeverfahren erfordern, nach § 132 GWB. Allerdings gibt es im Bereich der sozialen Dienstleistungen modifizierende Sonderregeln. Nach § 130 Abs. 2 GWB ist die Änderung eines öffentlichen Auftrags über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie (EU) 2014/24 ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig, wenn der Wert der Änderung nicht mehr als 20 Prozent des ursprünglichen Auftragswertes beträgt. Diese Norm kommt hier zur Anwendung, weil der hier streitgegenständliche "Regel-Rettungsdienst" im Sinne von § 2 Abs. 2 NRettDG eine soziale Dienstleistung bzw. besondere Dienstleistung im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie (EU) 2014/24 ist (s. auch Freese, in Schwind: Niedersächsisches Rettungsdienstrecht, § 5 Erl. 4.3.3.2, Stand: September 2024). In der für die Anwendung maßgeblichen Aufzählung des Anhangs XIV dieser Richtlinie ist der Common Procurement Vocabulary (CPV) Code-Nr. 75272000-7 "Rettungsdienste" enthalten.
Der von § 130 Abs. 2 GWB verlangte Wert der Änderung von mehr als 20% des ursprünglichen Auftragswerts wird nicht erreicht. Zum 1. Januar 2023 wurden die KTW-Vorhaltung von 452 auf 520 und die Rettungsdienstvorhaltung von 1.460 auf 1.524 angehoben. Die Erhöhung im Bereich KTW beträgt 68 Wochenstunden (520 - 452 = 68), was einer Erhöhung um 15,04% entspricht. Die Erhöhung im Bereich RTW beträgt 64 Wochenstunden (1.524 - 1.460 = 64), was einer Erhöhung um 4,38 % entspricht.
Auf die weiteren Voraussetzungen des durch § 130 Abs. 2 GWB modifizierten § 132 Abs. 3 GWB kommt es bei der Frage der wesentlichen Auftragsänderung, die ein neues Vergabeverfahren erforderlich macht, nicht an. Dass die weiteren Voraussetzungen des § 132 Abs. 3 GWB nicht gelten, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 130 Abs. 2 GWB. Nach dem Wortlaut des § 130 Abs. 2 GWB bezieht sich die abweichende Regelung auf den vollständigen Absatz 3 des § 132 GWB und nicht nur auf § 132 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GWB (Gerner, NZS 2016, 492, 495).
2. Der Antrag zu 3) ist begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Kündigung der "Vereinbarung über die Übertragung der Durchführung des Rettungsdienstes und des qualifizierten Krankentransports im Landkreis ###" zwischen dem Beklagten und den Beigeladenen zu 1. und zu 2.
Nach § 9 Abs. 3 dieser Vereinbarung kann der Beklagte unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Jahr jeweils zum Ende eines Kalenderjahres die Vereinbarung schriftlich kündigen.
Aus dem Kündigungsrecht selbst ergibt sich für die Klägerin als Dritte noch kein Anspruch auf Kündigung, die Kündigung ist lediglich ein Instrument für den Auftraggeber, einen Auftrag vergaberechtskonform zu beenden (vgl. Ausführungen zum Kündigungsrecht in § 133 GWB Mertens/Götze, in: Gabriel/Mertens/Stein/Wolf, BeckOK Vergaberecht, § 133 GWB, 34. Edition, Rn. 133 GWB, Stand: 1. August 2024). Erforderlich hierfür ist, etwa infolge einer ausnahmsweisen Ermessensreduzierung auf Null, ein materieller Anspruch.
Ein solcher besteht mit dem öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch der Klägerin, der in § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO nur vorausgesetzt und auch sonst nicht ausdrücklich geregelt ist, aber aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung oder unmittelbar aus den Grundrechten folgt und jedenfalls gewohnheitsrechtlich anerkannt ist. Für einen solchen Anspruch muss ein hoheitlicher Eingriff in ein subjektives Recht vorliegen, der zu einem andauernden rechtswidrigen Zustand führt. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
a. Der Vertrag vom 21. Dezember 1993 verletzt die Klägerin in ihrer Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG. Diese Verletzung dauert auch fort, da der Vertrag ungekündigt ist und unbefristet gilt.
(1) Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ist berührt. Die gewerbliche Erbringung von Rettungsdienstleistungen stellt einen Beruf im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG dar (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8. Juni 2010, 1 BvR 2011/07 und 1 BvR 2959/07; VerfGH München, Entsch. v. 24. Mai 2012, Vf-VII-10).
Die Entscheidung des Beklagten, die Dienstleistungen in den Bereichen qualifizierter Krankentransport und Notfallrettung auf Grundlage eines Vertrags von 1993 unbegrenzt und einschließlich aller Erweiterungen an die beiden Beigeladenen zu vergeben, begründet einen Eingriff in die Berufsfreiheit der Klägerin. Art. 12 Abs. 1 GG umfasst zwar keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb und auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten, das Grundrecht sichert aber die Teilhabe am Wettbewerb nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen (BVerfG, Beschl. v. 13. Juni 2006, 1 BvR 1160/03, m.w.N.). Zu den Funktionsbedingungen gehört nach Niedersächsischem Rettungsdienstrecht gerade nicht die Möglichkeit der Direktvergabe an gemeinnützige Anbieter nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB, da diese Bereichsausnahme keine Anwendung findet (dazu ausführlich unter III.1.). Vielmehr ist es Funktionsbedingung, Aufträge auszuschreiben und einen Bieterwettstreit zu ermöglichen, so sie - woran hier keine Zweifel mit Blick auf die vertragsgegenständlichen Leistungen und auch vereinzelte, mögliche Bedarfserweiterungen in der Zukunft bestehen - den erforderlichen Schwellenwert für ein förmliches Vergabeverfahren nach dem 4. Teil des GWB überschreiten.
(2) Die Versagung der Möglichkeit, sich überhaupt in einen Bieterwettstreit zu begeben, greift in dieses Teilhaberecht ein (so auch VG Hamburg, Urteil vom 26. Mai 2021 - 14 K 3698/20 -). So liegen die Dinge hier, worin eine schwere Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen der Klägerin zu sehen ist. Nach dem Eindruck der Kammer, den sie auch in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, werden bei Fortexistenz dieses Vertrags auch mittel- und langfristig keine Ausschreibungen der vertragsgegenständlichen Leistungen oder in Zukunft auftretender zusätzlicher Bedarfe in der Notfallrettung und im qualifizierten Krankentransport erfolgen, womit die Klägerin, räumte man ihr keinen Anspruch auf Kündigung des Vertrags ein, weiterhin vom diesbezüglichen Bieterwettstreit ausgeschlossen bliebe.
Für diese Annahme spricht, dass das bisherige Modell ohne Ausschreibung seit 1993 und damit seit über 30 Jahren genutzt wird und die Beklagte mit den Beigeladenen die im Antrag zu 1) streitgegenständlichen Erweiterungen mit einer durch die E-Mail-Korrespondenz belegten Selbstverständlichkeit vereinbart hat. Die letztgenannte Vereinbarung erfolgte ohne ersichtliche Prüfung, ob die gestuften Aufstockungen wesentliche Auftragsänderungen sein könnten, die ein neues Vergabeverfahren erfordern würden, ohne Überlegungen zu einer Befristung und trotz hohem, unbegrenztem Auftragsvolumen unter Verzicht auf eine förmliche Dokumentation, die Kontrollgremien, Konkurrenten und Nachprüfungsinstanzen den Nachvollzug ermöglichen würde. Die Kammer hat den Eindruck gewonnen, dass dies das standardmäßige Vorgehen der Beteiligten bei regelmäßig anstehenden Erweiterungen des Rettungsdienstbedarfs ist. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass eigentlicher Anlass der Verhandlungen zwischen dem Beklagten, den Kostenträgern und den Beigeladenen die Aufträge waren, die durch Rückgabe der Konzession freigeworden sind. Dabei blieb es jedoch nicht, unmittelbar verhandlungsgegenständlich wurde auch die auf Grundlage eines Gutachtenentwurfs zeitnah anstehende Erhöhung der Wochenstunden in den Bereichen Notfallrettung und qualifizierter Krankentransport. Diese standen mit dem Widerruf der Konzession in keinem Zusammenhang, sondern wurden - vermutlich aus Praktikabilitätsgründen - direkt "mitverhandelt". Siehe zum Ganzen die E-Mail vom 28. Juni 2022 des damaligen Leiter Ordnung des Beklagten an die zuständigen Personen der AOK und des Verbands der Ersatzkassen e.V.:
"Sehr geehrte Herren,
ich hatte Sie, Herr ###, der bereits am letzten Mittwoch darüber informiert, dass die Firma ### ihren Dienstbetrieb mit Ablauf des 30.06.2022 einstellen wird. Das hat zur Folge, dass wir ab Freitag täglich ca. 14 Fahrten im KTP-Bereich übernehmen müssen, was in Anbetracht der ohnehin mehr als angespannten Situation im RDB ohne zusätzliche Kapazität nicht möglich sein wird.
Glücklicherweise hat ### uns bereits am Tag der Ankündigung die detaillierten Einsatzdaten für den Zeitraum 01.04.2021 bis 31.03.2022 zur Verfügung gestellt, sodass Herr Dr. ### (### GmbH) bereits am Wochenende mit den Zahlen rechnen konnte. Da die Erstellung des Soll-Konzeptes ohnehin unmittelbar bevorstand, konnte mir Herr Dr. ### gestern Nachmittag das aus seiner Sicht fertige Soll-Konzept im Entwurf übersenden. Dieses sieht im Ergebnis eine Aufstockung der Vorhaltung im Bereich Notfallrettung von 1.460 auf 1.572 Wochenstunden und im Bereich Krankentransport von 285 auf 520 Wochenstunden vor. Die Steigerung bei der KTP-Vorhaltung ist deshalb so immens, weil die Erhöhung aus dem letzten Gutachten von 285 auf 402 Wochenstunden gar nicht umgesetzt wurde. Ohne den Wegfall der Kapazitäten von ### sähe das Soll-Konzept eine KTP-Vorhaltung von 452 Wochenstunden vor. Ich verweise insoweit auf die beigefügten Berechnungen von Herrn Dr. ###. [...]"
(3) Die Klägerin wird nach Auffassung der Kammer durch Existenz und Umsetzungspraxis des Vertrags auf unbestimmte Zeit vom Bieterwettbewerb im Betätigungsfeld Notfallrettung und qualifizierter Krankentransport ausgeschlossen. Damit hat der Beklagte hinsichtlich dieser Betätigungsfelder auf exekutiver Ebene eine Regelung getroffen, die in ihrer Wirkung vergleichbar mit einer objektiven Berufszugangsvoraussetzung auf gesetzlicher Ebene ist.
Dem steht nicht entgegen, dass es der Klägerin offenstehen könnte, im Bereich des einfachen Krankentransports tätig zu sein und ihr nur die Beteiligung im Bereich Notfallrettung und qualifizierter Krankentransport verwehrt wird. Bei den Betätigungsfeldern Notfallrettung und qualifizierter Krankentransport handelt es sich nicht nur um einen Teilbereich des Berufs des Rettungsdienstunternehmers, sondern um dessen Kernbereich, der eine besondere Expertise und Ausstattung verlangt und eine große wirtschaftliche Bedeutung hat. Die herausgehobene Stellung dieser Bereiche belegt schon der Umstand, dass Notfallrettung und Notfalltransport sowie der qualifizierte Krankentransport dem Sicherstellungsauftrag des Rettungsdienstes nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 NRettDG unterfallen.
Objektive Berufszugangsregelungen können nur Bestand haben, wenn die Regelung den Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes bezweckt und die Gefahren, von denen das Gemeinschaftsgut bedroht ist, schwer sowie nachweisbar oder wenigstens höchstwahrscheinlich sind und die angegriffene Regelung zur Abwehr dieser Gefahren unentbehrlich ist. Dabei kommt der Stelle, von der die Regelung erlassen wird, ein Einschätzungs- und Prognosespielraum im Hinblick auf die Auswirkungen der Regelung und auf die Bedrohungslage für das Gemeinschaftsgut zu (zum Maßstab statt vieler VG Hamburg, Urteil vom 26. Mai 2021 - 14 K 3698/20 -, unter Bezugnahme auf VerfGH München, Entsch. v. 24. Mai2012, Vf-VII-10, m.w.N.).
Dieser strenge Rechtfertigungsmaßstab wird nicht erfüllt, womit das Interesse der Klägerin überwiegt. Das überragende Gemeinschaftsgut ist die Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes, die eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung sicherstellt (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 NRettDG). Dem steht das wirtschaftliche Interesse der Klägerin gegenüber. Es ist zur Überzeugung der Kammer weder nachgewiesen noch höchstwahrscheinlich, dass die unbefristete Vergabe von Aufträgen an die beiden Beigeladenen zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes unentbehrlich ist. Oder umgekehrt ausgedrückt, dass keine Vergabeverfahren mehr erforderlich seien, weil die grundsätzliche Beteiligung anderer Anbieter die Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes nachweisbar oder höchstwahrscheinlich gefährde. Dies gilt umso mehr, als dass auch eine Vergabe nur von Teilen der streitgegenständlichen Aufträge an andere Anbieter als die Beigeladenen denkbar ist, es also keineswegs darum geht, dass ein neuer Anbieter vollständig in der Lage sein müsste, die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.
Zu betonen ist zuletzt, dass Aspekte der Funktionsfähigkeit - oder sonstige Umstände, die für die beiden gemeinnützigen und gegen gewerbliche Anbieter sprechen - bei der Auswahl der Bieter und auch bei der Laufzeit der zu vergebenden Aufträge berücksichtigt werden können. Insofern gibt es noch zusätzlich Mechanismen im Verfahren, die berechtigte Interessen schützen, die aber nicht jegliche Beteiligungsmöglichkeiten gewerblicher Anbieter inklusive der Klägerin auf unabsehbare Zeit ausschließen.
b. Durch die Existenz des unbefristeten Vertrags wird die Klägerin somit in ihrer Berufsfreiheit verletzt. Diesen rechtswidrigen Zustand hat der Beklagte als Anspruchsgegner zu beseitigen. Diese Beseitigung hat durch Kündigung des Vertrags gemäß § 9 Abs. 3 des Vertrags zu erfolgen. Berechtigte Interessen der Vertragsparteien stehen dem nicht entgegen, denn die Parteien haben ein ordentliches Kündigungsrecht vereinbart, das nicht vom Vorliegen besonderer Gründe abhängig ist. Der Umstand, dass nach § 9 Abs. 3 des Vertrags eine Kündigung erst zum Ende eines Kalenderjahres möglich ist und eine Kündigungsfrist von einem Jahr gilt, trägt berechtigten Interessen der Vertragsparteien Rechnung, namentlich dem Grundsatz "pacta sunt servanda" und bietet dem Beklagten noch Zeit, ein Vergabeverfahren vorzubereiten und durchzuführen.
3. Der Antrag zu 4) ist ebenfalls begründet.
Aus den unter III.2. angestellten Erwägungen, die zu einem Kündigungsanspruch führen, folgt, dass der Beklagte bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht ein Auswahlverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des erkennenden Gerichts durchführen muss.
IV.
Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Klägerin und des Beklagten beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative VwGO. Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Beigeladenen folgt aus § 162 Abs. 3 VwGO. Es sind keine Gründe ersichtlich, die es billig erscheinen ließen, die Kosten der Beigeladenen der unterliegenden Partei oder der Staatskasse aufzuerlegen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 ZPO. Die Sicherheitsleistung ist nach Satz 1 der Höhe nach zu bestimmen. Ausgangspunkt der Bezifferung ist im Regelfall der Wert der aufgrund § 709 ZPO vorläufig vollstreckbaren Hauptforderung (Ulrici, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 55. Edition, § 709, Rn. 5, Stand: 1. Dezember 2024), also der Kündigung des Vertrags zwischen dem Beklagten und den beiden Beigeladenen. Dieser Wert wird unter Berücksichtigung der Angaben der Parteien zur wirtschaftlichen Bedeutung von Rettungsdienstleistungen auf 12 Mio. EUR geschätzt.
V.
Die Kammer hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 124a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen. Die Frage, ob die Bereichsausnahme nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB in Niedersachsen nunmehr zur Anwendung kommt, weil der neu eingefügte § 5 Abs. 2 Satz 2 NRettDG diese Bereichsausnahme ausdrücklich unberührt lässt, bedarf im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtseinheit der Klärung im Berufungsverfahren.
Kein Ausschluss von Bietern aus China ohne den Segen der EU!
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1 | Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Nr. 13, Art. 18 Abs. 1, Art. 25 und Art. 49 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65) sowie der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. |
2 | Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einem Konsortium, das aus der CRRC Qingdao Sifang Co. Ltd und der Astra Vagoane Cltori SA (im Folgenden zusammen: Konsortium) besteht, auf der einen Seite und der Autoritatea pentru Reform Feroviar (Behörde für die Eisenbahnreform, Rumänien) (im Folgenden: ARF) und der Alstom Ferroviaria SpA auf der anderen Seite über die Entscheidung der ARF, dieses Konsortium von einem Verfahren zur Vergabe eines Auftrags über die Lieferung von elektrischen Triebwagenzügen und die Erbringung von Wartungs- und Reparaturdienstleistungen für diese Triebwagenzüge mit der Begründung auszuschließen, dass CRRC Qingdao Sifang, das federführende Unternehmen des Konsortiums, eine in China ansässige Gesellschaft sei. Rechtlicher Rahmen Unionsrecht Richtlinie 2014/24 |
3 | In den Erwägungsgründen 1 und 17 der Richtlinie 2014/24 heißt es: "(1) Die Vergabe öffentlicher Aufträge durch oder im Namen von Behörden der Mitgliedstaaten hat im Einklang mit den im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) niedergelegten Grundsätzen zu erfolgen, insbesondere den Grundsätzen des freien Warenverkehrs, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit sowie den sich daraus ableitenden Grundsätzen wie Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, gegenseitige Anerkennung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz. Für über einen bestimmten Wert hinausgehende öffentliche Aufträge sollten Vorschriften zur Koordinierung der nationalen Vergabeverfahren festgelegt werden, um zu gewährleisten, dass diese Grundsätze praktische Geltung erlangen und dass das öffentliche Auftragswesen für den Wettbewerb geöffnet wird. (17) Mit dem Beschluss 94/800/EG des Rates [vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche (ABl. 1994, L 336, S. 1)] wurde insbesondere das Übereinkommen der Welthandelsorganisation über das öffentliche Beschaffungswesen (Agreement on Government Procurement, im Folgenden GPA) genehmigt. Ziel des GPA ist es, einen multilateralen Rahmen ausgewogener Rechte und Pflichten in Bezug auf öffentliche Aufträge zu schaffen, um den Welthandel zu liberalisieren und auszuweiten. Bei Aufträgen, die unter die Anhänge 1, 2, 4 und 5 sowie die Allgemeinen Anmerkungen zur Anlage I der Europäischen Union zum GPA sowie andere einschlägige, für die Union bindende internationale Übereinkommen fallen, sollten die öffentlichen Auftraggeber die Verpflichtungen aus den betreffenden Übereinkommen erfüllen, indem sie diese Richtlinie auf Wirtschaftsteilnehmer von Drittländern anwenden, die Unterzeichner der Übereinkommen sind." |
4 | Art. 2 ("Begriffsbestimmungen") Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor: "Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck 10. Wirtschaftsteilnehmer eine natürliche oder juristische Person oder öffentliche Einrichtung oder eine Gruppe solcher Personen und/oder Einrichtungen, einschließlich jedes vorübergehenden Zusammenschlusses von Unternehmen, die beziehungsweise der auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen, die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren beziehungsweise die Erbringung von Dienstleistungen anbietet; 13. Auftragsunterlagen sämtliche Unterlagen, die vom öffentlichen Auftraggeber erstellt werden oder auf die er sich bezieht, um Bestandteile der Auftragsvergabe oder des Verfahrens zu beschreiben oder festzulegen; dazu zählen die Bekanntmachung, die Vorinformationen, sofern sie als Aufruf zum Wettbewerb dienen, die technischen Spezifikationen, die Beschreibung, die vorgeschlagenen Auftragsbedingungen, Formate für die Einreichung von Unterlagen seitens der Bewerber und Bieter, Informationen über allgemeingültige Verpflichtungen sowie sonstige zusätzliche Unterlagen; " |
5 | In Art. 7 ("Aufträge im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste") der Richtlinie heißt es: "Diese Richtlinie gilt [nicht] für öffentliche Aufträge und Wettbewerbe, die gemäß der Richtlinie 2014/25/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG (ABl. 2014, L 94, S. 243)] von öffentlichen Auftraggebern, die eine oder mehrere Tätigkeiten gemäß den Artikeln 8 bis 14 der genannten Richtlinie ausüben, vergeben oder durchgeführt werden und der Durchführung dieser Tätigkeiten dienen " |
6 | Art. 18 ("Grundsätze der Auftragsvergabe") der Richtlinie 2014/24 bestimmt in seinem Abs. 1 Unterabs. 1, dass die öffentlichen Auftraggeber alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nicht diskriminierender Weise behandeln und transparent und verhältnismäßig handeln. |
7 | Art. 25 ("Bedingungen betreffend das GPA und andere internationale Übereinkommen") dieser Richtlinie lautet wie folgt: "Sofern durch die Anhänge 1, 2, 4 und 5 sowie die Allgemeinen Anmerkungen zur Anlage I der Europäischen Union zum GPA sowie die anderen internationalen für die Union rechtsverbindlichen Übereinkommen abgedeckt, wenden die öffentlichen Auftraggeber auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus den Unterzeichnerstaaten dieser Übereinkommen keine ungünstigeren Bedingungen an als auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus der Europäischen Union." |
8 | Art. 27 ("Offenes Verfahren") Abs. 1 der Richtlinie bestimmt: "Bei einem offenen Verfahren kann jeder interessierte Wirtschaftsteilnehmer auf einen Aufruf zum Wettbewerb hin ein Angebot abgeben. " |
9 | Art. 49 ("Auftragsbekanntmachungen") der Richtlinie sieht vor: "Auftragsbekanntmachungen werden unbeschadet des Artikels 26 Absatz 5 Unterabsatz 2 und des Artikels 32 als Mittel für den Aufruf zum Wettbewerb für alle Verfahren verwendet. Auftragsbekanntmachungen enthalten die Informationen nach Anhang V Teil C und werden gemäß Artikel 51 veröffentlicht." Richtlinie 2014/25 |
10 | In den Erwägungsgründen 2 und 27 der Richtlinie 2014/25 heißt es: "(2) Um zu gewährleisten, dass die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste für den Wettbewerb geöffnet wird, sollten Bestimmungen für eine Koordinierung von Aufträgen, die über einen bestimmten Wert hinausgehen, festgelegt werden. Eine solche Koordinierung ist erforderlich, um den im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) niedergelegten Grundsätzen Geltung zu verschaffen, insbesondere den Grundsätzen des freien Warenverkehrs, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit sowie den sich daraus ableitenden Grundsätzen wie Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, gegenseitige Anerkennung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz. (27) Mit dem Beschluss [94/800] wurde insbesondere das [GPA] genehmigt. Ziel des GPA ist es, einen multilateralen Rahmen ausgewogener Rechte und Pflichten in Bezug auf öffentliche Aufträge zu schaffen, um den Welthandel zu liberalisieren und auszuweiten. Bei Aufträgen, die unter die Anhänge 3, 4 und 5 sowie die Allgemeinen Anmerkungen [zu] Anlage I der Europäischen Union zum GPA sowie andere einschlägige, für die Union bindende internationale Übereinkommen fallen, sollten die Auftraggeber die Verpflichtungen aus den betreffenden Übereinkommen erfüllen, indem sie diese Richtlinie auf Wirtschaftsteilnehmer von Drittländern anwenden, die Unterzeichner der Übereinkommen sind." |
11 | Art. 11 ("Verkehrsleistungen") dieser Richtlinie sieht vor: "Unter diese Richtlinie fallen die Bereitstellung oder das Betreiben von Netzen zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen per Eisenbahn, automatischen Systemen, Straßenbahn, Trolleybus, Bus oder Seilbahn. Im Verkehrsbereich gilt ein Netz als vorhanden, wenn die Verkehrsleistung gemäß den von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats festgelegten Bedingungen erbracht wird; dazu gehören die Festlegung der Strecken, die Transportkapazitäten und die Fahrpläne." |
12 | Art. 43 ("Bedingungen betreffend das GPA und andere internationale Übereinkommen") der Richtlinie lautet: "Soweit sie durch die Anhänge 3, 4 und 5 sowie die Allgemeinen Anmerkungen [zu] Anlage I der Europäischen Union zum GPA sowie die anderen internationalen für die Union rechtsverbindlichen Übereinkommen erfasst sind, wenden die Auftraggeber im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe a auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus den Unterzeichnerstaaten dieser Übereinkommen keine ungünstigeren Bedingungen an als auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus der Europäischen Union." |
13 | Art. 45 ("Offenes Verfahren") Abs. 1 der Richtlinie bestimmt: "Bei einem offenen Verfahren können alle interessierten Wirtschaftsteilnehmer auf einen Aufruf zum Wettbewerb hin ein Angebot abgeben. " Rumänisches Recht |
14 | Art. 3 Abs. 1 Buchst. jj der Legea nr. 98/2016 privind achiziiile publice (Gesetz Nr. 98/2016 über das öffentliche Auftragswesen) vom 19. Mai 2016 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 390 vom 23. Mai 2016) in der am 3. April 2020 geltenden Fassung (im Folgenden: Gesetz über das öffentliche Auftragswesen) definierte den Begriff "Wirtschaftsteilnehmer" als " jede natürliche oder juristische Person des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts oder Gruppe oder Vereinigung solcher Personen, die auf dem Markt rechtmäßig die Ausführung von Bauleistungen und/oder die Errichtung eines Bauwerks, die Lieferung von Waren bzw. die Erbringung von Dienstleistungen anbietet, einschließlich jedes vorübergehenden Zusammenschlusses zweier oder mehrerer solcher Einheiten". 15 Art. 236 des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen sieht vor: "(1) Dieses Gesetz findet auf Vergabeverfahren Anwendung, die nach seinem Inkrafttreten eingeleitet werden. (2) Auf bei Inkrafttreten dieses Gesetzes laufende Vergabeverfahren findet das Gesetz Anwendung, das zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens gilt. (3) Dieses Gesetz findet auf öffentliche Aufträge/Rahmenvereinbarungen Anwendung, die nach seinem Inkrafttreten geschlossen werden. (4) Öffentliche Aufträge/Rahmenvereinbarungen, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geschlossen wurden, unterliegen in Bezug auf ihren Abschluss sowie ihre Änderung, Auslegung, Wirkungen, Ausführung und Beendigung den Bestimmungen des zum Zeitpunkt ihres Abschlusses geltenden Gesetzes." |
16 | Mit der Ordonana de urgen a Guvernului nr. 25/2021 privind modificarea i completarea unor acte normative în domeniul achiziiilor publice (Dringlichkeitsverordnung Nr. 25/2021 der Regierung zur Änderung und Ergänzung bestimmter normativer Rechtsakte im Bereich des öffentlichen Auftragswesens) vom 31. März 2021 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 346 vom 5. April 2021) (im Folgenden: OUG Nr. 25/2021), die am 5. April 2021 in Kraft trat, wurden mehrere Vorschriften des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen geändert. |
17 | Art. V der OUG Nr. 25/2021 lautet: "Vergabeverfahren, bei denen Wirtschaftsteilnehmer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser [Dringlichkeitsverordnung der Regierung] Angebote abgegeben haben, unterliegen den Rechtsvorschriften, die zu dem Zeitpunkt galten, als diese Verfahren begannen." |
18 | Art. 3 Abs. 1 Buchst. jj des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen in der durch die OUG Nr. 25/2021 geänderten Fassung definiert den Begriff "Wirtschaftsteilnehmer" als " jede natürliche oder juristische Person des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts oder Gruppe oder Vereinigung solcher Personen, einschließlich jedes vorübergehenden Zusammenschlusses zweier oder mehrerer solcher Einheiten, die bzw. der auf dem Markt rechtmäßig die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren bzw. die Erbringung von Dienstleistungen anbietet, und ansässig ist in i) einem Mitgliedstaat der [Union]; ii) einem Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR); iii) Drittländern, die das [GPA] ratifiziert haben, soweit der vergebene öffentliche Auftrag in den Anwendungsbereich der Anhänge 1, 2, 4 und 5, 6 und 7 der Anlage I der [Union] [zum GPA] fällt; iv) Drittländern, die sich im Stadium des Beitritts zur [Union] befinden; v) Drittländern, die nicht in den Anwendungsbereich von Ziffer iii fallen, aber Unterzeichner anderer internationaler Übereinkommen sind, die die [Union] verpflichten, freien Zugang zum Markt für öffentliche Aufträge zu gewähren". |
19 | Art. 49 des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen in der durch die OUG Nr. 25/2021 geänderten Fassung bestimmt: "(1) Die öffentlichen Auftraggeber sind verpflichtet, alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nicht diskriminierender Weise zu behandeln und transparent und verhältnismäßig zu handeln. (2) Sofern durch die Anhänge 1, 2, 4 und 5, 6 und 7 der Anlage I zum GPA sowie die anderen internationalen für die [Union] rechtsverbindlichen Übereinkommen abgedeckt, wenden die öffentlichen Auftraggeber auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus den Unterzeichnerstaaten dieser Übereinkommen gleiche Bedingungen an wie auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus der [Union]." |
20 | Art. 53 Abs. 11 des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen in der durch die OUG Nr. 25/2021 geänderten Fassung bestimmt: "Der öffentliche Auftraggeber schließt vom Vergabeverfahren natürliche oder juristische Personen aus, die die Eigenschaft eines Einzelbieters/bietenden Gesellschafters/Bewerbers/Drittunterstützers/Unterauftragnehmers haben und nicht der Definition in Art. 3 Abs. 1 Buchst. jj entsprechen ..." Ausgangsverfahren und Vorlagefragen |
21 | Am 3. April 2020 leitete die ARF im Wege einer offenen Ausschreibung ein Vergabeverfahren für den "Erwerb von 20 neuen überregionalen elektrischen Triebwagenzügen mit der Bezeichnung RE‑IR und den Erwerb der für den Betrieb der betreffenden Züge erforderlichen Wartungs- und Reparaturdienstleistungen" ein. |
22 | Am 19. April 2021 gaben zwei Wirtschaftsteilnehmer, nämlich das Konsortium und Alstom Ferroviaria, Angebote ab. |
23 | Am 2. November 2021 veröffentlichte die ARF den endgültigen Bericht über das fragliche Vergabeverfahren, mit dem sie das Konsortium ausschloss und den Auftrag an Alstom Ferroviaria vergab. Als Grund für den Ausschluss wurde angeführt, dass das federführende Unternehmen des Konsortiums, CRRC Qingdao Sifang, nicht unter den Begriff "Wirtschaftsteilnehmer" im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. jj des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen in der durch die OUG Nr. 25/2021 geänderten Fassung falle, da sich ihr satzungsmäßiger Sitz in China befinde. |
24 | Am 11. November 2021 legte das Konsortium beim Consiliul Naional de Soluionare a Contestaiilor (Nationaler Rat für Beschwerdeentscheidungen, Rumänien, im Folgenden: CNSC) gegen seinen Ausschluss Beschwerde ein. Im Rahmen dieser Beschwerde machte das Konsortium geltend, der auf der rückwirkenden Anwendung der OUG Nr. 25/2021 beruhende Ausschluss verstoße gegen die rumänische Verfassung und gegen das Unionsrecht. |
25 | Mit Entscheidung vom 31. Januar 2022 wies der CNSC die Beschwerde aus den folgenden Gründen zurück. |
26 | Erstens wies dieses Gremium darauf hin, dass die Volksrepublik China keine der in Art. 3 Abs. 1 Buchst. jj Ziff. i bis v des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen in der durch die OUG Nr. 25/2021 geänderten Fassung genannten Voraussetzungen erfülle. |
27 | Zweitens stellte der CNSC fest, dass das Konsortium sein Angebot am 19. April 2021, also nach Inkrafttreten der OUG Nr. 25/2021 am 5. April 2021, abgegeben habe. |
28 | Drittens wies dieses Gremium darauf hin, dass nach Art. V der OUG Nr. 25/2021 nur Vergabeverfahren, bei denen Wirtschaftsteilnehmer vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Dringlichkeitsverordnung der Regierung Angebote abgegeben hätten, den Rechtsvorschriften unterlägen, die zu dem Zeitpunkt gegolten hätten, als diese Verfahren eingeleitet worden seien. Hingegen unterlägen Vergabeverfahren, bei denen bis zum 5. April 2021, dem Tag des Inkrafttretens der OUG Nr. 25/2021, kein Angebot abgegeben worden sei, dieser OUG. |
29 | Am 14. Februar 2022 erhob das Konsortium bei der Curtea de Apel Bucureti (Berufungsgericht Bukarest, Rumänien), dem vorlegenden Gericht, Klage gegen die Entscheidung des CNSC. |
30 | Im Rahmen seiner Klage macht das Konsortium geltend, die Änderung der Vorschriften eines Vergabeverfahrens während dieses Verfahrens stelle einen Verstoß gegen mehrere Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit, des Rückwirkungsverbots, der Transparenz und der Gleichbehandlung, dar. |
31 | Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass mit der OUG Nr. 25/2021 der Rechtsrahmen für öffentliche Aufträge geändert und bestimmte allgemeine Regeln für die Teilnahme an Vergabeverfahren gemäß Art. 25 der Richtlinie 2014/24 neu festgelegt worden seien, der vorsehe, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Gleichbehandlung mit Wirtschaftsteilnehmern der Mitgliedstaaten sicherzustellen, nur für Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern gelte, die in dieser Vorschrift genannte Übereinkommen unterzeichnet hätten. |
32 | In der Präambel der OUG Nr. 25/2021 habe die rumänische Regierung darauf hingewiesen, dass in den letzten Jahren die Zahl der an Vergabeverfahren teilnehmenden Bieter aus Drittländern, die geringere Garantien für die Einhaltung bestimmter Anforderungen wie zertifizierte Qualitätsstandards, Standards für Umwelt und nachhaltige Entwicklung, Anforderungen an die Arbeitsbedingungen und Sozialschutz sowie Wettbewerbspolitik böten, tendenziell gestiegen sei. |
33 | Das vorlegende Gericht stellt fest, dass Art. 25 der Richtlinie 2014/24 bei der Behandlung der von dieser Vorschrift betroffenen Wirtschaftsteilnehmer nicht danach unterscheide, wann sie ihre Angebote in den öffentlichen Vergabeverfahren, an denen sie teilnähmen, abgegeben hätten. |
34 | Diesem Gericht stellt sich die Frage, inwieweit die Einhaltung zum einen der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, wie sie im Unionsrecht verankert sind, sowie zum anderen der in Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Nr. 13 und Art. 49 der Richtlinie 2014/24 verankerten Grundsätze der Gleichbehandlung, der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit gewährleistet ist, wenn ein Bieter aufgrund eines normativen Rechtsakts mit Gesetzeskraft, der die Definition des Begriffs "Wirtschaftsteilnehmer" im nationalen Recht nach Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung ändert, ausgeschlossen wird. |
35 | Unter diesen Umständen hat die Curtea de Apel Bucureti (Berufungsgericht Bukarest) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen: 1. Stehen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einer nationalen Regelung entgegen, mit der Art. 25 der Richtlinie 2014/24 mit Wirkung vom 5. April 2021 umgesetzt wurde und die vorsieht, dass Wirtschaftsteilnehmer, die diesen Unionsvorschriften nicht unterliegen, nur dann weiterhin an öffentlichen Vergabeverfahren teilnehmen können, wenn sie bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Gesetzesänderung Angebote abgegeben haben? 2. Stehen die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit nach Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Nr. 13 und Art. 49 der Richtlinie 2014/24 dem Ausschluss eines Bieters auf der Grundlage eines von der Regierung des Mitgliedstaats erlassenen normativen Rechtsakts mit Gesetzeskraft entgegen, der nach Veröffentlichung der Bekanntmachung des Vergabeverfahrens, an dem der Wirtschaftsteilnehmer teilnimmt, eine neue Regelung zur Änderung der Definition des Wirtschaftsteilnehmers festlegt? Verfahren vor dem Gerichtshof |
36 | Mit Entscheidung des Präsidenten der Vierten Kammer vom 28. September 2023 ist das Verfahren in der vorliegenden Rechtssache gemäß Art. 55 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs bis zur Verkündung des Urteils in der Rechtssache C‑652/22, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret, ausgesetzt worden. |
37 | Am 23. Oktober 2024 ist das Verfahren im Anschluss an das Urteil vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret (C‑652/22, EU:C:2024:910), wieder aufgenommen worden. Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs |
38 | Die ARF und Alstom Ferroviaria machen geltend, der Gerichtshof sei für die Prüfung der Vorlagefragen nicht zuständig, da diese in Wirklichkeit nicht die Auslegung des Unionsrechts beträfen, sondern die Auslegung nationaler Rechtsvorschriften und die Würdigung des Sachverhalts, was in die ausschließliche Zuständigkeit des nationalen Gerichts falle. |
39 | Es ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach Art. 19 Abs. 3 Buchst. b EUV und Art. 267 Abs. 1 AEUV im Wege der Vorabentscheidung u. a. über die Auslegung des Unionsrechts entscheidet. |
40 | Im vorliegenden Fall ist unbestreitbar, dass die Vorlagefragen die Auslegung von Bestimmungen und Grundsätzen des Unionsrechts betreffen. |
41 | Daher ist der Gerichtshof für die Beantwortung dieser Fragen zuständig. Zur Zulässigkeit der Vorlagefragen |
42 | Die ARF und Alstom Ferroviaria machen geltend, die Vorlagefragen seien unzulässig, da sie für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits unerheblich seien. Hierzu weist die ARF darauf hin, dass CRRC Qingdao Sifang, die von dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vergabeverfahren ausgeschlossen worden sei, im Hoheitsgebiet der Volksrepublik China ansässig sei, die keine internationale Übereinkunft mit der Union über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen habe. Daraus ergebe sich, dass dieses Unternehmen nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie 2014/24 falle. |
43 | Nach ständiger Rechtsprechung hat im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Entscheidungserheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn sie die Auslegung des Unionsrechts betreffen. Infolgedessen spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen zum Unionsrecht. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, das Problem hypothetischer Natur ist oder er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 16. Januar 2025, Banco de Santander [Vertretung einzelner Verbraucher], C‑346/23, EU:C:2025:13, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
44 | Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen, die den Gerichtshof veranlassen können, eine Entscheidung über die Vorlagefragen abzulehnen, nicht erfüllt. |
45 | Das vorlegende Gericht möchte nämlich wissen, ob das Unionsrecht dem Ausschluss des Konsortiums von dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vergabeverfahren in Anwendung nationaler Rechtsvorschriften entgegensteht, mit denen der Begriff "Wirtschaftsteilnehmer" geändert wurde, um Art. 25 der Richtlinie 2014/24 umzusetzen. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, dass die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder dass das aufgeworfene Problem hypothetischer Natur ist. |
46 | Es ergibt sich zwar aus den Rn. 45, 51 und 67 des Urteils vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret (C‑652/22, EU:C:2024:910), dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer eines Drittlands, das mit der Union keine internationale Übereinkunft über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen hat, wenn er an einem Vergabeverfahren in der Union teilnimmt, nicht auf die in den Unionsrechtsvorschriften, etwa in Art. 18 der Richtlinie 2014/24, enthaltenen Regeln über die Vergabe öffentlicher Aufträge berufen kann. Da die in diesen Richtlinien enthaltenen Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht auf das Angebot eines Wirtschaftsteilnehmers eines solchen Drittlands anwendbar sind, kann ihre Auslegung für die Entscheidung eines Rechtsstreits, den dieser Wirtschaftsteilnehmer angestrengt hat, um die Art und Weise zu beanstanden, in der diese Vorschriften im fraglichen Vergabeverfahren angewandt worden seien, nicht relevant sein. Daher ist im Rahmen eines solchen Rechtsstreits ein Vorabentscheidungsersuchen, mit dem das vorlegende Gericht um eine solche Auslegung ersucht, unzulässig. |
47 | Betrifft der Rechtsstreit jedoch, wie im vorliegenden Fall, die Frage, nach welchen Modalitäten ein Wirtschaftsteilnehmer aus einem Drittland, das mit der Union keine internationale Übereinkunft über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen hat, von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags in der Union ausgeschlossen werden kann, kann die Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens zur Auslegung von Bestimmungen oder Grundsätzen des Unionsrechts, die nach Ansicht des vorlegenden Gerichts diese Frage regeln könnten, für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits erheblich sein. |
48 | Daraus folgt, dass die in der vorliegenden Rechtssache gestellten Fragen zulässig sind. Zu den Vorlagefragen |
49 | Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit sowie Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Nr. 13 und Art. 49 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen sind, dass es ihnen zuwiderläuft, dass ein Wirtschaftsteilnehmer eines Drittlands, das mit der Union kein internationales Übereinkommen im Sinne von Art. 25 dieser Richtlinie geschlossen hat, von einem in einem Mitgliedstaat durchgeführten Vergabeverfahren auf der Grundlage nationaler Rechtsvorschriften ausgeschlossen wird, die nach Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung, aber bevor dieser Wirtschaftsteilnehmer sein Angebot abgegeben hat, in Kraft getreten sind. Einleitende Bemerkungen |
50 | Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das Verfahren zur Vergabe des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden öffentlichen Auftrags in Anbetracht seines Gegenstands, nämlich der Beschaffung von Triebwagenzügen für den Schienenverkehr sowie Wartungs- und Reparaturdienstleistungen, möglichweise nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24, auf die sich das Vorabentscheidungsersuchen bezieht, sondern in jenen der Richtlinie 2014/25 fällt. |
51 | Die Richtlinie 2014/24 gilt nämlich nach ihrem Art. 7 nicht für öffentliche Aufträge im Bereich der Verkehrsleistungen im Sinne von Art. 11 der Richtlinie 2014/25 (Urteil vom 1. August 2022, Roma Multiservizi und Rekeep, C‑332/20, EU:C:2022:610, Rn. 64). |
52 | Art. 11 ("Verkehrsleistungen") der Richtlinie 2014/25 bestimmt in Abs. 1, dass unter diese Richtlinie die Bereitstellung oder das Betreiben von Netzen zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen u. a. per Eisenbahn fällt. Nach Abs. 2 dieses Artikels ist ein Netz vorhanden, wenn die Verkehrsleistung gemäß den von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats festgelegten Bedingungen erbracht wird; dazu gehören die Festlegung der Strecken, die Transportkapazitäten und die Fahrpläne. |
53 | Im vorliegenden Fall ist es Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob das Verfahren zur Vergabe des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden öffentlichen Auftrags nach Art. 11 der Richtlinie 2014/25 in deren Anwendungsbereich fällt; in diesem Fall fiele dieses Verfahren gemäß Art. 7 der Richtlinie 2014/24 nicht in deren Anwendungsbereich. |
54 | Allerdings hat Art. 25 der Richtlinie 2014/24 einen dem Wortlaut von Art. 43 der Richtlinie 2014/25 entsprechenden Wortlaut. |
55 | Daher kann sich der Umstand, dass dieses Verfahren möglicherweise nicht unter die Richtlinie 2014/24, sondern unter die Richtlinie 2014/25 fällt, nicht auf die Prüfung der Vorlagefragen auswirken. Diese Prüfung, die anhand von Art. 25 der Richtlinie 2014/24 vorzunehmen ist, muss nämlich als auch im Hinblick auf Art. 43 der Richtlinie 2014/25 erfolgt angesehen werden, wenn das vorlegende Gericht entscheidet, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vergabeverfahren unter letztere Richtlinie fällt. Zu den Vorlagefragen |
56 | Die Union ist gegenüber bestimmten Drittländern durch internationale Übereinkünfte, u. a. das GPA, gebunden, die den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer der Union zu öffentlichen Aufträgen in diesen Drittländern und den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer dieser Drittländer zu öffentlichen Aufträgen in der Union in wechselseitiger und gleicher Weise gewährleisten. Art. 25 der Richtlinie 2014/24 spiegelt diese internationalen Verpflichtungen der Union wider, indem er bestimmt, dass die Auftraggeber der Mitgliedstaaten, soweit sie durch das GPA oder andere internationale für die Union rechtsverbindliche Übereinkommen erfasst sind, auf Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die ein solches Übereinkommen unterzeichnet haben, keine ungünstigeren Bedingungen anwenden als auf Wirtschaftsteilnehmer aus der Europäischen Union (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret, C‑652/22, EU:C:2024:910, Rn. 41 und 42). |
57 | Andere Drittländer haben mit der Union bislang keine solche internationale Übereinkunft geschlossen. Dazu zählt die Volksrepublik China. |
58 | Das durch Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 "jede[m] interessierte[n] Wirtschaftsteilnehmer" eingeräumte Recht, bei einem offenen Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags in der Union auf einen Aufruf zum Wettbewerb hin ein Angebot abzugeben, erstreckt sich nicht auf Wirtschaftsteilnehmer aus diesen Drittländern, die keine derartige internationale Übereinkunft mit der Union geschlossen haben. Würde diese Bestimmung anders ausgelegt und damit der persönliche Anwendungsbereich dieser Richtlinie unbegrenzt ausgeweitet, liefe dies, wie der Generalanwalt im Wesentlichen in den Nrn. 65 bis 73 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, darauf hinaus, Wirtschaftsteilnehmern aus diesen Drittländern einen gleichen Zugang zu den Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der Union zu gewährleisten. Dies würde bewirken, dass ihnen unter Verstoß gegen Art. 25 dieser Richtlinie, der die Inanspruchnahme dieses Rechts auf Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die mit der Union eine internationale Übereinkunft wie jene im Sinne dieses Artikels geschlossen haben, beschränkt, ein Recht auf eine nicht ungünstigere Behandlung verliehen würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret, C‑652/22, EU:C:2024:910, Rn. 46 und 47). |
59 | Daraus folgt, dass die Richtlinie 2014/24 dahin zu verstehen ist, dass der Zugang der Wirtschaftsteilnehmer der in Rn. 57 des vorliegenden Urteils genannten Drittländer zu Vergabeverfahren in der Union nicht gewährleistet ist. Dies bedeutet, dass diese Wirtschaftsteilnehmer entweder von diesen Verfahren ausgeschlossen oder dazu zugelassen werden können, dass sie sich dabei aber nicht auf diese Richtlinie berufen und nicht eine Gleichbehandlung ihres Angebots mit den Angeboten fordern können, die Bieter aus den Mitgliedstaaten und Bieter aus Drittländern im Sinne von Art. 25 dieser Richtlinie abgegeben haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret, C‑652/22, EU:C:2024:910, Rn. 45 und 47). |
60 | Jeder Rechtsakt mit allgemeiner Geltung, der speziell den Zweck hat, für die Wirtschaftsteilnehmer eines Drittlands diese Ausschluss- oder Zugangsmodalitäten festzulegen, fällt nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV in die ausschließliche Zuständigkeit der Union im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik. Dies ist bei Rechtsakten der Fall, die in Ermangelung einer Übereinkunft zwischen der Union und einem Drittland einseitig festlegen, ob und gegebenenfalls nach welchen Modalitäten die Wirtschaftsteilnehmer aus diesem Drittland an den Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge in der Union teilnehmen können. Wie diese Übereinkünfte wirken sich diese einseitigen Rechtsakte nämlich direkt und sofort auf den Handel mit Waren und Dienstleistungen zwischen diesem Drittland und der Union aus (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret, C‑652/22, EU:C:2024:910, Rn. 57). |
61 | Daher ist ausschließlich die Union zuständig, einen Rechtsakt mit allgemeiner Geltung zu erlassen, der den Zugang von Wirtschaftsteilnehmern eines Drittlands, das keine internationale Übereinkunft mit der Union über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen hat, zu den Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge betrifft, indem sie entweder eine Regelung einführt, die diesen Wirtschaftsteilnehmern den Zugang zu den betreffenden Verfahren gewährt, oder eine Regelung, die diese Wirtschaftsteilnehmer ausschließt oder die eine Bewertungsanpassung bei ihren Angeboten im Vergleich zu jenen, die andere Wirtschaftsteilnehmer abgegeben haben, vorsieht (Urteil vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret, C‑652/22, EU:C:2024:910, Rn. 61). |
62 | Denn gemäß Art. 2 Abs. 1 AEUV kann in den Bereichen ihrer ausschließlichen Zuständigkeit nur die Union gesetzgeberisch tätig werden und verbindliche Rechtsakte erlassen; die Mitgliedstaaten dürfen in einem solchen Fall nur tätig werden, wenn sie von der Union hierzu ermächtigt werden oder um Rechtsakte der Union durchzuführen. Die Union hat die Mitgliedstaaten jedoch nicht ermächtigt, gesetzgeberisch tätig zu werden oder verbindliche Rechtsakte über den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer aus einem Drittland, das keine internationale Übereinkunft mit der Union geschlossen hat, zu den Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge zu erlassen. Die Union hat bisher auch keine derartigen Rechtsakte erlassen, die die Mitgliedstaaten durchführen könnten (Urteil vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret, C‑652/22, EU:C:2024:910, Rn. 62). |
63 | In Ermangelung von Rechtsakten der Union ist es Sache des öffentlichen Auftraggebers, zu beurteilen, ob Wirtschaftsteilnehmer aus einem Drittland, das keine internationale Übereinkunft mit der Union über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen hat, zu einem Verfahren für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags zuzulassen sind und, falls er dies bejaht, ob eine Bewertungsanpassung bei den Angeboten dieser Wirtschaftsteilnehmer im Vergleich zu jenen, die andere Wirtschaftsteilnehmer abgegeben haben, vorzusehen ist (Urteil vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret, C‑652/22, EU:C:2024:910, Rn. 63). |
64 | Im vorliegenden Fall gab es keine unionsrechtliche Bestimmung, nach der Wirtschaftsteilnehmer aus einem Drittland, das mit der Union keine internationale Übereinkunft über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen hat, zu Vergabeverfahren zugelassen oder davon ausgeschlossen werden mussten. In Anbetracht der in den Rn. 60 bis 62 des vorliegenden Urteils genannten Regeln, wonach es den Mitgliedstaaten in Ermangelung einer Ermächtigung durch die Union oder eines Rechtsakts der Union, der durchgeführt werden kann, untersagt ist, im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik gesetzgeberisch tätig zu werden, durften die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften, die den öffentlichen Auftraggeber verpflichten, diese Wirtschaftsteilnehmer auszuschließen, nicht angewandt werden. Es war Sache des öffentlichen Auftraggebers, unter den in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen zu entscheiden, ob das Konsortium zuzulassen oder auszuschließen war. |
65 | Unter diesen Umständen ist es unerheblich, dass diese nationalen Rechtsvorschriften nach der Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung, aber bevor der chinesische Wirtschaftsteilnehmer sein Angebot abgegeben hat, in Kraft getreten sind. |
66 | Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass es, da Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die keine internationale Übereinkunft mit der Union über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen haben, kein Recht auf eine nicht ungünstigere Behandlung nach Art. 25 der Richtlinie 2014/24 genießen, dem öffentlichen Auftraggeber freisteht, in den Auftragsunterlagen Behandlungsmodalitäten aufzuführen, die den objektiven Unterschied zwischen der Rechtsstellung dieser Wirtschaftsteilnehmer einerseits und der Rechtsstellung der Wirtschaftsteilnehmer aus der Union und aus den Drittländern, die eine solche Übereinkunft im Sinne von Art. 25 der Richtlinie 2014/24 geschlossen haben, andererseits widerspiegeln sollen. Zwar ist denkbar, dass diese Behandlungsmodalitäten bestimmten Grundsätzen und Anforderungen, wie den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, entsprechen müssen, doch kann ein Rechtsbehelf, mit dem gerügt wird, dass der öffentliche Auftraggeber solche Grundsätze nicht beachtet habe, nur anhand des nationalen Rechts und nicht anhand des Unionsrechts geprüft werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2024, Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret, C‑652/22, EU:C:2024:910, Rn. 64 und 66). |
67 | Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV, der der Union die ausschließliche Zuständigkeit im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik verleiht, in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass es ihm zuwiderläuft, dass ein öffentlicher Auftraggeber eines Mitgliedstaats in Ermangelung eines Unionsrechtsakts, der den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer eines Drittlands, das mit der Union keine internationale Übereinkunft im Sinne von Art. 25 der Richtlinie 2014/24 geschlossen hat, zu Vergabeverfahren vorschreibt oder untersagt, einen Wirtschaftsteilnehmer eines solchen Drittlands auf der Grundlage eines Gesetzgebungsakts ausschließt, den dieser Mitgliedstaat erlassen hat, ohne von der Union dazu ermächtigt worden zu sein, wobei der Umstand, dass dieser Gesetzgebungsakt nach der Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung in Kraft getreten ist, insoweit unerheblich ist. Kosten |
68 | Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt: Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV, der der Union die ausschließliche Zuständigkeit im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik verleiht, in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass es ihm zuwiderläuft, dass ein öffentlicher Auftraggeber eines Mitgliedstaats in Ermangelung eines Unionsrechtsakts, der den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer eines Drittlands, das mit der Union keine internationale Übereinkunft im Sinne von Art. 25 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG geschlossen hat, zu Vergabeverfahren vorschreibt oder untersagt, einen Wirtschaftsteilnehmer eines solchen Drittlands auf der Grundlage eines Gesetzgebungsakts ausschließt, den dieser Mitgliedstaat erlassen hat, ohne von der Union dazu ermächtigt worden zu sein, wobei der Umstand, dass dieser Gesetzgebungsakt nach der Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung in Kraft getreten ist, insoweit unerheblich ist. |
"Begünstigter" kann auch sein, wer keine staatliche Beihilfe erhä...
"Begünstigter" kann auch sein, wer keine staatliche Beihilfe erhält!
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1 | Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 2 Nrn. 10, 36 und 37 der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 320, berichtigt in ABl. 2016, L 200, S. 140) in der durch die Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 (ABl. 2018, L 193, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1303/2013) sowie der Art. 41 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta). |
2 | Sie ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten, in denen sich erstens die Obshtina Veliko Tarnovo (Gemeinde Veliko Tarnovo, Bulgarien) und der Rakovoditel na Upravlyavashtia organ na Operativna programa "Regioni v rastezh" 2014-2020 (Leiter der Verwaltungsbehörde für das Operationelle Programm "Regionen im Wachstum" 2014-2020) (C-471/23) sowie zweitens die Obshtina Belovo (Gemeinde Belovo, Bulgarien) und der Rakovoditel na Upravlyavashtia organ na Operativna programa "okolna sreda" 2014-2020 (Leiter der Verwaltungsbehörde für das Operationelle Programm "Umwelt" 2014-2020) (C-477/23) einander gegenüberstehen, und die die Modalitäten für den Erlass von Entscheidungen über finanzielle Berichtigungen infolge von Unregelmäßigkeiten zum Gegenstand haben, die bei der Durchführung von aus Mitteln der Europäischen Union kofinanzierten Projekten festgestellt wurden. Rechtlicher Rahmen Unionsrecht Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 |
3 | In den Erwägungsgründen 5, 33 und 36 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (ABl. 2007, L 315, S. 1) heißt es: "(5) ... Entscheidet ein Mitgliedstaat sich im Einklang mit dieser Verordnung dafür, bestimmte allgemeine Regeln aus ihrem Anwendungsbereich herauszunehmen, so sollte die allgemeine Regelung für staatliche Beihilfen zur Anwendung kommen. ... (33) In seinem Urteil [vom 24. Juli 2003, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg (C-280/00, EU:C:2003:415)] hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in den Randnummern 87 bis 95 festgestellt, dass Ausgleichsleistungen für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen keine Begünstigung im Sinne von Artikel [107 AEUV] darstellen, sofern vier kumulative Voraussetzungen erfüllt sind. Werden diese Voraussetzungen nicht erfüllt, jedoch die allgemeinen Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel [107 Absatz 1 AEUV], stellen die Ausgleichsleistungen für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen staatliche Beihilfen dar, und es gelten die Artikel [93, 106, 107 und 108 AEUV]. ... (36) ... Alle anderen durch diese Verordnung nicht erfassten Ausgleichsleistungen für die Erbringung öffentlicher Personenverkehrsdienste, die staatliche Beihilfen im Sinne des Artikels [107 Abs. 1 AEUV] beinhalten könnten, sollten den Bestimmungen der Artikel [93, 106, 107 und 108 AEUV] entsprechen, einschließlich aller Auslegungen durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften und insbesondere dessen [Urteil vom 24. Juli 2003, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg (C-280/00, EU:C:2003:415)]. ..." Verordnung Nr. 1303/2013 |
4 | In den Erwägungsgründen 65 und 66 der Verordnung Nr. 1303/2013 wird ausgeführt: "(65) Die Mitgliedstaaten sollten geeignete Vorkehrungen treffen, um eine ordnungsgemäße Struktur und Funktion ihrer Verwaltungs- und Kontrollsysteme zu gewährleisten, so dass eine rechtmäßige und ordnungsgemäße Nutzung der [Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds)] gewährleistet ist. ... (66) Im Einklang mit dem Grundsatz der geteilten Verwaltung sollte die Verantwortung für die Verwaltung und Kontrolle der Programme bei den Mitgliedstaaten und der Kommission liegen. In erster Linie sollten die Mitgliedstaaten über ihre Verwaltungs- und Kontrollsysteme für die Durchführung und Kontrolle der Vorhaben im Rahmen der Programme verantwortlich sein. ..." |
5 | In Art. 1 ("Gegenstand") der Verordnung Nr. 1303/2013 heißt es: "In dieser Verordnung werden die gemeinsamen Regelungen für den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), den Europäischen Sozialfonds (ESF), den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER) und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF), für die ein gemeinsamer Rahmen (im Folgenden 'europäische Struktur- und Investitionsfonds' - 'ESI-Fonds') gilt, festgelegt. ..." |
6 | Art. 2 ("Begriffsbestimmungen") der Verordnung Nr. 1303/2013 sieht vor: "Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck ... 10. 'Begünstigter' eine Einrichtung des öffentlichen oder privaten Rechts oder eine natürliche Person, die mit der Einleitung oder mit der Einleitung und Durchführung von Vorhaben betraut ist, und a) im Zusammenhang mit staatlichen Beihilfen die Stelle, die die Beihilfe erhält, es sei denn, die Beihilfe je Unternehmen beträgt weniger als 200 000 [Euro], wobei der betreffende Mitgliedstaat in diesem Fall beschließen kann, dass der Begünstigte die Stelle ist, die die Beihilfe gewährt, unbeschadet der Verordnungen (EU) Nr. 1407/2013 [der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 (AEUV) auf De-minimis-Beihilfen (ABl. 2013, L 352, S. 1)], (EU) Nr. 1408/2013 [der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 (AEUV) auf De-minimis-Beihilfen im Agrarsektor (ABl. 2013, L 352, S. 9)] und (EU) Nr. 717/2014 der Kommission [vom 27. Juni 2014 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 AEUV auf De-minimis-Beihilfen im Fischerei- und Aquakultursektor (ABl. 2014, L 190, S. 45)]; und b) im Zusammenhang mit den in Teil Zwei Titel IV dieser Verordnung genannten Finanzinstrumenten bezeichnet der Ausdruck die Stelle, die das Finanzinstrument oder gegebenenfalls den Dachfonds einsetzt; ... 36. 'Unregelmäßigkeit' jeden Verstoß gegen Unionsrecht oder gegen nationale Vorschriften zu dessen Anwendung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines an der Inanspruchnahme von Mitteln aus den ESI-Fonds beteiligten Wirtschaftsteilnehmers, die einen Schaden für den Haushalt der Union in Form einer ungerechtfertigten Ausgabe bewirkt oder bewirken würde; 37. 'Wirtschaftsteilnehmer' jede natürliche oder juristische Person oder jede andere Einrichtung, die an der Durchführung der Unterstützung aus den ESI-Fonds beteiligt ist; hiervon ausgenommen ist ein Mitgliedstaat, der seine Befugnisse als Behörde ausübt; ..." |
7 | In Art. 143 ("Finanzielle Berichtigungen durch die Mitgliedstaaten") der Verordnung Nr. 1303/2013 heißt es: "(1) Es obliegt in erster Linie den Mitgliedstaaten, Unregelmäßigkeiten zu untersuchen, die erforderlichen finanziellen Berichtigungen vorzunehmen und die Wiedereinziehungen zu betreiben. Im Falle einer systembedingten Unregelmäßigkeit umfassen die Untersuchungen des Mitgliedstaats alle möglicherweise betroffenen Vorhaben. (2) Die Mitgliedstaaten nehmen die finanziellen Berichtigungen vor, die aufgrund der im Rahmen von Vorhaben oder operationellen Programmen festgestellten vereinzelten oder systembedingten Unregelmäßigkeiten notwendig sind. Finanzielle Berichtigungen bestehen in der vollständigen oder teilweisen Streichung des öffentlichen Beitrags zu einem Vorhaben oder operationellen Programm. Der Mitgliedstaat berücksichtigt Art und Schweregrad der Unregelmäßigkeiten sowie den den Fonds oder dem EMFF entstandenen finanziellen Verlust und nimmt angemessene Korrekturen vor. Finanzielle Berichtigungen werden im Abschluss für das Geschäftsjahr verbucht, in dem die Streichung beschlossen wurde. ..." Bulgarisches Recht ZUSEFSU |
8 | In Art. 70 des Zakon za upravlenie na sredstvata ot evropeyskite fondove pri spodeleno upravlenie (Gesetz über die Verwaltung der Mittel aus den Europäischen Fonds unter geteilter Mittelverwaltung, DV Nr. 101 vom 22. Dezember 2015, dessen Titel vor der in DV Nr. 51 aus dem Jahr 2022 erschienenen und am 1. Juli 2022 in Kraft getretenen Änderung lautete: Zakon za upravlenie na sredstvata ot evropeyskite strukturni i investitsionni fondove [Gesetz über die Verwaltung der Mittel aus den Europäischen Struktur- und Investitionsfonds]) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: ZUSEFSU) heißt es: "(1) Die finanzielle Unterstützung aus Mitteln aus den ESI-Fonds kann durch Vornahme einer finanziellen Berichtigung aus folgenden Gründen ganz oder teilweise gestrichen werden: ... 9. aufgrund einer Unregelmäßigkeit, die einen Verstoß gegen die Vorschriften über die Benennung eines Auftragnehmers gemäß Kapitel 4 durch eine Handlung oder Unterlassung des Begünstigten darstellt und einen Schaden für die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds bewirkt oder bewirken würde; ... (2) Die Fälle von Unregelmäßigkeiten, die zu finanziellen Berichtigungen im Sinne von Abs. 1 Nr. 9 führen, werden in einem Rechtsakt des Ministerrats aufgeführt." |
9 | Art. 73 Abs. 1 ZUSEFSU lautet: "Die Grundlage und die Höhe der finanziellen Berichtigung legt der Leiter der Verwaltungsbehörde, die das Projekt genehmigt hat, in einer mit Gründen versehenen Entscheidung fest." Gesetz über das öffentliche Auftragswesen |
10 | Nach Art. 2 Abs. 2 des Zakon za obshtestvenite porachki (Gesetz über das öffentliche Auftragswesen, DV Nr. 13 vom 16. Februar 2016) dürfen öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe öffentlicher Aufträge den Wettbewerb nicht durch Bedingungen oder Anforderungen beschränken, die einen ungerechtfertigten Vorteil verschaffen oder die Teilhabe von Wirtschaftsteilnehmern an öffentlichen Aufträgen ungerechtfertigt beschränken und mit dem Gegenstand, dem Wert, der Komplexität, der Menge oder dem Umfang des öffentlichen Auftrags nicht im Einklang stehen. Ausgangsverfahren und Vorlagefragen Rechtssache C-471/23 |
11 | Infolge eines Auswahlverfahrens im Rahmen des Operationellen Programms "Regionen im Wachstum" 2014-2020, das Teil der Partnerschaftsvereinbarung der Republik Bulgarien für den Programmplanungszeitraum 2014-2020 ist, wurde der Gemeinde Veliko Tarnovo der Zuschuss "Umsetzung integrierter Städtebau- und Stadtentwicklungskonzepte 2014-2020" unmittelbar gewährt. |
12 | Am 24. August 2018 schloss diese Gemeinde mit der "Organizatsia na dvizhenieto, parkingi i garazhi" EOOD (Betrieb für Verkehrswesen, Parkplatz- und Parkhausbewirtschaftung, im Folgenden: kommunale Gesellschaft) einen Partnerschaftsvertrag. Dieser Partnerschaftsvertrag sieht vor, dass die Gemeinde als "federführender Partner" und die kommunale Gesellschaft als "Partner" im Projekt "Integrierter städtischer Verkehr der Stadt Veliko Tarnovo" im Rahmen dieses operationellen Programms benannt werden. |
13 | Nach dem Partnerschaftsvertrag obliegt es dem federführenden Partner im Fall der Bewilligung des Projekts, einen Verwaltungsvertrag zu schließen. Der Partner, d. h. im vorliegenden Fall die kommunale Gesellschaft, ist in seiner Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber verpflichtet, nach dem Gesetz über das öffentliche Auftragswesen ein Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags über die Lieferung von Schienenfahrzeugen durchzuführen. Im Partnerschaftsvertrag ist ferner geregelt, dass, falls im Rahmen dieses Verfahrens Verstöße begangen werden, die eine finanzielle Berichtigung rechtfertigen, die von dieser Berichtigung betroffenen Mittel in Höhe der Berichtigung von dem öffentlichen Auftraggeber zu tragen sind, der Partei des zu der Berichtigung Anlass gebenden Vertrags ist. |
14 | Am 19. Juli 2019 schloss die Gemeinde Veliko Tarnovo als Begünstigte des Zuschusses "Umsetzung integrierter Städtebau- und Stadtentwicklungskonzepte 2014-2020" mit der Verwaltungsbehörde des Operationellen Programms "Regionen im Wachstum" 2014-2020 einen Verwaltungsvertrag über einen Gesamtwert von 11 133 732,51 Lewa (BGN) (etwa 5 700 000 Euro), wovon ein Betrag von 10 409 573,31 BGN (etwa 5 300 000 Euro) auf den Zuschuss entfiel und ein Betrag von 724 159,20 BGN (etwa 370 000 Euro) als Eigenbeitrag des Begünstigten vorgesehen war. |
15 | Nach diesem Verwaltungsvertrag stellt ein Teil des in Rede stehenden Zuschussbetrags eine staatliche Beihilfe zugunsten des Betreibers eines öffentlichen Personenverkehrsdiensts in Form einer Ausgleichsleistung für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen gemäß der Verordnung Nr. 1370/2007 dar. Verwalter dieser Beihilfe ist die Gemeinde Veliko Tarnovo, die die Einhaltung der anwendbaren Regelungen im Einklang mit den sich aus dieser Verordnung ergebenden Anforderungen, einschließlich der Einführung und Anwendung angemessener Mechanismen zur Kontrolle von deren Einhaltung, zu gewährleisten hat. |
16 | Der Begünstigte haftet gemäß den allgemeinen Bedingungen dieses Verwaltungsvertrags gegenüber der Verwaltungsbehörde des Operationellen Programms "Regionen im Wachstum" 2014-2020 für Handlungen von Partnern und externen Auftragnehmern bei der Durchführung des betreffenden Projekts und trägt "auf eigene Kosten alle Risiken, einschließlich nicht förderfähiger Ausgaben und finanzieller Berichtigungen, die zulasten des Zuschusses für den Haushalt des Projekts gehen". |
17 | Nachdem die kommunale Gesellschaft in ihrer Eigenschaft als Erbringer einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse und als benannter Empfänger einer staatlichen Beihilfe aus Mitteln der ESI-Fonds ein Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags eingeleitet hatte, schloss sie am 31. März 2020 mit dem Auftragnehmer "Excelor-Alfa" DZZD einen Vertrag über einen öffentlichen Auftrag, der die Lieferung von drei Elektrobussen zum Gegenstand hatte. |
18 | Infolge einer Unregelmäßigkeitsmeldung erließ die Verwaltungsbehörde des Operationellen Programms "Regionen im Wachstum" 2014-2020 wegen einer von der kommunalen Gesellschaft begangenen Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 70 Abs. 1 Nr. 9 ZUSEFSU am 11. Mai 2022 gegenüber der Gemeinde Veliko Tarnovo eine Entscheidung über eine finanzielle Berichtigung (im Folgenden: Entscheidung vom 11. Mai 2022 über die finanzielle Berichtigung). Die finanzielle Berichtigung belief sich auf 25 % der im Rahmen dieses öffentlichen Auftrags aus den ESI-Fonds förderfähigen Mittel. |
19 | Gegen diese Entscheidung erhob die Gemeinde Veliko Tarnovo Klage beim Administrativen sad Veliko Tarnovo (Verwaltungsgericht Veliko Tarnovo, Bulgarien). |
20 | Mit Urteil vom 1. November 2022 wies dieses Gericht die Klage mit der Begründung ab, die Gemeinde Veliko Tarnovo sei alleiniger Begünstigter des in Rede stehenden Zuschusses, da sie Partei des in Rn. 14 des vorliegenden Urteils genannten Verwaltungsvertrags sei, und könne als Partei dieses Vertrags berechtigterweise als Adressat der Entscheidung, mit der die betreffende finanzielle Berichtigung festgesetzt worden sei, angesehen werden. Ferner befreie der Umstand, dass die Gemeinde als Begünstigter dieses Zuschusses für bestimmte Tätigkeiten Partnerschaftsverträge abgeschlossen habe, sie nicht von ihrer Haftung als Partei dieses Vertrags, der ein unmittelbares Rechtsverhältnis mit der Verwaltungsbehörde des Operationellen Programms "Regionen im Wachstum" 2014-2020 begründe. Schließlich stellte das Gericht fest, dass die Klausel über die Haftung für Verstöße und Risiken, einschließlich finanzieller Berichtigungen, insofern Regresscharakter habe, als sie darauf abziele, im Innenverhältnis zwischen den Partnern zu bestimmen, wer für solche Berichtigungen hafte. |
21 | Gegen dieses Urteil legte die Gemeinde Veliko Tarnovo beim Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht, Bulgarien), dem vorlegenden Gericht, Kassationsbeschwerde ein. |
22 | Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass zunächst für die Antwort auf die Frage, ob die Gemeinde Veliko Tarnovo die alleinige Begünstigte des in Rede stehenden Zuschusses sei und ob sie in dieser Eigenschaft einen Verstoß gegen bulgarisches Recht begangen habe, der zu einer finanziellen Berichtigung geführt habe, der Begriff "Begünstigter" im Sinne von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 auszulegen sei. |
23 | Sodann stelle sich die Frage, ob die Gemeinde Veliko Tarnovo aufgrund einer von der kommunalen Gesellschaft begangenen Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 2 Nr. 36 der Verordnung Nr. 1303/2013 als Adressat der Entscheidung vom 11. Mai 2022 über eine finanzielle Berichtigung angesehen werden könne und somit für Verstöße haften müsse, die in dem von dieser Gesellschaft eingeleiteten Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags begangen worden seien, wenn es nicht diese Gemeinde sei, die die Mittel aus den ESI-Fonds für den infolge dieses Verfahrens geschlossenen Vertrag über einen öffentlichen Auftrag verwende. |
24 | Sofern feststehe, dass die kommunale Gesellschaft als Empfängerin des Zuschusses und als die öffentliche Einrichtung, die für die Einleitung und Durchführung des spezifischen Vorgangs der Beschaffung von Fahrzeugen verantwortlich sei, Begünstigte dieses von der finanziellen Berichtigung betroffenen Zuschusses sei, stelle sich schließlich auch die Frage, warum ihr kein Recht auf Beteiligung an dem Verfahren zur Festsetzung dieser finanziellen Berichtigung gewährt worden sei und ob sie sich als Partei im Verfahren zu deren Anfechtung vor dem Administrativen sad Veliko Tarnovo (Verwaltungsgericht Veliko Tarnovo) hätte beteiligen können müssen. |
25 | Vor diesem Hintergrund hat der Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen: 1. Fällt der Verwalter einer staatlichen Beihilfe in Form von Mitteln aus den ESI-Fonds, der nicht Empfänger der Beihilfe ist, im Zusammenhang mit staatlichen Beihilfen unter den Begriff "Begünstigter" der Beihilfe im Sinne von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013? 2. Kann der Verwalter einer staatlichen Beihilfe in Form von Mitteln aus den ESI-Fonds, der nicht die Person ist, die die Beihilfe auf der Grundlage eines öffentlichen Auftrags verwendet, richtiger Adressat einer Entscheidung sein, mit der eine finanzielle Berichtigung wegen eines bei der Vergabe des öffentlichen Auftrags begangenen Verstoßes gegen nationales Recht bzw. Unionsrecht festgesetzt wird? 3. Müssen in Bezug auf die Person, die Adressat der Verwaltungsmaßnahme "finanzielle Berichtigung" wegen einer Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 2 Nr. 36 der Verordnung Nr. 1303/2013 ist, im Fall einer staatlichen Beihilfe in Form von Mitteln aus den ESI-Fonds zwei kumulative Voraussetzungen vorliegen: dass sie Empfänger des Zuschusses aus den von der Unregelmäßigkeit betroffenen Mitteln ist und dass sie diejenige Person ist, die die betroffenen Mittel verwendet hat? 4. Kann die Haftung für Gesetzesverstöße bei der Verwendung einer staatlichen Beihilfe in Form von Mitteln aus den ESI-Fonds durch einen Vertrag zwischen dem Empfänger und dem Verwalter der Beihilfe geregelt oder umverteilt werden oder haftet der Empfänger der Beihilfe, der sie rechtswidrig verwendet? 5. Besteht eine gesamtschuldnerische Haftung des Empfängers der Beihilfe und des Verwalters der Beihilfe und muss eine derartige Haftung im Vertrag über die Gewährung der Beihilfe vorgeschrieben werden? 6. Stehen Art. 41 und Art. 47 der Charta einer nationalen Verwaltungspraxis und Rechtsprechung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens entgegen, wonach einem "Betreiber eines Dienstes von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse", wie der kommunalen Gesellschaft, von der behauptet wird, es sei in dem von ihr durchgeführten Verfahren ein Verstoß gegen das Gesetz über das öffentliche Auftragswesen bei der Vergabe eines öffentlichen Auftrags im Verfahren der Verwendung von Mitteln aus den ESI-Fonds (die eine staatliche Beihilfe darstellen) festgestellt worden, weder das Recht auf Beteiligung im Verfahren zur Festsetzung einer finanziellen Berichtigung in Bezug auf einen von diesem Betreiber geschlossenen Vertrag, noch das Recht auf Beteiligung am Gerichtsverfahren zur Anfechtung dieses Verwaltungsakts gewährt wird, mit der Begründung, dass dieser Betreiber als Partner der Gemeinde aus dem Partnerschaftsvertrag für den Regress zivilrechtlich hafte? Rechtssache C-477/23 |
26 | Die Rechtssache C-477/23 betrifft die Verwendung von Mitteln aus den ESI-Fonds für den Zeitraum 2014-2020 im Rahmen eines "Kombinierten Verfahrens für die Planung und den Bau von Kompostierungsanlagen und Anlagen zur Vorbehandlung von Haushaltsabfällen" mit dem Ziel, die Menge der deponierten Abfälle zu verringern, indem zusätzliche Kapazitäten für die Vorbehandlung unsortierter Abfälle sowie für das getrennte Sammeln und das Recycling durch Kompostierung von Grün- und/oder biologisch abbaubaren Abfällen bereitgestellt werden. |
27 | Im Rahmen des Verfahrens zur Gewährung eines direkten Zuschusses an die Region Pazardzhik (Bulgarien) erarbeiteten mehrere Gemeinden, darunter die Gemeinden Pazardzhik und Belovo, einen gemeinsamen Projektantrag im Hinblick auf die Gewährung eines solchen Zuschusses. Die betreffenden Gemeinden mussten einen Verwaltungsvertrag über die Gewährung eines Zuschusses im Rahmen des Operationellen Programms "Umwelt" 2014-2020 unterzeichnen. Dieser Vertrag sieht vor, dass die Gemeinden, die Parteien des Vertrags sind, die Gemeinde Pazardzhik als "federführende Gemeinde" benennen. Obwohl neben dem Namen jeder dieser Gemeinden auch ihre "Partner"-Eigenschaft angeführt wird, sieht der Vertrag ferner vor, dass alle von ihm erfassten Gemeinden Begünstigte sind. |
28 | Aus den Durchführungsbestimmungen zu dem im Rahmen dieses Verfahrens genehmigten Projekts, die Bestandteil des in der vorstehenden Randnummer genannten Verwaltungsvertrags sind, geht hervor, dass die Gemeinde Pazardzhik als "federführende Gemeinde" für die Verwaltung dieses Projekts verantwortlich und befugt ist, die betreffenden Mittel auf ihrem Bankkonto zu empfangen und an die Partnergemeinden zu verteilen. Die Partnergemeinden beteiligen sich ihrerseits gemeinsam mit der federführenden Gemeinde an der Konzeption sowie an der technischen und finanziellen Durchführung des Projekts. In diesem Zusammenhang war es Sache der Gemeinde Belovo, das Verfahren über die Vergabe des öffentlichen Auftrags für die Planung, die Bauaufsicht, den Bau, die Lieferung und die Errichtung einer Kompostierungsanlage für getrennt gesammelte Grün- und/oder biologisch abbaubare Abfälle mit einer Kapazität von 2 000 t pro Jahr durchzuführen und diesen öffentlichen Auftrag zu vergeben. |
29 | Im Rahmen des Verfahrens zur Vergabe dieses öffentlichen Auftrags schloss die Gemeinde Belovo in ihrer Eigenschaft als öffentliche Auftraggeberin mit der "Delchev Engineering" EOOD einen Vertrag über einen öffentlichen Auftrag. |
30 | Mit Entscheidung vom 21. März 2022 nahm die Verwaltungsbehörde des Operationellen Programms "Umwelt" 2014-2020 gegenüber der Gemeinde Pazardzhik eine finanzielle Berichtigung in Höhe von 10 % der im Rahmen dieses öffentlichen Auftrags aus den ESI-Fonds finanzierten förderfähigen Ausgaben vor (im Folgenden: Entscheidung vom 21. März 2022 über eine finanzielle Berichtigung). Anlass für die Vornahme dieser finanziellen Berichtigung war eine von der Gemeinde Belovo begangene Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 70 Abs. 1 Nr. 9 ZUSEFSU. |
31 | Die Gemeinde Belovo, die nicht Adressat der Entscheidung vom 21. März 2022 über eine finanzielle Berichtigung ist, erhob gegen diese Entscheidung Klage beim Administrativen sad Pazardzhik (Verwaltungsgericht Pazardzhik, Bulgarien). Mit Urteil vom 26. Oktober 2022 wies dieses Gericht die Klage ab und stellte fest, dass in dieser Entscheidung zwar nur die Gemeinde Pazardzhik als deren Adressat angegeben worden sei, aber die Gemeinde Belovo als öffentlicher Auftraggeber den Vertrag über den öffentlichen Auftrag unterzeichnet habe und ein rechtliches Interesse an der Erhebung der Klage habe. Das Gericht befand jedoch, dass die Entscheidung im Einklang mit dem bulgarischen Recht erlassen worden sei. |
32 | Gegen dieses Urteil legte die Gemeinde Belovo beim Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht), dem vorlegenden Gericht, Kassationsbeschwerde ein. |
33 | Diesem Gericht zufolge besteht eine Divergenz in der nationalen Rechtsprechung zu Sachverhalten, die dem im vorliegenden Fall in Rede stehenden ähnlich seien und das gleiche Finanzierungsverfahren mit Mitteln der ESI-Fonds beträfen. |
34 | Zum einen gehe nämlich aus bestimmten nationalen Entscheidungen hervor, dass nur die federführende Gemeinde des betreffenden Projekts den Status eines "Begünstigten" im Sinne von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 habe und Adressat der Entscheidung über eine finanzielle Berichtigung sei, während dies auf die anderen Partnergemeinden nicht zutreffe. So seien in den Fällen, in denen diese nationalen Entscheidungen ergangen seien, die Partnergemeinden, ausgenommen die federführende Gemeinde, weder an dem Verfahren zur Festsetzung der in Rede stehenden finanziellen Berichtigung noch am gerichtlichen Verfahren zur Anfechtung des Rechtsakts, mit dem diese vorgenommen worden sei, als Beteiligte zugelassen worden, selbst wenn die Unregelmäßigkeit, die zu dieser finanziellen Berichtigung geführt habe, auf diese Partnergemeinden zurückzuführen gewesen sei. |
35 | Zum anderen seien einige nationale Gerichte der Ansicht, dass im Fall eines Verstoßes gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge durch eine Gemeinde, die Mittel aus den ESI-Fonds verwende, davon auszugehen sei, dass diese Gemeinde Adressat des in Rede stehenden Rechtsakts über die finanzielle Berichtigung sei und berechtigt sei, sich an dem Verfahren zur Festsetzung der betreffenden finanziellen Berichtigung zu beteiligen und sich vor einem Gericht zu verteidigen. |
36 | Darüber hinaus äußert das vorlegende Gericht Zweifel, wie über die Haftung für finanzielle Berichtigungen aufgrund von Verstößen gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge im Rahmen der Verwendung von Mitteln aus den ESI-Fonds zu entscheiden sei. |
37 | Vor diesem Hintergrund hat der Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen: 1. Steht die Auslegung von Art. 2 Nr. 10, Nr. 36 und Nr. 37 der Verordnung Nr. 1303/2013 einer nationalen Regelung oder einer Auslegungs- und Anwendungspraxis dieser Regelung entgegen, wonach in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens allein eine der Partnergemeinden (Parteien des Verwaltungsvertrags über den Zuschuss), die den Verwaltungsvertrag über den finanziellen Zuschuss als federführender Partner unterschrieben hat, als Begünstigter des Zuschusses aus Mitteln der ESI-Fonds anzusehen ist? Welche Voraussetzungen muss eine Organisation erfüllen, um in einem Fall wie dem vorliegenden als "Begünstigter" im Sinne von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 eingestuft zu werden? 2. Steht die Auslegung von Art. 2 Nr. 10, Nr. 36 und Nr. 37 der Verordnung Nr. 1303/2013 einer nationalen Regelung oder einer Auslegungs- und Anwendungspraxis dieser Regelung entgegen, wonach in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens die finanzielle Berichtigung wegen eines von einem Wirtschaftsteilnehmer begangenen Verstoßes gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge mit einer Entscheidung festgesetzt wird, deren Adressat ein anderer Wirtschaftsteilnehmer ist, der keinen Verstoß begangen hat, aber als federführender Partner im Vertrag über den finanziellen Zuschuss aufgeführt wird? 3. Steht die Verordnung Nr. 1303/2013 einer nationalen Regelung oder einer Auslegungs- und Anwendungspraxis dieser Regelung entgegen, wonach die Haftung für eine finanzielle Berichtigung zwischen den Projektpartnern vertraglich umverteilt werden kann oder muss jeder Wirtschaftsteilnehmer die Haftung für die finanziellen Berichtigungen im Zusammenhang mit von ihm bei der Verwendung von Mitteln aus den ESI-Fonds begangenen Unregelmäßigkeiten nach den Verträgen, deren Vertragspartei er ist, tragen? 4. Stehen Art. 41 und Art. 47 der Charta einer nationalen Verwaltungspraxis und Rechtsprechung in einem Fall wie dem Fall des Ausgangsverfahrens entgegen, wonach der Gemeinde, von der behauptet wird, sie habe bei der Vergabe des öffentlichen Auftrags im Verfahren der Verwendung von Mitteln aus den ESI-Fonds gegen das Gesetz über das öffentliche Auftragswesen verstoßen, weder das Recht auf Beteiligung im Verfahren zur Festsetzung einer finanziellen Berichtigung, die einen von ihr geschlossenen Vertrag betrifft, noch das Recht auf Beteiligung am Gerichtsverfahren zur Anfechtung dieses Verwaltungsakts gewährt wird, mit der Begründung, dass ihr als Partner aufgrund des Partnerschaftsvertrags mit dem federführenden Partner der Zivilrechtsweg offen stehe? Zu den Vorlagefragen Zur ersten Frage in der Rechtssache C-471/23 und zur ersten Frage in der Rechtssache C-477/23 |
38 | Mit seiner ersten Frage in der Rechtssache C-471/23 und seiner ersten Frage in der Rechtssache C-477/23, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 dahin auszulegen ist, dass unter den Begriff "Begünstigter" im Sinne dieser Bestimmung eine Einrichtung fallen kann, die mit der Einleitung oder mit der Einleitung und Durchführung der betreffenden Vorhaben betraut ist, aber keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 2 Nr. 10 Buchst. a der Verordnung Nr. 1303/2013 erhält, sowie eine Einrichtung, die einen Verwaltungsvertrag über einen Zuschuss nicht "federführend" unterzeichnet hat. |
39 | Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 definiert in einem ersten Schritt den Begriff "Begünstigter" als eine Einrichtung des öffentlichen oder privaten Rechts oder eine natürliche Person, die mit der Einleitung oder mit der Einleitung und Durchführung von Vorhaben betraut ist. In einem zweiten Schritt stellt Art. 2 Nr. 10 Buchst. a und b dieser Verordnung klar, dass im Rahmen staatlicher Beihilfen "Begünstigter" die Stelle ist, die die Beihilfe erhält, es sei denn, die Beihilfe je Unternehmen beträgt weniger als 200 000 Euro, wobei der betreffende Mitgliedstaat in diesem Fall beschließen kann, dass der Begünstigte die Stelle ist, die die Beihilfe gewährt, unbeschadet der Verordnungen Nr. 1407/2013, Nr. 1408/2013 und Nr. 717/2014, und im Zusammenhang mit den in Teil Zwei Titel IV dieser Verordnung genannten Finanzierungsinstrumenten die Stelle, die das Finanzinstrument oder gegebenenfalls den Dachfonds einsetzt. |
40 | Aus dem Wortlaut des Einleitungssatzes der Definition des Begriffs "Begünstigter" in Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 geht hervor, dass die Mitgliedstaaten über ein gewisses Ermessen verfügen, um zu bestimmen, ob der Begünstigte in seiner Eigenschaft als Einrichtung des öffentlichen oder privaten Rechts oder natürliche Person nur mit der Einleitung der betreffenden Vorhaben oder sowohl mit deren Einleitung als auch mit deren Durchführung betraut ist. |
41 | Der zweite Teil dieser Bestimmung enthält Regelungen, um den Begünstigten in Fällen zu bestimmen, die staatliche Beihilfen und unter Teil Zwei Titel IV der Verordnung Nr. 1303/2013 fallende Finanzinstrumente betreffen. |
42 | Hierzu ist festzustellen, dass die im Einleitungssatz von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 und die in Art. 2 Nr. 10 Buchst. a und b dieser Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen durch die Konjunktion "und" voneinander getrennt werden. Die Verwendung dieser Konjunktion bedeutet jedoch nicht, dass diese Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen. Vielmehr sehen die Bestimmungen des Einleitungssatzes eine allgemeine Regelung vor, wohingegen die Bestimmungen von Art. 2 Nr. 10 Buchst. a und b der Verordnung ergänzende Vorschriften für besondere Sachverhalte darstellen. |
43 | Somit ist festzustellen, dass der Wortlaut von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 keineswegs ausschließt, dass es für ein Vorhaben mehrere Begünstigte gibt. |
44 | Wie sich aus dem 66. Erwägungsgrund dieser Verordnung ergibt, liegt die Verantwortung für die Durchführung der Vorhaben im Rahmen der Programme in erster Linie bei den Mitgliedstaaten, denen es somit freisteht, u. a. zu bestimmen, welche Einrichtung mit der Einleitung der betreffenden Vorhaben oder mit deren Einleitung und Durchführung betraut wird, ebenso wie die Stelle, die die in Rede stehende Beihilfe erhält. |
45 | Eine gegenteilige Auslegung könnte zu Situationen führen, in denen keine Einrichtung als Begünstigte im Sinne von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 eingestuft werden könnte, da sie nicht in der Lage wäre, die beiden Voraussetzungen zu erfüllen, die im Einleitungssatz von Art. 2 Nr. 10 und in Nr. 10 Buchst. a oder b dieser Verordnung vorgesehen sind. |
46 | Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen im Wesentlichen ausgeführt hat, würde ferner, was die in Art. 2 Nr. 10 Buchst. a der Verordnung Nr. 1303/2013 vorgesehene besondere Situation anbelangt, da ein Zuschuss unterschiedliche Zuschussformen umfassen kann - davon einige, die staatliche Beihilfen darstellen - eine solche Auslegung in Bezug auf die Teile eines Vorhabens, die von der Beihilfe betroffen sind, erfordern, dass die Stelle, die diese Beihilfe erhält, Begünstigter im Sinne von Art. 2 Nr. 10 Buchst. a dieser Verordnung ist, während in Bezug auf die anderen Teile desselben Vorhabens die mit der Einleitung oder mit der Einleitung und Durchführung des Vorhabens betraute Einrichtung der Begünstigte im Sinne des Einleitungssatzes von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung ist. Diese Auslegung dürfte aber auf praktische Schwierigkeiten stoßen, die damit zusammenhängen, dass Zuschüsse häufig in einem Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit stehen und es einer Festlegung bedarf, welche dieser Zuschüsse in Form staatlicher Beihilfen erfolgen können. |
47 | Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass in der Rechtssache C-471/23 die Gemeinde Veliko Tarnovo aufgrund des Verwaltungsvertrags, der mit der Verwaltungsbehörde des Operationellen Programms "Regionen im Wachstum" 2014-2020 zur Durchführung des Projektantrags für das in dieser Rechtssache in Rede stehende Projekt geschlossen wurde, als für die Durchführung dieses Projekts verantwortlich benannt wurde, während die kommunale Gesellschaft als Empfänger der staatlichen Beihilfe benannt wurde. Insoweit würde ein Teil des Zuschusses für dieses Projekt eine staatliche Beihilfe darstellen; ob die Höhe dieser Beihilfe weniger als 200 000 Euro beträgt, wird vom vorlegenden Gericht jedoch nicht ausgeführt. In der Rechtssache C-477/23 ist die Gemeinde Pazardzhik als "federführende" Gemeinde, die für die Verwaltung des in dieser Rechtssache in Rede stehenden Projekts verantwortlich ist, gemeinsam mit weiteren Gemeinden, darunter der Gemeinde Belovo, an der Vorbereitung sowie der technischen und finanziellen Durchführung des betreffenden Projekts beteiligt. |
48 | Insoweit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, das allein für die Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits und die Auslegung der betreffenden nationalen Rechtsvorschriften zuständig ist, festzustellen, ob in der Rechtssache C-471/23 die Gemeinde Veliko Tarnovo sowie in der Rechtssache C-477/23 die Gemeinden Pazardzhik und Belovo mit der Einleitung oder mit der Einleitung und Durchführung der betreffenden Vorhaben im Sinne des Einleitungssatzes von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 betraut sind, ob die Beihilfe, die die kommunale Gesellschaft in der Rechtssache C-471/23 erhalten hat, unter den Begriff "staatliche Beihilfen" im Sinne von Art. 2 Nr. 10 Buchst. a dieser Verordnung fällt und gegebenenfalls auf welchen Betrag sich diese Beihilfe beläuft. |
49 | Hierzu ist mit der Kommission darauf hinzuweisen, dass sich aus den Erwägungsgründen 5, 33 und 36 der Verordnung Nr. 1370/2007 sowie aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, dass Ausgleichsleistungen für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen, die unter Einhaltung aller in dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen gewährt werden, keine staatliche Beihilfe darstellen. |
50 | Wie sich im Übrigen aus Rn. 43 des vorliegenden Urteils ergibt, ist zwar nach Art. 2 Nr. 10 Buchst. a der Verordnung Nr. 1303/2013 im Rahmen staatlicher Beihilfen die Stelle, die die Beihilfe erhält, als Begünstigter im Sinne dieser Bestimmung anzusehen, doch ist nicht ausgeschlossen, dass auch eine Einrichtung, die die im Einleitungssatz von Art. 2 Nr. 10 dieser Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt, als Begünstigter im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann. |
51 | Was die Frage des vorlegenden Gerichts in der Rechtssache C-477/23 betrifft, ob nur eine öffentliche Einrichtung, die "federführend" einen Verwaltungsvertrag über einen Zuschuss unterzeichnet hat, als Begünstigter des betreffenden Zuschusses anzusehen ist, ist festzustellen, dass Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 keine spezifischen Kategorien potenzieller Begünstigter vorsieht. |
52 | Sofern eine Einrichtung mit der Einleitung oder mit der Einleitung und Durchführung von Vorhaben betraut ist, kann sie daher als "Begünstigter" im Sinne von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 angesehen werden, und zwar unabhängig davon, ob sie als "federführend" benannt wurde. |
53 | Nach alledem ist auf die erste Frage in der Rechtssache C-471/23 und auf die erste Frage in der Rechtssache C-477/23 zu antworten, dass Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 dahin auszulegen ist, dass unter den Begriff "Begünstigter" im Sinne dieser Bestimmung eine Einrichtung fallen kann, die mit der Einleitung oder mit der Einleitung und Durchführung der betreffenden Vorhaben betraut ist, aber keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 2 Nr. 10 Buchst. a der Verordnung Nr. 1303/2013 erhält, sowie eine Einrichtung, die einen Verwaltungsvertrag über einen Zuschuss nicht "federführend" unterzeichnet hat. Zur zweiten bis fünften Frage in der Rechtssache C-471/23 sowie zur zweiten und zur dritten Frage in der Rechtssache C-477/23 |
54 | Mit seiner zweiten bis fünften Frage in der Rechtssache C-471/23 sowie seiner zweiten und seiner dritten Frage in der Rechtssache C-477/23, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Nrn. 36 und 37 der Verordnung Nr. 1303/2013 dahin auszulegen ist, dass er zum einen einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine Entscheidung über eine finanzielle Berichtigung wegen Verstoßes gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge an einen anderen Wirtschaftsteilnehmer als denjenigen gerichtet werden kann, der diesen Verstoß begangen hat, und zum anderen, ob für diese finanzielle Berichtigung eine gesamtschuldnerische Haftung erfolgt, diese Haftung vertraglich zwischen diesem anderen Wirtschaftsteilnehmer und dem Wirtschaftsteilnehmer, der den Verstoß begangen hat, aufgeteilt werden kann oder der Wirtschaftsteilnehmer haftet, der den Verstoß begangen hat. |
55 | Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 2 Nr. 36 der Verordnung Nr. 1303/2013 jeder Verstoß gegen das Unionsrecht oder gegen nationale Vorschriften zu dessen Anwendung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines an der Inanspruchnahme von Mitteln aus den ESI-Fonds beteiligten Wirtschaftsteilnehmers, die einen Schaden für den Haushalt der Union in Form einer ungerechtfertigten Ausgabe bewirkt oder bewirken würde, eine Unregelmäßigkeit darstellt. |
56 | Außerdem sieht Art. 143 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1303/2013 u. a. vor, dass es in erster Linie den Mitgliedstaaten obliegt, Unregelmäßigkeiten zu untersuchen, die erforderlichen finanziellen Berichtigungen vorzunehmen und die Wiedereinziehungen zu betreiben. Zu diesem Zweck nehmen die Mitgliedstaaten, wie es in Art. 143 Abs. 2 dieser Verordnung heißt, die finanziellen Berichtigungen vor, die aufgrund der im Rahmen von Vorhaben oder operationellen Programmen festgestellten vereinzelten oder systembedingten Unregelmäßigkeiten notwendig sind. |
57 | Die Verordnung enthält jedoch keine Bestimmung über die Definition der Adressaten eines Rechtsakts über eine finanzielle Berichtigung. |
58 | Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Pflicht, einen durch eine Unregelmäßigkeit unrechtmäßig erhaltenen Vorteil zurück zu gewähren, keine Sanktion ist, sondern lediglich die Folge der Feststellung, dass die Voraussetzungen für den Erhalt des unionsrechtlich vorgesehenen Vorteils nicht beachtet worden sind und der erlangte Vorteil rechtsgrundlos gewährt wurde (Urteil vom 1. Oktober 2020, Elme Messer Metalurgs, C-743/18, EU:C:2020:767, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
59 | Daraus folgt, dass für die Rückgewähr eines durch eine Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 2 Nr. 36 der Verordnung Nr. 1303/2013 rechtsgrundlos erlangten Vorteils nicht zwangsläufig die Stelle in Anspruch zu nehmen ist, die eine solche Unregelmäßigkeit begangen hat. |
60 | Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass in der Rechtssache C-471/23 die Gemeinde Veliko Tarnovo den betreffenden Verwaltungsvertrag über einen Zuschuss mit der Verwaltungsbehörde des Operationellen Programms "Regionen im Wachstum" 2014-2020 unterzeichnet hat und Adressat der Entscheidung vom 11. Mai 2022 über eine finanzielle Berichtigung war, und zwar ungeachtet dessen, dass die kommunale Gesellschaft die in Rede stehende Unregelmäßigkeit begangen haben soll. In der Rechtssache C-477/23 unterzeichneten sämtliche betroffenen Gemeinden, einschließlich der Gemeinde Belovo, die die in Rede stehende Unregelmäßigkeit begangen haben soll, und die Gemeinde Pazardzhik als "federführende Gemeinde" den betreffenden Verwaltungsvertrag über einen Zuschuss, wobei die Gemeinde Pazardzhik Adressat der Entscheidung vom 21. März 2022 über eine finanzielle Berichtigung war. |
61 | Es ist jedoch festzustellen, dass, wie sich aus Rn. 59 des vorliegenden Urteils ergibt, Einrichtungen des öffentlichen Rechts wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gemeinden Adressaten einer finanziellen Berichtigung sein können, und zwar ungeachtet dessen, dass sie keine Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 2 Nr. 36 der Verordnung Nr. 1303/2013 begangen haben. |
62 | Zur Frage der Haftung für finanzielle Berichtigungen, die sich aus Verstößen gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge im Rahmen der Inanspruchnahme von Mitteln aus den ESI-Fonds ergeben, ist darauf hinzuweisen, dass die nationalen Gerichte Rechtsstreitigkeiten über die Wiedereinziehung von aufgrund des Unionsrechts rechtsgrundlos geleisteten Zahlungen in Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften nach ihrem nationalen Recht entscheiden müssen, vorbehaltlich der durch das Unionsrecht gezogenen Grenzen (Urteil vom 17. November 2022, Avicarvil Farms, C-443/21, EU:C:2022:899, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
63 | Da die Verordnung Nr. 1303/2013 keine Bestimmung über diese Haftung enthält, bestimmt sich diese daher nach dem nationalen Recht und den vertraglichen Verpflichtungen der an einem konkreten Vorhaben Beteiligten. |
64 | Folglich und je nach dem Inhalt dieser vertraglichen Verpflichtungen kann, obwohl jeder betroffene Wirtschaftsteilnehmer gegenüber der zuständigen nationalen Behörde für ein Vorhaben gesamtschuldnerisch haftbar gemacht werden kann, eine solche finanzielle Haftung auch unter den betroffenen Wirtschaftsteilnehmer aufgeteilt werden oder allein von dem Wirtschaftsteilnehmer getragen werden, der die in Rede stehende Unregelmäßigkeit begangen hat. |
65 | Allerdings gebietet nach ständiger Rechtsprechung der Grundsatz der Rechtssicherheit, dass Rechtsvorschriften - vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen haben können - klar und bestimmt sowie in ihrer Anwendung für den Einzelnen vorhersehbar sind. Dieser Grundsatz verlangt insbesondere, dass eine Regelung es den Betroffenen ermöglicht, den Umfang der ihnen damit auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen, und dass sie ihre Rechte und Pflichten eindeutig erkennen und sich darauf einstellen können (Urteil vom 4. Oktober 2024, Litauen u. a./Parlament und Rat [Mobilitätspaket], C-541/20 bis C-555/20, EU:C:2024:818, Rn. 158 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
66 | Außerdem gilt der Grundsatz der Rechtssicherheit in besonderem Maß bei einer Regelung, die finanzielle Konsequenzen haben kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. April 2021, Banco de Portugal u. a., C-504/19, EU:C:2021:335, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
67 | Im vorliegenden Fall geht aus den Vorlageentscheidungen hervor, dass die Gemeinde Veliko Tarnovo in der Rechtssache C-471/23 auf eigene Kosten alle Risiken trägt, einschließlich u. a. finanzieller Berichtigungen, die zulasten des Zuschusses für den Haushalt des in Rede stehenden Projekts gehen, während die kommunale Gesellschaft gegenüber der Verwaltungsbehörde des Operationellen Programms "Regionen im Wachstum" 2014-2020 keine solche finanzielle Verantwortung zu haben scheint. Dagegen beteiligen sich in der Rechtssache C-477/23 die betroffenen Gemeinden gemeinsam u. a. an der finanziellen Durchführung des in Rede stehenden Projekts, und die Gemeinde Pazardzhik ist als "federführende Gemeinde" befugt, die betreffenden Mittel auf ihrem Bankkonto zu empfangen und an die Partnergemeinden zu verteilen. |
68 | Insoweit wird das vorlegende Gericht zum einen zu prüfen haben, welche Wirtschaftsteilnehmer die finanzielle Verantwortung gegenüber den betreffenden Verwaltungsbehörden nach dem nationalen Recht und den Bestimmungen der in Rede stehenden Verträge tragen, und zum anderen, ob diese finanziell verantwortlichen Wirtschaftsteilnehmer wissen konnten, dass sie im Fall einer Unregelmäßigkeit bei der Durchführung des betreffenden Projekts allein, gesamtschuldnerisch oder nach anderen Modalitäten gegenüber den Verwaltungsbehörden für die finanzielle Berichtigung haften würden. |
69 | Nach alledem ist auf die zweite bis fünfte Frage in der Rechtssache C-471/23 sowie auf die zweite und die dritte Frage in der Rechtssache C-477/23 zu antworten, dass Art. 2 Nrn. 36 und 37 der Verordnung Nr. 1303/2013 dahin auszulegen ist, dass er weder einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine Entscheidung über eine finanzielle Berichtigung wegen Verstoßes gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge an einen anderen Wirtschaftsteilnehmer als denjenigen gerichtet werden kann, der diesen Verstoß begangen hat, noch dem entgegensteht, dass für diese finanzielle Berichtigung eine gesamtschuldnerische Haftung erfolgt, diese Haftung vertraglich zwischen diesem anderen Wirtschaftsteilnehmer und dem Wirtschaftsteilnehmer, der den Verstoß begangen hat, aufgeteilt werden kann oder der Wirtschaftsteilnehmer haftet, der den Verstoß begangen hat, sofern die finanziell verantwortlichen Wirtschaftsteilnehmer wissen können, dass sie im Fall einer Unregelmäßigkeit bei der Durchführung des in Rede stehenden Vorhabens insoweit gegenüber der betreffenden Verwaltungsbehörde für diese finanzielle Berichtigung haften. Zur sechsten Frage in der Rechtssache C-471/23 und zur vierten Frage in der Rechtssache C-477/23 |
70 | Mit seiner sechsten Frage in der Rechtssache C-471/23 und seiner vierten Frage in der Rechtssache C-477/23, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 41 und 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Praxis entgegenstehen, nach der ein Wirtschaftsteilnehmer, der eine Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 2 Nr. 36 der Verordnung Nr. 1303/2013 begangen hat, die zu einer finanziellen Berichtigung geführt hat, deshalb nicht berechtigt ist, sich an dem Verfahren zur Festsetzung dieser finanziellen Berichtigung oder an dem auf deren Anfechtung gerichteten gerichtlichen Verfahren zu beteiligen, weil diesem Wirtschaftsteilnehmer aufgrund eines Partnerschaftsvertrags ein zivilrechtlicher Rechtsbehelf zur Verfügung steht. |
71 | Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten, wie sich aus dem 65. Erwägungsgrund dieser Verordnung ergibt, geeignete Vorkehrungen treffen sollten, um eine ordnungsgemäße Struktur und Funktion ihrer Verwaltungs- und Kontrollsysteme zu gewährleisten, so dass eine rechtmäßige und ordnungsgemäße Nutzung der ESI-Fonds gewährleistet ist, und dass es nach Art. 143 Abs. 1 der Verordnung in erster Linie den Mitgliedstaaten obliegt, Unregelmäßigkeiten zu untersuchen und die erforderlichen finanziellen Berichtigungen vorzunehmen. |
72 | Beim Erlass solcher Maßnahmen zur Durchführung des Unionsrechts haben die Mitgliedstaaten dessen allgemeinen Grundsätze sowie die Bestimmungen der Charta zu beachten (Urteil vom 30. Januar 2024, Agentsia "Patna infrastruktura" [Europäische Finanzierung der Straßeninfrastruktur], C-471/22, EU:C:2024:99, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
73 | Da sich das vorlegende Gericht in diesem Zusammenhang insbesondere auf Art. 41 der Charta über das Recht auf eine gute Verwaltung bezieht, ist hervorzuheben, dass sich dieser Artikel an die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union und nicht an die Einrichtungen oder Stellen der Mitgliedstaaten richtet, so dass sich eine Privatperson gegenüber nationalen Behörden nicht auf diesen Artikel berufen kann. Wenn ein Mitgliedstaat Unionsrecht durchführt, sind jedoch die aus dem Grundsatz der guten Verwaltung als allgemeinem Grundsatz des Unionsrechts folgenden Anforderungen, insbesondere das Recht jeder Person darauf, dass ihre Angelegenheiten unparteiisch und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden, im Rahmen des von der zuständigen nationalen Behörde durchgeführten Verfahrens anzuwenden (Urteil vom 30. Januar 2024, Agentsia "Patna infrastruktura" [Europäische Finanzierung der Straßeninfrastruktur], C-471/22, EU:C:2024:99, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
74 | Soweit sich dieses Gericht auch auf das Recht auf Beteiligung am Verfahren bezieht, ist klarzustellen, dass dieses Recht die Ausübung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ermöglicht und deshalb ein integraler Bestandteil der Verteidigungsrechte ist, deren Achtung einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt. Das Recht auf Anhörung garantiert jeder Person die Möglichkeit, im Verwaltungsverfahren, bevor ihr gegenüber eine für ihre Interessen nachteilige Entscheidung erlassen wird, sachdienlich und wirksam ihren Standpunkt vorzutragen, auch wenn solche Verfahrensrechte in der anwendbaren Regelung nicht vorgesehen sind. Die Regel, wonach der Adressat einer beschwerenden Entscheidung in die Lage versetzt werden muss, seinen Standpunkt vorzutragen, bevor die Entscheidung getroffen wird, soll es der zuständigen Behörde erlauben, alle maßgeblichen Gesichtspunkte angemessen zu berücksichtigen (Urteil vom 30. Januar 2024, Agentsia "Patna infrastruktura" [Europäische Finanzierung der Straßeninfrastruktur], C-471/22, EU:C:2024:99, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
75 | Auf ein Verwaltungsverfahren zur Festsetzung einer finanziellen Berichtigung, das von den nationalen Behörden aufgrund einer Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 2 Nr. 36 der Verordnung Nr. 1303/2013 betrieben wird, findet diese Regel Anwendung. |
76 | Ferner umfasst das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz mehrere Elemente, zu denen die Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Waffengleichheit, das Recht auf Zugang zu den Gerichten sowie das Recht, sich beraten, verteidigen und vertreten zu lassen, gehören (Urteil vom 30. Januar 2024, Agentsia "Patna infrastruktura" [Europäische Finanzierung der Straßeninfrastruktur], C-471/22, EU:C:2024:99, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung). 77 Vorliegend bestand, wie in Rn. 67 des vorliegenden Urteils ausgeführt und vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht, in der Rechtssache C-471/23 keine Vertragsbeziehung zwischen der kommunalen Gesellschaft, die die Unregelmäßigkeit begangen haben soll, und der Verwaltungsbehörde des Operationellen Programms "Regionen im Wachstum" 2014-2020 und war diese Gesellschaft gegenüber dieser Behörde für die Durchführung des in Rede stehenden Projekts offenbar nicht finanziell verantwortlich. In der Rechtssache C-477/23 gibt das vorlegende Gericht nicht an, welche der betroffenen Gemeinden eine solche finanzielle Verantwortung trägt. |
78 | Sollte das vorlegende Gericht insoweit zu dem Ergebnis gelangen, dass der Wirtschaftsteilnehmer, der die Unregelmäßigkeit begangen hat, gegenüber der betreffenden Verwaltungsbehörde nicht finanziell für die Durchführung des in Rede stehenden Projekts verantwortlich ist, stehen die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts der guten Verwaltung und der Wahrung der Verteidigungsrechte sowie Art. 47 der Charta dem nicht entgegen, dass dieser Wirtschaftsteilnehmer weder das Recht hat, sich an dem Verfahren zur Festsetzung der finanziellen Berichtigung noch am gerichtlichen Verfahren zur Anfechtung dieser Berichtigung zu beteiligen. |
79 | In einem solchen Fall, in dem eine Entscheidung über eine finanzielle Berichtigung sich nicht auf die Interessen dieses Wirtschaftsteilnehmers, sondern vielmehr auf die Interessen desjenigen unmittelbar auswirken würde, der gegenüber der betreffenden Verwaltungsbehörde für die Durchführung dieses Vorhabens finanziell verantwortlich ist, ist es der letztgenannte Wirtschaftsteilnehmer, dem das Recht auf Beteiligung am Verfahren zur Festsetzung dieser finanziellen Berichtigung und am gerichtlichen Verfahren zur Anfechtung dieser Berichtigung zuzuerkennen ist. |
80 | Sollte das vorlegende Gericht hingegen feststellen, dass der Wirtschaftsteilnehmer, der die Unregelmäßigkeit begangen hat, gegenüber der betreffenden Verwaltungsbehörde finanziell für die Durchführung des in Rede stehenden Projekts verantwortlich ist und dass sich die Entscheidung über die finanzielle Berichtigung, die sich aus der Feststellung dieser Unregelmäßigkeit ergibt, unmittelbar auf seine Interessen auswirkt, stehen die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts der guten Verwaltung und der Wahrung der Verteidigungsrechte sowie Art. 47 der Charta dem entgegen, dass dieser Wirtschaftsteilnehmer weder seinen Standpunkt im Verfahren zur Festsetzung dieser finanziellen Berichtigung vortragen kann noch Zugang zu einem Gericht zwecks Anfechtung dieser Berichtigung hat. |
81 | Keine Bedeutung kommt insoweit dem vom vorlegenden Gericht angeführten Umstand zu, dass dieser Wirtschaftsteilnehmer zivilrechtlich auf Regress haftet und gemäß dem Partnerschaftsvertrag in einem gesonderten Zivilverfahren gegen den federführenden Begünstigten Ansprüche geltend machen kann, da ein solcher zivilrechtlicher Rechtsbehelf es diesem Wirtschaftsteilnehmer nicht ermöglicht, den Erlass einer derartigen ihn beschwerenden Entscheidung über eine finanzielle Berichtigung selbst anzufechten. |
82 | Nach alledem ist auf die sechste Frage in der Rechtssache C-471/23 und auf die vierte Frage in der Rechtssache C-477/23 zu antworten, dass die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts der guten Verwaltung und der Wahrung der Verteidigungsrechte sowie Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Praxis entgegenstehen, nach der ein Wirtschaftsteilnehmer, der eine Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 2 Nr. 36 der Verordnung Nr. 1303/2013 begangen hat, die zu einer finanziellen Berichtigung geführt hat, deshalb nicht berechtigt ist, sich an dem Verfahren zur Festsetzung dieser finanziellen Berichtigung oder an dem auf deren Anfechtung gerichteten gerichtlichen Verfahren zu beteiligen, weil diesem Wirtschaftsteilnehmer aufgrund eines Partnerschaftsvertrags ein zivilrechtlicher Rechtsbehelf zur Verfügung steht, soweit der Wirtschaftsteilnehmer gegenüber der betreffenden Verwaltungsbehörde für die Durchführung des in Rede stehenden Vorhabens finanziell verantwortlich ist. Kosten |
83 | Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt: 1. Art. 2 Nr. 10 der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates in der durch die Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass unter den Begriff "Begünstigter" im Sinne dieser Bestimmung eine Einrichtung fallen kann, die mit der Einleitung oder mit der Einleitung und Durchführung der betreffenden Vorhaben betraut ist, aber keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 2 Nr. 10 Buchst. a der Verordnung Nr. 1303/2013 erhält, sowie eine Einrichtung, die einen Verwaltungsvertrag über einen Zuschuss nicht "federführend" unterzeichnet hat. 2. Art. 2 Nrn. 36 und 37 der Verordnung Nr. 1303/2013 in der durch die Verordnung 2018/1046 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er weder einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine Entscheidung über eine finanzielle Berichtigung wegen Verstoßes gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge an einen anderen Wirtschaftsteilnehmer als denjenigen gerichtet werden kann, der diesen Verstoß begangen hat, noch dem entgegensteht, dass für diese finanzielle Berichtigung eine gesamtschuldnerische Haftung erfolgt, diese Haftung vertraglich zwischen diesem anderen Wirtschaftsteilnehmer und dem Wirtschaftsteilnehmer, der den Verstoß begangen hat, aufgeteilt werden kann oder der Wirtschaftsteilnehmer haftet, der den Verstoß begangen hat, sofern die finanziell verantwortlichen Wirtschaftsteilnehmer wissen können, dass sie im Fall einer Unregelmäßigkeit bei der Durchführung des in Rede stehenden Vorhabens insoweit gegenüber der betreffenden Verwaltungsbehörde für diese finanzielle Berichtigung haften. 3. Die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts der guten Verwaltung und der Wahrung der Verteidigungsrechte sowie Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Praxis entgegenstehen, nach der ein Wirtschaftsteilnehmer, der eine Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 2 Nr. 36 der Verordnung Nr. 1303/2013 begangen hat, die zu einer finanziellen Berichtigung geführt hat, deshalb nicht berechtigt ist, sich an dem Verfahren zur Festsetzung dieser finanziellen Berichtigung oder an dem auf deren Anfechtung gerichteten gerichtlichen Verfahren zu beteiligen, weil diesem Wirtschaftsteilnehmer aufgrund eines Partnerschaftsvertrags ein zivilrechtlicher Rechtsbehelf zur Verfügung steht, soweit der Wirtschaftsteilnehmer gegenüber der betreffenden Verwaltungsbehörde für die Durchführung des in Rede stehenden Vorhabens finanziell verantwortlich ist. |
Wer nur Gerät überlässt, ist kein Nachunternehmer!
Wer nur Gerät überlässt, ist kein Nachunternehmer!
VK Bund, Beschluss vom 05.02.2025 - VK 2-119/24
Auftraggeber kann nicht zum Vertragsschluss gezwungen werden!
Auftraggeber kann nicht zum Vertragsschluss gezwungen werden!
OLG Jena, Beschluss vom 08.01.2025 - Verg 8/24
Planungsleistungen freihändig vergeben: Schwerer Vergaberechtsver...
Planungsleistungen freihändig vergeben: Schwerer Vergaberechtsverstoß!
OVG Sachsen, Urteil vom 25.09.2024 - 6 A 118/20
Kein Vertragsschluss bei Zuschlag mit Änderungen!
Kein Vertragsschluss bei Zuschlag mit Änderungen!
OLG Naumburg, Beschluss vom 11.10.2024 - 6 Verg 2/24
Bei Rahmenvertrag ist (nur) die maximale Abnahmemenge bekannt zu ...
Bei Rahmenvertrag ist (nur) die maximale Abnahmemenge bekannt zu geben!
VK Bund, Beschluss vom 30.12.2024 - VK 2-103/24
Wann dürfen vertragliche Zusagen der Bieter berücksichtigt werden...
Wann dürfen vertragliche Zusagen der Bieter berücksichtigt werden?
OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.02.2025 - 6 U 12/24
Wie ist die Preisprüfung eines Unterkostenangebots zu dokumentier...
Wie ist die Preisprüfung eines Unterkostenangebots zu dokumentieren?
VK Westfalen, Beschluss vom 27.05.2024 - VK 1-10/24
Gutes Personal ist zulässiges Zuschlagskriterium!
Gutes Personal ist zulässiges Zuschlagskriterium!
VK Bund, Beschluss vom 13.12.2024 - VK 2-101/24
Darf der (interne) Vorauftragnehmer am Vergabeverfahren teilnehme...
Darf der (interne) Vorauftragnehmer am Vergabeverfahren teilnehmen?
EuGH, Urteil vom 13.02.2025 - Rs. C-684/23
Kein sachlicher Aufhebungsgrund: Vergabeverfahren ist fortzusetze...
Kein sachlicher Aufhebungsgrund: Vergabeverfahren ist fortzusetzen!
VK Bund, Beschluss vom 03.07.2024 - VK 2-51/24