OLG Schleswig
Beschluss
vom 24.11.2023
54 Verg 6/23
1. Eine Handwerkskammer ist zwar eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, aber kein öffentlicher Auftraggeber, weil sie keiner qualifizierten staatlichen Einflussnahmemöglichkeit unterliegt. Die bloße Rechtsaufsicht, Rechtmäßigkeits- oder Rechnungshofkontrolle ist mangels entsprechender Einflussmöglichkeiten nicht ausreichend.
2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung der "überwiegenden Subventionierung" i.S.v. § 99 Nr. 4 GWB ist der Zeitpunkt der Ausschreibung. Entscheidend ist, in welcher Höhe der Auftraggeber mit Fördermitteln bei seiner Gesamtkalkulation gerechnet hat.
vorhergehend:
VK Schleswig-Holstein, 29.09.2023 - VK-SH 13/23
In Sachen
(...)
wegen Verlängerung der aufschiebenden Wirkung (§ 173 GWB)
hat der Vergabesenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. ###, den Richter am Oberlandesgericht ### und den Richter am Oberlandesgericht Dr. ### am 24.11.2023
beschlossen:
1. Der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin vom 16.10.2023 gegen den Beschluss der Vergabekammer Schleswig-Holstein vom 29.09.2023 bis zur Entscheidung des Senats über die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag der Antragstellerin auf erweiterte Akteneinsicht vom 16.10.2023 wird zurückgewiesen.
3. Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin schrieb mit Auftragsbekanntmachung vom ### im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union (###) "Planungsleistungen für Baugrund und Wasserhaltung" im Offenen Verfahren aus. Diese Bezeichnung findet sich unter II. 1.4) und II.2.4) der EU- Bekanntmachung. Als Bezeichnung des Auftrags ist unter 11.1.1) Bezeichnung des Auftrags "###" angegeben.
Als zuständige Stelle für Rechtsbehelfs-/Nachprüfungsverfahren ist in der EU-Bekanntmachung die Antragsgegnerin selbst benannt.
Die Laufzeit des Vertrages ist mit 01.08.2023 bis 30.08.2026 angegeben.
Der Preis ist das einzige Zuschlagskriterium.
Als geschätzter Gesamtwert für den Auftrag ist in der EU-Bekanntmachung 76.000 EUR ohne Mehrwertsteuer angegeben.
Unter III.1.3) Technische und berufliche Leistungsfähigkeit werden als Eignungskriterien benannt:
"Als Eigenerklärung sind vorzulegen:
- Angaben zu den für die Ausführung der Leistung zur Verfügung stehenden Arbeitskräften
- Ausführung von Leistungen, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind."
Das Leistungsverzeichnis enthält in der Position 1.11 folgende Formulierung:
"Probeentnahme von Aushubböden durch einen akkreditierten Probeentnehmer auf dem ### incl. An- und Abfahrten im Zuge der Erdarbeiten"
Teil der Vergabeunterlagen war das Dokument
"### der ###.
Vorplanung (LPH 2) "kleiner" ### mit reduziertem ###
Baubeschreibung zur Vorplanung (LPH 2) Stand: 15.03.2023 (VORABZUG)"
Sowohl Antragstellerin als auch Beigeladene gaben ein Angebot ab. Die Antragstellerin gab das günstigste Angebot ab und war zunächst für den Zuschlag vorgesehen. Am 29.06.2023 wurde die Antragstellerin gebeten, einen geeigneten Nachweis zur Akkreditierung hinsichtlich des Punktes 1.11 des Leistungsverzeichnisses zu übersenden. In der Folge legte die Antragstellerin bis zum 30.06.2023 Urkunden vor. Mit E-Mail vom selben Tag forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin erneut zur Übersendung einer Akkreditierungsurkunde auf. Die Antragstellerin übersandte sodann eine Akkreditierung für das Labor und führte zu den Anforderungen an die Probeentnahme nach § 8 Satz 1 der Ersatzbaustoffverordnung aus. Mit E-Mail vom 03.07.2023 wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass eine Akkreditierung für die Probeentnahme bislang nicht vorgelegt worden, diese ab dem 01.08.2023 jedoch zwingend erforderlich sei. Mit E-Mail vom selben Tag fragte die Antragstellerin nach, um welche Akkreditierung es sich handele. Die Akkreditierung nach DIN EN ISO 17 020 und 17 025 werde unter gewissen Umständen in dem novellierten Bundesbodenschutzgesetz abgefragt, für die in Position 1.12/1:13 bzw. für die entsprechende Probenahme Pos. 1.11 zu erbringende Leistung sei keine Akkreditierung vorzulegen. Grundlage für die Probeentnahme für die ordnungsgemäßen Abfalluntersuchungen sei in Deutschland die LAGA PN 98. Es würden für die abgefragten Leistungen alle formalen und technischen Voraussetzungen erfüllt. Am 13.07.2023 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass das Angebot der Antragstellerin im weiteren Verfahren keine Berücksichtigung finden werde. Aufgrund der Korrespondenz werde davon ausgegangen, dass die Antragstellerin die Voraussetzung eines akkreditierten Probenehmers nicht erfülle. Eine Beauftragung eines Unternehmens ohne die geforderte Akkreditierung würde ein Abweichen von den festgelegten Kriterien und eine Benachteiligung potentieller Bieter, die in Kenntnis der Anforderung von einer Abgabe eines Angebots abgesehen haben, bedeuten. Die Antragstellerin wandte sich am selben Tag gegen die Entscheidung der Antragsgegnerin. Es sei ihr keine für die abgefragte Leistung notwendige Akkreditierung bekannt, die Antragsgegnerin möge diese benennen. Die am 01.08.2023 in Kraft getretene BBodSchV n.F. enthalte Übergangsregelungen bis zum 01.08.2028. Bei Abgabe des Angebots sei es nicht notwendig erschienen, den intransparent genannten Begriff "Akkreditierung" aufzuklären, da die Antragstellerin darauf vertraut habe, dass sich die Antragsgegnerin nur auf die Einhaltung der geltenden Rechts- und Normlage berufe. Mit Schreiben vom 18.07.2023 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie bei ihrer Entscheidung bleibe. Die Entscheidung der Fachabteilung hinsichtlich der Anforderungen an die Probenahme beruhe ungeachtet gesetzlicher Vorgaben auf einer sorgfältigen Einschätzung.
Aufgrund besonderer Umstände zur Bodenbeschaffenheit im Bereich der geplanten Baumaßnahme werde die Probenahme durch einen akkreditierten Probenehmer für erforderlich gehalten. Die BBodSchV stehe dem nicht entgegen. Spätestens ab dem 01.08.2028 sei die Probenahme von einem akkreditierten Probenehmer durchzuführen. Der Antragsgegnerin sei es unbenommen, bereits vorher die Akkreditierung des Probenehmers zu fordern. Der Wortlaut des Leistungsverzeichnisses sei eindeutig gewesen und lasse kein abweichendes Verständnis zu. Einem interessierten Ingenieurbüro sei spätestens seit Bekanntwerden der Neufassung der BBodSchV der Begriff der Akkreditierung bekannt. Die Antragstellerin habe auch Aufklärungsfragen stellen können. Ein Abweichen von dem selbst aufgestellten Leistungsverzeichnis würde einen Vergabeverstoß darstellen. Vorsorglich werde darauf hingewiesen, dass die Antragsgegnerin nicht als Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB anzusehen sei.
Am 28.07.2023 stellte die Antragstellerin bei der Vergabekammer Schleswig-Holstein einen Nachprüfungsantrag, der am selben Tag an die Antragsgegnerin übermittelt wurde.
Am 16.08.2023 erteilte die Vergabekammer Schleswig-Holstein einen rechtlichen Hinweis, in dem sie ihre vorläufige Einschätzung mitteilte, dass die Antragsgegnerin - jedenfalls derzeit noch - kein öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 GWB sei.
Nach dem rechtlichen Hinweis der Vergabekammer erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen den Zuschlag. Die Vergabekammer teilte Antragsgegnerin und Beigeladener mit, dass eine etwaige Zuschlagserteilung nichtig sei, da sie gegen das gesetzliche Zuschlagsverbot verstoßen würde.
Die Antragstellerin trat der vorläufigen Bewertung der Vergabekammer zur fehlenden Eigenschaft der Antragsgegnerin als öffentliche Auftraggeberin entgegen. Die Antragstellerin meint, die Antragsgegnerin sei öffentlicher Auftraggeber, jedenfalls ein öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 4 GWB. Das Projekt ### der ### habe eine geschätzte Bausumme von jedenfalls über 90 Millionen EUR und werde nach Kenntnismöglichkeiten der Antragstellerin überwiegend mit Mitteln des Landes und weiterhin aus Mitteln des Bundes finanziert. Derzeit würden 59 Millionen EUR für das Vorhaben aus Landesmitteln stammen, dies habe das ### zum Haushalt 2023 am 13.12.2022 mitgeteilt. Allein die Finanzierungsabsicht sei maßgeblich für die Frage, ob die Antragsgegnerin Auftraggeberin nach § 99 Nr. 4 GWB sei. Abzustellen sei dabei auf den Begriff der Subventionen. Dies umfasse auch Sachleistungen, Garantien, Bürgschaften und Darlehen, aber auch Entbindung von einer Leistungspflicht oder Belastungsminderung. Es komme nicht darauf an, ob ein Fördermittelantrag bereits vorliege oder gestellt worden sei, entscheidend sei allein, in welcher Höhe der Auftraggeber mit Subventionen zum Zeitpunkt der Ausschreibung bei seiner Gesamtkalkulation rechne. Mangels Förderbescheid müsse auf andere Kalkulationsüberlegungen zurückgegriffen werden, insbesondere auch auf die öffentlichen Pressemitteilungen von Land und Bund. Bereits mit der ersten Ausschreibung zu einem Vorhaben müsse feststehen, ob der Auftraggeber öffentlicher Auftraggeber sei. Es komme darauf an, ob die Antragsgegnerin mit einer Subvention von mehr als 50 % rechne. Dies sei nicht im Sinne einer sicheren Erwartung einer Förderung, sondern schlicht als mathematische Kostenberechnung zu verstehen. Zur Planung und Realisierung des Projekts würden auch zahlreiche Ingenieurleistungen benötigt. Dies ergebe sich aus der Baubeschreibung zur Vorplanung der K. vom 15.03.2023. Die Gesamtheit aller Lose habe die Antragsgegnerin auf 22,84 Mio. EUR geschätzt. Die Überschreitung des EU-Schwellenwertes ergebe sich auch aus dem Vergabevermerk im Rahmen der Erläuterung der Vergabeart. Die ausgeschriebene Leistung sei auch nicht dem 20 % Kontingent des § 3 Abs. 9 VgV zugeordnet worden. Die hier ausgeschriebene Planungsleistung für Baugrund und Wasserhaltung des ### stehe mit Tiefbaumaßnahmen und vor allem mit Schulgebäuden in Verbindung. Eine zeitlich dem endgültigen Fördermittelbescheid vorangehende Beauftragung der Planung sei der Normalfall, schon allein deshalb, weil ein großer Teil der Planungsleistungen bereits erbracht sein müsse, bevor die notwendige EW-Bau erstellt werden könne. Auf sichere Fördermittel könne es auch bereits deshalb nicht ankommen, da diese unter dem Vorbehalt der Verwendungsnachweisprüfung stehe, also erst am Ende der Bauphase realisiert werde. Aus den Nebenbestimmungen eines vorläufigen Zuwendungsbescheides ergebe sich, dass Planungslose auch vor Erhalt des endgültigen Fördermittelbescheides für das Gesamtvorhaben nach dem 4. Teil des GWB auszuschreiben seien. Der Bescheid müsse ansonsten in Bezug auf die Planungsleistungen gleich wieder aufgehoben werden. Auch die Entscheidung der VK Südbayern zeige, dass es nicht darauf ankomme, ob Fördermittel wirklich sicher seien. Vorliegend habe die Antragsgegnerin sogar bereits Kontakt mit den Fördermittelgebern gehabt, es seien bereits konkrete Summen in Haushalten bereitgestellt worden.
Die Antragsgegnerin habe bei ihrer Gesamtkalkulation für das Vorhaben mit Subventionen in Höhe von mehr als 50 % gerechnet. Hätte die Antragsgegnerin keinerlei qualifizierte Vorstellung über eine künftige Förderung, liege keine Vergabereife vor und die Ausschreibung dürfe gar nicht erfolgen. Die Antragsgegnerin habe selbst erklärt, dass sie das Vorhaben ohne überwiegende Förderung nicht finanzieren könne. Die Antragsgegnerin habe 2019 ihr Budget mit 23 Mio. EUR genannt. Die Beteiligung des Landes habe seinerzeit 38 Mio. EUR, die des Bundes 31. Mio. EUR betragen. Nach Baukostensteigerung habe sich die Antragsgegnerin das Projekt nicht mehr leisten können und weitere Landesmittel beantragen müssen. Ausreichend Fördermittel für die "große Variante" habe es nicht gegeben, für die kleine Variante stünden aber bereits mit den Landesmitteln in Höhe von 59 Mio. EUR mehr als die Hälfte der 90 Mio. EUR zur Verfügung. Fehle es an einer Dokumentation, aus der sich ergebe, warum die Antragsgegnerin trotz angeblich öffentlich geäußerten Fehlens einer anderen Finanzierungsmöglichkeit von weniger als 50 % ausgehen solle, dürfe das jedenfalls nicht der Antragstellerseite zur Last fallen. Es seien dann öffentlich bekannte Informationen wie Presserklärungen heranzuziehen. Soweit die Antragsgegnerin vortrage, auch die kleine Variante koste mittlerweile 130 Mio. EUR, müsse die Antragsgegnerin bei gleichbleibender Eigenbeteiligung von einer noch höheren Subvention ausgehen. Es fehle diesbezüglich aber auch an einer substantiierten Schätzung der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin sei zudem auch öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 2 GWB. Die Eingriffsmöglichkeit des Staates beziehe sich bei der Antragsgegnerin nicht nur auf eine klassische Rechtsaufsicht. Darüber hinaus gebe es vielmehr weitgehende Genehmigungserfordernisse bei Bezirksänderungs- und Auflösungsrechten. Der Schwellenwert für Dienstleistungen sei überschritten. Gleichartige Leistungen seien zu addieren. Die Antragstellerin sei ein Planungsbüro mit besonderer Kompetenz im Bereich der Geotechnik und anspruchsvollem Erd-, Straßen-, Leitungs- und Deponiebau. In dem Dokument "Aufforderung zur Abgabe eines Angebots" seien die für das Verfahren relevanten Unterlagen benannt. Weder dort noch in der Bekanntmachung werde die Akkreditierung als Eignungsvoraussetzung oder eine abzugebende Akkreditierungsurkunde als Nachweis genannt. Der Ausschluss wegen eines nicht aufgestellten Eignungskriteriums verstoße gegen § 57 Abs. 1 VgV gegen § 122 Abs. 4 GWB sowie gegen das Transparenzprinzip aus § 97 Abs. 1 S. 1 GWB. Das Eignungskriterium sei nicht wirksam aufgestellt und auch nicht verhältnismäßig. Die Antragsgegnerin habe - unabhängig davon, dass das Eignungskriterium nicht wirksam gefordert wurde - auch nicht wirksam nachgefordert. Eine Information nach § 134 GWB habe sie bislang nicht erhalten. Der gewährte Umfang der Akteneinsicht sei rechtswidrig. Die Antragstellerin habe aus § 165 Abs. 1 GWB einen Anspruch auf Kenntnisnahme der vollständigen Dokumentation der Vergabeakte. Bei den Schwärzungen handele es sich nicht um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Den Schätzwert des eigenen Loses kenne die Antragstellerin, ebenso die Planungskosten insgesamt, die sich aus Seite 120 der Baubeschreibung ergebe. Die Korrespondenz der Antragsgegnerin mit Fördermittelgebern sei unvollständig. Wenigstens die hätte aber übermittelt werden müssen, wenn sich die Antragsgegnerin darauf berufe, nicht mit Fördermitteln zu rechnen. Besonders schwerwiegend sei, dass die Antragstellerin keinen Vermerk erhalten habe, indem die Antragsgegnerin prüfe, ob sie öffentliche Auftraggeberin nach § 99 Nr. 4 GWB sei, denn es komme hierbei auf die Vorstellung der Antragsgegnerin an. Besonders schwer wiege weiter, dass keinerlei Akteninhalt zu der relevanten Frage der Aufstellung der Eignungskriterien übermittelt worden sei.
Die Antragstellerin hat bei der Vergabekammer beantragt:
1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, das Vergabeverfahren "Vergabe Planungsleistungen für Baugrund und Wasserhaltung - Maßnahme ### der ###, unter der Vergabenummer ###, bekanntgemacht im EU-Amtsblatt unter der Nummer ###" unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer in den Stand vor Prüfung der Eignung, hilfsweise vor Prüfung der Angebote, höchst hilfsweise vor Bekanntmachung, zurückzuversetzen.
2. Hilfsweise wird festgestellt, dass der Ausschluss der Antragstellerin rechtswidrig war.
Die Antragsgegnerin hat bei der Vergabekammer beantragt,
den Nachprüfungsantrag zu verwerfen.
Die Antragsgegnerin sei im vorliegenden Verfahren weder ein öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 2 GWB noch nach § 99 Nr. 4 GWB. Es handele sich zwar um eine Maßnahme nach § 99 Nr. 4 GWB, eine Subventionierung von mehr als 50 % liege jedoch nicht vor. Zu der Maßnahme liege weder ein Förderbescheid noch ein Förderantrag vor. Zwar sei für die Zukunft geplant, das Vorhaben mit Bundes- und Landesmitteln zu finanzieren, die Planung werde aber aufgrund der Baupreissteigerungen derzeit verhandelt. Hierzu sei eine Task-Force gebildet worden, eine Entscheidung über die Finanzierung und entsprechende Finanzierungsanteile sei aber noch nicht getroffen. Sollte sich eine Finanzierungsmöglichkeit ergeben, sei noch die Entscheidung der Vollversammlung der Antragsgegnerin erforderlich, um das Projekt zu beginnen und einen Förderantrag zu stellen. Ohne eine Finanzierung erfahre das Projekt ### keine Realisierung. Die Antragsgegnerin fühle sich jedoch aus Gründen der geplanten und erhofften Finanzierung des Projekts in Abstimmung mit den potentiellen Fördermittelgebern und aus den gegebenen eigenen Vergabeleitfäden an die Einhaltung des Vergaberechts gebunden. Aus der Selbstbindung könne aber keine Zuständigkeit der Vergabekammer folgen. Die Finanzierung des Projekts werde intensiv diskutiert, es lägen bislang lediglich Absichtserklärungen vor. Die Antragsgegnerin sehe sich trotz der Unklarheit darüber, ob das Projekt überhaupt und wenn ja in welchem Umfang realisiert werde, aufgrund des schlechten Zustands der vorhandenen Bildungsstätten zur weiteren Planung gezwungen, um einen Zeitverlust zu vermeiden.
Bei der Antragsgegnerin handele es sich auch nicht um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB. Es werde insoweit auf die Ausführungen der VK Bund (Beschluss vom 22.08.2018 - VK 1-77/18) sowie des EuGH (Urteil vom 12.09.2013 - Rs. C-526/11) verwiesen.
Die Antragsgegnerin habe auf die Unzuständigkeit der Vergabekammer zuletzt im Schreiben vom 18.07.2023 hingewiesen, sie habe auch zu keinem Zeitpunkt den Anschein der Zuständigkeit der Vergabekammer erweckt. Die Wahl des Vergabeverfahrens sei anhand der geschätzten Summe aller Planungsleistungen für das gesamte Projekt erfolgt.
Aus der von der Vergabekammer angeforderten Historie zum Bauvorhaben und seiner Finanzierung ergebe sich:
Die Berufsbildungsstätten in ### und ### hätten in den Jahren 2012 und 2013 modernisiert werden sollen. Die ### sei dabei noch von Gesamtkosten in einem einstelligen Millionenbereich ausgegangen. Ein Gutachten habe empfohlen, einen Variantenvergleich zwischen Modernisierung und Neubau vorzunehmen. Dieses habe mit einer Neubauempfehlung geendet und ein Gesamtvolumen, Stand 2017, von 86,2 Mio. EUR prognostiziert. Ein weiteres Gutachten habe ebenfalls für den Neubau plädiert. In Folge dessen sei ein Architektenwettbewerb vorbereitet worden, dessen Ergebnis seit 2019 vorliege. Der Preisträger habe den Auftrag zunächst für die ersten vier Leistungsphasen erhalten. Anfang 2020 habe sich herausgestellt, dass die geschätzten Baukosten nicht zu halten seien. Die Planungen wurden daher vorübergehend eingestellt und Einsparoptionen erwogen. Im September 2021 habe die Antragsgegnerin entschieden, zweigleisig weiterzuarbeiten. Die "kleine Lösung" befinde sich derzeit in der Entwurfsplanung. Der Rahmenterminplan sehe den Beginn Ende 2025 vor, stehe jedoch unter einem Finanzierungsvorbehalt. Die zu Beginn des Jahres 2022 eingesetzte Task Force verfolge einen anderen planerischen Ansatz zur Realisierung der "großen Lösung" zum ### mit einer Vierteilung des Raumprogramms vor. Es stehe hierzu noch eine Machbarkeitsstudie aus. Angesichts von aktuell geschätzten 130 Mio. EUR für den kleinen ### und 200 Mio. EUR für den großen Trave-Campus sei die Antragsgegnerin auf staatliche Zuwendungen angewiesen. Die bisher beauftragten und die im Mai 2023 ausgeschriebenen Planungsleistungen würden zu 100 % von der Antragsgegnerin finanziert. Erst mit Zuwendungsbescheid bestehe die Möglichkeit, dass die Planungsleistungen rückwirkend anteilig bezuschusst würden. Das ursprüngliche konkrete Vorhaben bestehe schon lange nicht mehr. Die Antragsgegnerin könne nach derzeitigem Stand nicht einmal vortragen, welchen Inhalt ein Fördermittelantrag haben könne. Die Zuständigkeit der Vergabekammer würde von einem ungewissen und in der Zukunft liegenden Ereignis abhängen. Eine Zusage bezüglich der kleinen Lösung zu deutlich höheren Kosten als die damalige große Lösung sei vor dem Hintergrund der Auskunft des Wirtschaftsministeriums und der Task Force zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Vergabe unwahrscheinlich. Mittlerweile werde für die sogenannte "kleine Lösung" als Gesamtkalkulation eine aktuelle Schätzung von 130 Mio. EUR ausgewiesen, die in Aussicht gestellte Landesförderung von 59 Mio. EUR läge damit unter 50 %. Eine weitergehende Förderung sei der Antragsgegnerin nicht in Aussicht gestellt worden. Laut Ausführungen des damaligen Wirtschaftsministers ### verlöre die Antragsgegnerin bei der kleinen Lösung zudem nahezu alle in Aussicht gestellten Fördermittelansprüche. Die Antragsgegnerin könne daher auch nicht mit einer bestimmten Höhe an Fördermitteln oder Subventionen rechnen. Eine Realisierungsmöglichkeit ergebe sich derzeit weder für die kleine noch für die derzeitige große Lösung. Verwertbare und in die Planung eines konkreten Projekts eingehende Auskünfte aus der Task Force lägen derzeit nicht vor. Die Realisierung und Art der Realisierung liege nicht mehr in der alleinigen Entscheidungsbefugnis der Antragsgegnerin. Es sei derzeit unklar, ob und gegebenenfalls für welches Projekt ein Fördermittelantrag gestellt werde.
Die Vergabereife für die Planungsleistungen liege unabhängig vom Gesamtvorhaben vor. Die Eigenfinanzierung liege im Risikobereich der Antragsgegnerin, diese sei auch gesichert. Es handele sich vorliegend um eine Einzelvergabe losgelöst von einem konkreten Umsetzungsziel, so dass schon fraglich sei, ob überhaupt eine Addition mit weiteren, hypothetischen Planungsleistungen zu erfolgen habe. Bei einer grundsätzlichen Änderung der Entwurfsplanung durch die Task-Force werde für die Planungsleistungen der Antragsgegnerin keine Förderung erfolgen. Bei einer Realisierungsmöglichkeit einer Bildungsstätte in der derzeit von der Antragsgegnerin angenommenen Form, werde der Zuwendungsgeber über die Rechtsfolge etwaiger Vergabeverstöße entscheiden. Der Nachprüfungsantrag sei in der Sache unzulässig, da die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen auch präkludiert sei. Das Leistungsverzeichnis umfasse auf zwei DIN A4 Seiten lediglich 14 Positionen. Zu zwei Positionen unmittelbar nach der streitgegenständlichen Position habe die Antragstellerin Aufklärungsfragen gestellt. Die Anforderung der Position 1.11 sei für einen durchschnittlich fachkundigen Bieter erkennbar gewesen, insbesondere nach der Sensibilisierung durch die Neufassung der BBodSchV vom 9. Juli 2021. Die Antragstellerin habe den Punkt sogar aktiv zur Kenntnis genommen. Dies ergebe sich aus der Formulierung im Schreiben vom 13.07.2023, in dem sie ausführe, es sei nicht notwendig erschienen, bei Abgabe des Angebots den im Leistungsverzeichnis intransparent genannten Begriff "Akkreditierung" aufzuklären, da darauf vertraut worden sei, dass sich die Antragsgegnerin nur auf die Einhaltung der geltenden Rechtslage berufe. Ein Vertrauen auf eine selbst gesetzte Annahme sei nicht vom Vergaberechtsschutz umfasst. Die Antragstellerin besitze keine Akkreditierung. Die Akkreditierungen von Unternehmen seien öffentlich einsehbar, die Vorlage als Nachweis daher nicht gefordert. Die Aufforderung zur Stellungnahme sei daher auch keine Nachforderung gewesen, sondern lediglich die Möglichkeit den sich aus der Einsichtnahme in die Datenbank ergebenden Verdacht zu entkräften, etwa indem vorgetragen werde, dass die Akkreditierung unmittelbar bevorstehe.
Auch im Falle einer Wiederholung würde die Antragstellerin, dann bei der Bietereignung, ausscheiden. Werde die Akkreditierung als Beschaffenheitsvereinbarung angesehen, wäre das Angebot der Antragstellerin unrichtig gewesen. Eine Benennung der Kapazitäten anderer Unternehmen sei im Angebot der Antragstellerin nicht erfolgt. Die Verhältnismäßigkeit der Selbstausführung könne den schwierigen Bodenverhältnissen entnommen werden. Die Möglichkeit zur Stellungnahme sei daher auch keine Nachforderung gewesen. Das Leistungsverzeichnis sei von der zuständigen Fachabteilung erstellt worden. Es habe in der Vergangenheit verschiedene Gutachten über die Bodenbeschaffenheit mit zum Teil erheblich divergierender Ergebnisse gegeben. Auch im Bereich der Feststellung des Grundwasserstandes habe es Probleme gegeben. Die konkrete Verwendung des Grundstücks sei aufgrund der noch nicht sicheren Finanzierung zudem völlig unklar. Die Aufhebung des Vergabeverfahrens wäre jedenfalls unverhältnismäßig.
Das für den Zuschlag vorgesehene Unternehmen ist mit Beschluss der Vergabekammer vom 30.08.2023 beigeladen worden. Die Beigeladene beabsichtigte keine eigenen Anträge zu stellen.
In der mündlichen Verhandlung am 25.09.2023 haben die Verfahrensbeteiligten zur Sach- und Rechtslage wiederholend und vertiefend ausgeführt.
Die Antragstellerin hat zunächst im Hinblick auf die behauptete Einordnung der Handwerkskammer als öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 4 GWB darauf verwiesen, dass für das Projekt laut öffentlicher Aussagen der Antragsgegnerin sowohl Förderungen aus Mitteln des Landes sowie des Bundes vorgesehen seien. Gegenstand der Ausschreibung sei ein Projekt in Höhe von 90 Mio. EUR. Allein die Landesförderung würde 59 Mio. EUR betragen. Die Planungskosten seien laut der den Vergabeunterlagen beigefügter Vorplanung mit einer Summe von 22,83 Mio. EUR veranschlagt. Vorliegend handele es sich um ein bekanntes Vorhaben, das nur realisiert werden könne, wenn es gefördert werde. Entscheidend sei, womit die Antragsgegnerin rechne, also eine innere Tatsache. Die Ursprungsplanung sei mit 90 Millionen EUR geschätzt worden. Für die Frage, ob ein Auftraggeber öffentlicher Auftraggeber sei, komme es auf den Beginn der Ausschreibung an. Die Antragsgegnerin habe den Auftrag auch nach VgV ausgeschrieben. Im Vergabevermerk habe die Antragsgegnerin bei der Wahl der Vergabeart dokumentiert, dass die Planungsleistungen in ihrer Gesamtheit den EU-Schwellenwert überschreiten würden. Weiterhin sei die gewährte Akteneinsicht zu gering. So enthalte der Brief des ehemaligen Ministers Schwärzungen, so dass sich aus diesem "Lückentext" keine Höhe der Förderungen ergäben. Bei der Frage der Einordnung der Vergabekammer in die Vorschrift des § 99 Nr. 2 GWB gehe es in der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion zur erforderlichen Staatsnähe nicht mehr um die gesetzlichen "Zwangsbeiträge", sondern um Kontrollen und Genehmigungsvorbehalte.
Die Antragsgegnerin hat in Zusammenhang mit einer etwaigen Zuordnung zu § 99 Nr. 4 GWB darauf verwiesen, dass es darauf ankomme, womit die Antragsgegnerin nicht nur rechne, sondern auch rechnen dürfe. Eine etwaige Förderung müsse fundiert sein. Auf Nachfrage der Antragstellerin erklärte die Antragsgegnerin, dass sie derzeit nicht mit den Fördermitteln rechnen dürfe. In weiter Vergangenheit sei dies anders gewesen, zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise auch wieder, nämlich dann, wenn ein konkretes Projekt - mit hinreichender Finanzierungszusage - neu zustande komme. Derzeit stehe nicht fest, was, wann und wie gebaut werde. Auch aus dem Umstand, dass Haushaltsmittel in den Haushalt eingestellt worden seien, könne nichts anderes geschlossen werden. Für eine Subvention müsse ein dem Grunde und der Höhe nach bestimmter Rechtsanspruch bestehen.
Die aktuelle Ausschreibung beziehe sich auf die möglicherweise erfolgende Umsetzung der kleinen Variante. Die im Jahr 2022 begonnene Task Force befasse sich aktuell parallel mit einem komplett anderen Bauvorhaben. Hier gehe es dem Grunde nach um die Umsetzung der "großen Lösung" allerdings mit erheblichen Abwandlungen, nämlich der Realisierung von 4 statt einem Baukörper. Die Vollversammlung im Dezember werde dazu voraussichtlich noch keine Entscheidung treffen.
Eine europaweite Ausschreibung sei freiwillig und überobligatorisch zum einen erfolgt, um ein transparentes Verfahren im Wettbewerb durchzuführen und ein wirtschaftliches Angebot zu erhalten. Zum anderen, um den möglichen hohen Anforderungen auch bei einer späteren potentiellen Förderung zu genügen. Sie habe sich in dem Verfahren bewusst selbst als Nachprüfungsstelle benannt.
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag mit dem angegriffenen Beschluss vom 29.09.2023 mit der Begründung verworfen, der Nachprüfungsantrag sei nicht statthaft.
Die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags ergebe sich nicht aus dem Umstand, dass die ### europaweit ausgeschrieben hat. Durch die Ausschreibung möge sich die ### selbst an das Vergaberecht gebunden haben, die Eröffnung des Rechtswegs zu der Vergabekammer sei jedoch nicht disponibel. Eine der Voraussetzungen für die Eröffnung des Rechtswegs zur Vergabekammer bestehe darin, dass die ausschreibende Stelle Auftraggeber im Sinne des § 98 GWB, hier öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 GWB sei. Die Antragsgegnerin sei zum derzeitigen Zeitpunkt jedoch kein öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 GWB, weder nach § 99 Nr. 2 GWB noch nach § 99 Nr. 4 GWB. Der Rechtsweg zur Vergabekammer sei daher nicht eröffnet. Die Vergabekammer sehe sich aus diesem Grund an einer Entscheidung in der Sache gehindert.
Die Antragsgegnerin sei keine öffentliche Auftraggeberin nach § 99 Nr. 2 GWB. Danach sei öffentlicher Auftraggeber auch eine juristische Person des öffentlichen oder privaten Rechts, die nicht unter § 99 Nr. 1 GWB falle und die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, sofern sie überwiegend von Stellen nach Nr. 1 oder 3 finanziert werde oder ihre Leitung der Aufsicht dieser Stellen unterliege oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organs durch diese Stellen bestimmt worden sei.
Zwar handele es sich bei der Antragsgegnerin um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Dies ergebe sich zum einen aus § 90 Abs. 1 der Handwerksordnung für die Handwerkskammern allgemein, aber auch zusätzlich aus § 1 Abs. 2 der Satzung der Antragsgegnerin für diese speziell.
Sie sei auch zu dem besonderen Zweck gegründet worden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen.
Die weiteren Voraussetzungen des § 99 Nr. 2 GWB, aus der sich eine besondere Staatsnähe ergeben würde, lägen jedoch nicht vor.
Die Antragsgegnerin werde nicht von Stellen nach § 99 Nr. 1 oder Nr. 3 GWB überwiegend finanziert. Die Antragsgegnerin habe am 08.08.2023 eine Finanzierungsübersicht übermittelt, die auf der eigenen Internetseite frei zugänglich sei. Aus dem dort veröffentlichten Diagramm ergäben sich die prozentualen Anteile der Einnahmen der ###. Eine überwiegende Finanzierung durch Stellen nach § 99 Nr. 1 oder Nr. 3 sei dort nicht erkennbar. Ein Großteil der Finanzierung erfolge über die Beiträge der Mitglieder.
Die Leitung der Antragsgegnerin unterliege auch nicht der Aufsicht im Sinne des § 99 GWB. Eine Aufsicht liege nach dieser Vorschrift nur dann vor, wenn Stellen nach Nummer 1 oder Nummer 3 durch die Ausübung der Aufsichtsbefugnis auf das Beschaffungsverhalten des Unternehmens einwirken können. Zwar sei ein Teil der Beschlüsse der Vollversammlung nach § 113 Abs 1 HwO von der obersten Landesbehörde nach § 106 Abs. 2 HwO zu genehmigen, so auch die Wahl des Vorstandes, sowie die Wahl des Geschäftsführers, gegebenenfalls des Hauptgeschäftsführers oder die Änderung der Satzung. Dabei habe die oberste Landesbehörde bei der erforderlichen Genehmigung nach § 106 Abs. 5 HwO zu prüfen, ob die Vorgaben der Richtlinie EU 2018/958 in der jeweils geltenden Fassung eingehalten wurden. Hierbei handele es sich jedoch um eine reine Rechtmäßigkeitskontrolle. § 115 HwO formuliere zur Staatsaufsicht allgemein, dass sich diese, soweit nichts anderes bestimmt ist, darauf beschränke, dass Gesetz und Satzung beachtet und die den Handwerkskammern übertragenen Aufgaben erfüllt werden. § 43 der Satzung der Antragsgegnerin verweise insoweit auf die Regelung der HwO. Eine solche nachträgliche Kontrolle erfülle das Kriterium der Aufsicht über die Einwirkungsmöglichkeit Leitung grundsätzlich nicht.
Eine im Sinne einer inhaltlichen Einflussnahme auf Vergabeverhalten ist durch den Genehmigungsvorbehalt nicht verbunden. Im Rahmen des rechtlich Zulässigen entscheide die Handwerkskammer/die Leitung der Handwerkskammer über die laufende Tätigkeit selbst.
Schließlich seien auch die Voraussetzungen des § 99 Abs. 2 c) GWB nicht erfüllt. Es seien nicht mehr als die Hälfte der Mitglieder eines Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgans des betreffenden Rechtsträgers durch Stellen nach Nr. 1 oder 3 bestimmt worden. Die Geschäftsführung werde durch die Vollversammlung gewählt. "Zur Aufsicht berufene Organe" im Sinne der Norm seien nur diejenigen, die im Einzelfall eine Stellung innehaben, die einen potenziellen Einfluss auf die Geschäftspolitik hätten. Dies ist nicht erkennbar.
Die Antragsgegnerin sei für das streitgegenständliche Verfahren auch kein öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 4 GWB. Nach dieser Vorschrift seien öffentliche Auftraggeber auch natürliche oder juristische Personen des privaten oder des öffentlichen Rechts, soweit sie nicht unter § 99 Nr. 2 GWB fielen, in den Fällen, in denen sie für Tiefbaumaßnahmen, für die Errichtung von Krankenhäusern, Sport-, Erholungs- oder Freizeiteinrichtungen, Schul-, Hochschul- oder Verwaltungsgebäuden oder für damit in Verbindung stehenden Dienstleistungen und Wettbewerbe von Stellen, die unter die Nummern 1, 2 oder 3 fallen, Mittel erhalten, mit denen dieses Vorhaben zu mehr als 50 % subventioniert würden. Zweck der Vorschrift sei es, die Verwendung öffentlicher Gelder nicht nur dann an die Vorgaben des Vergaberechts zu binden, wenn die Gebietskörperschaften und sonstigen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 1 - 3 GWB unmittelbar selbst Auftraggeber seien, sondern auch dann, wenn sie die ihnen zur Verfügung stehenden Geldmittel über Subventionen an Dritte weiterleiten und so nur noch indirekt an der Ausschreibung beteiligt seien.
Bei den geplanten Vorhaben, "großer" ### bzw. "kleiner" ###, handele es sich, von der Antragsgegnerin auch nicht bestritten, um unter die Vorschrift fallende Bauvorhaben. Die Aufzählung in § 99 Nr. 4 GWB sei zwar abschließend, die einzelnen Bezeichnungen seien jedoch weit auszulegen, so dass auch Berufsschulen und allgemein Bildungsstätten in den Anwendungsbereich der Vorschrift fielen. Beim "großen" ### und beim "kleinen" ### handele es sich zur Überzeugung der Vergabekammer zwar um Vorhaben die einen Neubau der Bildungsstätte auf dem ###, aber nicht in beiden Varianten die Landesberufsschulen und alle Fachbereiche zum Gegenstand habe. Bereits daraus ergebe sich, dass es sich nicht um dieselben Vorhaben handelt. Die Ausgestaltung im Sinne von "alles unter einem Dach" werde dabei aufgegeben. Im Juli 2018 sei ein Architektenwettbewerb gestartet worden. Beschrieben worden sei der Gegenstand der Beschaffung auszugsweise mit "Neubau einer Berufsbildungsstätte mit integrierter Berufsschule und Fortbildungszentrum" für die Antragsgegnerin auf einem 49.500 m2 großen Grundstück. Grundlage für den Wettbewerb stelle ein mit den Fördermittelgebern abgestimmtes und freigegebenes Ideal-Raum-Programm dar. Für die Umsetzung des Neubaus seien rund 90 Mio. EUR brutto Gesamtkosten für KG 200-700 als auskömmlich veranschlagt. Der erste Preisträger habe in dem anschließenden Vergabeverfahren den Auftrag für die ersten vier Leistungsphasen erhalten. Für dieses Vorhaben habe die Antragsgegnerin mit einer 75 %-igen Finanzierung seitens des Bundes und des Landes gerechnet. Dies ergebe sich aus der Presseinformation der Antragsgegnerin vom 07.03.2019 und 09.07.2019. Dabei sollte die Förderung mit 38 Mio. EUR vom Land und 31 Mio. EUR vom Bund kommen. Die weitere Planung hätten im Jahr 2020 gezeigt, dass das Vorhaben des großen ### deutlich teurer werden würde und von den bis zu diesem Zeitpunkt in Aussicht gestellten Mitteln nicht getragen würde. 2021 habe sich die Antragsgegnerin daraufhin entschlossen, zweigleisig weiterzuarbeiten. Bei der kleinen Lösung sollte laut Beschreibung der Historie zum Trave-Campus auf Landesberufsschulen und einige Fachbereiche verzichtet werden. Parallel dazu wurde versucht mit einem neuen planerischen Ansatz den großen ### zu realisieren. Die Finanzierung sei unklar.
Ob der ursprünglich geplante große ### und der möglicherweise (weiter) entwickelte große ### der Task Force noch als ein Vorhaben angesehen werden könne, könne dahinstehen, denn die ausgeschriebene Dienstleistung stehe - unstreitig - im Zusammenhang mit dem "kleinen" ### Dies ergebe sich eindeutig aus der Vergabeunterlage "Vorplanung (LPH 2) "kleiner" ### mit reduziertem ###".
Ein Schätzwert für das Vorhaben "kleiner" ### bzw. der isolierten Planungsleistungen insgesamt ergebe sich aus den Vergabeunterlagen, die die Vergabekammer erhalten habe, nicht. Dies sei zur Überzeugung der Vergabekammer jedoch unschädlich, da die zu addierenden Planungsleistungen, zwischen den Verfahrensbeteiligten nicht streitig, jedenfalls - auch im Falle der Umsetzung des "kleinen" ### - den Schwellenwert von 215.000 EUR überschreiten werde.
Die streitgegenständliche Ausschreibung sei von der Antragsgegnerin auf 76.000 EUR geschätzt worden.
Für den "kleinen" ### gebe es noch keine auch nur ansatzweise verbindlichen Aussagen zu einer Subventionierung des konkreten Vorhabens "kleiner ###", aus dem sich ergeben könnte, dass die Antragsgegnerin mit einer Subventionierung in ausreichender Höhe für die Umsetzung des Projekts rechnen kann und darf. Die Realisierung des Bauvorhabens sei zum derzeitigen Zeitpunkt noch völlig unklar. Sicher sei zwar, dass die Umsetzung des Projekts nur möglich sein werde, wenn eine Subventionierung von deutlich mehr als 50 % erfolgen werde, die tatsächliche Umsetzung sei jedoch zum derzeitigen Zeitpunkt und erst recht zum Zeitpunkt der Ausschreibung nicht sicher. Die ursprünglich in Aussicht gestellten Mittel bezögen sich auf den damaligen "großen" ###, diese Lösung werde auch in der Task Force unter Federführung des Bundes allerdings mit erheblichen Änderungen weiterverfolgt.
Dafür, dass der Bund sich auch an einer kleinen Lösung beteiligen will, gebe es keine Anhaltspunkte.
Soweit die Antragstellerin meine, bereits die aufgestockten Landesmittel, die laut Pressemitteilung des Finanzministeriums ab 2023 in Höhe von 59 Mio. EUR eingeplant seien, führten dazu, dass eine Subventionierung von mehr als 50 % erreicht sei, folge die Vergabekammer dem nicht.
Zum einen müsste auch die Finanzierung des Restbetrages sichergestellt sein, sei es aus Eigen- oder aus weiteren Fremdmitteln. Sonst sei das Vorhaben insgesamt noch nicht vergabereif. Anhaltspunkte dafür, dass der Bund oder die Antragsgegnerin oder beide gemeinsam den Differenzbetrag finanzieren würde, gebe es nicht. Es sei damit schon fraglich, ob für die ausgeschriebene Dienstleistung vor diesem Hintergrund überhaupt in den Anwendungsbereich des § 99 Nr. 4 GWB fallen könne, wenn das geplante Vorhaben noch nicht vergabereif sei. Die Vergabekammer sei nicht dieser Auffassung, denn wenn schon das Bauprojekt nicht sicher sei, dieses aber erst den Tatbestand der Vorschrift begründe, könnten nicht "dazugehörige" Dienstleistungen eigenständig die Voraussetzung des § 99 Nr. 4 GWB erfüllen. Die Antragsgegnerin schreibe hier insoweit auf eigenes Risiko aus. Das habe sie in der mündlichen Verhandlung auch bestätigt. Zwar hoffe sie auf eine nachträgliche Förderung, könne und werde die ausgeschriebene Leistung jedoch gegebenenfalls aus Eigenmitteln finanzieren. Bei dem geschätzten Auftragswert, aber auch bei den konkreten Angeboten erscheine dies der Vergabekammer auch plausibel.
Selbst wenn man, entgegen der Auffassung der Vergabekammer, zu dem Ergebnis komme, dass die Dienstleistung bei fehlender Vergabereife des Bauprojekts in den Anwendungsbereich des § 99 Nr. 4 GWB fallen könne, fehle es zumindest derzeit an einer 50 %-igen Subventionierung des Gesamtvorhabens. Diese würden entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht bereits durch die etwaig im Landeshaushalt eingeplanten Mittel in Höhe von 59 Mio. EUR überschritten. Es sei schon nicht klar, ob die Landesmittel vor dem Hintergrund der Haushaltsknappheit tatsächlich zur Verfügung stünden. Im Einzelplan 16.07 seien zwar unter dem Titel 893 06 für "Investitionen für die Aus- und Weiterbildung für eine Baumaßnahme der Handwerkskammer Lübeck" 2 Mio. EUR als "SOLL" eingestellt und erläutert mit "Vorgesehen ist ein Ersatzbauwerk für die Überbetriebliche Berufsbildungsstätte P.". Solange keine haushaltsrechtliche Verpflichtung vorhanden sei, könne jedoch von der Planung abgewichen werden. Weiter sei unklar, ob die eingeplanten Mittel für den großen ### oder auch für den kleinen ### gleichermaßen zur Verfügung, stünden. Dies könne vor dem Hintergrund des Schreibens des damaligen Wirtschaftsministers zumindest fraglich sein, für den Fall, dass Bereiche, für die das Land dann Verantwortung tragen müsste, aus dem Konzept herausfallen und diese dann anderweitig vom Land finanziert werden müssten. Die Antragsgegnerin könne und dürfe derzeit - noch - nicht mit einer Subventionierung von mehr als 50 % rechnen. Zwar komme es nicht auf eine erst nachträglich zu beurteilende Höhe der Förderung nach Verwendungsnachweisprüfung an. Die Vergabekammer halte es grundsätzlich für möglich, dass auch Auftraggeber, die die Förderung noch nicht erhalten oder noch nicht einmal beantragt hätten, im Einzelfall öffentliche Auftraggeber im Sinne der Vorschrift sein können. Das setze aber zumindest voraus, dass die Finanzierung in einem gewissen Maße sicher sei, etwa, weil im Regelfall nach Förderrichtlinien oder Förderpraxis mit einer Förderung von mehr als 50 % zu rechnen sei. So liege der Sachverhalt hier aber nicht. Ein derartiger Fördertatbestand oder -automatismus liege nicht vor.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit der Beschwerde vom 16.10.2023 und hat zugleich die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den ihren Nachprüfungsantrag zurückweisenden Beschluss der Vergabekammer Schleswig- Holstein vom 29.09.2023 beantragt.
Zur Begründung führt die Antragstellerin aus, es handele sich bei der Antragsgegnerin jedenfalls um einen öffentlichen Auftraggeber nach § 99 Nr. 4 GWB. Das Vorhaben werde im Falle der Realisierung zu mehr als 50% von Land und Bund subventioniert.
Es komme nach h.M. in Rechtsprechung und Literatur für den Zeitpunkt der Auftraggebereigenschaft (allein) darauf an, in welcher Höhe der Auftraggeber mit Subventionen zum Zeitpunkt der Ausschreibung bei seiner Gesamtkalkulation rechne. Auf die Stellung eines Fördermittelantrages oder gar Erhalt eines Fördermittelbescheides komme es damit gerade nicht entscheidend an. Lägen etwaige Fördermittelanträge oder Subventionsbescheide noch nicht vor, sei für die Bemessung der 50%-Grenze auf andere Kalkulationsüberlegungen zurückzugreifen, insbesondere auch die öffentlichen Pressemitteilungen von Land und Bund maßgeblich, soweit hierin öffentliche Fördermittel in Aussicht gestellt werden (Bezugnahme auf den Senatsbeschluss vom 10.12.2020 - 54 Verg 4/20). Ein sog. "Förderautomatismus", wie ihn die Vergabekammer als maßgeblich betrachte sei keine Voraussetzung. Hier rechne die Beschwerdegegnerin auch deswegen zweifellos Höhe mit mehr als 50% Förderung durch Bund und Land, weil es eine andere Finanzierungsmöglichkeit nicht gebe.
Auf den unbelegten Vortrag oder die bestrittenen Behauptungen der Beschwerdegegnerin, wonach nicht mit Fördermitteln kalkuliert werde, komme es nicht an. Es sei rechtsfehlerhaft, wenn die Vergabekammer es zur Antragsablehnung "ausreichen" lasse, dass die Beschwerdegegnerin durch Nichtmitteilung eigener Kalkulationsüberlegungen vorgebe, keine Kalkulation der Gesamtmaßnahme vorgenommen zu haben.
Davon unabhängig liege ein sog. "Förderautomatismus" bei richtiger Bewertung entgegen der Ansicht der Vergabekammer hier auch vor. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Beschwerdegegnerin Fördermittel beantragen werde, die politischen Entscheidungen - und damit der entsprechende Wille - hierüber seien längst öffentlich kommuniziert.
Hilfsweise gehe die Antragstellerin davon aus, dass die Antragsgegnerin auch öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 2 lit. b GWB sei.
Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die beantragte Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde und hat zur Begründung auf ihr großes Interesse an einer Fortsetzung der Planungen auch auf eigene Kosten verwiesen. Eine inhaltliche Stellungnahme bleibe einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten.
Der Senat hat auf den Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde mit Beschluss vom 25.10.2023 beschlossen, dass die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer Schleswig-Holstein vom 29.09.2023, Az. VK-SH 13/23 einstweilen bis zum 30.11.2023 verlängert wird.
II.
1. Der Antrag der Antragstellerin vom 16.10.2023 auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den ihren Nachprüfungsantrag zurückweisenden Beschluss der Vergabekammer Schleswig-Holstein vom 29.09.2023 (Antrag zu 4. der Beschwerdeschrift) ist nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB zulässig.
Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 GWB hat die sofortige Beschwerde aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer, wobei diese Wirkung zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist entfällt, § 173 Abs. 1 Satz 2 GWB. Hat die Vergabekammer den Antrag auf Nachprüfung abgelehnt, so kann das Beschwerdegericht nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängern.
Nach § 173 Abs. 2 GWB wird der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt, wenn unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zur Entscheidung über die Beschwerde die damit verbundenen Vorteile überwiegen. Bei der Abwägung sind unter anderem die Erfolgsaussichten der Beschwerde, die Aussichten des Antragstellers auf Erhalt des Auftrags und das Interesse der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens zu berücksichtigen.
Bei der Auslegung ist das unionsrechtliche Gebot eines effektiven Rechtsschutzes zu berücksichtigen. Die Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde haben daher entscheidendes Gewicht, sodass nur ausnahmsweise Gründe des Allgemeinwohls überwiegen können (Losch in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., § 173 GWB, Rn. 47; Wilke in: MKVergabeR I, 2. Aufl., § 173 GWB, Rn. 47). Hat die sofortige Beschwerde bei summarischer Prüfung hohe Erfolgsaussichten, wird dem Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung in der Regel stattzugeben sein, hat sie dagegen nur geringe Erfolgsaussichten, ist ein schutzwürdiges Interesse an der Verlängerung in der Regel nicht anzunehmen (Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., § 173 GWB, Rn. 52 f.; Wilke in: MKVergabeR I, 2. Aufl., § 173 GWB, Rn. 50).
Nach summarischer Prüfung gelangt der Senat zu dem Ergebnis, dass die sofortige Beschwerde der Antragstellerin keine oder nur geringe Aussicht auf Erfolg hat, sodass kein überwiegendes Interesse an einer Verlängerung der aufschiebenden Wirkung besteht. Es ist auch im Übrigen kein überwiegendes Interesse der Antragstellerin an einer Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ersichtlich.
Vorliegend hat die Beschwerde allenfalls eine geringe Aussicht auf Erfolg. Im Rahmen der von ihm durchzuführenden summarischen Prüfung gelangt der Senat zu dem Ergebnis, dass die Vergabekammer die Statthaftigkeit des Nachprüfungsantrages zu Recht abgelehnt hat.
Die Antragsgegnerin ist nicht öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 GWB. Sie unterfällt weder § 99 Nr. 2 GWB (dazu lit. a) noch § 99 Nr. 4 GWB (dazu lit. b).
a) Die Antragsgegnerin ist keine juristische Person, die einer qualifizierten staatlichen Einflussnahmemöglichkeit unterliegen würde. Eine überwiegende staatliche Finanzierung (Nr. 2 a) sowie eine mehrheitliche Organbesetzung liegt ohnehin nicht vor.
Anders als die Antragstellerin meint, fehlt es auch an einer Leitung der Aufsicht nach Nr. 2 b), weil die Antragsgegnerin lediglich einer Rechts- und keiner Fachaufsicht unterliegt. Daher ist eine Handwerkskammer zwar eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, aber kein öffentlicher Auftraggeber, der unter § 99 Nr. 2 GWB fällt (VK Bund, Beschluss vom 22. August 2018 - VK 1-77/18 -; VK Bund, Beschluss vom 16. November 2018 - VK 1-99/18 -).
Eine bloße Rechtsaufsicht, Rechtmäßigkeits- oder Rechnungshofkontrolle ist mangels entsprechender Einflussmöglichkeiten grundsätzlich nicht ausreichend (ganz überwiegende Auffassung, vgl. etwa BeckOK VergabeR/Bungenberg/Schelhaas, 29. Ed. 31.1.2023, GWB § 99 Rn. 82; m.w.N.; vgl. auch EuGH, Urteil vom 12. September 2013 - Rs. C-526/11 -, für eine Ärztekammer). Selbst wenn man eine qualifizierte Rechtsaufsicht, die sich auch auf die Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung erstreckt und aufgrund laufender Eingriffsmöglichkeiten eine hinreichende Einflussnahme ermöglicht, ausreichen ließe (vgl. etwa Beck VergabeR/Dörr, 4. Aufl. 2022, GWB § 99 Rn. 59), würde eine solche laufende Kontrolle hier nicht vorliegen.
b) Die Antragsgegnerin unterfällt mit der streitgegenständlichen Ausschreibung auch nicht § 99 Nr. 4 GWB.
Die Vergabekammer hat in der angegriffenen Entscheidung zu Recht darauf abgestellt, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausschreibung der streitgegenständlichen Leistung nicht von einer mehr als hälftigen Förderung einer Gesamtbaumaßnahme im Sinne des § 99 Nr. 4 GWB durch die öffentliche Hand auszugehen ist, mit der Folge dass die hier ausgeschriebene Planungsleistung für Baugrund und Wasserhaltung als damit in Verbindung stehende Dienstleistung ebenfalls § 99 Nr. 4 GWB unterfallen würde. Daher kann vorliegend auch offen bleiben, ob es ohnehin nicht auf eine umfassende Betrachtung des Gesamtvorhabens ankommt, sondern nur auf die vom jeweiligen Einzellos umfassten Positionen, soweit diese nicht zu über 50 % gefördert werden (in diese Richtung etwa VK Bund, Beschluss vom 16. November 2018 - VK 1-99/18 -).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung der "überwiegenden Subventionierung" ist aus Gründen der Rechtssicherheit der Zeitpunkt der Ausschreibung: Entscheidend ist also, in welcher Höhe der Auftraggeber mit Fördermitteln bei seiner Gesamtkalkulation gerechnet hat (Beck VergabeR/Dörr, 4. Aufl. 2022, GWB § 99 Rn. 123). Der Anwendungsbereich der Nr. 4 ist daher nur dann eröffnet, wenn der vergebenden Stelle zum Zeitpunkt der Ausschreibung mehr als 50 % der Projektkosten als Subventionen zur Verfügung gestellt werden (Masing in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 4. Aufl. 2018, § 99 GWB, Rn. 104). Ausschlaggebend für die Berechnung ist der Zeitpunkt der Ausschreibung. Aus Gründen der Klarheit und Rechtssicherheit muss zu diesem Zeitpunkt feststehen, ob eine europaweite Ausschreibung stattzufinden hat oder nicht. Etwaige Änderungen im Laufe des Verfahrens können an der Eigenschaft oder der fehlenden Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber nichts mehr ändern. Auf spätere Auszahlungen kann es daher nicht ankommen, ausschlaggebend ist vielmehr, in welcher Höhe der Auftraggeber mit Fördermitteln bei seiner Gesamtkalkulation gerechnet hat (OLG München, Beschluss vom 10. November 2010 - Verg 19/10 ).
Hier ist bereits fraglich, ob überhaupt eine Gesamtbaumaßnahme im Sinne des § 99 Nr. 4 GWB hinreichend konkret absehbar ist. Die ursprünglich anvisierte Planung für den "großen" ### ist angesichts der fehlenden Finanzierung der deutlich erhöhten Baukosten jedenfalls in dieser Form nicht mehr geplant. Vielmehr ist die vorliegende Ausschreibung dem (Gesamt-)Projekt "kleiner" ### zuzuordnen. Soweit die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren - wie auch schon vor der Vergabekammer - ihren Ausführungen die Annahme zu Grunde legt, die ausgeschriebenen Planungsleistungen für Baugrund und Wasserhaltung bezögen sich auf das ursprüngliche Projekt "großer" ### geht sie schon im Ausgangspunkt fehl. Bereits aus den Vergabeunterlagen für die hier streitgegenständliche Ausschreibung folgt, dass die Ausschreibung die Vorplanung für den "kleinen" ### mit reduziertem ### zum Gegenstand hat.
Vorliegend steht eine Förderung des hier streitgegenständlichen kleinen ### jedoch noch nicht fest, vielmehr ist noch nicht absehbar, ob eine Förderung des Projektes in diesem Umfang überhaupt erfolgen wird. Angesichts des Schreibens des damaligen Wirtschaftsministers ist für den Fall, dass Bereiche, für die das Land dann Verantwortung tragen müsste, aus dem Konzept herausfallen und diese dann anderweitig vom Land finanziert werden müssten zumindest mit einer Reduzierung der für das Projekt "großer" ### in Aussicht gestellten Mittel zu rechnen. In diesem Zusammenhang merkt der Senat an, dass sich die Aussicht für eine Förderung seitens des Landes seit dem Schreiben des damaligen Wirtschaftsministers angesichts der sich verschärfenden Haushaltslage stetig weiter verschlechtert haben dürfte.
Soweit die Antragstellerin anführt, das Land habe in einer Pressemitteilung eine Finanzierung von 59 Millionen Euro angesetzt, dringt sie damit im Ergebnis nicht durch. Inwieweit für die Beantwortung der Frage, ob ein Vorhaben zu mehr als 50 Prozent subventioniert wird, auf Pressemitteilungen der öffentlichen Hand, etwa des Landes, zurückgegriffen werden kann, kann dabei dahinstehen. Soweit die Antragstellerin zur Stützung dieser Annahme auf eine Entscheidung des Senates Bezug nimmt (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 10. Dezember 2020 - 54 Verg 4/20 -), lässt sich ein solches Verständnis nicht auf diese Entscheidung stützen. Vielmehr war dieser Umstand im Rahmen der zitierten Entscheidung des Senates unstreitig.
Im Ergebnis kann die Beantwortung dieser Frage vorliegend dahinstehen:
Die zitierte Mitteilung des Landes bezieht sich gerade nicht auf das hier streitgegenständliche Vorhaben "kleiner ###", sondern auf das Vorhaben "großer ###". Die Vergabekammer hat in ihrer Entscheidung festgestellt, dass für das Vorhaben "kleiner ###" noch keine Förderzusage vorliege, vielmehr sei die Realisierung zu diesem Zeitpunkt noch völlig unklar. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Beschluss der Vergabekammer auf den Seiten 20 - 22 wird Bezug genommen.
Zwar wendet die Antragstellerin in diesem Zusammenhang im Ausgangspunkt zu Recht ein, dass die Antragsgegnerin eine Umsetzung des gesamten Projektes letztlich nur dann wird erreichen können, wenn sie Fördermittel von über 50% erhält. Das gilt auch für das Projekt "kleiner" ###.
Im vorliegenden Fall besteht jedoch - worauf die Vergabekammer zu Recht hingewiesen hat - die Besonderheit, dass - mangels in Aussicht gestellter Förderung für das hier streitgegenständliche gesamte Vorhaben - eine Umsetzung des (gesamten) Projektes gerade nicht absehbar ist. Anders als etwa in der von der Antragstellerin zitierten Entscheidung des OLG München vom 10. November 2010 - Verg 19/10 -, handelt es sich vorliegend "nur" um die Ausschreibung einer mit den in Nr. 4 beschriebenen Maßnahmen in Verbindung stehenden Dienstleistung, während die Förderung und damit die Realisierbarkeit der Maßnahme "kleiner" Trave-Campus selbst nicht absehbar ist. Dementsprechend dient die hier ausgeschriebene Planungsleistung für Baugrund und Wasserhaltung im Ergebnis der Vorbereitung einer konkreten Planung, in deren Verlauf die Antragsgegnerin die Realisierbarkeit und insbesondere die diesbezüglichen Fördermöglichkeiten prüfen kann.
In diesem Zusammenhang hat die Vergabekammer festgestellt, dass die Antragsgegnerin die hier streitgegenständliche Leistung auf eigenes Risiko ausgeschrieben hat, bevor das Projekt selbst vergabereif ist und die Antragsgegnerin die ausgeschriebene Leistung gegebenenfalls aus Eigenmitteln finanzieren wird. Damit steht eine Finanzierung für das gesamte Projekt gerade noch nicht fest. Demgegenüber ist für die Finanzierung der hier ausgeschriebenen Dienstleistung eine Förderung durch die öffentliche Hand weder zwingend erforderlich noch fest eingeplant. Durch die Ausschreibung der streitgegenständlichen vorbereitenden Dienstleistung auf eigenes Risiko, ohne dass die Antragsgegnerin mit einer mehr als 50%igen Förderung der Gesamtmaßnahme rechnen konnte, unterfällt die Antragsgegnerin nicht § 99 Nr. 4 GWB.
Ergänzend merkt der Senat an, dass die Beschwerde auch in der Sache keinen Erfolg haben dürfte, da es der Antragsgegnerin freigestanden haben dürfte, eine Akkreditierung für die Probenentnahme auch vor Ablauf der Übergangsfrist der BBodSchV n.F.zu verlangen. Einen durchgreifenden Verstoß gegen das Transparenzgebot vermag der Senat in diesem Zusammenhang nicht zu erkennen. Das Angebot der Antragstellerin konnte demnach wegen einer Änderung der Vergabeunterlagen nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV ausgeschlossen werden, da eine nach § 53 Abs. 7 VgV unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen bereits vorliegt, wenn der Bieter ein von den Vorgaben abweichendes Angebot macht, das bei einem Wegdenken der Abweichungen unvollständig bleibt, insbesondere etwa dann, wenn das Angebot von den Leistungsvorgaben in der Ausschreibung abweicht.
2. Der Antrag auf erweiterte Akteneinsicht ist demnach ebenfalls zurückzuweisen. Das Recht auf Akteneinsicht besteht in dem Umfang, in dem es zur effektiven Durchsetzung subjektiver Rechte der Beschwerdeführerin erforderlich ist, was nur bezüglich entscheidungsrelevanter Aktenbestandteile gilt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.03.2021 - Verg 9/21 -). Akteneinsicht ist in dem Umfang zu gewähren, der zur Durchsetzung des objektiven Rechts, bezogen auf das konkrete Rechtsschutzziel, notwendig ist, soweit keine berechtigten Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2022 - 54 Verg 7/22 -). Unter Abwägung der beiderseitigen Interessen hat die Antragstellerin demnach keinen Anspruch auf weitere Einsicht in die Vergabeakten, weil die sofortige Beschwerde erfolglos bleiben dürfte.
3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Kosten des Verfahrens nach § 173 Abs. 1 S. 3 GWB sind Kosten des Beschwerdeverfahrens, über die einheitlich in der Entscheidung über die sofortige Beschwerde zu befinden ist.
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Kürzung der Zuwendung um 25 % auch bei "kleinem" Vergaberechtsverstoß!
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VG Halle
Urteil
vom 13.10.2023
3 A 256/21
1. Ergeht ein Bewilligungsbescheid unter der Auflage der Einhaltung des Vergaberechts und hat der Zuwendungsempfänger vor der Auftragserteilung bestimmte auf die Nachunternehmer lautenden Nachweise und Erklärungen vorzulegen, liegt ein Vergaberechtsverstoß vor, wenn einzelne Nachunternehmern die Erklärungen trotz Nachforderung nicht vollständig beigebracht haben.
2. Keine Nachunternehmerleistung sind solche Teilleistungen, die sich auf reine Hilfsfunktionen beschränken, wie z. B. Speditionsleistungen, Gerätemiete, überwiegend auch Baustoff- und Bauteillieferungen.
3. Planungs- und Vermessungsleistungen sind spezifische Bauleistungen, die - insbesondere, wenn sie als gesonderter Titel des Auftrags verzeichnet sind - im Wege eines Unterauftrages vergeben werden können.
4. Grundsätzlich zwingen haushaltsrechtlichen Gründe bei Vorliegen von Widerrufsgründen im Regelfall zum Widerruf einer Subvention, sofern nicht außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen. Fehlt es an derartigen Umständen, bedarf es keiner besonderen Ermessenserwägungen.
5. Für die Frage des Umfangs des Widerrufs hat sich der Zuwendungsgeber an den Leitlinien für die Festsetzung von Finanzkorrekturen, die bei Verstößen gegen die Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge auf von der EU finanzierte Aufgaben anzuwenden sind, zu orientieren.
6. Beträgt der Korrektursatz 25 %, wenn die Eignungskriterien (oder technischen Spezifikationen) nach Öffnung der Angebote geändert oder nicht korrekt angewendet wurden, kann sich der Zuwendungsgeber hierauf stützen. Dass die von dem Vergabeverstoß betroffenen Teilleistungen im Verhältnis zum Gesamtauftragswert nicht erheblich ins Gewicht fallen, spielt keine Rolle.
In der Verwaltungsrechtssache
(...)
wegen landwirtschaftlicher Subvention
hat das Verwaltungsgericht Halle - 3. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 20. September 2023 durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht ### als Einzelrichterin
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
Die klagende Gemeinde wehrt sich gegen die Kürzung einer ihr gewährten Zuwendung.
Die Klägerin beantragte am 28. Februar 2018 die Gewährung einer Zuwendung gemäß der Richtlinie zur Gewährung von Zuwendungen zur Förderung der regionalen ländlichen Entwicklung in Sachsen-Anhalt in der EU-Förderperiode 2014-2020 (RELE 2014-2020) für das Vorhaben des grundhaften Ausbaus der Gemeindestraße "Feldgraben" inklusive Nebenanlagen, Niederschlagswasserkanal und Errichtung einer Stützwand.
Der Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 10. Juli 2018 eine Zuwendung i.H.v. 350.000 EUR in Form der Anteilsfinanzierung mit einem Anteil von 72,50 vom Hundert der zuwendungsfähigen Ausgaben von 482.782,27 EUR. Unter Ziffer 6. Nebenbestimmungen heißt es, dass die als Anlage beigefügten AN Best-GK Bestandteil des Bescheides sind. Abweichend oder ergänzend von den AN Best-GK wurde in Ziffer 6.1 des Bescheides bestimmt, dass der Bescheid unter der Auflage der Einhaltung der vergaberechtlichen Bestimmungen gemäß Nr. 3 ANBest-GK ergeht. Der Nachweis über die erfolgten Auftragsvergaben sei der Bewilligungsbehörde, soweit nichts Anderes geregelt ist, zeitnah, spätestens jedoch zum Zahlungsantrag, zu erbringen.
Den ersten Auszahlungsantrag stellte die Klägerin unter dem 30. Oktober 2019 für einen Teilbetrag von 202.269,21 EUR.
Im Rahmen der Prüfung der eingereichten Vergabeunterlagen traf der Beklagte folgende Feststellungen (Bl. 131 ff. Beiakte A):
- Die Erklärungen für die Nachunternehmer entsprechend § 15 Abs. 2 LVG LSA lägen zum Teil nicht vor. Nachunternehmer müssten Nachweise oder Eigenerklärungen über die vollständige Entrichtung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen sowie eine Erklärung nach den §§ 10 und 12 Abs. 2 LVG LSA zur Tariftreue und zur Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen vorlegen. Die Nachunternehmer C. GmbH, D. Werbeagentur S. und IB F. hätten die Nachweise/Erklärungen nicht (vollständig) beigebracht, so dass das Angebot nicht habe angenommen werden dürfen. Der Vergabeverstoß sei nach Nr. 14 der Leitlinie für die Festsetzung von Finanzkorrekturen mit 25 % zu sanktionieren.
- Vor Zuschlagserteilung sei kein Gewerbezentralregisterauszug entsprechend § 19 Abs. 4 des Mindestlohngesetzes nach § 150a GewO abgefordert worden. Der Bieter habe jedoch mit dem Angebot eine aktuelle eigene Abfrage nach § 150 GewO vorgelegt. Dieser Verstoß sei daher lediglich ein formeller Fehler.
Im Rahmen der Anhörung zu der beabsichtigten Sanktionierung machte die Klägerin geltend, dass sie lediglich von unerheblichen Nachunternehmern (baubegleitenden Unternehmen) die fraglichen Unterlagen nicht verlangt habe und daher nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A das Angebot habe werten dürfen.
Unter dem 6. November 2020 erließ der Beklagte den streitbefangenen Änderungs-, Teilwiderrufs- und Sanktionsbescheid. Nach den Submissionsergebnissen hätten sich die förderfähigen Kosten bei gleichbleibender Maximalförderung erhöht, so dass sich der Fördersatz auf 40,25 % absenke. Aufgrund des bei Prüfung der Vergabeunterlagen festgestellten Verstoßes gegen Vergaberecht (Nachunternehmererklärungen) kürzte der Beklagte die förderfähigen Baukosten um 25 % und widerrief die Zuwendung i.H.v. 50.131,85 EUR. Der Verstoß gegen Vergabevorschriften stelle die Nichteinhaltung einer mit dem Bescheid verbundenen Auflage und damit einen Sanktionssachverhalt nach Art. 35 Del. VO (EU) Nr. 640/2014 dar. Sein Ermessen sei bei der Frage, ob zu Unrecht ausgezahlte unionsfinanzierte Subventionen zurückgefordert werden, reduziert. Bezüglich des Umfangs des Widerrufs, der sich aus der vorzunehmenden Sanktionierung ergebe, werde sein Ermessen durch die von der EU-Kommission beschlossenen Leitlinien für die Festsetzung von Finanzkorrekturen, die bei Verstößen gegen die Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge auf von der Union finanzierte Ausgaben anzuwenden sind, geleitet. Liege - wie im konkreten Fall - kein von den in den Leitlinien aufgenommenen Regelfällen abweichender Sachverhalt vor, habe er den Vergabeverstoß entsprechend zu bewerten. Ausgehend von Nr. 14 der Leitlinien komme man daher zur Regelkürzung von 25 %, der für die 1. Auszahlung den Teilwiderrufsbetrag ergebe.
Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 8. Dezember 2020 Widerspruch ein, mit dem sie sich gegen die Sanktionierung wegen eines Vergabeverstoßes wendete. Gemäß § 15 Abs. 1 LVG LSA entscheide der öffentliche Auftraggeber, ob das Angebot von der Wertung ausgeschlossen werde. In den Vergabeunterlagen habe sie festgelegt, dass keine Unterlagen von Nachunternehmern nachgefordert werden. Trotz dieser Festlegung habe sie von den Nachunternehmern die Nachweise abgefordert. Nur von unerheblichen Nachunternehmern habe sie nicht alle Nachweise erhalten. Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A habe das Angebot daher gewertet werden können. Es liege kein Vergabeverstoß vor.
Das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt wies den Widerspruch mit Bescheid vom 30. August 2021 zurück.
Die Klägerin hat am 27. September 2021 vor dem Verwaltungsgericht Klage erhoben. Sie macht weiter geltend, nicht gegen Vergaberecht verstoßen zu haben. Für unerhebliche Nachunternehmer seien die Erklärungen zur Tariftreue und zu den ILO-Kernarbeitsnormen nicht zwingend vorzulegen. Nach der einschlägigen Rechtsprechung zu § 15 Abs. 2 LVG LSA lägen unerhebliche Nachunternehmer vor, wenn diese reine Hilfsfunktion bei der Erbringung der Leistung hätten und die Leistung im Verhältnis zum Gesamtauftragswert nicht übermäßig ins Gewicht falle. Sowohl bei der Herstellung des Werbeschildes für die Baumaßnahme als auch bei den geologischen Grunduntersuchungen und Vermessungen handele es sich um klassische Hilfsleistungen. Deren Erbringung sei für die Herstellung der beauftragten Straße nicht von grundlegender Bedeutung. Die benannten Hilfsleistungen würden auch wirtschaftlich nicht ins Gewicht fallen. Dass die Firmen C. GmbH, D. Werbeagentur S. und IB F. nicht alle Unterlagen vorgelegt hätten, sei daher kein Verstoß gegen Vergaberecht.
Die Klägerin beantragt,
den Änderungs-, Teilwiderrufs- und Sanktionsbescheid des Beklagten vom 6. November 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom 30. August 2021 aufzuheben, soweit hierin die mit Bescheid vom 10. Juli 2018 gewährte Zuwendung in Höhe von 50.131,85 EUR widerrufen wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt den angefochtenen Bescheid und vertritt die Auffassung, dass der Argumentation der Klägerin zur Einstufung der beauftragten Firmen als unerhebliche Nachunternehmer nicht gefolgt werden könne.
Die Klägerin sei nach Nr. 6.4 der Nebenbestimmungen zum Bescheid vom 10. Juli 2018 zur Aufstellung einer Erläuterungstafel verpflichtet, woraus sich schon ein fachlicher Bezug zwischen der Tafel und der geförderten Bauleistung ergebe. Zudem sei die Anfertigung und Aufstellung des Baustellenschildes Bestandteil des Leistungsverzeichnisses, mit welchem die Leistung durch die Klägerin ausgeschrieben worden sei. Die Leistung sei nicht durch den bezuschlagten Bieter selbst ausgeführt worden. Dies sei auch nie vorgesehen gewesen, da bereits im abgegebenen Angebot die Ausführung durch einen Nachunternehmer angegeben worden sei. Es handele sich somit um eine klassische Nachunternehmerleistung und nicht um eine unerhebliche Hilfsleistung oder bloße Zuarbeit.
Die im Rahmen von Straßenbauarbeiten durchzuführenden geologischen Untersuchungen des Baugrundes seien entgegen der Auffassung der Klägerin von Bedeutung für die nachfolgende Baumaßnahme. Aus den Feststellungen der Untersuchung könne sich die Notwendigkeit einer anderen als der vorgesehenen Planung ergeben. Anderenfalls bestätige sie die bisherige Planung. Auch die durchzuführende Vermessung des Baufeldes sei keine reine Hilfsarbeit. Ungenauigkeiten oder Fehler könnten hier zu Problemen bei der Feststellung des Straßenverlaufs und damit bei der anschließenden Ausführung der Baumaßnahme führen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung des Gerichts gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Anfechtungsklage hat keinen Erfolg, denn sie ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für den angegriffenen Teilwiderruf mit Bescheid des Beklagten vom 6. November 2020 ist § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfG LSA i.V.m. § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwVfG. Hiernach kann ein rechtmäßiger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zweckes gewährt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat.
Der Zuwendungsbescheid der Beklagten vom 10. Juli 2018 war mit Auflagen zur Auftragsvergabe verbunden, die von der Klägerin nicht erfüllt worden sind. Unter Ziffer 6 des Zuwendungsbescheides - Nebenbestimmungen - wurde festgelegt, dass die (dem Bescheid) beigefügten ANBest-Gk (Allgemeine Nebenbestimmungen für Zuwendungen an Gebietskörperschaften und Zusammenschlüsse von Gebietskörperschaften in der Rechtsform einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, Anlage zur VV-Gk Nr. 5.1 zu § 44 LHO LSA) Bestandteil des Bescheides sind. Abweichend oder ergänzend von den AN Best-GK wurde in Ziffer 6.1 des Bescheides bestimmt, dass der Bescheid unter der Auflage der Einhaltung der vergaberechtlichen Bestimmungen gemäß Nr. 3 ANBest-GK ergeht. Nach Nr. 3 der ANBest-Gk sind bei der Vergabe der Aufträge die nach den haushaltsrechtlichen Bestimmungen des Zuwendungsempfängers anzuwendenden Vergabegrundsätze zu beachten. Verpflichtungen des Zuwendungsempfängers, aufgrund des 4. Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und der Vergabeverordnung (VgV) sowie des Landesvergabegesetzes (LVG) oder anderer Rechtsvorschriften, die einschlägigen Vergabevorschriften für öffentliche Auftraggeber einzuhalten, bleiben unberührt. Nr. 3 der ANBest-GK enthält Vorgaben zur Vergabe von Aufträgen, die dem Zuwendungsempfänger ein bestimmtes Tun vorschreiben und die daher als Auflagen im Sinne des §§ 1 Abs. 1 VwVfG LSA, 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG einzuordnen sind (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 17. Oktober 2013 - 9 S 123/12 m.w.N.).
Die Klägerin war hiernach verpflichtet, die Regelungen des Gesetzes über die Vergabe öffentlicher Aufträge im Land Sachsen-Anhalt (LVG LSA) und die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A (VOB/A) einzuhalten. Diese Verpflichtung hat sie nicht erfüllt. Hat der Bieter aktuelle Nachweise oder Eigenerklärungen über die vollständige Entrichtung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen (Nr. 1), eine Erklärung nach den §§ 10 und 12 Abs. 2 LVG LSA (Nr. 2, Erklärung zur Tariftreue und zu den ILO-Kernarbeitsnormen) oder sonstige Nachweise oder Erklärungen (Nr. 3) nicht zum geforderten Zeitpunkt vorgelegt, entscheidet nach § 15 Abs. 1 Satz 1 LVG LSA der öffentliche Auftraggeber auf der Grundlage der Bestimmungen der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen und der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, ob das Angebot von der Wertung ausgeschlossen wird. Abs. 2 Satz 1 bestimmt, dass, soll die Ausführung eines Teils des Auftrags über die Erbringung von Bauleistungen oder Dienstleistungen einem Nachunternehmer übertragen werden, vor der Auftragserteilung auch die auf den Nachunternehmer lautenden Nachweise und Erklärungen nach Abs. 1 vorzulegen sind.
Die Prüfung der Vergabeunterlagen hat ergeben, dass von den Nachunternehmern des bezuschlagten Bieters Hoch- und Tiefbau N., den Firmen C. GmbH, D. Werbeagentur S. und IB F., die Erklärungen nach § 10 und § 12 Abs. 2 LVG LSA trotz Nachforderung nicht vollständig beigebracht wurden. Der Zuschlag hätte daher nicht erteilt werden dürfen, vielmehr wäre das Angebot vom Vergabeverfahren auszuschließen gewesen (§§ 16 Abs. 1 Nr. 4, 16a Abs. 5 VOB/A). Der Nichtausschluss und die Bezuschlagung stellen insbesondere einen Verstoß gegen die im Vergabeverfahren geltenden Gebote zur Transparenz und zur Gleichbehandlung dar.
Die Einwände der Klägerin gegen die Annahme eines Vergabeverstoßes greifen nicht durch. Sie macht ohne Erfolg geltend, dass die Leistungen der betroffenen Firmen keine Nachunternehmerleistungen sind. Zwar unterliegt der Begriff der Nachunternehmerleistung inhaltlichen Einschränkungen, diese treffen hier aber nicht zu.
Nicht als Nachunternehmerleistung werden solche Teilleistungen qualifiziert, die sich auf reine Hilfsfunktionen beschränken, so zum Beispiel Speditionsleistungen, Gerätemiete, überwiegend auch Baustoff- und Bauteillieferanten (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 26. Januar 2005 - 1 Verg 21/04 -; OLG München, Beschluss vom 10.09.2009 - Verg 10/09 -; VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 23. Juli 2014 - 1 VK 28/14 -; VK Nordbayern, Beschluss vom 14. Oktober 2015 - 21.VK-3194-23/15; vgl. auch Weyand, Vergaberecht, Stand 14. September 2015, § 97 GWB Rn. 626). Bei der Untervergabe von ingenieurtechnischen Leistungen - wie hier der geologischen Untersuchung des Baugrundes (Titel 09.030020 + 003 0,08.03.0090-0110) durch das Ingenierbüro F. (H.) und die Vermessung des Baufeldes (Titel 00.02.0080 + 0090 + 0110, 08.03.0120, 09.03.0040) durch die Fa. C. GmbH - handelt es sich nicht um derartige auf Hilfsfunktionen beschränkte Teilleistungen. Vielmehr sind Planungs- und Vermessungsleistungen spezifische Bauleistungen, die, insbesondere, wenn sie als gesonderter Titel des Auftrags verzeichnet sind, im Wege eines Unterauftrages vergeben werden können (OLG Naumburg, a.a.O.; VK Leipzig, Beschluss vom 20. April 2006 - 1/SVK/029-06 -; Weyand, a.a.O.). Der Bieter Hoch- und Tiefbau N. hat diese beiden Firmen dementsprechend auch in seinem Nachunternehmerverzeichnis mit den Unteraufträgen für die bezeichneten Titel des Leistungsverzeichnisses angegeben. Dies gilt auch für die geforderte Leistung der Anfertigung und Aufstellung des Bauschildes. Diese Teilleistung ist nicht vergleichbar mit der Lieferung standardisierter Bauelemente. Sie hat nicht nur um eine Hilfsfunktion, sondern es handelt es sich um eine vom Auftraggeber explizit mit dem Leistungsverzeichnis (Titel 00.00.0060) abgeforderte Leistung, deren Erbringung durch Dritte als Nachunternehmereinsatz zu qualifizieren ist.
Die Beklagte hat weiter ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Grundsätzlich zwingen die haushaltsrechtlichen Gründe der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei Vorliegen von Widerrufsgründen im Regelfall zum Widerruf einer Subvention, sofern nicht außergewöhnliche Umstände des Einzelfalles eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen; fehlt es an derartigen Umständen, so bedarf es keiner besonderen Ermessenserwägungen (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - 3 C 22.02 m.w.N.).
Ein intendiertes Ermessen ergibt sich angesichts der hier streitbefangenen Förderung auch aus EU-Mitteln weiter aus dem Unionsrecht. Art. 35 Abs. 2 lit. b der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 640/2014 bestimmt, dass die Förderung ganz oder teilweise zurückgenommen wird, wenn für das Vorhaben geltende Auflagen für die öffentliche Auftragsvergabe nicht eingehalten werden. Die Ausübung von Ermessen hinsichtlich der Frage, ob die Rückforderung zu Unrecht gewährter Unionsmittel zweckmäßig ist, ist nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs mit dieser Verpflichtung unvereinbar (EuGH, Urteil vom 21. September 1983 - Rs. C-215/82 -, Slg.1983, 2633; BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - 3 C 22/02 -).
Für die Frage des Umfangs des Widerrufs hat sich der Beklagte in sachgerechter Ausübung seines Ermessens an den Leitlinien für die Festsetzung von Finanzkorrekturen, die bei Verstößen gegen die Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge auf von der Union finanzierte Aufgaben anzuwenden sind (Beschluss der Kommission vom 14. Mai 2019), orientiert. Diese richten sich zwar vorrangig an die Kommissionsdienststellen, um bei deren Bearbeitung von Fällen mit Unregelmäßigkeiten ein einheitliches Vorgehen zu gewährleisten. Den zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten, die selbst Unregelmäßigkeiten feststellen, empfehlen die Leitlinien (vgl. dazu die einleitenden Ausführungen in der Leitlinie) jedoch, dabei dieselben Kriterien für die Korrektur anzuwenden (VG Cottbus, Urteil vom 3. Februar 2023 - 3 K 1618/19 -). Dabei sind die Leitlinien nicht schematisch anzuwenden und etwaige atypische Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Auch die Regelannahmen der Leitlinien entbinden daher nicht davon, die Einzelumstände zu würdigen (VG Cottbus, a.a.O.)
Der Beklagte hat die Kürzung um 25 % hiernach zutreffend auf den in Nr. 14 vorgesehenen Korrektursatz gestützt. Hiernach beträgt der Korrektursatz 25 %, wenn die Eignungskriterien (oder technischen Spezifikationen) nach Öffnung der Angebote geändert oder nicht korrekt angewendet wurden. Ein solcher Fall lag hier vor. Dass die von dem Vergabeverstoß betroffenen Teilleistungen im Verhältnis zum Gesamtauftragswert nicht erheblich ins Gewicht fallen, spielt dabei keine Rolle. Denn die Bewilligungsbehörde darf bei der Subventionsvergabe die Beachtung strenger Form- und Fristbestimmungen verlangen. Sinn der klaren Regelung in Nr. 3 AN Best-GK ist es, das bereits in formeller Hinsicht dem Gebot der sparsamen Verwendung von Haushaltsmitteln entsprochen wird.
Auf die Frage, ob und in welcher Höhe dem Subventionsgeber durch eine regelwidrige Auftragsvergabe letztlich ein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist, kommt es nicht an (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5. März 2010 - 1 L 6/10 -). Sonstige Gesichtspunkte, die einen atypischen Sachverhalt und ein Absehen von der 25-prozentigen Kürzung der Zuwendung begründen könnten, sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(...)
Beschluss
Der Streitwert wird auf 50.131,85 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
(...)
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OLG Köln
Urteil
vom 25.10.2023
16 U 130/22
1. Zu den Anforderungen an eine durch den Auftraggeber erklärte Kündigung aus wichtigem Grund, wenn der mit der Gestaltung von Außenanlagen beauftragte Auftragnehmer unter Berufung auf eine ungeklärte Kampfmittelfreiheit der Baustelle die Ausführung der Arbeiten verweigert.*)
2. Für den (hier: öffentlichen) Auftraggeber bestehen hohe Anforderungen hinsichtlich der Durchführung von Erkundigungsmaßnahmen, wenn sich beim Baugrund Anhaltspunkte für eine Kampfmittelbelastung ergeben. Verdachtsflächen sind auf Kampfmittelbelastung zu untersuchen, zu bewerten und gegebenenfalls zu räumen. Auf entsprechende Maßnahmen kann verzichtet werden, wenn in dem betroffenen Bereich der Luftkrieg stattgefunden hat und die geschuldeten Arbeiten in einem Bereich bis 0,8 m unterhalb der Geländeoberkante 1945 oder in nach dem Krieg erfolgten Aufschüttungen stattfinden und erschütterungsarm durchgeführt werden sollen.*)
3. Der Auftraggeber, der das Vergaberecht zu beachten hat, muss schon bei der Ausschreibung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 6 VOB/A 2019 die wesentlichen Bodenverhältnisse beschreiben. Aus § 8a Abs. 3 Satz 1 VOB/A 2019, ATV DIN 18299 Abschnitt 0.1.17 folgt, dass die Leistungsbeschreibung grundsätzlich eine Bestätigung enthalten muss, aus der sich ergibt, dass die im jeweiligen Bundesland geltenden Anforderungen zu Erkundigungs- und Räumungspflichten erfüllt wurden. Das Fehlen dieser Bestätigung berechtigt den Auftragnehmer nicht schlechthin zur Leistungsverweigerung, soweit die Kampfmittelfreiheit durch andere Umstände hinreichend nachgewiesen wird.*)
4. In Nordrhein-Westfalen steht der zuständigen Ordnungsbehörde die maßgebliche Entscheidungskompetenz zu, ob und welche Untersuchungsmaßnahmen im Einzelfall erfolgen.*)
5. Wenn ein Auftraggeber seiner Pflicht zur Klärung der Kampfmittelfreiheit des Baugeländes nahezu vollständig nachgekommen ist (hier: mindestens 85 % des zu bearbeitenden Bereichs), verletzt der Auftragnehmer seine bauvertragliche Kooperationspflicht, wenn er seine Leistung vollständig verweigert, obwohl ihm Arbeiten in wesentlichen Teilbereichen gefahrlos möglich wären.*)
vorhergehend:
LG Bonn, 13.07.2022 - 13 O 207/21
In dem Rechtsstreit
(
)
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 16.08.2023 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. W., den Richter am Oberlandesgericht Dr. B. und den Richter am Oberlandesgericht K.
für Recht erkannt:
Unter vollständiger Zurückweisung der Berufung der Klägerin und teilweiser Zurückweisung der weitergehenden Anschlussberufung der Beklagten wird das am 13.07.2022 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 13 O 207/21 - auf die Anschlussberufung der Beklagten dahingehend teilweise abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 10.672,81 nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2020 zu zahlen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Dieses und das erstinstanzliche Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 631.787,07 (Berufung = 620.699,30 ; Anschlussberufung = 11.087,77 ) festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem infolge unterschiedlicher Ansichten zur Kampfmittelsituation des Baugrunds gekündigten Bauvertrag.
Unter der Vergabenummer ### betrieb die Beklagte im Jahr 2019 eine öffentliche Ausschreibung bezüglich der Erstellung der Außen-/Freianlagen rund um die bereits errichtete Dreifachturnhalle des Schul- und Sportparks ### in ###, gelegen an der E-straße zwischen der sich im Norden befindenden ### und dem südöstlich gelegenen Theater ###. Inhalt der ausgeschriebenen Baumaßnahme war die Anlage von Wegen, Stellplätzen und Anpflanzungen sowie eine Geländeaufschüttung auf der nordöstlichen Seite zum Haupteingang und die Errichtung einer Treppenanlage auf der Südseite. Die Ausschreibung umfasste u.a. die Aushebung von 19 Baum-Pflanzgruben mit einer Tiefe von 100 bis 140 cm (LV-Pos. 04.00.0004).
Kanalarbeiten waren nicht Gegenstand der Ausschreibung, vielmehr hatte die Fa. ### die für die Errichtung des Regenwasserkanals bis zu einer Tiefe von 4 Metern erforderlichen Ausgrabungen bereits durchgeführt und dabei an den vorgesehenen Stellen Ableitungen des Kanals bis ca. 1 Meter unterhalb der Geländeoberfläche geführt und diese mit Anschlussstutzen versehen. Zu der Erstellung der Außen-/Freianlagen gehörte aber die Entwässerung etwa der herzustellenden Pflasterflächen, wofür die Aushebung von Rohrleitungsgräben mit einer durchschnittlichen Tiefe von 80 bis 125 cm (LV-Pos. 04.00.007) ausgeschrieben und die entsprechenden Entwässerungsleitungen an den seitens der Fa. ### errichteten Regenwasserkanal anzuschließen waren.
Zu den Ausschreibungsunterlagen gehörte ein "1. Bericht zum Baugrund" der ### GmbH - verfasst von deren Geschäftsführer Dipl.-Geol. ### - vom 07.03.2017, in dem es auf Seite 27 (LG-173) u.a. heißt:
"Beim Landesbetrieb Kampfmittel in ### ist über das Ordnungsamt der Stadt ### eine Anfrage bezüglich des Kampfmittelverdachts und des weiteren Vorgehens bei Aushub/Baugrubensicherung gestellt worden. [Die betroffene Stadt] war im II. Weltkrieg als Verkehrsknotenpunkt wiederholt Ziel von Luftangriffen, die sich auf den Bahnhofsbereich konzentrierten. Nach der Besprechung im Februar 2017 ist ein Blindgängerverdacht vorhanden. Ggf. empfiehlt sich eine Beräumung im Zuge der Kanalbauarbeiten vorzunehmen, da evtl. eine Verbau erforderlich wird. Die Erkundung des Blindgängers ist in Abstimmung mit einer Fachfirma für Kampfmittelräumung (z. B. Fa.###, die auch beim Neubau Mensa gearbeitet hatte) vorzunehmen."
Der in dem Bericht genannte Blindgängerverdacht beruhte auf einer Luftbildauswertung, wurde im Rahmen der Kanalarbeiten der Fa. ### seitens der Beklagten überprüft und dabei der Verdacht ausgeräumt.
Die Klägerin gab mit Schreiben vom 12.04.2019 ein Angebot mit der Auftragssumme 674.650,74 ab (LG-32 ff.). Mit Schreiben vom 28.05.2019 erteilte die Beklagte der Klägerin unter Einbeziehung der VOB/B den Auftrag, wobei der Baubeginn am 08.07.2019 und die Fertigstellung bis zum 31.10.2019 erfolgen sollte.
Nach dem Vertragsschluss kam es zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien über den Umfang der notwendigen Aufklärung über die aus dem II. Weltkrieg resultierende Kampfmittelbelastung der von der Klägerin zu bearbeitenden Flächen und der dazu abgegebenen Erklärungen der Beklagten. Dabei besteht indes ein grundsätzliches Einvernehmen der Parteien dahingehend, dass bei Arbeiten bis zu einer Tiefe von 0,8 m GOK 1945 (= zum Kriegsende 1945 bestehende Geländeoberkante) die Kampfmittelbelastung keine Rolle spielt, wenn die Erdarbeiten nicht mit erheblichen mechanischen Belastungen verbunden sind.
Im Einzelnen ergaben sich insbesondere folgende Ereignisse:
27.06.2019: In einer Baubesprechung vor Ort bestätigt Herr ### vom Bauamt der Beklagten der Klägerin, es bestehe eine Kampfmittelfreiheit (s. das Besprechungsprotokoll vom 01.07.2019, LG-62).
15.07.2019: Die Klägerin richtet die Baustelle ein.
16.07.2019: Herr ### erklärt in einer Baubesprechung vor Ort, in Korrektur der Erklärung vom 27.06.2019 könne eine Kampfmittelfreiheit nicht bescheinigt werden, der Bauherr sei aber in Rücksprache mit den zuständigen Ordnungsbehörden seiner erforderlichen Sorgfaltspflicht nachgekommen (s. das Besprechungsprotokoll vom 17.07.2019, LG-65).
18.07.2019: Die Klägerin übersendet der Beklagten eine Behinderungsanzeige, da keine Kampfmittelfreiheit bestehe (LG-69 f.) und stellt die Arbeiten vollständig ein. Die Beklagte weist die Behinderung mit Schreiben vom gleichen Tag zurück, zum Thema Kampfmittel habe man die unternommenen Schritte mehrfach erläutert (LG-71 f.).
19.07.2019: Die Klägerin weist die Beklagte schriftlich darauf hin, dass ihre Behinderungsanzeige aufrecht erhalten bleibt (LG-74).
22.07.2019: Die Beklagte fordert die Klägerin schriftlich zur Aufnahme der Arbeiten zum 23.07.2019 sowie zur fristgerechten Fertigstellung der Arbeiten auf (LG-76). Die Klägerin wiederholt schriftlich ihre Behinderungsanzeige wg. "Fehlende(r) Bestätigung der Kampfmittelfreiheit" (LG-77 f.) und erklärt der Beklagten in einem weiteren Schreiben, dass diese in Verzug gesetzt werde (LG-79 f.).
23.07.2019: Die Beklagte schreibt der Klägerin u.a. (LG-81):
"Im Protokoll vom 16.07.2019 wurde festgehalten, dass eine Kampfmittelfreiheit nicht bestätigt werden kann. Dieses bezieht sich aber gemäß der fortgeführten Erläuterung in dem Protokoll und der Klarstellung im Schreiben vom 18.07.2019 auf die Luftbildauswertung. Die Luftbildauswertung kann in der Tat keine Aussagen über die Bestandteile der nachweislich, nach Abschluss der Kriegshandlungen erfolgten Aufschüttungen machen. Gemäß geltender Erlasslage, einschlägigen Hinweisen zur Verfahrensweise wurden Recherchen zu der Zeit der Aufschüttung getätigt. Damit ist auch der Bereich des Aufbaues der bereits bebauten Flächen (Aufschüttung und Bodenbelagsaufbau) als "kampfmittelfrei" zu bewerten. Bereits mit Schreiben vom 18.07.2019 haben wir Ihnen dies mitgeteilt und erläutert, dass alle notwendigen Schritte im Sinne der "Kampfmittelfreiheit" in Rücksprache mit den für die "Kampfmittelfreiheit" zuständigen Fachbehörden erfolgt sind und das Baufeld für die vorgesehenen, planerisch dokumentierten Arbeiten als "kampfmittelfrei" - nach Stand der Technik und der einschlägigen Richtlinien - zu bewerten ist. Dies gilt umso mehr, da sich die Eindringtiefe im Ostbereich der Halle - aufgrund des guten Untergrundes - nunmehr verringern wird. Hierzu werden Sie noch gesonderte Informationen durch unsere Bauleitung erhalten."
24.07.2019: Schreiben der Beklagten an die Klägerin (LG-1381), u.a. mit folgendem Inhalt:
"entsprechend unserer heutigen Besprechung führen Sie noch einige oberflächennahe Arbeiten aus, zudem sind Sie
morgen zum Zwecke der Erstellung von Probeschürfungen um ca. 07:00 Uhr auf der Baustelle. Nach diesen Arbeiten wird die Ausführung bis zur Vorlage der erforderlichen Deklarationen bis einschließlich Montag, den 29.07.2019 ruhen. Im Zeitraum von Dienstag-Freitag von 07:30 bis 16:30 steht für die Arbeiten begleitend ein Fachkundiger nach § 20 Sprengstoffgesetz (Befähigungsschein) zur Verfügung. Den entsprechenden Anweisungen des Sachkundigen muss, mit begleitender Information der Bauleitung, Folge geleistet werden."
31.07.2019: In einem Schreiben der Bezirksregierung ### (OLG-209) an das Ordnungsamt der Beklagten nimmt die Bezirksregierung auf ein Schreiben des Ordnungsamtes vom 24.07.2019 Bezug und empfiehlt diesem, wegen Luftbilder-Hinweisen auf vermehrte Bombenabwürfe (s. insoweit den Plan der Bezirksregierung, LG-1259) einen Antrag auf Kampfmitteluntersuchung zu stellen.
05.08. bis ###: Briefwechsel der vorprozessual für die Klägerin tätigen Rechtsanwälte
08.08.2019: ### (verfasst von dem nunmehr für die Prozessbevollmächtigten der Klägerin tätigen Rechtsanwalt ###) mit dem für die Beklagte bereits vorprozessual beauftragten Rechtsanwalt ###.
14.08.2019###Im Anschluss an eine Baubesprechung übersendet der Beklagten-Vertreter dem Kläger-Vertreter gemäß E-Mail vom selben Tag (LG-128) insbesondere folgende Unterlagen [s. auch den Tatbestandsberichtigungsbeschluss des Landgerichts vom 27.07.2022 (LG-1590) iVm S. 14 der Klageerwiderung (LG-380)]:
- Schreiben der ### GmbH vom 15.07.2019, verfasst von Dipl.-Geol. ### (LG-396 f.),
- Merkblatt für Baugrundeingriffe (LG-391-395),
- Lageplan mit Angabe der Auffüllhöhen [dabei handelt es sich um den Plan "Kampfmitteluntersuchung" (= Anlage B8, LG-1297), s. die Zuordnung in der Klageschrift (LG-16 f.) und in der Klageerwiderung (LG-373)]
- Bestätigung der ### GmbH vom 01.08.2019 über das Ergebnis der Störkörpersuche (LG-403 f.),
- Farbig markiertes Luftbild der Störkörpersondierung (LG-405),
- Schreiben des Ordnungsamtes vom 14.08.2019 an den "Stadtbetrieb Zentrales Immobilienmanagement ZIM Im Hause" (LG-398 f.),
- Schema zur Lage der GOK 1945 und Auffüllungen (LG-437)
15.08.2019: Unter Bezugnahme auf die übermittelten Unterlagen verweigert die Klägerin gemäß Schreiben der Rechtsanwälte M. weiterhin die Fortsetzung der Arbeiten (LG 442-445).
16.08.2019: Der Beklagten-Vertreter erklärt wegen Verletzung der Kooperationspflichten eine Teilkündigung des Vertrags (LG 446-449).
04.09.2019: Herr ### (Bauamt der Beklagten) wendet sich per E-Mail mit Unterlagen an das Ordnungsamt der Beklagten und bittet u.a. um eine Handlungsempfehlung für die weiteren Maßnahmen im nachkriegsaufgeschütteten Bereich (OLG-205 f.)
09.09.2019: Das Ordnungsamt der Beklagten stellt einen "Antrag auf Kampfmitteluntersuchung" an die Bezirksregierung für eine Fläche "gem. LBA 8.100 m². Arbeitsbereiche - nur im aufgeschüttetem Bereich ca. 1200 m²" (OLG-200 f.) mit einer Begleit-Mail "mdB um eine konkrete Handlungsempfehlung" (OLG-208) sowie einem Plan (Anlage B25 = LG-453) mit Angaben zur Luftbildauswertung und Arbeitsbereichen im nachkriegsaufgeschütteten Bereich. In der E-Mail-Antwort der Bezirksregierung vom gleichen Tag (OLG-207) heißt es:
"In den übersendeten Unterlagen werden Aufschüttungen von bis zu 4 Metern bekannt gegeben. Ohne die Entfernung dieser Aufschüttungen ist eine Kampfmittelräumung ab der Oberfläche (GOK 1945) nicht möglich. Im Zuge der Arbeitssicherheit ist es mir nicht mehr möglich Ihnen eine Handlungsempfehlung zu geben, somit obliegt dieses Ihnen oder dem Bauherren."
02.10.2019: Mit anwaltlichem Schreiben teilt die Beklagte der Klägerin die Ergebnisse weiterer interner Prüfungen mit und fordert diese bis zum 18.10.2019 zur Wiederaufnahme der (nach Teilkündigung noch geschuldeten) Arbeiten auf und kündigt die Entziehung des Gesamtauftrags an (LG-1397 ff.).
04.10.2019: Das Ordnungsamt teilt dem "Stadtbetrieb Zentrales Immobilienmanagement ZIM Im Hause" u.a. schriftlich mit (OLG-636), die beabsichtigten Bauarbeiten in nach 1945 erfolgten Aufschüttungen könnten unter Beachtung der üblichen Vorkehrungen ohne weitere Kampfmittelüberprüfungen durchgeführt werden.
25.10.2019: Die Beklagte kündigt den Bauvertrag wegen fruchtlosen Fristablaufs (LG-459).
Allein auf diese Kündigung vom 25.10.2019 hat die Klägerin ihre Zahlungsklage gestützt. Sie hat für bereits erbrachte Leistungen und "Stillstandsvergütung" einen auf Basis ihrer von der Beklagten teilweise gekürzten Rechnung vom 28.12.2019 (LG-176 ff.) im Einzelnen berechneten Restvergütungsanspruch iHv 340.019,66 brutto (vgl. LG-25 f.) und als "Kündigungsvergütung" einen weiteren, gemäß Schreiben vom 31.12.2019 (LG-245 ff.) berechneten Zahlungsanspruch iHv 295.703,39 netto geltend gemacht sowie Privatgutachterkosten iHv insgesamt 2.562,83 brutto (Berechnung s. LG-28 f.) sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten iHv 5.514,50 netto (Berechnung s. LG-30) begehrt. Vorprozessual hat die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 06.03.2020 die Beklagte bezüglich der beiden Rechnungen sowie der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zum Zahlungsausgleich bis zum 31.03.2020 aufgefordert (LG- 334 f.).
Die Beklagte hat gegenüber einem unstreitigen Vergütungsanspruch der Klägerin in Höhe von 10.672,81 die Aufrechnung mit anwaltlichen Gebühren in Höhe von 6.736,35 , Maßnahmen zur Störkörperdetektion in Höhe von 3.748,50 und Architektenkosten in Höhe von 5.337 erklärt.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, es liege eine freie Kündigung der Beklagten vor, denn diese habe keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung des Bauvertrages gehabt. Ihr - der Klägerin - habe ein Recht zur Leistungsverweigerung zugestanden, weil die Beklagte zu der Frage der Kampfmittelbelastung des Baugeländes nur unzureichende Auskünfte erteilt habe und sie deshalb nicht verpflichtet gewesen sei, auf Basis der von der Beklagten übersandten Informationen die Arbeiten fortzuführen. Insbesondere seien die Bereiche des Baufeldes ohne Luftbildauswertung insgesamt mehr als 100 qm groß (LG-652).
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie
1.) 340.019,66 ,
2.) 295.703,39 und
3.) 2.562 83 ,
dies jeweils nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.02.2020 sowie
4.) 5.514,50 zuzüglich Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung gewesen, ihre Kündigung sei als außerordentliche Kündigung aus wichtigen Grund gemäß §§ 8 Ziff. 3 Abs. 1, 5 Nr. 4 VOB/B wirksam, da die zuständigen Behörden nach entsprechender Überprüfung die Kampfmittelgefahr verneint hätten und die Klägerin keine weitergehenden Informationen habe verlangen können, als diejenigen, welche sie erhalten habe.
Die Beklagte hat behauptet, sie habe der Klägerin zugestanden, die Entwässerungsleitungen dort, wo im westlichen Bereich keine Luftbildauswertung vorgelegen habe, oberhalb des frostfreien Bereiches von 0,8 m - und damit objektiv mangelhaft - anzulegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils in der Fassung des Tatbestandsberichtigungs-Beschluss vom 27.07.2022 (LG-1590 ff.) Bezug genommen.
Das Landgericht hat der Klage nur iHv 15.023,75 nebst Zinsen teilweise stattgegeben und sie im Übrigen in weit überschießender Höhe abgewiesen.
Im Hinblick auf die Klagezusprechung seien ein gemäß § 631 BGB berechtigter Vergütungsanspruch der Klägerin für erbrachte Leistungen iHv 10.672,81 brutto als unstreitig sowie die Einwände der Beklagten gegen die Berechtigung der Position 09.0 iHv 4.350,94 brutto als unsubstantiiert und damit unbeachtlich anzusehen. Verzug sei erst durch die Fristsetzung im Schreiben vom [zutreffend:] 06.03.2020 zum 01.04.2020 eingetreten.
Darüber hinausgehende Zahlungsansprüche stünden der Klägerin indes nicht zu, da die Gesamtkündigung der Beklagten vom 25.10.2019 gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 iVm § 5 Abs. 4 VOB/B wirksam erfolgt sei. Es habe ein Grund zur außerordentlichen Kündigung vorgelegen, da der Klägerin im Hinblick auf die streitgegenständliche Kampfmittelgefahr jedenfalls kein Leistungsverweigerungsrecht in einem Umfang zugestanden habe, der die vollständige Einstellung und Nichtwiederaufnahme der Arbeiten hätte rechtfertigten können.
Eine generell abzuklärende Kampfmittelgefahr habe von vornherein nur für die zwei Konstellationen bestanden, dass die Arbeiten (1.) unterhalb von 0,8 m GOK oder (2.) in den Aufschüttungen oberhalb der GOK 1945 und dies mit erheblichen mechanischen Belastungen erfolgen sollten. Die Klägerin unterliege einem entscheidenden Missverständnis sowie einer Fehlinterpretation der Schreiben des Ordnungsamtes und der Bezirksregierung, wenn sie meine, dass auch bei den Arbeiten, die ausschließlich im Bereich der nach 1945 erfolgten Aufschüttungen vorgenommen werden sollten, generell eine Luftbildauswertung bzw. weitergehende Sondierungsmaßnahmen erforderlich seien.
Die Beklagte habe ihre gegenüber der Klägerin bestehende Aufklärungspflicht spätestens mit den am 14.08.2019 übersandten Unterlagen und Erläuterungen hinreichend erfüllt. Sie habe dadurch hinreichend dargelegt, dass zumindest der überwiegende Teil der Arbeiten in Bereichen vorzunehmen sein würde, in welchen keine relevante Gefahr durch Kampfmittel bestehe. Die Verweigerung der Arbeiten auf dem gesamten Baugelände seitens der Klägerin sei nicht gerechtfertigt gewesen. Die damit verbundene Komplettverweigerung stelle eine erhebliche Pflichtverletzung der Klägerin dar, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung aus wichtigem Grund gerechtfertigt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten der umfangreichen Urteilsbegründung wird auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil richten sich die Berufung der Klägerin sowie die Anschlussberufung der Beklagten.
Mit ihrer Berufung begehrt die Klägerin weiterhin die Zusprechung der abgewiesenen Zahlungsanträge - mit Ausnahme der Privatgutachterkosten - sowie Verzugsbeginn bereits ab dem 01.02.2020.
Die Klägerin rügt im Einzelnen, das Landgericht habe den Rechtsstreit in tatsächlicher und rechtlicher Weise fehlerhaft entschieden:
So habe das Landgericht ausser acht gelassen, dass die Beklagte ihr - der Klägerin - nicht alle notwendigen Informationen vorgelegt habe. Auch habe das Landgericht verkannt, dass die Beklagte als Bauherrin eine Erklärung zur Kampfmittelfreiheit des Baufeldes in Form einer Erklärung nach ATV DIN 18299, Abschnitt 0.1.17 der VOB/C schuldete, die nicht vorgelegt worden sei. Entgegen der Ansicht des Landgerichts reiche es nicht aus, dass der Bauherr nach Einschaltung der zuständigen Behörden dem Auftragnehmer lediglich Unterlagen zusendet und Argumente vorbringt, aus denen dieser ableiten soll, dass Kampfmittelfreiheit vorliegen könnte.
Das Landgericht habe zudem unberücksichtigt gelassen, dass die Bezirksregierung in der E-Mail vom 09.09.2019 darauf verwiesen habe, ihr sei ohne die Entfernung der festgestellten Aufschüttungen eine Kampfmittelräumung ab der Oberfläche (GOK 1945) nicht möglich. Die Beklagte habe bis heute keine Unterlagen vorgelegt, aus denen sich ergebe, dass aufgrund ihres Antrages vom 09.09.2019 eine notwendige Kampfmitteluntersuchung durchgeführt worden sei. Es treffe zudem weder zu, dass nach 1945 entstandene Aufschüttungen nicht entfernt werden müssten, wenn nur in den Aufschüttungen Baumaßnahmen erfolgten, noch, dass Bereiche überbaut werden dürften, unter denen ungeklärte Kampfmittelverdachtsflächen liegen.
In Bezug auf die frostfrei zu verlegenden Rohrleitungen habe das Landgericht übersehen, dass wegen der Rohrdicke und des Bettungsmaterials eine Bearbeitungstiefe bis zu 130 cm unter GOK und im Hinblick auf das gebotene Gefälle sogar eine Tiefe von bis zu 200 cm unter GOK erforderlich gewesen wäre.
Weiterhin ist die Klägerin der Ansicht, die Beklagte habe zum Zeitpunkt der Kündigung gewusst, dass sie keine Erklärung zur Kampfmittelfreiheit gegenüber der Klägerin abgeben konnte, weil der größte Teil des Baugrunds weder von der Ordnungsbehörde der Beklagten, noch von der Bezirksregierung ### jemals auf Kampfmittelfreiheit überprüft worden sei. Insoweit vertieft die Klägerin ihr Vorbringen im Einzelnen um Erkenntnisse, die sie aufgrund von Akteneinsichten nach dem Informationsfreiheitsgesetz NRW bei der Bezirksregierung ### und auch bei der Beklagten erlangt hat. Dabei führt die Klägerin im Zusammenhang mit der Darstellung der von der Beklagten veranlassten Luftbildauswertungen u.a. auch aus, dass die Gesamtfläche des von ihr zu bearbeitenden Baugrundes sich auf [ca. 7.160 qm (s. OLG-156 f. unter Bezugnahme auf Anlage K47) bzw 8.100 qm (s. OLG-161, 163 unter Bezugnahme auf die Anlagen K49 f.) abzüglich ca. 3.000 qm für die Dreifachturnhalle (s. OLG-158 unter Bezugnahme auf Anlage K48) =] ca. 4.160 bis 5.100 qm belief. Schließlich trägt die Klägerin noch vor, ein von ihr bei der Luftdatenbank Dr. ### GmbH eingeholtes Auswertungsprotokoll vom 05.04.2023 habe ergeben, dass es zahlreiche Bombenabwürfe auf das Baufeld gegeben habe und fünf Blindgängerverdachtspunkte vorhanden seien (s. insoweit die Abbildung OLG-478), die von der Beklagten nicht untersucht worden seien.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
unter Abänderung des am 13.07.2022 verkündeten Urteils des Landgerichts Bonn - 13 O 207/21 - die Beklagte zu verurteilen, an sie
1.) einen weiteren Betrag iHv 324.995,91 und
2.) einen Betrag iHv 295.703,39 ,
jeweils nebst Zinsen iHv 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.02.2020 sowie
3.) einen Betrag iHv 5.514,50 nebst Zinsen iHv 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
und im Wege der Anschlussberufung,
das Urteil des Landgerichtes Bonn abzuändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, als die Beklagte über einen Betrag von 3.935,98 zuzüglich Zinsen hinaus verpflichtet wurde.
Die Klägerin beantragt insoweit,
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt zur Berufung im Einzelnen unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens zu den rechtlichen und tatsächlichen Hintergründen der Kampfmittelbelastung des Baugrundes vor und verteidigt insoweit das erstinstanzliche Urteil gegen die Rügen der Klägerin. Grundsätzlich meint die Beklagte, die Klägerin verkenne generell die Anforderungen an die Kampfmitteluntersuchung und gehe daher von einem tatsächlich nicht bestehenden Anspruch auf Abgabe einer Kampfmittelfreiheitsgarantie durch die Beklagte aus. Tiefbauarbeiten bis 0,8 m unter Geländeoberkante 1945 und in Aufschüttungen oberhalb der Geländeoberkante 1945 seien ohne weitere Kampfmittelabklärung zugelassen, soweit nicht mechanische Arbeiten mit erheblichem Erschütterungspotenzial ausgeführt würden. Auch seien Aufschüttungen oberhalb GOK 1945 nicht zwecks Sondierung der Kampfmittellage abzutragen, wenn bauliche Eingriffe in den Bereich unterhalb GOK 1945 gar nicht vorgesehen seien.
Mit ihrer Anschlussberufung moniert die Beklagte, das Landgericht habe den im Urteil erwähnten Hinweis auf die fehlende Substantiierung ihres Einwandes zur Position 09.0 tatsächlich nicht erteilt. Auf einen entsprechenden Hinweis hätte sie vorgetragen, dass die Abrechnung der Lieferung und Verarbeitung von 275 ³ Baumsubstrat je 65,00 netto teilweise zu Unrecht erfolgt sei, da lediglich 225 ³ Baumsubstrat geliefert und dieses Material überhaupt nicht verarbeitet worden sei. Die fehlende Verarbeitung habe sie mit 25 % der Position in Abzug gebracht und den Vergütungsanspruch der Klägerin bei vollständig ausgeführter Leistung demzufolge mit 14.625,00 sowie den nicht erbrachten Teil der Leistung mit 3.656,25 ermittelt. Da sie ihre Aufrechnung nunmehr auf die ihr entstandenen anwaltlichen Gebühren in Höhe von 6.736,35 beschränke, verbleibe eine Restvergütung der Klägerin von 3.935,98 .
Die Klägerin erklärt sich zur Anschlussberufung bzgl der Position 09.0 ohne Anerkenntnis einer rechtlichen Verpflichtung mit einem Forderungsabzug iHv 2.000 einverstanden. Die Aufrechnung der Beklagten mit eigenen Anwaltskosten scheitere daran, dass sie - die Klägerin - sich nicht in Verzug befunden habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsrechtszug wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze und Unterlagen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
II.
Die Berufung der Klägerin hat keinen und die Anschlussberufung der Beklagten nur teilweise Erfolg.
A.
Berufung der Klägerin
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet, denn der Klägerin stehen die mit der Berufung geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Im Einzelnen:
I.
Die mit den Anträgen zu 1. und 2. im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Vergütungsansprüche für aufgrund vorzeitiger Vertragsbeendigung nicht erbrachte Leistungen (abzüglich ersparter Aufwendungen) sind nicht berechtigt, denn die von der Beklagten am 25.10.2019 ausgesprochene Kündigung ist keine freie Kündigung, die der Klägerin gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B einen Vergütungsanspruch belässt. Die Kündigung seitens der Beklagten erfolgte vielmehr aus wichtigem Grund, so dass die Klägerin keine Vergütung für die von ihr noch nicht erbrachten Leistungen verlangen kann (vgl. BeckOK-Brüninghaus, VOB/B-Kommentar, Stand 31.07.2023, § 8 Abs. 3, Rz. 20).
1. Die außerordentliche Kündigung vom 25.10.2019 ist gemäß den §§ 8 Abs. 3 Nr. 1 iVm 5 Abs. 4 VOB/B aus wichtigem Grund erfolgt. Nach diesen Vorschriften kann der Auftraggeber den Auftrag kündigen (entziehen), wenn Arbeitskräfte, Geräte etc so unzureichend sind, dass Ausführungsfristen offenbar nicht eingehalten werden können, der Auftragnehmer einem Abhilfeverlangen des Auftraggebers nicht nachkommt und dieser dem Auftragnehmer fruchtlos eine Frist mit Androhung der Auftragsentziehung gesetzt hat. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Wie bereits das Landgericht ausgeführt hat, ist die Einstellung der Arbeiten der Extremfall der unzureichenden Ausstattung einer Baustelle mit Arbeitskräften im Sinn des § 5 Abs. 3 VOB/B (so auch OLG Stuttgart, Urt. v. 28.04.2020 - 10 U 294/19, NJW 2020, 3526, Rz. 70). Es stand auch fest, dass die vereinbarte Ausführungsfrist nicht eingehalten werden konnte, denn nach den vereinbarten Zeiten des Baubeginns (08.07.2019) und der Fertigstellung (31.10.2019) war ein Bauzeitraum von 3 Monaten und 3 Wochen vorgegeben, so dass im Zeitpunkt der seitens der Beklagten am 02.10.2019 erfolgten Fristsetzung eine Baufertigstellung bis zum 31.10.2019 ausgeschlossen war. Zudem hatte die Beklagte in ihrem Fristsetzungsschreiben vom 02.10.2019 auch im Sinne von § 5 Abs. 4 a.E. VOB/B die Entziehung des Gesamtauftrages angekündigt.
2. Wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, kann die Klägerin sich auch nicht im Hinblick auf eine ungeklärte Kampfmittelbelastung des Baugrundes auf ein der außerordentlichen Kündigung entgegenstehendes (vgl. OLG Dresden, Urt. v. 27.09.2016 - 6 U 564/16; auch OLG Stuttgart, a.a.O., Rz. 70, 80) Leistungsverweigerungsrecht berufen. Denn während die Beklagte ihrer Pflicht zur Klärung der Kampfmittelbelastung des Baugrundes nahezu vollständig nachgekommen ist (dazu a.), hat die Klägerin durch ihre auf die teilweise ungeklärte Kampfmittelsituation gestützte vollständige Leistungsverweigerung ihre bauvertragliche Kooperationspflicht verletzt (dazu b.).
a. Die Beklagte war als Bauherrin grundsätzlich verpflichtet, der Klägerin zu bestätigen, dass die Anforderungen zu Erkundigungsmaßnahmen hinsichtlich Kampfmitteln erfüllt wurden [dazu (1)], dieser Verpflichtung ist sie nahezu vollständig nachgekommen [dazu (2)].
(1) Bei Bauvorhaben im Bundesgebiet besteht die generelle Problematik, dass Kampfmittel, insbesondere Bomben verschiedenster Art und Größe, auch nach dem Ende des II. Weltkrieges im Jahr 1945 immer noch im Zuge von Bauarbeiten aufgefunden werden, so dass im Vorfeld einer Baumaßnahme mit Erdbewegungen der Prävention ein großes Augenmerk zu widmen ist (s. das u.a. von der BG BAU Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (Gesetzliche Unfallversicherung) herausgegebene Merkblatt "Kampfmittelfrei bauen", LG-84-119).
(a) Als öffentliche Auftraggeberin schuldete die Beklagte eine sach- und fachgerechte Kampfmittelerkundung (vgl. etwa Englert/di Pierro/Katzenbach in Beck`scher VOB- und Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2021, ATV 18299, Rz. 50; Englert, NZBau 2018, 641). Denn die Beklagte hat gemäß den §§ 97 ff. GWB zwingend das Vergaberecht zu beachten. Aus der damit verpflichtend einschlägigen VOB/A ergibt sich, dass die Beklagte gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 6 VOB/A die für die Ausführung der Leistung wesentlichen Verhältnisse der Baustelle, z.B. Boden- und Wasserverhältnisse, so zu beschreiben hat, dass das (Bau-)Unternehmen ihre Auswirkungen auf die bauliche Anlage und die Bauausführung hinreichend beurteilen kann. Da gemäß § 8a Abs. 3 Satz 1 VOB/A die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen (= ATV) grundsätzlich unverändert bleiben, ist die einschlägige ATV DIN 18299 anwendbar. Darin ist im Abschnitt 0.1.17 geregelt, dass in der Leistungsbeschreibung nach den Erfordernissen des Einzelfalls insbesondere die Bestätigung, dass die im jeweiligen Bundesland geltenden Anforderungen zu Erkundigungs- und gegebenenfalls Räumungsmaßnahmen hinsichtlich Kampfmitteln erfüllt wurden, anzugeben ist.
Das bereits erwähnte Merkblatt "Kampfmittelfrei bauen" enthält bezüglich der Bestätigung nach ATV DIN 18299 folgende Differenzierung (LG-106):
"Bestehen keinerlei Anhaltspunkte für eine Kampfmittelbelastung, z. B. aufgrund der historischen Erkundung durch Rückfrage beim zuständigen Kampfmittelbeseitigungsdienst,
so genügt die schriftliche Bestätigung durch den öffentlichen Auftraggeber selbst. ... Denn dann besteht für eine qualifizierte Bestätigung "im Einzelfall" kein Anlass. Bestehen hingegen Anhaltspunkte,
dann muss die Bestätigung der Kampfmittelsuche von einer zugelassenen Kampfmittelbeseitigungs-/räumfirma ausgestellt werden."
(b) Da gemäß ATV DIN 18299 die im jeweiligen Bundesland geltenden Anforderungen maßgeblich sind, bestimmen sich Inhalt und Umfang der Kampfmittelerkundung im Streitfall nach dem in NRW einschlägigen öffentlichen Recht:
[1] Insoweit ist zunächst in den §§ 13 Satz 2, 52 BauO NW 2018 geregelt, dass Baugrundstücke für bauliche Anlagen geeignet sein müssen und der Bauherr für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften verantwortlich ist. Gemäß § 58 Abs. 1 und 2 BauO NW 2018 haben die Bauaufsichtsbehörden im Rahmen der Gefahrenabwehr darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden, und in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
[2] Die im Hinblick auf die Kampfmittelbelastung eines Baugrundstücks maßgeblichen Einzelheiten ergeben sich aus der "Richtlinie für die Zusammenarbeit zwischen den Bauaufsichtsbehörden und dem staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienst" (Gemeinsamer Runderlass des Innenministeriums und des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 08.05.2006) [LG-387 ff.]. Darin heißt es u.a.:
"1 Allgemeines
Kampfmittelbeseitigung ist eine Aufgabe der Gefahrenabwehr und gemäß § 1 Abs. 1 Ordnungsbehördengesetz (OBG) Aufgabe der örtlichen Ordnungsbehörden. Zur Unterstützung der örtlichen Ordnungsbehörden unterhält das Land NRW einen Kampfmittelbeseitigungsdienst beim Dezernat 22 der Bezirksregierung Arnsberg (Bezirke: Arnsberg, Detmold und Münster) und Düsseldorf (Bezirke: Düsseldorf und Köln), der auf Anforderung der örtlichen Ordnungsbehörde Verdachtsflächen auf Kampfmittelbelastung untersucht, bewertet und räumt.
Auslöser für Flächenüberprüfungen sind in der Regel Bauvorhaben.
2 Kampfmittelbelastung
Baugrundstücke müssen auch im Hinblick auf ihre Kampfmittelfreiheit für bauliche Anlagen geeignet sein. Dies ist insbesondere von Bedeutung bei Bauvorhaben auf Grundstücken, die in Bombenabwurfgebieten oder in ehemaligen Kampfgebieten des Zweiten Weltkriegs liegen und bei denen nicht unerhebliche Erdeingriffe vorgenommen werden. Den örtlichen Ordnungsbehörden ist in der Regel bekannt, wo Kriegshandlungen (Art und Ausmaß) stattgefunden haben und wo eine Kampfmittelbelastung existiert.
3 Beteiligung des staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienstes
Zum Schutz von Baumaßnahmen bei Bodeneingriffen werden die Grundstücke in kampfmittelbelasteten Bereichen gemäß § 16 Landesbauordnung (BauO NRW [Zusatz des Senats: in der damals gültigen Fassung]) nur dann überprüft, wenn die örtliche Ordnungsbehörde dies als erforderlich erachtet.
Der KBD [Zusatz des Senats: = Kampfmittelbeseitigungsdienst] der Bezirksregierung ist die fachkundige Stelle, welche die von Kampfmitteln ausgehenden Gefahren ermittelt und bewertet und daraus abgeleitet das staatliche Handlungserfordernis festlegt.
Die Aufgabenwahrnehmung durch die Bezirksregierung bei der Kampfmittelbeseitigung ist in der Technischen Verwaltungsvorschrift für die Kampfmittelbeseitigung im Land Nordrhein-Westfalen
geregelt.
4 Entfall einer Beteiligung des staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienstes
Um die Zusammenarbeit zwischen den örtlichen Ordnungsbehörden und den Bezirksregierungen möglichst effektiv und effizient zu gestalten, sollten den Bezirksregierungen nur solche Anträge auf Überprüfung zugeleitet werden, bei denen es sich um Flächen mit Kriegsbeeinflussung handelt und bei denen Baugrundeingriffe anstehen. In denjenigen Fällen, in denen es zu keinen oder nur unerheblichen Baugrundeingriffen kommt, kann auf eine Beteiligung der Kampfmittelbeseitigungsdienste verzichtet werden.
Für die Entscheidung der örtlichen Ordnungsbehörde über die Einschaltung des staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienstes (Antrag an die Bezirksregierung / KBD) kommt es darauf an, dass der jeweilige Antrag von der auslösenden Bauaufsichtsbehörde hinreichend aussagekräftig der örtlichen Ordnungsbehörde zugeleitet wird.
.
Die Anträge auf Flächenüberprüfung sind durch die örtliche Ordnungsbehörde (basierend auf § 1 Abs. 1 OBG) beim Kampfmittelbeseitigungsdienst vorzulegen.
In den folgenden Fällen kann auf die Vorlage der Anträge an den Kampfmittelbeseitigungsdienst verzichtet werden:
in Bereichen, in denen ausschließlich der Luftkrieg stattfand, kann beim Bau ebenerdiger Nebenanlagen (Bodeneingriff allenfalls bis 0,8 m Tiefe bei Fundamenten, wenn hierbei das "Merkblatt für Baugrundeingriffe auf Flächen mit Kampfmittelverdacht ohne konkrete Gefahr" angewendet wird) auf die Beteiligung verzichtet werden.
"
[3] Das vorstehend erwähnte "Merkblatt für Baugrundeingriffe auf Flächen mit Kampfmittelverdacht ohne konkrete Gefahr" ist die Anlage 1 zu der ebenfalls vorstehend unter Ziffer "3" genannten Technischen Verwaltungsvorschrift für die Kampfmittelbeseitigung im Land Nordrhein-Westfalen (s. LG 391-395). Diese hat u.a folgenden Inhalt:
"1. Thematik und Anwendungsbereich
Die örtliche Ordnungsbehörde ist für die Gefahrenabwehr und somit auch für den Schutz vor den von Kampfmitteln ausgehenden Gefahren zuständig. Zur Unterstützung der örtlichen Ordnungsbehörden unterhält das Land NRW bei den Bezirksregierungen Arnsberg und Düsseldorf einen staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienst, der auf Anforderung der örtlichen Ordnungsbehörde Verdachtsflächen auf Kampfmittelbelastung untersucht, bewertet und räumt. Der Bedarfsträger (z.B. Bauherr, Architekt, Unternehmer usw.) wendet sich daher grundsätzlich an die örtliche Ordnungsbehörde.
Ermittelt der staatliche Kampfmittelbeseitigungsdienst anhand seiner Luftbilder, Räumdokumentation oder sonstigen Unterlagen einen hinreichenden Indikator für eine Kampfmittelbelastung, so überprüft er diesen Verdacht durch Erkundung, Detektion und feststellenden Bodeneingriff vor Ort. Wird hierdurch die Kampfmittelbelastung bestätigt, so leitet der Kampfmittelbeseitigungsdienst in Abstimmung mit der örtlichen Ordnungsbehörde die Räumung ein.
Liegen dem Kampfmitteibeseitigungsdienst für die betreffende Fläche zwar keine hinreichenden Indikatoren für eine konkrete, jedoch für eine diffuse Kampfmittelbelastung vor, so teilt er dieses der örtlichen Ordnungsbehörde in seiner Stellungnahme mit; gegebenenfalls mit weiteren Empfehlungen. Die örtliche Ordnungsbehörde entscheidet dann darüber, ob und welche Sicherheitsmaßnahmen anzuwenden sind.
Für diesen Fall einer nicht verortbaren Kampfmittelbelastung ohne konkreten Indikator kann der Kampfmittelbeseitigungsdienst der örtlichen Ordnungsbehörde die Anwendung der im vorliegenden Merkblatt festgelegten Regeln und Maßnahmen empfehlen. Folgt die örtliche Ordnungsbehörde der Empfehlung, so ordnet sie deren Anwendung an. Zweck dieses Merkblatts ist es, den untersuchenden Stellen und Firmen eine relativ sichere, eigenverantwortliche Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu ermöglichen, ohne dabei von Beginn an den Kampfmittelbeseitigungsdienst beteiligen zu müssen. Es sollen sowohl der Verwaltungs- als auch der Organisationsaufwand begrenzt werden.
2. Gefährdung
Kampfmittel werden entweder oberflächennah ausgelegt, von erdgebundenen Waffen ausgebracht oder von Luftfahrzeugen abgeworfen. Bereits während des Krieges und hauptsächlich nach Kriegsende wurden Kampfmittel auch in Vertiefungen (Gräben, Krater, Gewässer usw.) verkippt. Oftmals sind sie auch in nicht geräumten Trümmerbereichen und Halden unerkannt verblieben. Die Endlage der Kampfmittel im Boden bestimmt sich daher aus ihrer Art, ihrer Form, ihrer Eindringgeschwindigkeit und der verzögernden Wirkung des Bodens. Da diese Parameter bei Fundmunition nicht bekannt sind, ist grundsätzlich bis zu einer Tiefe von 8m unterhalb der Geländeoberkante (GOK) mit Kampfmitteln zu rechnen (Gefährdungsband). Bezugsebene für die Bewertung der Kampfmittelbelastung ist die GOK zum Zeitpunkt des Kriegsendes (08.Mai 1945).
3. Grundsätze
Bei den nach Kriegsende vorgenommenen Geländeaufhöhungen (Aufschüttungen, Auffüllungen) ist deren Schichtdicke vorab zumindest abzuschätzen und mit den ersten Sondierungen zu ermitteln. Bei der Festlegung der Tiefe des Baugrundeingriffs ist diese Schichtdicke zu berücksichtigen. Das Gefährdungsband (8m) beginnt unterhalb der nach Kriegsende angelegten Aufhöhung. Liegt durchgängig anstehender Fels in einer Tiefe von weniger als 8m unter GOK, so endet das Gefährdungsband dort.
Alle Arbeiten des Baugrundeingriffs sind grundsätzlich ohne Gewaltanwendung und erschütterungsarm durchzuführen.
"
(c) Aus den unter den Ordnungspunkten (a) und (b) im Einzelnen zitierten Regelungen ergeben sich in der Gesamtschau folgende grundsätzlichen Anforderungen, die von der Beklagten als öffentliche Bauherrin bei der Klärung der Kampfmittelbelastung des Baugrundstücks zu beachten waren:
- Der öffentliche Bauherr hat die Kampfmittel-Lage bereits vor Baubeginn zu klären.
- Die Kampfmittelfreigabe des Baubereichs ist schriftlich zu dokumentieren, sie stellt aber keine Garantie dar.
- Da der Schutz vor den von Kampfmitteln ausgehenden Gefahren den örtlichen Ordnungsbehörden obliegt, sind diese sowohl der zuständige Ansprechpartner, als auch der maßgebliche Entscheidungsträger für die Fragen, ob und welche Untersuchungsmaßnahmen im Einzelnen erforderlich sind.
- Führt die historische Erkundung seitens der örtlichen Ordnungsbehörden, insb. anhand von Luftbildauswertungen, aber auch anhand sonstiger Archiv- oder allgemein erlangter Erkenntnisse, zu dem Ergebnis, dass kein Verdachtsfall vorliegt, sind keine weiteren Maßnahmen geboten. In diesem Fall kann die schriftliche Bestätigung durch den öffentlichen Auftraggeber selbst genügen.
- Können die vorstehend genannten Ermittlungen einen Kampfmittel-Verdacht nicht sicher ausschließen, wendet sich die örtliche Ordnungsbehörde grundsätzlich an die Bezirksregierung, die über einen staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienst verfügt, der auf Anforderung der örtlichen Ordnungsbehörde Verdachtsflächen auf Kampfmittelbelastung untersucht, bewertet und ggfs. räumt.
- Die örtliche Ordnungsbehörde kann auf die Vorlage entsprechender Anträge an den Kampfmittelbeseitigungsdienst ausnahmsweise dann verzichten, wenn in Bereichen, in denen ausschließlich der Luftkrieg stattfand, Erdarbeiten allenfalls bis 0,8 m unterhalb der GOK 1945 und dies erschütterungsarm erfolgen sollen.
(2) Die Beklagte hat die genannten Anforderungen - bezogen auf die gesamte Baugrundstücks-Fläche - weitgehend dadurch erfüllt, dass sie der Klägerin am 14.08.2019 im Anschluss an eine Baubesprechung zur Kampfmittellage per E-Mail die im Tatbestand einzeln aufgeführten schriftlichen Unterlagen übersandt hat.
Der Senat folgt der Ansicht des Landgerichts, wonach sich aus diesen Schriftstücken für die Klägerin eindeutig ergab, dass zumindest der weit überwiegende Teil der Arbeiten in Bereichen vorzunehmen war, in welchen gemäß den unter dem vorstehenden Ordnungspunkt (c) festgehaltenen Leitlinien keine Kampfmittelgefahr bestand. Dies folgt daraus, dass nahezu für alle Bereiche des Baugebiets entweder Luftbildauswertungen vorlagen [s. nachfolgend (a)] und/oder Arbeiten in nachkriegsaufgeschütteten Erdschichten bis zu einer Tiefe von 0,8 m und ohne erhebliche mechanische Belastung vorgesehen waren [s. nachfolgend (b)]. Die von der Klägerin erhobenen grundsätzlichen Einwendungen stehen dieser Beurteilung nicht entgegen [s. nachfolgend (c)].
(a) Auf einer geschätzten Fläche von 50% des Baugrundes war die Kampfmittelbelastung durch Luftbildauswertungen geklärt.
Der Klägerin war mit E-Mail vom 14.08.2019 der Plan "Kampfmitteluntersuchung" (Anlage B8, LG-1297) übersandt worden, aus dem sich hinsichtlich der erfolgten Luftbildauswertung (dargestellt mittels einer durchgehenden Quer-Schraffierung) des Baugrundes (dargestellt mittels einer gestrichelten Linie, s. die Legende zu "Bearbeitungsgrenze Baugebiet") für die Klägerin, die gegen die Richtigkeit der Planeintragungen keine Einwände erhebt, folgende - nach den Himmels-/Windrichtungen im Uhrzeigersinn geordnete - Erkenntnisse ergaben:
- Im nördlichen Bereich zur ### hin war insgesamt eine Luftbildauswertung bis hin zu dem östlich seitens der Fa. ### angelegten Regenwasserkanal (gekennzeichnet durch eine breite blaue Linie, s. die Legende zu "Kanal wird bauseitig erstellt (Fa. ###)") erfolgt.
- Auch der Bereich östlich neben der Dreifachturnhalle bis zu dem genannten Regenwasserkanal war luftbildausgewertet.
- Das gleiche gilt für eine südöstlich von der Dreifachturnhalle zum Theater ### hin gekennzeichnete, teilweise über das Baugebiet hinausgehende Fläche.
- Ab dieser Fläche war der Bereich südlich der Dreifachturnhalle bis zu dem westlich der Dreifachturnhalle eingezeichneten zweiten Parkplatzbereich luftbildausgewertet.
- Der sich Richtung Norden anschließende Bereich an der Westseite der Dreifachturnhalle war bis etwa zur Hälfte der Dreifachturnhalle - mit Ausnahme des zweiten Parkplatzbereichs und der sich westlich daran anschließenden Freifläche - luftbildausgewertet.
- Ab der angesprochenen Hälfte der Dreifachturnhalle bis hin zur nördlich gelegenen ### war für ca. ein Drittel der Fläche eine Luftbildauswertung erfolgt.
Gemäß den obigen Angaben war somit die Kampfmittelbelastung insgesamt auf einer geschätzten Fläche von 50% des Baugrundes und dies auch durchaus in zusammenhängenden Teilstücken durch Luftbildauswertungen geklärt.
(b) Hinsichtlich der verbleibenden hälftigen Baugrundfläche war die Kampfmittelbelastungssituation bezüglich einer weiteren, auf mindestens 35% des Baugrundes zu schätzenden Fläche dadurch geklärt, dass der Baugrund in einem Bereich liegt, in dem im II. Weltkrieg ausschließlich der Luftkrieg stattgefunden hatte, weiter nach Kriegsende Erdaufschüttungen vorgenommen worden waren, und in diesen nachkriegsaufgeschütteten Erdschichten nunmehr Arbeiten bis zu einer Tiefe von 0,8 m und ohne erhebliche mechanische Belastung vorgesehen waren.
[1] Dass bei Arbeiten bis zu einer Tiefe von 0,8 m GOK 1945 (= die zum Kriegsende 1945 bestehende Geländeoberkante) die Kampfmittelbelastung bei fehlendem konkreten Verdacht keiner Aufklärung bedarf, wenn die Erdarbeiten nicht mit erheblichen mechanischen Belastungen verbunden sind, sieht grundsätzlich auch die Klägerin so. Dieser Grundsatz ergibt sich - mit der zusätzlichen Voraussetzung, dass das Bauvorhaben in einem Bereich liegt, in dem ausschließlich der Luftkrieg stattgefunden hatte - aus dem Zusammenspiel folgender Vorschriften: In Ziffer 4 der "Richtlinie für die Zusammenarbeit zwischen den Bauaufsichtsbehörden und dem staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienst" ist festgehalten, dass in Bereichen, in denen ausschließlich der Luftkrieg stattgefunden hatte, bei einem Bodeneingriff von allenfalls bis 0,8 m Tiefe, wenn hierbei das "Merkblatt für Baugrundeingriffe auf Flächen mit Kampfmittelverdacht ohne konkrete Gefahr" angewendet wird, auf die Einschaltung des Kampfmittelbeseitigungsdienstes verzichtet werden kann. Das zitierte Merkblatt sieht unter Ziffer 3. vor, dass alle Arbeiten des Baugrundeingriffs grundsätzlich ohne Gewaltanwendung und erschüterungsarm durchzuführen sind.
[2] Die vorstehenden Voraussetzungen sind in Bezug auf eine weitere Baufläche von mindestens ca. 35% des gesamten Baugrundstücks erfüllt:
- Das Gebiet des heutigen Baugrundes war im II. Weltkrieg ausschließlich von Luftkriegsaktionen betroffen. Auch nach dem von der Klägerin vorgelegten Luftbild-Auswertungsprotokoll vom 05.04.2023 liegen für das Projektareal keine Hinweise auf Bodenkampfhandlungen vor (OLG-488).
- Das der Klägerin am 14.08.2019 überlassene E-Mail-Schreiben des Bodengutachters Dipl.-Geol. ### vom 15.07.2019 (LG-396 f.) enthält maßgebliche Aussagen zu dem Thema der Erdaufschüttungen, die zusammen mit den Ergebnissen der bereits erörterten Luftbildauswertung zu nachfolgend dargestellten Endresultaten der erneut nach den Himmels-/Windrichtungen im Uhrzeigersinn geordneten Bauflächen führen:
Die Auffüllung des Geländes erfolgte weitgehend in den 70er Jahren, also nach Kriegsende.
Die Auffüllungsunterkanten im Nordbereich der Dreifachturnhalle liegen erheblich tiefer als die Bau-Planhöhen, so dass der gesamte Nordbereich des Baugrundstücks unproblematisch ist. Insoweit ist der Nordbereich zusätzlich auch durch die diesbezüglich vorliegende Luftbildauswertung abgedeckt.
Im Ostbereich sind die Auffüllungsunterkanten ebenfalls erheblich tiefer als die Bau-Planhöhen, auch der gesamte Ostbereich des Baugrundstücks ist unproblematisch. Insoweit werden also hier die bei der Luftbildauswertung verbliebenen Lücken vollständig geschlossen.
Bezüglich des Südbereichs besteht die Einschränkung, dass im Südwestbereich die Sohlen der Entwässerungsleitungen z.T. etwas tiefer als die Unterkante der Auffüllung liegen. Da zu diesem Südwestbereich auch keine Luftbildauswertung vorliegt, verbleibt insoweit eine ungeklärte Teil-Fläche.
Im übrigen Westbereich liegen ein Teil der Sohlen der Entwässerungsleitungen (0,8 m unter Planhöhen) sowie die Gruben für die Bäume nur wenig unterhalb der Auffüllungsunterkante, hier ergibt sich also eine weitere ungeklärte Teil-Fläche.
- Dass die in den Aufschüttungen vorzunehmenden Erdarbeiten nicht mit erheblichen mechanischen Belastungen verbunden gewesen wären, hat bereits das Landgericht auf den Seiten 10 f. des angegriffenen Urteils auf Basis eines als unsubstantiiert bewerteten Vorbringens der Klägerin festgestellt - was diese mit der Berufung nicht angreift. Gegen eine mit erheblichen mechanischen Belastungen verbundene Vorgehensweise spricht im Übrigen auch, dass in dem E-Mail-Schreiben des Bodengutachters Dipl.-Geol. B. vom 15.07.2019 mehrfach bezogen auf die Arbeiten davon die Rede ist, diese seien unproblematisch.
- Anhand des der Klägerin am 14.08.2019 vorliegenden Planes (Anlage B8, LG-1297) addieren sich die zusätzlich zu den Resultaten der Luftbildauswertung geklärten Flächen auf geschätzte weitere mindestens 35%, so dass im Hinblick auf den Südwest- und Westbereich als Endergebnis eine ungeklärte Baugrund-Fläche von 15% verblieb.
- Dafür, dass die vorstehende Schätzung jedenfalls nicht zum Nachteil der Klägerin ausfällt, sprechen auch Aspekte des erst- und zweitinstanzlichen Vorbringens der Klägerin. Erstinstanzlich hat die Klägerin erklärt, die Bereiche des Baufeldes ohne Luftbildauswertung seien insgesamt mehr als 100 qm groß gewesen, im Berufungsverfahren hat sie - wie im Tatbestand näher dargelegt - die Größe des von ihr zu bearbeitenden Baugrundes mit ca. 4.160 bis 5.100 qm angegeben. Selbst bei großzügiger Interpretation der Bezeichnung "mehr als 100 qm" und Verdopplung dieser Flächenangabe auf 200 qm betrug der Anteil der unzureichenden Kampfmittelaufklärung an der zugunsten der Klägerin angenommenen geringeren Baugrundfläche von 4.160 qm lediglich gerundete 5 %.
(c) Die von der Klägerin auf Basis der Berufungsrügen und ihrer Stellungnahme zu den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vom 16.08.2023 grundsätzlich gegen die rechtliche Beurteilung des Landgerichts und des Senats vorgebrachten Einwendungen überzeugen insgesamt nicht:
[1] Soweit die Klägerin meint, es sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte ihr nicht alle notwendigen Informationen vorgelegt habe, trifft dieser Vorwurf gemäß den vorstehenden Ausführungen zu dem Umfang der geklärten Kampfmittellage des Baugrundstücks [s. Ordnungspunkt A. I. 2. a. (2)] bereits tatsächlich nicht zu.
[2] Der Einwand der Klägerin, die Beklagte habe eine Bestätigung zur Kampfmittelfreiheit des Baufeldes in Form der Erklärung nach ATV DIN 18299, Abschnitt 0.1.17 der VOB/C geschuldet, aber nicht vorgelegt, ist ebenfalls unbegründet. Soweit die Klägerin darauf abstellen will, dass das in dem Merkblatt "Kampfmittelfrei bauen" enthaltene Musterformular (LG-106 f.) nicht verwendet wurde, ist dieses bereits nach den Angaben in diesem Merkblatt lediglich eine unverbindliche Vorlage, wie sich aus der am oberen Rand befindlichen Angabe "Der Freigabe-Text kann lauten:" ergibt. Hinzu kommt, dass sich nach dem Wortlaut der ATV DIN 18299 die Aufnahme der einzelnen Angaben zur Leistungsbeschreibung insgesamt "nach den Erfordernissen des Einzelfalls" richtet (s. den 5. Absatz zum Gliederungspunkt "0 Hinweise für das Aufstellen der Leistungsbeschreibung"), was dann folgerichtig auch für Art und Inhalt der Erklärung selbst gilt.
[3] Die Klägerin vertritt auch zu Unrecht die Ansicht, es reiche generell nicht aus, dass der Bauherr nach Einschaltung der zuständigen Behörden dem Auftragnehmer lediglich Unterlagen zusendet und Argumente vorbringt, aus denen dieser ableiten soll, dass Kampfmittelfreiheit vorliegen könnte.
Insoweit ist zum einen erneut auf die in der ATV DIN 18299 angegebenen "Erfordernisse(n) des Einzelfalls" zu verweisen, die dem Bauherrn einen großen Spielraum zur Erfüllung seiner Pflichten lässt. In diese Richtung geht auch das Merkblatt "Kampfmittelfrei bauen", wenn dort festgehalten ist, dass eine Bestätigung auch durch den öffentlichen Auftraggeber selbst erfolgen kann (LG-106).
Zum anderen ergibt sich auch aus der bauvertraglichen Kooperationspflicht, dass die Klägerin sich hinsichtlich der die Beklagte treffenden Kampfmittelaufklärung nicht auf eine formelle Rechtsposition zurückziehen durfte. Die Vertragsparteien eines VOB/B-Vertrags sind während der Vertragsdurchführung zur Kooperation verpflichtet (BGH, Urt. v. 28.10.1999 - VII ZR 393/98, NJW 2000, 807, 808; Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher-Koeble, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., 13. Teil Rz. 81). Aus dem Kooperationsverhältnis ergeben sich Obliegenheiten und Pflichten zur Mitwirkung und gegenseitigen Information (BGH, Urt. v. 23.05.1996 - VII ZR 245/94, BGHZ 133, 44, 47). Die Kooperationspflichten sollen unter anderem gewährleisten, dass in Fällen, in denen nach der Vorstellung einer oder beider Parteien die vertraglich vorgesehene Vertragsdurchführung oder der Inhalt des Vertrags an die geänderten tatsächlichen Umstände angepasst werden muss, Meinungsverschiedenheiten oder Konflikte nach Möglichkeit einvernehmlich beigelegt werden (BGH, Urt. v. 28.10.1999, a.a.O.). Dementsprechend war die Klägerin gehalten, die in Form der am 14.08.2019 übersandten Unterlagen erfolgte Aufklärung über die Kampfmittellage als ausreichend entgegen zu nehmen. Dass dies eine Auswertung der überlassenen Unterlagen voraussetzte, war zwischen den Parteien so vereinbart, denn die Übersendung erfolgte dem Inhalt der E-Mail vom 14.08.2019 zufolge im Anschluss an eine Baubesprechung vom gleichen Tag gerade zwecks Stellungnahme seitens der Klägerin.
[4] Die Rügen der Klägerin, das Landgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass die Bezirksregierung in der E-Mail vom 09.09.2019 darauf verwiesen habe, ihr sei ohne die Entfernung der festgestellten Aufschüttungen eine Kampfmittelräumung ab der Oberfläche (GOK 1945) nicht möglich, und weiterhin, dass die Beklagte bis heute keine Unterlagen vorgelegt habe, aus denen sich ergebe, dass aufgrund ihres Antrages vom 09.09.2019 eine notwendige Kampfmitteluntersuchung durchgeführt worden sei, verkennen insgesamt, dass weder die Beklagte noch die Bezirksregierung das genaue Vorgehen zur Kampfmittelermittlung bestimmen. Die maßgebliche Entscheidungskompetenz, ob und welche Untersuchungsmaßnahmen im Einzelnen erfolgen, steht allein dem Ordnungsamt zu [vgl. obige Ausführungen zu A. I. 2. a. (1) (c)].
Die Mitteilung der Bezirksregierung vom 09.09.2019 ist aber auch deshalb ohne Belang, weil diese die Entfernung der Aufschüttungen zur Räumung von Kampfmitteln anspricht, es aber im Verhältnis der Parteien zunächst einmal nur darum ging, ob überhaupt Anlass zu weiteren Kampfmittelerkundungen bestand. Aufgrund der zu Nachkriegs-Aufschüttungen bestehenden Regeln (s. die Ausführungen zu A. I. 2. a. (1) (d) [2] [a]) war im Streitfall aber gerade keine weitere Kampfmittelaufklärung bezüglich der von der Bezirksregierung angesprochenen Aufschüttungen erforderlich.
b. Auf Basis der seitens der Beklagten in einem Umfang von mindestens 85% des Baugrunds geklärten Kampfmittelbelastung hat die Klägerin durch ihre vollständige Leistungsverweigerung erneut ihre bauvertragliche Kooperationspflicht verletzt.
Wie dargelegt soll die Kooperationspflicht gerade gewährleisten, dass Meinungsverschiedenheiten der Bauvertragsparteien nach Möglichkeit einvernehmlich beigelegt werden. Dem steht aber die Haltung der Beklagten, trotz der für mindestens 85% des Baugrundes geklärten Kampfmittelsituation keinerlei Leistungen vorzunehmen, diametral entgegen. Arbeiten im Bereich der geklärten Bauflächen waren der Beklagten insbesondere auch deshalb zumutbar, weil es sich - jedenfalls in weitem Umfang - um zusammenhängende Flächen handelte. Bezüglich der sich im Norden, Osten und Süden befindlichen Baubereiche war die Kampfmittellage komplett geklärt. Die teilweise ungeklärten Flächen befanden sich allein im Westen der Dreifachturnhalle und hätten - jedenfalls zunächst - unbearbeitet gelassen werden können, zumal es unmittelbar entlang der Dreifachturnhalle einen weiteren zusammenhängend kampfmittelgeklärten und damit bearbeitbaren Baugrundstücksstreifen gab. Dass die komplette Einstellung der Arbeiten bei nur in Teilbereichen ungeklärter Kampfmittelsituation die bauvertraglichen Kooperationspflichten verletzt und deshalb kein Leistungsverweigerungsrecht besteht, hat auch das OLG Dresden (Urt. v. 27.09.2016 - 6 U 564/16) so entschieden.
II.
Wie das Landgericht bereits zutreffend - und von der Berufung nicht angegriffen - ausgeführt hat, kann die Klägerin ihre streitgegenständlichen Vergütungsansprüche schon deshalb nicht auf die seitens der Beklagten am 16.08.2019 ausgesprochene Teilkündigung stützen, weil insoweit substantiierter Vortrag fehlt.
III.
Soweit die Klägerin mit der Berufung die vom Landgericht erst ab dem 01.04.2020 zuerkannten Verzugszinsen angreift und insoweit den bereits erstinstanzlich beantragten Zinszeitpunkt 01.02.2020 begehrt, ist die Berufung ebenfalls unbegründet, da bezüglich des 01.02.2020 keine verzugsauslösenden Tatsachen vorgebracht worden sind.
IV.
Schließlich stehen der Klägerin auch die mit der Berufung weiter verfolgten vorprozessualen Anwaltskosten nicht zu. Insbesondere besteht kein Schadensersatzanspruch gemäß den §§ 631, 280 Abs. 1, 249 BGB unter dem Gesichtspunkt der Abwehr einer unberechtigten Kündigung, denn gemäß den Ausführungen zu Ziffer I. war die von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche Kündigung vom 25.10.2019 berechtigt.
B.
Anschlussberufung der Beklagten
Die zulässige Anschlussberufung ist nur teilweise begründet.
Das Landgericht hat der Klägerin zu Unrecht einen über 10.672,81 liegenden Zahlungsanspruch von insgesamt 15.023,75 zugesprochen, in Höhe von 4.350,94 hat die Klägerin keinen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte.
I.
Nach dem insoweit übereinstimmenden Vortrag der Parteien stand der Klägerin gemäß den Ausführungen auf Seite 5 des angegriffenen Urteils ein offener Vergütungsanspruch (§ 631 BGB) in Höhe von 10.672,81 zu.
Der darüber hinaus vom Landgericht als berechtigt bewertete Vergütungsanspruch in Höhe von weiteren 4.350,94 brutto für die Pos. 09.0 der Rechnung vom 28.12.2019 (LG-178 f.) steht der Klägerin jedoch nicht zu. Wie von der Beklagten ausgeführt, hatte die Klägerin entgegen der in der Pos. 09.0 erfolgten Abrechnung der Lieferung und Verarbeitung von 275 ³ Baumsubstrat je 65,00 netto lediglich 225 ³ Baumsubstrat geliefert und dieses Material insgesamt nicht verarbeitet, so dass unter Berücksichtigung der geminderten Masse sowie eines Abzugs von 25% wegen der fehlenden Verarbeitung zurecht 4.350,94 brutto von der geltend gemachten Vergütung abgezogen wurden.
Das erstmalig im Berufungsverfahren erfolgte vorstehend geschilderte Vorbringen der Beklagten ist unabhängig von den in § 531 Abs. 2 ZPO geregelten Zulassungsgründen zu berücksichtigen, denn der Vortrag ist unstreitig und damit nicht im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO neu, sondern stets zuzulassen (vgl. BGH, Beschl. v. 23.06.2008 - GSZ 1/08, BGHZ 177, 212). Die Klägerin hat die dargestellten Umstände nicht bestritten, sondern lediglich einen geringeren Abzug iHv 2.000 für angebracht gehalten. Insoweit hat sie aber keine tatsächlichen Einwände gegen die von der Beklagten vorgetragenen Berechnung erhoben, so dass auch diese als unstreitig zu behandeln ist.
II.
Die der Klägerin zustehende Vergütungsforderung von 10.672,81 ist nicht durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung iHv 6.736,35 nach § 389 BGB erloschen.
Der Beklagten steht keine Gegenforderung iHv 6.736,35 gemäß den §§ 280 Abs. 2, 286, 249 BGB im Hinblick darauf zu, dass sich die Klägerin im Zeitpunkt der seitens der Beklagten am 06.08.2019 erfolgten Beauftragung des vorprozessual tätigen Rechtsanwalts im Verzug befand. Gemäß den Ausführungen unter Ziffer A. I. ist die seitens der Beklagten zu erbringende Bestätigung über die Kampfmittelsituation auf dem Baugrundstück erst am 14.08.2019 erfolgt, so dass die Klägerin bei der Anwaltsbeauftragung noch nicht mit ihrer Leistungserbringung in Verzug war.
C.
Die nicht nachgelassenen Schriftsätze des Klägervertreters vom 02.10.2023 und 04.10.2023 wurden berücksichtigt und geben keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der Verhandlung gemäß § 156 ZPO.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 Abs. 2 ZPO. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern nicht eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Der Senat hat den Rechtsstreit auf der Grundlage der in NRW bestehenden Grundsätze zur Aufklärung des Kampfmittelrisikos bei Bauvorhaben alleine nach den tatsächlichen Besonderheiten des vorliegenden Sachverhalts entschieden.
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BayObLG
Beschluss
vom 06.06.2023
Verg 8/23
Sowohl die Eignungsprüfung als auch die Preisprüfung gehören zu den originären Aufgaben der Vergabestelle, sodass es zur Beantwortung der damit verbundenen typischen Fragestellungen und zur Rechtsverteidigung im Nachprüfungsverfahren nicht ohne weiteres eines anwaltlichen Beistands bedarf.
vorhergehend:
VK Südbayern, 30.03.2023 - 3194.Z3-3_01-22-65
Im Nachprüfungsverfahren
betreffend "Verschiedene abfallwirtschaftliche Dienstleistungen im Landkreis ###; Los ###; Referenznummer der Bekanntmachung: ###
(...)
erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht - Vergabesenat - durch den Vorsitzenden Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Heinrichsmeier, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Willner, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht von Geldern-Crispendorf, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Löffler und die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Muthig am 6. Juni 2023 folgenden
Beschluss
I. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 30. März 2023, Az. 3194.Z3-3_01-22-65, wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu ### Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
In der Bekanntmachung zur europaweiten Ausschreibung eines Dienstleistungsauftrags über verschiedene abfallwirtschaftliche Dienstleistungen im Landkreis ### ist als Auftraggeber der Abfallwirtschaftsbetrieb des Landkreises ### angegeben. Die Ausschreibung erfolgt im Wege des offenen Verfahrens. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis. Der Auftrag ist in mehrere Lose aufgeteilt. Gegenstand des streitgegenständlichen Loses, zu dem die Antragstellerin und die Beigeladene jeweils fristgerecht ein Angebot einreichten, ist nach Ziffer II.2.4) der Bekanntmachung:
"Los : Altpapier
Übernahme von Altpapier aus dem Hol- und Bringsystem
Ggf. Herausgabe an duale Systeme
Vermarktung von Altpapier zur ordnungsgemäßen Verwertung"
Zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit ist in Ziffer III.1.3) der Bekanntmachung festgelegt:
"Auflistung und kurze Beschreibung der Eignungskriterien ...
Los ### - Altpapier:
- Benennung (Standort) und Beschreibung des Betriebs der Übernahmestelle im Gebiet des Landkreises bzw. der Stadt "
Nachdem der Antragsgegner die Antragstellerin mit Schreiben vom 5. Dezember 2022 darüber informiert hatte, dass er beabsichtige, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, rügte die anwaltlich vertretene Antragstellerin die Vergabeentscheidung als vergaberechtswidrig. Sie habe angesichts ihres Marktüberblicks erhebliche Zweifel, dass die Beigeladene über eine Übernahmestelle im Landkreis ### oder der Stadt ### verfüge bzw. auf eine solche Übernahmestelle Zugriff habe, die über hinreichende Kapazitäten verfüge und die immissionsschutzrechtlich für die erheblichen Umschlagsmengen (13.000 Mg p.a.) nach Ziffer 8.12. des Anhangs zur 4. BImSchV genehmigt sei. Sie bezweifele außerdem, dass das Angebot der Beigeladenen wirtschaftlicher sein könne als ihr eigenes, denn sie gehe davon aus, dass die Beigeladene das Altpapier zur Sortierung an ihren Betriebsstandort in ### verbringe. Demzufolge müsse sie deutlich höhere Umschlagskosten kalkulieren.
Nach Zurückweisung der Rügen durch den Antragsgegner zuletzt mit anwaltlichen Schreiben vom 20. Dezember 2022 hat die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag gestellt und ihre Argumentation vertieft. Das Angebot der Beigeladenen sei auszuschließen, weil sie nicht nachgewiesen habe, dass sie die Anforderungen an die technische und berufliche Leistungsfähigkeit erfülle. Sie, die Antragstellerin, gehe davon aus, dass die Beigeladene den Betriebshof der ### GmbH als Übernahmestelle benannt habe. Dieser entspreche hinsichtlich der Öffnungszeiten nicht den in den Vergabeunterlagen festgelegten Anforderungen. Aus den Antworten des Antragsgegners auf ihre Rügen sei nicht ersichtlich, ob er die Erfüllung der Eignungsvoraussetzungen der Beigeladenen tatsächlich und effektiv überprüft habe. Der Antragsgegner habe nur entgegnet, die Beigeladene und ihr Nachunternehmer hätten die immissionsschutzrechtliche Genehmigung nachgewiesen. Dass die Genehmigung auch die zusätzlichen Mengen des streitgegenständlichen Auftrags erfasse, sei jedoch nicht bestätigt worden. Die Ausführungen des Antragsgegners im Schreiben vom 20. Dezember 2022 gäben ferner Anlass zur Sorge, dass die Preisaufklärung auf der Basis falscher Annahmen erfolgt sei.
Die Antragstellerin hat beantragt:
1. gegen den Antragsgegner das Nachprüfungsverfahren wegen der Vergabe "abfallwirtschaftlicher Dienstleistungen im Landkreis ", Los ### (Altpapier), einzuleiten,
2. dem Antragsgegner aufzugeben, das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzusetzen.
Der Antragsgegner hat beantragt:
1. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 21. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch den Antragsgegner wird für notwendig erklärt.
Der Nachprüfungsantrag sei angesichts der lediglich ins Blaue hinein erhobenen Rügen unzulässig. Er sei außerdem offensichtlich unbegründet. Die Beigeladene sei geeignet. Auf die Rüge der Antragstellerin hin sei aufgeklärt worden, ob die Mengen von Papier, Pappe und Karton (PPK) aus dem Sammelsystem des Antragsgegners neben den abzuwickelnden Mengen anderer Auftraggeber an der Übernahmestelle verarbeitet werden könnten. Weiterhin sei die Beigeladene aufgefordert worden, die einschlägigen BImSchG-Genehmigungen einschließlich etwaiger Änderungsgenehmigungen nach § 16 BImSchG und Änderungsanzeigen nach § 15 BImSchG vorzulegen. Die Beigeladene sei auch der Aufforderung nachgekommen, die Auskömmlichkeit ihrer angebotenen Einheitspreise aufzuklären. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten sei schon aus Gründen der prozessualen Waffengleichheit gegenüber "der anwaltlich vertretenen Antragstellerin und Antragsgegner" geboten. Der Abfallwirtschaftsbetrieb verfüge als Eigenbetrieb des Antragsgegners über keine eigene Rechtsabteilung, geschweige denn über auf das Vergaberecht spezialisierte Volljuristen. Auch "der Antragsgegner selbst" verfüge (Anmerkung des Senats gemeint: verfüge nicht) über eine spezialisierte Vergaberechtsabteilung.
Die Beigeladene hat beantragt,
den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen.
Sie hat sich den Ausführungen des Antragsgegners angeschlossen.
Die Antragstellerin hat ihren Nachprüfungsantrag nach Gewährung von Akteneinsicht zurückgenommen.
Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 20. März 2023, der den Landkreis ### als Antragsgegner ausweist und der dem Antragsgegner am 4. April 2023 zugestellt worden ist, die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen der Antragstellerin auferlegt und in Ziffer 4. Satz 2 des Tenors ausgesprochen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner nicht notwendig war.
Zur Begründung hat die Vergabekammer ausgeführt, die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters werde nicht als notwendig i. S. v. § 182 Abs. 4 Sätze 1 und 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG angesehen. Über die Notwendigkeit, einen Rechtsanwalt zuzuziehen, sei nicht schematisch, sondern auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls zu entscheiden. Dabei sei danach zu fragen, ob der Beteiligte unter den Umständen des Falls auch selbst in der Lage gewesen wäre, aufgrund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen, der im Hinblick auf eine Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren von Bedeutung sei, hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder -verteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16. März 2020, Verg 38/18). Bei durchschnittlich schwierigen Nachprüfungsverfahren werde bei einem öffentlichen Auftraggeber, der regelmäßig mit Vergabeverfahren betraut sei und eine eigene Vergabestelle unterhalte, die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung nicht in jedem Fall bejaht werden können. So liege der Fall hier. Das Vergabeverfahren sei vom Abfallwirtschaftsbetrieb des Antragsgegners durchgeführt worden, der ausweislich der im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union ersichtlichen Auftragsbekanntmachungen regelmäßig mit der Vergabe abfallwirtschaftlicher Dienstleistungen befasst sei und bei dem insofern der für die Bewertung der Rügen der Antragstellerin notwendige Sachverstand vorhanden sein müsse. Die Rügen der Antragstellerin bezögen sich auf einen überschaubaren Sachverhalt und beträfen rechtliche Gesichtspunkte der Angebots- sowie Preisprüfung, welche dem Kernbereich der Durchführung des Vergabeverfahrens zuzuordnen seien.
Dagegen richtet sich die unter der Bezeichnung "Abfallwirtschaftsbetrieb des Landkreises " eingelegte sofortige Beschwerde des Antragsgegners vom 17. April 2023, die am selben Tag bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen ist. Der Antragsgegner rügt, die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten sei auch für ihn als notwendig zu erklären. Er handele als organisatorisch, verwaltungsmäßig und finanzwirtschaftlich gesondertes wirtschaftliches Unternehmen (Sondervermögen ohne eigene Rechtspersönlichkeit, "Art. 88 Abs. 1 BayGO"). Der Abfallwirtschaftsbetrieb verfüge weder über einen eigenen Juristen noch über eine mit Vergabespezialisten besetzte, zentrale Beschaffungsstelle. Er habe in den letzten drei Jahren neben der streitgegenständlichen Ausschreibung lediglich eine weitere europaweite Ausschreibung durchgeführt und zudem keinerlei vergabeprozessuale Erfahrung. Auch wenn man wegen der fehlenden Rechtsfähigkeit des Abfallwirtschaftsbetriebs auf das Landratsamt abstelle, führe dies zu keiner anderen Beurteilung. Das Landratsamt verfüge zwar über eine erfahrene Juristin, die allgemeine zivilrechtliche und bauvertragsrechtliche Erfahrung vor Gericht, allerdings keine vergaberechtliche forensische Berufserfahrung habe. Diese Juristin sei für sämtliche Rechtsangelegenheiten des Landkreises zuständig und in Teilzeit (30 Stunden pro Woche) tätig. Ohne anwaltliche Unterstützung wäre sie nicht in der Lage, die kurzfristigen Belastungsspitzen durch Vergabenachprüfungsverfahren, die unter sehr hohem Zeitdruck stattfänden, zu bewältigen. Die durch Fachanwälte für Vergaberecht vertretene Antragstellerin habe in ihrem Nachprüfungsantrag nicht nur vergaberechtliche, sondern auch immissionsschutzrechtliche Fragestellungen aufgeworfen. Für die Überprüfung der BImSchG-Genehmigungen des eignungsleihenden Nachunternehmers und der Anzeigen nach § 16 BImSchG seien spezialisierte Rechtskenntnisse erforderlich. Auch die Beigeladene habe sich durch einen Fachanwalt für Vergaberecht vertreten lassen.
Der Antragsgegner beantragt,
1. die Entscheidung der Vergabekammer Südbayern vom 30. März 2023, Az. 3194.Z3-3_01-22-65, zugestellt am 4. April 2023, aufzuheben, soweit in Ziffer 4 Satz 2 des Tenors die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten auf Seite des Antragsgegners für nicht notwendig erklärt wird,
2. die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner für notwendig zu erklären.
Die Antragstellerin beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Die sofortige Beschwerde scheitere bereits an der Aktivlegitimation des Beschwerdeführers. Das Nachprüfungsverfahren sei gegen den Landkreis ### geführt worden. Beschwerdeführer sei dagegen der Abfallwirtschaftsbetrieb des Landkreises ### der zudem nicht parteifähig sei. Die Beschwerde habe auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.
Der Antragsgegner - der Landkreis ### - veröffentliche regelmäßig europaweite Ausschreibungen und verfüge über fachkundiges Personal. Die Rügen der Antragstellerin beträfen ausschließlich Fragen der Angebotsprüfung und somit Aspekte, die in jeder Ausschreibung eine Rolle spielten und deren Bewertung durch eigenes Personal abzudecken sei. Aus diesem Grund erfordere auch nicht ein Gebot der Waffengleichheit die Beauftragung eines externen Bevollmächtigten.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Der Senat kann über die sofortige Beschwerde, die sich nur gegen eine Nebenentscheidung richtet, ohne mündliche Verhandlung entscheiden (vgl. BayObLG, Beschl. v. 20. Oktober 2022 - Verg 1/22, NZBau 2023, 347 Rn. 14 m. w. N.).
2. Die nach § 171 Abs. 1 GWB statthafte (vgl. BGH, Beschl. v. 25. Oktober 2005 - X ZB 26/05) Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Sie wurde insbesondere von dem prozessfähigen Antragsgegner, dem Landkreis ### form- und fristgerecht eingelegt. ###
In der Beschwerdeschrift wurde als Beschwerdeführer zwar der Abfallwirtschaftsbetrieb des Landkreises ### genannt, aus den gesamten Umständen ergibt sich jedoch, dass damit die hinter der Vergabestelle stehende juristische Person gemeint ist. ###
In der Rechtsprechung der Vergabesenate ist anerkannt, dass gegebenenfalls durch Auslegung festzustellen ist, gegen wen sich das Nachprüfungsverfahren bzw. die Beschwerde richtet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16. Oktober 2019 - Verg 13/19, NZBau 2020, 670; OLG Frankfurt, Beschl. v. 2. Dezember 2014 - 11 Verg 7/14, NZBau 2015, 448; OLG Celle, Beschl. v. 24. September 2014 - 13 Verg 9/14, NZBau 2014, 784; OLG München, Beschl. v. 31. Mai 2012 - Verg 4/12). Die vorliegende Konstellation unterscheidet sich von den entschiedenen Fällen zwar dadurch, dass die Antragstellerin ihren Nachprüfungsantrag zutreffend nicht gegen die Vergabestelle, sondern gegen die dahinterstehende juristische Person gerichtet hat, während die sofortige Beschwerde nicht im Namen des unterlegenen Antragsgegners, sondern im Namen der nicht rechtsfähigen Vergabestelle eingelegt wurde. Auch die Erklärung, wer Rechtsmittelführer ist, ist jedoch der Auslegung fähig (vgl. zu § 519 ZPO: BGH, Beschl. v. 15. März 2022, VI ZB 20/20, ZIP 2022, 2573 Rn. 11 m. w. N.).
Hier steht bei verständiger Würdigung fest, dass Beschwerdeführer der Landkreis ist. Der Beschwerdeschrift war der Beschluss der Vergabekammer beigefügt, die den Landkreis ### als Antragsgegner ausweist. Es wird ausgeführt, dass der Abfallwirtschaftsbetrieb als Sondervermögen ohne eigene Rechtspersönlichkeit geführt werde. Letzteres ergibt sich aus Art. 76 Abs. 1 LKrO. Beschwerdeführer ist somit nicht der Eigenbetrieb, der gemäß § 50 Abs. 1 ZPO nicht parteifähig wäre, sondern der Landkreis (vgl. OLG Celle, NZBau 2014, 784 Rn. 11 f.; Lück in BeckOK Kommunalrecht Bayern, 18. Ed. Stand: 1. Mai 2023, GO Art. 88 Rn. 4; Lindl BayVBl 2002, 298). Aus der vorgelegten Betriebssatzung ergibt sich zudem, dass der Landkreis ### in Angelegenheiten des Eigenbetriebs unter dem Namen "Abfallwirtschaftsbetrieb des Landkreises Augsburg" auftritt.
3. In der Sache hat die sofortige Beschwerde keinen Erfolg.
a) Nach § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 1, 2 und 3 Satz 2 BayVwVfG sind Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts erstattungsfähig, wenn die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Diese Frage ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu beantworten. Abzustellen ist darauf, ob der Beteiligte unter den Umständen des Falles auch selbst in der Lage gewesen wäre, auf Grund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen, der im Hinblick auf eine (angebliche) Missachtung vergaberechtlicher Bestimmungen von Bedeutung ist, hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder Rechtsverteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzutragen. Hierfür können neben Gesichtspunkten wie der Einfachheit oder Komplexität des Sachverhalts, der Überschaubarkeit oder Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen auch rein persönliche Umstände in der Person des Beteiligten maßgeblich sein, wie etwa seine sachliche und personelle Ausstattung (BGH, Beschl. v. 26. September 2006 - X ZB 14/06, BGHZ 169, 131 Rn. 61). Die Einzelfallentscheidung ist auf der Grundlage objektiv anzuerkennender Erfordernisse im Rahmen einer ex-ante Prognose zu treffen (OLG Celle, Beschl. v. 5. November 2020 - 13 Verg 7/20), wobei ergänzend auch der Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit in die Prüfung einfließen kann (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24. März 2021 - Verg 10/20; Beschl. v. 16. März 2020 - Verg 38/18 m. w. N.).
Dementsprechend wird von der Rechtsprechung die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch den öffentlichen Auftraggeber regelmäßig nicht für notwendig erachtet, wenn eine vergaberechtliche Angelegenheit lediglich einfache, auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen auf der Grundlage geklärter Rechtsgrundsätze aufwirft, deren Darlegung und Vertretung im Nachprüfungsverfahren von der Vergabestelle ohne Weiteres erwartet werden kann. Stehen dagegen nicht einfache, insbesondere rechtlich noch ungeklärte oder nicht dem klassischen Vergaberecht zuzurechnende Rechtsfragen im Streit, spricht dies tendenziell für die Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung. Weitere Faktoren, die im Rahmen der gebotenen Einzelfallprüfung für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts sprechen können, sind der typische Zeitdruck im Nachprüfungsverfahren und eine besondere Bedeutung bzw. ein erhebliches Gewicht des zu vergebenden Auftrags (vgl. BayObLG, NZBau 2023, 347 Rn. 17 m. w. N.).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen war die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die Vergabestelle nicht notwendig.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung war weder wegen der Komplexität des Sachverhalts noch wegen der Schwierigkeit der Rechtsfragen erforderlich. Der (nur) 16-seitige Nachprüfungsantrag beschränkte sich auf zwei Themenkomplexe. Der Antragsgegner hat in seiner Antragserwiderung vom 10. Januar 2023 ausgeführt, das Nachprüfungsverfahren lasse sich auf zwei eng umgrenzte Rechtsfragen reduzieren (Seite 2). Sowohl die Eignungsprüfung (§ 42 Abs. 1 VgV) als auch die Preisprüfung (§ 60 VgV) gehören zu den originären Aufgaben der Vergabestelle, sodass es zur Beantwortung der damit verbundenen typischen Fragestellungen und zur Rechtsverteidigung im Nachprüfungsverfahren nicht ohne weiteres eines anwaltlichen Beistands bedarf. Spezifische immissionsschutzrechtliche Probleme stellten sich entgegen der Ansicht des Antragsgegners im Rahmen der Eignungsprüfung nicht. Sie werden vom Antragsgegner in der Beschwerdebegründung auch nicht dargestellt. Der Antragsgegner hatte lediglich anhand der von der Beigeladenen vorgelegten Unterlagen (Anlagen Ag 7 bis Ag 11) zu überprüfen, ob die benannte Übernahmestelle über eine Genehmigung für die umzuschlagenden Altpapiermengen verfügte. Die Angaben der Beigeladenen und ihres Nachunternehmers können bei sorgfältiger Lektüre der vorgelegten Unterlagen ohne weiteres nachvollzogen werden. Spezifischer immissionschutzrechtlicher Kenntnisse bedarf es dazu nicht. Dass der Abfallwirtschaftsbetrieb des Landkreises ### ohne anwaltliche Unterstützung nicht in der Lage gewesen wäre, den Inhalt der Unterlagen zu erfassen und hieraus die für die Rechtsverteidigung vor der Vergabekammer nötigen Schlüsse zu ziehen, ist nicht ersichtlich.
Entgegen der Ansicht des Antragsgegners rechtfertigten es hier weder der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit noch die personelle Ausstattung der Vergabestelle, die Notwendigkeit der Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten zu bejahen. Diese Gesichtspunkte können nur ergänzend herangezogen werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16. März 2020 - Verg 38/18 m. w. N.; Beschl. v. 16. November 2018 - Verg 60/17). Beschränkt sich das Nachprüfungsverfahren auf schlichte auftragsbezogenene Sach- und Rechtsfragen, ist in der Regel davon auszugehen, dass sich die Vergabestelle im Rahmen ihres originären Aufgabenkreises vor der Vergabekammer zweckentsprechend verteidigen kann. Anhaltspunkte für eine abweichende Beurteilung sind vorliegend nicht ersichtlich.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 175 Abs. 2 i. V. m. § 71 GWB.
Die Entscheidung über die Festsetzung des Werts für das Beschwerdeverfahren beruht nicht auf § 50 Abs. 2 GKG, da sich die Beschwerde nur gegen eine selbständig anfechtbare Nebenentscheidung richtet (vgl. KG, Beschl. v. 14. Dezember 2022 - Verg 10/22), sondern auf einer entsprechenden des § 3 ZPO.
(...)
Eignungskriterien müssen transparent sein!
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OLG Frankfurt
Beschluss
vom 28.09.2023
11 Verg 2/23
1. Öffentliche Aufträge dürfen nur an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben werden. Der Auftraggeber hat die Eignung anhand von bekanntgemachten Eignungskriterien zu prüfen.
2. Die im Vorhinein bekanntgemachten Eignungskriterien sind der Maßstab für die Eignungsprüfung. Kern der Eignungsprüfung ist die Feststellung, ob die bekanntgemachten Eignungskriterien erfüllt wurden.
3. In Bezug auf die technische und berufliche Eignung aufgestellte Regelungen müssen hinreichend transparent sein (hier verneint). Der Auftraggeber verletzt die Bestimmungen über das Vergabeverfahren, wenn er die Referenzen eines Bieters aufgrund einer intransparenten Bestimmung in den Ausschreibungskriterien als ausreichenden Eignungsnachweis akzeptiert.
4. Das Verständnis eines durchschnittlich erfahrenen Bieters von Referenzanforderungen basiert auf der Annahme, dass sich die Vergabestelle vergaberechtskonform verhält. Die Bieter dürfen die Vergabeunterlagen im Zweifel so verstehen, dass sie vergaberechtlichen Anforderungen entsprechen.
vorhergehend:
OLG Frankfurt, 22.06.2023 - 11 Verg 2/23
VK Hessen, 15.05.2023 - 96e 01.02/14-2023
Tenor
Der Beschluss der Vergabekammer des Landes Hessen vom 15. Mai 2023, Az: 96e 01.02/14-2023 wird aufgehoben.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Ausschreibung in das Stadium vor Veröffentlichung der Bekanntmachung zurückzuversetzen und - bei fortbestehender Vergabeabsicht - das Verfahren ab diesem Zeitpunkt unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu wiederholen.
Dem Antragsgegner werden die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer sowie die der Antragstellerin entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt.
Dem Antragsgegner werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die der Antragstellerin entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt.
Die Beigeladene hat die ihr entstandenen notwendigen Auslagen selbst zu tragen.
Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin für das Verfahren vor der Vergabekammer wird für notwendig erklärt.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 160.440 Euro
Gründe
I.
Mit europaweiter Bekanntmachung vom 3. Februar 2023 hat der Antragsgegner die Übernahme und Verwertung von Bioabfällen aus dem Kreis1 mit den Abfallschlüsselnummern 20 02 01 (Abfallbezeichnung: biologisch abbaubare Abfälle) und 20 03 01 (Abfallbezeichnung: gemischte Siedlungsabfälle; hier: getrennt erfasste Bioabfälle, Biotonne aus Haushaltungen, im Folgenden: Bio-Abfälle) im Umfang von ca. 9000 Mg pro Jahr im offenen Verfahren ausgeschrieben.
In der Auftragsbekanntmachung sind keine eigenständigen Eignungskriterien aufgestellt und bekannt gemacht. Die Eignungsprüfung soll ausweislich der Ausschreibung ausschließlich anhand der geforderten Referenzen erfolgen.
Hinsichtlich der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit heißt es unter Ziffer III.1.3) - Auflistung und kurze Beschreibung der Eignungskriterien - der Bekanntmachung:
"Es sind zwei unternehmensbezogene Referenzen über vergleichbare, für kommunale Auftraggeber erbrachte Leistungen an entsprechender Stelle in der EEE (siehe jeweils den nachfolgenden Hinweis in den eckigen Klammern) anzugeben:
- Auftraggeber (Firma) [Empfänger]
- Zuständige Abteilung/Bereich [Empfänger]
- Umfang der erbrachten Leistung [Betrag in EUR]
- Ausführungszeitraum [Anfangsdatum; Enddatum]
- Kurze Beschreibung der erbrachten Leistung [Beschreibung]
- Die Referenzen müssen jeweils mindestens folgende Kriterien erfüllen, dazu hat der Bieter für jede Referenz den Leistungszeitraum und den Umfang (Tonnage) im Feld "Beschreibung" mit anzugeben:
- Die erbrachten Leistungen müssen in Bezug auf die Leistungsgegenstände Tonnage ein ähnliches Volumen (mindestens jedoch 50 % der Tonnage) aufweisen,
- über mindestens drei Jahre erbracht worden sein und
- aus den letzten fünf Jahren stammen.
Einzelne Referenzen können in Summe betrachtet werden, wenn sie in den letzten fünf Jahren eine zeitliche Überlappung von mindestens drei Jahren haben und in der Summe mindestens 50 % der ausgeschriebenen Tonnage erreichen, sofern die Mindestkriterien nicht von einer einzigen Referenz erfüllt werden.
- Sofern Sie noch nicht oder nicht über hinreichende Referenzen im Bereich abfallwirtschaftlicher Leistungen verfügen, können Sie weitere Angaben machen, warum Sie sich/Ihr Unternehmen für ausreichend fachkundig und leistungsfähig für die Erbringung der abgefragten Leistungen halten. Bitte schildern Sie dies ausführlich, da Sie mit Ihren Angaben Ihre Fachkunde nachweisen müssen. Sie können daher auch als Anlage weitere geeignete Unterlagen, Bescheinigungen etc. einreichen. In jedem Fall müssen dann aber die für die Durchführung des Auftrages verantwortlichen Personen über persönliche Referenzen verfügen, die die Referenzen des Bieters zu ergänzen oder zu ersetzen geeignet sind [...]".
Vertragsbeginn ist der 1. Januar 2024, Vertragsende der 31. Dezember 2026. Eine zweimalige Verlängerung um jeweils ein Jahr durch den Auftraggeber ist vorgesehen. Ausweislich der Vergabeunterlagen - Block A - wird der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Dies ist jenes mit dem niedrigsten Angebotspreis, wie er sich aus den Eintragungen des Bieters im Preisblatt ergibt.
In dem in Block B der Vergabeunterlagen enthaltenen Vertrag wird der Leistungsgegenstand des Auftragnehmers wiederholt und näher konkretisiert (§ 4 Abs. 2.2 des Vertrags). Auf die Begriffsdefinitionen zum Vertragsgegenstand "Bioabfall", der "Verwertung" und des "Nachtransports bzw. Transports" in § 4 Abs. 1 des Vertrags wird ebenfalls verwiesen. § 4 Abs. 2.3 des Vertrages bestimmt die Anforderungen an Fahrzeuge, Maschinen und Anlagen. In Bezug auf die Verwertung der Bioabfälle heißt es dort im 3. Absatz:
"... Der AG überlässt dem AN die Auswahl der Anlagentechnik bzw. die Auswahl des technischen Verfahrens zur Verwertung der Bioabfälle (technikoffenes Verfahren). Ausgeschlossen ist jedoch eine offene Mietenkompostierung. Dies bedeutet, dass der Intensivrotteprozess eingehaust erfolgen muss..."
In § 4 Abs. 3 des Vertrags wird der Leistungsgegenstand der Übernahme und Verwertung der Bioabfälle nochmals weiter festgelegt. Auf die dortigen Ausführungen wird verwiesen.
Die Antragstellerin, die Bestandsauftragnehmerin ist, die Firma ### GmbH sowie andere Unternehmen haben sich an der Ausschreibung beteiligt. Der Antragsgegner hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 3. April 2023 darüber informiert, dass er beabsichtigt, den Zuschlag frühestens am 14. April 2023 dem Angebot der Fa. ### GmbH (im Folgenden: Beigeladene) zu erteilen.
Nach erfolgloser Rüge hat die Antragstellerin das hiesige Nachprüfungsverfahren eingeleitet, mit dem sie das Ziel verfolgt, den Antragsgegner zu verpflichten, die eingegangenen Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu bewerten. Sie hat dazu vorgetragen, das Angebot der Beigeladenen müsse zwingend gemäß § 57 Abs. 1, 1. HS VgV ausgeschlossen werden, weil diese ihre technische und berufliche Leistungsfähigkeit nicht durch Vorlage geeigneter Referenzen nachgewiesen habe.
Durch den angefochtenen Beschluss vom 15. Mai 2023, auf dessen tatsächliche Feststellungen zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, hat die 2. Vergabekammer des Landes Hessen den Nachprüfungsantrag abgelehnt. Zur Begründung hat die Vergabekammer ausgeführt, der Nachprüfungsantrag sei zwar zulässig, aber nicht begründet. Aus den in der Ausschreibung geforderten Referenzen ließen sich Rückschlüsse auf die gestellten Eignungskriterien ziehen. Daher müsse geprüft werden, welche konkludent verlangten Eignungskriterien mit den Referenzforderungen verbunden seien. Dazu müsse die Ausschreibung aus Sicht eines durchschnittlich erfahrenen Bieters beurteilt werden.
Bei dieser Sichtweise sei die Übernahme der gesammelten Bio-Abfälle an der Übernahmestelle sowie der Transport dieser Bio-Abfälle bis zu einer vom Bieter selbst gewählten Verwertungsanlage Hauptgegenstand (wesentliche Dienstleistung) des Auftrags. Die Beigeladene habe insoweit geeignete Referenzen vorgelegt, nämlich den Nachweis, dass sie in den geforderten Zeiträumen und mit dem geforderten Volumen für unterschiedliche Auftraggeber sog. Grünschnitt entsorgt habe.
Die Beigeladene beabsichtige im Übrigen, die Bio-Abfälle durch einen geeigneten Unterauftragnehmer zu verwerten. Dieser habe die beiden hier ausgeschriebenen Abfallschlüssel in seinem Genehmigungsbestand und habe eine Eigenerklärung vorgelegt, in dem bestätigt werde, dass er Eigentümer einer entsprechenden Verwertungsanlage sei und dass der Beigeladenen diese Anlage im Vertragszeitraum für die vorgesehene Abfallmenge zur Verfügung stehe. Selbst wenn man annehme, dass sich die geforderten Referenzen auch auf die Verwertung des Bio-Abfalls beziehen müssten, so könne von einer konkludenten Eignungsleihe i.S. von § 47 VgV ausgegangen werden, was zur Folge habe, dass die Beigeladene nicht ausgeschlossen werden dürfe.
Der Beschluss der Vergabekammer ist der Antragstellerin am 25. Mai 2023 zugestellt worden. Mit dem am 9. Juni 2023, dem Tag nach Fronleichnam, beim Senat eingegangenen Schriftsatz hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde dagegen eingelegt.
Die Antragstellerin trägt vor, die Beigeladene müsse schon deshalb mit ihrem Angebot ausgeschlossen werden, weil die von ihr vorgelegten drei Referenzen die vorgeschriebene Mindesttonnage nicht erfüllen würden. Der Antragsgegner habe in der Ausschreibung vorgegeben, dass die Bieter zwei Referenzen für vergleichbare Dienstleistungen vorlegen müssten, die jeweils mindestens 50 % der streitgegenständlichen Tonnage, also jeweils 4.500 Mg/a umfassen müssten. Ein verständiger Bieter entnehme dem weiteren Text der Ausschreibung, dass die beiden geforderten Referenzen jeweils durch einzelne Referenzen ersetzt werden könnten, die den gestellten Anforderungen entsprechen, was aber an der nachzuweisenden Mindesttonnage im Umfang von insgesamt 9.000 Mg/a nichts ändere. Die Beigeladene habe einen solchen Nachweis nicht erbringen können.
Neben dem Transport des Bio-Abfalls von der Übergabestelle bis zur Verwertungsanlage stelle im Übrigen auch die Verwertung selbst eine Kernleistung des Auftrags dar. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der Auftragsbekanntmachung und ferner aus einer Zusammenschau der Vergabeunterlagen (Block A) und des ebenfalls auf der Vergabeplattform zum Download bereitgestellten Vertrags (Block B). Dementsprechend habe die Beigeladene auch Referenzen in Bezug auf die Kernleistung "Verwertung des Bio-Abfalls" vorlegen müssen. Dies sei allerdings ausweislich der ihr vom Auftraggeber auf ihre Rüge bekannt gemachten Informationen weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht der Fall. Hinreichende Eigenreferenzen lägen daher nicht vor.
Die Beigeladene habe zwar eine Nachunternehmerin benannt, die sie für die Verwertung des Abfalls einsetzen wolle. Daraus habe die Vergabekammer aber keine Eignungsleihe ableiten dürfen und es sei mit Rücksicht auf das Transparenzgebot im Vergabeverfahren auch nicht zulässig, dass die Beigeladene nachträglich eine Eignungsleihe vornehme, in dem sie sich auf Referenzen ihres unterbeauftragten Unternehmens berufe.
Die Antragstellerin beantragt,
1. Den Beschluss der Vergabekammer des Landes Hessen vom 15. Mai 2023, Aktenzeichen: 96e 01.02/14-2023, aufzuheben.
2. Den Antragsgegner zu verpflichten, die Wertung der eingegangenen Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu wiederholen.
3. Dem Antragsgegner aufzugeben, der Antragstellerin Einsicht in die Vergabeakten des Antragsgegners zu gewähren.
4. Dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer, die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die der Antragstellerin in beiden Instanzen entstandenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen.
5. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin für das Verfahren vor der Vergabekammer für notwendig zu erklären.
Hilfsweise für den Fall der Erfolglosigkeit der Anträge zu den Z. 1 und 2:
Den Beschluss der Vergabekammer dahin abzuändern, dass die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch den Antragsgegner nicht notwendig war.
Der Antragsgegner beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen und
1. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Antragsgegners aufzuerlegen,
2. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für den Antragsgegner für notwendig zu erklären
Der Antragsgegner verteidigt die angefochtene Entscheidung. Die Vergabekammer habe zu Recht aus einer wertenden Betrachtung der Vergabeunterlagen geschlossen, dass Hauptgegenstand der Ausschreibung der Transport der Bioabfälle sei. Diese Anforderung sei hier durch die eingereichten Referenzen belegt worden. Hinsichtlich des quantitativen Umfangs der Referenzen sei lediglich eine Mindesttonnage von 4.500 Mg/a vorgegeben worden, was hier von der Beigeladenen erreicht worden sei.
Soweit man die Eigenreferenzen der Beigeladenen in Bezug auf die Verwertung des Mülls nicht als ausreichend betrachte, müsse im vorliegenden Fall durch die Benennung des für die Verwertung des Bio-Abfalls vorgesehenen Nachunternehmers eine Eignungsleihe angenommen werden. Es bliebe dann noch die Möglichkeit, das Angebot der Beigeladenen durch Abfrage entsprechender Referenzen der Nachunternehmerin aufzuklären.
Der Senat hat dem ursprünglich ebenfalls gestellten Eilantrag durch Beschluss vom 22. Juni 2023 stattgegeben, die Zuschlagsprätendentin beigeladen (im Folgenden als Beigeladene bezeichnet) und der Antragstellerin Einsicht in verschiedene Unterlagen des Vergabeverfahrens, darunter die Einheitliche Europäische Erklärung (EEE) der Beigeladenen sowie die von ihr der Bewerbung beigefügte Eigenerklärung der Fa. ### gewährt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Eilentscheidung verwiesen.
Die Beigeladene beantragt,
1. die sofortige Beschwerde der Antragstellerin kostenpflichtig zurückzuweisen und
2. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Beigeladenen aufzuerlegen.
Die Beigeladene trägt vor, sie habe hinreichende eigene Referenzen zum Beleg ihrer technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit vorgelegt. Die Ausschreibung verlange insoweit lediglich die Vorlage von zwei unternehmensbezogenen Referenzen über vergleichbare Leistungen, die im vorgegebenen Zeitraum für kommunale Auftraggeber erbracht worden seien, wobei Mindestanforderungen lediglich an die Tonnage und an den Zeitraum gestellt wurden. Die in den Ausschreibungsbedingungen eröffnete Möglichkeit der Summierung von Einzelreferenzen könne so verstanden werden, dass damit auch eine Reduzierung der zu referenzierenden Mindesttonnage auf 4.500 Mg/a verbunden sei. Diese Anforderung sei von der Beigeladenen dadurch erfüllt worden, dass sie folgende 3 Referenzen benannt habe:
- "Verwertung/Transport von Grünabfällen (Jahresmenge 4.000 to)" im Auftrag des Landkreises Stadt1
- "Verwertung/Transport von Grünabfällen inklusive Führung Wertstoffhof (Jahresmenge 1.200 to)" im Auftrag der Stadt2
- "Verwertung/Transport von Grünabfällen inklusive Führung Wertstoffhof (Jahresmenge 500 to) im Auftrag der Gemeinde1.
Der Transport und die Verwertung von Grünabfällen sei eine dem Auftragsgegenstand vergleichbare Leistung. Grünabfälle seien nämlich eine Teilfraktion der hiesigen "Bioabfälle" und es würden für den Transport und die Verwertung keine Besonderheiten gelten. Für beide Abfallarten sei die Kompostierung möglich. Da die Ausschreibungsbedingungen keine Mindestanforderungen in Bezug auf die Spezifizierung der Abfallart vorsähen, könnten die Referenzen in qualitativer Hinsicht als Beleg ausreichen, in Bezug auf die Tonnage reiche es aus, wenn die Einzelleistungen in der Summe die Hälfte des Auftragsgegenstands erreichten.
Der Ausschreibung zeige weiter, dass noch nicht einmal unternehmensbezogene Referenzen verlangt würden, da im letzten Absatz von Z. III. 1.3 der Ausschreibung auch persönliche Fachkunde- und Leistungsnachweise genügten. Daher spiele es keine Rolle, dass die Beigeladene bei der Erfüllung der referenzierten Aufträge lediglich die Vorsortierung und den Transport durchgeführt, die Verwertung aber durch eine Nachunternehmerin habe ausführen lassen. So sei das auch im vorliegenden Fall vorgesehen. Mit einer Referenz unter Einsatz von Nachunternehmern werde daher die unternehmerische Leistungsfähigkeit der Beigeladenen hinreichend belegt.
Wenn man nicht von einer hinreichenden Eigenreferenz ausgehen würde, dann sei zumindest anzunehmen, dass die Beigeladene durch Benennung ihrer für die Verwertung vorgesehenen Nachunternehmerin, die Fa. ### GmbH, durch deren Eigenerklärung und durch die Vorlage von deren Zertifizierungen konkludent eine Eignungsleihe in Bezug auf die Verwertung der Bioabfälle erklärt habe. Die überobligatorische Vorlage der Eignungsnachweise Ihrer Nachunternehmerin sein ein hinreichendes Indiz dafür.
Die Antragstellerin tritt dem entgegen und vertieft ihren Vortrag wie folgt:
Eine hinreichende eigene Referenz der Beigeladenen sei sowohl in quantitativer wie auch in qualitativer Hinsicht nicht gegeben.
Die oben wiedergegebene Passage aus den Ausschreibungsbedingungen verlange explizit zwei Referenzen mit einer Tonnage von jeweils 4.500 Mg/a. Die Summe der transportierten und verwerteten Abfälle müsse daher das Auftragsvolumen von 9.000 Mg/a erreichen. Dies sei hier bei den Referenzen der Beigeladenen nicht gegeben. Unabhängig davon dürften die vermeintlichen Aufträge der Gemeinden Stadt2 und Gemeinde1 nicht berücksichtigt werden, weil die Verwertung von Abfällen in Hessen alleinige Aufgabe der kreisfreien Städte und Landkreise sei, die als öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger gälten (§ 1 Abs. 3 KAKrW).
Die Verwertung von Grünabfällen unterscheide sich erheblich von der Verwertung von Bioabfällen, denn Letztere müssten zwingend in Anlagen in geschlossener Bauweise kompostiert werden, während Grünschnitt auf Freiflächen kompostiert werden könne. Bei der hiesigen Ausschreibung werde dementsprechend auch eine "eingehauste Intensivrotte" vorgeschrieben, was im Übrigen von der Nachunternehmerin der Beigeladenen (Fa. ### GmbH) am vorgesehenen Ort nicht bewerkstelligt werden könne.
Die Beigeladene betreibe unstreitig keine eigenen Verwertungsanlagen und dürfe sich in Bezug auf ihre technische Leistungsfähigkeit zur Verwertung von Abfällen auch nicht auf Referenzen berufen, bei denen insoweit Nachunternehmer zum Einsatz gekommen seien. Die Zurechnung der Eignung eines Nachunternehmers könne nur in den Fällen der so genannten Eignungsleihe erfolgen.
Man könne im vorliegenden Fall auch nicht annehmen, dass die Beigeladene eine Eignungsleihe ihrer Nachunternehmerin habe in Anspruch nehmen wollen. Dem stehe die ausdrückliche Erklärung der Beigeladenen in der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung (EEE) in Teil II unter C entgegen, wo sie die Frage, ob sie zur Erfüllung der Eignungskriterien die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch nehme mit "nein" beantwortet habe.
II.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingereicht worden. Die Antragstellerin ist durch die Entscheidung der Vergabekammer beschwert, weil diese ihren Nachprüfungsantrag zurückgewiesen hat.
Die sofortige Beschwerde hat auch Erfolg, denn der Antragsgegner hat es vergaberechtswidrig versäumt, transparente Regelungen in Bezug auf die technische und berufliche Eignung aufzustellen. Das Vergabeverfahren muss daher aufgehoben und in den Stand vor der Ausschreibung zurückversetzt werden. Da es der Antragstellerin in diesem Nachprüfungsverfahren darum geht, einen Zuschlag an die Beigeladene zu verhindern, ist ihr Rechtsschutzziel von diesem Ausspruch umfasst. An den Antrag zu 2.), mit dem die Antragstellerin eine Rückversetzung des Ausschreibungsverfahrens vor die Wertung der Angebote bezweckt, ist der Senat nicht gebunden (§ 168 Abs. 1 S. 2 GWB)
1. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin, der sich auf eine Neubewertung der Angebote unter Ausschluss desjenigen der Beigeladenen richtet, ist zulässig. Dies hat die Vergabekammer bereits zutreffend festgestellt und begründet, so dass auf die Erwägungen in der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden kann.
2. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg, weil der Antragsgegner die Bestimmungen über das Vergabeverfahren dadurch verletzt hat, dass er die Referenzen der Beigeladenen aufgrund einer intransparenten Bestimmung in den Ausschreibungskriterien als ausreichenden Eignungsnachweis akzeptiert hat (§§ 97 Abs. 1, Abs. 6, 122 Abs. 4 GWB).
Aufträge dürfen gemäß § 122 Abs. 1 GWB grundsätzlich nur an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben werden. Der Auftraggeber hat die Eignung gem. § 122 Abs. 2 GWB anhand von bekanntgemachten Eignungskriterien zu prüfen. Die im Vorhinein bekanntgemachten Eignungskriterien sind der Maßstab für die Eignungsprüfung (Ziekow in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., § 122 Rn. 13). Kern der Eignungsprüfung ist die Feststellung, ob die bekanntgemachten Eignungskriterien erfüllt wurden (Ziekow a.a.O. Rn. 13).
Ausweislich Ziffer III.1.3.) der Ausschreibungsbedingungen mussten die Bieter zum Nachweis ihrer technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit zwei unternehmensbezogene Referenzen über vergleichbare Leistungen angeben, die sie für kommunale Auftraggeber erbracht haben.
Der Antragsgegner hat insoweit keine eigenständigen Eignungskriterien aufgestellt und die Eignungsprüfung nach den Vorgaben der Ausschreibung ausschließlich anhand der geforderten Referenzen vorgenommen. Dies war hier nach den zutreffenden Ausführungen der Vergabekammer zulässig, weil aus den geforderten Referenzen Rückschlüsse auf mittelbar gestellte Eignungskriterien möglich sind. Daher muss aus der Sicht eines verständigen, durchschnittlich erfahrenen Bieters beurteilt werden, welche Mindestanforderungen die vorgelegten Referenzen erfüllen müssen bzw. ob, und wenn ja welche Eignungskriterien mit der Referenzforderung verbunden sind (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Dezember 2021 - 11 Verg 6/21 - Videokonferenzsystem, m.w.N.).
Der verständige, durchschnittlich erfahrene Bieter entnimmt den oben zitierten Eignungskriterien, dass er Referenzen vorlegen muss, die eine das Auftragsvolumen nicht unterschreitende Mindesttonnage in Bezug auf die Abholung, den Transport und die Verwertung vergleichbarer Abfälle abdeckten (unter a.). Soweit der Antragsgegner bei der Eignungsprüfung der Beigeladenen eine Unterschreitung dieser Anforderungen für zulässig gehalten hat, führt dieses offensichtlich zur Intransparenz der Vergabeunterlagen, weil das Begriffsverständnis des Antragsgegners von dem des durchschnittlichen Bieters abweicht (unter b.). Letztendlich kommt es daher nicht mehr darauf an, ob die Beigeladene hinreichende Referenzen in Bezug auf die Kernleistung "Verwertung des Bio-Abfalls" vorgelegt bzw. sich in zulässiger Weise auf eine Eignungsleihe ihrer Nachunternehmerin, der Fa. ### GmbH berufen hat (unter c.). Das Vergabeverfahren musste demnach in den Zustand vor Ausschreibung zurückversetzt werden, da der Senat nicht anstelle der Vergabestelle Eignungskriterien für den hiesigen Auftrag aufstellen kann (unter d.).
a. Aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen, durchschnittlich erfahrenen Bieters ging aus der Ausschreibung deutlich hervor, dass er grundsätzlich zwei unternehmensbezogene Referenzen vorzulegen hatte, die "jeweils mindestens 50 % der Tonnage" umfassten, so dass in der Summe die streitgegenständliche Tonnage von 9.000 to/a erreicht wird. Diese Mindesttonnage war auch dann gefordert, wenn der Bieter von der im Folgeabsatz ("... Einzelne Referenzen können in Summe betrachtet werden...") gewährten Privilegierungsmöglichkeit einer Summierung von Einzelreferenzen Gebrauch machen wollte. Dies ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut der Ausschreibung, zum anderen aus deren erkennbarer Zielsetzung.
Der unmissverständlichen Vorgabe, dass die grundsätzlich vorzulegenden beiden Referenzen jeweils mindestens 50 % der Auftragstonnage erreichen müssen, entnimmt der verständige Bieter, dass der Antragsgegner ein zu referenzierendes Mindestauftragsvolumen verlangt, das den hiesigen Auftrag erreicht. Da Eignungskriterien objektiv dazu dienen, die Leistungsfähigkeit des Bieters für den konkret ausgeschriebenen Auftrag nachzuweisen (Ziekow in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., Rn 13 zu § 122 GWB), wird der Bieter daher erkennen, dass der Auftraggeber im Hinblick auf das Auftragsvolumen (also in quantitativer Hinsicht) nur solche Bieter zulassen will, die durch ihre Referenzen gezeigt haben, dass sie in der Lage sind, pro Jahr ein dem hiesigen Auftrag mindestens gleich hohes Volumen zu übernehmen und zur Verwertungsstelle transportieren. Hieraus geht auch hervor, dass der Bieter über eine entsprechend große personelle und betriebliche Ausstattung einschließlich der Transportfahrzeuge verfügen muss, um dieses Volumen bewältigen zu können.
Auch der Wortlaut des oben zitierten Folgeabsatzes zeigt auf, dass der Antragsgegner aus der Sicht eines verständigen Bieters von dieser Voraussetzung nicht abweichen wollte und eine Summierung von "kleineren" Einzelreferenzen aus dem dort genannten Zeitraum nur ersatzweise zugelassen hat, wenn eine oder die beiden geforderten Referenzen das geforderte Volumen von mindestens 50 % der Auftragstonnage nicht erreichen.
Das geht bei verständiger, gründlicher Betrachtung bereits aus dem Ausschreibungstext hinreichend deutlich hervor, wird aber noch klarer, wenn der letzte Teil dieses Satzes an den Anfang gestellt wird ("... Sofern die Mindestkriterien nicht von einer einzigen Referenz erfüllt werden, ...[können] einzelne Referenzen in Summe betrachtet werden, wenn sie in den letzten fünf Jahren eine zeitliche Überlappung von mindestens drei Jahren haben und in der Summe mindestens 50 % der ausgeschriebenen Tonnage erreichen ..."). Daraus wird aus Sicht der Bieter deutlich, dass der Auftraggeber eine Summierung nur "innerhalb" der geforderten Referenzen erlauben wollte, ohne dass damit eine Verringerung des nachzuweisenden Gesamtvolumens einhergehen sollte.
Das entgegenstehende Verständnis der Beigeladenen vom Inhalt der Ausschreibungsbedingungen findet sich aus der maßgeblichen Bietersicht nicht in dieser Form wieder. Die Beigeladene teilt zwar die Einschätzung der Antragstellerin, wonach grundsätzlich zwei Referenzen mit einer Mindesttonnage von 50 % des Auftragsvolumens vorgelegt werden müssen, vertritt aber die Auffassung, dass die Summierungsmöglichkeit zu einer Absenkung der zu referenzierenden Mindesttonnage auf 50 % der Auftragstonnage führt.
Dem kann nicht gefolgt werden. Die Auslegung der Beigeladenen entspricht aus den o.g. Gründen nicht dem Wortlaut und sie entspricht auch nicht dem Sinn und Zweck dieses Eignungskriteriums. Vielmehr wäre eine solche Vorgabe widersprüchlich, weil der Antragsgegner damit der grundsätzlich verlangten Mindesttonnage von 9.000 to/a teilweise die Grundlage entzogen hätte und zum anderen wäre damit ein intransparentes und nicht diskriminierungsfreies Eignungskriterium aufgestellt worden. Dies hat die Antragstellerin mit Recht in ihrem Schriftsatz vom 4. August 2023 hervorgehoben und klargestellt, dass es eine offensichtliche Ungleichbehandlung darstellen würde, wenn ein Bieter, der zum Nachweis seiner Leistungsfähigkeit zwei Referenzen benennt, nur dann die vom Antragsgegner gestellten Mindestanforderungen erfüllt, wenn jede der Referenzen sich über die Verwertung von 4.500 to/a verhält (und so beispielsweise mit zwei Referenzen mit einer Tonnage von je 4.000 to/a aus dem relevanten Zeitraum insgesamt also 8.000 to/a. ausgeschlossen wäre), während ein Bieter wie die Beigeladene, der in demselben Zeitraum nur mehrere "kleinere" Referenzen nachweisen kann, insgesamt nur die Verwertung von 4.500 to/a belegen müsste.
Das Verständnis des durchschnittlich erfahrenen Bieters von den Referenzanforderungen basiert aber auf der Annahme, dass sich die Vergabestelle vergaberechtskonform verhält (vgl. Lampert in: Burgi/Dreher, Beck´scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl., Rn 80 zu § 122 GWB). Die Bieter dürfen die Vergabeunterlagen daher im Zweifel so verstehen, dass sie den vergaberechtlichen Anforderungen entsprechen. Dies ist letztlich nur dann der Fall, wenn man die Eignungsanforderung so versteht, wie vom Senat dargelegt.
Die Blickweise der Beigeladenen lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass der Antragsgegner in Ziffer III.1.3., letzter Teilstrich die Möglichkeit eröffnet, anstatt unternehmensbezogener Referenzen auch den Nachweis persönlicher oder unternehmensbezogener Fachkunde zu erbringen und auf diese Weise "Newcomern" eine Chance der Bewerbung offeriert (vgl. dazu: Senat, Beschluss vom 1.10.2020 - 11 Verg 9/20 = NZBau 2021, 127 - Rheingau Taunus Kreis). Wenn die Vergabestelle durch den Nachweis persönlicher oder unternehmensbedingter Fachkunde eine anders ausgestaltete und zu bewertende Alternative zur Vorlage von Referenzen offeriert, so bedeutet das nicht, dass sie zugleich ihre Mindestanforderung an die Referenzen abändern will.
Ohne Erfolg verweist die Beigeladene darauf, dass andere Ausschreibungen für Entsorgungsdienstleistungen, die vom Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners formuliert worden seien, ähnliche Formulierungen wie das hier streitgegenständliche Eignungskriterium enthalten (Anlage Bgl 1), denn hieraus lässt sich das Bieterverständnis in Bezug auf das bei zugelassener Summierung von Einzelreferenzen verlangte Mindestvolumen nicht ableiten.
Der Senat kann der Beigeladenen im Ergebnis auch nicht darin folgen, dass die Anforderung an die zu referenzierende Mindesttonnage in ihrem Sinne hätte verstanden werden können, weil der Senat in seinem Eilbeschluss zu der vorläufigen Bewertung gelangt war, der quantitative Mindestumfang der Referenzen dürfte erreicht sein, weil eine Aufsummierung der Tonnage erlaubt werde. Dies ist schon deshalb kein maßgebliches Indiz, weil diese Frage für den Senat bei der Prüfung der Erfolgsaussichten der Beschwerde keine Rolle gespielt hat, es damals vielmehr darauf ankam, welche qualitativen Mindestanforderungen an die Referenzen gestellt waren und weil naturgemäß ein verständiger Bieter, der sichergehen will, dass er mit seinem Betrieb die geforderten fachlichen und technischen Anforderungen erfüllt, auch die quantitativen Mindestanforderungen mit besonderer Sorgfalt zur Kenntnis nimmt.
b. Die Beigeladene hat die gestellten Mindestanforderungen nicht erfüllt, weil sie aus dem relevanten Zeitraum lediglich Referenzen für die Übernahme, den Transport und die Verwertung von 5.700 to/a vorlegen konnte. Dies führt hier aber nicht zu ihrem Ausschluss, sondern vielmehr zu einer Aufhebung des Vergabeverfahrens, weil die "Summierungsmöglichkeit" in Ziffer III.1.3. der Ausschreibungsbedingungen im Ergebnis intransparent aufgestellt worden ist.
Der Antragsgegner hat seinen eigenen Angaben zu Folge angenommen, mit der Wahl einer Aufsummierung von kleineren Referenzen sei eine Herabsetzung des Mindestvolumens von 9.000 to/a auf 4.500 to/a verbunden gewesen, was allerdings in Bezug auf die Zielrichtung dieses quantitativen Mindestkriteriums von ihm nicht begründet wurde und darauf hindeutet, dass sich der Antragsgegner bei Abfassung der Ausschreibung keine näheren Gedanken über die Bedeutung und den Anwendungsbereich der Summierungsoption gemacht hat.
Das Verständnis des Antragsgegners war aus Sicht der Bieter bei der Ermittlung der zu referenzierenden Leistung nicht anzunehmen, da es in Ermangelung des nach § 122 Abs. 4 GWB geforderten Auftragsbezugs und der im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlichen Eignung, die Prognoseentscheidung zu stützen, aus den bereits dargelegten Gründen im Ergebnis zu einer unzulässigen Referenzforderung geführt hätte. Sie hätte keine Rückschlüsse auf die Vergleichbarkeit der Angebote und damit auch auf die Leistungsfähigkeit hinsichtlich der ausgeschriebenen Leistung ermöglicht. Es liegen damit unklare Vergabeunterlagen vor.
c. Nur der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass es aus diesen Gründen auch nicht mehr darauf ankommt, ob die Beigeladene vom Vergabeverfahren auszuschließen war, weil sie keine hinreichenden Referenzen in Bezug auf die ebenfalls zum Auftragsgegenstand gehörende "Verwertung des Bio-Abfalls" vorgelegt hat. Der Senat hat in der Eilentscheidung ausführlich begründet, warum er zu der Auffassung gelangt ist, dass auch die Verwertung des Abfalls zu den Kernelementen der ausgeschriebenen Leistung gehört und damit neben der Übernahme und dem Transport Hauptgegenstand (wesentliche Dienstleistung) des hier im Streit stehenden Vergabeverfahrens ist.
Die Beteiligten haben ausführlich darüber gestritten, ob die Ausschreibung in Bezug auf die Referenzangaben eine operative Eigenleistungspflicht in Bezug auf sämtliche Kernleistungen des Auftrags verlangt hat. Dies scheint in den aktuellen Ausschreibungsunterlagen nicht eindeutig ausgeschlossen zu sein. Der Senat bezweifelt auch, ob sich die Beigeladene einer Eignungsleihe ihrer Nachunternehmerin Y Recycling bedienen darf, sofern nicht sichergestellt ist, dass dieses Unternehmen im Zeitpunkt des Auftragsbeginns überhaupt in der Lage ist, die zwingenden Anforderungen einer "eingehausten Intensivrotte" des Bio-Abfalls zu erfüllen. Auch insoweit stehen sich die unterschiedlichen Sachverhaltsdarstellungen der Beteiligten unvereinbar gegenüber.
d. Das Verfahren ist aus den o.g. Gründen in den Stand vor Bekanntmachung der Ausschreibung zurückzuversetzen. Die Regelung in Ziffer III.3. der Ausschreibungsbedingungen war in Bezug auf die den Bieter angebotene Summierungsoption aus den o.g. Gründen intransparent.
Vor dem Hintergrund der Beschaffungsautonomie des öffentlichen Auftraggebers unterfällt die Definition von Eignungskriterien ausschließlich der Vergabestelle. Der Senat ist nicht berechtigt, der Vergabestelle Eignungskriterien vorzugeben. Er ist allein aufgerufen, gewählte Regelungen zur Eignung - wie hier die Referenzforderung - auf ihre Konformität mit dem Vergaberecht hin zu überprüfen. Ausgehend davon kommt die primär beantragte Zurückversetzung des Verfahrens in den Stand nach Angebotsabgabe - und damit unter Aufrechterhaltung der Regelungen zum Eignungsnachweis mit den damit verbundenen ausführlich geschilderten Problemen - nicht in Betracht.
Ein Ausschluss der Beigeladenen auf Basis intransparenter Vergabeunterlagen ist ebenfalls nicht möglich.
Dem Antragsgegner verbleibt im Rahmen der neuen Ausschreibung die Möglichkeit, durch entsprechende Formulierungen der Vergabeunterlagen und insbesondere der Eignungskriterien die von ihm erstrebte Marktöffnung zu erreichen.
III.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 175 Abs. 2, 71 GWB. Da die sofortige Beschwerde im Ergebnis erfolgreich war, entspricht es billigem Ermessen, die Kosten dem Antragsgegner vollumfänglich aufzuerlegen. Hinsichtlich der - nicht § 71 S. 2 GWB unterfallenden - Kosten der Beigeladenen, die an den sonstigen Verfahrenskosten nicht zu beteiligen ist, entspricht es billigem Ermessen, dass diese von ihr selbst getragen werden. Sie hat die angefochtene Entscheidung erfolglos verteidigt.
Die Kosten des Verfahrens im Sinne von § 71 GWB umfassen dabei sowohl die Gerichtskosten als auch die außergerichtlichen Kosten der Parteien.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.
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VK Bund
Beschluss
vom 19.10.2023
VK 2-78/23
1. Der öffentliche Auftraggeber kann sich in der Aufforderung zur Angebotsabgabe die Anforderung des Formblatts 223 nach Angebotsabgabe vorbehalten. Dass eine Aufgliederung der Einheitspreise ausdrücklich auch in Bezug auf diejenigen Teilleistungen vorzunehmen ist, für deren Ausführung Nachunternehmer vorgesehen sind, macht die Anforderung nicht unverhältnismäßig und damit nicht unwirksam.
2. Wird ein nachgefordertes Formblatt in weiten Teilen nicht ausgefüllt, fehlen die geforderten Angaben bzw. Erklärungen. Ein Fehlen ist auch im Fall von nicht vollständig vorgenommenen Eintragungen gegeben.
3. Die Möglichkeit der Nachforderung besteht nur in Bezug auf Unterlagen, die mit dem Angebot einzureichen sind.
In dem Nachprüfungsverfahren der
[...]
wegen der Vergabe [...],
hat die 2. Vergabekammer des Bundes durch [...] auf die mündliche Verhandlung vom 5. Oktober 2023 am 19. Oktober 2023
beschlossen:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren und Auslagen).
3. Die Antragstellerin hat die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin zu tragen.
4. Die Hinzuziehung anwaltlicher Bevollmächtigter durch die Antragsgegnerin war notwendig.
Gründe:
I.
1. Die Antragsgegnerin (Ag) veröffentliche am [...] die im Rubrum genannte unionsweite Auftragsbekanntmachung für die Durchführung eines nichtoffenen Vergabeverfahrens zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung zur Beschaffung von Leistungen [...] Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis.
In der Aufforderung zu Angebotsabgabe (Ziff. D) war die Vorgabe enthalten, dass die Aufgliederung der Einheitspreise entsprechend Formblatt 223 auf Verlangen der Vergabestelle ausgefüllt vorzulegen ist. Das elektronische Formular für das FB 223 enthielt im pdf-Format 81 Seiten und u.a. eine Fußnote 2, die für die u.a. zu befüllenden Spalten Zeitansatz, Lohn, Material, Geräte und sonstige Kosten Folgendes vorgab:
"Ist bei allen Teilleistungen anzugeben, unabhängig davon ob sie der Auftragnehmer oder ein Nachunternehmer erbringen wird."
Die Ag stellte bei der Prüfung des preisgünstigsten Angebotes der ASt eine erhebliche Abweichung des Angebotspreises von der Schätzung des Angebotspreises in Höhe von [...] bzw. von weiteren eingegangenen Angebote von [...] bzw. [...] fest. Im Hinblick auf die von der Ag zugrunde gelegten internen Richtlinien nach Ziff. 5.3 zu 321 VHB (Vergabehandbuch für die Baumaßnahmen des Bundes) stellte sie Zweifel an der Angemessenheit der Preise fest und entschied, gemäß den Vorgaben dieser internen Richtlinien, von der ASt das Formblatt 223 zur Aufgliederung der Einheitspreise anzufordern.
Mit Schreiben vom 11. Juli 2023 teilte die Ag der Antragstellerin (ASt) daher mit, ihr Angebot komme für den Zuschlag in Betracht und bat die ASt, für ihr Unternehmen und ggf. für von ihr eingesetzte Nachunternehmer oder für Mitglieder einer Bieter-/Arbeitsgemeinschaft spätestens bis einschließlich zum 17. Juli 2023 folgende Unterlagen vorzulegen: - FB 223 - Aufgliederung der Einheitspreise entsprechend FB 223 - FB 236 - Verpflichtungserklärung anderer Unternehmen (EU).
Die Ag wies in dem Schreiben an die ASt darauf hin, dass das Angebot ausgeschlossen werde, wenn die angeforderten Unterlagen "nicht vollständig innerhalb der Frist vorgelegt" würden; es erfolge keine weitere Nachforderung.
Die ASt übermittelte die vorgenannten Unterlagen der Ag fristgemäß. Für das FB 223 verwendete die ASt ein von den Formatvorgaben der von der Ag mit den Vergabeunterlagen zur Verfügung gestellten pdf-Formulars zu einzelnen Passagen abweichendes Formular mit insgesamt 25 Seiten, datierend vom 17. Juli 2023; u.a. enthielt das FB 223 der ASt eine Spalte "Stoffe" (statt wie von der Ag in ihrem Formular an dieser Stelle vorgegeben "Material"). Die ASt machte in diesem Formular im Einzelnen Angaben zu den Ordnungsziffern des Leistungsverzeichnisses. Überwiegend, so auf den Seiten 1 bis 20 zu den Ordnungsziffern 01.01.0010 bis 04.01.0070, füllte die ASt nur die Spalten "Stoffe" und "Angebotener Einheitspreis" aus. Der angebotene Einheitspreis entsprach dort jeweils den Stoffkosten. Entsprechend ausgefüllt waren u.a. die Zeilen zu den LV-Positionen der Kapitel 2.1 (Anschlussarbeiten), 2.4 (Demontage und Entsorgung), 2.6 (Arbeiten an Bestandsanlagen) sowie 3.5 und 3.6, die u.a. Installations- und Nachrüstarbeiten enthielten.
Das Ergebnis der Prüfung des von der ASt eingereichten ausgefüllten FB 223 dokumentierte die Ag in ihrem Vergabevermerk (Stand: 28. August 2023) bzw. dem Vermerk Arbeitshilfe Angebotsprüfung Teil 2, dort Ziff. 2.2 und 2.3 (Stand: 21. August 2023). Die Ag stellte nach Prüfung des von der ASt eingereichten ausgefüllten FB 223 fest, dass die ASt darin keine Angaben zum Zeitansatz sowie zu Lohn-, Material-, Geräte- und sonstigen Kosten für die Nachunternehmerleistungen getätigt habe, weshalb eine Prüfung der Einheitspreise nur für die Arbeiten der ASt selbst, nicht aber für die von ihr beabsichtigten Nachunternehmer möglich sei. Die im FB 223 der ASt gemachten Angaben genügten daher nicht den auftraggeberseitig angeforderten Informationen. Nach interner Befragung des Justitiariats der Ag hielt die Vergabestelle der Ag fest, das von der ASt eingereichte ausgefüllte FB 223 sei unvollständig und daher so zu behandeln, als sei es nicht vorgelegt worden. Bei dem FB 223 handele es sich um eine erst auf Verlangen der Ag vorzulegende Erklärung, woraus letztlich folge, dass das Angebot der ASt wegen Nichtvorlage nach § 16 EU Nr. 4 VOB/A und wegen einer verweigerten Auskunft nach § 15 EU Abs. 2 VOB/A auszuschließen sei.
Mit Schreiben vom 14. August 2023 übermittelte die Ag auch der Bg eine Aufforderung zur Vorlage der Formblätter FB 223 und FB 236 bis zum 21. August 2023. Die Bg übermittelte diese Unterlagen der Ag fristgemäß und vollständig ausgefüllt auch in Bezug auf die Nachunternehmerleistungen. Die Ag hielt hierzu im Vergabevermerk fest, auch der Angebotspreis der Bg weiche von der Schätzung der Ag um [...] ab, weshalb Zweifel an der Angemessenheit des Preises bestünden und gemäß Ziff. 5.3 der Richtlinien zu 321 VHB die Aufgliederung der Einheitspreise gemäß FB 223 auch von der Bg anzufordern gewesen sei. Die Prüfung des von der Bg fristgemäß eingereichten ausgefüllten FB 223 hätten keine Auffälligkeiten ergeben. die auf eine unangemessen niedrige Kalkulation hindeuteten. Weiterhin sei festzustellen, dass die Angebote der drei verbliebenen Bieter nicht mehr als +/- 10% von der mittleren Angebotssumme abwichen, so dass auch dieser Umstand den Rückschluss auf eine ordnungsgemäße Gesamtkalkulation zulasse. Die Bg und die von ihr eingesetzten Nachunternehmer seien zudem geeignet. Im Ergebnis werde empfohlen, der Bg den Zuschlag zu erteilen.
Mit Schreiben vom 4. September 2023 informierte die Ag die ASt über den an den Bieter [...] beabsichtigten Zuschlag. Die Ag teilte ferner mit, das Angebot der ASt werde von der Wertung ausgeschlossen, weil "die nachgeforderte Aufgliederung der Einheitspreise im Formblatt 223 unvollständig ausgefüllt eingereicht wurde und es somit nicht die auftraggeberseitig geforderten Informationen enthielt, die zur Preisprüfung notwendig gewesen wären."
Mit Schreiben vom 6. September 2023 rügte die ASt gegenüber der Ag den Ausschluss ihres Angebotes
"aus folgenden Gründen: Die mit Nachricht vom 11.07.2023 nachgeforderten Unterlagen wurden von [...] am 14.07.2023 fristgerecht und vollständig nachgereicht. Darüber hinaus enthielt die Aufforderung vom 11.07.2023 keinen Hinweis, dass weitere Unterlagen/Informationen für eine Preisprüfung benötigt werden. (...)"
Die Ag half der Rüge der ASt nicht ab und wies sie mit Schreiben vom 13. September 2023 zurück. Die Ag führte darin aus, es sei bei der Prüfung des Angebots der ASt festgestellt worden, dass es erheblich von der Kostenschätzung der Ag und den Preisen anderer Angebote abweiche und daher möglicherweise ein Angebot mit unangemessen niedrigem Preis sei. Da auf ein solches Angebot nach § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 S. 1 VOB/A kein Zuschlag erteilt werden dürfe, sei im Hinblick auf die bei der Ag aufgekommenen Zweifel das ausgefüllter Formblatt 223 anzufordern gewesen. Die Ag sei aufgrund ihrer internen Richtlinien dazu angehalten gewesen. Dies sei vorgeschrieben bei Abweichungen des Angebotspreises in Höhe von zehn Prozent und mehr im Vergleich zur Preisermittlung des Auftraggebers. In einem solchen Fall sei von Zweifeln an der Angemessenheit niedriger Preise auszugehen. Die Ag habe sich dementsprechend in der Aufforderung zur Angebotsabgabe auch die Anforderung des Formblattes 223 vorbehalten, die hinsichtlich der ASt daher auch geboten gewesen und erfolgt sei. Zwar habe die ASt die Aufgliederung fristgemäß eingereicht, bei Prüfung der Vollständigkeit sei aber festzustellen gewesen, dass diese nicht alle geforderten Angaben enthalten habe, was zum Ausschluss des Angebots der ASt geführt habe. Die ASt habe im Formblatt 223 keine Angaben zum geforderten Zeitansatz sowie zu Lohn-, Material- Geräte- und sonstigen Kosten gemacht. Das Angebot der ASt sei ferner nach § 15 EU Abs. 2 VOB/A auszuschließen gewesen, da die ASt binnen der von der Ag zur Nachreichung gesetzten Frist eine nur unvollständige Aufgliederung der Einheitspreise übermittelt habe. Vor diesem Hintergrund scheide eine weitere Nachforderung der fehlenden Angaben aus.
2. Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 20. September 2023, eingegangen bei der Vergabekammer des Bundes und von dieser an die Ag übermittelt an demselben Tag, beantragt die ASt die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.
a) Die ASt hält den Ausschluss ihres Angebots nach § 16 EU Abs. 4 S. 1 VOB/A bzw. § 15 EU Abs. 2 VOB/A für fehlerhaft. Für einen Ausschluss des Angebotes nach § 16 EU Nr. 4 S. 1 VOB/A fehle es an der zentralen Voraussetzung, dass die ASt die hier geforderte Unterlage des FB 223 nicht eingereicht habe. Das FB 223 sei von der ASt gerade eingereicht worden; eine körperlich vorhandene Unterlage könne nicht als fehlend deklariert und nach § 16 EU Nr. 4 S. 1 VOB/A ausgeschlossen werden. Entsprechendes habe die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zur gleichlautenden Vorschrift des § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV bereits entschieden. In jedem Fall sei die Ag vor einem Ausschluss des Angebots aus Gründen der Verhältnismäßigkeit verpflichtet gewesen, die ASt zu einer Vervollständigung aufzufordern. Dies folge aus den Grundsätzen der Rechtsprechung des BGH vom 18. Juni 2019 (X ZR 86/17).
Auch ein Ausschluss nach § 15 EU Abs. 2 VOB/A scheide aus. Die Vorschrift setze ein Aufklärungsverlangen voraus, die der betroffene Bieter unbeantwortet habe verstreichen lassen. Ein solches Aufklärungsverlangen seitens der Ag liege allerdings nicht vor. Das erstmalige Anfordern des FB 223 sei schon begrifflich kein Aufklärungsverlangen im Sinne von § 15 VOB/A-EU.
Auch nach § 16d EU Abs. 1 VOB/A dürfe das Angebot der ASt nicht ausgeschlossen werden. Nach dieser Vorschrift sei eine Aufklärung über die Ermittlung der Preise oder Kosten in Textform bei der ASt geboten gewesen, die aber nicht erfolgt sei. Der öffentliche Auftraggeber dürfe das Angebot nicht ohne eine solche Aufklärung unberücksichtigt lassen. Die Ag habe der ASt aber nicht einmal zu erkennen gegeben, die Angemessenheit des Angebotspreises der ASt prüfen zu wollen und der ASt auch keine Möglichkeit eingeräumt, eine etwaige Unangemessenheit des Angebotspreises zu widerlegen. Die Ag habe das nachgeforderte und nachgereichte Formblatt bereits in vorherigen Ausschreibungen eingereicht, ohne dass dies von der Ag beanstandet worden sei.
Schließlich trägt die ASt vor, die Preise ihrer Nachunternehmer hätten keiner Aufklärung durch die Ag unterliegen dürfen. Insofern seien deren Kosten aus deren Angeboten an den Bieter zu bestimmen. Die Nachunternehmerangebote seien, ohne dass es zum Auftragsfalle komme, für den Auftraggeber aber nur beschränkt aussagekräftig. Es sei daher ausreichend, wenn ein Bieter die in sein Angebot übernommenen Nachunternehmerpreise übernehme, ohne diese aufzuschlüsseln. Er könne im Rahmen der Preisaufklärung zudem nicht verpflichtet werden, die Urkalkulationen der Nachunternehmer offenzulegen. Die von der Ag bemängelten Positionen im FB 223 beträfen aber gerade allesamt Nachunternehmerleistungen. Eine weitere Aufgliederung dieser Nachunternehmerpreise sei gegenüber der Ag weder sinnvoll noch vergaberechtlich geboten gewesen. Die ASt habe zudem nunmehr im Nachprüfungsverfahren als Anlage 6 ein vollständig ausgefülltes FB 223 zur Akte des Nachprüfungsverfahrens eingereicht. Dies sei die Ag zu berücksichtigen verpflichtet, um ihrer Aufklärungspflicht gegenüber der ASt zu genügen. Ohne eine solche Aufklärung dürfe die Ag das Angebot der ASt nicht ausschließen.
Überdies befürchtet die ASt einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da auch die Angebote der anderen Bieter deutlich von der Kostenschätzung der Ag abwichen. Die Ag müsse daher sicherstellen, auch insofern die Angemessenheit der Preise zu prüfen.
Hinsichtlich des nach § 134 GWB den unterlegenen Bietern mitzuteilenden Namens des Zuschlagsdestinatärs sei die Ag dieser Verpflichtung nicht hinreichend nachgekommen. Die Ag habe im Informationsschreiben nach § 134 GWB nur eine ersichtlich unvollständige Firma mitgeteilt.
Des Weiteren führt die ASt im Antragsschriftsatz vom 20. September 2023 (a.a.O., Seite 6) aus, die ASt habe das von ihr eingereichte Formblatt zur Aufgliederung der Einheitspreise in gleicher Weise bereits in vorherigen Ausschreibungen eingereicht, ohne dass die Ag dies beanstandet bzw. dies zu einem Ausschluss ihres Angebotes geführt gehabt habe. Sie hat hierauf in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen und ist der Ansicht, die Ag habe diesen Aspekt, da sie nicht widersprochen habe, zugestanden. Die ASt beteilige sich regelmäßig an Vergabeverfahren der Ag. Der ASt sei bekannt, dass die Ag das Formblatt 223 regelmäßig von allen Bietern abfordere, das die ASt sodann regelmäßig in einer wie auch in diesem Vergabeverfahren übermittelten ausgefüllten Fassung eingereicht habe, ohne dass die Ag daran Anstoß genommen und das Angebot der ASt ausgeschlossen habe. Bei Bedarf habe die Ag entsprechend bei der ASt nachgefragt bzw. entsprechende Vervollständigungen zu Aufgliederungen der Nachunternehmerleistungen verlangt.
Die ASt beantragt,
1. ein Nachprüfungsverfahren nach §§ 160 ff. GWB über die im Rubrum aufgeführte Ausschreibung der Ag einzuleiten und der Ag diesen Nachprüfungsantrag gemäß § 163 Abs. 2 S. 3 GWB zu übermitteln,
2. der Ag aufzugeben, das Angebot der ASt wieder in die Wertung aufzunehmen und über die Vergabe erneut zu entscheiden,
3. der ASt gemäß § 165 GWB Einsicht in die Vergabeakten zu gewähren,
4. der Ag die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der ASt aufzuerlegen, und
5. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten durch die ASt für notwendig zu erklären.
b) Die Ag beantragt,
1. den Nachprüfungsantrag mit allen Einzelanträgen abzuweisen,
2. der ASt die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen,
3. die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch die Ag für notwendig zu erklären.
Die Ag ist der Ansicht, das Angebot der ASt sei zu Recht nach § 16 EU Nr. 4 S. 1 VOB/A und § 15 EU Abs. 2 VOB/A auszuschließen. Die ASt habe das von der Ag zu Recht angeforderte FB 223 nicht innerhalb der von der Ag gesetzten Frist vollständig eingereicht. Die ASt habe für den überwiegenden Teil der Positionen des Leistungsverzeichnisses keine Aufgliederung von Einheitspreisen vorgenommen, sondern den Einheitspreis mit den Material- bzw. Stoffkosten gleichgesetzt. Jedenfalls bei den Positionen, die eindeutig zu erbringende Arbeiten wie Installationen oder Demontagen beträfen, fehle eine solche Aufgliederung im von der ASt eingereichten ausgefüllten FB 223, da bei den entsprechenden Positionen notwendigerweise Lohnkosten anfielen, die aber nicht aufgegliedert worden seien. Das FB 223 der ASt sei somit nicht nur unvollständig, sondern damit nicht eingereicht worden.
Das FB 223 sei bei der ASt rechtmäßig angefordert worden. Die Ag habe sich die Anforderung in der Angebotsaufforderung ausdrücklich vorbehalten gehabt. Hintergrund der Anforderung seien erhebliche Abweichungen des Angebotspreises der ASt vom Schätzwert der Ag bzw. von den übrigen Angeboten gewesen, die nach den Richtlinien der Ag eine Preisaufklärung nach sich gezogen habe, wonach die Aufgliederung der Einheitspreise anzufordern gewesen sei, was danach auch bei der ASt erfolgt sei. Die im Hinblick auf § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A anerkannten und in den Verwaltungsrichtlinien der Ag zugrunde gelegten Aufgreifschwellen von mindestens 10% Abstand zwischen dem hier betroffenen Angebot der ASt und der Schätzung der Ag bzw. den anderen Angebotspreisen sei erreicht gewesen.
Die Vorlage der aufgegliederten Einheitspreise sei der ASt auch zuzumuten gewesen. Dies gelte unabhängig davon, ob die ASt entsprechende LV-Positionen selbst oder durch Nachunternehmer ausführen lassen wolle. Die ASt habe sich bereits nicht darauf berufen, dass ihr Angaben für ihre Nachunternehmer unmöglich bzw. nicht zumutbar seien. Überdies sei die entsprechende Maßgabe bereits mit den Vergabeunterlagen, nämlich im damit zur Verfügung gestellten Formular 223, dort in der Fußnote 2, klar und unmissverständlich vorgegeben worden. Diese Maßgabe habe die ASt rügelos akzeptiert. Die Ag habe der ASt zudem eine angemessene Frist zur Einreichung des ausgefüllten FB 223 gegeben; die mit Schreiben der Ag vom 11. Juli 2023 der ASt bis zum 17. Juli 2023 gesetzte Frist habe die ASt mit ihrer Antwort vom 14. Juli 2023 sogar noch unterschritten.
Soweit die ASt meine, die Ag hätte das FB 223 nur mit einem expliziten Hinweis auf die anstehende Angemessenheitsprüfung des Preises der ASt verknüpft anfordern dürfen, gehe die ASt fehl. § 16 EU Nr. 4 S. 1 VOB/A setze nicht voraus, dass der Auftraggeber darlege, warum eine Unterlage angefordert werde. Bei dem FB 223 zur Aufgliederung der Einheitspreise sei einem fachkundigen Unternehmen wie der ASt überdies ohnehin klar, dass sich die über die Zusammensetzung der Einheitspreise nach den im entsprechenden Formblatt genannten Kategorien informieren wolle, mithin über die Preisbestandteile der Einheitspreise. Das FB 223 solle eine Prüfung ermöglichen, die über die mit dem Angebot eingereichten FB 221 bzw. 222 hinausgingen. Die ASt habe aus dem übermittelten Submissionsspiegel außerdem gewusst, bestplatziert zu sein und die deutlichen Abstände zwischen den eingegangenen Angeboten erkennen können. Als erfahrener Bieterin habe ihr somit klar sein müssen, dass die Ag zu einer Prüfung der Angemessenheit der Preise gehalten sei.
Eine nochmalige Nachforderung gegenüber der ASt komme nicht in Betracht. Die Ag habe sich im Anforderungsschreiben bereits klar positioniert und eine weitere Nachforderung bei Unvollständigkeit ausgeschlossen. Soweit die ASt meine, die Ag habe entgegen § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 S. 1 VOB/A die Angemessenheitsprüfung nicht in Rücksprache mit dem Bieter durchgeführt, gehe sie fehl. Die Maßgabe bezwecke jedenfalls nicht, eine unvollständige Aufklärungsantwort eines Bieters auf ein insofern zuvor eindeutig gestelltes Aufklärungsverlangen durch weitere Nachforderungen zu vervollständigen. Dadurch solle nur ermöglicht werden, dass der Auftraggeber die Plausibilität einer vollständigen Preisaufklärung ggf. gemeinsam mit dem Bieter aufzuklären habe. Die ASt habe hier allerdings das von ihr eingereichte FB 223 unvollständig ausgefüllt, weil sie für weite Bereiche gar keine Aufgliederung der benannten Einheitspreise in die verschiedenen Kategorien angegeben habe. Dies betreffe insbesondere die Bereiche, in denen notwendigerweise Lohnkosten anfielen, zu denen die ASt in weiten Teilen nur Material- bzw. Stoffkosten eingetragen habe.
Nach allem komme der Ausschluss auch nach § 15 EU Abs. 2 VOB/A in Betracht, da das von der ASt eingereichte unvollständig ausgefüllte FB 223 zugleich eine Verweigerung der Aufklärung sei. Die Angaben seien für die erforderliche Prüfung der Angemessenheit des Preises der ASt nicht verwertbar.
Der Zuschlag dürfe an die ASt zudem auch gem. § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A nicht ergehen. Der Preis erscheine unangemessen niedrig, ohne dass dies aber zufriedenstellend nach § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A habe aufgeklärt werden können.
Soweit die ASt bemängelt habe, die Ag habe im Vorabinformationsschreiben nach § 134 GWB die Firma der Bg nicht korrekt benannt, habe die ASt diesen Umstand zu spät gerügt. Die ASt habe bereits in ihrem Rügeschreiben vom 6. September 2023 die Bg, wenn auch unvollständig, benannt, ohne aber die Unvollständigkeit zu beanstanden. Die Unvollständigkeit der Angabe im Absageschreiben der Ag sei der ASt somit bekannt gewesen; sie habe davor mutwillig die Augen verschlossen. Überdies habe die ASt einen Nachprüfungsantrag stellen können und sei durch die unvollständige Benennung der Bg nicht in ihrem Recht auf primären Vergaberechtsschutz beschnitten worden. Daher könne ihrem Antrag insofern auch in der Sache kein Erfolg beschieden sein.
Soweit die ASt sich darauf berufe, die Ag habe eine Verwaltungspraxis zugestanden, wonach die Ag bereits in vergangenen Vergabeverfahren das Formblatt zur Aufgliederung der Einheitspreise in einer Weise akzeptiert, hat die Ag in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, der Vortrag der ASt sei insofern wegen Verstoßes gegen den Beschleunigungsgrundsatz unbeachtlich. Die im Nachprüfungsantrag enthaltene Äußerung der ASt, die ASt habe schon in anderen Vergabeverfahren das nachgereichte Formblatt 223 in selbiger Weise wie im verfahrensgegenständlichen Vergabeverfahren eingereicht, habe die Ag dahin verstanden, dass die ASt die von ihr selbst erstellte Fassung des Formblattes schon immer bei entsprechenden Einreichungen verwendet habe. Dass die ASt damit auf eine entsprechende Verwaltungspraxis der Ag habe rekurrieren wollen, wonach angeblich nicht vollständig ausgefüllte Formblätter 223 nicht zum Angebotsausschluss führten, gehe aus dem Nachprüfungsantrag nicht hervor. Auch habe die ASt diesen Vortrag nicht substantiiert.
Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Ag sei erforderlich. Die Ag unterhalte zwar ein Justitiariat, allerdings sei es ihr zuzubilligen, sich in einem gerichtsförmlichen Nachprüfungsverfahren anwaltlich vertreten zu lassen, hier insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit mit der anwaltlich vertretenen ASt.
3. Die Vergabekammer hat der ASt nach Anhörung der Ag Einsicht in die Vergabeakte erteilt, soweit Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nach Abs. 165 Abs. 2 GWB nicht betroffen waren. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Vergabeakte, soweit sie der Vergabekammer in elektronischer Form vorgelegen hat, sowie auf die Verfahrensakte der Vergabekammer wird verwiesen.
Die mündliche Verhandlung hat am 5. Oktober 2023 stattgefunden.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.
1. Die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags begegnet keinen Bedenken. Die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen nach §§ 155, 106 Abs. 1 GWB, ein der Bundesrepublik Deutschland zuzurechnender öffentlicher Auftrag mit einem oberhalb der für die europaweite Vergabe angesiedelten Auftragsschwellenwert, sind eindeutig erfüllt und bedürfen vor diesem Hintergrund keiner näheren Darlegung. Die Antragsbefugnis, § 160 Abs. 2 GWB, ist in Bezug auf die ASt als Teilnehmerin am Wettbewerb ebenfalls erfüllt. Ihren Ausschluss, der am 4. September 2023 kommuniziert wurde, hat die ASt am 6. September 2023 und damit binnen der Frist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB gerügt, so dass das Nachprüfungsverfahren auch unter dem Gesichtspunkt der Erfüllung der Rügeobliegenheit eröffnet ist.
2. Das Angebot der ASt ist jedoch zu Recht nach § 16 EU Nr. 4 VOB/A ausgeschlossen worden, so dass der Nachprüfungsantrag unbegründet ist.
a) Die Ag hat sich in der Aufforderung zur Angebotsabgabe die Anforderung des Formblatts 223 nach Angebotsabgabe vorbehalten.
Dieser Vorbehalt ist wirksam. Dass laut Fußnote 2 des Formblatts eine Aufgliederung der Einheitspreise ausdrücklich auch in Bezug auf diejenigen Teilleistungen vorzunehmen ist, für deren Ausführung Nachunternehmer vorgesehen sind, macht die Anforderung nicht etwa unverhältnismäßig und damit möglicherweise unwirksam. Zwar ist es mit Aufwand für Bieter wie Nachunternehmer verbunden, die Einheitspreise des Angebots aufschlüsseln zu müssen; denkbar sind Fälle, in denen ein Bieter bei seinen Nachunternehmern aufgrund des Aufwands auf Schwierigkeiten stoßen könnte, eine entsprechende Zuarbeit zu erhalten. Der Bieter muss jedoch auch vergaberechtlich dem Auftraggeber gegenüber für seinen Nachunternehmer einstehen, denn nur der Bieter selbst befindet sich in einem Vertragsanbahnungsverhältnis zum Auftraggeber, nicht der Nachunternehmer. Wenn ein Bieter Nachunternehmer in die Auftragsausführung einzubinden beabsichtigt, so hat der Auftraggeber mangels einer direkten Beziehung zum Nachunternehmer keine Möglichkeit, bei diesem eine Preisaufklärung über das Formblatt 223 für dessen Teilleistungen einzufordern; die Nachunternehmerleistung ist vielmehr der Sphäre des Bieters zuzurechnen. Es ist auch davon auszugehen, dass der Nachunternehmer seinerseits ein wirtschaftliches Interesse hat, die Zuarbeit zu leisten, da der Erhalt des Nachunternehmerauftrags von der Zuschlagserteilung an den Bieter abhängig ist. Wird das Angebot wegen unvollständiger Ausfüllung des Formblatts 223 ausgeschlossen, so geht auch der Nachunternehmer leer aus. Den mit der Ausfüllung des Formblatts 223 verbundenen Aufwand hält die Ag so gering wie möglich, indem lediglich der für den Zuschlag vorgesehene Bieter die Aufschlüsselung der Einheitspreise auf konkrete Anforderung beizubringen hat; genau so ist sie hier vorgegangen, eine standardmäßige Abforderung dieses Formblatts schon mit Angebotsabgabe ist gerade nicht gefordert. Ganz abgesehen davon, dass die ASt keine Probleme mit einer fristgerechten Erlangung der Angaben durch die Nachunternehmer geltend gemacht hat, weder der Ag gegenüber im Vergabeverfahren noch im Nachprüfungsverfahren, ist die im Formblatt 223 geforderte Einheitspreisaufschlüsselung auch bezüglich Nachunternehmerleistungen wirksam (zur Zumutbarkeit einer Preisaufschlüsselung im Formblatt 223 auch bezüglich Nachunternehmerleistungen OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Mai 2021 - Verg 13/21).
b) Die Anforderung bei der ASt war nicht willkürlich, sondern erfolgte ebenfalls zulässigerweise. Da die ASt das Angebot mit dem niedrigsten Preis abgegeben hatte und dieser sowohl deutlich unter der Auftragswertschätzung der Ag lag als auch unter dem nachfolgenden Angebot, ist die Ag zu Recht davon ausgegangen, dass eine Preisprüfung nach § 16d EU Abs. 1 VOB/A erforderlich ist. Dieser rechtlichen Verpflichtung ist die Ag nachgekommen, indem sie von der ASt als Bestbieterin das Formblatt 223 anforderte, um die nötigen Daten für die materielle Preisprüfung zu erhalten. Die Ausübung der in der Aufforderung zur Angebotsabgabe vorbehaltenen Anforderung des Formblatts 223 war damit sachlich indiziert bzw. notwendig, die Frist war angemessen und seitens der ASt unbeanstandet.
Die Anforderung wurde nicht etwa deswegen unwirksam oder in anderer Weise unbeachtlich für die ASt, weil die Ag im Rahmen der Anforderung das Stichwort "Preisprüfung" nicht explizit als Motivation für die Anforderung erwähnt hat. Fraglich ist schon im Ansatz, ob es rechtlich gefordert ist, einen Grund anzuführen, wenn ein Auftraggeber Angaben anfordert, deren Anforderung er sich in der Angebotsaufforderung vorbehalten hatte. Aus fachkundiger Bietersicht, und die ASt als erfahrene Teilnehmerin an Vergabeverfahren prägt diesen relevanten Horizont mit, war hier auch ohne Nennung des Begriffs Preisprüfung deutlich, dass das Anfordern des Formblattes 223 zu diesem Zweck erfolgte. Die Ag hatte im Anforderungsschreiben angeführt, dass das Angebot der ASt für den Zuschlag in Betracht käme; daraus ergibt sich, dass die Ag vor Zuschlagserteilung noch eine preisliche Prüfung anhand der Preisaufschlüsselung im Formblatt 223 vorzunehmen beabsichtigte.
c) Unstreitig ist, dass die ASt das Formblatt 223 zwar fristgemäß, jedoch in weiten Teilen unausgefüllt eingereicht hat. Die Formularspalten "Zeitansatz/Stunden, Löhne, Geräte, Sonstiges" wurden nicht ausgefüllt, soweit die ASt eine Leistungserbringung mit Nachunternehmern vorgesehen hat. Das Formblatt 223 fordert aber in seiner Fußnote 2 ausdrücklich, dass die Angaben auch in Bezug auf Teilleistungen vorzunehmen sind, die durch Nachunternehmer erbracht werden sollen. Von den insgesamt 25 eingereichten Seiten wurden ca. 20,5 Seiten diesbezüglich nicht ausgefüllt. Das eingereichte Formular ist mithin in weiten Teilen unvollständig.
Infolge der Nicht-Eintragung der geforderten Angaben bzw. Erklärungen fehlen diese i.S.v. § 16 EU Nr. 4 S. 1 VOB/A, denn ein Fehlen ist nicht nur dann gegeben, wenn ein gefordertes Dokument, hier das Formblatt 223, in Gänze nicht eingereicht wird, sondern auch im Falle von nicht vollständig vorgenommenen Eintragungen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Mai 2021, a.a.O.). Nicht das gesamte Formblatt 223 ist die abzugebende Erklärung, sondern dieses besteht aus einer Vielzahl einzutragender Einzelerklärungen. Soweit die ASt auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 18. September 2019 zum Aktenzeichen Verg 10/19 Bezug nimmt und daraus ableitet, lediglich unvollständige Erklärungen fielen nicht unter den Ausschlusstatbestand des § 16 Nr. 4 S. 1 S. 1 VOB/A, so ist der dortige Sachverhalt ein anderer als vorliegend. In der Entscheidung vom 18. September 2019 ging es anders als vorliegend nicht um ein auszufüllendes Formular, sondern um eine Darlegung in Form eines Fließtextes, in welchen der betroffene Bieter auf einen Gebäudereinigungsauftrag darzulegen hatte, mit welchen besonderen Methoden der Durchführung der Reinigungsdienstleistung Einsparpotentiale generiert werden sollten. Thema dieser Entscheidung war nicht eine unvollständige, sondern eine vollständige, inhaltlich aber - vermeintlich - unzureichende Erklärung. Die Entscheidung beinhaltet keine Aussage dahin, dass ein unvollständig ausgefülltes Formblatt 223 nicht unter den Ausschlusstatbestand des § 16 EU Nr. 4 S. 1 VOB/A fällt.
Aufgrund des Umfangs der fehlenden Einzelangaben gibt es vorliegend keinen Anlass, darüber zu entscheiden, ob eine geringfügige Auslassung möglicherweise dazu führen könnte, von einem Angebotsausschluss absehen zu können. Eine solche Fallgestaltung liegt nicht vor.
d) Eine Nachforderung der unterbliebenen Angaben kommt nicht in Betracht. Die Nachforderungsmöglichkeit ist nur eröffnet in Bezug auf Unterlagen, die mit dem Angebot einzureichen sind, denn im Rahmen der Angebotserstellung stehen die Bieterunternehmen regelmäßig unter hohem Zeitdruck, so dass typischerweise versäumt werden kann, alle geforderten Unterlagen und Erklärungen mit dem Angebot einzureichen. Eine Situation erhöhten Zeitdrucks besteht indes nicht mehr, wenn der Auftraggeber erst nach Angebotsabgabe Erklärungen anfordert (grundlegend OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Februar 2016 - Verg 37/14). Dieser Rechtsgedanke hat Eingang gefunden in die vergaberechtlichen Vorschriften, hier in § 16 EU Nr. 4 S. 1 VOB/A, wonach es keine Nachforderung gibt, wenn die Erklärungen erst auf gesondertes Anfordern nach Angebotsabgabe einzureichen sind. Ebenso wenig kommt eine Aufklärung nach § 15 EU Abs. 3 VOB/A in Betracht, denn um den Fehler zu heilen, müsste das Formblatt 223 ergänzt werden um die fehlenden Preisangaben. Eine Vervollständigung einer unvollständigen Preisaufschlüsselung geht über eine bloße Aufklärung hinaus.
3. Neben § 16 EU Nr. 4 S. 1 VOB/A ist der Ausschluss des Angebots der ASt auch nach § 15 EU Abs. 2 VOB/A erforderlich, wonach ein Angebot u.a. dann auszuschließen ist, wenn ein Bieter geforderte Angaben nicht binnen der hierfür gesetzten angemessenen Frist erteilt. Aus obigen Darlegungen (sub II.2.) ergibt sich zwanglos, dass diese Voraussetzungen ebenfalls erfüllt sind, so dass zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese Ausführungen zu verweisen ist (zu § 15 EU Abs. 2 VOB/A ebenso OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Mai 2021, a.a.O.).
4. Dem Ausschluss des Angebots der ASt stehen keine Vertrauensschutzgesichtspunkte infolge einer etwaigen anderen Verwaltungspraxis in der Vergangenheit entgegen. Das Vorhandensein einer derartigen bisherigen Praxis der Ag hat die ASt nicht dargelegt. Die ASt hat hierzu lediglich pauschal und ohne hieraus rechtliche Folgen zu benennen in ihrem Nachprüfungsantrag vorgetragen, dass das nachgereichte Formblatt "in selbiger Weise in vorherigen Ausschreibungen eingereicht" worden sei, ohne dass dies jemals von der Ag beanstandet worden sei, geschweige denn zu einem Ausschluss des Angebots der ASt geführt habe. Auf diesen Passus hat die ASt sich in der mündlichen Verhandlung berufen und sinngemäß geltend gemacht, dass daher auch im vorliegenden Vergabeverfahren kein Ausschluss vorgenommen werden dürfe.
Hier stellt sich abgesehen von der Frage nach der materiellen Berechtigung dieses Vortrags das formelle Problem, dass die Ag ihr beabsichtigtes Vorgehen in Fällen, in denen auf Anforderung nach Angebotsabgabe Unterlagen nicht fristgerecht eingereicht werden, der ASt gegenüber schon bei Anforderung des Formblattes 223 unmissverständlich transparent gemacht hatte. Die Ag wies nämlich in dem Schreiben an die ASt vom 11. Juli 2023, mit dem das Formblatt 223 angefordert wurde, darauf hin, dass das Angebot ausgeschlossen werde, wenn die angeforderten Unterlagen "nicht vollständig innerhalb der Frist vorgelegt" würden; es werde keine Nachforderung erfolgen. Auch wenn man zugunsten der ASt unterstellt, dass hier mangels Beschwer der ASt zu diesem Zeitpunkt - sie hatte noch kein unvollständiges Formblatt 223 eingereicht, ihr Angebot war noch nicht ausgeschlossen worden - noch keine Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 S. 1 GWB bestand, so hätte die ASt den ihres Erachtens gegebenen Aspekt einer entgegenstehenden Verwaltungspraxis in der Vergangenheit in der gegen ihren Angebotsausschluss gerichteten Rüge adressieren müssen. Da dies nicht geschehen ist, kam die Ag weder auf die Idee noch musste sie auf die Idee kommen, dass die ASt sich auf eine entgegenstehende Praxis berufen könnte, und war damit auch nicht in der Lage, sich in Aufarbeitung der Rüge mit diesem Punkt auseinanderzusetzen.
Der Vortrag der ASt ist zudem nicht substantiiert. Wenn - was schon im Ansatz problematisch wäre - ein Angebot, das nach den vergaberechtlichen Vorschriften zwingend ausgeschlossen werden muss, aus Gründen des Vertrauensschutzes doch in der Wertung verbleiben soll, so könnte es sich nur um einen ganz besonderen Ausnahmefall handeln. Wenn die ASt meint, dem Ausschluss stehe hier eine bisherige andere Verwaltungspraxis entgegen, so wäre die Benennung und Darlegung konkreter Vergabeverfahren erforderlich gewesen, in denen bei einer gleichgelagerten Konstellation kein Ausschluss vorgenommen wurde. Der Vergabekammer sind Grenzen bezüglich der Überprüfbarkeit von anderen, abgeschlossenen und in der Vergangenheit liegenden Vergabeverfahren gesetzt. Konkrete Vergabeverfahren hat die ASt aber auch in der mündlichen Verhandlung nicht benannt. Eine telefonische Rückfrage des Verfahrensbevollmächtigten der Ag in einer Verhandlungspause im Justitiariat der Ag erbrachte jedenfalls spontan keine Erkenntnis dahin, dass es eine solche abweichende Verwaltungspraxis gegeben hätte.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 1, 2 und 5 sowie Abs. 4 S. 1, 3 und 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 S. 2 VwVfG (Bund). Danach hat die ASt als unterliegende Partei die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren und Auslagen) zu tragen. Gleiches gilt für die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Ag. Die Bg ist nicht als mit der Ag obsiegende Partei anzusehen, denn sie hat sich nicht am Nachprüfungsverfahren beteiligt und damit auch kein Kostenrisiko auf sich genommen. Folglich hat sie ihre Aufwendungen selbst zu tragen.
Die Hinzuziehung des anwaltlichen Bevollmächtigten durch die Ag war notwendig. Zwar ging es inhaltlich lediglich um eine nicht besonders schwierige oder komplexe materielle Rechtsfrage, der Ausschlussbedürftigkeit des Angebots der ASt infolge unvollständiger Angaben im nach Angebotsabgabe angeforderten Formblatt 223. Mit dieser Rechtsfrage musste die Ag schon im Vergabeverfahren umgehen. Es ergaben sich jedoch ungewöhnliche verfahrensrechtliche Fragestellungen, indem die ASt in der mündlichen Verhandlung überraschend den Vertrauensschutzaspekt angeführt hat. Hierauf war durch die Ag spontan prozessual zu reagieren, indem verspätetes Vorbringen geltend gemacht wurde. Angesichts dieser prozessualen Besonderheit, die für die Notwendigkeit der Anwaltshinzuziehung spricht, gibt die prozessuale Waffengleichheit den letztendlichen Ausschlag, denn auch die ASt war im Nachprüfungsverfahren anwaltlich vertreten.
IV.
(...)
Keine Änderung der Vergabeunterlagen bei unklarer Ausschreibung!
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VK Westfalen
Beschluss
vom 15.08.2023
VK 3-18/23
1. Es ist - sowohl nach § 53 Abs. 7 VgV als auch nach § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A 2019 - unzulässig, Änderungen an den Vergabeunterlagen vorzunehmen. Sofern mit einem Angebot Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen werden, ist es nach § 57 Abs. 1 Nr. 7 VgV respektive § 16 EU Nr. 2 VOB/A 2019 zwingend auszuschließen.*)
2. Ein Angebotsausschluss wegen Änderungen der Vergabeunterlagen kommt nur in Betracht, wenn die Vergabeunterlagen klar und eindeutig sind. Unklarheiten gehen dabei immer zu Lasten des Auftraggebers.*)
3. In diesem Sinne nicht mehr eindeutig sind Vergabeunterlagen dann, wenn auch nach Auslegungsbemühungen durch fachkundigen Unternehmen mehrere Auslegungsmöglichkeiten verbleiben.*)
Tenor:
1. Dem Nachprüfungsantrag wird stattgegeben. Bei fortbestehender Beschaffungsabsicht hat die Antragsgegnerin das Vergabeverfahren in den Stand vor der Versendung der Vergabeunterlagen zurück zu versetzen und die Vergabeunterlagen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu überarbeiten.
2. Die Kosten des Verfahrens werden auf ### Euro festgesetzt.
3. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
4. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Verfahrensgebühr sowie die notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung als Gesamtschuldner.
Gründe
I.
Mit Auftragsbekanntmachung vom 19.12.2022 schrieb die Antragsgegnerin im Supplement zum Amtsblatt der europäischen Union unter der Nr. 2022/S 244-703699 Baulogistikleistungen für den statischen Umbau, die Ertüchtigung sowie die Sanierung und Revitalisierung eines Bestandsgebäudes in ihrem Stadtgebiet aus. Dafür sollte ein "Baulogistiker mit der Gesamtkoordination der Transporte und Bündelung der eingeschränkten Baustelleneinrichtungsflächen über den Gesamtzeitraum (03/23 bis 10/26)" beauftragt werden. Ziel der streitgegenständlichen Beschaffung ist durch
"eine übergeordnete Koordination aller Baustellenbewegungen soll ein gleichmäßiger und durchgängiger Ablauf auf der Baustelle erreicht werden, der alle am Bauvorhaben beteiligten Unternehmen bei ihren Aufgaben logistisch unterstützt, die Kapazitäten der Baustelleneinrichtung nicht überfordert und Belastungen für Anlieger und Öffentlichkeit reduziert."
Der Auftrag umfasst ausweislich der Auftragsbekanntmachung folgende Leistungen:
- phasenbezogene Personalleistungen Baulogistik
- Sicherheitskonzept: Baustellenabsicherung | Zugangskontrolle
- Mobile Baustellenüberwachung / Sicherheitstechnik
- Versorgungslogistik | Avisierung | Transport und Verbringungen
- Lieferverkehrssteuerung, Avisierung
- Transportmanagement und Verbringung
- Flächenmanagement
- Entsorgungslogistik
- Baustelleneinrichtung (u.a. Stellung Krane, Bauaufzug, Containeranlage)
- Winterdienst und Reinigung
- Medienversorgung
- Verkehrssicherung und Steuerung
- Sicherungsmaßnahmen
Die verschiedenen Leistungsbestandteile waren in Leistungsblöcke aufgeteilt, die wiederum aus einzelnen Leistungsbestandteilen bestehen. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis. Die Antragsgegnerin hat von der Aufstellung von Mindestanforderungen - auch im Hinblick auf die Anzahl des einzusetzenden Personals - abgesehen. Im Vergabevermerk des von der Antragsgegnerin beauftragten Bauberatungsbüros heißt es hierzu auf Seite 16:
"Im Rahmen der Ausschreibung de Personalleistungen wurde keine festgelegte Personalstärke je Personalpaket definiert, sondern der zu erbringende Leistungsumfang beschrieben. Die Leitbeschreibungen zu den zuvor genannten Personalpaketen des Leistungsverzeichnisses definieren Art und Umfang der zu erbringenden Leistungen (je Personalpaket). Über die zugehörigen Personalpositionen wurde der Zeitraum benannt, in dem die Leistung durch das Personal des Bieters zu erbringen ist.
Mit der Wahl der funktionalen Ausschreibung soll hier erreicht werden, dass die Bieter eigenständig einen der beschriebenen Leistung angemessenen Personaleinsatz (je Personalpaket) erarbeiten und der Kalkulation zu Grunde legen. Zusätzlich zur Bepreisung der einzelnen Positionen wurde von den Bietern ein Personalkonzept abgefragt."
Bieter, die ein Angebot einreichen wollten, mussten unter anderem ein ausgefülltes Leistungsverzeichnis sowie ein Personalkonzept einreichen. Das Leistungsverzeichnis enthält zunächst eine allgemeine Beschreibung des Auftrages, die etwa die Baubeschreibung, eine Zusammenfassung der auszuführenden Leistungen sowie eine Beschreibung der Lage der Baustelle, vorhandene öffentliche Verkehrswege, Zugänge und Zufahrten sowie Anschlussmöglichkeiten an Ver- und Entsorgungseinrichtungen enthält. Hierzu wurden den Bietern auch eine Baustellenkarte zur Verfügung gestellt, die drei Baustellenzufahrten aufweist. Darüber hinaus wurden den Bietern auch ein Baulogistikhandbuch zur Verfügung gestellt. Dort heißt es auf Seite 17:
"Die Leistungszeiten der Baulogistik auf der Baustelle sind, mit jeweils einem 15-minütigen Vor- und Nachlauf, wie folgt definiert:
- montags bis freitags von 06:45 - 17:15
- samstags nur nach Aufforderung des AG"
Innerhalb des Leistungsverzeichnisses mussten die Bieter jeweils einen Einheitspreis in Euro für eine bezeichnete Menge (seien es Monate, Tage oder Stunden) sowie den Gesamtbetrag angeben. Die Antragsgegnerin selbst versah im Rahmen ihrer Kostenschätzung das Leistungsverzeichnis mit entsprechenden Preisen.
Unter Ziffer 2.3.3. mussten die Bieter Preise zur Baulogistikleistung B angeben. Das Leistungsverzeichnis gestaltet sich dabei wie folgt:
(hier aus technischen Gründen nicht abgedruckt)
Zu diesen Leistungspositionen enthält der Vergabevermerk folgende Erläuterungen:
"Im Rahmen der LV-Erstellung wurde durch [das beauftragte Planungsbüro] unter Berücksichtigung des Leistungsumfangs (je Personalpaket) nachstehende Mannstärke den Schätzkosten zu Grund gelegt:
...
2.2.3. Baulogistikleistungen B (03/25 bis 10/26 = 20 Monate) = 3 MA - Personal übergeordnete Baulogistikleistung (Position 2.2.3.10.) - Vergütung für Leistungen außerhalb der Arbeitszeit (Zulage)"
Und weiter heißt es in dem Vergabevermerk:
"Aufgrund der Dezentralität der angeordneten BE-Bereiche im öffentlichen Raum und dem vorgegebenen Leistungsumfängen je nach Personalpaket wird ersichtlich, dass vor allem das beschriebene Leistungsbild der Baulogistikleistung B nicht mit einer Mannstärke = 1 abzuwickeln ist."
Sodann erfolgt im Vergabevermerk eine Abbildung, die den geplanten Baustellenbereich einschließlich drei Zufahrten zum Gegenstand hat.
Dazu heißt es:
"In der Planunterlage werden drei Angriffs- bzw. Versorgungspunkte zur Abwicklung der Leistung "HdW" aufgezeigt. Diese sind in den Straßen ###-Platz, ###-Straße und ###-Straße im öffentlichen Raum angrenzend an die Maßnahme verortet.
Die geplanten Entladezogen befinden sich in den BE-Bereichen ###-Platz und ###-Straße.
Ein Einsatz von nur einer Person im Rahmen der Leistungserbringung "Baulogistikleistung B" würde entsprechend die Parallelität der Andienung der Entladezonen und der anschließenden Materialverbringung in Baufeld hinein verhindern.
Um einen gleichmäßigen und durchgängigen Ablauf auf der Baustelle zu erreichen, muss zur Erbringung des geforderten Leistungsumfangs der "Baulogistikleistung B" die Mannstärke zwingend >1 sein.
Durch den Bieter ist hierbei ein für ihn angemessener Personaleinsatz zu erarbeiten und der Kalkulation zu Grunde zu legen. Um die Erbringung des beschriebenen Leistungsumfangs durch eine plausible Mannstärke sicherzustellen wurde von den Bietern zusätzlich ein Personalkonzept abgefragt."
Die Auswertung der Angebote ergab, dass zwei Bieter, darunter die Antragstellerin, für die "Baulogistikleistung B" eine Mannstärke von einem Mitarbeiter vorsah, während die beiden anderen noch wertbaren Angebote mehr als eine Mannstärke von einem Mitarbeiter kalkulierten. Die Antragsgegnerin prüfte die angegebenen Kosten unter Position 2.2.3. So hatte die Antragstellerin für die im Leistungsverzeichnis benannten achtzehn Monate einen Einheitspreis angeboten, der nur die Kosten einer Mannstärke von einem Mitarbeiter decken kann. Außerdem trug die Antragsgegnerin in ihrem Personalkonzept für die Position 2.2.3.10. eine "1" ein. Die Antragsgegnerin hatte bei der Preisposition 2.2.23.10. einen Angebotspreis geschätzt, der deutlich über dem Preis der Antragstellerin und dem Bieter lag, die mit einem Personalbestand von einer Mannstärke von einem Mitarbeiter kalkulierte.
Infolge der Angebotswertung bat die Antragsgegnerin um Aufklärung des Angebots der Antragstellerin. Mit Schreiben vom 07.03.2023 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin auf zu erläutern, wie sich die angegebenen Kosten für die Position "Baulogistikleistung B" zusammensetzen würden. Für die Beantwortung der Frage wurde ein einstündiges Aufklärungsgespräch am 13.03.2023 angekündigt. Mit Schreiben vom 09.03.2023 teilte die Antragstellerin mit, dass sie bei der Baulogistikleistung "(...) [b]ei Einsatz des Personal (...), wie im Vortext beschrieben, von einer Mannstärke von einem Mitarbeiter á 50 Std. pro Woche ausgegangen" sei.
Im Protokoll zum Bietergespräch finden sich hierzu folgende Angaben:
"[Anschreiben] Erläuterung Bieter zu (3)
3. Pos. 2.2.3.10. Personal Baulogistikleistung B
Bei Einsatz des Personals sind wir, wie im Vortext beschrieben, von einer Mannstärke von einem Mitarbeiter á 50 Std. pro Woche ausgegangen.
3.a Pos. 2.2.3.70.-90. Personal Baulogistikleistung B Zulage
Bei den Positionen wurde nicht nur die Zulage berechnet, sondern der Stundensatz plus Zulage.
[Bietergespräch] Einleitung BCL
Das durch den Bieter eingereichte Angebot mit der bepreisten Position 2.2.3.10. sowie das geforderte Personalkonzept zeigen auf, dass in der Kalkulation durch ihn nur 1 Person für die Leistung angesetzt wurde. [Das Planungsbüro] weist darauf hin, dass in der Planung für die Erbringung des beschriebenen Leistungsbilds 3 Personen veranschlagt wurden. Die Leistung ist mit einer Person nicht erbringbar. Als Leistungszeitraum wurde eine wöchentliche Arbeitszeit von Mo-Fr 7:00 bis 17:00 festgelegt. Die im LV benannten Stunden definieren nicht den Umfang des bereitzustellenden Personals (funktionale Ausschreibung der Leistung). Verweis auf LV-Text Pos. 2.2.3.10. Personal Baulogistikleistung B: Der Einsatz des Personals ist durch den AN wie folgt zu kalkulieren: Gefordert werden eine zügige Erbringung der Leistung und ein dem Leistungsbild angemessene Baustellenbesetzung, welche die zuvor beschriebenen Leistungen umfassend abdeckt. Durch [das Planungsbüro] wird festgehalten, dass die geforderten Leistungen zu diesem Preis zu erbringen sind, eine Preisanpassung kann nicht erfolgen. Eine Anpassung des Angebots ist nicht vorgesehen.
[Bietergespräch] Erläuterung Bieter zu (3)
Im Rahmen des Gesprächs erläutert der Bieter, dass durch ihn der Vortext der Position so verstanden wurde, dass hier, trotz des umfangreichen Leistungsbildes, nur ein Mann anzubieten sei. Durch die Angabe der Stundenzahl wurde durch den Bieter angenommen, dass sich hieraus die geforderte Mannstärke definiert. Der Bieter weist darauf hin, dass in seinem Verständnis, wenn eine erhöhte Mannstärke gefordert wird, ebenso die entsprechende Stundenanzahl erhöht werden muss. ([Das Planungsbüro] erläutert, dass dies im Widerspruch zu den Beschreibungen im LV steht und verweist auf LV-Text Pos. 2.2.3.10.)"
Mit Schreiben vom 25.05.2023 teilte die Antragsgegnerin mit, dass ihr Angebot gemäß "VOB/A § 16d" auszuschließen sei, weil "[i]soliert betrachtet (...) die bepreiste Personalposition "Baulogistikleistung B" nicht auskömmlich kalkuliert worden" sei. "Gefordert [sei] ein dem Leistungsbild angemessene Baustellenbesetzung, welche die zuvor beschriebene Leistung umfassende" abdecke. "Dies [sei] mit einer Person nicht realisierbar. Das zur Submission vorliegende Personalkonzept sowie die Angaben FFB 221" zeigten, dass das vorgesehene Personal für die Ausführung der Leistung durchschnittlich mit einer Gesamt-MA-Anzahl von 3 MA definiert wurde".
Mit Rüge vom 01.06.2023 beanstandete die Antragstellerin die Ausschlussentscheidung. Sie trug vor, dass schon kein unangemessen niedriger Preis im Sinne des § 16d VOB/A vorläge. Maßgeblich sei insoweit, ob der Gesamtpreis nachweislich unzukömmlich sei. Wenn die Antragsgegnerin vortrage, dass allein die Personalposition "Baulogistikleistung B" unauskömmlich kalkuliert sei, rechtfertige dies keinen Ausschluss wegen Unauskömmlichkeit. Der Gesamtpreis der Antragstellerin sei auskömmlich, dies ergebe sich bereits daraus, dass der Angebotspreis nahe den Angebotspreisen der übrigen Bieter läge.
Im Übrigen sei auch die Kostenkalkulation des Titels 2.2.3. nicht zu beanstanden. Die Antragstellerin sei von einem Mitarbeiter á 50 Stunden pro Woche ausgegangen. Dies ergebe sich aus der Vorbemerkung zum Titel 2.2.3. Dort stehe:
"Die Leistungszeiten der Baulogistik (hier: Leistungspaket "Personal Baulogistikleistung B") auf der Baustelle sind wie folgt definiert:
montags bis freitags von 7:00 Uhr bis 17:00 Uhrsamstags nur nach Aufforderung des AG
50,00 h/Woche Personalkosten je Monat."
Entsprechend haben die Antragstellerin davon ausgehen dürfen, dass die Personalkosten des Titels 2.2.3 auf Grundlage eines Monatspreises für 50 Stunden pro Woche zu bepreisen sei. Im Übrigen stünde es der Antragstellerin frei, wie er für die einzelnen Positionen im Leistungsverzeichnis die Preise kalkuliere. Ob Kosten vollständig berücksichtigt würden und die Preise sachlich und der Höhe nach zutreffend seien, obliege der Kalkulationsfreiheit des Bieters auf Grundlage seiner betriebswirtschaftlichen Entscheidungen.
Die von der Antragstellerin erläuterte Kalkulation führe nicht dazu, dass die entsprechende Leistung zwingend nur mit einem Mitarbeiter durchgeführte würde. Es handle sich ausschließlich um die Grundlage der Kalkulation der Leistungen. Das eingereichte Personalkonzept verhalte sich zum tatsächlichen Einsatz der Mitarbeiter.
Nachdem die Antragsgegnerin der Beanstandung nicht abhalf, stellte die Antragstellerin am 02.06.2023 Antrag auf Nachprüfung. Dabei hält sie zunächst am Vorbringen aus der Rüge fest. Ergänzend trägt sie zusätzlich vor, dass es sich bei der betreffenden Leistung nicht um eine Bauleistung, sondern vielmehr um eine Dienstleistung handeln würde. Insoweit hätte die Ausschreibung anhand der gesetzliche Vorgaben der VgV durchgeführt werden müssen.
In der Sache bleibe es dabei, dass kein unauskömmlicher Angebotspreis vorläge. Wie bereits in der Rüge ausgeführt, läge der Angebotspreis der Antragstellerin lediglich weniger als 10 % niedriger als der Angebotspreis des nächstgünstigsten Angebots. Ein Ausschluss wegen eines unauskömmlichen Preises auf Grund einer isolierten Preisposition sei nach wie vor vergaberechtswidrig, Maßstab sei alleine der Gesamtpreis.
Auch der erstmalig im Nachprüfungsverfahren benannte Ausschluss gemäß § 16 Nr. 2 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A-EU komme nicht zum Tragen. Die Antragstellerin habe ihre Leistungen entsprechend der Vorgabe der Vergabeunterlagen angeboten. Unzutreffend sei, dass die Antragstellerin in ihrem Angebot zur Baulogistikleistung B mindestens drei Mitarbeiter hätte anbieten müssen. Eine derartige Anforderung ergebe sich nicht aus den Vergabeunterlagen. Vielmehr habe die Antragsgegnerin offensichtlich gefordert, dass die Bieter ihr Personalkonzept zur Baulogistikleistung B dahingehend kalkulierten, dass in der Zeit von 7:00 Uhr bis 17:00 Uhr - mithin 10 Stunden pro Arbeitstag - und an den Wochentage Montag bis Freitag (an fünf Arbeitstagen pro Woche) eine Baustellenbesetzung angeboten werden solle. Somit sei der Personaleinsatz von den Bietern anhand des vorgegebenen und pauschalen Stundenkontingents von 50 Stunden pro Woche zu ermitteln. Insoweit habe die Antragstellerin einen Wert von 1,0 eintragen müssen, andernfalls hätte sie das Stundenkontingent vergaberechtswidrig erweitert. Hätte die Antragsgegnerin eine Mindestbesetzung von drei Mitarbeiter verlangen wollen, hätte sie entsprechend das Stundenkontingent auf 150 erhöhen müssen. Stattdessen trage die Antragstellerin im Verfahren selbst vor, dass keine festgelegte Personalstärke im Personalpaket definiert worden sei. Dies decke sich auch mit den Ausführungen im Vergabevermerk, in dem es heiße, dass im Rahmen der Ausschreibung der Personalleistungen keine festgelegten Personalstärken je Personalpaket definiert worden sei, sondern der zu erbringende Leistungsumfang definiert werde.
Somit entspreche das Angebot der Antragstellerin den Vergabeunterlagen. Darüber hinaus halte die Antragstellerin eine ausreichende Baustellenbesetzung vor, sodass auch drei Mitarbeiter eingesetzt werden könnten, sofern dies zur Leistungserbringung erforderlich sei. Sofern allerdings das Stundenkontingent von 50 Stunden ausgeschöpft werde, müssten weitere notwendige Arbeitsstunden zusätzlich vergütet werden.
Ergänzend trägt sie vor, dass der erst in der mündlichen Verhandlung bekannt gewordene Umstand, dass auch ein weiterer Bieter nur mit insgesamt 50 Stunden pro Woche kalkuliert habe, die Erwägung bestärke, dass die Leistungsbeschreibung, wie von der Antragstellerin verstanden, ausgelegt werden durfte.
Sie beantragt daher,
1. die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gemäß § 160 ff. GWB
2. den Ausschluss des Angebots der Antragstellerin vom 14.02.2023 durch die Antragsgegnerin für vergaberechtswidrig zu erklären und die Antragsgegnerin anzuweisen das Vergabeverfahren "xxx" in den Stand vor Angebotswertung zurückzuversetzen sowie den Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin vom 14.02.2023 zu erteilen,
3. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären und
4. der Antragstellerin Akteneinsicht gemäß § 165 GWB zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Zunächst sei - jedenfalls für das Nachprüfungsverfahren - unerheblich, ob die streitgegenständliche Ausschreibung nach den Regelungen der VgV oder der VOB/A-EU hätte erfolgen müssen. Einerseits wurde die gewählte Verfahrensregelung nicht gerügt, andererseits sei - unabhängig davon, welche Regelung man zu Grunde legte - der Ausschluss vergaberechtskonform erfolgt.
Zwar sei das Angebot der Antragstellerin nicht gemäß § 16d VOB/A-EU - mithin wegen eines unangemessen niedrigen Angebotspreises - auszuschließen. Insoweit sei das Schreiben vom 25.05.2023 missverständlich. Der Ausschluss erfolge gemäß § 16 Nr. 2 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A-EU. Denn die Antragstellerin haben nämlich eine Leistung angeboten, die den Vorgaben der Leistungsbeschreibung nicht entsprechen würde. Die Antragstellerin habe nämlich für die Baulogistikleistung B (2.2.3) in ihrem Angebot nur den Einsatz eines Mitarbeiters eingeplant und angeboten. Dies habe sie zum einen ausdrücklich im Aufklärungsgespräch bestätigt und zum anderen im vorgelegten Personalkonzept niedergelegt. Die Ausführungen der Antragsgegnerin, dass die Baulogistikleistung B nicht zwingend nur von einem Mitarbeiter ausgeführt würden, sondern diese Angabe lediglich kalkulatorischer Natur sei, könne nicht mit dem Personalkonzept in Einklang gebracht werden. Hier sei nur der Wert 1,0 aufgeführt. Das Personalkonzept diene als Grundlage für die Einschätzung, ob ein Bieter ausreichend Personal für die jeweiligen Leistungen einplane. Darüber hinaus würde anhand des Personalkonzepts während der Bauleistung geprüft, ob im Falle von Verzögerungen auch das eingeplante Personal anwesend sei. Der Auftragnehmer habe aber die Möglichkeit, jederzeit Personal abzuziehen, sofern die ordnungsgemäße Leistungserbringung dadurch nicht gefährdet wäre.
Der Einsatz von nur einem Mitarbeiter sei jedoch eindeutig und erkennbar unzureichend, um den Leistungsumfang zu erfüllen. Aus den vorgesehenen Leistungsbestandteilen und der Dezentralität der Baustelleneinrichtungsfläche ergebe sich, dass mindestens drei Personen erforderlich seien. Dies habe die Antragsgegnerin auch im Vergabevermerk dargelegt. Den Anforderungen, dass mindestens drei Personen für die abgefragten Leistungen eingesetzt werden müssten, würde das Angebot der Antragstellerin nicht gerecht.
Im Übrigen sei auch die Auffassung der Antragstellerin, sie könne ihr Angebot frei und so kalkulieren, wie sie es für auskömmlich halte, nicht vollumfänglich zutreffend. So habe der BGH mit Entscheidung vom 13.09.2022 (Az. XIII ZR 9/20) festgestellt, dass der öffentliche Auftraggeber ein geschütztes Interesse daran habe, dass die Preise durchweg korrekt angegeben würden. Auch vorliegend habe die Antragstellerin in ihrem Angebot Preise angegeben, die nicht die geforderten Leistungen umfassten. Insoweit sei die Rechtsprechung des BGH auf das gegenständliche Nachprüfungsverfahren übertragbar.
Abschließend teilte die Antragsgegnerin mit, dass das Baulogistikhandbuch und die Leistungsbeschreibung versehentlich von unterschiedlichen Arbeitszeiten ausgehen würde. Tatsächlich müsse die Baustelle von 06:45 Uhr bis 17:15 Uhr besetzt sein und entsprechend unter Position 2.2.3.10 kalkuliert werden.
Mit Beschluss vom 21.06.2023 wurde die Beigeladene dem Nachprüfungsverfahren beigeladen.
Die Beigeladene beantragt,
1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,
2. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu erstatten,
3. die Zuziehung der Verfahrensbevollmächtigten für die Beigeladene für notwendig zu erklären.
Sie ist der Ansicht, dass die Antragstellerin nicht geeignet sei, den Auftrag durchzuführen, außerdem habe sie Änderung an den Vergabeunterlagen vorgenommen. Insoweit erfolgte der Ausschluss vergaberechtskonform. So sei von der Antragsgegnerin zutreffend ermittelt worden und für ein fachkundiges Unternehmen ohne weiteres erkennbar, dass für die Position "Baulogistikleistung B" drei Mitarbeiter eingesetzt werden müssten. Die Antragstellerin sei aber offenkundig nicht in der Lage, ausreichend Personal einzusetzen. Insoweit könne sie auch keinen ausreichenden Personalbestand nachweisen. Zudem sei sie auf Grund fehlender Fachkunde nicht in der Lage, den Personalbedarf korrekt zu ermitteln. Darüber hinaus habe sie Vergabeunterlagen abgeändert, indem sie für die Position "Baulogistikleistung B" nur einen Mitarbeiter einzusetzen gedenke. Damit würde sie gegen die Anforderungen des Leistungsverzeichnisses verstoßen, das "eine dem Leistungsbild angemessene Baustellenbesetzung, welche die beschriebene Leistung abdeckt," erfordere. Auf Grund der geforderten Parallelität der Andienung der Entladezonen sei es unmöglich, mit nur einem Mitarbeiter die Position "Baulogistikleistungen B" zu kalkulieren. Dies habe die Antragstellerin als ein am Markt tätiges Unternehmen erkennen können und müssen. Die Beigeladene selbst würde fortlaufend Leistungsbeschreibungen bearbeiten, die die Anforderungen der streitgegenständlichen Leistungsbeschreibung aufwiesen. Im Übrigen sei auch das Personalkonzept keine nur unverbindliche Kalkulationsangabe. Darüber hinaus wies die Beigeladene darauf hin, auch das Leistungsverzeichnis hinsichtlich der Arbeitszeit eindeutig sei. Insbesondere sei die Arbeitszeit für das auf- und abschließen der Baustelle von einer anderen Preisposition umfasst.
Die Frist für die Entscheidung der Vergabekammer gemäß § 167 Abs. 1 GWB wurde bis zum 31.08.2023 verlängert. Am 27.07.2023 hat eine mündliche Verhandlung in den Räumen der Vergabekammer Westfalen stattgefunden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Vergabeunterlagen und die Niederschrift aus der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Die Vergabekammer Westfalen ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vorgangs gemäß § 159 Abs. 3 GWB i.V.m. § 2 Abs. 1 VK ZuStV NRW örtlich zuständig. Der geschätzte Auftragswert sowie die Angebotssummen liegen über dem maßgeblichen Schwellenwert. Ob die streitgegenständliche Beschaffung in den Anwendungsbereich der VgV oder VOB/A-EU fallt, muss nicht abschließend entschieden werden. Ungeachtet der Tatsache, dass der Ausschlussgrund, den die Antragsgegnerin in Felde führt, in beiden Vorschriften identisch ausgestaltet und die hierzu ergangene Rechtsprechung kongruent ist, hätte ein möglicher Verstoß wohl unverzüglich gerügt werden müssen (vgl. VK Sachsen, Beschluss vom 18.03.2015, 1/SVK/001-15). Die Antragstellerin hat diesen Punkt erst mit dem Nachprüfungsantrag gerügt und ist jedenfalls in diesem Fall präkludiert. Die übrigen Beanstandungen wurden allerdings fristgerecht erhoben, so dass die Kammer hierrüber entscheiden muss.
2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet, weil der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin vergaberechtrechtswidrig erfolgte.
Es ist - sowohl nach § 53 Abs. 7 VgV als auch nach § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A-EU - unzulässig, Änderungen an den Vergabeunterlagen vorzunehmen. Sofern mit einem Angebot Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen werden, ist es nach § 57 Abs. 1 Nr. 7 VgV respektive § 16 Nr. 2 VOB/A-EU zwingend auszuschließen. Dies ist auch nur konsequent. Das Verbot der Änderung der Vergabeunterlagen dient einerseits der Sicherstellung der Vergleichbarkeit der eingereichten Angebote (vgl. Gesetzesbegründung zur VgV, Seite 115). Außerdem soll gewährleistet sein, dass der öffentliche Auftraggeber nicht ein Angebot bezuschlagt, dass seinen Anforderungen nicht entspricht (vgl. Gesetzesbegründung zur VgV, aaO). So ist ein echter und unverfälschter Wettbewerb nur dann gewährleistet, wenn in jeder Hinsicht vergleichbare Angebote vorliegen, denen eine identische Vertragsgrundlage zu Grunde liegt (vgl. schon: BGH, Beschluss vom 18.02.2003, X ZB 43/02; zur identischen Vertragsgrundlage etwa: Vergabekammer Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17.01.2014, 3 VK LSA 49/13).
Dabei ist der Begriff der Änderung der Vergabeunterlagen weit zu verstehen (vgl. schon OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.02.2012, 11 Verg 11/11 sowie VK Sachsen, Beschluss vom 27.02.2020, 1/SVK/044-19). Nicht erforderlich ist dabei, dass das Unternehmen den Wortlaut der Ausschreibung als solchen - etwa durch Ergänzungen oder Streichungen - abändert (vgl. BR Drs. 87/16), mithin also "gestalterisch" auf die Vergabeunterlagen einwirkt (vgl. OLG Frankfurt aaO.). Eine Änderung der Vergabeunterlagen liegt regelmäßig auch dann vor, wenn das Unternehmen von den Vorgaben der Vergabeunterlagen inhaltlich abweicht, im Ergebnis ein Aliud, also eine andere als die ausgeschriebene Leistung, anbietet (vgl. schon OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.03.2006, Verg 77/05). Eine Änderung an den Vergabeunterlagen liegt auch dann vor, wenn der Bieter ein Produkt oder Leistung anbietet, die von den eindeutigen Anforderungen an die Leistungsbeschreibung abweicht (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 11.05.2016, 54 Verg 3/16).
Ein Angebotsausschluss wegen Änderungen der Vergabeunterlagen kommt nur in Betracht, wenn die Vergabeunterlagen klar und eindeutig sind. Unklarheiten gehen dabei immer zu Lasten des Auftraggebers (vgl. statt vieler und mit weiteren Nachweisen: VK Rheinland, Beschluss vom 06.01.2023, VK 23/22).
Steht der Ausschluss eines Angebots wegen Änderungen der Vergabeunterlagen im Raum, ist (i.) zunächst festzustellen, was die Vergabeunterlagen eindeutig fordern, um (ii.) in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob das in Rede stehende Angebot tatsächlich von den eindeutigen Vorgaben der Leistungsbeschreibung abweicht. Vorliegend sind die Vergabeunterlagen nicht eindeutig (nachfolgend unter a., so dass es auf den Inhalt des Leistungsangebots der Antragstellerin nicht mehr ankommt (nachfolgend unter b.).
a. Zwar dürfte die Antragsgegnerin ausweislich der Ausführungen im Vergabevermerk vor Augen gehabt haben, dass die Bieter jedenfalls mehr als einen Mitarbeiter einsetzen und demzufolge auch den Pauschalpreis entsprechend kalkulieren. Inwieweit diese Vorstellung mit der angebotenen Personalstärke der Antragstellerin erfüllt werden kann, ist zwar zweifelhaft, muss aber nicht entschieden werden. Denn die Leistungsbeschreibung gestaltet sich unter der Ziffer 2.2.3.10 als nicht eindeutig, so dass die unzureichende Mengenangabe der Antragstellerin nicht den Ausschluss rechtfertigen kann.
Ob eine Änderung oder Ergänzung vorliegt, ist anhand des verobjektivierten Empfängerhorizontes nach §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Insbesondere muss eindeutig eine Abweichung von den Vorgaben aus den Vergabeunterlagen vorliegen, um einen Ausschluss zu rechtfertigen (vgl. schon VK Bund, Beschluss vom 05.12.2016, VK 2 - 107/16). Das Vorliegen einer Änderung ergibt sich aus dem Vergleich der Vergabeunterlagen mit dem Angebot (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.09.2017, 11 Verg 11/17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.08.2017, Verg 17/17; OLG Naumburg, Beschluss vom 12.09.2016).
Maßgeblicher Bedeutung kommt dabei der Leistungsbeschreibung zu. Die Unternehmen müssen ihre Angebote an den geforderten Spezifikationen ausrichten (vgl. § 121 Abs. 1, S. 2 GWB). Deshalb müssen Vergabeunterlagen so gefasst werden, dass alle "durchschnittlich fachkundigen Bieter" sie bei Anwendung "der üblichen Sorgfalt in gleicher Weise auslegen" können (vgl. nur EuGH, Urteil vom 02.06.2016, Rs. C-27/15 und Urteil vom 14.12.2016, Rs. C-171/15). Daher statuiert § 121 Abs. 1 GWB, § 31 Abs. 2 Nr. 2 VgV respektive § 7 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A-EU die Pflicht, dass der Auftraggeber den Auftragsgegenstand - und dazu zählen auch die Ausführungsvorgaben - so eindeutig und erschöpfend wie möglich beschreibt.
Dies bedeutet freilich nicht, dass die Leistungsbeschreibung zwingend nur eine Auslegungsmöglichkeit enthält. Die Sprache selbst ist selten völlig eindeutig und das Verständnis stets auch vom Empfängerhorizont mitbestimmt. Auch bei sorgfältiger Erstellung einer Leistungsbeschreibung kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass geringe Unklarheiten auftreten (vgl. schon OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.07.2014, 15 Verg 5/14). Ob mehrere Deutungsmöglichkeiten bestehen, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Die Leistungsbeschreibung ist Teil des anzubahnenden Vertragswerks für den Auftrag. Auf sie finden die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB Anwendung (vgl. schon und immer noch gültig: BGH, Beschluss vom 10.06.2008, X ZR 78/07).
Maßgeblich ist der objektive Empfängerhorizont eines potentiellen Bieters (vgl. ständige Rechtsprechung des BGH, beginnend mit Beschluss vom 22.04.1993, VII ZR 118/92). Mit anderen Worten: Es kommt mithin nicht darauf an, wie der einzelne Bieter die Leistungsbeschreibung verstanden hat, "sondern wie der durchschnittliche Bieter des angesprochenen Bieterkreises sie verstehen musste oder durfte" (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.10.2020, Verg 36/19). Entscheidend ist die Verständnismöglichkeit aus der Perspektive eines verständigen und mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Unternehmens, das über das für eine Angebotsabgabe oder die Abgabe eines Teilnahmeantrags erforderliche Fachwissen verfügt (vgl. instruktiv: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.03.2018, Verg 52/17).
In diesem Sinne nicht mehr eindeutig sind Vergabeunterlagen dann, wenn auch nach Auslegungsbemühungen durch fachkundigen Unternehmen mehrere Auslegungsmöglichkeiten verbleiben (vgl. schon BGH, Urteil vom 10.06.2008,- X ZR 78/07) oder das zutreffende Verständnis der Vergabeunterlagen eine besondere Gesamtschau erfordert, die von den Bietern oder Bewerbern im Vergabewettbewerb erfahrungsgemäß nicht geleistet wird oder geleistet werden kann (vgl. jüngst und m.w.N. OLG Schleswig, Beschluss vom 19.09.2022, 54 Verg 3/22). Konsequenz dessen ist auch, dass bei der Auslegung der Vergabeunterlagen diejenigen Dokumente mit einbezogen werden dürfen, die dem Bieter bis zum Angebotsschluss bekannt waren. Erwägungen oder Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers, die er nur in internen Dokumenten niedergelegt hat, können bei der Auslegung freilich keine Rolle spielen.
Diesen Anforderungen folgend, waren die Vergabeunterlagen und namentlich das Leistungsverzeichnis nicht mehr eindeutig. Vielmehr erfolgten widersprüchliche Angaben. Unbeachtlich ist insoweit zunächst, dass die Antragsgegnerin in ihrem nicht veröffentlichten Vergabevermerk feststellt, dass die Mannstärke zwingend >1 sein muss. Diesem Umstand kann allenfalls indizielle Wirkung zukommen und einen Rückschluss auf das Interesse der Antragstellerin zulassen. Da er aber den Bietern bis zur Angebotsfrist nicht bekanntgegeben wurde, ist er für den Inhalt der Auslegungsbemühungen insoweit nicht heranzuziehen. Erst Recht können mittels eines unveröffentlichten Vergabevermerks keine wirksamen Mindestanforderungen aufgestellt werden.
Vorliegend sind die Ausführungen und Vorgaben im Leistungsverzeichnis maßgeblich, wobei auch die weiteren Vergabeunterlagen und namentlich die übersandte Baustellenkarte und das Baulogistikhandbuch zu berücksichtigten sind.
Zunächst wird unter Ziffer 2.2.3. das Aufgabenbild beschrieben, das Leistungen im Rahmen der Versorgungslogistik, Leistungen im Rahmen des Flächenmanagements sowie Entsorgungsleistungen und Reinigungsleistungen umfasst. Außerdem erfolgt der Zusatz, dass der Personaleinsatz "wie folgt zu kalkulieren ist: Gefordert werden eine zügige Erbringung der Leistung und ein dem Leistungsbild angemessene Baustellenbesetzung, welche die zuvor beschriebenen Leistungen umfassend abdeckt." Einerseits kann der dieser Zusatz zunächst als deklaratorische Anforderungswiedergabe eines jeden Baulogistikvertrages gewertet werden. Geschuldet wird vom jeweiligen Baulogistiker - wie von jedem anderen Dienstleister auch - die zügige Erbringung der Leistung. Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn - wie etwa bei komplexen Bauvorhaben - verschiedene Leistungsabschnitte nacheinander durchgeführt werden. In diesem Fall überträgt sich eine Verzögerung in einem Leistungsabschnitt einem Dominoeffekt entsprechend, gleichermaßen auf die anderen, nachfolgenden Leistungsabschnitte. Andererseits weist diese Formulierung die Bieter auch darauf hin, dass die Antragsgegnerin kein festes Personalkonzept vorgegeben hat, es mithin den Bietern überlasst, sowohl für diese Leistungsposition als auch für die übrigen Leistungspositionen, die eine Personalnotwendigkeit haben, die entsprechenden Bedarf zu ermitteln und damit zu kalkulieren. Anhand der den Vergabeunterlagen beigefügten Baustellenkarte dürfte einem fachkundigen Unternehmen klar sein, dass die abgefragten Baustellenlogistikleistungen unter Ziffer 2.2.3.10 nicht nur mit einem anwesenden Mitarbeiter im Zeitraum von 7 Uhr bis 17 Uhr bewerkstelligen ist, sondern in diesem Zeitraum mehrere Mitarbeiter tätig sein müssen.
Allerdings wird diese Anforderung durch eine weitere Vorgabe im Leistungsverzeichnis konterkariert. So heißt es dort unmittelbar, bevor die Personalmonatskosten eingetragen und als Gesamtkosten angegeben werden müssen: "50,00 h/Woche Personalkosten je Monat". Die Angabe bezieht sich - jedenfalls kann man in vertreterbarer Weise dieser Sichtweise folgen - auf die Eintragungen, die unter Ziffer 2.2.3.10 zu erfolgen haben. Ausweislich des eindeutigen Wortlauts des Leistungsverzeichnisses lässt dieses in nachvollziehbarer Weise den Schluss zu, dass das Personal mit einer Wochenarbeitszeit von insgesamt 50 Stunden pro Woche kalkuliert werden muss. Dafür, dass diese Sichtweise nicht ganz fernliegend ist, spricht auch die Tatsache, dass zwei von vier Bietern im Rahmen ihres Angebots mit einer Leistung von einer Mannstärke kalkuliert haben.
Insoweit verbietet es sich ausgehend von der vorstehend skizzierten Sichtweise, mit mehr als 50 Stunden pro Woche zu kalkulieren. Andernfalls würde es sich der Gefahr des Vorwurfs einer Mischkalkulation ausgesetzt sehen, da der angegebene Preis für die Arbeitsstunden nicht zutreffen würde (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.02.2009, Verg 66/08).
Darüber hinaus ist das Leistungsverzeichnis auch dahingehend ungenau, als dass es zwar von 50,00 h/Woche spricht und diese aus der vorgegebenen Baustellenbesetzung von 7 Uhr bis 17 Uhr herleitet. Andererseits heißt es im Baulogistikhandbuch:
"Die Leistungszeiten der Baulogistik auf der Baustelle sind, mit jeweils einem 15-minütigen Vor- und Nachlauf, wie folgt definiert:
- montags bis freitags von 06:45 - 17:15
- samstags nur nach Aufforderung des AG"
Insoweit besteht ein nicht unerheblicher Widerspruch zu den Anforderungen der Leistungsbeschreibung. Während das Baulogistikhandbuch von einer Wochenstundenzahl von 52,5 Stunden ausgeht, sieht das Leistungsverzeichnis auf Grund der eindeutigen schriftlichen Vorgabe eine Wochenstundenzahl von 50,0 Stunden vor. So trägt die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 21.07.2023 vor, dass das
"Stundenkontingenz (...) nämlich nur den Zeitraum [definiert], in dem das zu kalkulierende Personal die Leistung gemäß definiertem Umfang zu erbringen hat."
Dieser Widerspruch zeigt sich auch in dem Umstand, dass die Antragsgegnerin davon ausgeht, dass auch die "Schließzeiten" unter der Position 2.2.3.10 zu kalkulieren sind, während jedenfalls die Beigeladene davon ausgeht, dass diese Zeiten unter einer anderen Position zu kalkulieren sind. Inwieweit sich dieser Unterschied auch während des "gelebten Vertrages" ausgewirkt hätte, bleibt spekulativ und muss von der Kammer nicht näher beleuchtet werden. Festzustellen bleibt für die Kammer allein, dass sich auch in diesem Punkt die Vergabeunterlagen widersprechen. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass auch mit fachkundiger Auslegung dem Leistungsverzeichnis mehrere Auslegungsmöglichkeiten innewohnen, es mithin nicht eindeutig ist.
Auch dürfte das miteinzureichende Personalkonzept dem Leistungsverzeichnis nicht zur Eindeutigkeit verhelfen. Zwar dürfte die Antragstellerin mit ihren Angaben einen reibungslosen Baustellenablauf nicht gewährleisten können, wie ihn die Antragsgegnerin ausweislich des nicht veröffentlichten Vergabevermerks vor Augen hatte. Jedoch entfaltet nach dem Vortrag der Verfahrensbeteiligten das Personalkonzept keine wie auch immer geartete bindende Wirkung. Nachvollziehbar für die Kammer ist der Sinn und Zweck, den die Antragsgegnerin mit der Vorgabe, ein Personalkonzept einzureichen, verfolgen wollte. Dieser bestand ausweislich des Vortrags der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung darin, während der Vertragslaufzeit bei Verzögerungen im Rahmen der Baustellenabfertigung zu prüfen, ob die entsprechende Personalmenge auch tatsächlich eingesetzt wird. Allerdings besteht nach Vortrag der Parteien keine Verpflichtung, die angegebene Personalmenge zu jedem Zeitpunkt "vor Ort" zu haben. Auch im Falle einer Bauzeitverzögerung entfaltet das Personalkonzept keine Verpflichtung, das einzusetzende Personal anderweitig einzusetzen oder für einen anderen aus der Verzögerung verspäteten Zeitraum vorzuhalten.
Da die Antragsgegnerin den Ausschluss gemäß § 16d Abs. 1 Nr. 1 VOB/A-EU nicht mehr aufrecht hält, muss die Kammer hierrüber nicht mehr befinden. Sehr gute Gründe sprechen allerdings dafür, dass der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin wegen eines unangemessen niedrigen Preises vergaberechtswidrig erfolgen würde. Maßgeblich für die Einschätzung, ob ein unangemessen niedriger Preis vorliegt, ist die Gesamtkostenhöhe.
b. Eingedenk der vorstehende Erwägungen ist es nicht mehr entscheidungserheblich, was genau die Antragstellerin angeboten hat.
III.
Die Antragstellerin ist gemäß § 160 Abs. 1 GWB auch in ihren Rechten verletzt. Denn der vergaberechtswidrige Angebotsausschluss wegen der Änderung der entsprechenden Vergabeunterlagen führt dazu, dass sie keine Chance auf den Zuschlag hat.
Gemäß § 168 Abs. 1 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Sie ist dabei an die Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Die Anträge haben keine den Streitgegenstand umgrenzende Funktion (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.01.2019, Verg 30/18). Unter mehreren möglichen Maßnahmen zur Beseitigung muss sich die Vergabekammer für diejenige entscheiden, die die Interessen der Beteiligten am wenigsten beeinträchtigen (vgl. statt vieler: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019, Verg 13/19).
Vorliegend ist eine Auftragsvergabe auf Grundlage der bestehenden Vergabeunterlagen nicht möglich. Da die Korrektur der Leistungsbeschreibung unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer möglich und zulässig ist, war daher - bei fortbestehender Beschaffungsabsicht - das Vergabeverfahren in den Stand vor Bereitstellung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen. Es ist für die Vergabekammer kein anderes milderes Mittel ersichtlich, welches die Heilung der Vergaberechtsverstöße in dem laufenden Vergabeverfahren ermöglichen würde.
Der Vergabekammer ist bewusst, dass damit und unter Berücksichtigung der bereits bekanntgemachten Preise auch in die Wettbewerbsposition der Antragstellerin eingegriffen wird, sieht dies hier jedoch als einzigen Weg an, um ein transparentes und faires Vergabeverfahren zu ermöglichen und schließlich vergleichbare Angebote zu erhalten.
Der guten Ordnung halber weist die Kammer darauf hin, dass die Frist zur neuen Angebotserstellung maßgeblich davon abhängt, wie umfangreich die Änderungen und die damit verbundenen neuen Mehraufwände ausfallen. Vorliegend handelt es sich lediglich um eine Kostenposition, die - vereinfacht gesprochen - entsprechend der einzusetzenden Personalanzahl multipliziert werden muss. Insoweit dürfte eine eher kürzere Frist noch angemessen sein.
IV.
Gemäß § 182 Abs. 1 GWB werden für Amtshandlungen der Vergabekammer Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben. Das Verwaltungskostengesetz vom 23. Juni 1970 (BGBl. I. S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung ist anzuwenden.
Die Gebühr beträgt gemäß § 182 Abs. 2 GWB mindestens 2.500 Euro; dieser Betrag kann aus Gründen der Billigkeit bis auf ein Zehntel ermäßigt werden. Die Gebühr soll den Betrag von 50.000 Euro nicht überschreiten; sie kann im Einzelfall, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch ist, bis zu einem Betrag von 100.000 Euro erhöht werden. Soweit ein Beteiligter im Verfahren unterliegt, hat er gemäß § 182 Abs. 3 GWB die Kosten zu tragen.
Die Kammer setzt vorliegend eine Gebühr in Höhe von ### Euro fest. Für die Berechnung der Verfahrensgebühr zieht die Kammer die Gebührentabelle der Vergabekammern des Bundes und der Länder heran (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.01.2005, Verg 30/05). Maßgeblich für die Berechnung der Gebühr ist grundsätzliche die streitbefangene Auftragssumme (vgl. BGH, Beschluss vom 25.10.2011, X ZB 5/10).
Als unterlegene Parteien ist die Verfahrensgebühr der Antragsgegnerin und der Beigeladenen aufzuerlegen. Durch eigenen Vortrag und die Stellung eigener Anträge hat sich die Beigeladene ins Kostenrisiko begeben (vgl. statt vieler OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.04.2022, Verg 32/21). Die Antragsgegnerin genießt Kostenfreiheit gemäß § 182 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 2 VwKostG (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.09.2009, Verg 20/09), so dass keine Zahlungspflicht hinsichtlich der hälftigen Verfahrensgebühr besteht.
Soweit ein Beteiligter im Verfahren unterliegt, hat er gemäß § 182 Abs. 4 GWB die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners zu tragen. Die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung war notwendig, da die Verfahrensführung in einem Nachprüfungsverfahren für rechtliche Laien häufig unübersichtlich ist und schnell zu Fehlentscheidungen führt. Insbesondere waren vorliegend schwierige und komplexe vergaberechtliche Fragen streitentscheidend. Daneben ist das Nachprüfungsverfahren gerichtsähnlich konzipiert, so dass auch prozessuale Kenntnisse erforderlich sind, um eigene Rechte wirksam wahren zu können. Die notwendigen Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung der Antragstellerin werden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen jeweils zur Hälfte auferlegt.
V.
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Auftraggeber darf Zertifizierung vertrauen!
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