VK Nordbayern
Beschluss
vom 08.12.2023
RMF-SG21-3194-8-25
1. Ein öffentlicher Auftraggeber ist aufgrund eines einmal eingeleiteten Vergabeverfahrens grundsätzlich nicht zur Zuschlagserteilung verpflichtet. Auch dann, wenn kein gesetzlich normierter Aufhebungsgrund vorliegt, kann er von einem Vergabeverfahren Abstand nehmen.
2. Nur in Ausnahmefällen kann ein Anspruch auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens angenommen werden. Das ist der Fall, wenn die Aufhebungsentscheidung willkürlich ist oder wenn die Aufhebung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht nur zu dem Zweck erfolgt, Bieter zu diskriminieren.
3. Willkürlich ist die Aufhebung des Vergabeverfahrens nur dann, wenn sie unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Willkür liegt erst vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm in eklatanter Weise nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in eklatanter Weise missdeutet wird.
4. Die fehlende Wirtschaftlichkeit stellt ein grundsätzlich anerkennenswertes Motiv dar. Ein unwirtschaftliches Ergebnis der Ausschreibung aufgrund eines Angebots, das den ordnungsgemäß ermittelten Auftragswert deutlich übersteigt, stellt einen schwerwiegenden Grund, der die den Auftraggeber zur Aufhebung der Ausschreibung berechtigt.
5. Die Feststellung der Unwirtschaftlichkeit erfordert eine aktuelle und ordnungsgemäße Ermittlung des Auftragswerts.
6. Auch mit angemessener Sorgfalt durchgeführte Schätzungen sind nur Prognoseentscheidungen. Bei der Ordnungsgemäßheit der Kostenschätzung geht es nicht vorrangig darum, dass die Preise tatsächlich den Marktpreisen entsprechen. Es kommt darauf an, dass die Methodik der Kostenermittlung grundsätzlich geeignet ist, Marktpreise im Voraus zu schätzen.
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Vergabestelle.
3. Die Hinzuziehung eines anwaltlich Bevollmächtigten durch die Vergabestelle wird für notwendig erklärt.
4. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt ### EUR. Auslagen sind nicht angefallen.
Tatbestand
1. Die VSt schrieb mit europaweiter Bekanntmachung vom ### im Offenen Verfahren Feuerlöschtechnik für die Baumaßnahme Generalsanierung Theater aus.
Nur die ASt reichte ein Angebot ein. Das einzige Angebot belief sich auf eine Bruttosumme von ### EUR ohne Wartung bzw. ### EUR inklusive Wartung.
2. Das bepreiste Leistungsverzeichnis der VSt vom 20.04.2023, unterstützt durch den als Unterauftragnehmer des eingeschalteten Generalplaner ### beauftragten Fachplaners ###, belief sich auf ###. ###, ### EUR brutto ohne Wartung bzw. ### EUR brutto inklusive Wartung.
Zur Chronologie der Kostenschätzung:
Die Kostenschätzung (Leistungsphase (LPh) 2 - Vorplanung) erfolgte im November 2019. Laut Fachplaner sei Grundlage der Massenermittlung die Vorplanung des Fachplaners gewesen. Kosten seien aus Annahmen von vergleichbaren Projekten ermittelt worden. Die Kostenschätzung sei bis in die 3. Ebene bearbeitet worden.
Die Kostenberechnung (LPh 3 - Entwurfsplanung) erfolgte im August 2020. Laut Fachplaner sei Grundlage der Massenermittlung die Entwurfsplanung des Fachplaners gewesen. Bei der Kostenberechnung sei das Submissionsergebnis aus einem ### in ### zu Grunde gelegt worden (Stand August 2019). Aufgrund der zeitlichen Verschiebung sei ein prozentualer Sicherheitsfaktor berücksichtigt worden. Die Kostenberechnung sei bis in die 3. Ebene bearbeitet worden.
Die Kostenberechnung (LPh 3 - Entwurfsplanung) wurde im Februar 2021 erstmals fortgeschrieben. Laut Fachplaner sei diese Kostenberechnung für den Fördermittelantrag erstellt worden. Grundlage sei die Kostenberechnung von August 2020 gewesen. Hier seien Kostensteigerungen zwischen August 2020 und Februar 2021 berücksichtigt worden. Die Preissteigerungen seien dem statistischen Bundesamt (Destatis) entnommen worden.
Die Kostenberechnung (LPh 3 - Entwurfsplanung) wurde im Mai 2022 erneut fortgeschrieben. Laut Fachplaner sei diese Kostenberechnung für den Fördermittelantrag erstellt worden. Grundlage sei die Kostenberechnung von Februar 2021 gewesen. Hier seien Kostensteigerungen zwischen Februar 2021 und Mai 2022 berücksichtigt worden. Die Preissteigerungen seien dem statistischen Bundesamt (Destatis) entnommen worden.
Das bepreiste Leistungsverzeichnis (LPh 6 - Vorbereitung der Vergabe) erfolgte im April 2023. Laut Fachplaner sei Grundlage für die Massenauszüge die Ausführungsplanung des Fachplaners gewesen. Die Massenauszüge seien aus dem CAD-Berechnungsprogramm erstellt worden. Sicherheitsfaktoren seien bei der Massenermittlung berücksichtigt worden. Dies sei nicht nach einem pauschalen Wert erfolgt. Die Preise seien aus Angebotsabfragen bei Herstellern ermittelt worden, Internetrecherche und aus dem Submissionsergebnis einer vergleichbaren Ausschreibung von März 2023 zum Gewerk Feuerlöschtechnik. Bei dem bepreisten Leistungsverzeichnis sei ein Sicherheitsfaktor von rund 10 % berücksichtigt worden.
3. Laut Vergabevermerk der VSt vom 23.08.2023 lag die Angebotssumme um ### % über der eigenen Kostenschätzung.
Am 03.07.2023 führte die VSt deshalb eine Preisaufklärung durch.
Parallel überprüfte die VSt laut Vergabevermerk die Belastbarkeit der Kostenschätzung und stellte fest, dass diese auf realistischen Annahmen beruhe und insbesondere das derzeitige Preisniveau wiederspiegle. Bei einzelnen Preispositionen sei vorsorglich ein Risikoaufschlag von 10 % vorgenommen worden. Im Nachgang sei vorsorglich ein zusätzlicher Risikoaufschlag von weiteren 20 % auf die Gesamtsumme der ursprünglichen Kostenschätzung hinzugerechnet worden.
Am 28.07.2023 führte die VSt erneut eine Preisaufklärung durch.
Am 02.08.2023 rügten die Bevollmächtigten der ASt das Vorgehen der VSt.
Laut Vergabevermerk kam die VSt zu dem Schluss, von der weiteren Aufklärung Abstand zu nehmen und das Vergabeverfahren aufzuheben, da aufgrund des im Vergleich zur Kostenschätzung, auch unter Berücksichtigung eines vorsorglichen zusätzlichen 20%-igen Risikozuschlages, extrem hohen Angebotspreises des einzig vorhandenen Angebots der ASt kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt worden sei.
4. Mit Schreiben vom 18.08.2023 teilte die VSt der ASt mit, dass das Vergabeverfahren gemäß § 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A aufgehoben worden sei, da kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt wurde. Die ordnungsgemäß nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsprechung aktuell zur Ausschreibung erstellte Kostenschätzung sei durch das einzige erhaltene Angebot um mehr als 190% überschritten worden. Nach umfassender Abwägung aller Interessen habe sich die VSt deshalb für eine Aufhebung des Verfahrens entschieden. Es sei beabsichtigt, ein neues Vergabeverfahren mit einer möglichst breiten Marktansprache durchzuführen.
5. Mit Schreiben vom 21.08.2023 rügten die Verfahrensbevollmächtigten der ASt die Aufhebung des Vergabeverfahrens als vergaberechtswidrig. Gründe gemäß § 17 EU Abs. 1 VOB/A, die eine Aufhebung der Ausschreibung rechtfertigen könnten, würden nicht vorliegen. Sofern das Angebot der ASt über der Schätzung des Auftragswerts liegen sollte, sei dies Zeichen für eine sorgfaltswidrige Kostenschätzung. Offensichtlich solle die Aufhebung allein der Korrektur des erzielten Submissionsergebnisses dienen. Die Aufhebung sei der ASt gegenüber diskriminierend. Nachdem die Beschaffungsabsicht unverändert bestehe, sei die Entscheidung willkürlich und damit vergaberechtswidrig.
6. Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 25.08.2023 teilte die VSt der ASt mit, dass der Rüge nicht abgeholfen werde.
Die Voraussetzungen für den Aufhebungsgrund nach § 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A seien gegeben. Danach könne die Ausschreibung wegen fehlender Wirtschaftlichkeit aufgehoben werden. Das Angebot der ASt habe die auf aktuellen, wirklichkeitsnahen Annahmen und Daten basierende und mit Sicherheitszuschlägen versehene und damit vertretbare Kostenschätzung mehr als deutlich überschritten. Der Aufhebung sei auch eine umfassende Interessenabwägung vorausgegangen.
7. Mit Schriftsatz vom 11.09.2023, der Vergabekammer Nordbayern am gleichen Tag zugegangen, stellten die Verfahrensbevollmächtigten der ASt einen Nachprüfungsantrag und beantragen:
I. Es wird festgestellt, dass die Entscheidung der Antragsgegnerin zur Aufhebung des Vergabeverfahrens Az.: ### vom ##.##.2023, Vergabe-Nr.: ### die Bieterrechte der Antragstellerin verletzt hat
und
diese Entscheidung wird aufgehoben und der Antragstellerin der Zuschlag auf ihr Angebot vom 06.06.2023 erteilt,
hilfsweise
die Antragsgegnerin angewiesen, unverzüglich diesen Zuschlag zu erteilen und angedroht, ein Zwangsgeld in Höhe von 25.000 EUR im Fall des Zuwiderhandelns festzusetzen.
II. Der Antragstellerin wird Einsicht in die Vergabeakte gewährt und zwar jedenfalls in die Unterlagen der Projektkalkulation der Ag., der Kostenermittlung gem. HOAI Anlage 10 zu § 34, Lph 6 (Grundleistungen), deren Aufteilung in Kostengruppen und Gewerke und die dazugehörigen Ansätze für Mengen und Massen, die erwartete Bauzeit und die Berücksichtigung von besonderen Faktoren der Preisbildung wie z.B. kleinteilige Arbeitsflächen, Kollisionsplanung bei Sanierungssituationen usw.
III. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens und es wird festgestellt, dass die Beiziehung der Unterzeichner zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war.
Der Antrag sei zulässig und insbesondere nicht gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB präkludiert. Mit Schreiben vom 25.08.2023 habe die VSt der Rüge nicht abgeholfen. Der 25.08.2023 sei ein Freitag gewesen. Der 15. Kalendertag bezogen auf einen Werktag sei Montag, der 11.09.2023, gewesen.
Der Hauptantrag sei begründet. Ein sachlicher Rechtsgrund für die Aufhebung des Vergabeverfahrens, insbesondere wegen anderen schwerwiegenden Gründe gem. § 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, würde nicht vorliegen. Das Angebot der ASt sei marktkonform gewesen. Die VSt habe den Finanzbedarf zu gering bemessen.
Die VSt erkläre an der Vergabe der Leistung festhalten zu wollen, zugleich aber das Angebot der ASt zumindest nicht jetzt berücksichtigen zu wollen. Damit sei die Willkürschwelle überschritten. Sachliche Gründe seien nicht angegeben worden und würden auch nicht vorliegen. Vielmehr sei die Entscheidung zur Aufhebung objektiv diskriminierend.
8. Mit Schriftsatz vom 29.09.2023 erwiderten die Verfahrensbevollmächtigten der VSt und
beantragen,
I. Der Nachprüfungsantrag wird sowohl im Haupt- als auch Hilfsantrag zurückgewiesen.
II. Der Antrag auf Akteneinsicht wird nur beschränkt auf den nachfolgend unter III. dargestellten Umfang zugelassen.
III. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragsgegnerin trägt die Antragstellerin.
IV. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin wird für notwendig erklärt.
Der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig, da das Schriftformerfordernis des § 161 Abs. 1 S. 1 GWB durch die Einreichung des Nachprüfungsantrages lediglich mittels besonderen postalischen Anwaltspostfaches (beA) nicht beachtet worden sei.
Der Nachprüfungsantrag sei zudem unbegründet, da die Aufhebung des Vergabeverfahrens vom Aufhebungsgrund des § 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A getragen sei.
Der Aufhebungsgrund der fehlenden Wirtschaftlichkeit sei in § 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A als ein Unterfall der anderen schwerwiegenden Gründe anerkannt. Ein schwerwiegender Grund zur Aufhebung liege demnach vor, wenn die vor der Ausschreibung vorgenommene Kostenschätzung der Vergabestelle aufgrund der bei ihrer Aufstellung vorliegenden und erkennbaren Daten als vertretbar erscheine und die im Vergabeverfahren abgegebenen Angebote deutlich darüber lägen. Dies sei hier der Fall. Das einzig vorliegende Angebot der ASt überschreite die vertretbare Kostenschätzung der VSt mehr als deutlich, so dass nach ermessensfehlerfreien Interessensabwägung die Aufhebung des Vergabeverfahrens erfolgt sei.
Das bepreiste Leistungsverzeichnis sei im April 2023 und damit zeitnah vor Beginn der Ausschreibung (### 2023) erstellt worden. Kostensteigerungen seien bei den aktualisierten Kostenberechnungen stets berücksichtigt worden, wobei die Preissteigerungen den Angaben des statistischen Bundesamtes (Destatis) entnommen worden seien. Die in der Zwischenzeit aufgetretenen nicht unerheblichen Preissteigerungen seien in die Auftragswertschätzung mit eingeflossen. Es seien keine pauschalen Werte herangezogen worden, sondern aktuelle Preise die aus Angebotsabfragen bei Herstellern, Internetrecherche und aus dem Submissionsergebnis einer vergleichbaren Ausschreibung ermittelt worden seien. Vorliegend sei ein bepreistes Leistungsverzeichnis erstellt worden, das inhaltlich deckungsgleich mit den ausgeschriebenen Leistungen gewesen sei. In der Kostenschätzung sei ein Sicherheitszuschlag von rund 10 % berücksichtigt worden.
Das Angebot der ASt belaufe sich auf eine Bruttoangebotssumme von ### EUR inkl. Wartung und übersteige die zeitnah vor Ausschreibungsbeginn aufgestellte Auftragswertschätzung deutlich um absolut ### EUR. Das entspreche einer relativen Überschreitung von ### %. Auch unter Berücksichtigung eines zusätzlichen Risikozuschlages von 20 % betrage die relative Überschreitung immer noch ### %, absolut ### EUR.
In der Rechtsprechung würde die fehlende Wirtschaftlichkeit bei einer Abweichung von mehr als 20 % von der Auftragswertermittlung angenommen. Das Angebot liege um nahezu 200 % über der ursprünglichen Kostenschätzung vom April 2023 und um ### % über der mit weiteren Risikozuschlägen i.H.v. 20 % nachträglich belegten Kostenschätzung.
Die deutliche Überschreitung ergebe sich vor allem aus den sehr hohen Stundenansätzen und den marktunüblichen Zuschlägen der ASt für die Allgemeinen Geschäftskosten sowie Wagnis und Gewinn. Die VSt habe im Rahmen der Kostenschätzung die bestehenden Erschwernisse aufgrund der beengten Lage der Baustelle im Innenstadtbereich, die Herausforderungen aufgrund der Bestandssanierung und die Anforderungen aufgrund der Denkmaleigenschaft ausreichend berücksichtigt.
Die VSt habe bei der Entscheidung zur Aufhebung im Rahmen der Ermessensausübung eine umfassende Interessensabwägung zugrunde gelegt. Vorliegend sei nur ein einziges Angebot eingereicht worden. Dies stelle einen weitgehenden Ausfall des Wettbewerbs dar. Die VSt sei in eine erneute Markterkundung eingetreten, um die Voraussetzungen für eine erneute, wettbewerbsintensivere Ausschreibung zu klären. Zudem bestehe eine extrem hohe Abweichung des Angebotspreises von der vertretbaren Kostenschätzung. Die Aufhebung sei daher nicht als willkürlich anzusehen und sei auch nicht nur zum Schein erfolgt. In der Abwägung müsse das Interesse der ASt an einer Zuschlagserteilung hinter den hier vorrangigen Interessen der VSt an einer möglichst wirtschaftlichen Beschaffung zurückstehen. Die VSt habe dabei auch berücksichtigt, dass die Aufhebung erst am Ende des Verfahrens erfolgt sei. Dies sei jedoch dem Umstand geschuldet, dass die Gründe für die Aufhebung erst nach Angebotsabgabe und damit für den Auftraggeber unvorhersehbar zu Tage getreten seien. Die VSt habe zudem vorher den Versuch unternommen, durch Aufklärung der Angebotspreise mehr Klarheit über die Gründe zu erlangen. Auch sei geprüft worden, ob ein milderes Mittel gegenüber der Aufhebung bestehe. Eine Rückversetzung des Verfahrens als milderes Mittel sei wie auch Handlungsalternativen wie etwa eine Reduzierung des Leistungsumfanges vorliegend nicht in Betracht gekommen. Ebenso sei der VSt nicht zuzumuten, auf spätere Vergabegewinne in den verbleibenden Leistungen zu spekulieren. Eine Zuschlagserteilung sei auch vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage der VSt mit dem Gebot der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung nicht zu vereinbaren.
9. Mit Schriftsatz vom 11.10.2023 erwiderten die Verfahrensbevollmächtigten der ASt, dass der Antrag per qualifiziert elektronisch signierter E-Mail über das beA im Verfahren über EGVP die Schriftform des § 161 Abs. 1 S. 1 GWB erfülle.
10. Mit Schriftsatz vom 19.10.2023 wiederholten die Verfahrensbevollmächtigten der VSt, dass die Schriftform nicht eingehalten worden sei und die Aufhebung rechtmäßig sei.
11. Am 24.10.2023 wurde der ASt auf Antrag ergänzend Akteneinsicht gewährt.
12. Mit Schriftsatz vom 31.10.2023 nahmen die Verfahrensbevollmächtigten der ASt Stellung. Es liege ein Verstoß gegen Anlage 15 zu §§ 55, 56 HOAI i.V.m. DIN 276 Gliederungstiefe Ebene 3 vor. Zudem weise die Kostenplanung Kostensteigerungen in der Zeit von 2020 bis 2023 auf. Daraus folge, dass die Kalkulation auf enorme Kostensteigerungen angelegt gewesen sei. Bei einer Ausschreibung, die auf enorme Kostensteigerung angelegt sei, sei eine Aufhebung aus "anderem schwerwiegenden Grund" nicht möglich. Die VSt habe die Kosten auch nicht kontinuierlich fortgeschrieben.
13. Mit Schriftsatz vom 10.11.2023 erwiderten die Verfahrensbevollmächtigten der VSt. Der Versuch der ASt die Vertretbarkeit der Auftragswertschätzung durch angebliche Fehler in früheren Planungsstadien in Frage zu stellen, gehe fehl. Grundlage für die Aufhebungsentscheidung sei allein die Auftragswertschätzung in Form des bepreisten Leistungsverzeichnisses vom ##.##.2023 gewesen. Diese Kostenschätzung und deren Vertretbarkeit sei alleiniger Maßstab für die Beurteilung, ob eine Aufhebung wegen Unwirtschaftlichkeit gerechtfertigt gewesen sei. Die ASt setze sich nicht mit dem Vergabevermerk zur Aufhebung und den Gründen in der Antragserwiderung auseinander. Stattdessen würden angebliche Verstöße behauptet. Ein - unterstellter - Verstoß wäre jedoch für die Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung unerheblich. Unabhängig davon seien die behaupteten Mängel ohnehin nicht gegeben.
14. Mit Schriftsatz vom 16.11.2023 nahmen die Verfahrensbevollmächtigten der ASt erneut Stellung. Ein schwerwiegender Grund gem. § 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A liege nicht vor. Die VSt habe keine Interessenabwägung durchgeführt. Hierzu sei bisher nichts vorgetragen worden. Das Verhalten der VSt sei offenkundig auf der Grundlage einer Kalkulation von Kosten erfolgt, die realitäts- und marktfern sei oder einen ruinösen Ansatz erzwingen würde.
15. Mit Schriftsatz vom 28.11.2023 erwiderten die Verfahrensbevollmächtigten der VSt. Der Vergabevermerk zur Aufhebungsentscheidung vom 28.08.2023 enthalte eine umfassende Interessenabwägung. Die Auftragswertberechnung sei ordnungsgemäß und vertretbar. Die VSt habe die Rahmenbedingungen ausreichend im Leistungsverzeichnis berücksichtigt. Die Behauptung, zu den in der Auftragswertschätzung angenommenen Kosten könne kein auskömmliches Angebot kalkuliert werden, sei nicht zutreffend.
16. Mit Schriftsatz vom 30.11.2023 wiederholten und vertieften die Verfahrensbevollmächtigten der ASt ihre Auffassung.
17. Mit Schriftsatz vom 05.12.2023 erwiderten die Verfahrensbevollmächtigten der VSt. Der Ausschreibung habe eine detaillierte und den Vorgaben der HOAI entsprechende Auftragswertschätzung in Form eines bepreisten Leistungsverzeichnisses zugrunde gelegen, das identisch mit dem der Ausschreibung zugrunde gelegten Leistungsverzeichnis sei und zeitnah vor dem Beginn der Ausschreibung aufgestellt worden sei.
Der Hauptantrag sei unzulässig, weil die Vergabekammer Entscheidungen des Auftraggebers nicht ersetzen dürfe.
18. Am 09.10.2023 und zuletzt am 22.11.2023 hat die Vergabekammer wegen tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten die Entscheidungsfrist gem. § 167 Abs. 1 Satz 2 GWB bis einschließlich 19.01.2024 verlängert.
19. In der mündlichen Verhandlung vom 08.12.2023 hatten die Beteiligten Gelegenheit, sich zur Sache zu äußern.
Die ASt stellt folgende Anträge:
Die Aufhebung wird aufgehoben.
Der ASt wird der Zuschlag auf ihr Angebot vom 06.06.2023 erteilt.
Hilfsweise:
Es wird festgestellt, dass die ASt durch die Aufhebung in ihren Rechten verletzt ist.
20. Im Übrigen wird hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die Verfahrensakte der Vergabekammer, das Protokoll der mündlichen Verhandlung und die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
Der Nachprüfungsantrag ist über das beA bei der Vergabekammer eingegangen, was den Formerfordernissen des § 161 Abs. 1 Satz 1 GWB in analoger Anwendung des § 130a Abs. 3, Abs. 4 Nr. 2 ZPO entspricht (so auch VK Südbayern, Beschluss vom 28.09.2020 - 3194.Z3-3_01-20-11; VK Rheinland, Beschluss vom 18.11.2022 - VK 35/22 - L).
a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 Satz 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
b) Die VSt ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 GWB.
c) Bei dem ausgeschriebenen Auftrag handelt es sich um einen Bauauftrag im Sinne von § 103 Abs. 3 GWB.
d) Bei Addition sämtlicher Bauaufträge für die "Generalsanierung Theater" wird der maßgebliche Schwellenwert überschritten.
e) Die ASt ist antragsbefugt im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB, denn sie hat ihr Interesse an dem öffentlichen Auftrag mit der Abgabe eines Angebotes nachgewiesen und eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Sie hat zudem dargelegt, dass ihr durch die Aufhebung des Vergabeverfahrens ein Schaden zu entstehen droht.
f) Die ASt ist ihrer Rügeobliegenheit rechtzeitig nachgekommen. Insbesondere liegt keine Präklusion gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB vor. Danach ist der Antrag unzulässig, wenn mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen, vergangen sind. Die ASt wurde durch Schreiben der VSt vom 25.08.2023 über die Nichtabhilfe informiert. Der Nachprüfungsantrag wurde am 11.09.2023 bei der Vergabekammer noch rechtzeitig gestellt. Für die Berechnung der Frist nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB gelten im Hinblick auf § 31 Abs. 1 VwVfG die Vorschriften der §§ 187 bis 193 BGB entsprechend. Aus dem für das Fristende hier anzuwendenden § 193 BGB folgt, dass das rein rechnerisch auf Samstag, den 09.09.2023 fallende Fristende auf den Ablauf des nächsten Werktags, mithin Montag, den 11.09.2023 hinausgeschoben wird.
g) Der Zuschlag wurde noch nicht erteilt, § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB.
2. Der Nachprüfungsantrag ist jedoch hinsichtlich des Hauptantrages unbegründet (a). Der Hilfsantrag ist bereits unzulässig (b) und überdies auch unbegründet (c).
a. Der (Haupt-) Antrag auf Aufhebung der Aufhebung ist unbegründet. Die ASt ist durch die Aufhebungsentscheidung der VSt nicht in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt.
Erst recht steht der ASt deshalb auch kein Anspruch auf Bezuschlagung ihres Angebots zu. Eine Auslegung ihres Antrags
"Der ASt wird der Zuschlag auf ihr Angebot vom ##.##.2023 erteilt"
kann daher letztlich dahinstehen. Unabhängig davon, ob der Antrag auf Zuschlagserteilung durch die Vergabekammer selbst oder als Antrag auf Verpflichtung der VSt auszulegen ist, kommt vorliegend eine Zuschlagserteilung aufgrund der wirksamen Aufhebung jedenfalls nicht in Betracht.
Der (Haupt-) Antrag auf Aufhebung der Aufhebung ist unbegründet, da die Aufhebung wirksam erfolgt ist.
Ein öffentlicher Auftraggeber ist aufgrund eines einmal eingeleiteten Vergabeverfahrens grundsätzlich nicht zur Zuschlagserteilung verpflichtet. Auch dann, wenn kein Aufhebungsgrund nach § 17 EU Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VOB/A vorliegt, kann er von einem Vergabeverfahren Abstand nehmen. Da ein Kontrahierungszwang der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers zuwiderlaufen würde, kann dieser deshalb jederzeit auf die Vergabe des Auftrags verzichten, unabhängig davon, ob die gesetzlich normierten Aufhebungsgründe erfüllt sind (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.12.2021 - Verg 12/21; Beschluss vom 10.02.2021, VII-Verg 22/20).
Nur in Ausnahmefällen kann ein Anspruch auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens angenommen werden. Das ist der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber für seine Aufhebungsentscheidung keinen sachlichen Grund vorweisen kann und sie deshalb willkürlich ist oder wenn die Aufhebung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht nur zu dem Zweck erfolgt, Bieter zu diskriminieren (vgl. BGH, Beschluss vom 20.03.2014, X ZB 18/13; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.12.2021 - Verg 12/21).
Ein solcher Ausnahmefall, der der ASt einen Anspruch auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens einräumen würde, ist vorliegend nicht gegeben. Weder ist die Aufhebung der Ausschreibung ohne sachlichen Grund, das heißt willkürlich, noch verfolgt sie den Zweck die ASt zu diskriminieren und andere Bieter zu bevorzugen.
Die Aufhebung war nicht willkürlich. Willkürlich ist die Aufhebung des Vergabeverfahrens nur dann, wenn sie unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Willkür liegt erst dann vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm in eklatanter Weise nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in eklatanter Weise missdeutet wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.12.2021 - Verg 12/21).
Hierfür liegen keine Anhaltspunkte vor. Die VSt beruft sich für die Aufhebung des Vergabeverfahrens auf die fehlende Wirtschaftlichkeit als einen Unterfall der anderen schwerwiegenden Gründe in § 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A. Dies stellt ein grundsätzlich anerkennenswertes Motiv dar. Die VSt hat in ihrem Vergabevermerk vom 23.08.2023 die Aufhebungsentscheidung ausführlich dokumentiert. Im Rahmen der Ermessensausübung hat sie eine umfassende Interessensabwägung zugrunde gelegt. Demnach habe ein weitgehender Ausfall des Wettbewerbs vorgelegen, da nur ein einziges Angebot eingereicht worden sei. Zudem habe eine extrem hohe Abweichung des Angebotspreises von der vertretbaren Kostenschätzung bestanden. Die VSt sei daher in eine erneute Markterkundung eingetreten, um die Voraussetzungen für eine erneute, wettbewerbsintensivere Ausschreibung zu klären.
Die VSt kann sich somit auf sachliche Gründe für die Aufhebung berufen. Die Aufhebung ist daher nicht als willkürlich anzusehen. Wenn die ASt der Auffassung ist, dass keine andere Entscheidung als die Zuschlagserteilung an die ASt möglich sei und schon deshalb die Aufhebung des Vergabeverfahrens willkürlich sei, ist dem nicht zu folgen.
Auch liegt kein Fall einer Scheinaufhebung vor. Anhaltspunkte dafür, dass die Aufhebung dazu dient, die ASt zu diskriminieren und andere Bieter zu bevorzugen, sind nicht ersichtlich. Es ist nicht davon auszugehen, dass die VSt lediglich die formalen Voraussetzungen dafür schaffen will, den Auftrag an einen bestimmten Bieter vergeben zu können. Hierfür spricht bereits, dass neben der ASt kein weiterer Bieter am streitgegenständlichen Vergabeverfahren teilgenommen hat. Vielmehr ist es so, dass die Ausschreibung laut der VSt nun so gestaltet werden soll, dass eine größere Marktbreite erreicht wird. Eine Bevorzugung eines bestimmten anderen Bieters ist hierin nicht erkennbar. Im Übrigen kann die Vergabekammer in der Behauptung der ASt, die Kostenschätzung der VSt sei auf das Budget der VSt abgestellt worden und nicht auf die Marktpreise, keine Diskriminierung im obigen Sinne erkennen.
b. Der erstmals in der mündlichen Verhandlung gestellte Hilfsantrag auf Feststellung,
"dass die ASt durch die Aufhebung in ihren Rechten verletzt ist",
ist unzulässig und unbegründet.
Die Vergabekammer geht davon aus, dass die anwaltlich bevollmächtigte ASt einen Fortsetzungsfeststellungsantrag stellen wollte und legt den Hilfsantrag zu Gunsten der ASt dahingehend aus, dass die Feststellung beantragt worden ist, dass die Aufhebung rechtswidrig war und die ASt dadurch in ihren Rechten verletzt worden ist.
Allerdings ist der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag mangels Darlegung eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses bereits unzulässig.
Die ASt hat kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung dargelegt. Ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Antrag auf Feststellung einer Rechtsverletzung gemäß § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB ist ein gesondertes Feststellungsinteresse, das vom Antragsteller darzulegen ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.12.2021 - Verg 12/21; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.10.2023 - Verg 18/23; OLG München, Beschluss vom 19.07.2012, Verg 8/12; Blöcker in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 168 Rn. 94). Das für den Antrag notwendige Feststellungsinteresse rechtfertigt sich durch jedes nach vernünftigen Erwägungen und Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7.08.2019 - Verg 9/19). Ein solches Feststellungsinteresse kann gegeben sein, wenn der Antrag der Vorbereitung einer Schadensersatzforderung dient, eine hinreichend konkrete, an objektiven Anhaltspunkten festzumachende Wiederholungsgefahr besteht oder die Feststellung zur Rehabilitierung des Bieters erforderlich ist, weil der angegriffenen Entscheidung ein diskriminierender Charakter zukommt. Das Feststellungsinteresse ist mit der Umstellung der ursprünglichen Anträge auf den Feststellungsantrag explizit zu begründen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.06.2021 - Verg 43/20; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.10.2023 - Verg 18/23).
Dies ist vorliegend nicht erfolgt. Bei dem Feststellungsantrag gemäß § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB handelt es sich um einen eigenständigen Antrag. Dieser und das Feststellungsinteresse bedürfen, wie zuvor ausgeführt, einer eigenen, gesonderten Begründung. Die anwaltlich vertretene ASt hat den Feststellungsantrag nicht ausreichend begründet. Sie hat nicht ansatzweise dargelegt, auf welchen der vorgenannten Aspekte sich für sie das besondere Feststellungsinteresse gründet. Die ASt hat zwar nach Erörterung der Sach- und Rechtslage ihren Hilfsantrag in der mündlichen Verhandlung gestellt, dabei aber nur unzureichende Ausführungen zum Feststellungsinteresse getätigt. Trotz expliziter Nachfrage seitens des Vorsitzenden der Vergabekammer an die anwaltlich vertretene ASt, worin ihr Feststellungsinteresse besteht, erwiderte die ASt lediglich, dass ihr Feststellungsinteresse darin bestehe, dass keine andere Entscheidung der VSt als die Zuschlagserteilung an die ASt möglich sei. Die ASt sei die einzige Bieterin daher sei ihr der Zuschlag zu erteilen. Dieser Vortrag der ASt stellt keine ausreichende Darlegung eines besonderen Feststellungsinteresses dar und reicht nicht, um ein Feststellungsinteresse bejahen zu können.
Der Vergabekammer ist es auch verwehrt, eine etwaige Begründung des für die Zulässigkeit des Feststellungsantrages notwendigen Feststellungsinteresses von Amts wegen aus dem Vorbringen zum Nachprüfungsantrag herzuleiten und zu prüfen (vgl. VK Brandenburg, Beschluss vom 08.09.2017 - VK 6/17). Dies betrifft etwa die Ausführungen der ASt, wonach vermeintlich die Willkürschwelle überschritten sei und die Entscheidung der VSt zur Aufhebung diskriminierend sei. Im Übrigen würde selbst diese Argumentation vorliegend kein Feststellungsinteresse begründen. Es käme allenfalls die Geltendmachung eines Rehabilitationsinteresses in Betracht, allerdings wäre die ASt auch damit nicht durchgedrungen. Denn ein Rehabilitationsinteresse kann ein Feststellungsinteresse nur dann begründen, wenn der angegriffenen Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers ein diskriminierender, rufschädigender Charakter zukommt. Es bedürfte einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Rechte der ASt durch den öffentlichen Auftraggeber mit Wirkung nach außen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30.10.2014 - 13 Verg 8/14; Schäfer, in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., § 178 Rn. 40). Davon kann hier mit Blick auf die Entscheidung der VSt, das Vergabeverfahren aufgrund fehlender Wirtschaftlichkeit nach § 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A aufzuheben, aber keine Rede sein. Es reicht gerade nicht, dass das betroffene Bieterunternehmen die von ihm beanstandete Maßnahme als diskriminierend empfunden hat (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.10.2023 - Verg 18/23).
c. Unabhängig davon, dass der Feststellungsantrag bereits unzulässig ist, ist dieser überdies auch unbegründet.
Entgegen der Auffassung der ASt wird die Aufhebungsentscheidung der VSt von § 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A getragen.
Die VSt hat ihre Aufhebungsentscheidung tragfähig damit begründet, dass aufgrund des im Vergleich zur Kostenschätzung, auch unter Berücksichtigung eines vorsorglichen zusätzlichen 20%-igen Risikozuschlages, extrem hohen Angebotspreises des einzig vorhandenen Angebots der ASt kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt worden sei. Die ordnungsgemäß und aktuell zur Ausschreibung erstellte Kostenschätzung sei durch das einzige erhaltene Angebot um mehr als 190 % überschritten worden. Nach umfassender Abwägung aller Interessen habe sich die VSt deshalb für eine Aufhebung des Verfahrens entschieden.
Ein unwirtschaftliches Ergebnis der Ausschreibung aufgrund eines Angebot, welches den ordnungsgemäß ermittelten Auftragswert deutlich übersteigt, stellt einen schwerwiegenden Grund im Sinne des § 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A dar (vgl. VK Niedersachsen, Beschluss vom 08.06.2020 - VgK-09/2020).
Hierfür muss die vor der Ausschreibung vorgenommene Kostenschätzung der Vergabestelle aufgrund der bei ihrer Aufstellung vorliegenden und erkennbaren Daten als vertretbar erscheinen und die im Vergabeverfahren abgegebenen Gebote deutlich darüber liegen (vgl. BGH, Urteil vom 20.11.2012 - X ZR 108/10). Der BGH setzt für eine ordnungsgemäße Kostenschätzung voraus, dass die Vergabestelle oder der von ihr gegebenenfalls beauftragte Fachmann für die Schätzung Methoden wählt, die ein wirklichkeitsnahes Schätzungsergebnis ernsthaft erwarten lassen. Die Gegenstände der Schätzung und der ausgeschriebenen Maßnahme müssen deckungsgleich sein. Maßgeblich dafür sind im Ausgangspunkt die Positionen des Leistungsverzeichnisses, das der konkret durchgeführten Ausschreibung zugrunde liegt (VK Südbayern, Beschluss vom 29.01.2018 - Z3-3-3194-1-53-11/17). Die Schätzung der zugrunde gelegten Preise muss im Zeitpunkt der Bekanntmachung aktuell sein (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.03.2019 - Verg 42/18).
Auch mit angemessener Sorgfalt durchgeführte Schätzungen sind nur Prognoseentscheidungen. Bei der Ordnungsgemäßheit der Kostenschätzung geht es nicht vorrangig darum, dass die Preise tatsächlich den Marktpreisen entsprechen. Es kommt darauf an, dass die Methodik der Kostenermittlung grundsätzlich geeignet ist, Marktpreise im Voraus zu schätzen (vgl. VK Nordbayern, Beschluss vom 05.07.2019 - RMF-SG21-3194-4-23).
Die Feststellung der Unwirtschaftlichkeit erfordert eine aktuelle und ordnungsgemäße Ermittlung des Auftragswerts. Geeignete Grundlage hierfür ist - wie vorliegend der Fall - ein bepreistes Leitungsverzeichnis nach Leistungsphase 6 d der Anlage 10 zu § 34 HOAI. Das bepreiste Leistungsverzeichnis ist die dem Beginn der Vergabe zeitlich nächstgelegene Dokumentation (vgl. VK Nordbayern, Beschluss vom 05.07.2019, RMF-SG21-3194-4-23; VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.01.2020 - 1 VK 69/19) der aktuellen Kostenermittlung. Sie ist daher mit deutlichem Abstand das beste Instrument, um zu dokumentieren, ob die Preise der Submission deutlich über den berechtigten Erwartungen des Auftraggebers liegen (vgl. VK Niedersachsen, Beschluss vom 08.06.2020 - VgK-09/2020).
Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, erscheint der Vergabekammer die vor der Ausschreibung vorgenommene Kostenschätzung der VSt als vertretbar.
Die VSt hat die Ordnungsgemäßheit der Kostenschätzung ausreichend dargelegt. Die VSt bzw. deren beauftragter Fachplaner wählte für die Schätzung eine Methode, die ein wirklichkeitsnahes Schätzungsergebnis ernsthaft hat erwarten lassen. Die Gegenstände der Schätzung und der ausgeschriebenen Maßnahme sind deckungsgleich. Die Methodik der Kostenermittlung wurde im Vergabevermerk bzw. in den Vergabeunterlagen ausführlich erläutert. Im November 2019 erfolgte die erste Kostenschätzung (Leistungsphase 2) anhand von vergleichbaren Projekten. Die Leistungsphase 3 wurde im August 2020 erstellt, hierbei wurde das Submissionsergebnis aus einem Schauspielhaus in Würzburg zu Grunde gelegt worden und ein prozentualer Sicherheitsfaktor berücksichtigt. Im Februar 2021 und im Mai 2022 wurde die Kostenberechnung jeweils fortgeschrieben und Kostensteigerungen berücksichtigt. Die Preissteigerungen wurden dem statistischen Bundesamt (Destatis) entnommen.
Das vorliegend entscheidende (siehe hierzu die obigen Ausführungen) bepreiste Leistungsverzeichnis nach Leistungsphase 6 Buchst. d) der Anlage 10 zu § 34 HOAI wurde im ### 2023 zeitnah vor Beginn der Ausschreibung erstellt. Grundlage für die Massenauszüge war die Ausführungsplanung des Fachplaners gewesen. Die Massenauszüge wurden aus einem CAD-Berechnungsprogramm erstellt und es wurden Sicherheitsfaktoren bei der Massenermittlung berücksichtigt. Diese erfolgten nicht nach einem pauschalen Wert. Die Preise wurden aus Angebotsabfragen bei Herstellern, Internetrecherche und aus dem aktuellen (März 2023) Submissionsergebnis einer mit dem streitgegenständlichen Projekt vergleichbaren Ausschreibung zum Gewerk Feuerlöschtechnik (Generalsanierung ###) ermittelt. Zudem wurden bei dem bepreisten Leistungsverzeichnis Erschwernisse und Zuschläge sowie ein Sicherheitsfaktor von rund 10 % berücksichtigt. Das bepreiste Leistungsverzeichnis ist deckungsgleich mit den ausgeschriebenen Leistungen und datiert auf den ###.04.2023. Die Ausschreibung erfolgte kurz danach mit europaweiter Bekanntmachung vom ### 2023, sodass die Kostenberechnung im Zeitpunkt der Bekanntmachung ausreichend aktuell gewesen ist.
Das Angebot der ASt überschreitet auch deutlich die vertretbare Kostenschätzung der VSt.
Wann eine erhebliche Überschreitung der Kostenschätzung vorliegt, kann nicht pauschal festgelegt werden. Dies ist anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu entscheiden. Die Ansätze innerhalb der Rechtsprechung variieren deswegen erheblich; grundsätzlich wurde eine Aufhebung bei einer Überschreitung um 10 % bis 50 % als rechtmäßig angesehen (vgl. VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 17.06.2021 - 3 VK 9/20 m.w.N.). Diese Grenzen werden im vorliegenden Fall bei einer Überschreitung von nahezu 200 % eindeutig überschritten. Das Angebot der ASt beläuft sich auf eine Bruttosumme von ### EUR ohne Wartung bzw. ### EUR inklusive Wartung, das bepreiste Leistungsverzeichnis hingegen auf ### EUR brutto ohne Wartung bzw. ### EUR brutto inklusive Wartung.
Nach § 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A steht dem öffentlichen Auftraggeber bei seiner Aufhebungsentscheidung ein Ermessen ("kann") zu, das von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt dahin überprüft werden kann, ob die Vergabestelle ihr Ermessen ausgeübt hat, ob sie das vorgeschriebene Verfahren eingehalten hat, von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist und keine sachwidrigen Erwägungen in die Wertung eingeflossen sind (vgl. OLG München, B.v, 06.12.2012 - Verg 25/12). Weiterhin ist auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
Die Entscheidung der VSt genügt diesen Anforderungen und lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Unter Beachtung der Vorgaben der Rechtsprechung führte die VSt eine umfassende Interessensabwägung durch. Die VSt hat eine eigene Ermessensentscheidung getroffen und hierbei die Belange der ASt in die Ermessensabwägungen ausreichend eingestellt. Hinsichtlich der detailreichen Ausführungen wird auf den mehrseitigen Vergabevermerk der VSt vom 23.08.2023 verwiesen. Nach Auffassung der Vergabekammer hat die VSt ihr Ermessen vergaberechtsfehlerfrei ausgeübt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
a) Die ASt trägt die Kosten des Verfahrens, weil sie mit ihren Anträgen unterlegen ist (§ 182 Abs. 3 Satz 1 GWB).
b) Die Kostenerstattungspflicht gegenüber der VSt ergibt sich aus § 182 Abs. 4 GWB.
c) Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die VSt notwendig (§ 182 Abs. 4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG entspr.). Es handelt sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall, so dass es der VSt nicht zuzumuten war, das Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu führen. Auch die ASt war gleichermaßen rechtsanwaltlich vertreten.
d) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 GWB festzusetzen. Im Hinblick auf die Bruttoangebotssumme der ASt und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen und sachlichen Aufwands der Vergabekammer errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamtes eine Gebühr in Höhe von ### EUR. Da ohne Beiladung entschieden werden konnte, wird die Gebühr um ### EUR auf ### EUR reduziert.
e) Der von der ASt geleistete Kostenvorschuss von 2.500 EUR wird mit der zu zahlenden Gebühr verrechnet. Nach Bestandskraft der Entscheidung erhält die ASt über den Differenzbetrag eine Kostenrechnung i.H.v. ### EUR.
(...)
Aktuelle Entscheidungen
Vergaberecht ist ein spannendes und anspruchsvolles Thema. Behalten Sie jederzeit den Überblick: Hier finden Sie interessante vergaberechtliche Entscheidungen der letzten 14 Tage.
Archiv
Gewusst, wo: Vergaberechtsentscheidungen, die älter als 14 Tage sind, können Sie bei unserem Partner vpr-online - der Datenbank für Vergabepraxis und Vergaberecht - abonnieren.
Anforderungen an eine ordnungsgemäße Kostenschätzung?
Anforderungen an eine ordnungsgemäße Kostenschätzung?
"Richtqualität" erfüllt: Angebot ausschreibungskonform!
"Richtqualität" erfüllt: Angebot ausschreibungskonform!
Melden Sie sich jetzt an unter www.vpr-online.de, um sämtliche Entscheidungen im Volltext lesen zu können.
vpr-online ist DIE Datenbank für öffentliche Auftraggeber und Bieter sowie für alle Berater auf den Gebieten des Vergaberechts.
Mit vpr-online haben Sie außerdem jederzeit und überall Zugriff auf über 5.700 VPR-Beiträge nach dem 1-Seiten-Prinzip, über 11.994 Entscheidungen im Volltext, Arbeitshilfen, Materialien und vieles mehr.
OLG Karlsruhe
Beschluss
vom 22.08.2024
15 Verg 8/24
(Ohne amtliche Leitsätze)
vorhergehend:
VK Baden-Württemberg, 10.07.2024 - 1 VK 29/24
In Sachen
[...]
hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - Vergabesenat - durch Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ###, Richterin am Oberlandesgericht ### und Richter am Oberlandesgericht ### aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22.08.2024 beschlossen:
I. Auf die sofortigen Beschwerden der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 1 sowie auf die Anschlussbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der Vergabekammer Baden-Württemberg vom 10. Juli 2024 - 1 VK 29/24 - geändert:
1. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer zu tragen.
Die Antragstellerin trägt die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung vor der Vergabekammer notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu 1.
Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Beigeladene zu 1 war notwendig.
3. Die bei der Vergabekammer entstandenen Kosten werden auf 3.225,00 Euro festgesetzt.
II. Die weitergehende Beschwerde der Antragstellerin und die weitergehende Anschlussbeschwerde der Antragsgegnerin werden zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen. Sie hat der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu 1 die Kosten zu erstatten, die zur zweckentsprechenden Erledigung des Beschwerdeverfahrens erforderlich waren.
IV. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 57.431,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragsgegnerin schrieb EU-weit im offenen Verfahren die Fassadenbekleidung ihres Rathauses mit Naturwerkstein aus.
Zum Naturwerkstein gab das Leistungsverzeichnis unter 1.3 vor:
Steinart:
Petrographische Bezeichnung / Ansprache:
Sandstein mit Gesteinsbruchstücken und kieselig-ferritischer Bindung.
Geograph. Herkunft:
Sandstein aus der Formation des Mittleren Buntsandstein bei L./R.-P..
Handelsname:
L. Sandstein / H. S.-Sandstein / P. Sandstein
Visuelles Aussehen:
Gelblicher bis beigefarbener Sandstein, feinporig, mit fein- bis mittelsandiger Struktur und einer Textur mit Parallel- und Schrägschichtung. Teils mit braunen Einschlüssen.
Oberflächenbehandlung
Oberfläche gesägt
Kantenausbildung leicht gefast
Optische Richtqualität L. Sandstein
Angebotener Stein ...
BIETERTEXTERGÄNZUNG
Angebotener Naturstein: ...
Steinbruch:
Mehrfach war zudem L. Sandstein im Leistungsverzeichnis als Leitfabrikat angegeben.
Die Antragstellerin gab das drittgünstigste Angebot ab. Nachdem die Antragsgegnerin ihre Absicht mitgeteilt hatte, der Beigeladenen zu 1 den Zuschlag zu erteilen, rügte die Antragstellerin, dass die Angebote der Beigeladenen wegen Abweichung von den Vergabeunterlagen auszuschließen seien.
In der Folge stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag. Die Angebote der Beigeladenen seien von der Vergabe auszuschließen, da der angebotene Naturstein nicht den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses entspreche. Nach ihrer Erfahrung biete die Beigeladene zu 1 nur Steine aus eigenem Steinbruch an, der die technischen Vorgaben des Leistungsverzeichnisses und die im Einzelnen beschriebenen Eigenschaften nicht erfülle. Der Stein sei nicht gleichwertig. Weiterhin sei aus der Höhe des Angebots der Beigeladenen zu 2 zu schließen, dass auch diese nicht L. Sandstein oder einen gleichwertigen Stein angeboten haben könne.
Die Antragsgegnerin hat entgegnet, der von der Beigeladenen zu 1 angebotene Stein sei gleichwertig. Die technische Gleichwertigkeit habe der Architekt geprüft. Optisch entspreche die von der Beigeladenen zu 1 eingereichte Materialprobe dem Muster des L. Sandsteins. Dagegen entspreche die Materialprobe der Beigeladenen zu 2 optisch nicht dem L. Sandstein. Das Leistungsverzeichnis gebe L. Sandstein als optische Richtqualität an. Darauf, dass das Leistungsverzeichnis angeblich nicht hinreichend bestimmt die Kriterien der Gleichwertigkeitsprüfung angebe, könne sich die Antragstellerin wegen Präklusion nicht mehr berufen.
Die Beigeladene zu 1 hat vorgetragen, die Gleichwertigkeit des von ihr angebotenen Sandsteins bezüglich der technischen Eigenschaften und der Optik habe sie nachgewiesen.
Die Vergabekammer hat der Antragsgegnerin untersagt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu 1 zu erteilen, und diese bei fortbestehender Vergabeabsicht verpflichtet, das Vergabeverfahren in den Stand vor Abgabe der Angebote zurückzuversetzen und die Vergabeunterlagen unter Berücksichtigung ihrer Rechtsauffassung zu überarbeiten. Im Übrigen hat es den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.
Das Angebot der Beigeladenen zu 1 sei nicht wegen Änderung der Vergabeunterlagen von der Wertung auszuschließen. Das Leistungsverzeichnis sei nicht hinreichend bestimmt. Die Antragsgegnerin habe die erforderlichen Gleichwertigkeitsparameter für die Prüfung der technischen Gleichwertigkeit nicht vorab transparent festgelegt. In welchen Punkten und Gesteinseigenschaften Abweichungen toleriert und als gleichwertig betrachtet würden und welche Punkte für die Antragsgegnerin so wesentlich seien, dass hiervon nicht abgewichen werden dürfe, gehe aus dem Leistungsverzeichnis nicht hervor. Ohne die Festlegung der Gleichwertigkeitsparameter könne sie, die Vergabekammer, auch nicht prüfen, ob die Gleichwertigkeitsprüfung von der Antragsgegnerin willkür- und beurteilungsfehlerfrei durchgeführt worden sei. Es sei zudem nicht dokumentiert, warum der von der Beigeladenen zu 1 angebotene Stein zum Leitfabrikat technisch gleichwertig sei und anhand welcher Parameter die Antragsgegnerin die technische Gleichwertigkeitsprüfung vorgenommen habe.
Gegen die Entscheidung der Vergabekammer haben die Antragstellerin und die Beigeladene zu 1 sofortige Beschwerde eingelegt, die Antragsgegnerin hat sich der Beschwerde der Antragstellerin angeschlossen.
Die Beigeladene führt in ihrer Beschwerde aus, dass im Leistungsverzeichnis lediglich eine optische Vergleichbarkeit mit dem Leitfabrikat gefordert gewesen sei. Technisch sei lediglich die Verwendung eines kieselig-gebundenen Sandsteins gefordert. Die Anforderung erfülle der von ihr angebotene W. Sandstein.
Dieser habe auch dieselben Verwitterungseigenschaften wie das Leitfabrikat. Wegen der guten technischen Eigenschaften sei er von der Materialprüfungsanstalt S. für die Renovierung des U. Münsters ausgewählt worden. Wenn man dem den Beurteilungsspielraum der Antragsgegnerin verkennenden Ansatz der Vergabekammer folgen würde, wäre allenfalls die Prüfung der Vergleichbarkeit auf Basis der bestehenden Ausschreibung zu wiederholen.
Die Beigeladene zu 1 beantragt,
den Beschluss der Vergabekammer aufzuheben und der Antragsgegnerin aufzugeben, die Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats zu wiederholen, hilfsweise die Prüfung und Wertung zu wiederholen.
Die Antragstellerin wehrt sich mit ihrer sofortigen Beschwerde dagegen, dass die Vergabekammer ihr die Hälfte der Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der Kosten der anderen Beteiligten auferlegt hat, und beanstandet die Höhe der festgesetzten Verfahrenskosten. Ihr die Hälfte der Verfahrenskosten aufzuerlegen, sei auf jeden Fall unangemessen; ihre Belastung sei zumindest auf höchstens 3/10 zu reduzieren. Ihr Hauptinteresse habe, wie üblich, auf der Behebung der Rechtsverletzung gelegen. Sie habe ihr Verfahrensziel, die Verhinderung eines vergaberechtswidrigen Zuschlags und den Erhalt der eigenen Zuschlagschancen vollständig erreicht. Unerheblich sei, dass sie eine weniger weitgehende Zurückversetzung des Verfahrens beantragt gehabt habe, als die Vergabekammer ausgesprochen habe. Die von der Vergabekammer festgesetzte Verfahrensgebühr entspreche zudem nicht dem Auftragswert.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss der Vergabekammer zu 3.,4.,6. und 8. aufzuheben und der Antragsgegnerin und der Beigeladenen die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin aufzuerlegen,
hilfsweise beantragt sie,
die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen unter sachgerechter Berücksichtigung des jeweiligen Umfangs des Unterliegens bzw. Obsiegens auf angemessene Quoten zu verteilen,
die bei der Vergabekammer entstandenen Verfahrenskosten auf eine angemessene Höhe reduziert festzusetzen, festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin nicht notwendig war.
Die Antragsgegnerin macht mit ihrer Anschlussbeschwerde geltend, dass die Bedingungen des Leistungsverzeichnisses und insbesondere die Vorgaben an den Naturstein nicht unklar seien und eine Prüfung möglich gewesen sei. Die Vergabekammer habe ihre, der Antragsgegnerin, Wertungsspielräume verkannt.
Nicht geltend machen könne die Antragstellerin, weil nicht rechtzeitig gerügt, dass das Material nicht aus dem Abbauort des optischen Leitfabrikats stamme. Das Gleiche gelte für die angeblich nicht ausreichend genau beschriebenen Anforderungen an einen gleichwertigen Naturstein. Bei Natursteinarbeiten komme es vornehmlich auf die Optik an. Die gleichwertigkeitsbegründenden Leistungsparameter der Optik habe sie beschrieben und transparent festgelegt.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss der Vergabekammer aufzuheben und den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Im Übrigen beantragen die Beteiligten jeweils,
die Beschwerde der Gegenseite zurückzuweisen.
II.
Die sofortigen Beschwerden und die Anschlussbeschwerde der Antragsgegnerin sind zulässig. Erfolg haben aber lediglich die sofortige Beschwerde der Beigeladenen zu 1 und insbesondere die Anschlussbeschwerde der Antragsgegnerin. Auf diese ist der Beschluss der Vergabekammer zu ändern und der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen.
Es lässt sich nicht feststellen, dass der Antragsgegnerin im Vergabeverfahren Fehler unterlaufen sind, durch die die Antragstellerin in ihren Rechten gemäß § 97 Abs. 6 GWB verletzt wurde. Die Antragsgegnerin hat den Naturwerkstein, mit dem die Fassade ihres Rathauses bekleidet werden soll, hinreichend genau beschrieben und in nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass der von der Beigeladenen angebotene Naturwerkstein "W. Sandstein" den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses entspricht.
a) Im Leistungsverzeichnis hat die Antragsgegnerin als anzubietenden Stein L. Sandstein/H. S.-Sandstein/P. Sandstein vorgegeben und diesen näher beschrieben. Sie hat allerdings weiterhin ausdrücklich ausgeführt, dass alternativ ein anderes Naturwerksteinfabrikat angeboten werden kann. Voraussetzung hierfür sei, dass das Material die in dem Leistungsverzeichnis beschriebene Eigenschaft erfülle. Unter 1.3 des Leistungsverzeichnisses ist nämlich am Ende der Beschreibung des Leistädter Sandsteins als Leitfabrikat der angebotene Stein anzugeben gewesen. Dies stellen die Beteiligten auch nicht infrage und haben nicht gerügt, dass die Angabe eines Leitfabrikats unzulässig sein könnte.
b) Infolgedessen konnten die Bieter einen Naturwerkstein anbieten, der dem Leistädter Sandstein gleichwertig ist. Die Kriterien der Gleichwertigkeit hat die Antragsgegnerin angegeben.
Wie genau ein Auftraggeber die Parameter für die Gleichwertigkeit zu beschreiben hat, kann offenbleiben. Die Antragsgegnerin hat jedenfalls ausreichend genau vorgegeben, dass der angebotene Naturwerkstein auszusehen hat wie der L. Sandstein. Denn den angebotenen Naturwerkstein hat der Bieter unter der Überschrift "Optische Richtqualität L. Sandstein" zu bezeichnen gehabt. Aufgrund dieser Angabe ist hinreichend deutlich geworden, dass für die Gleichwertigkeit des angebotenen Naturwerksteins mit dem L. Sandstein das Aussehen maßgeblich ist. Dies wird dadurch verdeutlicht und zusätzlich konkretisiert, dass bei der Beschreibung des L. Sandsteins nicht dessen Haltbarkeit oder der Gefährdungsgrad einer Verschmutzung angesprochen wird, worauf die Antragstellerin teilweise abstellt, sondern dessen "Visuelles Aussehen: gelblicher bis beigefarbener Sandstein, feinporig, mit fein- bis mittelsandiger Struktur und einer Textur mit Parallel- und Schrägschichtung, teils mit braunen Einschlüssen".
Die weiteren Angaben zum Naturwerkstein unter 1.3 des Leistungsverzeichnisses oberhalb der zitierten zum visuellen Aussehen sind keine Gleichwertigkeitsparameter, die der eventuell gleichwertige Stein zu erfüllen hat. Durch sie wird vielmehr allein der L. Sandstein näher beschrieben. Insbesondere die "geographische Herkunft: Sandstein aus der Formation des Mittleren Bundsandsteins bei L./R.-P." sowie "Handelsname: L. Sandstein / H. S.-Sandstein / P. Sandstein" können keine technischen Gleichwertigkeitsparameter sein. Es handelt sich nicht um Eigenschaften, die ein angebotener Stein haben kann und muss, sondern lediglich um Details zum L. Sandstein, die nur dieser erfüllen kann, ein gleichwertiger aber nicht. Auch die "petrographische Bezeichnung /Ansprache: Sandstein mit Gesteinsbruchstücken und kieseliger-ferritischer Bindung" kann aufgrund der Wortwahl - "Bezeichnung" - und Stellung im Leistungsverzeichnis oberhalb der Angaben zur geographischen Herkunft sowie zum Handelsname lediglich als nähere Angabe zum L. Sandstein und nicht als technische Vorgabe verstanden werden, die ein angebotener anderer Sandstein zu erfüllen hat.
Die dort genannten Begriffe finden sich auch weder in dem von der Antragstellerin vorgelegten Auszug aus dem Bildatlas wichtiger Denkmalsteine noch in dem von der Beigeladene zu 1 vorgelegten Auszug aus der Internationalen Naturwerksteinkartei zum L. Sandstein. So haben auch die Antragstellerin und die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend angegeben, dass die Antragstellerin diese Begriffe zur Beschreibung des L. Sandsteins als Formulierungshilfen für Ausschreibungen anbot und die Formulierungen ihrer Beschreibung dieses Materials auf ihrer Internetseite entsprechen.
Nr. 4.4 der Allgemeinen technischen Vertragsbedingungen legt auch nicht fest, dass ein anderer Sandstein als der L. Sandstein noch weitere Gleichwertigkeitsparameter zu erfüllen hat als das Aussehen. Die Vergabeunterlagen geben an dieser Stelle vielmehr vor, dass nicht die Antragsgegnerin die Eignung als Fassadenstein prüfen will, dass zu dieser Prüfung vielmehr der Bieter verpflichtet ist. Auch die Forderung nach dem Nachweis einer Gleichwertigkeit eines anderen angebotenen Steins als dem L. Sandstein durch Vorlage von technischen Merkblättern und Prüfzeugnissen deutet nicht an, dass eine nicht näher angegebene Gleichwertigkeit in technischer Hinsicht gefordert ist. Vielmehr wird in Zusammenhang mit dieser Bestimmung auf die Richtqualität Bezug genommen. Diese ist aber in 1.3 des Leistungsverzeichnisses als optische Richtqualität festgelegt.
Die Bestimmungen des Leistungsverzeichnisses lassen somit eine Wertung zu. Sie sind entgegen der Ansicht der Vergabekammer nicht bezüglich technischer Gleichwertigkeitsparameter unvollständig und rechtfertigen keine Zurückversetzung des Verfahrens zur Vervollständigung des Leistungsverzeichnisses.
Hat ein Bieter einen anderen Naturwerkstein als L. Sandstein erfolgreich anbieten wollen, muss sein Stein hinsichtlich der unter dem genannten Beschrieb aufgeführten Kriterien dem L. Sandstein entsprechen. Er muss lediglich gleichwertig sein, unter den genannten Kriterien also vergleichbar aussehen. Er braucht nicht identisch zu sein.
c) Die Antragsgegnerin ist bei ihrer Wertung zu dem Ergebnis gekommen, dass der von der Beigeladenen zu 1 angebotene W. Sandstein optisch dem ihr vorliegenden Muster des L. Sandsteins gleichwertig ist. Dies hat sowohl der beratende Architekt in seinem Schreiben vom 3.6.2024 ausgeführt, das Gegenstand der Vergabeakte ist, als auch der Gemeinderat festgestellt, dem die Materialproben der drei Erstplatzierten und die ursprünglich bemusterte Probe des L. Sandsteins vorgelegt wurden (vgl. Niederschrift der öffentlichen Verhandlung des Gemeinderats vom 16.5.2024). Das Ergebnis ist durch die genannte Niederschrift protokolliert und damit in der Vergabeakte ausreichend dokumentiert.
Dass die Antragsgegnerin den ihr zustehenden Wertungsspielraum überschritt, ist nicht ersichtlich.
Die erstmals in der mündlichen Verhandlung aufgebrachte Beanstandung der Antragstellerin, dass sie nicht wisse, ob die Beigeladene zu 1 die geforderten Merkblätter und Prüfzeugnisse vorgelegt hat, hat die Antragsgegnerin beantwortet. Der Senat hat die Antwort in der Vergabeakte verifiziert. Die Unterlagen sind eingereicht. Offenbleiben kann somit, ob eine die Erfüllung dieser Bedingung betreffende Rüge rechtzeitig erhoben wäre.
d) Ob die Voraussetzungen für die Angabe eines Steins einer bestimmten Herkunft gemäß § 7 EU Abs. 2 VOB/A vorgelegen haben, kann offenbleiben. Ein Verstoß gegen § 7 EU Abs. 2 VOB/A wurde von der Antragstellerin nicht gerügt und im Nachprüfungsverfahren nicht beanstandet.
e) Nach alledem ist das Angebot der Beigeladenen nicht gemäß § 16 EU Nr. 1 i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A wegen Abweichung von den Vergabeunterlagen, die die Gleichwertigkeitsparameter ausreichend klar beschrieben haben, auszuschließen.
Da auch kein weiterer Fehler der Antragsgegnerin im Vergabeverfahren gerügt und festzustellen ist, ist auf den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin auch nicht das Vergabeverfahren zurückzuversetzen.
Daher ist die Entscheidung der Vergabekammer zu ändern und der Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
III.
1. Folge der Zurückweisung des Nachprüfungsantrags ist, dass die Antragstellerin gemäß § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB die Kosten des Nachprüfungsverfahrens, gemäß § 182 Abs. 4 GWB einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und aus Billigkeit die der Beigeladenen zu tragen hat.
Die diesbezügliche sofortige Beschwerde der Antragstellerin hinsichtlich der Quotelung der Kosten ist zurückzuweisen.
2. Die Entscheidung der Vergabekammer, dass die Beigeladene notwendigerweise einen Verfahrensbevollmächtigten hinzugezogen hat, wird zu Recht nicht angegriffen.
Dagegen hat die Antragsgegnerin die Kosten ihres Verfahrensbevollmächtigten im Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu tragen. Die Hinzuziehung war nicht notwendig. Die Frage, welche Gleichwertigkeitskriterien die Antragsgegnerin heranziehen wollte und ob diese auch transparent im Leistungsverzeichnis wiedergegeben wurden, hatte sie schon im Vorfeld der Ausschreibung zu klären. Sie hätte ihre Entscheidung im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer ohne Hilfe eines externen Verfahrensbevollmächtigten verteidigen können.
3. Erfolg hat die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hinsichtlich der Höhe der Verfahrenskosten vor der Vergabekammer. Auf die zutreffenden Ausführungen der Beschwerdebegründung wird Bezug genommen. Die gebotene Interpolation führt zu dem von der Antragstellerin genannten Betrag von 3.225,00 Euro.
4. Aufgrund des Misserfolgs des Nachprüfungsantrags im Beschwerdeverfahren trägt die Antragstellerin weiterhin gemäß §§ 175 Abs. 2, 71 GWB, analog § 92 Abs. 1 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens und entspricht es der Billigkeit, dass sie der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu 1 die erforderlichen Aufwendungen für die Interessenverfolgung im Beschwerdeverfahren erstattet.
Die Beigeladene zu 2 hat sich am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt.
Gesamtvergabe ist und bleibt die Ausnahme!
Gesamtvergabe ist und bleibt die Ausnahme!
Siehe auch: Zugehörige Dokumente
Melden Sie sich jetzt an unter www.vpr-online.de, um sämtliche Entscheidungen im Volltext lesen zu können.
vpr-online ist DIE Datenbank für öffentliche Auftraggeber und Bieter sowie für alle Berater auf den Gebieten des Vergaberechts.
Mit vpr-online haben Sie außerdem jederzeit und überall Zugriff auf über 5.700 VPR-Beiträge nach dem 1-Seiten-Prinzip, über 11.988 Entscheidungen im Volltext, Arbeitshilfen, Materialien und vieles mehr.
OLG Düsseldorf
Beschluss
vom 21.08.2024
Verg 6/24
1. Ist eine Fachlosbildung (hier: Fahrbahnrückhaltesystem, Verkehrssicherung und Weißmarkierung) möglich, weil für diese Leistungen ein eigener Markt besteht, kommt eine Gesamtvergabe nur ausnahmsweise in Betracht. Der gesetzliche Regelfall ist die losweise Vergabe, sie ist grundsätzlich vorrangig.
2. Der öffentliche Auftraggeber hat sich daher, wenn ihm eine Ausnahme von dem Grundsatz der losweisen Vergabe aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen erforderlich erscheint, mit dem Gebot einer Fachlosvergabe und den dagegensprechenden Gründen intensiv auseinanderzusetzen. Er hat eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange vorzunehmen, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden Gründen nicht nur anerkennenswert sein, sondern überwiegen müssen.
3. Technische Gründe sind solche, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machen (hier verneint).
4. Wirtschaftliche Gründe liegen vor, wenn eine Aufteilung in Lose mit wirtschaftlich nachteiligen Folgen für den Auftraggeber verbunden ist, die über das übliche in Kauf zu nehmende Maß hinausgehen (hier verneint).
5. Bei seiner Entscheidung hat der öffentliche Auftraggeber einen Beurteilungsspielraum. Der Kontrolle durch die Nachprüfungsinstanzen unterliegt insofern allein, ob die Entscheidung auf vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung und nicht auf einer Fehlbeurteilung, namentlich auf Willkür, beruht. Dabei müssen die für eine Gesamtlosvergabe angeführten Gründe auf den konkreten Auftrag bezogen und tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sein.
6. Eine nachträgliche Heilung von Dokumentationsmängeln ist nur dann möglich, wenn die Vergabestelle ihre Erwägungen im Laufe des Nachprüfungsverfahrens lediglich ergänzt und präzisiert.
vorhergehend:
VK Bund, Beschluss vom 26.02.2024 - VK 2-11/24
Beschluss:
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird die Entscheidung der 2. Vergabekammer des Bundes vom 26. Februar 2024, VK 2-11/24, aufgehoben und der Antragsgegnerin die Zuschlagserteilung auf die Generalunternehmerausschreibung der Maßnahme "..." untersagt. Ihr wird aufgegeben, das Vergabeverfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der der Antragstellerin dort entstandenen notwendigen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung zu tragen.
3. Es wird festgestellt, dass die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin vor der Vergabekammer notwendig war. 4. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis 110.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsgegner schrieb mit Bekanntmachung vom 19. Dezember 2023 im offenen Verfahren die Fahrbahnerneuerung der Bundesautobahn ... EU-weit aus (Bekanntmachungsnummer: ... ). Die ausgeschriebenen Arbeiten umfassen neben der grundhaften Erneuerung von circa 90.000 Quadratmetern Asphaltfahrbahn auch die Erneuerung von 14.000 Metern Fahrbahnrückhaltesystem, eine auf-, um- und abzubauende 3+1- Verkehrsführung über eine Baustellenlänge von 7,8 Kilometern sowie die Herstellung von circa 21.000 Metern Weißmarkierung.
Eine Fachlosaufteilung ist nicht vorgesehen. Einziges Zuschlagskriterium ist ein fiktiver Wertungspreis, der sich aus dem Angebotspreis und den Verfügbarkeitskosten zusammensetzt (Ziffer 5.1.10 der Bekanntmachung). Der Bieter hat innerhalb des vorgegebenen Bauzeitfensters vom 22. April bis zum 24. August 2024 eine konkrete Bauzeit anzubieten. Für jeden angebotenen Werktag (Montag bis Samstag) werden Verfügbarkeitskosten von 100.000,00 Euro brutto in Ansatz gebracht und zum Angebotspreis hinzuaddiert.
Eine kürzere Bauzeit kann folglich einen höheren Preis ausgleichen oder gar überkompensieren. Bei Überschreitung der angebotenen Bauzeit werden die in diesem Zeitraum anfallenden Verfügbarkeitskosten vom Werklohn abgezogen, bei Unterschreitung der angebotenen Bauzeit erhält der Auftragnehmer einen zusätzlichen, zeitabhängigen Bonus (sog. Verfügbarkeitsmodell).
Den Verzicht auf eine Fachlosbildung hat die Antragsgegnerin im "Vermerk zur Gesamtvergabe" mit der Verkürzung der Bauzeit auf dem stark frequentierten Autobahnabschnitt bei Anwendung des Verfügbarkeitsmodells begründet. An der Beschleunigungsvergütung des Generalunternehmers könnten wiederrum die von ihm beauftragten Fachlos-Auftragnehmer partizipieren.
Angestrebt werde eine höhere Wirtschaftlichkeit der Beschaffung, eine deutliche Verringerung von Sicherheitsrisiken, eine Verringerung der verkehrlichen Auswirkungen und des CO2-Ausstoßes durch weniger Stau und eine Vermeidung von Kompatibilitätsproblemen. Eine Bauzeitverkürzung lasse zudem einen erheblichen volkswirtschaftlichen Nutzen erwarten. Dabei hat die Antragsgegnerin die Bauzeitenverkürzung bei einer Gesamtvergabe gegenüber einer Fachlosvergabe - abhängig von deren konkreter Ausgestaltung - auf 21 beziehungsweise 38 Tage geschätzt.
Neben einer Variante Fachlosvergabe ohne Beschleunigungsanreiz (Variante 1) hat sie eine Variante mit Fachlosvergabe und Beschleunigungsanreiz (Variante 2) mit einer Gesamtvergabe und Beschleunigungsanreiz (Variante 3) verglichen. Den von ihr angenommenen Zeitvorteil der Variante 3 gegenüber der Variante 2 von 21 Tagen hat sie mit der bei einer Gesamtvergabe möglichen überscheidenden und teilweise parallelen Nutzung des Baufelds durch die Fachgewerke begründet, die bei einer Fachlosvergabe nicht in Betracht komme.
Mit Schreiben vom 5. Januar 2024 rügte die Antragstellerin die unterbliebene Fachlosbildung für passive Schutzeinrichtungen. Es bestehe seit vielen Jahren ein Markt für passive Schutzeinrichtungen. Gründe für ein Absehen vom Regelfall der Fachlosbildung eines entsprechenden Fachloses seien nicht ersichtlich. Sie sei ein auf die Errichtung von Fahrzeugrückhaltesystemen an Straßen, insbesondere an Bundesfernstraßen ausgerichtetes Unternehmen. Erd- und Deckenbauarbeiten erbringe sie hingegen nicht, weshalb sie durch die unterbliebene Fachlosbildung an einer Angebotsabgabe gehindert werde.
Diese Rüge wies die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 9. Januar 2024 zurück. Es sprächen sowohl wirtschaftliche als auch technische Gründe für das Absehen von einer Losvergabe.
Das gewählte Verfügbarkeitsmodell solle einen Beschleunigungsimpuls setzen und lasse eine Bauzeitverkürzung von 21 Tagen erwarten. Mit Anwaltsschriftsatz vom 23. Januar 2024 hat die Antragstellerin Nachprüfung beantrag und zur Begründung ausgeführt, der Verzicht auf eine Losbildung sei vergaberechtswidrig. Bauleistungen für passive Schutzeinrichtungen seien ein seit Jahrzehnten anerkanntes, eigenständiges Fachlos im Bereich des Bundesfernstraßenbaus.
Der Gesetzgeber habe in § 97 Abs. 4 GWB bewusst ein Regel-Ausnahme-Verhältnis geschaffen, bei dem ein Abweichen vom Gebot der Losbildung nur bei Vorliegen wirtschaftlicher oder technischer Gründe gestattet sei. Eine abstrakte Darstellung möglicher Vorteile genüge nicht.
Warum die als Vorteil dargestellte zeitliche Überlappung von auszuführenden Arbeiten bei einer Fachlosvergabe nicht im selben Maße möglich sei, erschließe sich nicht. Vielmehr könne gerade bei einer Vergabe von Fachlosen ein wirtschaftliches Interesse an einer frühzeitigen Fertigstellung bei allen beteiligten Unternehmen begründet werden.
Bei der Gesamtvergabe profitiere nur der Generalunternehmer, der Boni regelmäßig nicht an Nachunternehmer auskehre. Mit der Losbildung typischerweise verbundene zeitliche Verzögerungen seien hinzunehmen.
Die Antragstellerin hat beantragt,
1. der Antragsgegnerin die Zuschlagserteilung auf die derzeitige Generalunternehmerausschreibung zu untersagen und ihr aufzugeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die Teilleistungen "Passive Schutzeinrichtungen" nach Titel 06. des Langtextleistungsverzeichnisses aus der bestehenden Generalunternehmerausschreibung herauszulösen und gesondert als Fachlos auszuschreiben und zu vergeben;
2. hilfsweise, sonstige Maßnahmen anzuordnen, um eine Rechtsverletzung auf Seiten der Antragstellerin zu verhindern;
3. der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens sowie die der Antragstellerin entstandenen notwendigen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung aufzuerlegen und auszusprechen, dass für die Antragstellerin die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren erforderlich ist.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen;
2. die Hinzuziehung ihrer Verfahrensbevollmächtigten für notwendig zu erklären.
Sie hat vorgetragen, der Nachprüfungsantrag sei unbegründet. Bei der Frage, ob eine Gesamtvergabe aufgrund überwiegender wirtschaftlicher oder technischer Gründe ausnahmsweise zulässig sei, stehe ihr ein Beurteilungsspielraum zu. Die von ihr im "Vermerk zur Gesamtvergabe" umfassend dargelegten Erwägungen rechtfertigten die Gesamtvergabe.
Maßgeblich sei das Bestreben gewesen, die mit den Bauarbeiten an dem stark verkehrsbelasteten Streckenabschnitt verbundenen negativen Auswirkungen so gering wie möglich zu halten. Das von ihr deswegen gewählte Verfügbarkeitsmodell sei auf Fachlose nicht anwendbar, weil den Fachlosanbietern die konkreten Bauzeiten des Hauptlosanbieters vor dessen Bezuschlagung nicht bekannt seien.
Auch stünden dem Generalunternehmer weitergehende Einwirkungsmöglichkeiten auf die Nachunternehmer zu, als ihr als öffentlicher Auftraggeberin bei einer Fachlosvergabe. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag mit Beschluss vom 26. Februar 2024 zurückgewiesen. Das Absehen von der Fachlosbildung sei vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Das von der Antragsgegnerin als Sachwalterin der Interessen der Allgemeinheit verfolgte Ziel der Beschleunigung der Arbeiten stelle einen wirtschaftlichen und technischen Grund für das Absehen dar.
Mit Bauarbeiten auf Autobahnen gingen nicht nur Staus, sondern auch eine erhöhte Unfallgefahr und Belästigungen der durch Ausweichverkehr betroffenen Bevölkerung einher. Dies zumal der entsprechende Autobahnabschnitt deutlich überlastet sei; ein sechsspuriger Ausbau werde als dringlich angesehen. Der Verzicht auf die Fachlosvergabe sei geeignet, eine schnellere Abwicklung des Bauvorhabens zu gewährleisten. Dass von der Antragsgegnerin gewählte Verfügbarkeitsmodell lasse sich auf eine Fachlosvergabe schon deshalb nicht übertragen, weil dann nur eine zeitlich gestaffelte Vergabe in Betracht käme.
Zunächst müssten die Bauleistungen vergeben werden, weil diese die Bauzeit vorgäben. Schon dies verzögere die Baumaßnahme. Hinzukomme, dass bei einer Gesamtvergabe die Möglichkeit zur flexiblen Absprache mit den anderen Gewerken bestehe, damit diese auf der Baustelle zeitsparend ineinandergriffen. Dies zumal der Bauunternehmer als Vertragspartner der Fachgewerke deren Bereitschaft zu flexiblem Handeln durch eine Beteiligung am Zusatzbonus für schnelleres Arbeiten erhöhen könne.
Der Verzicht auf die Fachlosvergabe sei auch im Sinne des § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB erforderlich und verhältnismäßig. Zwar wiege der Verzicht auf die Fachlosvergabe schwer. Es handele sich jedoch um einen durch die starke Belastung des Autobahnabschnitts bedingten Ausnahmefall. 90 Prozent der Bauprojekte würden losweise ausgeschrieben.
Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Sie trägt vor, der Verzicht auf eine Fachlosbildung sei nicht gerechtfertigt. Dieser müsse nach der gesetzgeberischen Wertentscheidung in § 97 Abs. 4 GWB mit Rücksicht auf die mittelständischen Interessen die Ausnahme sein, was weder die Antragsgegnerin noch die Vergabekammer beachtet habe.
Der Bau von Autobahnen und Bundesfernstraßen sei für die ausschließlich mittelständischen Fachlosanbieter die alleinige ernstzunehmende Umsatzquelle. Nur dort würden hochwertige und leistungsstarke Rückhaltesysteme in größerem Umfang benötigt und ausgeschrieben. So entspreche der Anteil der Erstellung der passiven Schutzvorrichtungen des vorliegenden Auftrags etwa ... Prozent ihres Jahresumsatzes. Dies könne im Rahmen der Abwägung nicht unberücksichtigt bleiben.
Es bedürfe einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Belange, als deren Ergebnis die für eine Gesamtvergabe sprechenden Gründe überwiegen müssten. Insoweit sei der Vermerk über die Gesamtvergabe unzureichend. Auch differenziere der Vermerk zur Gesamtvergabe nicht zwischen den einzelnen Fachgewerken.
Eine losweise Vergabe passe sich auch problemlos in das Verfügbarkeitsmodell der Antragsgegnerin ein, wenn mit ausreichendem zeitlichen Vorlauf zunächst das Hauptlos (Bauleistungen) ausgeschrieben und die konkret angebotene Bauzeit bei der folgenden Ausschreibung der Fachlose vorgegeben werde.
Eine rechtzeitige Ausschreibung und Vergabe des Hauptloses sei der Antragsgegnerin auch zumuten. So sei etwa eine andere Niederlassung der Antragsgegnerin bei der Ausschreibung "..." vorgegangen, was allgemein als mustergültig gelobt worden sei.
Eine auch nur teilweise Weitergabe eines möglicherweise erlangten Bonus durch den Generalunternehmer sei hingegen nicht realistisch; eine entsprechende Verpflichtung sei nicht vorgesehen. Zudem bleibe der angebliche Zeitvorteil bei einer Gesamtvorgabe unplausibel. Weshalb nur bei einer Gesamtvergabe sich der Aufbau der Verkehrssicherung zeitlich mit den Arbeiten an den Mittelstreifenüberfahrten und den Nothaltebuchten überlappen könne, nicht aber bei losweiser Vergabe, erschließe sich nicht.
Die Annahme, die einzelnen Auftragnehmer würden ein Tätigwerden anderer in ihrem Baufeld nicht dulden, sei praxisfern. Auch bei losweiser Vergabe arbeiteten die beteiligten Firmen parallel. Vertraglich festgeschriebene Koordinierungspflichten seien üblich.
Schon hierdurch verringere sich der angebliche Zeitvorteil von 21 Tagen um fünf Tage. Gleiches gelte für die gesonderte Vergabe der im Bauzeitenplan mit zweimal jeweils 18 Tagen veranschlagten Arbeiten an den passiven Schutzvorrichtungen, die auch im Falle der losweisen Vergabe zeitlich überlappend mit den Bauarbeiten ausgeführt werden könnten.
Ebenso sei nicht ersichtlich, weshalb einzelne Baumaßnahmen wie der Rückbau der Betonfahrbahn, das Profilieren der Unterlage, das Herstellen der Straßenabläufe und der Abbau der Verkehrssicherung bei losweiser Vergabe mehr Zeit in Anspruch nehmen sollen, wodurch sich der angebliche Zeitvorteil um weitere neun Tage verringere.
Die Antragstellerin beantragt,
1. den angefochtenen Beschluss abzuändern und - entsprechend den erstinstanzlich gestellten Sachanträgen - der Antragsgegnerin die Zuschlagserteilung auf die Generalunternehmerausschreibung der Maßnahme "... ; EU-Bekanntmachungsnummer ..." zu untersagen und ihr aufzugeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die Teilleistungen "Passive Schutzvorrichtungen" nach Titel 06. des Langtextleistungsverzeichnisses aus der bestehenden Generalunternehmerausschreibung herauszulösen und gesondert als Fachlos auszuschreiben;
2. hilfsweise, sonstige Maßnahmen anzuordnen, um eine Rechtsverletzung auf Seiten der Antragstellerin zu verhindern;
3. der Antragsgegnerin die Kosten des sofortigen Beschwerdeverfahrens sowie des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der der Antragstellerin dort entstandenen notwendigen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung aufzuerlegen und auszusprechen, dass für diese die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren erforderlich ist.
Die Antragsgegnerin beantragt,
1. die Beschwerde zurückzuweisen;
2. die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer. Bei der Erneuerung des Straßenbelags der handele es sich um einen Ausnahmefall. Die ohnehin schon starken Belastungen mit 75.000 Kraftfahrzeugen pro Tag verschärften sich durch die Baumaßnahme nochmals, zumal auch Abfahrten ganz oder teilweise gesperrt werden müssten. Vor diesem Hintergrund sei eine möglichst kurze Bauzeit unabdingbar, weshalb sie sich im Interesse eines optimalen Bauablaufs für das Verfügbarkeitsmodell entschieden habe.
Bei diesem führe aber nur eine Gesamtvergabe zu der angestrebten Beschleunigung. Nur bei einer Gesamtvergabe könne überlappend gearbeitet werden. Bei einer losweisen Vergabe werde der Verkehrssicherungsunternehmer keinem anderen Unternehmen den zeitgleichen Aufenthalt im Baufeld gestatten, weil er daran kein wirtschaftliches Interesse habe. Sei er hingegen Nachunternehmer des Generalunternehmers profitiere er von dessen Beschleunigungsvergütung.
Auch könne der Generalunternehmer durch das parallele Zurverfügungstellen von Baufeldern leichter Kapazitäten erhöhen und aufgrund ständiger Geschäftsbeziehung wirkungsvoller auf seine Nachunternehmer einwirken. Zudem hafte er für die Beschädigung seiner und anderer Gewerke durch seine Nachunternehmer, während die Haftungsfrage bei Einzelvergaben unklar sei.
Die jeweiligen Zeiten habe sie in drei verschiedenen Varianten betrachtet und eine Bauzeitverkürzung von 21 Werk- beziehungsweise 25 Kalendertagen ermittelt. Bei einer losweisen Vergabe beschränke sich der Vorteil des Verfügbarkeitsmodells auf das Hauptlos Bauleistungen, weil Verzögerungen der Fachlosauftragnehmer ihm mangels Steuerbarkeit nicht zuzurechnen wären.
Die Fachlosauftragnehmer ihrerseits hätten keine konkreten Bauzeiten, sondern hingen vom Hauptlosauftragnehmer ab. Dies bedinge auch eine Ausschreibung erst der Hauptleistung, was zu einer Verzögerung um mehrere Monate führe. Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 23. Juli 2024 hat die Antragsgegnerin einen im Nachgang zur mündlichen Verhandlung überarbeiteten und um Ziffer 4., Gesamtabwägung der Interessen kleiner und mittlerer Unternehmen und den Interessen des Auftraggebers, ergänzten "Vermerk zur Gesamtvergabe" vorgelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingereicht. Die erforderliche Beschwer der Antragstellerin ist nach § 171 Abs. 1 Satz 2 GWB gegeben, weil sie am Verfahren vor der Vergabekammer beteiligt war und die Vergabekammer ihren Nachprüfungsantrag zurückgewiesen hat.
2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Die unterbliebene Fachlosbildung verstößt gegen § 97 Abs. 4 Satz 2 und 3 GWB und verletzt die Antragsgegnerin in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB.
a) Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig. Die Antragstellerin ist antragsbefugt und mit ihrer Rüge nicht präkludiert.
aa) Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist jedes Unternehmen antragsbefugt, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag oder der Konzession hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, sofern ihm durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.
Vorliegend steht einem Interesse an dem ausgeschriebenen Auftrag nicht entgegen, dass sich die Antragstellerin nicht durch die Einreichung eines Angebots am Vergabeverfahren beteiligt hat. Denn der Antragsteller muss sein Interesse am Auftrag nicht durch die Abgabe eines Angebotes dokumentieren, wenn er einen gewichtigen Vergabeverstoß rügt, der bereits - wie hier - die grundlegenden Rahmenbedingungen der Ausschreibung betrifft (Senatsbeschluss vom 13. April 2016, VII-Verg 47/15, BeckRS 2016, 13046 Rn. 15).
Ein Unternehmen, das deshalb kein Angebot gelegt hat, weil es sich durch angeblich diskriminierende Spezifikationen in den Ausschreibungsunterlagen gerade daran gehindert gesehen hat, die ausgeschriebene Gesamtleistung zu erbringen, ist es berechtigt, ein Nachprüfungsverfahren unmittelbar gegen diese Spezifikationen einzuleiten, noch bevor das Vergabeverfahren für den betreffenden öffentlichen Auftrag abgeschlossen ist (EuGH, Urteil vom 12. Februar 2004, C-230/02).
Es genügt dann eine Interessenbekundung und die substanziierte Darlegung, an der Angebotseinreichung gerade durch ein vergaberechtswidriges Verhalten des Antragsgegners gehindert worden zu sein (Senatsbeschlüsse vom 14. Januar 2009, VII-Verg 59/08, VII-Verg 40/21; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17. Februar 2022, 367 Rn. 34; Dicks/Schnabel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 160 Rn. 12).
Dies ist vorliegend der Fall. Die Antragstellerin hat mit Rügeschreiben vom 5. Januar 2024 ihr Interesse an der Errichtung der in Titel 06. der im Langtextleistungsverzeichnis beschriebenen Teilleistung "Passive Schutzvorrichtungen" bekundet. Sie sei ein auf die Errichtung von Fahrzeugrückhaltesystemen an Straßen, insbesondere an Bundesfernstraßen ausgerichtetes Unternehmen. Erd- und Deckenbauarbeiten erbringe sie hingegen nicht, weshalb sie durch die unterbliebene Fachlosbildung an einer Angebotsabgabe gehindert werde.
bb) Die Antragstellerin ist mit ihrer Rüge der unterbliebenen Fachlosaufteilung nicht nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 3 GWB präkludiert. Die Antragstellerin hat die unterbliebene Aufteilung schon mit Schreiben vom 5. Januar 2024 und damit vor Ablauf der Angebotsfrist gerügt. Dass die Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehr als zehn Tagen Kenntnis von diesem Verstoß gegen Vergabevorschriften hatte, ist nicht ersichtlich und wird auch von der Antragsgegnerin nicht behauptet.
b) Der Nachprüfungsantrag ist begründet. Die ohne Losaufteilung erfolgte Ausschreibung der Fahrbahnerneuerung der Bundesautobahn zischen dem bestehend aus der Erneuerung der Asphaltfahrbahn, des Fahrbahnrückhaltesystems, der Herstellung der Weißmarkierung sowie der Verkehrssicherung während der Baumaßnahme verstößt gegen § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB. Die Gesamtvergabe ist nicht gemäß § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB gerechtfertigt.
aa) Ist eine Fachlosbildung - so wie vorliegend für die Leistungen Fahrbahnrückhaltesystem, Verkehrssicherung und Weißmarkierung - möglich, weil für diese Leistungen ein eigener Markt besteht (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.06.2016, Verg 6/16 Rn. 44), kommt eine Gesamtvergabe nur ausnahmsweise in Betracht. Der gesetzliche Regelfall ist die losweise Vergabe, sie ist grundsätzlich vorrangig (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.03.2020, Verg 10/20, Rn. 27 mwNachw.).
Der öffentliche Auftraggeber hat sich daher, wenn ihm eine Ausnahme von dem Grundsatz der losweisen Vergabe aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen im Sinne von § 97 Abs. 4 Satz 2 und 3 GWB erforderlich erscheint, mit dem Gebot einer Fachlosvergabe und den dagegensprechenden Gründen intensiv auseinanderzusetzen. Er hat eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange vorzunehmen, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden Gründen nicht nur anerkennenswert sein, sondern überwiegen müssen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.03.2020, Verg 10/20, Rn. 27 mwNachw.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.05.2018, 11 Verg 4/18, Rn. 72).
Der Maßstab der rechtlichen Überprüfung durch die Vergabenachprüfungsinstanzen ist allerdings beschränkt. Bei seiner Entscheidung hat der öffentliche Auftraggeber einen Beurteilungsspielraum (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.03.2020, Verg 10/20, Rn. 28; OLG München, Beschluss vom 25.03.2019, Verg 10/18 Rn. 60).
Der Kontrolle unterliegt insofern allein, ob die Entscheidung auf vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung und nicht auf einer Fehlbeurteilung, namentlich auf Willkür, beruht (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.03.2020, Verg 10/20, Rn. 28; OLG München, Beschluss vom 25.03.2019, Verg 10/18, Rn. 60; OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.05.2018, 11 Verg 4/18, Rn. 7). Dabei müssen die für eine Gesamtlosvergabe angeführten Gründe auf den konkreten Auftrag bezogen und tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sein.
bb) Nach diesen Maßstäben ist die Entscheidung der Antragsgegnerin, von einer Fachlosvergabe Abstand zu nehmen, vergaberechtsfehlerhaft. Die im "Vermerk zur Gesamtvergabe" angeführten Gründe sind keine technischen oder wirtschaftlichen Gründe im Sinne von § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB, die eine Gesamtvergabe erfordern. Darüber hinaus hat sich die Antragsgegnerin mit den für eine Fachlosbildung sprechenden Gesichtspunkten nicht auseinandergesetzt und in eine Abwägung der widerstreitenden Interessen einbezogen.
(1) Technische Gründe
Zwar beruft sich die Antragsgegnerin in ihrem 12-seitigen "Vermerk zur Gesamtvergabe" (dort Seite 1, Absatz 1) auf das Vorliegen technischer Gründe, die einer Aufteilung des Auftrags in Fachlose entgegenstehen würden.
Tatsächlich sind dem Vermerk aber keine berücksichtigungsfähigen technischen Gründe zu entnehmen. Unter technischen Gründen sind solche zu verstehen, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.05.2022, Verg 33/21, Rn. 47; OLG Koblenz, Beschluss vom 04.04.2012, 1 Verg 2/11).
Sie müssen im Auftrag selbst begründet sein und damit im Zusammenhang stehen. Sie liegen vor, wenn bei getrennten Ausschreibungen das - nicht durch die inhaltliche Gestaltung der Vergabeunterlagen vermeidbare - Risiko besteht, dass der Auftraggeber Teilleistungen erhält, die zwar jeweils ausschreibungskonform sind, aber nicht zusammenpassen und deshalb in ihrer Gesamtheit nicht geeignet sind, den Beschaffungsbedarf in der angestrebten Qualität zu befriedigen OLG Koblenz, Beschluss vom 04.04.2012, 1 Verg 2/11).
Dies ist etwa der Fall, wenn für ein Bauwerk spezifische Bauteile oder eine besondere Abstimmung der Errichtungsschritte aufeinander erforderlich sind, die bereits während des Erstellungsprozesses besondere Maßnahmen aus einer Hand erfordern (OLG Brandenburg, Beschluss vom 27.11.2008, Verg W 15/08).
Dem "Vermerk zur Gesamtvergabe" (dort Seite 8 unter d)) ist zu entnehmen, dass nach Ansicht der Antragsgegnerin eine Gesamtvergabe die Entstehung von Gefahrenlagen in Bezug auf die Verkehrs- und Arbeitssicherheit verringert, da die Ausführung der erforderlichen Leistungen fachlich und technisch überdurchschnittlich komplexen sowie miteinander verknüpften baubetrieblichen Prozessen unterliegen, die im Sinne der Bausicherheit bestmöglich von einem Gesamtauftragnehmer ausgeführt werden können.
Der Generalunternehmer könne durch seine Planung der Abläufe mit seinen Fachabteilungen und Nachunternehmern das komplexe Ineinandergreifen der einzelnen baulichen Schritte deutlich besser koordinieren als der öffentliche Auftraggeber die einzelnen Fachlose. Diese Ausführungen rechtfertigen die Feststellung technischer Gründe im Sinne der genannten Vorschrift nicht. Es ist nicht nachzuvollziehen, warum die hier in Rede stehende Fahrbahnerneuerung im Vergleich zu anderen Fahrbahnerneuerungen auf Bundesautobahnen, die nach eigenen Angaben der Antragsgegnerin in 90 Prozent aller Fälle in Fachlosen vergeben werden, deutlich höhere Anforderungen an die baubetrieblichen Prozesse in fachlicher und technischer Hinsicht stellt.
Demzufolge kann nicht festgestellt werden, dass die Fahrbahnerneuerung auf der ein besonderes über das mit einem Baustellenbetrieb üblicherweise verbundene Gefahrenpotential verfügt, das es durch eine Gesamtlosvergabe zu verringern gilt.
(2) Wirtschaftliche Gründe
Die Antragsgegnerin macht für das Abweichen von dem Grundsatz der Losvergabe auch keine Gründe geltend, die als wirtschaftliche Gründe im Sinne von § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB anzuerkennen sind. Die Aufteilung in Teil- oder Fachlose soll nicht zu einer "unwirtschaftlichen Zersplitterung" führen, da ansonsten ein wesentliches Ziel des Vergaberechts, nämlich für ein sparsames und wirtschaftlich vernünftiges Nachfrageverhalten des Staates zu sorgen, beeinträchtigt werden würde.
Wirtschaftliche Gründe liegen daher vor, wenn eine Aufteilung in Lose mit wirtschaftlich nachteiligen Folgen für den Auftraggeber verbunden ist, die über das übliche in Kauf zu nehmende Maß hinausgehen. Denn ein gewisses Maß an Aufwand, der sich auch als wirtschaftlich negativer Effekt darstellen lässt, wird vom Gesetzgeber im Hinblick auf die Förderung mittelständischer Unternehmen in Verbindung mit dem aus einer Losvergabe resultierenden Koordinierungsaufwand und der Einbindung zusätzlicher personaler Ressourcen beim öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich in Kauf genommen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.2016, Verg 47/15, Rn. 28; OLG München, Beschluss vom 25.03.2019, Verg 10/18, Rn. 48).
Der mit einer Losvergabe allgemein verbundene Ausschreibungs-, Prüfungs- und Koordinierungsmehraufwand sowie die Vermeidung von Gewährleistungsschnittstellen können eine Gesamtvergabe für sich allein nicht rechtfertigen. Es handelt sich dabei um einen Losvergaben immanenten und damit typischerweise verbundenen Mehraufwand, der nach dem Gesetzeszweck in Kauf zu nehmen ist.
Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen ist die mit einer Gesamtvergabe zu erzielende Bauzeitverkürzung als solche kein wirtschaftlicher Grund im Sinne von § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB. Erforderlich ist vielmehr, dass die Zeitersparnis kausal mit wirtschaftlichen Vorteilen für den öffentlichen Auftraggeber verbunden ist.
So hat der Senat eine Verzögerung des Gesamtvorhabens bei einer Losvergabe um mehr als 70 Werktage als wirtschaftlichen Grund gemäß § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB nur deshalb angesehen, weil sich die Arbeiten, wenn sie nicht in dem dafür vorgesehenen Zeitfenster durchgeführt werden, um mehrere Jahre verzögern und - mit Blick auf die fortlaufende Notwendigkeit des Austauschs von Betonplatten - Folgekosten in Millionenhöhe entstehen würden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.03.2020, Verg 10/20, Rn. 21).
(a) Ausweislich des "Vermerks zur Gesamtvergabe" (dort Seite 10 unter 2.) geht die Antragsgegnerin bei einer Gesamtvergabe (Variante 3) im Vergleich zu einer Fachlosbildung für die Leistungen Bau, Verkehrssicherung, Markierungen und Schutzeinrichtungen gemäß Variante 2 von einer Bauzeitenverkürzung von 21 Werktagen und damit von einer Bauzeit von vier Monaten aus (18.03.2024 bis 17.08.2024, bei der Datumsangabe "18.03.2024" dürfte es sich ausweislich eines Vergleichs mit der Baufensterangabe in der Ausschreibung um einen Schreibfehler handeln).
Hierdurch resultiere ein volkswirtschaftlicher Nutzen, der anhand standardisierter Nutzungsausfallkosten für Arbeitsstellen auf Autobahnen quantifiziert werden könne und vorliegend 123.900 Euro pro Tag mithin insgesamt 3,2 Mio.Euro betrage. Es steht bereits nicht zweifelsfrei fest, ob die Bauzeit bei einer Gesamtvergabe tatsächlich um 21 Werktage verkürzt wird. Wesentliche Ursache für die Verkürzung der Bauzeit ist nach den Ausführungen der Antragsgegnerin, dass durch eine überschneidende und teilweise parallele Nutzung des Baufelds durch die Fachgewerke (Schutzeinrichtung, Markierung, Verkehrssicherung) eine zusätzliche Beschleunigung erzielt werde, während bei der Variante 2 die genannten Fachgewerke nacheinander abgewickelt werden müssten.
Bei einer Gesamtvergabe ergäben sich folgende Synergieeffekt: Die Herstellung der Mittelstreifenüberfahrten (Fachlos Bau) und die Kampfmittelsondierung würden im Schatten des Verkehrssicherungsaufbaus laufen.
Die Aufstellung der Fahrzeugrückhaltsysteme (Fachlos Schutzeinrichtung) könne parallel laufen mit der Herstellung der Beschleunigungs- und Verzögerungsstreifen im Bereich der Anschlussstellen und der Herstellung der Fugen (beides jeweils Fachlos Bau).
Fahrzeugrückhaltesysteme und Weißmarkierung könnten zudem zeitlich überschneidend zum Deckschichteneinbau aufgestellt bzw. hergestellt werden. Warum bei einer Fachlosvergabe gemäß Variante 2 eine derartige überschneidende und teilweise parallele Nutzung des über sieben Kilometer langen Baufelds nicht Betracht kommt und alle Gewerke hintereinander abgewickelt werden müssen, erschließt sich dem Senat auch nach Erörterung in der mündlichen Verhandlung nicht.
In dem "Vermerk zur Gesamtvergabe" führt die Antragsgegnerin an anderer Stelle (dort Seite 4 unter a) zwar aus, Synergieeffekte/paralleles Arbeiten seien nur bei einer Gesamtvergabe möglich, weil der jeweilige Auftragnehmer der Fachlose Verkehrssicherung, Markierung und Schutzeinrichtung es voraussichtlich keinem anderen Fachlosunternehmen gestatten würde, sich zeitgleich auf seinem Baufeld aufzuhalten/dort zu arbeiten.
Diese Ausführungen überzeugen jedoch auch im Hinblick auf den entgegenstehenden Sachvortrag der Antragstellerin nicht. Die Antragstellerin ist dem Vortrag der Antragsgegnerin substantiiert entgegengetreten und hat auf die Ausschreibungspraxis bei mehreren parallelen, ähnlich gelagerten Vorhaben Bezug genommen.
Danach verfährt der Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen seit Jahren so, dass er die Baulaufkoordinierung dem Hauptauftragnehmer, regelmäßig dem Bauunternehmer, als eigenständige und vergütungsfähige Leistung überträgt und zugleich in den Vergabeunterlagen des Bauloses sowie der Fachlose eine wechselseitige Koordinierungspflicht festschreibt.
Diesem Vorbringen ist die Antragsgegnerin nicht substantiiert entgegengetreten, wozu sie als darlegungsbelastete Partei jedoch verpflichtet ist. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hierzu befragt teilte ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin ohne weitere Begründung mit, es sei vertraglich nicht möglich, die einzelnen Auftragnehmer zu verpflichten, sich mit den Auftragsnehmern der anderen Fachlose zeitlich zu koordinieren und sich mit einer überschneidenden und teilweise parallelen Nutzung des Baufeldes einverstanden zu erklären.
Dies ist rechtlich nicht nachvollziehbar, zumal die rechtlichen Möglichkeiten der Antragsgegnerin nicht hinter denen eines Generalunternehmers zurückstehen und - so wie die Antragstellerin geltend macht - nichts dagegenspricht, die Baukoordinierung vertraglich auf den Hauptauftragnehmer zu übertragen. Letztlich kommt es vorliegend aber auch nicht darauf an, ob die Bauzeitenverkürzung 21 Werktage oder weniger beträgt.
Dem Vorbringen der Antragsgegnerin ist nicht zu entnehmen, dass ihr als Auftraggeberin ein wirtschaftlicher Vorteil durch eine Bauzeitenverkürzung erwächst. Dass eine längere Bauzeit für sie mit höheren Kosten (welchen?) verbunden ist, macht die Antragsgegnerin nicht geltend. Sie beruft sich allein auf den volkwirtschaftlichen Nutzen einer Bauzeitenverkürzung, den sie anhand von standardisiert ermittelten Nutzungsausfallkosten berechnet.
Diese beinhalten die Kosten aus der Veränderung der Fahrzeiten im fließenden Verkehr, des überlastungsbedingten Fahrtzeitenverlusts, der (Un-)Zuverlässigkeit des Verkehrsablaufs, des Unfallgeschehens, des Kraftstoffverbrauchs und der Schadstoffbelastung. Ermittelt wird somit der Nachteil der Dritten durch die baustellenbedingte eingeschränkte Nutzung der Straße entsteht.
Bezogen auf einen höheren Kraftstoffverbrauch durch längere Fahrtzeiten handelt es sich um einen wirtschaftlichen Nachteil der Verkehrsteilnehmer, die den Baustellenbereich durchfahren oder weiträumig umfahren. Bezogen auf ggfls. verlorene Arbeitszeit treffen die wirtschaftlichen Nachteile den Arbeitgeber bzw. das hiervon nachteilig betroffene Unternehmen.
Bei alledem handelt es sich aber nicht um einen wirtschaftlichen Nachteil des öffentlichen Auftraggebers, auf den es beim Vorliegen eines wirtschaftlichen Grundes gemäß § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB entscheidend ankommt, weil er - wie bereits ausgeführt - durch das Gebot der Losaufteilung nicht zu einer für ihn als Nachfrager unwirtschaftlichen Beschaffung verpflichtet werden soll.
Nachteilige Folgen für den Straßenzustand, die Verkehrsteilnehmer, die Umwelt und die Volkswirtschaft können allenfalls bei der Gewichtung des wirtschaftlichen Nachteils für den öffentlichen Auftraggeber berücksichtigt werden. Sie können nicht an die Stelle eines von § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB geforderten wirtschaftlichen Nachteils des öffentlichen Auftraggebers treten (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.03.2020, Verg 10/20, Rn. 28).
(b) Soweit die Antragsgegnerin geltend macht, eine Fachlosvergabe gemäß Variante 2 des Vermerks zur Gesamtvergabe würde einen erhöhten zeitlichen Mehraufwand bedeuten, weil zunächst das Hauptlos Bau ausgeschrieben und bezuschlagt werden müsse, bevor wegen der dann erst feststehenden Bauzeit die übrigen Fachlose vergeben werden könnten, genügt auch dieses, erst im Nachprüfungsverfahren geltend gemachte Vorbringen nicht den Anforderungen.
Die Antragsgegnerin hat keine Ausführungen dazu gemacht, welcher wirtschaftliche Nachteil für sie mit einer derartigen "gestaffelten Vergabe" verbunden ist. Dass mit der Erneuerung des in Rede stehende Autobahnabschnitts besonders schnell begonnen werden muss, anderenfalls die Gefahr wirtschaftlicher Nachteile für sie als öffentliche Auftraggeberin droht, hat sie nicht geltend gemacht.
(c) Soweit die Antragsgegnerin in ihrem "Vermerk zur Gesamtvergabe" (dort Seite 7 unter c)) auf die höhere Wirtschaftlichkeit der Beschaffung bei einer Gesamtvergabe durch die Dispositionsfreiheit des Generalunternehmers abstellt, stellt dieses pauschale Vorbringen keine tragfähige Entscheidungsgrundlage dar. Da ein Vergleich zwischen den Angebotspreisen bei einer Gesamtvergabe und den Vergleichspreisen im Fall einer Losvergabe offenbar nicht stattgefunden hat, können keine Feststellungen dazu getroffen werden, in welcher Höhe mit Kosteneinsparungen bei einer Gesamtvergabe zu rechnen sind.
(3) Ohne dass es nach dem Vorstehenden noch darauf ankommt, ist vorliegend vergaberechtlich zu kritisieren, dass die Antragsgegnerin nach dem Inhalt ihres "Vermerks zur Gesamtvergabe" in der bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorliegenden Fassung, eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange unter Berücksichtigung der für eine Fachlosevergabe sprechenden Gesichtspunkte nicht vorgenommen hat.
Der Vermerk enthält keinerlei Ausführungen zu den Gesichtspunkten, die für eine Fachlosvergabe sprechen. Er befasst sich ausschließlich mit den Gründen, die für eine Gesamtvergabe sprechen.
Demzufolge findet sich in der Dokumentation auch keine Abwägung der widerstreitenden Belange. Eine Heilung des aufgezeigten Dokumentationsmangels scheidet aus.
Eine nachträgliche Heilung ist nur dann möglich, wenn die Vergabestelle ihre Erwägungen im Laufe des Nachprüfungsverfahrens lediglich ergänzt und präzisiert (Senatsbeschlüsse vom 10. Februar 2021, VII-Verg 22/20, BeckRS 2021, 8801 Rn. 47 und vom 23. März 2011, VII-Verg 63/10).
Dies ist vorliegend indes nicht der Fall, da der Vermerk keinerlei Ausführungen zu der erforderlichen Abwägung enthält. Soweit die Antragsgegnerin ihren "Vermerk zur Gesamtvergabe" nach Schluss der mündlichen Verhandlung um eine Ziffer 4., Gesamtabwägung der Interessen kleiner und mittlerer Unternehmen und den Interessen des Auftraggebers, ergänzt und mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 23. Juli 2024 zur Gerichtsakte gereicht hat, haben die diesbezüglichen Erwägungen außer Betracht zu bleiben.
Nach § 175 Abs. 2 i. V. m. § 65 Abs. 1 Halbsatz 1 GWB entscheidet der Senat aufgrund mündlicher Verhandlung. In tatsächlicher Hinsicht berücksichtigungsfähig ist folglich nur, was Gegenstand der mündlichen Verhandlung war; der tatsächliche Inhalt nachgereichter Schriftsätze darf nicht verwertet werden (Karsten Schmidt in Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 7. Aufl. 2024, GWB § 65 Rn. 3; Johanns/Roesen, Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Auflage 2022, GWB § 65 Rn. 3). Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung entsprechend §§ 156 Abs. 2 Nr. 1, 139 ZPO i.V.m. §§ 175 Abs. 2, 72 Nr. 2 GWB besteht nicht.
Die mündliche Verhandlung ist ordnungsgemäß geschlossen worden. Einen rechtlichen Hinweis entsprechend § 139 ZPO hat der Senat nicht erteilt, sondern die Sach- und Rechtslage mit den Verfahrensbeteiligten lediglich erörtert. Ein Hinweis war auch nicht geboten, weil die Antragstellerin bereits in ihrer Beschwerdebegründung auf das Erfordernis einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Belange, als deren Ergebnis die für eine Gesamtvergabe sprechenden Gründe überwiegen müssten, und den insoweit unzureichenden Vermerk über die Gesamtvergabe hingewiesen hatte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 3, Abs. 4, § 175 Abs. 2 i.V.m. § 71 Satz 1 GWB. Die Antragstellerin hat ihr Verfahrensziel erreicht (Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2015, VII-Verg 28/14). Dabei sind gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG auch die Gebühren und Auslagen des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin erstattungsfähig, da dessen Hinzuziehung im Verfahren vor der Vergabekammer in Anbetracht der dort aufgetretenen Schwierigkeiten notwendig war.
Über die Notwendigkeit eines Verfahrensbeteiligten, einen Rechtsanwalt zuzuziehen, ist nicht schematisch, sondern auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06, VII-Verg 38/18, BeckRS 2020, 29123 Rn. 34 und vom 15. Mai 2018, VII-Verg 58/17; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 2. November 2017, 11 Verg 8/17).
Entscheidend ist, ob der Beteiligte unter den Umständen des Falles auch selbst in der Lage gewesen wäre, aufgrund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen und hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder -verteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06).
Vorliegend stellten sich schwierige Fragen zur Reichweite des Gebots der Fachlosbildung, deren Beantwortung von einem normalen Bieter wie der Antragstellerin nicht erwartet werden kann. Die Entscheidung über die Festsetzung des Werts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Demnach beträgt der Gegenstandswert fünf Prozent des Bruttoauftragswerts, wobei vorliegend von der Schätzung der Antragstellerin für die Teilleistung auszugehen ist, deren gesonderte Vergabe als Fachlos sie begehrt.
Korrektur fehlerhafter Vergabeunterlagen auch nach Submission!
Korrektur fehlerhafter Vergabeunterlagen auch nach Submission!
Melden Sie sich jetzt an unter www.vpr-online.de, um sämtliche Entscheidungen im Volltext lesen zu können.
vpr-online ist DIE Datenbank für öffentliche Auftraggeber und Bieter sowie für alle Berater auf den Gebieten des Vergaberechts.
Mit vpr-online haben Sie außerdem jederzeit und überall Zugriff auf über 5.700 VPR-Beiträge nach dem 1-Seiten-Prinzip, über 11.986 Entscheidungen im Volltext, Arbeitshilfen, Materialien und vieles mehr.
OLG Düsseldorf
Beschluss
vom 10.05.2023
Verg 45/22
1. Für einen durchschnittlichen fachkundigen Bieter des angesprochenen Personenkreises ist bei Anwendung der üblichen Sorgfalt und üblichen Kenntnis bei laienhafter rechtlicher Bewertung nicht feststellbar, ob die Fristverlängerung nach Ablauf der Angebotsfrist auf einen Vergaberechtsverstoß hindeutet. Vertiefte rechtliche Kenntnisse, die es erlauben, die Vergaberechtskonformität einer Wiedereröffnung der Angebotsphase - einschließlich einer Differenzierung zwischen wirksamer und rechtmäßiger Wiedereröffnung - zu beurteilen, können von einem durchschnittlichen Bieter nicht erwartet werden.
2. Die erst nach Ablauf der ursprünglichen Angebotsfrist mitgeteilte Fristverlängerung stellt vergaberechtlich eine Wiedereröffnung der Angebotsfrist in Form einer Teilrückversetzung des Vergabeverfahrens (horizontale Teilaufhebung) dar.
3. Ein öffentlicher Auftraggeber kann grundsätzlich nicht verpflichtet werden, einen Auftrag auf der Grundlage einer Ausschreibung zu erteilen, die er als fehlerhaft erkannt hat. Eine bereits erfolgte Submission schließt eine solche Fehlerkorrektur nicht aus.
4. Notwendige Voraussetzung für eine vollständige oder auch nur teilweise Aufhebung einer Ausschreibung ist lediglich, dass der öffentliche Auftraggeber für seine (Teil-) Aufhebungsentscheidung einen sachlichen Grund hat, so dass eine Diskriminierung einzelner Bieter ausgeschlossen und seine Entscheidung nicht willkürlich ist oder nur zum Schein erfolgt.
5. Gleiches gilt für die Aufhebung einzelner Verfahrensabschnitte des Vergabeverfahrens (horizontale Teilaufhebung), durch die das Vergabeverfahren in einen bestimmten Verfahrensstand zurückversetzt wird.
vorhergehend:
VK Bund, Beschluss vom 13.10.2022 - VK 1-83/22
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 13.10.2022, VK 1-83/22 BKartA, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten der Beigeladenen hat die Antragstellerin zu tragen.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine Verlängerung der Angebotsfrist, die die Antragsgegnerin den Bietern erst nach Ablauf der ursprünglichen Angebotsfrist auf der Vergabeplattform mitgeteilt hat.
Mit Bekanntmachung vom 20.06.2022 schrieb die Antragsgegnerin europaweit im offenen Verfahren Reparatur- und Wartungsarbeiten von elektrischen Einrichtungen in Gebäuden im D. in N. aus (Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union, Bekanntmachungsnummer ..., Anlage Ast 1). Die Laufzeit des Vertrags beträgt ein Jahr (beginnend ab dem 01.10.2022) und kann durch den Auftraggeber dreimal um jeweils ein Jahr verlängert werden.
Schlusstermin für den Eingang der Angebote war zunächst der 19.07.2022 um 8:00 Uhr. Bis zum 13.07.2022 waren 36 Bieterfragen eingegangen, welche die Antragsgegnerin in acht Hinweisblättern jeweils veröffentlicht über die elektronische Vergabeplattform, beantwortete. Mit dem sechsten Hinweisblatt vom 13.07.2022 veröffentlichte die Antragsgegnerin zudem eine überarbeitete Leistungsbeschreibung. Die Bitte von Bietern, die Angebotsfrist um zwei Wochen zu verlängern, hatte sie jeweils mit dem vierten und dem fünften Hinweisblatt (Ziff. 13 und Ziff. 22) vom 06.07.2022 abgelehnt.
Am Nachmittag des 18.07.2022 ging bei der Antragsgegnerin die Rüge eines an diesem Nachprüfungsverfahren nicht beteiligten Bieters ein. Dieser forderte unter Verweis auf seinen mit dem vierten Hinweisblatt (Ziff. 13) abgelehnten Antrag auf Verlängerung der Angebotsfrist, die Frist zu verlängern mit der Begründung, die Hinweisblätter vier bis sieben sowie das sechste Hinweisblatt einschließlich der geänderten Leistungsbeschreibung seien erst am 13.07.2022 veröffentlicht worden, die Frist zur Angebotsabgabe sei vor diesem Hintergrund zu kurz. In Bezug auf die Bieterfrage Ziff. 14 rügte er zudem, dass verbindliche Vorgaben und damit kalkulationsrelevante Unterlagen fehlten. Die Antragsgegnerin veranlasste am selben Abend eine Bearbeitung und leitete die Rüge intern "mit der Bitte um weitere Bearbeitung" weiter.
Die Antragstellerin reichte am 18.07.2022 um 23:13 Uhr ihr Angebot über die Vergabeplattform ein. Bis zum Ablauf der Frist gingen weitere Angebote, darunter das der Beigeladenen, ein.
Am 19.07.2022 um 16:16 Uhr desselben Tags veröffentlichte die Antragsgegnerin über die Vergabeplattform das neunte Hinweisblatt, mit dem sie den Bietern mitteilte, dass die Angebotsfrist bis zum 02.08.2022 um 8:00 Uhr verlängert werde, zudem kündigte sie die Veröffentlichung eines überarbeiteten Leistungsverzeichnisses an. Ob die Antragsgegnerin die Bieter bereits um 8:03 Uhr des 19.07.2022 über die Fristverlängerung informiert hatte - wie von der Beigeladenen vorgetragen - ist zwischen den Parteien streitig.
Die überarbeitete Leistungsbeschreibung, in welche die in den Hinweisblättern erteilten Informationen und Konkretisierungen aufgenommen wurden, einschließlich des angepassten Vertragstexts, in den die Bieterinformationen ebenfalls einbezogen wurden, veröffentlichte die Antragsgegnerin mit dem zehnten Hinweisblatt vom 27.07.2022. Zugleich wurde die Angebotsfrist bis zum 11.08.2022 um 8:00 Uhr verlängert.
Die Antragstellerin zog daraufhin - wie die übrigen Bieter - ihr ursprüngliches Angebot zurück und gab zum verlängerten Angebotsschlusstermin ein neues Angebot ab. Dabei lud sie (versehentlich) ein Angebot auf der Basis der noch nicht angepassten - alten - Vergabeunterlagen hoch.
Mit Schreiben vom 29.08.2022 (Anlage Ast 2) teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin nach § 134 GWB mit, dass beabsichtigt sei, das Angebot der Beigeladenen anzunehmen. Das Angebot der Antragstellerin sei nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV ausgeschlossen worden, weil sowohl das Leistungsverzeichnis als auch der Vertragsentwurf nicht in der aktuellen Fassung vorlägen, was eine Änderung der Vergabeunterlagen darstelle. Außerdem sei das Angebot der Antragstellerin auch preislich unterlegen.
Die Antragstellerin rügte mit Anwaltsschreiben vom 06.09.2022 (Anlage Ast 3), dass der Wiedereinstieg in das Vergabeverfahren per Bieternachricht nach Ende der ursprünglichen Angebotsfrist vergaberechtswidrig sei. Die Antragsgegnerin wies die Rüge mit Schreiben vom 07.09.2022 (Anlage Ast 4) zurück.
Am 08.09.2022 hat die Antragstellerin, vertreten durch ihre Verfahrensbevollmächtigten, einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer eingereicht. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Entscheidung der Antragsgegnerin, eine bereits beendete Angebotsphase eines offenen Verfahrens nach dem Ende der Angebotsfrist wiederzueröffnen, stehe im diametralen Widerspruch zu den vergaberechtlichen Grundsätzen. Das Vergabeverfahren leide an einem derart schwerwiegenden Mangel, dass nur die Zurückversetzung in den Zeitpunkt vor Aufforderung zur Angebotsabgabe und damit die Wiederholung des gesamten Vergabeverfahrens diesen Mangel heilen könne. Der Wiedereinstieg in eine bereits beendete Angebotsphase sei vergaberechtswidrig, da dies dem öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit einer unzulässigen Einflussnahme auf das Vergabeverfahren biete. Er erhalte die Möglichkeit, bereits eingegangene Angebote zu öffnen oder in das Bieterfeld einzugreifen. Dabei sei es unerheblich, ob tatsächlich eine Manipulation durch die Antragsgegnerin vorliege. Ein Wiedereinstieg in die Angebotsphase sei auch nicht deshalb gerechtfertigt gewesen, weil die Antragsgegnerin die Notwendigkeit einer Anpassung des Leistungsverzeichnisses sowie des Vertrags erkannt habe. Für diesen Fall habe der Verordnungsgeber die Aufhebung des Verfahrens nach § 63 VgV vorgesehen. Der gerügte und angegriffene Verstoß gegen die Vergabevorschriften sei von ihr, der Antragstellerin, erst durch Hinweis ihres Verfahrensbevollmächtigten unmittelbar vor der Rüge erkannt worden und vorher auch nicht erkennbar gewesen.
Die Antragstellerin hat beantragt,
1. festzustellen, dass sie in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt ist;
2. gemäß § 168 Abs. 1 GWB geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern;
3. hilfsweise andere, zur Wahrung der Rechte der Antragstellerin notwendige Anordnungen zu treffen;
4. die Kosten des Nachprüfungsverfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen;
5. Akteneinsicht gemäß § 165 Abs. 1 GWB.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
1. den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen.
2. Der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die gemäß Beiladungsbeschluss vom 12.09.2022 zum Verfahren hinzugezogene Beigeladene hat beantragt,
1. den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen;
2. ihr Akteneinsicht gemäß § 165 GWB zu gewähren;
3. die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für die Beigeladene für notwendig zu erklären.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene haben die Ansicht vertreten, der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB, da der geltend gemachte Vergaberechtsverstoß von der Antragstellerin hätte erkannt und vor Angebotsabgabe hätte gerügt werden müssen. Die noch vor dem Angebotsschlusstermin angestoßene Verlängerung der Angebotsfrist sei aufgrund von technischen Problemen in der Software der Vergabeplattform nicht mehr rechtszeitig auf der Plattform veröffentlicht worden. Wegen der bestehenden technischen Probleme habe auch zunächst keine Möglichkeit bestanden, neue Hinweisblätter zu veröffentlichen. Bis zum Ablauf der verlängerten Angebotsfrist am 11.08.2022 sei keine Öffnung der Angebote erfolgt. Die Verschiebung des Angebotsschlusstermins sei nach § 20 Abs. 3 Nr. 2 VgV erforderlich gewesen. Durch die Verlängerung der Angebotsfrist sei den Bietern eine angemessene Frist eingeräumt worden, ihre Angebote an die geänderten Vergabeunterlagen anzupassen.
Die Beigeladene hat ausgeführt, die von der Antragsgegnerin vorgenommene Aufforderung, ein zweites Mal ein Angebot abzugeben, könne eine Teilaufhebung und Zurückversetzung des Beschaffungsvorgangs darstellen. Die Antragsgegnerin sei nicht verpflichtet gewesen, einen Zuschlag auf die ersten Angebote zu erteilen, die nicht mehr den ursprünglichen Bedürfnissen entsprachen. Eine Verpflichtung zur kompletten Aufhebung des Vergabeverfahrens bestehe nicht.
Die Vergabekammer hat mit dem angefochtenen Beschluss den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin als unbegründet zurückgewiesen. Die Verlängerung der Frist zur Angebotsabgabe nach Ablauf der ursprünglichen Angebotsfrist sei nicht zu beanstanden. Die (Teil-)Aufhebung und Zurückversetzung des Vergabeverfahrens sei vergaberechtsfehlerfrei erfolgt. Es sei grundsätzlich dem Willen des öffentlichen Auftraggebers überlassen, ob, wann und mit welchem Inhalt er einen Auftrag vergebe. Er sei insbesondere nicht gehalten, einen Zuschlag auf ein Angebot mit einer Leistungsbeschreibung zu erteilen, das seinem Bedarf nicht oder in geringerem Umfang als ursprünglich angenommen entspreche. Die Entscheidung des Auftraggebers, die mit Blick auf die Einhaltung der Grundsätze der Transparenz, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 7GWB) der uneingeschränkten Kontrolle der Nachprüfung unterliege, sei nicht zu beanstanden.
Gegen den ihr am 13.10.2022 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 26.10.2022 - eingegangen am selben Tag - sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie ihre Rügen wiederholt und vertieft.
Die Antragstellerin beantragt,
1. die Entscheidung der ersten Vergabekammer des Bunds vom 13.10.2022, VK 1 - 83/22, aufzuheben;
2. festzustellen, dass sie in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt wurde und gemäß § 168 Abs. 1 GWB geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die sofortige Beschwerde der Antragstellerin und Beschwerdeführerin vom 26.10.2022 zurückzuweisen und den Beschluss der ersten Vergabekammer des Bundes vom 13.10.2022, VK 1 - 83/22 aufrechtzuerhalten;
Die Beigeladene beantragt,
1. den Beschluss der Vergabekammer des Bundes vom 13.10.2022, VK 1 - 83/22, nicht aufzuheben;
2. die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 26.10.2022 zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene verteidigen die Entscheidung der Vergabekammer.
II.
Die nach §§ 171, 172 GWB zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache keinen Erfolg. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag vom 08.09.2022 zu Recht zurückgewiesen.
1. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist insgesamt zulässig.
a. Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 160 Abs. 2 GWB).
aa. Die Antragstellerin hat durch die Abgabe ihres Angebots ihr Interesse an dem Auftrag dokumentiert.
bb. Die Antragstellerin macht zudem geltend, dass sie durch das vergaberechtswidrige Verhalten der Antragsgegnerin in ihren Rechten verletzt sei. Sie behauptet, die Antragsgegnerin habe in vergaberechtswidriger Weise nach dem Ablauf der Angebotsfrist die Angebotsphase wiedereröffnet und unter Verstoß gegen § 20 Abs. 3 VgV die Angebotsfrist verlängert.
cc. Die Antragsbefugnis setzt gemäß § 160 Abs. 2 GWB neben dem Interesse des Antragstellers am Auftrag und der Darlegung einer Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB voraus, dass ihm durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Hierfür genügt, wenn ein Schadenseintritt durch die geltend gemachte Rechtsverletzung ursächlich und nicht offenkundig ausgeschlossen ist, denn nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sind an die Darlegung eines drohenden Schadens aus Gründen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes keine strengen Anforderungen zu richten (BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - X ZB 8/09, Rn 32; Senat, Beschl. v. 18.04.2018 - VII Verg 56/17, Rn 17, zitiert nach juris). Da ein Nachprüfungsverfahren grundsätzlich darauf abzielen muss, als Bieter berücksichtigt zu werden (EuGH NZBau 2010, 63, 66 Rn. 36), besteht der drohende Schaden darin, dass durch den einzelnen beanstandeten Vergaberechtsverstoß die Aussichten auf den Zuschlag zumindest verschlechtert werden können (BGH, Beschl. v. 10.11.2009 - X ZB 8/09, Rn 32; Senat, Beschl. v. 18.04.2018 - VII Verg 56/17, Rn 17, zitiert nach juris). Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze kann bereits eine Zurückversetzung eines Verfahrens zu einer Verschlechterung der Zuschlagschancen führen, wenn dadurch - wie vorliegend - weiteren Bietern die Möglichkeit einer Angebotsabgabe eröffnet wird, ohne dass es darauf ankäme, ob der den Antrag stellende Bieter selbst bei der erneuten Angebotsabgabe einen formalen Fehler begangen hat oder nicht.
b. Der Nachprüfungsantrag ist auch nicht unzulässig nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB. Die Antragstellerin hätte den in der Fristverlängerung und dem Wiedereintritt - mit geänderten Vergabeunterlagen - in die Angebotsphase liegenden vermeintlichen Vergaberechtsverstoß nicht bereits in dem Zeitpunkt erkennen können, als die Fristverlängerung den Bietern am 19.07.2022 bekannt gemacht worden ist.
aa. Nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit Vergaberechtsverstöße, die in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden. Die Erkennbarkeit eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften ist objektiv zu bestimmen. Eine die Rügeobliegenheit auslösende Erkennbarkeit eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften ist - immer bezogen auf den konkreten Einzelfall - zu bejahen, wenn der Verstoß von einem durchschnittlichen fachkundigen Bieter des angesprochenen Bieterkreises bei üblicher Sorgfalt und üblichen Kenntnissen erkannt werden kann (Senat, Beschl. v. 03.04.2019 - VII Verg 49/18, juris Rn 183; Beschl. v. 26.07.2018 - VII Verg 23/18; Beschl. v. 28.03.2018 - VII Verg 54/17, juris Rn 17 und Beschl. v. 15.01.2020 - VII Verg 20/19, BeckRS 2020, 1327 Rn 37). Dabei muss sich die Erkennbarkeit sowohl auf die den Verstoß begründenden Tatsachen als auch auf deren rechtliche Beurteilung beziehen (Dicks, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., § 160 Rn 49). In Bezug auf die zu rügenden Vergaberechtsverstöße, welche sich aus den Vergabeunterlagen ergeben (§ 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB), ist für eine Präklusion mithin erforderlich, dass der Inhalt der Unterlagen bei laienhafter rechtlicher Bewertung, also ohne Bemühung besonderen Rechtsrats, auf einen Vergaberechtsverstoß hindeutet. Das setzt regelmäßig voraus, dass die Rechtsvorschriften, gegen die verstoßen wird, zum allgemeinen und grundlegenden Wissen der beteiligten Bieterkreise gehören (Senat, Beschl. v. 26.07.2018 - VII Verg 23/18; Beschl. v. 15.01.2020 - VII Verg 20/19, BeckRS 2020, 1327 Rn 37; OLG München, Beschl. v. 22.10.2015 - Verg 5/15, juris Rn 43). Eine Rügepräklusion kommt damit in der Regel nur für auf allgemeiner Überzeugung der Vergabepraxis beruhende und ins Auge fallende Rechtsverstöße in Betracht (vgl. Dicks, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., § 160 Rn 49). Der Verstoß muss so offensichtlich sein, dass er einem durchschnittlich erfahrenen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebotes beziehungsweise seiner Bewerbung auffallen muss (Senat, Beschl. v. 03.08.2011 - VII Verg 16/11, ZFBR 2021, 72, 74).
bb. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war der in der Fristverlängerung und dem Wiedereintritt - mit geänderten Vergabeunterlagen - in die Angebotsphase liegende vermeintliche Vergaberechtsverstoß für einen durchschnittlichen fachkundigen Bieter nicht erkennbar. Die Bieterinformation im neunten Hinweisblatt ist zwar Bestandteil der Vergabeunterlagen. Auch ist vorliegend eine Erkennbarkeit der den vermeintlichen Rechtsverstoß begründenden Tatsachen in tatsächlicher Hinsicht - nämlich die Mitteilung der Fristverlängerung und der damit verbundene Wiedereintritt in die Angebotsphase mit geänderten Vergabeunterlagen - gegeben. Demgegenüber fehlt es jedoch an einer Erkennbarkeit in rechtlicher Hinsicht. Für einen durchschnittlichen fachkundigen Bieter des angesprochenen Personenkreises ist bei Anwendung der üblichen Sorgfalt und üblichen Kenntnis bei laienhafter rechtlicher Bewertung nicht feststellbar, ob die Fristverlängerung nach Ablauf der Angebotsfrist auf einen Vergaberechtsverstoß hindeutet. Vertiefte rechtliche Kenntnisse, die es erlauben, die Vergaberechtskonformität einer Wiedereröffnung der Angebotsphase - einschließlich einer Differenzierung zwischen wirksamer und rechtmäßiger Wiedereröffnung - zu beurteilen, können von einem durchschnittlichen Bieter nicht erwartet werden.
2. Der Nachprüfungsantrag hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Verlängerung der Angebotsfrist und der Wiedereintritt in die Angebotsphase mit geänderten Vergabeunterlagen erfolgte vergaberechtsfehlerfrei. Ein Verstoß gegen den Grundsatz eines transparenten und diskriminierungsfreien Verfahrens (§ 97 Abs. 1 GWB) liegt nicht vor.
a. Die seitens der Antragsgegnerin den Bietern erst nach Ablauf der ursprünglichen Angebotsfrist mitgeteilte Fristverlängerung stellt vergaberechtlich eine Wiedereröffnung der Angebotsfrist in Form einer Teilrückversetzung des Vergabeverfahrens (horizontale Teilaufhebung) dar. Eine Fristverlängerung nach Ablauf der Angebotsfrist nach § 20 Abs. 3 VgV scheidet aus (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 12.01.2010 - Verg W 5/09 Rn 80; Dieckmann, in: Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, 3. Aufl., § 15 VgV Rn 9). Mit Fristablauf war die Angebotsphase beendet, so dass es einer teilweisen Rückversetzung des Verfahrens bedurfte.
b. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine (Teil-)Aufhebung und Zurückversetzung des Vergabeverfahrens auch nach Abgabe der Angebote und sogar nach Öffnung der Angebote möglich und vergaberechtlich nicht ausgeschlossen.
aa. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen Bieter die Aufhebung des Vergabeverfahrens, von engen, hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen, nicht nur dann hinnehmen, wenn sie von einem der in den einschlägigen Bestimmungen der Vergabe- und Vertragsordnungen (wie etwa § 63 VgV oder § 17 Abs. 1 VOB/A EU) aufgeführten Gründe gedeckt und deshalb von vornherein rechtmäßig ist. Vielmehr bleibt es der Vergabestelle grundsätzlich unbenommen, von einem Beschaffungsvorhaben auch dann Abstand zu nehmen, wenn dafür kein in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt. Dies folgt daraus, dass die Bieter zwar einen Anspruch darauf haben, dass der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält (§ 97 Abs. 6 GWB), aber nicht darauf, dass er den Auftrag auch erteilt und demgemäß die Vergabestelle das Vergabeverfahren mit der Erteilung des Zuschlags abschließt (BGH, Beschl. v. 20.03.2014 - X ZB 18/13, NZBau 2014, 310; BGH, Urt. v. 05.11.2002 - X ZR 232/00, NZBau 2003, 168 = VergabeR 2003, 163). Bei der rechtlichen Überprüfung einer vollständigen oder auch nur teilweisen Aufhebung eines Vergabeverfahrens ist zwischen der Wirksamkeit und der Rechtmäßigkeit der (Teil-) Aufhebungsentscheidung öffentlicher Auftraggeber zu unterscheiden (Senat, Beschl. v. 12.01.2015 - VII Verg 29/14, juris Rn 24).
(1) Während eine von den Vergabe- und Vertragsordnungen gedeckte und somit rechtmäßige Aufhebung (wie etwa nach § 63 VgV oder § 17 Abs. 1 VOBA EU) zur Folge hat, dass die Aufhebung keine Schadensersatzansprüche wegen eines fehlerhaften Vergabeverfahrens begründet, kann dem Bieter im Falle einer nicht unter die einschlägigen Tatbestände fallenden Aufhebung ein auf die Erstattung des negativen Interesses gerichteter Schadensersatzanspruch zustehen (vgl. BGH, Beschl. v. 20.03.2014 - X ZB 18/13, NZBau 2014, 310; BGH, Urt. v. 09.06.2011 - X ZR 143/10, NZBau 2011, 498 Rn 16- Rettungsdienstleistungen II; Senat, Beschl. v. 12.01.2015 - VII Verg 29/14, juris Rn 24).
(2) Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Aufhebung eines Vergabeverfahrens wirksam ist. Ein öffentlicher Auftraggeber kann grundsätzlich nicht verpflichtet werden, einen Auftrag auf der Grundlage einer Ausschreibung zu erteilen, die er als fehlerhaft erkannt hat. Dies ist Folge der Vertragsfreiheit, die auch für im Wege öffentlicher Ausschreibungen vergebene Aufträge gilt. Notwendige Voraussetzung für eine vollständige oder auch nur teilweise Aufhebung einer Ausschreibung ist lediglich, dass der öffentliche Auftraggeber für seine (Teil-) Aufhebungsentscheidung einen sachlichen Grund hat, so dass eine Diskriminierung einzelner Bieter ausgeschlossen und seine Entscheidung nicht willkürlich ist oder nur zum Schein erfolgt (BGH, Urt. v. 18.02.2003, X ZB 43/02 - juris Tz. 14; BGH, Urt. v. 05.11.2002, X ZR 232/00 - juris Tz. 19; BGH, Urt. v. 08.09.1998, X ZR 48/97 - juris Rn. 32; Senat, Beschl. v. 12.01.2015 - VII Verg 29/14, juris Rn 25; Senat, Beschl. v. 10.11.2010, VII-Verg 28/10 - juris Rn. 42; Beschl. v. 08.07.2009, VII-Verg 13/09 - juris Rn. 21; Beschl. v. 22.07.2005, VII-Verg 37/05 - juris Rn. 21; Beschl. v. 16.02.2005, VII-Verg 72/04 - juris Rn. 22). Eine bereits erfolgte Submission schließt eine solche Fehlerkorrektur nicht aus. Zwar ist richtig, dass ein transparenter Wettbewerb wegen der damit verbundenen Manipulationsgefahr nicht mit einer im Belieben des Auftraggebers stehenden Wiederholung der Angebotsabgabe zu vereinbaren ist. Es steht aber gerade nicht im Belieben öffentlicher Auftraggeber, vor oder nach Submission den Bietern Gelegenheit zu einer Änderung ihrer Angebote einzuräumen. Dies unterliegt vielmehr uneingeschränkt der Kontrolle der Nachprüfungsinstanzen (Senat, Beschl. v. 12.01.2015 - VII Verg 29/14, juris Rn 23; Senat, Beschl. v. 05.01.2011, VII-Verg 46/10 - juris Rn. 30).
bb. Gleiches gilt für die Aufhebung einzelner Verfahrensabschnitte des Vergabeverfahrens (horizontale Teilaufhebung), durch die das Vergabeverfahren in einen bestimmten Verfahrensstand zurückversetzt wird (vgl. Senat, Beschl. v. 12.01.2015 - VII Verg 29/14, juris Rn 25; Herrmann, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., § 63 VgV Rn 11). Wie die Vergabenachprüfungsinstanzen (vgl. § 168 Abs. 1 S. 1 GWB) darf auch die Vergabestelle selbst das Vergabeverfahren in einen bestimmten Stand zurückversetzen.
c. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war die vorliegende teilweise Zurückversetzung des Vergabeverfahrens und Wiedereröffnung der Angebotsphase nicht missbräuchlich, sondern sachlich gerechtfertigt und damit wirksam. Anhaltspunkte für eine vergaberechtswidrige Diskriminierung einzelner Bieter oder eine Manipulation liegen nicht vor. Eine unzulässige Einflussnahme auf das Vergabeverfahren durch die Antragsgegnerin wird auch seitens der Antragstellerin nicht behauptet, die auf die bloße potenzielle Manipulationsmöglichkeit abstellt. Vorliegend hat die Antragstellerin die Angebotsfrist verlängert, weil zusätzliche Informationen betreffend das Angebot, nämlich das 4. bis 7. Hinweisblatt, und damit einhergehend kalkulationsrelevante Unterlagen nicht sechs Tage vor Ablauf der Angebotsfrist den Bietern zur Verfügung gestanden hatten (§ 20 Abs. 3 Nr. 1 VgV), was auch von einem Bieter gerügt worden war. Die mit der Fristverlängerung einhergehende Wiedereröffnung der Angebotsphase erfolgte damit vorliegend erkennbar zur Vermeidung einer zu kurzen Angebotsfrist und damit zur Behebung eines Verfahrensfehlers. Zudem war eine Öffnung der Angebote bis zum Ablauf der verlängerten Angebotsfrist nicht vorgenommen worden, wobei für die Öffnung der Angebote bei der Antragsgegnerin auch nicht die Vergabestelle, sondern eine organisatorisch getrennte Angebotssammelstelle zuständig ist. Schließlich hatte sich der Bieterkreis durch die Wiedereröffnung der Angebotsphase nicht verändert.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 175 Abs. 2 i.V.m. § 71 GWB. Demnach trägt die Antragstellerin die Kosten ihres unbegründeten Rechtsmittels einschließlich der zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen.
Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Beigeladenen hat die Vergabekammer vergaberechtsfehlerfrei nach § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i. V. m. § 80 VwVfG bejaht.
Der Beschwerdewert wird auf bis 550.000,00 EUR festgesetzt. Die Entscheidung über die Festsetzung des Werts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Demnach beträgt der Gegenstandswert fünf Prozent des auf die fest vorgesehene Laufzeit entfallenden Bruttoauftragswerts des Angebots der Antragstellerin (Senat, Beschl. v. 10.02.2021, VII-Verg 22/20, BeckRS 2021, 8801 Rn. 56). Eine Verlängerungsoption ist grundsätzlich mit fünf Prozent der Hälfte des Auftragswerts für diesen Zeitraum zu berücksichtigen (BGH, Beschl. v.18.03.2014 - X ZB 12/13, NZBau 2014, 452). Vorliegend bestand eine dreimalige Verlängerungsoption von jeweils einem Jahr. Fünf Prozent des so ermittelten Gesamtauftragswerts belaufen sich auf bis 550.000,00 EUR.
Bieterfragen sind bieteröffentlich zu beantworten!
Bieterfragen sind bieteröffentlich zu beantworten!
VK Nordbayern, Beschluss vom 11.09.2024 - RMF-SG21-3194-9-18
Mangelhafte Referenzen sind keine fehlenden Unterlagen!
Mangelhafte Referenzen sind keine fehlenden Unterlagen!
VK Bund, Beschluss vom 23.07.2024 - VK 1-64/24
Kann eine Konzession während ihrer Laufzeit geändert werden?
Kann eine Konzession während ihrer Laufzeit geändert werden?
EuGH, Urteil vom 07.11.2024 - Rs. C-683/22
Kein Vertrauensschutz bei unrichtigen Angaben!
Kein Vertrauensschutz bei unrichtigen Angaben!
VK Nordbayern, Beschluss vom 07.06.2024 - RMF-SG21-3194-9-10
Eignungsanforderung nicht erfüllt: Ausschluss zwingend!
Eignungsanforderung nicht erfüllt: Ausschluss zwingend!
VK Niedersachsen, Beschluss vom 04.07.2024 - VgK-13/2024
Zusatz "oder gleichwertig" bei technischen EU-Spezifikationen zul...
Zusatz "oder gleichwertig" bei technischen EU-Spezifikationen zulässig?
EuGH, Urteil vom 24.10.2024 - Rs. C-513/23
Erfüllbarkeit zweifelhaft: Angebot ist auszuschließen!
Erfüllbarkeit zweifelhaft: Angebot ist auszuschließen!
VK Bund, Beschluss vom 12.09.2024 - VK 2-77/24
Längere Gewährleistungsfrist ist zulässiges Zuschlagskriterium!
Längere Gewährleistungsfrist ist zulässiges Zuschlagskriterium!
VK Bund, Beschluss vom 27.09.2024 - VK 2-69/24
Verstoß gegen das Gebot zur produktneutralen Ausschreibung?
Verstoß gegen das Gebot zur produktneutralen Ausschreibung?
VK Nordbayern, Beschluss vom 12.09.2024 - RMF-SG21-3194-9-24
Auftraggeber darf Vergabeunterlagen nachträglich ändern!
Auftraggeber darf Vergabeunterlagen nachträglich ändern!
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20.09.2024 - 15 Verg 9/24