VK Bund
Beschluss
vom 05.02.2025
VK 2-119/24
1. Auch wenn sich der Auftraggeber auf die Forderung vergleichbarer Referenzen beschränkt und darüber hinaus keine weiteren Spezifikationen zum Vergleichbarkeitsmaßstab vorgibt, ist der Umfang des Referenzauftrags stets ein Gesichtspunkt, der im Rahmen der Vergleichbarkeitsprüfung zu berücksichtigen ist.
2. Es genügt nicht, dass ein Bieter Erfahrungen in der Erbringung der ausgeschriebenen Leistungen hat; hinzu kommen muss vielmehr, dass der Bieter über die für die Ausführung des Auftrags erforderlichen Kapazitäten in personeller und sachlicher Hinsicht verfügt.
3. Die Regelung, wonach Bieter keine Nachweise vorlegen müssen, wenn der Auftraggebers bereits im Besitz dieser Nachweise ist, bietet keine Rechtsgrundlage dafür, bieterseitig nicht benannte Referenzen durch eigene Kenntnis des Auftraggebers hiervon zu ersetzen.
4. Die selbständige Ausführung eines Teils des in der Leistungsbeschreibung festgelegten Leistungsumfangs ist das Differenzierungskriterium, welches die Unterauftragnehmerschaft abgrenzt von der bloßen Zurverfügungstellung von Gerät.
In dem Nachprüfungsverfahren
(...)
wegen der Vergabe ... nach Lage der Akten am 5. Februar 2025 beschlossen:
1. Der Antragsgegnerin wird untersagt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Bei fortbestehender Beschaffungsabsicht hat die Antragsgegnerin die Angebotswertung unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.
2. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) gesamtschuldnerisch.
3. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die der Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen jeweils zur Hälfte.
4. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin war notwendig.
5. Der Antrag der Beigeladenen auf ergänzende Akteneinsicht in die Referenzen der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
1. Die Antragsgegnerin (Ag) machte am ... die beabsichtigte Vergabe ... gemeinschaftsweit bekannt. Insgesamt sind ... aufzunehmen, zu transportieren und auf definierten Umlagerungsstellen umzulagern. Als Vertragsbeginn war der 1. Januar 2025 vorgesehen.
Die Auftragsbekanntmachung sieht, soweit vorliegend von Interesse, hinsichtlich der Anforderungen an die Eignung insbesondere vor:
"5.1.9. Eignung zur Berufsausübung:
(A) ...
(B) Nicht präqualifizierte Unternehmen haben zum Nachweis der Eignung mit dem Angebot das ausgefüllte Formblatt "Eigenerklärung zur Eignung" vorzulegen. Bei Einsatz von Nachunternehmen sind auf gesondertes Verlangen die Eigenerklärungen auch für diese abzugeben.
(C) Der Bieter erklärt, dass ihm bekannt ist, dass die jeweils genannten Bestätigungen/Nachweise zu den Eigenerklärungen auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle innerhalb der gesetzten angemessenen Frist vorgelegt werden müssen und sein Angebot/Teilnahmeantrag ausgeschlossen wird, wenn
- die Unterlagen nicht vollständig innerhalb dieser Frist vorgelegt werden oder
- die Information für die Vergabestelle nicht gebührenfrei bei einer Datenbank abrufbar sind bzw.
- die Zuschlag erteilende Stelle nicht bereits im Besitz der Informationen ist.
5.1.9. Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit
(A) ...
(B) Angaben zu Arbeitskräften: Der Bieter erklärt, dass ihm die für die Ausführung der Leistungen erforderlichen Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Auf Verlangen wird der Bieter die Zahl der in den letzten drei abgeschlossenen Kalenderjahren jahresdurchschnittlich beschäftigten Arbeitskräfte gegliedert nach Lohngruppen mit extra ausgewiesenem
Leitungspersonal angeben ...
5.1.9. Technische und berufliche Leistungsfähigkeit:
Angaben zu Leistungen, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind: Der Bieter erklärt, dass er in den letzten fünf Kalenderjahren bzw. in dem in der Bekanntmachung genannten ggf. abweichenden Zeitraum Leistungen erbracht hat; die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind. Diese sind nachzuweisen durch mindestens 3 Referenzen. Auf Verlangen wird der Bieter zu den o.g. Eigenerklärungen jeweils eine schriftliche Referenz vorlegen ..."
Das Formblatt "Aufforderung zur Abgabe des Angebots" sieht dementsprechend vor, dass mit dem Angebot - soweit erforderlich - einzureichen sind das Angebotsschreiben (Formblatt 331-B), das Bieterangabenverzeichnis (Formblatt 361), die Eigenerklärung zur Eignung (Formblatt 333b-B) sowie das Verzeichnis der Leistungen anderer Unternehmen (Formblatt 392-B). Fehlende Unterlagen, deren Vorlage mit dem Angebot gefordert war, würden nachgefordert werden (Rn. 3.3 der "Aufforderung zur Abgabe des Angebots").
Die Baubeschreibung sieht unter Rn. 3.5.1 vor, dass die eingesetzten ... ein Laderaumvolumen von mind. 4.500 m 3 aufweisen müssen.
Alleiniges Zuschlagskriterium ist der Preis.
Die Antragstellerin (ASt) ist Anbieterin von Die ASt ist -l, der - soweit vorliegend von Interesse - äuch die angehören.
Die ASt gab ihr Angebot fristgerecht unter dem 29. August 2024 ab.
In dem Formblatt "Angebotsschreiben" gab die ASt an, dass die Anlagen "Verzeichnis Nachunternehmerleistungen" und "Verzeichnis der Leistungen anderer Unternehmen", wo jeweils die ... als Unterauftragnehmer eingetragen war, Vertragsbestandteil werden sollten. Außerdem erklärte sie unter Rn. 7 des Formblatts, alle Leistungen selbst auszuführen, die nicht im "Verzeichnis der Nachunternehmerleistungen" 'bzw. im "Verzeichnis der Leistungen anderer Unternehmen" aufgeführt wurden.
Das Formblatt "Eigenerklärung zur Eignung" reichte die ASt sowohl für sich selbst als Bieterin als auch für die als anderes Unternehmen (Unterauftragunternehmen) ein. In der als Bieterin abgegebenen Eigenerklärung benannte die ASt zwei eigene Referenzen (Geschäftsgeheimnis), jeweils versehen mit dem Zusatz: "...".
In der für die ... als anderes Unternehmen abgegebenen Eigenerklärung benannte die ASt insgesamt drei Referenzen (Geschäftsgeheimnis).
Im "Verzeichnis über Art und Umfang der Leistungen, für die sich der Bewerber/Bieter der Leistungen/Kapazitäten anderer Unternehmen bedienen wird" (Formblatt 392-B), machte die ASt folgende Angaben:
(...)
Die durch die ... unterschriftlich vollzogene "Verpflichtungserklärung Nr. 1 anderer Unternehmen" fügte die ASt dem Angebot ebenfalls bei. Die Angaben in den Textfeldern "OZ/Leistungsbereich und "Beschreibung der Teilleistungen" waren inhaltsgleich mit denjenigen im Verzeichnis gem. Formblatt 392-B.
In einer sog. "Geräteliste" waren seitens der Bieter die einzusetzenden ... aufzuführen, differenziert nach "Eigene Geräte" und "Fremde Geräte". Hier gab die ASt unter "Fremde Geräte: mit Angabe der Eigentümer" ... an. Als Eigentümerin des ... wies sie die ... aus.
Nach dem vorliegenden Submissionsergebnis ist das Angebot der ASt das preisgünstigste, gefolgt von dem Angebot der Beigeladenen (Bg).
In einem Schreiben vom 18. September 2024 teilte die Ag der ASt mit, dass deren Angebot ausgeschlossen werde. Zur Begründung führte die Ag im Wesentlichen aus, dass das in den Angebotsunterlagen angegebene ... ein nicht den Mindestanforderungen der Baubeschreibung (dort. Rn. 3.5.1) entsprechendes Laderaumvolumen von 4.500 m 3 aufweise. Die beim ... angeforderte Laderaumtabelle des Schiffes weise das Laderaumvolumen mit 4.473 m3 aus. Im Übrigen bestehe zwischen dem ... und der ASt ein bis Ende Februar 2025 laufendes Auftragsverhältnis für Arbeiten auf ..., in dem die ... zum Einsatz komme. Da dieses Schiff somit bis Ende Februar 2025 für ... vertraglich gebunden sei, könne es nicht bereits ab dem 1. Januar 2025 für die streitgegenständlichen Arbeiten zur Verfügung gestellt werden. Ein anderes Schiff, das in dem Überlappungszeitraum (1. Januar bis 28. Februar 2025) die ausgeschriebenen Arbeiten ersatzweise erledigen könne, habe die ASt nicht angeboten.
Den Angebotsausschluss rügte die ASt mit anwaltlichem Schreiben vom 26. September 2024. Sie machte darin insbesondere geltend, in der Geräteliste das Laderaumvolumen der korrekt mit 4.670 m3 angegeben zu haben. Damit werde den Anforderungen der Baubeschreibung (Rn. 3.5.1) Genüge getan. Bei den der Ag vom ... zur Verfügung gestellten Unterlagen handele es sich nicht um geeichte Daten, sondern um Angaben des Herstellers .... Die Herstellerangaben seien jedoch nicht maßgeblich. Abzustellen sei vielmehr auf die von dem ... ausgestellte geeichte Laderaumtabelle, die das Laderaumvolumen mit 4.668,24 m3 angebe. Außerdem versicherte die ASt, dass die - wie vorgegeben - ab dem 1. Januar 2025 für den ausgeschriebenen Einsatz zur Verfügung stehen werde.
Mit Schreiben vom 1. Oktober 2024 setzte die Ag die ASt darüber in Kenntnis, dem Rügevorbringen abzuhelfen und das Angebot der ASt in der Wertung zu belassen.
Einen Tag später, mit Schreiben vom 2. Oktober 2024, lud die Ag die ASt zu einem Gespräch zur Aufklärung des Angebots ein. Das Gespräch fand am 9. Oktober 2024 statt. Themenschwerpunkte waren u.a. die beabsichtigte bautechnische Abwicklung des Vorhabens, aber auch Fragen der Ag hinsichtlich des tatsächlichen Laderaumvolumens ...
Im Nachgang zum Aufklärungsgespräch forderte die Ag die ASt in einem Schreiben vom 9. Oktober dazu auf, die widersprüchlichen Angaben zur Laderaumgröße ... aufzuklären. Die ASt ergänzte und vertiefte in einem Schreiben vom 11. Oktober 2024 ihren Vortrag, dass maßgeblich alleine das von der ... ermittelte Laderaumvolumen sei.
Mit Schreiben vom 8. November 2024 forderte die Ag die ASt erneut zur Aufklärung der Angaben im Angebot auf. Die detaillierten Fragen betrafen u.a. die Angaben zu den eigenen Referenzen der ASt und zu den Referenzen des von ihr benannten Nachunternehmens, der Darüber hinaus sollte die ASt Angaben zum aktuellen Eigentümer der ... machen.
Die ASt beantwortete die Fragen mit Schreiben vom 14. November 2024 unter Beifügung diverser Unterlagen. Darin führte die ASt u.a. aus, die Hauptauftragnehmerin des Auftrags zu sein und sich bei der Durchführung teilweise der im Formblatt 392-B benannten bedienen zu wollen.
Zu dem ... machte die ASt folgende Angaben: .... Nach Angaben der ASt werde die Eigentümerstellung der ... dokumentiert in dem von der zuständigen ... Behörde erstellten ...
Die Ag beabsichtigte nunmehr, den Zuschlag auf das Angebot der ASt zu erteilen. Nachdem die der Ag übergeordnetete Mittelbehörde unter dem 15. November 2024 der beabsichtigten Zuschlagserteilung an die ASt zugestimmt hatte, versandte die Ag noch am selben Tag die Information nach § 134 GWB an die unterlegenen Bieter, darunter auch die Bg.
Mit anwaltlichen Rügeschreiben vom 20. und 29. November 2024 beanstandete die Bg die beabsichtigte Zuschlagserteilung. Sie machte insbesondere die mangelnde Eignung der ASt geltend. Die ASt sei schon deshalb nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 und 7 GWB auszuschließen, weil zu vermuten sei, dass die ASt in ihrem Angebot nicht offengelegt habe, dass zwei ihrer Konzernunternehmen, die ..., wegen unzutreffender Angaben zu den Referenzen von der zuständigen Behörde von Vergabeverfahren ausgeschlossen worden seien. Die Verfügungen der Behörde seien in gerichtlichen Entscheidungen ... bestätigt worden. Zu vermuten sei ferner, dass die ASt für die Arbeiten das angeboten habe. Öffentlich zugängliche Quellen ließen den Schluss zu, dass dieses Schiff nicht die Mindestanforderungen an die Laderaumkapazität (d.h. mindestens 4.500 m3) erfülle. Außerdem sei dieses Schiff bis Ende Februar 2025 für einen anderen öffentlichen Auftrag, d.h. im Einsatz, stünde daher nicht zom 1. Januar 2025 für den streitgegenständlichen Auftrag zur Verfügung. Eigentümer der ... sei zudem ein anderes Unternehmen, die Im Lichte der Rüge der Bg machte die Ag am 21. November 2024 die Aufhebung des Informationsschreibens allen Bietern über die elektronische Vergabeplattformbekannt.
Nach einer am 6. Dezember 2024 erfolgten internen Abstimmung über das weitere Vorgehen teilte die Ag der Bg am 9. Dezember 2024 mit, deren Rüge abzuhelfen.
Außerdem informierte die Ag die ASt am 9. Dezember 2024 gem. § 134 GWB darüber, dass auf deren Angebot der Zuschlag nicht erteilt werden könne, da die Mindestanforderungen an die Eignung (mind. drei Referenzprojekte für vergleichbare Leistungen) nicht erfüllt seien. Soweit die ASt sich auf Referenzen der ... berufe, könnten diese nicht berücksichtigt werden, weil die ... die streitgegenständlichen Arbeiten nicht ausführen werde (§ 6d EU Abs. 1 Satz 3 VOB/A). Beabsichtigt sei, den Zuschlag auf das Angebot der Bg zu erteilen.
Die ASt rügte die Entscheidung der Ag mit anwaltlichem Schreiben vom 12. Dezember 2024.
Mit Schreiben vom 16. Dezember 2024 teilte die Ag der ASt mit, dem Rügevorbringen nicht abhelfen zu wollen. Zur Begründung führte die Ag aus, dass zwar die beiden von der ASt im Formblatt 333b-B angegebenen eigenen Referenzen die bekanntgemachten Eignungsanforderungen erfüllten. Entgegen der Annahme der ASt sei eine dritte eigene Referenz nicht anzuerkennen; dem stünde schon entgegen, dass die ASt diese Referenz nicht im Formblatt 333b-B aufgeführt habe. Eine Nachforderung von Unterlagen nach § 16a EU Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. VOB/A komme nicht in Betracht. Die Referenzen der ... seien nicht berücksichtigungsfähig. Das ergebe sich daraus, dass die ... nicht als Unterauftragnehmer eingesetzt werde. Die ... werde nur insoweit in die Abwicklung des Auftrags eingebunden, als sie der ASt die ... zur Verfügung stelle; das erforderliche Personal werde von der ... gestellt. Die Voraussetzung des § 6d EU Abs. 1 Satz 3 VOB/A sei daher nicht erfüllt, wonach das die Eignung verleihende Unternehmen die Arbeiten ausführen müsse, für welche die Kapazitäten benötigt werden.
2. Mit einem am 19. Dezember 2024 an das besondere elektronische Behördenpostfach der Vergabekammer des Bundes übermittelten Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten beantragte die ASt die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.
a) Die ASt trägt vor, die für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags erforderliche Antragsbefugnis liege vor. Ihr Interesse am Auftrag habe sie durch die Angebotsabgabe dokumentiert. Der Ausschluss der erstplatzierten ASt wegen vermeintlich fehlender Eignung sei vergaberechtswidrig, da sie ihre Eignung hinreichend nachgewiesen habe. Durch den ungerechtfertigten Ausschluss werde sie in ihren Bieterrechten verletzt.
Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet. Die ASt habe den Nachweis der geforderten drei Referenzen bereits für die ASt selbst als Bieterin im Formblatt 333b-B erbracht. Die beiden eigenen Referenzen seien im Formblatt 333b-B korrekt angegeben worden. Nicht im Formblatt 333b-B aufgeführt worden sei ein dritter Referenzauftrag der ASt für ein anderes (Geschäftsgeheimnis). Einer expliziten Erwähnung dieses Auftrags im Formblatt 333b-B habe es nicht bedurft, weil die Ag ohnehin im Besitz der erforderlichen Nachweise sei, § 6b EU Abs. 3, 2. Anstrich VOB/A. Dies ergebe sich zweifelsfrei aus dem Protokoll der Ag über ein Aufklärungsgespräch mit der ASt, in dem über einen Informationsaustausch zwischen der Ag und dem für den betreffenden Auftrag zuständigen WSA berichtet worden sei.
Selbst wenn die eigenen Referenzen der ASt nicht bereits ausreichend sein sollten, genügten die drei Referenzen der ... den bekanntgemachten Anforderungen. Die ASt habe die im Formblatt 333b-B als Nachunternehmen angegeben. Nicht zutreffend sei die Annahme der Ag, die werde sich auf die Bereitstellung der ..., des erforderlichen Personals sowie reine Hilfstätigkeiten beschränken. Dies ergebe sich weder aus der Geräteliste noch aus der Anlage 4 zum. Schreiben vom 14. November 2024 (Anlage AS 8 zum Nachprüfungsantrag). Zutreffend sei vielmehr, dass die ... die ausgeschriebenen Baggerarbeiten mit dem ... in erheblichem Umfang eigenständig ausführen werde. Wie die ... den Auftrag als Nachunternehmen erfüllen werde, stehe ihr offen. Das auf dem Schiff eingesetzte Personal unterstehe den Weisungen der ....
Die Annahme der Bg, die ... sei kein operativ tätiges Unternehmen, sei unzutreffend. Die vorgelegten Referenzen und die zu der ... gemachten Umsatzangaben belegten das Gegenteil.
Da die Ag nach erfolgter Aufklärung zu dem Ergebnis gekommen sei, dass alle Fragen in einem positiven Sinne beantwortet seien und auch keine Zweifel an der Eignung der ASt mehr gehabt habe (vgl. Genehmigung der Mittelbehörde vom 15. November 2024), hätte sie der ASt im Falle erneuter Zweifel an der Eignung Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Das habe sie jedoch unterlassen.
Zu den Eigentumsverhältnissen an dem für die Auftragsausführung vorgesehenen Schiff trägt die ASt vor, dass die Vergabeunterlagen schon keinen Nachweis gefordert hätten, in wessen Eigentum das Fremdgerät stehe. Relevant sei nicht das Eigentum im sachenrechtlichen Sinn, sondern das wirtschaftliche Eigentum. Die sei dem- Gesellschaftsvermögen der zugeordnet, was sich neben dem ... auch aus der notariellen Kaufurkunde ergebe.
Zum Laderaumvolumen verweist die ASt auf ein von ihr vorgelegtes Dokument der ... hin. Diese Behörde sei ausschließlich für die Erstellung amtlicher, geeichter Laderaumtabellen zuständig. Danach liege das Laderaumvolumen der ... bei 4.670 m3.
Die ASt beantragt,
1. gegen die Ag ein Vergabenachprüfungsverfahren gemäß §§ 160 ff. GWB einzuleiten, verbunden mit einer unverzüglichen Information der Ag gemäß § 169 GWB in Textform,
2. die Ag zu verpflichten, den Ausschluss des Angebots der ASt zurückzunehmen und das Angebot im Rahmen der Wertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu berücksichtigen,
3. die Vergabeakten der Ag beizuziehen und der ASt Akteneinsicht gemäß § 165 Abs. 1 GWB zu gewähren,
4. der Ag die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der ASt aufzuerlegen, sowie
5. festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten der ASt für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendig war.
b) Die Ag beantragt,
die Anträge der ASt als unbegründet zurückzuweisen und ihr die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die Ag erachtet den Nachprüfungsantrag als unbegründet. Der Ausschluss der ASt sei zu Recht erfolgt, weil diese die Mindestanforderung an die Eignung nicht erfüllt habe. Die ASt habe in ihrem Angebot zwei eigene Referenzen benannt, die seitens der Ag als vergleichbar anerkannt worden seien.
Eine dritte Referenz über ... habe die ASt im Formblatt 333b-B nicht benannt, so dass diese nicht habe berücksichtigt werden können. Fehl gehe die Ansicht der ASt, die Vorlage der dritten Referenz ... sei aufgrund der Vorschrift des § 6b EU Abs. 3, 2. Anstrich VOB/A entbehrlich gewesen. Die Vorschrift gehe zurück auf Art. 59 Abs. 5 der Richtlinie 2024/24 EU. Nach dieser Vorschrift müssten Wirtschaftsteilnehmer keine zusätzlichen Unterlagen vorlegen, wenn der den Auftrag vergebende öffentliche Auftraggeber bereits im- Besitz der Unterlagen ist. Vorliegend gehe es nicht darum, dass die Ag bereits im Besitz des Nachweises des betreffenden Referenzauftrags gewesen sei, sondern darum, dass die ASt es in ihrem Angebot - unstreitig unterlassen habe, diese Referenz im Formblatt 333b-B zu erwähnen. Daher sei § 6b EU Abs. 3, 2. Anstrich VOB/A vorliegend nicht einschlägig. Die bloße Kenntnis der Ag von der Tatsache, dass die ASt für ein anderes durchgeführt habe, sei unerheblich. Hinzu komme, dass sich die Ag mit dem anderen nicht über Referenzen der ASt ausgetauscht habe, sondern über das Ladevolumen des von der ASt vorgesehenen ... und die Arbeitszeiten der Mitarbeiter der ASt.
Die im Formblatt 333b-B für die genannten Referenzen seien nicht berücksichtigungsfähig. Die Voraussetzungen einer Eignungsleihe gem. § 6d EU Abs. 1 Satz 3 VOB/A lägen nicht vor. Aus der Gesamtschau der Angebotsunterlagen der ASt, insbesondere der Geräteliste (NPA Anlage AS 8), sowie den im Rahmen der Angebotsaufklärung eingereichten Schreiben vom 14. November 2024 sowie der beigefügten Anlage 4 (NPA, Anlagen AS 1 1 und 12), ergebe sich zweifelsfrei, dass sich die Aufgabe der ... darin erschöpfe, der ASt das im Eigentum der zur Verfügung zu stellen. Das für den benötigte Personal werde auch nicht von der sondern von dem gestellt. Mit dem auf die Bereitstellung des ... beschränkten Aufgabenbereich könne die Leistung der ... nicht als Nachunternehmerleistung qualifiziert werden, sondern als bloße Gestellung von Gerät. Daher scheide eine Anerkennung der ... als Referenzgeber aus.
c) Die mit Beschluss vom 3. Januar 2025 zum Verfahren hinzugezogene Bg beantragt,
1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,
2. die Hinzuziehung des Bevollmächtigten der Bg für erforderlich zu erklären,
3. der ASt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Bg aufzuerlegen,
4. die Gewährung von Akteneinsicht.
Die Bg meint, die ASt erfülle nicht die bekanntgemachten Anforderungen an die Bietereignung. Die ASt habe weder die geforderten Referenzen beibringen können, noch könne sie über das für die Durchführung der Arbeiten erforderliche Gerät (i. E. das Nassbaggerschiff) verfügen.
Hinsichtlich der Referenzen führt die Bg aus, dass als "vergleichbare" Referenzen nur solche in Betracht kämen, deren Auftragsvolumen demjenigen der streitgegenständlichen Ausschreibung entsprechen. Die Ag habe das Auftragsvolumen auf rd ... Euro. geschätzt. Über die im Bereich ... ausgeschriebenen und vergebenen Aufträge gebe die EU-Datenbank Tenders Electronic Daily Auskunft. Diese Datenbank enthalte zu der ..., nur einen Eintrag, die ... Diese ... seien mit dem vorliegenden Auftrag nicht vergleichbar. Im Übrigen könne die ASt sich auf die Referenz ... auch deshalb nicht berufen, weil sie diese - so interpretiere sie die diesbezüglichen Andeutungen im Vortrag von ASt und Ag im Nachprüfungsverfahren - gar nicht benannt habe. Mit den im Angebot nicht benannten Referenzen könne der Auftraggeber sich nicht befassen. Ein Nachreichen von Unterlagen sei nicht statthaft, weil die ASt ihrem Angebot zwei eigene und Referenzen der ... beigefügt habe. Damit fehlten weder Unterlagen im Sinne des § 16a EU Abs. 1 VOB/A, noch seien Unterlagen unvollständig oder fehlerhaft.
Das gelte erst Recht für einen weiteren in Betracht kommenden Auftrag, den das ... vergeben habe. In einer Von der Bg zu den Akten gereichten Pressemiteilung des ... sei das Auftragsvolumen auf rd. ... Euro und das Baggergut auf ca. 70.000 m3 beziffert worden. Das Auftragsvolumen sowie das Baggervolumen seien folgich erheblich niedriger als der streitgegenständliche Auftrag. Da zu vermuten sei, dass auch etwaige andere von der ASt benannten Referenzen nicht "vergleichbar" seien, beantragt die Bg erweiterte Akteneinsicht in die entsprechenden Angaben im Angebot der ASt.
Eine Eignungsleihe bei der ... komme nicht in Betracht, weil die ... selbst ungeeignet sei. Eine Abfrage bei Tenders Electronic Daily habe auch bzgl. der ... keine Auskünfte über vergleichbare Aufträge zutage gefördert. Nach Kenntnis der Bg sei die ... auch kein am Markt aktiv tätiges Unternehmen. Als ausführendes Unternehmen innerhalb des ....
Die Ausführungen der Ag ließen den Schluss zu, dass die ASt sich entgegen § 6d EU Abs. 1 Satz 3 VOB/A i.V.m. § 6a EU Nr. 3 lit. a VOB/A nicht auf die berufliche und technische Leistungsfähigkeit der ... als Nachunternehmer berufen habe. Dafür spreche auch der Umstand, dass die ASt auf Anforderung der Ag im Formblatt 393b die von der ... zu erbringenden Teilleistungen wohl erst nachträglich spezifiziert habe. Die nachträgliche Zuordnung von Leistungen zu einem Nachunternehmen stelle aber eine Angebotsänderung dar.
Die ASt könne den Nachweis der Verfügbarkeit ... nicht erbringen, da sie nicht Eigentümerin ... sei. Ausweislich eines Auszugs aus ... (Anlage Bg 6) seien insgesamt fünf Unternehmen mit je einem Fünftel der Anteile an dem ... beteiligt. Folglich sei die ... rechtlich nicht in der Lage, das Schiff für die Baggerarbeiten zur Verfügung zu stellen.
Mit Schriftsatz vom 27. Januar 2025 reichte die Bg ein Rechtsgutachten ... zu den Akten (Anlage Bg 10), aus dem sich ergebe, dass das Eigentum .... Aus dem von der Bg zu den Akten gereichten Auszug aus ... gehe hervor, dass fünf ... juristische Personen gemeinsam Eigentümer der ... seien; die ... hingegen sei nicht Eigentümerin des Schiffes .... Mit ihren falschen Angaben, die ... sei Eigentümerin der ..., habe die ASt somit nicht nachgewiesen, dass sie [.. .] verfügen könne.
Ferner bestreitet die Bg, dass die ... das geforderte Laderaumvolumen von mindestens 4.500 m3 erfülle. Sämtliche öffentlich zugänglichen Informationen ließen den Schluss zu, dass das Laderaumvolumen der Mindestanforderung nicht genüge. Der Hersteller ... gebe dessen Kapazität mit 4.000 rn3 an. Die ASt selbst habe in einer unternehmenseigenen Mitarbeiter-Zeitung vom ... das Fassungsvermögen mit 4.000 m3 angegeben. Entgegen der Annahme der ASt bestätige das Dokument der ... nicht, dass das Laderaumvolumen den Vorgaben entspreche.
3. Die Vergabekammer hat der ASt und der Bg nach Anhörung der Ag Einsicht in die Vergabeakte gewährt, soweit Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht betroffen waren. Den im Verlauf des Nachprüfungsverfahrens von ASt und Bg gestellten Anträgen auf erweiterte Akteneinsicht wurde teilweise entsprochen. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die elektronische Vergabeakte, soweit sie der Vergabekammer vorgelegen hat, sowie auf die Verfahrensakte der Vergabekammer wird verwiesen.
Mit Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten konnte die Vergabekammer nach Lage der Akten entscheiden (§ 166 Abs. 1 Satz 3 GWB). Im Rahmen eines am 27. Januar 2025 stattgefundenen Rechtsgesprächs, das mit der Vorsitzenden und dem hauptamtlichen Beisitzer der Vergabekammer geführt wurde, hatten alle Verfahrensbeteiligten Gelegenheit, sich Zum Sachverhalt mündlich zu äußern. Der ASt wurde antragsgemäß Schriftsatznachlass bis zum 31. Januar 2025 gewährt, um zu dem Schriftsatz der Bg vom 27. Januar 2025, welcher der ASt unmittelbar vor dem Rechtsgespräch zuging, Stellung nehmen zu können. Die ASt reichte ihre Stellungnahme fristgerecht ein.
Die Bg reichte ebenfalls am 31. Januar 2025 einen Schriftsatz ein, der nicht nachgelassen war. Soweit die Bg in diesem Schriftsatz an Äußerungen der Ag im Rechtsgespräch anknüpft, so hat das Rechtsgespräch bereits am Montag, dem 27. Januar 2025, stattgefunden. Der in § 167 Abs. 2 GWB normierten Verfahrensförderungspflicht hätte es entsprochen, bei Gewinnung neuer Erkenntnisse aus dem Rechtsgespräch unmittelbar im Nachgang hierzu, nicht erst im Laufe des 31 Januar 2025, einen Schriftsatz einzureichen. Der Schriftsatz gibt aber in der Sache keinen Anlass zum Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung. Die aus dem Rechtsgespräch abgeleiteten Vermutungen der Bg in Bezug auf das Ausfüllen der von der ASt mit ihrem Angebot eingereichten Formblätter 392-B und 393-B sind in der Sache nicht zutreffend, was die Vergabekammer anhand des ihr vorliegenden elektronischen Angebots der ASt nochmals überprüft hat. Sowohl im Formblatt 392-B als auch im Formblatt 393-B finden sich in den fraglichen Kästen in jeweils beiden Spalten Eintragungen durch die ASt bzw. durch die als Nachunternehmerin. Hieran hat die Ag nach § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A zulässigerweise eine Aufklärung angeknüpft, da es um Fragen der Eignungsleihe und damit der Eignung ging. Auch das Angebot der Bg selbst wäre ansonsten vor dem Hintergrund ihrer Einlassung, keine Nachunternehmer einzusetzen, formal möglicherweise überprüfungsbedürftig.
Die Entscheidungsfrist, die regulär am 23. Januar 2025 geendet hätte, wurde mit Schreiben der Vorsitzenden der Vergabekammer vom 16. Januar 2025 verlängert bis zum 7. Februar 2025 einschließlich.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, das Nachprüfungsverfahren ist eröffnet.
a) Die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen nach §§ 155, 106 Abs. 1 GWB, ein der Bundesrepublik Deutschland zuzurechnender öffentlicher Bauauftrag mit einem oberhalb der für die gemeinschaftsweite Vergabe geltenden Auftragsschwellenwert, liegen vor.
b) Die ASt ist antragsbefugt im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB.
Ein Unternehmen ist antragsbefugt, wenn es geltend machen kann, ein Interesse an dem Auftrag zu haben und in eigenen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften verletzt worden zu sein. Durch die behauptete Verletzung von Vergabevorschriften muss dem Unternehmen zudem ein Schaden entstanden sein.
Das erforderliche Interesse der ASt am Auftrag ergibt sich aus der fristgerechten Abgabe ihres Angebots sowie aus dem gegen die Vergabeentscheidung gerichteten Rügevorbringen. Die ASt hat auch die Verletzung in eigenen Rechten geltend gemacht. Mit ihrem Vorbringen wendet die ASt sich gegen den Ausschluss wegen fehlender Eignung. Durch den Angebotsausschluss droht der ASt auch die Entstehung eines Schadens. Nach dem vorliegenden Submissionsergebnis hat die ASt das preisgünstigste Angebot gelegt. Der Ausschluss nimmt ihr die Chance auf Erteilung des Zuschlags.
c) Die ASt hat den sich aus § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB ergebenden Rügeobliegenheiten genügt. Kenntnis von dem Angebotsausschluss erlangte die ASt erst durch das. Informationsschreiben vom 9. Dezember 2024. Hiergegen wandte die ASt sich mit Rügeschreiben vom 12. Dezember 2024.
d) Die Frist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB ist ebenfalls gewahrt. Auf das Nicht-Abhilfeschreiben der Ag vom 16. Dezember 2024 hin stellte die ASt mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2024 bei der Vergabekammer des Bundes einen Nachprüfungsantrag.
2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die ASt hat die geforderten Referenzen beigebracht und das geforderte Laderaumvolumen des für die Ausführung vorgesehenen Schiffes belegt, so dass hier auch kein Abweichen des Angebots von den Vergabeunterlagen vorliegt. Die Ag hat die ASt zu Unrecht wegen fehlender Eignung ausgeschlossen.
a) Die Referenzen waren wirksam gefordert. Ausweislich Rn. 5.1.9. der Bekanntmachung sollten die Bieter erklären, in den letzten fünf Kalenderjahren Leistungen erbracht zu haben, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind. Diese Leistungen waren nachzuweisen durch mindestens 3 Referenzen. Die entsprechenden Angaben waren im Formblatt "Eigenerklärung zur Eignung" zu machen.
aa) Die ASt führte in der "Eigenerklärung zur Eignung" zwei eigene Referenzen auf. Beide Referenzen (Geschäftsgeheimnis) wurden von der Ag als mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar akzeptiert. Die Ag ist der Ansicht, dass der Umfang der Referenzen keine Rolle spiele und nicht in den Vergleichbarkeitsmaßstab einfließen könne, denn die Ag habe insoweit keine expliziten Vorgaben gemacht. Die Ansicht ist rechtsfehlerhaft, so dass lediglich eine der beiden benannten Referenzen berücksichtigungsfähig ist.
Die maßgeblichen Anhaltspunkte zur Bestimmung dessen, was vergleichbar ist, ergeben sich aus der Bekanntmachung. Rn. 2.1 der Bekanntmachung ist zu entnehmen, dass die auszuführenden Leistungen .... Auch wenn der Auftraggeber - wie hier - keine weiteren Spezifikationen zum Vergleichbarkeitsmaßstab vorgegeben hat, sondern sich auf die Forderung vergleichbarer Referenzen beschränkt hat, ist der Umfang des Referenzauftrags stets ein Gesichtspunkt, der im Rahmen der Vergleichbarkeitsprüfung zu berücksichtigen ist (vgl. OLG Düsseldorf; Beschluss vom 8. Juni 2022 - Verg 19/22). Es genügt demnach nicht, wenn ein Anbieter überhaupt Erfahrungen in hat; hinzu kommen muss vielmehr, dass der Bieter über die für die Ausführung des Auftrags erforderlichen Kapazitäten in personeller und sachlicher Hinsicht verfügt. Ein umfangreiches Bauvorhaben stellt, insgesamt andere Anforderungen an die Leistungsfähigkeit und Logistik eines Unternehmens als ein lediglich punktueller Einsatz (so OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Juni 2022, a.a.O.).
Wie bereits erwähnt, genügt eine der beiden Referenzen, die von der ASt als eigene angegeben wurde, diesen Anforderungen nicht. Das in dem betreffenden Auftrag aus ... beträgt nur einen Bruchteil der 13 Mio. m3 die im Zuge des streitgegenständlichen Auftrags zu baggern und zu fördern sind.
bb) Nicht zu folgen ist der Ansicht der ASt, dass eine weitere eigene Referenz der ASt (Geschäftsgeheimnis) berücksichtigungsfähig sei, die zwar in ihrer Eigenerklärung nicht aufgeführt worden ist, die der Ag aber aufgrund ihrer Kontakte zu dem anderen ..., der Auftraggeberin des betreffenden Auftrags, bekannt gewesen sei. Wie die Ag zu Recht meint, ist der Anwendungsbereich der Vorschrift des § 6b EU Abs. 3, 2. Anstrich VOB/A, auf die sich die ASt zur Stützung ihrer Rechtsauffassung beruft, nicht eröffnet.
Dem § 6b EU Abs. 3, 2. Anstrich VOB/A zufolge sind Nachweise dann nicht vorzulegen, wenn die den Zuschlag erteilende Stelle bereits im Besitz der Nachweise ist. Die Vorschrift ist nicht anwendbar auf eine Situation, in der - auf der vorgelagerten Stufe - bieterseitig gar keine Angaben zu einer Referenz gemacht worden sind. So liegt es hier, denn die ASt hat es in der Eignungserklärung versäumt, die geforderten Angaben zu der betreffenden Referenz zu machen.
Eine Berücksichtigung von Amts wegen durch die Ag auf Basis von § 6b EU Abs. 3, 2. Anstrich VOB/A wäre vergaberechtswidrig, selbst wenn man zugunsten der ASt unterstellen würde, die Ag in Gestalt des hier beschaffenden ... würde diese Referenz kennen. § 6b EU Abs. 3, 2. Anstrich VOB/A bietet keine Rechtsgrundlage dafür, bieterseitig nicht benannte Referenzen durch eigene Kenntnis des Auftraggebers hiervon zu ersetzen. Es ist vielmehr der jeweilige Bieter, der sein Angebot gestaltet und entscheidet, welche Referenzen er benennt. § 6b EU Abs. 3, 2. Anstrich VOB/A kann ausschließlich die Nachweisführung für eine benannte Referenz ersetzen, nicht aber die Benennung der Referenz selbst. Dies macht bereits die Überschrift der Norm deutlich:
"Mittel der Nachweisführung".
Im Ergebnis liegt somit nur eine vergleichbare eigene Referenz der ASt selbst vor.
b) Entgegen der Annahme der Ag kann sich die ASt aber auf drei Referenzen der ... (Geschäftsgeheimnis) berufen, welche die ASt in ihrem Angebot benannt hat, denn es liegt ein Fall der Eignungsleihe vor.
Die fehlende Zurechenbarkeit begründet die Ag in der Information nach § 134 GWB wie folgt:
"Die Referenzen der können keine Berücksichtigung finden, da die ... für die die Referenzen vorgelegt worden sind, nicht ausführt (§ 6d EU Abs. 1 Satz 3 VOB/A."
Daraus leitet die Ag das Fehlen der geforderten Referenzen ab, denn es liege kein Fall der Unterauftragnehmerschaft und kein Fall der Eignungsleihe vor. Die ASt könne sich daher nicht auf die Referenzen der ... berufen.
aa) Die Annahme der Ag, die ... führe die streitgegenständlichen ... nicht aus, stimmt nicht mit dem Angebotsinhalt überein. Die ASt hat die ... im Verzeichnis anderer Unternehmen (Formblatt 392-B) als Unterauftragnehmer für "..." benannt. Die "Verpflichtungserklärung anderer Unternehmen" (Formblatt 393-B) wurde durch die ausgefüllt und von der ASt, mit ihrem Angebot eingereicht. Gleiches gilt für die Eigenerklärung der ... zur Eignung (Formblatt 333b-B), in welcher drei Referenzen benannt wurden. Es liegt mithin nach der Angebotslage eine Eignungsleihe vor.
bb) Die Ag leitet indes aus einer Antwort der ASt, die diese auf das Aufklärungsersuchen der Ag vom 8. November 2024 mit Schreiben vom 14. November 2024 gegeben hat, ab, dass der ... keine Unterauftragnehmereigenschaft zukomme. Die sei vielmehr - so die Ag im Rügeantwortschreiben vom 16. Dezember 2024, dort S. 3 f. - lediglich die Verleiherin von Gerät (d.h. dem Schiff); das Personal ... werde ausweislich der Angaben der ASt im Aufklärungsschreiben nicht durch die sondern durch die ... gestellt. § 6d EU Abs. 1 S. 3 VOB/A sehe jedoch vor, dass die Inanspruchnahme der Kapazitäten anderer Unternehmen für die berufliche Erfahrung nur dann möglich sei, wenn diese anderen Unternehmen die Arbeiten ausführten, die für diese Kapazitäten benötigt würden. Das bedeute, dass das eignungsverleihende Unternehmen die operativen Arbeiten ausführen müsse, für die die Kapazitäten benötigt würden.
Vom rechtlichen Ansatz ist der Ag hier vollumfänglich zuzustimmen. Die Inanspruchnahme der Kapazitäten anderer Unternehmen zwecks Herstellung der auftraggeberseitig geforderten beruflichen Erfahrung ergibt in der Sache nur Sinn, wenn diese Kapazitäten bei der Auftragsausführung auch tatsächlich zum Einsatz kommen sollen und dem Bieterunternehmen nicht nur "auf dem Papier" zugerechnet werden. Die hinter den Referenzen stehende Expertise soll ja gerade in die Auftragsausführung eingebracht werden.
Nicht gefolgt werden kann aber der Annahme der Ag, die ... erbringe keine Leistungen, sondern stelle lediglich das zur Verfügung. Fehlerhaft ist damit die sachverhaltsbezogene Annahme der Ag, die ... erbringe die Leistungen nicht selbst und sei erst recht keine Unterauftragnehmerin der ASt.
Zur Begründung ihrer Ansicht stützt die Ag sich zunächst darauf, dass sich aus der Geräteliste (Anlage AS 8) sowie der von der ASt vorgelegten Tabelle (Anlage AS 12) ergebe, dass die Tätigkeit der sich auf die Zurverfügungstellung der ... beschränke.
In der Geräteliste waren in tabellarischer Form diverse, vorwiegend technische Angaben zu den angebotenen zu machen, getrennt nach "Eigene Geräte" und "Fremde Geräte mit Angabe der Eigentümer". Die ASt machte in der Rubrik "Name bzw. Bezeichnung" unter "Fremde Geräte mit Angabe der- Eigentümer" die Angabe: ... (vgl. Anlage AS 8). Der Aussagegehalt der Geräteliste erschöpft sich in der Angabe, dass das von der ASt angebotene ... nicht in deren Eigentum steht, sondern im Eigentum der Weitergehende Schlussfolgerungen, die eine Unterauftragnehmerschaft der ... ausschließen könnten, lassen sich aus der Geräteliste nicht ziehen.
Die als Anlage AS 10 dem Nachprüfungsantrag beigefügte "Tabelle der Teilleistungen" war veranlasst durch ein Aufklärungsersuchen der Ag vom 8. November 2024. Darin hatte die Ag moniert, dass die ASt es im Verzeichnis anderer Unternehmen (Formblatt 392-B) versäumt habe, positionsweise (OZ) aufzuführen, für welche der im Angebot enthaltenen Leistungen die ASt sich anderer Unternehmen bedienen werde. Deshalb hatte die Ag die ASt aufgefordert, Art und Umfang der jeweiligen Teilleistungen zu benennen (vgl. Schreiben vom 8. November 2024, Rn. 5). Dem kam die ASt mit Schreiben vom 14. November 2024 nach. Darin findet sich bei fast allen OZ (mit Ausnahme Baustelleneinrichtung und Baustellenräumung) in der Rubrik "Teilleistung" die Angabe "Operationelle Baggerarbeiten", und in der Rubrik "Teilleistung durch" die Angabe: "...".
Die Annahme der Ag, aus den Angaben der ASt in der Tabelle ergebe sich, dass die Tätigkeit der ... sich auf die Bereitstellung des ... beschränke, trifft nicht zu. Die von der ASt in der Rubrik "Teilleistung" gewählte Formulierung "Baggerarbeiten" (Anm.: Hervorhebung nicht im Original) legt nahe, dass die ... in dem betreffenden Baggerbereich Tätigkeiten verrichten wird, die über die bloße Zurverfügungstellung ... hinausgehen. Die Erwähnung der ... durch die ASt in der Rubrik "Teilleistung durch" diente erkennbar dem Zweck, zu verdeutlichen, dass die Arbeiten im Baggerbereich mit Hilfe dieses Schiffs durchgeführt werden sollen. Hätte die ASt die Absicht gehabt, die Rolle der ... auf die von der Ag angenommene Aufgabe zu beschränken, hätte es näher gelegen, die Teilleistung als "Bereitstellung Baggergerät" o.ä. zu beschreiben und die ... im Übrigen nicht als Unterauftragnehmer zu benennen.
Auch die Erwägung der Ag, aus der Antwort der ASt im Schreiben vom 14. November 2024 zu Frage 4 der Ag ergebe sich, dass das Bedienpersonal ... nicht von der ... gestellt werde, sondern von der ... (vgl. Anlage AS 11), vermag nicht zu überzeugen.
Frage Nr. 4 im Aufklärungsschreiben der Ag vom 8. November 2024 lautete:
"Bitte teilen Sie mir zum angebotenen Baggergerät "..." das Unternehmen unter Angabe einer eindeutigen Bezeichnung und der Gesellschaftsform mit, das dieses Gerät aktuell betreibt und deren Eigentümer."
Die ASt antwortete hierauf in Rn. 4 ihres Schreibens vom 14. November 2024:
"Betreiber und Eigentümer ...:
...
Der Nachweis der Eigentümer ist aufgenommen in ... (bereits am 11.10.2024 übermittelt."
Der Ansicht der Ag, das Bedienpersonal werde nicht durch die gestellt, sondern durch die ..., ist nicht zuzustimmen.
Wie die ASt in dem Rechtsgespräch am 27. Januar 2025 ausgeführt hat, erbringt die sowie dem Personal, das die ständige ... darstellt. Dass die ... jedenfalls in Teilen bei der ... angestellt ist, steht der Annahme einer Ausführung der ... nicht entgegen, die ... ist auch keine Unterauftragnehmerin der ASt. Die ... stellt die ... vielmehr in einem Innenverhältnis der zur Verfügung, nicht dagegen unmittelbar der ASt. In dem Rechtsgespräch wurde seitens der Bg dargelegt, dass ... in der täglichen Praxis eine Einheit bildeten, da nicht, jedenfalls nicht zuverlässig, ohne die in Bezug auf ... bedient werden könnten. Üblich ist somit eine Einheit von ....
Die ... hat die Referenzaufträge mit der ... erbracht, die ... sollen auch im streitgegenständlichen Auftrag in gleicher Weise durch die ... erbracht werden. Bei diesen ..., positionsbezogen aufgezählt in Anlage 4 zur Antwort vom 14. November 2024 auf die Aufklärungsanfrage, welche die ASt mit der ... und diese wiederum mit der ... zu erbringen gedenkt, handelt es sich um die maßgeblichen Leistungen, deren Ausführung der zukünftige Auftragnehmer der Ag vertraglich schulden wird. Folglich ist die Unterauftragnehmer der ASt, denn die selbständige Ausführung eines Teils des in der Leistungsbeschreibung festgelegten Leistungsumfangs ist das Differenzierungskriterium, welches die Unterauftragnehmerschaft abgrenzt von der bloßen Zurverfügungstellung von Gerät (vgl. zu dieser Abgrenzung OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Oktober 2021 - Verg 4/21, sub 11.2.d) bb)). Dass die in diesem Sinne selbständig erbringt, ergibt sich bereits daraus, dass die erfahrene ... ja gerade benötigt wird, um die auszuführen, denn die ASt selbst hat hier ausweislich der Referenzlage keine ausreichende eigene Expertise. Nach Rn 3.2.1 der Baubeschreibung ist es im Übrigen die Ag selbst, die dem Auftragnehmer die Einsatzeinweisungen und die konkreten Baggeraufträge erteilte, so dass Einsatzweisungen der ASt gegenüber der ... die der Annahme einer selbständigen Ausführung der ... entgegen stehen könnten, nicht in Betracht kommen; die ASt als Hauptauftragnehmerin und damit als Ansprechpartnerin der Ag gegenüber würde die Einsatzweisungen der Ag lediglich weitergeben an die ....
Nach alledem steht fest, dass die ... Unterauftragunternehmerin der ASt ist. Da die Ag auf Nachfrage der Vergabekammer im Rechtsgespräch am 27. Januar 2025 bestätigt hat, dass die drei Referenzen der ... "vergleichbar" sind, kann sich die ASt mit Erfolg auf die Referenzen der berufen, § 6d EU Abs. 1 S. 1, 3 VOB/A.
c) Es ist auch nicht erkennbar, dass der ASt das für die Auftragsausführung erforderliche Arbeitsgerät, ..., nicht zur Verfügung stehen und sie damit nicht in der Lage sein könnte, den Auftrag auszuführen; ebenso wenig ist eine Verpflichtung der Ag erkennbar, das Vorliegen fakultativer Ausschlussgründe nach § 124 Abs. 1 Nr. 8 oder Nr. 9 GWB anzunehmen und zu prüfen. Zwar ist der Vortrag der Bg belastbar und seitens der ASt im Schriftsatz vom 31. Januar 2025 nicht bestritten worden, wonach sich die Eigentümerstellung an einem ausschließlich aus dem ... ergibt; die Bg hat diese Aussage über ein Gutachten einer glaubhaft gemacht. Im eingetragen ist indes nicht die sondern eingetragen sind die fünf Gesellschafter der Auch wenn man zugunsten der Bg davon ausgehen kann, dass in einem streng formalen Sinn die Gesellschafter der Eigentümer der sind, so ist die Eintragung der ... durch die ASt in der Geräteliste in der dortigen Rubrik "Fremde Geräte: mit Angabe der Eigentümer" nicht falsch. Die ASt hat mit Schriftsatz vom 31. Januar 2025 vorgetragen und belegt, dass die Gesellschaftsform der ein von den Gesellschaftern getrenntes Sondervermögen haben kann. Die ... ist hier dem Sondervermögen der zugeordnet, was sich bereits aus dem ... ergibt ("owned by"). Zusätzlich hat die ASt mit Anlage 17 eine Kopie der notariellen Kaufurkunde vorgelegt, in welcher die ... als Käufer definiert wird. Die Angabe der ASt in der Geräteliste war somit durchaus zutreffend, denn die ist dem Sondergesellschaftsvermögen der zugeordnet. Die Aussage wird auch nicht dadurch falsch, dass - die Ausführungen der Bg zugrundelegend - auch die Benennung der fünf Gesellschafter, die ohne ...-Zusatz im ... aufgeführt sind, streng sachenrechtlich betrachtet vermutlich ebenso eine zutreffende Antwort gewesen wäre. Die Zwecke der in der Geräteliste geforderten Angabe nach dem Eigentümer bei Einsatz von Fremdgerät für das Vergabeverfahren sind erfüllt, denn aufgrund der Zuordnung zum Gesellschaftsvermögen der ... kommt es auf die Verfügungsgewalt der ..., nicht der formalen Eigentümer. an. Eine abschließende Aufklärung der gesellschaftsrechtlichen Eigentumsverhältnisse ... durch die Vergabekammer ist daher obsolet. Die ASt hat nachgewiesen, dass ihr die ... über die als Unterauftragnehmer eingesetzte ... für den Auftrag zur Verfügung steht und keine falschen Angaben gemacht.
d) Ein Ausschluss des Angebots der ASt nach § 16 EU Nr. 2 VOB/A in Verbindung mit § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen kommt nicht in Betracht.
Die Baubeschreibung sieht unter Rn. 3.5.1 vor, dass das angebotene Baggerschiff ein Laderaumvolumen von mind. 4.500 m3 aufweisen muss. Während die ASt sich zum Beleg dafür, dass die ... den Anforderungen genügt, auf die geeichten Daten der zuständigen beruft, verweist die Bg zum Beweis des Gegenteils auf öffentlich zugängliche Quellen. Dabei bestreitet die Bg auch, dass sich der Feststellung der ... die Aussage entnehmen lasse, dass die ein entsprechendes Laderaumvolumen habe. Die Ag ihrerseits hat die Feststellung der nicht in Zweifel gezogen. Dies ist auch richtig, denn die Ag durfte sich auf die Angaben der geeichten Laderaumtabelle verlassen, die von der hierfür zuständigen ... Behörde erstellt wurde. Es handelt sich um ein amtliches Dokument, das ein Laderaumvolumen von 4.670 m3 ausweist.
e) Soweit die Bg ergänzende Akteneinsicht beantragt hat, insbesondere in die von der ASt aufgeführten Referenzen, war der Antrag zum Schutze der Geschäftsgeheimnisse der ASt zurückzuweisen, § 165 Abs. 2 GWB.
Nach alledem ist dem Nachprüfungsantrag stattzugeben. Bei fortbestehender Beschaffungsabsicht hat die Ag ihre Wertungsentscheidung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1, 4 GWB. Danach haben die Ag und die Bg als unterliegende Verfahrensbeteiligte die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) gesamtschuldnerisch zu tragen sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwenigen Aufwendungen der ASt jeweils zur Hälfte.
Was die Bg anbelangt, so hat diese schriftsätzlich vorgetragen und sich in dem am 27. Januar 2025 stattgefundenen Rechtsgespräch dem Vortrag der Ag angeschlossen, und damit ein Kostenrisiko auf sich genommen. Die Bg ist daher als mit der Ag unterliegende Partei anzusehen und damit an der Kostenentscheidung zu beteiligen.
Die Hinzuziehung anwaltlicher Bevollmächtigter durch die ASt war notwendig, da sich Rechtsfragen stellten, die ein durchschnittlicher Bieter nicht kennen muss damit nicht selbst im Nachprüfungsverfahren bearbeiten kann.
IV.
(...)
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"Begünstigter" kann auch sein, wer keine staatliche Beihilfe erhä...
"Begünstigter" kann auch sein, wer keine staatliche Beihilfe erhält!
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1 | Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 2 Nrn. 10, 36 und 37 der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 320, berichtigt in ABl. 2016, L 200, S. 140) in der durch die Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 (ABl. 2018, L 193, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1303/2013) sowie der Art. 41 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta). |
2 | Sie ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten, in denen sich erstens die Obshtina Veliko Tarnovo (Gemeinde Veliko Tarnovo, Bulgarien) und der Rakovoditel na Upravlyavashtia organ na Operativna programa "Regioni v rastezh" 2014-2020 (Leiter der Verwaltungsbehörde für das Operationelle Programm "Regionen im Wachstum" 2014-2020) (C-471/23) sowie zweitens die Obshtina Belovo (Gemeinde Belovo, Bulgarien) und der Rakovoditel na Upravlyavashtia organ na Operativna programa "okolna sreda" 2014-2020 (Leiter der Verwaltungsbehörde für das Operationelle Programm "Umwelt" 2014-2020) (C-477/23) einander gegenüberstehen, und die die Modalitäten für den Erlass von Entscheidungen über finanzielle Berichtigungen infolge von Unregelmäßigkeiten zum Gegenstand haben, die bei der Durchführung von aus Mitteln der Europäischen Union kofinanzierten Projekten festgestellt wurden. Rechtlicher Rahmen Unionsrecht Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 |
3 | In den Erwägungsgründen 5, 33 und 36 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (ABl. 2007, L 315, S. 1) heißt es: "(5) ... Entscheidet ein Mitgliedstaat sich im Einklang mit dieser Verordnung dafür, bestimmte allgemeine Regeln aus ihrem Anwendungsbereich herauszunehmen, so sollte die allgemeine Regelung für staatliche Beihilfen zur Anwendung kommen. ... (33) In seinem Urteil [vom 24. Juli 2003, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg (C-280/00, EU:C:2003:415)] hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in den Randnummern 87 bis 95 festgestellt, dass Ausgleichsleistungen für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen keine Begünstigung im Sinne von Artikel [107 AEUV] darstellen, sofern vier kumulative Voraussetzungen erfüllt sind. Werden diese Voraussetzungen nicht erfüllt, jedoch die allgemeinen Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel [107 Absatz 1 AEUV], stellen die Ausgleichsleistungen für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen staatliche Beihilfen dar, und es gelten die Artikel [93, 106, 107 und 108 AEUV]. ... (36) ... Alle anderen durch diese Verordnung nicht erfassten Ausgleichsleistungen für die Erbringung öffentlicher Personenverkehrsdienste, die staatliche Beihilfen im Sinne des Artikels [107 Abs. 1 AEUV] beinhalten könnten, sollten den Bestimmungen der Artikel [93, 106, 107 und 108 AEUV] entsprechen, einschließlich aller Auslegungen durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften und insbesondere dessen [Urteil vom 24. Juli 2003, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg (C-280/00, EU:C:2003:415)]. ..." Verordnung Nr. 1303/2013 |
4 | In den Erwägungsgründen 65 und 66 der Verordnung Nr. 1303/2013 wird ausgeführt: "(65) Die Mitgliedstaaten sollten geeignete Vorkehrungen treffen, um eine ordnungsgemäße Struktur und Funktion ihrer Verwaltungs- und Kontrollsysteme zu gewährleisten, so dass eine rechtmäßige und ordnungsgemäße Nutzung der [Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds)] gewährleistet ist. ... (66) Im Einklang mit dem Grundsatz der geteilten Verwaltung sollte die Verantwortung für die Verwaltung und Kontrolle der Programme bei den Mitgliedstaaten und der Kommission liegen. In erster Linie sollten die Mitgliedstaaten über ihre Verwaltungs- und Kontrollsysteme für die Durchführung und Kontrolle der Vorhaben im Rahmen der Programme verantwortlich sein. ..." |
5 | In Art. 1 ("Gegenstand") der Verordnung Nr. 1303/2013 heißt es: "In dieser Verordnung werden die gemeinsamen Regelungen für den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), den Europäischen Sozialfonds (ESF), den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER) und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF), für die ein gemeinsamer Rahmen (im Folgenden 'europäische Struktur- und Investitionsfonds' - 'ESI-Fonds') gilt, festgelegt. ..." |
6 | Art. 2 ("Begriffsbestimmungen") der Verordnung Nr. 1303/2013 sieht vor: "Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck ... 10. 'Begünstigter' eine Einrichtung des öffentlichen oder privaten Rechts oder eine natürliche Person, die mit der Einleitung oder mit der Einleitung und Durchführung von Vorhaben betraut ist, und a) im Zusammenhang mit staatlichen Beihilfen die Stelle, die die Beihilfe erhält, es sei denn, die Beihilfe je Unternehmen beträgt weniger als 200 000 [Euro], wobei der betreffende Mitgliedstaat in diesem Fall beschließen kann, dass der Begünstigte die Stelle ist, die die Beihilfe gewährt, unbeschadet der Verordnungen (EU) Nr. 1407/2013 [der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 (AEUV) auf De-minimis-Beihilfen (ABl. 2013, L 352, S. 1)], (EU) Nr. 1408/2013 [der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 (AEUV) auf De-minimis-Beihilfen im Agrarsektor (ABl. 2013, L 352, S. 9)] und (EU) Nr. 717/2014 der Kommission [vom 27. Juni 2014 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 AEUV auf De-minimis-Beihilfen im Fischerei- und Aquakultursektor (ABl. 2014, L 190, S. 45)]; und b) im Zusammenhang mit den in Teil Zwei Titel IV dieser Verordnung genannten Finanzinstrumenten bezeichnet der Ausdruck die Stelle, die das Finanzinstrument oder gegebenenfalls den Dachfonds einsetzt; ... 36. 'Unregelmäßigkeit' jeden Verstoß gegen Unionsrecht oder gegen nationale Vorschriften zu dessen Anwendung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines an der Inanspruchnahme von Mitteln aus den ESI-Fonds beteiligten Wirtschaftsteilnehmers, die einen Schaden für den Haushalt der Union in Form einer ungerechtfertigten Ausgabe bewirkt oder bewirken würde; 37. 'Wirtschaftsteilnehmer' jede natürliche oder juristische Person oder jede andere Einrichtung, die an der Durchführung der Unterstützung aus den ESI-Fonds beteiligt ist; hiervon ausgenommen ist ein Mitgliedstaat, der seine Befugnisse als Behörde ausübt; ..." |
7 | In Art. 143 ("Finanzielle Berichtigungen durch die Mitgliedstaaten") der Verordnung Nr. 1303/2013 heißt es: "(1) Es obliegt in erster Linie den Mitgliedstaaten, Unregelmäßigkeiten zu untersuchen, die erforderlichen finanziellen Berichtigungen vorzunehmen und die Wiedereinziehungen zu betreiben. Im Falle einer systembedingten Unregelmäßigkeit umfassen die Untersuchungen des Mitgliedstaats alle möglicherweise betroffenen Vorhaben. (2) Die Mitgliedstaaten nehmen die finanziellen Berichtigungen vor, die aufgrund der im Rahmen von Vorhaben oder operationellen Programmen festgestellten vereinzelten oder systembedingten Unregelmäßigkeiten notwendig sind. Finanzielle Berichtigungen bestehen in der vollständigen oder teilweisen Streichung des öffentlichen Beitrags zu einem Vorhaben oder operationellen Programm. Der Mitgliedstaat berücksichtigt Art und Schweregrad der Unregelmäßigkeiten sowie den den Fonds oder dem EMFF entstandenen finanziellen Verlust und nimmt angemessene Korrekturen vor. Finanzielle Berichtigungen werden im Abschluss für das Geschäftsjahr verbucht, in dem die Streichung beschlossen wurde. ..." Bulgarisches Recht ZUSEFSU |
8 | In Art. 70 des Zakon za upravlenie na sredstvata ot evropeyskite fondove pri spodeleno upravlenie (Gesetz über die Verwaltung der Mittel aus den Europäischen Fonds unter geteilter Mittelverwaltung, DV Nr. 101 vom 22. Dezember 2015, dessen Titel vor der in DV Nr. 51 aus dem Jahr 2022 erschienenen und am 1. Juli 2022 in Kraft getretenen Änderung lautete: Zakon za upravlenie na sredstvata ot evropeyskite strukturni i investitsionni fondove [Gesetz über die Verwaltung der Mittel aus den Europäischen Struktur- und Investitionsfonds]) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: ZUSEFSU) heißt es: "(1) Die finanzielle Unterstützung aus Mitteln aus den ESI-Fonds kann durch Vornahme einer finanziellen Berichtigung aus folgenden Gründen ganz oder teilweise gestrichen werden: ... 9. aufgrund einer Unregelmäßigkeit, die einen Verstoß gegen die Vorschriften über die Benennung eines Auftragnehmers gemäß Kapitel 4 durch eine Handlung oder Unterlassung des Begünstigten darstellt und einen Schaden für die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds bewirkt oder bewirken würde; ... (2) Die Fälle von Unregelmäßigkeiten, die zu finanziellen Berichtigungen im Sinne von Abs. 1 Nr. 9 führen, werden in einem Rechtsakt des Ministerrats aufgeführt." |
9 | Art. 73 Abs. 1 ZUSEFSU lautet: "Die Grundlage und die Höhe der finanziellen Berichtigung legt der Leiter der Verwaltungsbehörde, die das Projekt genehmigt hat, in einer mit Gründen versehenen Entscheidung fest." Gesetz über das öffentliche Auftragswesen |
10 | Nach Art. 2 Abs. 2 des Zakon za obshtestvenite porachki (Gesetz über das öffentliche Auftragswesen, DV Nr. 13 vom 16. Februar 2016) dürfen öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe öffentlicher Aufträge den Wettbewerb nicht durch Bedingungen oder Anforderungen beschränken, die einen ungerechtfertigten Vorteil verschaffen oder die Teilhabe von Wirtschaftsteilnehmern an öffentlichen Aufträgen ungerechtfertigt beschränken und mit dem Gegenstand, dem Wert, der Komplexität, der Menge oder dem Umfang des öffentlichen Auftrags nicht im Einklang stehen. Ausgangsverfahren und Vorlagefragen Rechtssache C-471/23 |
11 | Infolge eines Auswahlverfahrens im Rahmen des Operationellen Programms "Regionen im Wachstum" 2014-2020, das Teil der Partnerschaftsvereinbarung der Republik Bulgarien für den Programmplanungszeitraum 2014-2020 ist, wurde der Gemeinde Veliko Tarnovo der Zuschuss "Umsetzung integrierter Städtebau- und Stadtentwicklungskonzepte 2014-2020" unmittelbar gewährt. |
12 | Am 24. August 2018 schloss diese Gemeinde mit der "Organizatsia na dvizhenieto, parkingi i garazhi" EOOD (Betrieb für Verkehrswesen, Parkplatz- und Parkhausbewirtschaftung, im Folgenden: kommunale Gesellschaft) einen Partnerschaftsvertrag. Dieser Partnerschaftsvertrag sieht vor, dass die Gemeinde als "federführender Partner" und die kommunale Gesellschaft als "Partner" im Projekt "Integrierter städtischer Verkehr der Stadt Veliko Tarnovo" im Rahmen dieses operationellen Programms benannt werden. |
13 | Nach dem Partnerschaftsvertrag obliegt es dem federführenden Partner im Fall der Bewilligung des Projekts, einen Verwaltungsvertrag zu schließen. Der Partner, d. h. im vorliegenden Fall die kommunale Gesellschaft, ist in seiner Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber verpflichtet, nach dem Gesetz über das öffentliche Auftragswesen ein Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags über die Lieferung von Schienenfahrzeugen durchzuführen. Im Partnerschaftsvertrag ist ferner geregelt, dass, falls im Rahmen dieses Verfahrens Verstöße begangen werden, die eine finanzielle Berichtigung rechtfertigen, die von dieser Berichtigung betroffenen Mittel in Höhe der Berichtigung von dem öffentlichen Auftraggeber zu tragen sind, der Partei des zu der Berichtigung Anlass gebenden Vertrags ist. |
14 | Am 19. Juli 2019 schloss die Gemeinde Veliko Tarnovo als Begünstigte des Zuschusses "Umsetzung integrierter Städtebau- und Stadtentwicklungskonzepte 2014-2020" mit der Verwaltungsbehörde des Operationellen Programms "Regionen im Wachstum" 2014-2020 einen Verwaltungsvertrag über einen Gesamtwert von 11 133 732,51 Lewa (BGN) (etwa 5 700 000 Euro), wovon ein Betrag von 10 409 573,31 BGN (etwa 5 300 000 Euro) auf den Zuschuss entfiel und ein Betrag von 724 159,20 BGN (etwa 370 000 Euro) als Eigenbeitrag des Begünstigten vorgesehen war. |
15 | Nach diesem Verwaltungsvertrag stellt ein Teil des in Rede stehenden Zuschussbetrags eine staatliche Beihilfe zugunsten des Betreibers eines öffentlichen Personenverkehrsdiensts in Form einer Ausgleichsleistung für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen gemäß der Verordnung Nr. 1370/2007 dar. Verwalter dieser Beihilfe ist die Gemeinde Veliko Tarnovo, die die Einhaltung der anwendbaren Regelungen im Einklang mit den sich aus dieser Verordnung ergebenden Anforderungen, einschließlich der Einführung und Anwendung angemessener Mechanismen zur Kontrolle von deren Einhaltung, zu gewährleisten hat. |
16 | Der Begünstigte haftet gemäß den allgemeinen Bedingungen dieses Verwaltungsvertrags gegenüber der Verwaltungsbehörde des Operationellen Programms "Regionen im Wachstum" 2014-2020 für Handlungen von Partnern und externen Auftragnehmern bei der Durchführung des betreffenden Projekts und trägt "auf eigene Kosten alle Risiken, einschließlich nicht förderfähiger Ausgaben und finanzieller Berichtigungen, die zulasten des Zuschusses für den Haushalt des Projekts gehen". |
17 | Nachdem die kommunale Gesellschaft in ihrer Eigenschaft als Erbringer einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse und als benannter Empfänger einer staatlichen Beihilfe aus Mitteln der ESI-Fonds ein Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags eingeleitet hatte, schloss sie am 31. März 2020 mit dem Auftragnehmer "Excelor-Alfa" DZZD einen Vertrag über einen öffentlichen Auftrag, der die Lieferung von drei Elektrobussen zum Gegenstand hatte. |
18 | Infolge einer Unregelmäßigkeitsmeldung erließ die Verwaltungsbehörde des Operationellen Programms "Regionen im Wachstum" 2014-2020 wegen einer von der kommunalen Gesellschaft begangenen Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 70 Abs. 1 Nr. 9 ZUSEFSU am 11. Mai 2022 gegenüber der Gemeinde Veliko Tarnovo eine Entscheidung über eine finanzielle Berichtigung (im Folgenden: Entscheidung vom 11. Mai 2022 über die finanzielle Berichtigung). Die finanzielle Berichtigung belief sich auf 25 % der im Rahmen dieses öffentlichen Auftrags aus den ESI-Fonds förderfähigen Mittel. |
19 | Gegen diese Entscheidung erhob die Gemeinde Veliko Tarnovo Klage beim Administrativen sad Veliko Tarnovo (Verwaltungsgericht Veliko Tarnovo, Bulgarien). |
20 | Mit Urteil vom 1. November 2022 wies dieses Gericht die Klage mit der Begründung ab, die Gemeinde Veliko Tarnovo sei alleiniger Begünstigter des in Rede stehenden Zuschusses, da sie Partei des in Rn. 14 des vorliegenden Urteils genannten Verwaltungsvertrags sei, und könne als Partei dieses Vertrags berechtigterweise als Adressat der Entscheidung, mit der die betreffende finanzielle Berichtigung festgesetzt worden sei, angesehen werden. Ferner befreie der Umstand, dass die Gemeinde als Begünstigter dieses Zuschusses für bestimmte Tätigkeiten Partnerschaftsverträge abgeschlossen habe, sie nicht von ihrer Haftung als Partei dieses Vertrags, der ein unmittelbares Rechtsverhältnis mit der Verwaltungsbehörde des Operationellen Programms "Regionen im Wachstum" 2014-2020 begründe. Schließlich stellte das Gericht fest, dass die Klausel über die Haftung für Verstöße und Risiken, einschließlich finanzieller Berichtigungen, insofern Regresscharakter habe, als sie darauf abziele, im Innenverhältnis zwischen den Partnern zu bestimmen, wer für solche Berichtigungen hafte. |
21 | Gegen dieses Urteil legte die Gemeinde Veliko Tarnovo beim Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht, Bulgarien), dem vorlegenden Gericht, Kassationsbeschwerde ein. |
22 | Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass zunächst für die Antwort auf die Frage, ob die Gemeinde Veliko Tarnovo die alleinige Begünstigte des in Rede stehenden Zuschusses sei und ob sie in dieser Eigenschaft einen Verstoß gegen bulgarisches Recht begangen habe, der zu einer finanziellen Berichtigung geführt habe, der Begriff "Begünstigter" im Sinne von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 auszulegen sei. |
23 | Sodann stelle sich die Frage, ob die Gemeinde Veliko Tarnovo aufgrund einer von der kommunalen Gesellschaft begangenen Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 2 Nr. 36 der Verordnung Nr. 1303/2013 als Adressat der Entscheidung vom 11. Mai 2022 über eine finanzielle Berichtigung angesehen werden könne und somit für Verstöße haften müsse, die in dem von dieser Gesellschaft eingeleiteten Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags begangen worden seien, wenn es nicht diese Gemeinde sei, die die Mittel aus den ESI-Fonds für den infolge dieses Verfahrens geschlossenen Vertrag über einen öffentlichen Auftrag verwende. |
24 | Sofern feststehe, dass die kommunale Gesellschaft als Empfängerin des Zuschusses und als die öffentliche Einrichtung, die für die Einleitung und Durchführung des spezifischen Vorgangs der Beschaffung von Fahrzeugen verantwortlich sei, Begünstigte dieses von der finanziellen Berichtigung betroffenen Zuschusses sei, stelle sich schließlich auch die Frage, warum ihr kein Recht auf Beteiligung an dem Verfahren zur Festsetzung dieser finanziellen Berichtigung gewährt worden sei und ob sie sich als Partei im Verfahren zu deren Anfechtung vor dem Administrativen sad Veliko Tarnovo (Verwaltungsgericht Veliko Tarnovo) hätte beteiligen können müssen. |
25 | Vor diesem Hintergrund hat der Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen: 1. Fällt der Verwalter einer staatlichen Beihilfe in Form von Mitteln aus den ESI-Fonds, der nicht Empfänger der Beihilfe ist, im Zusammenhang mit staatlichen Beihilfen unter den Begriff "Begünstigter" der Beihilfe im Sinne von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013? 2. Kann der Verwalter einer staatlichen Beihilfe in Form von Mitteln aus den ESI-Fonds, der nicht die Person ist, die die Beihilfe auf der Grundlage eines öffentlichen Auftrags verwendet, richtiger Adressat einer Entscheidung sein, mit der eine finanzielle Berichtigung wegen eines bei der Vergabe des öffentlichen Auftrags begangenen Verstoßes gegen nationales Recht bzw. Unionsrecht festgesetzt wird? 3. Müssen in Bezug auf die Person, die Adressat der Verwaltungsmaßnahme "finanzielle Berichtigung" wegen einer Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 2 Nr. 36 der Verordnung Nr. 1303/2013 ist, im Fall einer staatlichen Beihilfe in Form von Mitteln aus den ESI-Fonds zwei kumulative Voraussetzungen vorliegen: dass sie Empfänger des Zuschusses aus den von der Unregelmäßigkeit betroffenen Mitteln ist und dass sie diejenige Person ist, die die betroffenen Mittel verwendet hat? 4. Kann die Haftung für Gesetzesverstöße bei der Verwendung einer staatlichen Beihilfe in Form von Mitteln aus den ESI-Fonds durch einen Vertrag zwischen dem Empfänger und dem Verwalter der Beihilfe geregelt oder umverteilt werden oder haftet der Empfänger der Beihilfe, der sie rechtswidrig verwendet? 5. Besteht eine gesamtschuldnerische Haftung des Empfängers der Beihilfe und des Verwalters der Beihilfe und muss eine derartige Haftung im Vertrag über die Gewährung der Beihilfe vorgeschrieben werden? 6. Stehen Art. 41 und Art. 47 der Charta einer nationalen Verwaltungspraxis und Rechtsprechung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens entgegen, wonach einem "Betreiber eines Dienstes von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse", wie der kommunalen Gesellschaft, von der behauptet wird, es sei in dem von ihr durchgeführten Verfahren ein Verstoß gegen das Gesetz über das öffentliche Auftragswesen bei der Vergabe eines öffentlichen Auftrags im Verfahren der Verwendung von Mitteln aus den ESI-Fonds (die eine staatliche Beihilfe darstellen) festgestellt worden, weder das Recht auf Beteiligung im Verfahren zur Festsetzung einer finanziellen Berichtigung in Bezug auf einen von diesem Betreiber geschlossenen Vertrag, noch das Recht auf Beteiligung am Gerichtsverfahren zur Anfechtung dieses Verwaltungsakts gewährt wird, mit der Begründung, dass dieser Betreiber als Partner der Gemeinde aus dem Partnerschaftsvertrag für den Regress zivilrechtlich hafte? Rechtssache C-477/23 |
26 | Die Rechtssache C-477/23 betrifft die Verwendung von Mitteln aus den ESI-Fonds für den Zeitraum 2014-2020 im Rahmen eines "Kombinierten Verfahrens für die Planung und den Bau von Kompostierungsanlagen und Anlagen zur Vorbehandlung von Haushaltsabfällen" mit dem Ziel, die Menge der deponierten Abfälle zu verringern, indem zusätzliche Kapazitäten für die Vorbehandlung unsortierter Abfälle sowie für das getrennte Sammeln und das Recycling durch Kompostierung von Grün- und/oder biologisch abbaubaren Abfällen bereitgestellt werden. |
27 | Im Rahmen des Verfahrens zur Gewährung eines direkten Zuschusses an die Region Pazardzhik (Bulgarien) erarbeiteten mehrere Gemeinden, darunter die Gemeinden Pazardzhik und Belovo, einen gemeinsamen Projektantrag im Hinblick auf die Gewährung eines solchen Zuschusses. Die betreffenden Gemeinden mussten einen Verwaltungsvertrag über die Gewährung eines Zuschusses im Rahmen des Operationellen Programms "Umwelt" 2014-2020 unterzeichnen. Dieser Vertrag sieht vor, dass die Gemeinden, die Parteien des Vertrags sind, die Gemeinde Pazardzhik als "federführende Gemeinde" benennen. Obwohl neben dem Namen jeder dieser Gemeinden auch ihre "Partner"-Eigenschaft angeführt wird, sieht der Vertrag ferner vor, dass alle von ihm erfassten Gemeinden Begünstigte sind. |
28 | Aus den Durchführungsbestimmungen zu dem im Rahmen dieses Verfahrens genehmigten Projekts, die Bestandteil des in der vorstehenden Randnummer genannten Verwaltungsvertrags sind, geht hervor, dass die Gemeinde Pazardzhik als "federführende Gemeinde" für die Verwaltung dieses Projekts verantwortlich und befugt ist, die betreffenden Mittel auf ihrem Bankkonto zu empfangen und an die Partnergemeinden zu verteilen. Die Partnergemeinden beteiligen sich ihrerseits gemeinsam mit der federführenden Gemeinde an der Konzeption sowie an der technischen und finanziellen Durchführung des Projekts. In diesem Zusammenhang war es Sache der Gemeinde Belovo, das Verfahren über die Vergabe des öffentlichen Auftrags für die Planung, die Bauaufsicht, den Bau, die Lieferung und die Errichtung einer Kompostierungsanlage für getrennt gesammelte Grün- und/oder biologisch abbaubare Abfälle mit einer Kapazität von 2 000 t pro Jahr durchzuführen und diesen öffentlichen Auftrag zu vergeben. |
29 | Im Rahmen des Verfahrens zur Vergabe dieses öffentlichen Auftrags schloss die Gemeinde Belovo in ihrer Eigenschaft als öffentliche Auftraggeberin mit der "Delchev Engineering" EOOD einen Vertrag über einen öffentlichen Auftrag. |
30 | Mit Entscheidung vom 21. März 2022 nahm die Verwaltungsbehörde des Operationellen Programms "Umwelt" 2014-2020 gegenüber der Gemeinde Pazardzhik eine finanzielle Berichtigung in Höhe von 10 % der im Rahmen dieses öffentlichen Auftrags aus den ESI-Fonds finanzierten förderfähigen Ausgaben vor (im Folgenden: Entscheidung vom 21. März 2022 über eine finanzielle Berichtigung). Anlass für die Vornahme dieser finanziellen Berichtigung war eine von der Gemeinde Belovo begangene Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 70 Abs. 1 Nr. 9 ZUSEFSU. |
31 | Die Gemeinde Belovo, die nicht Adressat der Entscheidung vom 21. März 2022 über eine finanzielle Berichtigung ist, erhob gegen diese Entscheidung Klage beim Administrativen sad Pazardzhik (Verwaltungsgericht Pazardzhik, Bulgarien). Mit Urteil vom 26. Oktober 2022 wies dieses Gericht die Klage ab und stellte fest, dass in dieser Entscheidung zwar nur die Gemeinde Pazardzhik als deren Adressat angegeben worden sei, aber die Gemeinde Belovo als öffentlicher Auftraggeber den Vertrag über den öffentlichen Auftrag unterzeichnet habe und ein rechtliches Interesse an der Erhebung der Klage habe. Das Gericht befand jedoch, dass die Entscheidung im Einklang mit dem bulgarischen Recht erlassen worden sei. |
32 | Gegen dieses Urteil legte die Gemeinde Belovo beim Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht), dem vorlegenden Gericht, Kassationsbeschwerde ein. |
33 | Diesem Gericht zufolge besteht eine Divergenz in der nationalen Rechtsprechung zu Sachverhalten, die dem im vorliegenden Fall in Rede stehenden ähnlich seien und das gleiche Finanzierungsverfahren mit Mitteln der ESI-Fonds beträfen. |
34 | Zum einen gehe nämlich aus bestimmten nationalen Entscheidungen hervor, dass nur die federführende Gemeinde des betreffenden Projekts den Status eines "Begünstigten" im Sinne von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 habe und Adressat der Entscheidung über eine finanzielle Berichtigung sei, während dies auf die anderen Partnergemeinden nicht zutreffe. So seien in den Fällen, in denen diese nationalen Entscheidungen ergangen seien, die Partnergemeinden, ausgenommen die federführende Gemeinde, weder an dem Verfahren zur Festsetzung der in Rede stehenden finanziellen Berichtigung noch am gerichtlichen Verfahren zur Anfechtung des Rechtsakts, mit dem diese vorgenommen worden sei, als Beteiligte zugelassen worden, selbst wenn die Unregelmäßigkeit, die zu dieser finanziellen Berichtigung geführt habe, auf diese Partnergemeinden zurückzuführen gewesen sei. |
35 | Zum anderen seien einige nationale Gerichte der Ansicht, dass im Fall eines Verstoßes gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge durch eine Gemeinde, die Mittel aus den ESI-Fonds verwende, davon auszugehen sei, dass diese Gemeinde Adressat des in Rede stehenden Rechtsakts über die finanzielle Berichtigung sei und berechtigt sei, sich an dem Verfahren zur Festsetzung der betreffenden finanziellen Berichtigung zu beteiligen und sich vor einem Gericht zu verteidigen. |
36 | Darüber hinaus äußert das vorlegende Gericht Zweifel, wie über die Haftung für finanzielle Berichtigungen aufgrund von Verstößen gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge im Rahmen der Verwendung von Mitteln aus den ESI-Fonds zu entscheiden sei. |
37 | Vor diesem Hintergrund hat der Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen: 1. Steht die Auslegung von Art. 2 Nr. 10, Nr. 36 und Nr. 37 der Verordnung Nr. 1303/2013 einer nationalen Regelung oder einer Auslegungs- und Anwendungspraxis dieser Regelung entgegen, wonach in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens allein eine der Partnergemeinden (Parteien des Verwaltungsvertrags über den Zuschuss), die den Verwaltungsvertrag über den finanziellen Zuschuss als federführender Partner unterschrieben hat, als Begünstigter des Zuschusses aus Mitteln der ESI-Fonds anzusehen ist? Welche Voraussetzungen muss eine Organisation erfüllen, um in einem Fall wie dem vorliegenden als "Begünstigter" im Sinne von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 eingestuft zu werden? 2. Steht die Auslegung von Art. 2 Nr. 10, Nr. 36 und Nr. 37 der Verordnung Nr. 1303/2013 einer nationalen Regelung oder einer Auslegungs- und Anwendungspraxis dieser Regelung entgegen, wonach in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens die finanzielle Berichtigung wegen eines von einem Wirtschaftsteilnehmer begangenen Verstoßes gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge mit einer Entscheidung festgesetzt wird, deren Adressat ein anderer Wirtschaftsteilnehmer ist, der keinen Verstoß begangen hat, aber als federführender Partner im Vertrag über den finanziellen Zuschuss aufgeführt wird? 3. Steht die Verordnung Nr. 1303/2013 einer nationalen Regelung oder einer Auslegungs- und Anwendungspraxis dieser Regelung entgegen, wonach die Haftung für eine finanzielle Berichtigung zwischen den Projektpartnern vertraglich umverteilt werden kann oder muss jeder Wirtschaftsteilnehmer die Haftung für die finanziellen Berichtigungen im Zusammenhang mit von ihm bei der Verwendung von Mitteln aus den ESI-Fonds begangenen Unregelmäßigkeiten nach den Verträgen, deren Vertragspartei er ist, tragen? 4. Stehen Art. 41 und Art. 47 der Charta einer nationalen Verwaltungspraxis und Rechtsprechung in einem Fall wie dem Fall des Ausgangsverfahrens entgegen, wonach der Gemeinde, von der behauptet wird, sie habe bei der Vergabe des öffentlichen Auftrags im Verfahren der Verwendung von Mitteln aus den ESI-Fonds gegen das Gesetz über das öffentliche Auftragswesen verstoßen, weder das Recht auf Beteiligung im Verfahren zur Festsetzung einer finanziellen Berichtigung, die einen von ihr geschlossenen Vertrag betrifft, noch das Recht auf Beteiligung am Gerichtsverfahren zur Anfechtung dieses Verwaltungsakts gewährt wird, mit der Begründung, dass ihr als Partner aufgrund des Partnerschaftsvertrags mit dem federführenden Partner der Zivilrechtsweg offen stehe? Zu den Vorlagefragen Zur ersten Frage in der Rechtssache C-471/23 und zur ersten Frage in der Rechtssache C-477/23 |
38 | Mit seiner ersten Frage in der Rechtssache C-471/23 und seiner ersten Frage in der Rechtssache C-477/23, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 dahin auszulegen ist, dass unter den Begriff "Begünstigter" im Sinne dieser Bestimmung eine Einrichtung fallen kann, die mit der Einleitung oder mit der Einleitung und Durchführung der betreffenden Vorhaben betraut ist, aber keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 2 Nr. 10 Buchst. a der Verordnung Nr. 1303/2013 erhält, sowie eine Einrichtung, die einen Verwaltungsvertrag über einen Zuschuss nicht "federführend" unterzeichnet hat. |
39 | Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 definiert in einem ersten Schritt den Begriff "Begünstigter" als eine Einrichtung des öffentlichen oder privaten Rechts oder eine natürliche Person, die mit der Einleitung oder mit der Einleitung und Durchführung von Vorhaben betraut ist. In einem zweiten Schritt stellt Art. 2 Nr. 10 Buchst. a und b dieser Verordnung klar, dass im Rahmen staatlicher Beihilfen "Begünstigter" die Stelle ist, die die Beihilfe erhält, es sei denn, die Beihilfe je Unternehmen beträgt weniger als 200 000 Euro, wobei der betreffende Mitgliedstaat in diesem Fall beschließen kann, dass der Begünstigte die Stelle ist, die die Beihilfe gewährt, unbeschadet der Verordnungen Nr. 1407/2013, Nr. 1408/2013 und Nr. 717/2014, und im Zusammenhang mit den in Teil Zwei Titel IV dieser Verordnung genannten Finanzierungsinstrumenten die Stelle, die das Finanzinstrument oder gegebenenfalls den Dachfonds einsetzt. |
40 | Aus dem Wortlaut des Einleitungssatzes der Definition des Begriffs "Begünstigter" in Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 geht hervor, dass die Mitgliedstaaten über ein gewisses Ermessen verfügen, um zu bestimmen, ob der Begünstigte in seiner Eigenschaft als Einrichtung des öffentlichen oder privaten Rechts oder natürliche Person nur mit der Einleitung der betreffenden Vorhaben oder sowohl mit deren Einleitung als auch mit deren Durchführung betraut ist. |
41 | Der zweite Teil dieser Bestimmung enthält Regelungen, um den Begünstigten in Fällen zu bestimmen, die staatliche Beihilfen und unter Teil Zwei Titel IV der Verordnung Nr. 1303/2013 fallende Finanzinstrumente betreffen. |
42 | Hierzu ist festzustellen, dass die im Einleitungssatz von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 und die in Art. 2 Nr. 10 Buchst. a und b dieser Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen durch die Konjunktion "und" voneinander getrennt werden. Die Verwendung dieser Konjunktion bedeutet jedoch nicht, dass diese Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen. Vielmehr sehen die Bestimmungen des Einleitungssatzes eine allgemeine Regelung vor, wohingegen die Bestimmungen von Art. 2 Nr. 10 Buchst. a und b der Verordnung ergänzende Vorschriften für besondere Sachverhalte darstellen. |
43 | Somit ist festzustellen, dass der Wortlaut von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 keineswegs ausschließt, dass es für ein Vorhaben mehrere Begünstigte gibt. |
44 | Wie sich aus dem 66. Erwägungsgrund dieser Verordnung ergibt, liegt die Verantwortung für die Durchführung der Vorhaben im Rahmen der Programme in erster Linie bei den Mitgliedstaaten, denen es somit freisteht, u. a. zu bestimmen, welche Einrichtung mit der Einleitung der betreffenden Vorhaben oder mit deren Einleitung und Durchführung betraut wird, ebenso wie die Stelle, die die in Rede stehende Beihilfe erhält. |
45 | Eine gegenteilige Auslegung könnte zu Situationen führen, in denen keine Einrichtung als Begünstigte im Sinne von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 eingestuft werden könnte, da sie nicht in der Lage wäre, die beiden Voraussetzungen zu erfüllen, die im Einleitungssatz von Art. 2 Nr. 10 und in Nr. 10 Buchst. a oder b dieser Verordnung vorgesehen sind. |
46 | Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen im Wesentlichen ausgeführt hat, würde ferner, was die in Art. 2 Nr. 10 Buchst. a der Verordnung Nr. 1303/2013 vorgesehene besondere Situation anbelangt, da ein Zuschuss unterschiedliche Zuschussformen umfassen kann - davon einige, die staatliche Beihilfen darstellen - eine solche Auslegung in Bezug auf die Teile eines Vorhabens, die von der Beihilfe betroffen sind, erfordern, dass die Stelle, die diese Beihilfe erhält, Begünstigter im Sinne von Art. 2 Nr. 10 Buchst. a dieser Verordnung ist, während in Bezug auf die anderen Teile desselben Vorhabens die mit der Einleitung oder mit der Einleitung und Durchführung des Vorhabens betraute Einrichtung der Begünstigte im Sinne des Einleitungssatzes von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung ist. Diese Auslegung dürfte aber auf praktische Schwierigkeiten stoßen, die damit zusammenhängen, dass Zuschüsse häufig in einem Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit stehen und es einer Festlegung bedarf, welche dieser Zuschüsse in Form staatlicher Beihilfen erfolgen können. |
47 | Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass in der Rechtssache C-471/23 die Gemeinde Veliko Tarnovo aufgrund des Verwaltungsvertrags, der mit der Verwaltungsbehörde des Operationellen Programms "Regionen im Wachstum" 2014-2020 zur Durchführung des Projektantrags für das in dieser Rechtssache in Rede stehende Projekt geschlossen wurde, als für die Durchführung dieses Projekts verantwortlich benannt wurde, während die kommunale Gesellschaft als Empfänger der staatlichen Beihilfe benannt wurde. Insoweit würde ein Teil des Zuschusses für dieses Projekt eine staatliche Beihilfe darstellen; ob die Höhe dieser Beihilfe weniger als 200 000 Euro beträgt, wird vom vorlegenden Gericht jedoch nicht ausgeführt. In der Rechtssache C-477/23 ist die Gemeinde Pazardzhik als "federführende" Gemeinde, die für die Verwaltung des in dieser Rechtssache in Rede stehenden Projekts verantwortlich ist, gemeinsam mit weiteren Gemeinden, darunter der Gemeinde Belovo, an der Vorbereitung sowie der technischen und finanziellen Durchführung des betreffenden Projekts beteiligt. |
48 | Insoweit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, das allein für die Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits und die Auslegung der betreffenden nationalen Rechtsvorschriften zuständig ist, festzustellen, ob in der Rechtssache C-471/23 die Gemeinde Veliko Tarnovo sowie in der Rechtssache C-477/23 die Gemeinden Pazardzhik und Belovo mit der Einleitung oder mit der Einleitung und Durchführung der betreffenden Vorhaben im Sinne des Einleitungssatzes von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 betraut sind, ob die Beihilfe, die die kommunale Gesellschaft in der Rechtssache C-471/23 erhalten hat, unter den Begriff "staatliche Beihilfen" im Sinne von Art. 2 Nr. 10 Buchst. a dieser Verordnung fällt und gegebenenfalls auf welchen Betrag sich diese Beihilfe beläuft. |
49 | Hierzu ist mit der Kommission darauf hinzuweisen, dass sich aus den Erwägungsgründen 5, 33 und 36 der Verordnung Nr. 1370/2007 sowie aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, dass Ausgleichsleistungen für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen, die unter Einhaltung aller in dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen gewährt werden, keine staatliche Beihilfe darstellen. |
50 | Wie sich im Übrigen aus Rn. 43 des vorliegenden Urteils ergibt, ist zwar nach Art. 2 Nr. 10 Buchst. a der Verordnung Nr. 1303/2013 im Rahmen staatlicher Beihilfen die Stelle, die die Beihilfe erhält, als Begünstigter im Sinne dieser Bestimmung anzusehen, doch ist nicht ausgeschlossen, dass auch eine Einrichtung, die die im Einleitungssatz von Art. 2 Nr. 10 dieser Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt, als Begünstigter im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann. |
51 | Was die Frage des vorlegenden Gerichts in der Rechtssache C-477/23 betrifft, ob nur eine öffentliche Einrichtung, die "federführend" einen Verwaltungsvertrag über einen Zuschuss unterzeichnet hat, als Begünstigter des betreffenden Zuschusses anzusehen ist, ist festzustellen, dass Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 keine spezifischen Kategorien potenzieller Begünstigter vorsieht. |
52 | Sofern eine Einrichtung mit der Einleitung oder mit der Einleitung und Durchführung von Vorhaben betraut ist, kann sie daher als "Begünstigter" im Sinne von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 angesehen werden, und zwar unabhängig davon, ob sie als "federführend" benannt wurde. |
53 | Nach alledem ist auf die erste Frage in der Rechtssache C-471/23 und auf die erste Frage in der Rechtssache C-477/23 zu antworten, dass Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 dahin auszulegen ist, dass unter den Begriff "Begünstigter" im Sinne dieser Bestimmung eine Einrichtung fallen kann, die mit der Einleitung oder mit der Einleitung und Durchführung der betreffenden Vorhaben betraut ist, aber keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 2 Nr. 10 Buchst. a der Verordnung Nr. 1303/2013 erhält, sowie eine Einrichtung, die einen Verwaltungsvertrag über einen Zuschuss nicht "federführend" unterzeichnet hat. Zur zweiten bis fünften Frage in der Rechtssache C-471/23 sowie zur zweiten und zur dritten Frage in der Rechtssache C-477/23 |
54 | Mit seiner zweiten bis fünften Frage in der Rechtssache C-471/23 sowie seiner zweiten und seiner dritten Frage in der Rechtssache C-477/23, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Nrn. 36 und 37 der Verordnung Nr. 1303/2013 dahin auszulegen ist, dass er zum einen einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine Entscheidung über eine finanzielle Berichtigung wegen Verstoßes gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge an einen anderen Wirtschaftsteilnehmer als denjenigen gerichtet werden kann, der diesen Verstoß begangen hat, und zum anderen, ob für diese finanzielle Berichtigung eine gesamtschuldnerische Haftung erfolgt, diese Haftung vertraglich zwischen diesem anderen Wirtschaftsteilnehmer und dem Wirtschaftsteilnehmer, der den Verstoß begangen hat, aufgeteilt werden kann oder der Wirtschaftsteilnehmer haftet, der den Verstoß begangen hat. |
55 | Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 2 Nr. 36 der Verordnung Nr. 1303/2013 jeder Verstoß gegen das Unionsrecht oder gegen nationale Vorschriften zu dessen Anwendung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines an der Inanspruchnahme von Mitteln aus den ESI-Fonds beteiligten Wirtschaftsteilnehmers, die einen Schaden für den Haushalt der Union in Form einer ungerechtfertigten Ausgabe bewirkt oder bewirken würde, eine Unregelmäßigkeit darstellt. |
56 | Außerdem sieht Art. 143 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1303/2013 u. a. vor, dass es in erster Linie den Mitgliedstaaten obliegt, Unregelmäßigkeiten zu untersuchen, die erforderlichen finanziellen Berichtigungen vorzunehmen und die Wiedereinziehungen zu betreiben. Zu diesem Zweck nehmen die Mitgliedstaaten, wie es in Art. 143 Abs. 2 dieser Verordnung heißt, die finanziellen Berichtigungen vor, die aufgrund der im Rahmen von Vorhaben oder operationellen Programmen festgestellten vereinzelten oder systembedingten Unregelmäßigkeiten notwendig sind. |
57 | Die Verordnung enthält jedoch keine Bestimmung über die Definition der Adressaten eines Rechtsakts über eine finanzielle Berichtigung. |
58 | Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Pflicht, einen durch eine Unregelmäßigkeit unrechtmäßig erhaltenen Vorteil zurück zu gewähren, keine Sanktion ist, sondern lediglich die Folge der Feststellung, dass die Voraussetzungen für den Erhalt des unionsrechtlich vorgesehenen Vorteils nicht beachtet worden sind und der erlangte Vorteil rechtsgrundlos gewährt wurde (Urteil vom 1. Oktober 2020, Elme Messer Metalurgs, C-743/18, EU:C:2020:767, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
59 | Daraus folgt, dass für die Rückgewähr eines durch eine Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 2 Nr. 36 der Verordnung Nr. 1303/2013 rechtsgrundlos erlangten Vorteils nicht zwangsläufig die Stelle in Anspruch zu nehmen ist, die eine solche Unregelmäßigkeit begangen hat. |
60 | Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass in der Rechtssache C-471/23 die Gemeinde Veliko Tarnovo den betreffenden Verwaltungsvertrag über einen Zuschuss mit der Verwaltungsbehörde des Operationellen Programms "Regionen im Wachstum" 2014-2020 unterzeichnet hat und Adressat der Entscheidung vom 11. Mai 2022 über eine finanzielle Berichtigung war, und zwar ungeachtet dessen, dass die kommunale Gesellschaft die in Rede stehende Unregelmäßigkeit begangen haben soll. In der Rechtssache C-477/23 unterzeichneten sämtliche betroffenen Gemeinden, einschließlich der Gemeinde Belovo, die die in Rede stehende Unregelmäßigkeit begangen haben soll, und die Gemeinde Pazardzhik als "federführende Gemeinde" den betreffenden Verwaltungsvertrag über einen Zuschuss, wobei die Gemeinde Pazardzhik Adressat der Entscheidung vom 21. März 2022 über eine finanzielle Berichtigung war. |
61 | Es ist jedoch festzustellen, dass, wie sich aus Rn. 59 des vorliegenden Urteils ergibt, Einrichtungen des öffentlichen Rechts wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gemeinden Adressaten einer finanziellen Berichtigung sein können, und zwar ungeachtet dessen, dass sie keine Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 2 Nr. 36 der Verordnung Nr. 1303/2013 begangen haben. |
62 | Zur Frage der Haftung für finanzielle Berichtigungen, die sich aus Verstößen gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge im Rahmen der Inanspruchnahme von Mitteln aus den ESI-Fonds ergeben, ist darauf hinzuweisen, dass die nationalen Gerichte Rechtsstreitigkeiten über die Wiedereinziehung von aufgrund des Unionsrechts rechtsgrundlos geleisteten Zahlungen in Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften nach ihrem nationalen Recht entscheiden müssen, vorbehaltlich der durch das Unionsrecht gezogenen Grenzen (Urteil vom 17. November 2022, Avicarvil Farms, C-443/21, EU:C:2022:899, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
63 | Da die Verordnung Nr. 1303/2013 keine Bestimmung über diese Haftung enthält, bestimmt sich diese daher nach dem nationalen Recht und den vertraglichen Verpflichtungen der an einem konkreten Vorhaben Beteiligten. |
64 | Folglich und je nach dem Inhalt dieser vertraglichen Verpflichtungen kann, obwohl jeder betroffene Wirtschaftsteilnehmer gegenüber der zuständigen nationalen Behörde für ein Vorhaben gesamtschuldnerisch haftbar gemacht werden kann, eine solche finanzielle Haftung auch unter den betroffenen Wirtschaftsteilnehmer aufgeteilt werden oder allein von dem Wirtschaftsteilnehmer getragen werden, der die in Rede stehende Unregelmäßigkeit begangen hat. |
65 | Allerdings gebietet nach ständiger Rechtsprechung der Grundsatz der Rechtssicherheit, dass Rechtsvorschriften - vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen haben können - klar und bestimmt sowie in ihrer Anwendung für den Einzelnen vorhersehbar sind. Dieser Grundsatz verlangt insbesondere, dass eine Regelung es den Betroffenen ermöglicht, den Umfang der ihnen damit auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen, und dass sie ihre Rechte und Pflichten eindeutig erkennen und sich darauf einstellen können (Urteil vom 4. Oktober 2024, Litauen u. a./Parlament und Rat [Mobilitätspaket], C-541/20 bis C-555/20, EU:C:2024:818, Rn. 158 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
66 | Außerdem gilt der Grundsatz der Rechtssicherheit in besonderem Maß bei einer Regelung, die finanzielle Konsequenzen haben kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. April 2021, Banco de Portugal u. a., C-504/19, EU:C:2021:335, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
67 | Im vorliegenden Fall geht aus den Vorlageentscheidungen hervor, dass die Gemeinde Veliko Tarnovo in der Rechtssache C-471/23 auf eigene Kosten alle Risiken trägt, einschließlich u. a. finanzieller Berichtigungen, die zulasten des Zuschusses für den Haushalt des in Rede stehenden Projekts gehen, während die kommunale Gesellschaft gegenüber der Verwaltungsbehörde des Operationellen Programms "Regionen im Wachstum" 2014-2020 keine solche finanzielle Verantwortung zu haben scheint. Dagegen beteiligen sich in der Rechtssache C-477/23 die betroffenen Gemeinden gemeinsam u. a. an der finanziellen Durchführung des in Rede stehenden Projekts, und die Gemeinde Pazardzhik ist als "federführende Gemeinde" befugt, die betreffenden Mittel auf ihrem Bankkonto zu empfangen und an die Partnergemeinden zu verteilen. |
68 | Insoweit wird das vorlegende Gericht zum einen zu prüfen haben, welche Wirtschaftsteilnehmer die finanzielle Verantwortung gegenüber den betreffenden Verwaltungsbehörden nach dem nationalen Recht und den Bestimmungen der in Rede stehenden Verträge tragen, und zum anderen, ob diese finanziell verantwortlichen Wirtschaftsteilnehmer wissen konnten, dass sie im Fall einer Unregelmäßigkeit bei der Durchführung des betreffenden Projekts allein, gesamtschuldnerisch oder nach anderen Modalitäten gegenüber den Verwaltungsbehörden für die finanzielle Berichtigung haften würden. |
69 | Nach alledem ist auf die zweite bis fünfte Frage in der Rechtssache C-471/23 sowie auf die zweite und die dritte Frage in der Rechtssache C-477/23 zu antworten, dass Art. 2 Nrn. 36 und 37 der Verordnung Nr. 1303/2013 dahin auszulegen ist, dass er weder einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine Entscheidung über eine finanzielle Berichtigung wegen Verstoßes gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge an einen anderen Wirtschaftsteilnehmer als denjenigen gerichtet werden kann, der diesen Verstoß begangen hat, noch dem entgegensteht, dass für diese finanzielle Berichtigung eine gesamtschuldnerische Haftung erfolgt, diese Haftung vertraglich zwischen diesem anderen Wirtschaftsteilnehmer und dem Wirtschaftsteilnehmer, der den Verstoß begangen hat, aufgeteilt werden kann oder der Wirtschaftsteilnehmer haftet, der den Verstoß begangen hat, sofern die finanziell verantwortlichen Wirtschaftsteilnehmer wissen können, dass sie im Fall einer Unregelmäßigkeit bei der Durchführung des in Rede stehenden Vorhabens insoweit gegenüber der betreffenden Verwaltungsbehörde für diese finanzielle Berichtigung haften. Zur sechsten Frage in der Rechtssache C-471/23 und zur vierten Frage in der Rechtssache C-477/23 |
70 | Mit seiner sechsten Frage in der Rechtssache C-471/23 und seiner vierten Frage in der Rechtssache C-477/23, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 41 und 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Praxis entgegenstehen, nach der ein Wirtschaftsteilnehmer, der eine Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 2 Nr. 36 der Verordnung Nr. 1303/2013 begangen hat, die zu einer finanziellen Berichtigung geführt hat, deshalb nicht berechtigt ist, sich an dem Verfahren zur Festsetzung dieser finanziellen Berichtigung oder an dem auf deren Anfechtung gerichteten gerichtlichen Verfahren zu beteiligen, weil diesem Wirtschaftsteilnehmer aufgrund eines Partnerschaftsvertrags ein zivilrechtlicher Rechtsbehelf zur Verfügung steht. |
71 | Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten, wie sich aus dem 65. Erwägungsgrund dieser Verordnung ergibt, geeignete Vorkehrungen treffen sollten, um eine ordnungsgemäße Struktur und Funktion ihrer Verwaltungs- und Kontrollsysteme zu gewährleisten, so dass eine rechtmäßige und ordnungsgemäße Nutzung der ESI-Fonds gewährleistet ist, und dass es nach Art. 143 Abs. 1 der Verordnung in erster Linie den Mitgliedstaaten obliegt, Unregelmäßigkeiten zu untersuchen und die erforderlichen finanziellen Berichtigungen vorzunehmen. |
72 | Beim Erlass solcher Maßnahmen zur Durchführung des Unionsrechts haben die Mitgliedstaaten dessen allgemeinen Grundsätze sowie die Bestimmungen der Charta zu beachten (Urteil vom 30. Januar 2024, Agentsia "Patna infrastruktura" [Europäische Finanzierung der Straßeninfrastruktur], C-471/22, EU:C:2024:99, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
73 | Da sich das vorlegende Gericht in diesem Zusammenhang insbesondere auf Art. 41 der Charta über das Recht auf eine gute Verwaltung bezieht, ist hervorzuheben, dass sich dieser Artikel an die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union und nicht an die Einrichtungen oder Stellen der Mitgliedstaaten richtet, so dass sich eine Privatperson gegenüber nationalen Behörden nicht auf diesen Artikel berufen kann. Wenn ein Mitgliedstaat Unionsrecht durchführt, sind jedoch die aus dem Grundsatz der guten Verwaltung als allgemeinem Grundsatz des Unionsrechts folgenden Anforderungen, insbesondere das Recht jeder Person darauf, dass ihre Angelegenheiten unparteiisch und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden, im Rahmen des von der zuständigen nationalen Behörde durchgeführten Verfahrens anzuwenden (Urteil vom 30. Januar 2024, Agentsia "Patna infrastruktura" [Europäische Finanzierung der Straßeninfrastruktur], C-471/22, EU:C:2024:99, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
74 | Soweit sich dieses Gericht auch auf das Recht auf Beteiligung am Verfahren bezieht, ist klarzustellen, dass dieses Recht die Ausübung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ermöglicht und deshalb ein integraler Bestandteil der Verteidigungsrechte ist, deren Achtung einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt. Das Recht auf Anhörung garantiert jeder Person die Möglichkeit, im Verwaltungsverfahren, bevor ihr gegenüber eine für ihre Interessen nachteilige Entscheidung erlassen wird, sachdienlich und wirksam ihren Standpunkt vorzutragen, auch wenn solche Verfahrensrechte in der anwendbaren Regelung nicht vorgesehen sind. Die Regel, wonach der Adressat einer beschwerenden Entscheidung in die Lage versetzt werden muss, seinen Standpunkt vorzutragen, bevor die Entscheidung getroffen wird, soll es der zuständigen Behörde erlauben, alle maßgeblichen Gesichtspunkte angemessen zu berücksichtigen (Urteil vom 30. Januar 2024, Agentsia "Patna infrastruktura" [Europäische Finanzierung der Straßeninfrastruktur], C-471/22, EU:C:2024:99, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
75 | Auf ein Verwaltungsverfahren zur Festsetzung einer finanziellen Berichtigung, das von den nationalen Behörden aufgrund einer Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 2 Nr. 36 der Verordnung Nr. 1303/2013 betrieben wird, findet diese Regel Anwendung. |
76 | Ferner umfasst das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz mehrere Elemente, zu denen die Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Waffengleichheit, das Recht auf Zugang zu den Gerichten sowie das Recht, sich beraten, verteidigen und vertreten zu lassen, gehören (Urteil vom 30. Januar 2024, Agentsia "Patna infrastruktura" [Europäische Finanzierung der Straßeninfrastruktur], C-471/22, EU:C:2024:99, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung). 77 Vorliegend bestand, wie in Rn. 67 des vorliegenden Urteils ausgeführt und vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht, in der Rechtssache C-471/23 keine Vertragsbeziehung zwischen der kommunalen Gesellschaft, die die Unregelmäßigkeit begangen haben soll, und der Verwaltungsbehörde des Operationellen Programms "Regionen im Wachstum" 2014-2020 und war diese Gesellschaft gegenüber dieser Behörde für die Durchführung des in Rede stehenden Projekts offenbar nicht finanziell verantwortlich. In der Rechtssache C-477/23 gibt das vorlegende Gericht nicht an, welche der betroffenen Gemeinden eine solche finanzielle Verantwortung trägt. |
78 | Sollte das vorlegende Gericht insoweit zu dem Ergebnis gelangen, dass der Wirtschaftsteilnehmer, der die Unregelmäßigkeit begangen hat, gegenüber der betreffenden Verwaltungsbehörde nicht finanziell für die Durchführung des in Rede stehenden Projekts verantwortlich ist, stehen die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts der guten Verwaltung und der Wahrung der Verteidigungsrechte sowie Art. 47 der Charta dem nicht entgegen, dass dieser Wirtschaftsteilnehmer weder das Recht hat, sich an dem Verfahren zur Festsetzung der finanziellen Berichtigung noch am gerichtlichen Verfahren zur Anfechtung dieser Berichtigung zu beteiligen. |
79 | In einem solchen Fall, in dem eine Entscheidung über eine finanzielle Berichtigung sich nicht auf die Interessen dieses Wirtschaftsteilnehmers, sondern vielmehr auf die Interessen desjenigen unmittelbar auswirken würde, der gegenüber der betreffenden Verwaltungsbehörde für die Durchführung dieses Vorhabens finanziell verantwortlich ist, ist es der letztgenannte Wirtschaftsteilnehmer, dem das Recht auf Beteiligung am Verfahren zur Festsetzung dieser finanziellen Berichtigung und am gerichtlichen Verfahren zur Anfechtung dieser Berichtigung zuzuerkennen ist. |
80 | Sollte das vorlegende Gericht hingegen feststellen, dass der Wirtschaftsteilnehmer, der die Unregelmäßigkeit begangen hat, gegenüber der betreffenden Verwaltungsbehörde finanziell für die Durchführung des in Rede stehenden Projekts verantwortlich ist und dass sich die Entscheidung über die finanzielle Berichtigung, die sich aus der Feststellung dieser Unregelmäßigkeit ergibt, unmittelbar auf seine Interessen auswirkt, stehen die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts der guten Verwaltung und der Wahrung der Verteidigungsrechte sowie Art. 47 der Charta dem entgegen, dass dieser Wirtschaftsteilnehmer weder seinen Standpunkt im Verfahren zur Festsetzung dieser finanziellen Berichtigung vortragen kann noch Zugang zu einem Gericht zwecks Anfechtung dieser Berichtigung hat. |
81 | Keine Bedeutung kommt insoweit dem vom vorlegenden Gericht angeführten Umstand zu, dass dieser Wirtschaftsteilnehmer zivilrechtlich auf Regress haftet und gemäß dem Partnerschaftsvertrag in einem gesonderten Zivilverfahren gegen den federführenden Begünstigten Ansprüche geltend machen kann, da ein solcher zivilrechtlicher Rechtsbehelf es diesem Wirtschaftsteilnehmer nicht ermöglicht, den Erlass einer derartigen ihn beschwerenden Entscheidung über eine finanzielle Berichtigung selbst anzufechten. |
82 | Nach alledem ist auf die sechste Frage in der Rechtssache C-471/23 und auf die vierte Frage in der Rechtssache C-477/23 zu antworten, dass die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts der guten Verwaltung und der Wahrung der Verteidigungsrechte sowie Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Praxis entgegenstehen, nach der ein Wirtschaftsteilnehmer, der eine Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 2 Nr. 36 der Verordnung Nr. 1303/2013 begangen hat, die zu einer finanziellen Berichtigung geführt hat, deshalb nicht berechtigt ist, sich an dem Verfahren zur Festsetzung dieser finanziellen Berichtigung oder an dem auf deren Anfechtung gerichteten gerichtlichen Verfahren zu beteiligen, weil diesem Wirtschaftsteilnehmer aufgrund eines Partnerschaftsvertrags ein zivilrechtlicher Rechtsbehelf zur Verfügung steht, soweit der Wirtschaftsteilnehmer gegenüber der betreffenden Verwaltungsbehörde für die Durchführung des in Rede stehenden Vorhabens finanziell verantwortlich ist. Kosten |
83 | Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt: 1. Art. 2 Nr. 10 der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates in der durch die Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass unter den Begriff "Begünstigter" im Sinne dieser Bestimmung eine Einrichtung fallen kann, die mit der Einleitung oder mit der Einleitung und Durchführung der betreffenden Vorhaben betraut ist, aber keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 2 Nr. 10 Buchst. a der Verordnung Nr. 1303/2013 erhält, sowie eine Einrichtung, die einen Verwaltungsvertrag über einen Zuschuss nicht "federführend" unterzeichnet hat. 2. Art. 2 Nrn. 36 und 37 der Verordnung Nr. 1303/2013 in der durch die Verordnung 2018/1046 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er weder einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine Entscheidung über eine finanzielle Berichtigung wegen Verstoßes gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge an einen anderen Wirtschaftsteilnehmer als denjenigen gerichtet werden kann, der diesen Verstoß begangen hat, noch dem entgegensteht, dass für diese finanzielle Berichtigung eine gesamtschuldnerische Haftung erfolgt, diese Haftung vertraglich zwischen diesem anderen Wirtschaftsteilnehmer und dem Wirtschaftsteilnehmer, der den Verstoß begangen hat, aufgeteilt werden kann oder der Wirtschaftsteilnehmer haftet, der den Verstoß begangen hat, sofern die finanziell verantwortlichen Wirtschaftsteilnehmer wissen können, dass sie im Fall einer Unregelmäßigkeit bei der Durchführung des in Rede stehenden Vorhabens insoweit gegenüber der betreffenden Verwaltungsbehörde für diese finanzielle Berichtigung haften. 3. Die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts der guten Verwaltung und der Wahrung der Verteidigungsrechte sowie Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Praxis entgegenstehen, nach der ein Wirtschaftsteilnehmer, der eine Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 2 Nr. 36 der Verordnung Nr. 1303/2013 begangen hat, die zu einer finanziellen Berichtigung geführt hat, deshalb nicht berechtigt ist, sich an dem Verfahren zur Festsetzung dieser finanziellen Berichtigung oder an dem auf deren Anfechtung gerichteten gerichtlichen Verfahren zu beteiligen, weil diesem Wirtschaftsteilnehmer aufgrund eines Partnerschaftsvertrags ein zivilrechtlicher Rechtsbehelf zur Verfügung steht, soweit der Wirtschaftsteilnehmer gegenüber der betreffenden Verwaltungsbehörde für die Durchführung des in Rede stehenden Vorhabens finanziell verantwortlich ist. |
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OLG Jena
Beschluss
vom 08.01.2025
Verg 8/24
1. Die bestandskräftige Entscheidung einer Vergabekammer, die dem öffentlichen Auftraggeber aufgibt, die Leistung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer in einem vergaberechtskonformen Verfahren auszuschreiben, kann nicht mit einem Zwangsgeld vollstreckt werden, wenn der Auftraggeber nicht zeitnah die entsprechende Ausschreibung beginnt.
2. Aufgrund der Vertragsfreiheit kann und darf der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich nicht dazu gezwungen werden, einen Auftrag an einen geeigneten Bieter zu erteilen.
3. Es ist nicht zulässig, erstmals im Beschwerdeverfahren einen neuen und von dem Antrag vor der Vergabekammer gänzlich abweichenden Vollstreckungsantrag und damit ein gänzlich neues Rechtsschutzbegehren zu erheben.
4. Das Interesse des Antragstellers an der Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen entspricht dem wirtschaftlichen Interesse am Erhalt der Zuschlagschancen und ist pauschaliert mit 5% der Bruttoauftragssumme anzusetzen.
vorhergehend:
VK Thüringen, 16.10.2024 - 5090-250-4003/485
Tenor:
1. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der Vergabekammer Freistaat Thüringen vom 16.10.2024 wird zurückgewiesen.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners zu tragen.
3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.699.999,99 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Aufgrund des Nachprüfungsantrags des hiesigen Antragstellers vom 29.05.2024 führte die Vergabekammer Freistaat Thüringen das Nachprüfungsverfahren betreffend das Verfahren "Interimsvergabe Winterdienst und Störungsbeseitigung auf Bundes- und Landesstraßen im I...kreis - JV 2024/2025 OJ S 82/2024 25/04/2024" mit dem Az. 5090-250-4003-469.
Mit Beschluss vom 27.08.2024 stellte die Vergabekammer fest, dass der Antragsteller in seinem Anspruch auf Einhaltung der Vergabevorschriften nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt worden ist, und verpflichtete den Auftraggeber, bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen und dieses unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer von diesem Zeitpunkt an zu wiederholen. Zur Begründung führte die Vergabekammer aus, die Forderung nach einem Mindestjahresumsatz in Höhe von 1,6 Mio. Euro und die Forderung nach einem Mindestauftragswert in Höhe von 1,5 Mio. Euro im Tätigkeitsbereich Winterdienst sowie von 100.000.- Euro im Tätigkeitsbereich Störungsbeseitigung sei nicht wirksam. Zudem stünden die Mindestanforderungen in keinem angemessenen Verhältnis zum Auftragsgegenstand und verstießen damit gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Vorgaben zum Mindestauftragswert seien intransparent, denn der Bieter könne der Auftragsbekanntmachung nicht eindeutig entnehmen, was unter dem Mindestauftragswert zu verstehen sei. Missverständlich bleibe zudem, was der Auftraggeber unter einem "neuen" Vertrag verstanden wissen wolle. Es bleibe intransparent, ob es dem Auftraggeber allein auf die Bezuschlagung, jedoch nicht auf die Realisierung des Auftragswertes ankomme. Bei dem vom Auftraggeber bezeichneten Kriterium des Mindestjahresumsatzes handele es sich nicht um das Eignungskriterium eines nachzuweisenden Mindestjahresumsatzes, sondern um das Eignungskriterium "Mindestauftragswert", denn der Auftraggeber habe sich nur an der Größe eines Auftrages orientiert und nicht an sämtlichen Einnahmen eines Unternehmens. Da der Auftraggeber seine Ermessensentscheidung auf fehlerhafte Überlegungen stütze, unterliege er hinsichtlich des Eignungskriteriums des Mindestjahresumsatzes mithin einem Ermessensfehlgebrauch. Auch hinsichtlich des Eignungskriteriums Mindestauftragswert sei von einem Ermessensfehlgebrauch auszugehen. Der Auftraggeber habe sich im konkreten Einzelfall nicht mit der Wettbewerbssituation auseinandergesetzt. Vorliegend habe die Vergabekammer festgestellt, dass der Auftraggeber unwirksame Eignungskriterien gefordert habe. Die in Ziffer 2. des Tenors erfolgte Verpflichtung, das Verfahren in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen, sei daher erforderlich gewesen, um die Verletzung des Antragstellers in seinen Rechten auf Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren zu beseitigen. Diese Möglichkeit der Fehlerkorrektur sei das einzige Mittel, um die gegenüber dem Antragsteller eingetretenen Rechtsverletzungen sicher zu beseitigen. Sie sei damit nicht unverhältnismäßig. Halte der Auftraggeber an seiner Vergabeabsicht fest, sei er insofern zur Wiederholung des Vergabeverfahrens unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer verpflichtet. Fehle es an der notwendigen Transparenz, sei das Verfahren regelmäßig in den Stand vor Bekanntmachung zurückzuversetzen.
Der Beschluss der Vergabekammer vom 27.08.2024 wurde den Beteiligten am 28.08.2024 zugestellt. Da gegen den Beschluss kein Rechtsmittel eingelegt wurde, wurde er mit Ablauf der Beschwerdefrist am 11.09.2024 bestandskräftig.
Wie der Antragsgegner in seinem Schreiben an den Antragsteller vom 29.10.2024 ausführte (Anlage BSF 11), leitete er Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zur Vergabe der Leistungen Winterdienst und Störungsbeseitigung in den Landkreisen G. und l...reis ein und erteilte den Zuschlag in den Landkreisen G. und I...kreis am 12.09.2024, wobei der Antragsgegner darauf hinwies, dass es sich nicht um die rechtswidrige Fortführung des durch die Vergabekammer als rechtswidrig festgestellten Interimsvergabeverfahren handele, sondern um davon unabhängige Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb (Dringlichkeitsvergaben). Die im Rahmen der Dringlichkeitsvergabe geschlossenen Verträge sehen nach den Angaben des Antragsgegners ein jederzeitiges Kündigungsrecht des öffentlichen Auftraggebers vor, um bei einer erfolgreichen Auftragsvergabe in den zurückzuversetzenden Interimsvergaben oder dem Vergabeverfahren "Winterdienst und Störungsbeseitigung auf Bundes- und Landesstraßen 2022 bis 2027 im Landkreis G." (0034-22-D-OV-42) diese Verträge kurzfristig zu beenden und auf anderer vertraglicher Basis die Leistungen abzurufen.
Mit Schreiben vom 12.09.2024 nahm der anwaltlich vertretene Antragsteller Bezug auf den o.g. Beschluss der Vergabekammer und rügte eine Auftragsvergabe der streitgegenständlichen Aufträge des Ausgangsverfahrens an ein drittes Unternehmen, die TSI, im Rahmen einer Dringlichkeitsvergabe. Mit Antwortschreiben vom 01.10.2024 (Anlage BSF 3) führte der Antragsgegner hierzu aus, dass die Leistung Winterdienst und Störungsbeseitigung im Wege einer Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb nach § 119 Abs. 2 Satz 2 GWB i. V. m. § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV - Dringlichkeitsvergabe - vergeben wurde.
Mit Schriftsatz vom 24.09.2024 beantragte der Antragsteller bei der Vergabekammer, dem Antragsgegner für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 2. des Tenors des Beschlusses der Vergabekammer Thüringen vom 27. August 2024 - Az. 5090250-4003/469 - ein Zwangsgeld in Höhe von mindestens 1.000,00 Euro und höchstens 10.000.000,00 Euro anzudrohen und für den Fall der anhaltenden Nichterfüllung gegen den Antragsgegner ein Zwangsgeld in der genannten Höhe festzusetzen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 16.10.2024 hat die Vergabekammer den Vollstreckungsantrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, der Vollstreckungsantrag sei unzulässig. Der Antrag auf Zwangsgeldandrohung richte sich auf die Durchführung eines künftigen Vergabeverfahrens und sei daher nicht statthaft. Es wird ergänzend auf den in Anlage BSF 1 vorgelegten Beschluss der Vergabekammer vom 16.10.2024 Bezug genommen.
Gegen diesen, dem Antragsteller am 18.10.2024 zugestellten Beschluss richtet sich die am 23.10.2024 bei Gericht eingegangene Beschwerde.
Der Antragsteller trägt mit seiner Beschwerde vor, die als Verwaltungsakt ergangene, abschließende und bestandskräftige Entscheidung der Vergabekammer vom 27. August 2024 sei grundsätzlich einer Vollstreckung gegen den Antragsgegner zugänglich, § 168 Abs. 3 Satz 2 GWB i.V.m. § 19 ThürVwZVG.
Der Vollstreckungsantrag sei begründet, da der Schuldner gegen die vollstreckbare Entscheidung der Vergabekammer verstoßen habe. Der Antrag auf Zwangsgeldandrohung richte sich entgegen der Auffassung der Vergabekammer nicht auf die Durchführung eines künftigen Vergabeverfahrens. Der Antragsteller wolle keinen Kontrahierungszwang erreichen, sondern die Umsetzung des Vergabekammerbeschlusses. Mit dem hier vorliegenden Vollstreckungsantrag wolle der Antragsteller die Kündigung des Vertrages mit der TSI erreichen. Im Anschluss daran solle der Antragsgegner - bei fortbestehender Beschaffungsabsicht - den Tenor Nr. 2 des Vergabekammerbeschlusses umsetzen.
Der Antragsgegner habe den identischen Winterdienstauftrag an die TSI erteilt, der bereits dem Vergabeverfahren mit dem Az. 5090-250-4003/469 zugrunde gelegen habe. Auch der ausgeschriebene Zeitraum (Winterdienst 2024/25) sei identisch. Demnach beziehe sich die Dringlichkeitsvergabe also nicht auf einen kürzeren, minimalen Zeitraum. Damit lägen hier gem. § 167 Abs. 1 VwGO i.V. m. § 890 Abs. 2 ZPO Anhaltspunkte vor, dass der Antragsgegner die Entscheidung der Vergabekammer nicht befolge oder ihr zuwidergehandelt habe. Der Antragsgegner habe am 25. April 2024 im Supplement zum Amtsblatt der EU eine Interimsvergabe für Winterdienst und Störungsbeseitigung auf allen Bundes- und Landesstraßen im Ilmkreis und Gotha jeweils für den Zeitraum vom 01. Oktober 2024 bis 30. Oktober 2025 im Rahmen eines offenen Verfahrens europaweit ausgeschrieben. Genau diese Leistung habe der Antragsgegner im Rahmen einer fortgeführten Interimsvergabe an die TSI vergeben. Es bestünden also Zweifel hinsichtlich der geäußerten Absicht des Antragsgegners im Vollstreckungsverfahren, die streitgegenständlichen Leistungen gemäß Ziffer 2 des Beschlusses der Vergabekammer vom 27. August 2024 auszuschreiben. Es gebe für den Antragsgegner keinen Anlass mehr, die Leistung nochmals auszuschreiben, da er diese schon vergeben habe. Mit der nun erfolgten Vergabe an die TSI habe der Antragsgegner also die Rechtsauffassung der Vergabekammer (Wiederholung des Vergabeverfahrens) missachtet bzw. umgangen.
Statt die Vorgaben der Vergabekammer umzusetzen, habe der Antragsgegner sich zu einem (noch) größeren Rechtsbruch entschieden: der Antragsgegner habe eine De-Facto-Vergabe ohne Beteiligung des Antragstellers durchgeführt. Dies sei rechtswidrig, weil es verhältnismäßigere Mittel - wie von der Vergabekammer ausgeführt - gegeben hätte. Zudem seien auch im Rahmen einer Dringlichkeitsvergabe drei Bieter zur Angebotsabgabe aufzufordern, um ein Mindestmaß an Wettbewerb zu gewährleisten.
Der Grund für die Vollstreckung entfalle auch nicht dadurch, dass der Auftrag bereits vergeben worden sei. Der Antragsgegner hätte die Dringlichkeitsvergabe auf den kurzen Zeitraum für die Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens beschränken können und müssen. Die gleiche Zeitdauer der "Dringlichkeitsvergabe" und der Interimsvergabe sei unverhältnismäßig bzw. verdeutliche, dass hier keine "Dringlichkeitsvergabe" durchgeführt worden sei. Auch der Umstand, dass es sich vorliegend um Dienstleistungen der Daseinsvorsorge handele, führe nicht zu einem Überwiegen der Allgemeininteressen dahingehend, dass der gesamte Zeitraum der Interimsvergabe als Dringlichkeitszeitraum anzusehen sei. Wäre dem so, dann müsste ein bestandskräftiger Beschluss der Vergabekammer nie umgesetzt werden. Er wäre dann wertlos. Die Dringlichkeitsvergabe dürfe nicht - wie hier - dazu führen, dass das an sich durchzuführende Vergabeverfahren umgangen werde. Zulässig seien daher allenfalls Dringlichkeitsvergaben - je nach Einzelfall - für eine gewisse Übergangszeit in einem Spektrum von drei bis sechs Monaten. Dem Antragsteller werde - wenn die Vollstreckung nicht erfolgreich sein sollte - durch den (unwirksamen) Zuschlag des Antragsgegners die Möglichkeit auf den gesetzlich verankerten Primärrechtsschutz genommen. Der Antragsgegner hätte es in der Hand, durch Liegenlassen und De-facto-Vergaben jegliches Vergaberecht auszuschalten.
Hilfsweise werde vorgetragen, dass die Voraussetzungen für die Dringlichkeitsvergabe nicht vorlägen. Hier liege der Verstoß gegen den Beschluss der Vergabekammer darin, dass der Antragsgegner - obwohl die Schwellenwerte überschritten seien - das bekanntgemachte Verfahren weitergeführt habe. Die vom Antragsgegner durchgeführte Vergabe sei im Grundsatz nichts anderes als die rechtswidrige Fortführung des veröffentlichten Wettbewerbes ohne Beteiligung des Antragstellers.
Der öffentliche Auftraggeber müsse auch im Falle der Dringlichkeit der Vergabe größtmöglichen Wettbewerb herstellen. Er müsse daher, sofern dem Verhandlungsverfahren ein gescheitertes Verfahren vorangegangen sei, alle an diesem Verfahren beteiligten Bieter in das Verhandlungsverfahren einbeziehen und müsse auch im Übrigen möglichst mit mehreren Bietern verhandeln. Der Antragsgegner habe grundsätzlich alle an den vorangegangenen Verfahren beteiligten Bieter einbeziehen müssen und damit auch den Antragsteller. Der Antragsteller habe diese Verfahren noch vor Angebotsabgabe gerügt, entsprechende Nachprüfungsverfahren eingeleitet und damit sein Interesse an diesen Aufträgen bekundet. Dem Antragsteller sei durch die Festlegung von zu hohen Anforderungen bei den Eignungskriterien die Möglichkeit genommen worden, sich an der Ausschreibung zu beteiligen. Daher hätte es für den Antragsteller keinen Sinn gemacht, sich an den Verfahren zu beteiligen, da er die vom Antragsgegner (rechtswidrig) aufgestellten Eignungskriterien nicht habe erfüllen können. Wie dem Antragsgegner aus dem Beschluss des OLG Jena vom 22. Juli 2024 bekannt gewesen sei, habe das OLG den Ausschluss des Antragsstellers bzw. die Einschätzung, dass dieser nicht geeignet sei, als bedenklich angesehen, da der Antragsgegner schon am 11. Dezember 2023 den Antragsteller - trotz unveränderter Sachlage, was die Frage der Zuverlässigkeit des Antragstellers mit Blick auf die Täuschungshandlung angehe - Zuschläge für die Reinigung von Bundes- und Landstraßen 2024/2025 im Landkreis H. und S., im Landkreis S.-M. und im Landkreis W. erteilt gehabt habe. Zudem sei für den Antragsteller unwidersprochen vorgetragen worden, dass der Antragsgegner in dem Vergabeverfahren "Winterdienst und Störungsbeseitigung 2022-2026 auf Bundes- und Landesstraßen im Landkreis U.-H., Vergabe-Nr. 152-0040/21-D-OV-43" das Angebot des Antragstellers vom 18. Mai 2022 als vollständig, fehlerfrei und zuschlagsfähig bewertet und zudem den Antragsteller für die Störungsbeseitigung 2024 in den Landkreisen G. und I...reis zur Angebotsabgabe aufgefordert habe. Der Antragsgegner habe daher den Antragsteller in mehreren vorausgegangen Verfahren als geeignet betrachtet. Die Entscheidung des Antragsgegners den Antragsteller bei der hier vorliegenden Dringlichkeitsvergabe nicht zu berücksichtigen, sei ermessensfehlerhaft.
Soweit der Antragsgegner argumentiere, dass er nicht ohne Weiteres davon ausgehen hätte können, dass die VK Thüringen in den Interimsvergaben eine Entscheidung innerhalb der verlängerten Entscheidungsfrist treffe, sei dies unzutreffend. Aus der mündlichen Verhandlung sei dem Antragsgegner bekannt gewesen, dass die Vergabekammer beabsichtigte, in der verlängerten Entscheidungsfrist bis zum 11. September 2024 zu entscheiden.
Schließlich sei die Kostenentscheidung der Vergabekammer im Beschluss vom 16. Oktober 2024 mit der zu ändernden Hauptsacheentscheidung aufzuheben. Nach § 182 Abs. 3 S. 1 GWB habe die unterliegende Partei die Kosten des Verfahrens zu tragen. Da der Antragsgegner bei richtiger Betrachtung hätte unterliegen müssen, sei auch die Kostenentscheidung dementsprechend anzupassen. Hilfsweise sei auszuführen, dass die Vergabekammer den Auftragswert zu hoch angesetzt habe. Die Option sei nicht zu berücksichtigen.
Der Antragsteller beantragt,
1. Der Beschluss der VK Thüringen - Az. 5090-250-4003/485 - vom 16. Oktober 2024 wird aufgehoben.
2. Dem Antragsgegner wird für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 2. des Tenors des Beschlusses der VK Thüringen vom 27. August 2024 - Az. 5090-2504003/469 ein Zwangsgeld in Höhe von mindestens 1.000,00 Euro und höchstens 10.000.000,00 Euro angedroht.
3. Für den Fall der anhaltenden Nichterfüllung wird gegen den Antragsgegner ein Zwangsgeld in der gemäß Ziffer 1 genannten Höhe festgesetzt.
4. Die Akten der VK Thüringen zu den Verfahren (Az. 5090-250-4003/469 und Az. 5090-250-4003/485) werden beigezogen.
5. Die Vergabeakten des Antragsgegners, die den Verfahren der VK Thüringen (Az. 5090-250-4003/469 und Az. 5090-250-4003/485) zugrunde liegen und die Beauftragung der Thüringer S.- und I...gesellschaft mbH & Co. KG, W... Straße 15, 9... A. (im folgenden nur "TSI") betreffend die Vergabe Winterdienst und Störungsbeseitigung auf Bundes- und Landesstraßen im I...kreis 2024/2025 werden beigezogen.
6. Dem Antragsteller wird Akteneinsicht in die Vergabeakten des Antragsgegners zu dem Verfahren der VK Thüringen (Az. 5090-250-4003/485) und zur Beauftragung der TSI betreffend die Vergabe Winterdienst und Störungsbeseitigung auf Bundes- und Landesstraßen im I...kreis (Dringlichkeitsvergabe) gewährt.
7. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch den Antragsteller im Vollstreckungsverfahren vor der Vergabekammer wird für notwendig erklärt.
8. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragsstellers zu tragen,
hilfsweise (sinngemäß): Die durch die Vergabekammer festgesetzte Gebühr wird unter Berücksichtigung eines verringerten Auftragswertes reduziert.
Der Antragsgegner beantragt,
die sofortige Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen.
Der Antragsgegner trägt vor,
vollstreckungsfähig könne eine Anordnung nur sein, wenn diese vergaberechtlich auferlegt werden könne. Dies sei der Fall, wenn die Anordnung der Vergabekammer die Art und Weise der Beschaffung betreffe, nicht jedoch das "Ob" der Beschaffung. Der öffentliche Auftraggeber dürfe grundsätzlich nicht gezwungen werden, einen Auftrag an einen geeigneten Bieter zu erteilen. Ausgehend davon Iiege es nicht in der Kompetenz der Vergabekammer, zur Beseitigung einer Rechtsverletzung eine Maßnahme zu treffen, die einen rechtlichen oder tatsächlichen Kontrahierungszwang bedeute. Das vom Antragsteller verfolgte Ziel, eine Beschaffung im Wege einer öffentlichen Auftragsbekanntmachung der streitgegenständlichen Leistungen insbesondere unter Einhaltung von - auch überhaupt nicht bestimmten - Fristvorgaben zu erzwingen, ginge über den Inhalt der Entscheidung der Vergabekammer hinaus. Da dem Antragsgegner die hier durch den Antragsteller begehrte Handlungsverpflichtung nicht auferlegt worden sei, könne eine solche auch nicht durch Vollstreckungsmaßnahmen durchgesetzt oder im Zwangsvollstreckungsverfahren begründet werden. Ausgehend davon fehle dem Vergabekammerbeschluss ein vollstreckbarer Inhalt.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers habe der Beschwerdegegner nicht gegen die Entscheidung der Vergabekammer verstoßen. Bei der erfolgten Dringlichkeitsvergabe, (Az. des Beschwerdegegners 152-0094/24-D-W-42) an die Thüringer Straßenwartungs- und Instandhaltungsgesellschaft mbH handele es sich formal um ein anderes Vergabeverfahren, das gesondert zu betrachten sei. Dieses Vorgehen stehe der Verpflichtung zur Zurückversetzung nach den Vorgaben des Vergabekammerbeschluss nicht entgegen.
Die Vergabe der Leistung Winterdienst und Störungsbeseitigung sei im Wege einer Dringlichkeitsvergabe erfolgt, weil das Nachprüfungsverfahren in dem ursprünglichen Vergabeverfahren "Winterdienst und Störungsbeseitigung auf Bundes- und Landesstraßen 2022 bis 2027 im I...reis"(5090-250-4003/435) sowie das Nachprüfungsverfahren in der "Interimsvergabe Winterdienst und Störungsbeseitigung auf Bundes- und Landesstraßen im I...kreis 2024 bis 2025" (5090-250-4003/469) zum Zeitpunkt der Angebotsaufforderung in der Dringlichkeitsvergabe nicht entschieden gewesen seien und Beschwerdegegner nicht (ohne Weiteres) habe davon ausgehen können, dass die Vergabekammer eine Entscheidung in den Nachprüfungsverfahren (Hauptsacheverfahren, Interimsvergabe) innerhalb der verlängerten Entscheidungsfrist treffe.
Die Durchführung eines offenen, nicht offenen oder eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb sei dabei wegen der Dringlichkeit der Leistungserbringung sowie Berücksichtigung der zu gewährenden Vorrüstzeiten von mindestens vier Wochen, selbst unter höchstzulässiger Verkürzung der Fristen, nicht möglich gewesen. Dem Beschwerdegegner sei zum damaligen Zeitpunkt tatsächlich nur ein Unternehmen bekannt gewesen, welches die geforderten Eignungskriterien habe bedienen können. Darüber hinaus enthalte der im Wege der Dringlichkeit vergebene Auftrag ein Kündigungsrecht, genau für den Fall, dass nach einer gegebenenfalls durch die Vergabekammer entschiedenen Zurückversetzung und dem Abschluss des zurückversetzten Vergabeverfahrens ein Zuschlag erteilt werden könne. Der Beschwerdegegner arbeite im Anschluss an die Vergabekammerentscheidung die Vorgaben der Vergabekammer auf und unterziehe seine Eignungskriterien sowie Veröffentlichungstexte im Rahmen einer internen Abstimmung einer Prüfung.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
II.
Die gemäß § 171 Abs. 1 Satz 1 GWB statthafte und auch im Übrigen in zulässiger Weise eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet.
1. Die Beschwerde gegen die Entscheidung der Vergabekammer über den Vollstreckungsantrag ist zulässig.
a) Gemäß § 171 Abs. 1 Satz 1 GWB ist gegen Entscheidungen der Vergabekammer die sofortige Beschwerde zulässig. Zu den davon umfassten Entscheidungen gehören auch die Entscheidungen der Vergabekammer im Zusammenhang mit der Vollstreckung ihrer Beschlüsse (Ziekow/Völlink/Dicks/Willner, 5. Aufl. 2024, GWB § 171 Rn. 2, beck-online; Willenbruch - Raabe, Vergaberecht, 5. A., § 171 GWB, Rn. 11; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. März 2014 - VII-Verg 11/14; BayOblG, Beschluss vom 14. März 2023 - Verg 1/23).
Die Beschwerde ist nach der am 18.10.2024 erfolgten Zustellung der angefochtenen Entscheidung mit der am 23.10.2024 eingegangenen Beschwerde form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 172 GWB). Die Erhebung der Beschwerde steht dem Antragsteller gemäß §§ 171 Abs. 1 Satz 1, 162 GWB zu. Der Antragsteller ist als Beteiligter des Verfahrens vor der Vergabekammer (§ 171 Abs. 1 Satz 2 GWB) und als durch die Zurückweisung seines Vollstreckungsantrages Beschwerter beschwerdeberechtigt.
2. Auch die Beschwerde gegen die Gebührenfestsetzung der Vergabekammer ist zulässig.
a) Der Antragsteller hat mit seiner Beschwerdebegründung u.a. ausgeführt, dass die Vergabekammer den Auftragswert zu hoch angesetzt habe, weil die Option nicht zu berücksichtigen sei (Beschwerdebegründung vom 23.10.2024, Seite 26, Blatt 26 der Akte). Damit hat sich der Antragsteller gegen die Gebührenfestsetzung der Vergabekammer gewendet, die davon ausgegangen ist, dass für die wirtschaftliche Bedeutung des Gegenstandes des Vollstreckungsverfahrens der Bruttoauftragswert ein maßgeblicher Gesichtspunkt sei, diesen unter Berücksichtigung der Option eines weiteren Jahres auf 5.659.999,99 Euro brutto geschätzt sowie hiervon ausgehend unter Zugrundelegung der Gebührentabelle und Ausübung des Ermäßigungsermessens nach § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB die Gebühr festgesetzt hat (Beschluss Vergabekammer vom 16.10.2024, Seite 5, 6).
In dem Angriff auf die Gebührenfestsetzung ist die Einlegung der Beschwerde gemäß § 171 Abs. 1 Satz 1 GWB zu sehen. Ein förmlicher Antrag ist hierfür nicht zwingend nötig. Es reicht vielmehr aus, wenn sich das Begehren dem Zusammenhang der Beschwerdebegründung entnehmen lässt und der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens klar erkennbar ist (MüKoEuWettbR/Gröning, 4. Aufl. 2022, GWB § 172 Rn. 31, beck-online; Willenbruch - Raabe, aaO, § 172 GWB, Rn. 16 - 18; KG Berlin, Beschluss vom 28. September 2009 - 2 Verg 8/09; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 2. August 2012 - 2 Verg 3/12). Dies ist hier der Fall, da sich aus der Beschwerdebegründung klar ergibt, dass der Antragsteller hilfsweise für den Fall, dass die Kosten des Verfahrens nicht dem Antragsgegner auferlegt werden, das Ziel verfolgt, die durch die Vergabekammer festgesetzte Gebühr reduzieren zu lassen. Die Beschwerde gegen die Gebührenfestsetzung hat der Antragsteller dabei in zulässiger Weise davon abhängig gemacht, dass er mit seinem Antrag, die Kosten des Verfahrens dem Auftraggeber aufzuerlegen, nicht durchdringt, da es sich um eine innerprozessuale Bedingung handelt. Die Stellung von Hilfsanträgen im Beschwerdeverfahren ist insoweit zulässig (vgl. a. KG, Beschluss vom 28. September 2009 - 2 Verg 8/09; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 22. Dezember 1999 - 6 Verg 3/99).
b) Die Beschwerde ist auch insoweit statthaft. Zu den Entscheidungen im Sinne des § 171 Abs. 1 Satz 1 GWB gehören auch die Kostenentscheidungen, mit denen die Vergabekammern Gebühren und Auslagen nach § 182 GWB festsetzen. Diese können losgelöst vom Schicksal der Hauptsache Gegenstand einer selbständigen sofortigen Beschwerde sein (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 - X ZB 5/10 -, Rn. 9, zu § 116 GWB; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 03. Januar 2019 - 19 Verg 5/18 -, Rn. 11; KG, Beschluss vom 09. März 2022 - Verg 3/18), wie es auch § 22 VwKostG entspricht, auf den § 182 Abs. 1 GWB verweist.
2. Die Beschwerde gegen die Entscheidung der Vergabekammer über den Vollstreckungsantrag ist unbegründet.
a) Gemäß § 168 Abs. 3 Satz 2 GWB richtet sich die Vollstreckung nach den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen des Bundes und der Länder, hier also nach dem ThürVwZVG.
b) Gemäß § 168 Abs. 3 Satz 2 GWB richtet sich die Vollstreckung auch gegen einen Hoheitsträger, wie es hier der Antragsgegner ist.
c) Bei der Entscheidung der Vergabekammer handelt es sich um einen Verwaltungsakt (§ 168 Abs. 3 Satz 1 GWB). Nach § 44 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ThürVwZVG können Verwaltungsakte unter den Voraussetzungen der §§ 19, 48 Abs. 1 ThürVwZVG u.a. durch Festsetzung eines Zwangsgeldes vollstreckt werden, welches zuvor nach § 46 ThürVwZVG anzudrohen ist.
aa) Der erforderliche Vollstreckungsantrag (Willenbruch - Gause, Vergaberecht, 5. A., § 168 GWB, Rn. 20; Ziekow - Steck, Vergaberecht, 5. A., § 168 GWB, Rn. 27; OLG Naumburg, Beschluss vom 27. April 2005 - 1 Verg 3/05 -, Rn. 4) liegt vor.
bb) Die Vergabekammer ist für die Entscheidung über den Vollstreckungsantrag zuständig, §§ 21, 43 Abs. 1 ThürVwZVG.
cc) Nach § 19 Nr. 1 ThürVwZVG können Verwaltungsakte vollstreckt werden, wenn sie nicht mehr mit einem förmlichen Rechtsbehelf angefochten werden können. Dies ist hier der Fall, da der Beschluss der Vergabekammer vom 27.08.2024 (Az. 5090-250-4003/469) den Verfahrensbeteiligten am 28.08.2024 zugestellt wurde, so dass die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde am 11.09.2024 ablief (§ 172 Abs. 1 GWB), ohne dass eine Beschwerde eingelegt wurde.
dd) Nach § 20 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ThürVwZVG kann als Vollstreckungsschuldner in Anspruch genommen werden, wer eine Leistung im Sinne des § 18 Abs. 1 ThürVwZVG schuldet, also eine Geldleistung, eine sonstige Handlung, eine Duldung oder eine Unterlassung. Nach § 48 Abs. 1 ThürVwZVG kann die Vollstreckungsbehörde den Vollstreckungsschuldner zu der geforderten Handlung, Duldung oder Unterlassung durch Festsetzung eines Zwangsgeldes anhalten, wenn die entsprechende Verpflichtung nicht oder nicht vollständig erfüllt wird. Das Zwangsmittel ist gemäß § 46 Abs. 1 ThürVwZVG zuvor von der Vollstreckungsbehörde schriftlich anzudrohen.
(1) Maßgeblicher Gegenstand des Beschlusses der Vergabekammer vom 27.08.2024 ist die Verpflichtung des Antragsgegners zu einer Handlung.
Maßgeblich ist der Tenor zu Ziffer 2., mit dem der Auftraggeber bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht verpflichtet wurde, das Vergabeverfahren in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen und dieses unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer von diesem Zeitpunkt an zu wiederholen. Dieser Beschlusstenor enthält die Verpflichtung zu einer Handlung, denn der Auftraggeber soll in der genannten Form aktiv tätig werden, wenn er den Beschaffungsvorgang fortsetzen will. Ziel der Vollstreckung ist die Durchsetzung der Handlungsanweisung im Tenor des Hauptsachebeschlusses (Ziekow/Völlink/Steck, 5. Aufl. 2024, GWB § 168 Rn. 56, beck-online).
(2) Bei der Anwendung des § 168 Abs. 3 GWB ist der Hintergrund der europarechtlichen Verpflichtung der Mitgliedstaaten in Art. 2 Abs. 8 der RL 89/665/EWG in der Fassung der RL 2007/66/EG zu berücksichtigen. Danach stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Entscheidungen der Nachprüfungsstellen wirksam durchgesetzt werden können. In Umsetzung dieser Vorgabe dienen die Regelungen in § 168 Abs. 3 GWB dem Ziel, geeignete Zwangsmittel zur effektiven Durchsetzung von Anordnungen der Vergabekammern zur Verfügung zu stellen (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 14. März 2023 - Verg 1/23 -, Rn. 36).
(3) Zu Recht hat die Vergabekammer es abgelehnt, ein Zwangsgeld anzudrohen, um den Auftraggeber dazu anzuhalten, das Vergabeverfahren in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen und dieses unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer von diesem Zeitpunkt an zu wiederholen.
(3.1) Die Vergabekammer hat den Vollstreckungsantrag zu Recht dahingehend verstanden, dass der Auftraggeber durch das Zwangsmittel dazu angehalten werden sollte, das Vergabeverfahren in den Stand vor der Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen und dieses von diesem Zeitpunkt an zu wiederholen, er also auf die Erzwingung der Durchführung eines künftigen Vergabeverfahrens gerichtet war.
Den Vollstreckungsantrag zur Vergabekammer hat der Antragsteller damit begründet, dass der Antragsgegner seiner Verpflichtung, auszuschreiben, trotz Aufforderungen bislang nicht nachgekommen sei. Für die am 25.04.2024 ausgeschriebene Interimsvergabe habe der Auftraggeber Beschaffungsbedarf und könne die tenorierte Leistung nachfragen. Selbst wenn er die Leistung vergeben hätte, dann könne er die Leistung auch zum weiteren Male vergeben.
Der Vollstreckungsantrag ist für den Gegenstand des Vollstreckungsverfahrens bestimmend (vgl. BayObLG, Beschluss vom 14. März 2023 - 1 Verg 1/23). Die Vollstreckung von Entscheidungen der Vergabekammer wird nur auf Antrag eingeleitet (Willenbruch - Gause, aaO, § 168 GWB, Rn. 20; Ziekow - Steck, aaO, § 168 GWB, Rn. 20). Der vergaberechtliche Rechtsschutz ist als Individualrechtsschutz ausgestaltet. Auch die Vollstreckung der Entscheidungen der Vergabenachprüfungsinstanzen dient vorrangig dem Schutz subjektiver Interessen der Unternehmen am Auftrag. Fehlt es an einem zulässigen Antrag, dann fehlt es an einer formellen Voraussetzung für die Fortführung des Vollstreckungsverfahrens (Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27. April 2005 - 1 Verg 3/05). Der Vollstreckungsantrag ist nach seinem Wortlaut unter Heranziehung der Antragsbegründung auszulegen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Dezember 2000 - Verg 31/00). Da der Wortlaut des Antrags vor der Vergabekammer insoweit unbestimmt geblieben ist, ist die Antragsbegründung für die Bestimmung des Vollstreckungszieles heranzuziehen gewesen. Aus dieser ergibt sich das Ziel des Antragstellers, den Auftraggeber zur Fortführung der Ausschreibung nach den Vorgaben der Vergabekammer anzuhalten.
(3.2) Durch die Vollstreckung des Hauptsachebeschlusses darf kein Kontrahierungszwang für den Auftraggeber geschaffen werden. Es kann eine bestandskräftige Entscheidung einer Vergabekammer, die dem Antragsgegner aufgibt, die streitgegenständliche Leistung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer in einem vergaberechtskonformen Verfahren auszuschreiben, nicht mit einem Zwangsgeld vollstreckt werden, wenn der Auftraggeber nicht zeitnah die entsprechende Ausschreibung beginnt. Aus einer solchen Entscheidung ergibt sich keine sofort durchsetzbare Verpflichtung des Antragsgegners, durch Veröffentlichung einer Auftragsbekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der EU ein Vergabeverfahren einzuleiten. Aufgrund der Vertragsfreiheit kann und darf der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich nicht dazu gezwungen werden, einen Auftrag an einen geeigneten Bieter zu erteilen (Ziekow/Völlink/Steck, aaO, GWB § 168 Rn. 57a, beck-online). Der Auftraggeber kann zur Auftragsvergabe nicht gezwungen werden und muss ein Ausschreibungsverfahren nicht mit dem Zuschlag an einen geeigneten Bieter beenden (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2003 - X ZB 43/02 - Rn. 19, 20). Es bleibt der Vergabestelle grundsätzlich unbenommen, von einem Beschaffungsvorhaben auch dann Abstand zu nehmen, wenn dafür kein in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt (BGH, Beschluss vom 20. März 2014 - X ZB 18/13 -, Rn. 20).
Es besteht keine Verpflichtung des Antragsgegners, die streitgegenständlichen Leistungen zu beschaffen und das Verfahren zu diesem Zweck zu wiederholen. Das Vergaberecht regelt die rechtlichen Vorgaben, an die sich der öffentliche Auftraggeber bei einer Beschaffung zu halten hat (Art und Weise der Beschaffung), betrifft aber nicht die Entscheidung über das Ob einer Beschaffung. Aus Gründen des allgemeinen Vertragsrechts, namentlich der Vertragsfreiheit, kann und darf der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich nicht dazu gezwungen werden, einen Auftrag an einen geeigneten Bieter zu erteilen. Es liegt damit auch nicht in der Kompetenz der Vergabekammer, zur Beseitigung einer Rechtsverletzung eine Maßnahme zu treffen, die einen rechtlichen oder tatsächlichen Kontrahierungszwang bedeuten würde (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 14. März 2023 - Verg 1/23).
Der Antragsgegner kann daher nicht durch ein Zwangsgeld dazu angehalten werden, das Interimsvergabeverfahren, welches Gegenstand des Beschlusses der Vergabekammer vom 27.08.2024 war, binnen einer bestimmten Frist in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen und von diesem Zeitpunkt an zu wiederholen.
(4) Es ist auf die Beschwerde hin auch kein Zwangsgeld anzudrohen, um den Antragsgegner dazu anzuhalten, den durch Zuschlag am 12.09.2024 geschlossenen Vertrag mit der TSI zu kündigen.
(4.1) Nach dem erstmals im Beschwerdeverfahren gehaltenen Vortrag des Antragstellers ist es nicht das Vollstreckungsziel, einen Kontrahierungszwang auszuüben, sondern die Umsetzung des Vergabekammerbeschlusses und dazu mit dem hier vorliegenden Vollstreckungsantrag die Kündigung des zwischenzeitlich von dem Antragsgegner geschlossenen Vertrages mit der TSI zu erreichen (Schriftsatz vom 23.10.2024, Seite 14, Blatt 14 der Akte). Unter diesem Gesichtspunkt käme eine Vollstreckung aus dem Beschluss der Vergabekammer vom 27.08.2024 in Betracht, wenn und soweit der Antragsgegner durch den Vertragsschluss mit der TSI gegen die Handlungspflicht aus Ziffer 2 des Beschlusses der Vergabekammer vom 27.08.2024 verstoßen hätte.
(4.2) In Verfolgung dieses Vollstreckungszieles müsste das Zwangsgeld konkret angedroht werden, um den Antragsgegner zur Kündigung des Vertrages mit der TSI anzuhalten.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die erforderliche Androhung des Zwangsgeldes hinreichend bestimmt sein muss; eine unbestimmte Zwangsgeldandrohung wäre rechtswidrig und unzulässig. Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 ThürVwZVG ist dem Schuldner in der Androhung zur Erfüllung der Verpflichtung eine bestimmte Frist zu bestimmen. Gemäß § 46 Abs. 3 Satz 1 ThürVwZVG muss sich die Androhung auf bestimmte Zwangsmittel beziehen und für jede einzelne Verpflichtung getrennt ergehen. Gemäß § 46 Abs. 4 ThürVwZVG muss das Zwangsgeld in bestimmter Höhe angedroht werden. Die Frist ist so zu bemessen, dass es dem Pflichtigen möglich und zumutbar ist, seine Verpflichtung bis zu ihrem Ablauf zu erfüllen. Zur Durchsetzung einer Handlungsverpflichtung sind Zwangsmittelandrohungen nur mit Bestimmung einer kalendermäßig eindeutigen Frist wirksam. In der Androhung muss das in Aussicht genommene Zwangsmittel konkret bezeichnet und einer bestimmten Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflicht konkret zugeordnet sein. Ein allgemeiner Hinweis genügt nicht (vgl. Engelhardt/App/Schlatmann/Troidl, 12. Aufl. 2021, zu dem inhaltlich übereinstimmenden § 13 VwVG, § 13 Rn. 3a, 3c, 4a, beck-online). Der Pflichtige muss eindeutig erkennen können, bis zu welchem Zeitpunkt er die geforderte Handlung vorgenommen haben muss. Es muss erkennbar sein, für welchen Verstoß gegen welche Handlungspflicht ein Zwangsgeld in welcher Höhe angedroht ist. Hinreichend bestimmt ist eine Zwangsgeldandrohung bei mehreren Ge- oder Verboten stets, wenn in der Androhung für jede einzelne Verpflichtung bestimmte Teilbeträge in bestimmter Höhe angedroht werden (BeckOK VwVfG/Deusch/Burr, 65. Ed. 1.1.2024, VwVG § 13 Rn. 12, 26-26.1, beck-online).
Die Zwangsgeldandrohung müsste daher eine kalendarisch bestimmte Frist zur Kündigung des bestimmt zu bezeichnenden Vertrages mit der TSI beinhalten.
(4.3) Die Beschwerde kann auf dieses Vollstreckungsziel nicht gestützt werden, da es sich um ein gänzlich neues Begehren handelt.
Wie oben bereits dargelegt, war vor der Vergabekammer noch einziger Gegenstand des Vollstreckungsantrages, den Auftraggeber durch Zwangsgeld zur Durchführung des Vergabeverfahrens anzuhalten. Die Verfolgung eines anderen Vollstreckungszieles erfordert auch einen anderen Antrag (vgl. BayObLG, Beschluss vom 14. März 2023 - 1 Verg 1/23). Mit dem Verweis auf das Vollstreckungsziel, den Auftraggeber zur Kündigung des zwischenzeitlich mit der TSI geschlossenen Vertrages anzuhalten, hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren daher einen neuen und von dem Antrag vor der Vergabekammer gänzlich abweichenden Vollstreckungsantrag gestellt. Es ist nicht zulässig, erstmals im Beschwerdeverfahren ein gänzlich neues Rechtsschutzbegehren zu erheben (vgl. Willenbruch - Raabe, aaO, § 172 GWB, Rn. 18; Ziekow - Dicks/Willner, Vergaberecht, 5. A., § 172 GWB, Rn. 10).
3. Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Gebühr durch die Vergabekammer ist ebenfalls unbegründet. Die Festsetzung der Gebühr durch die Vergabekammer ist nicht zu beanstanden.
a) Die Entscheidung über den Gebührenansatz liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Vergabekammer. Auf die Beschwerde wird die Gebührenentscheidung nur auf Ermessensfehler überprüft (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 - X ZB 5/10 -, Rn. 12; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 03. Januar 2019 - 19 Verg 5/18). Der Vergabesenat ist nicht befugt, im Fall des Vorliegens von Ermessensfehlern sein Ermessen an die Stelle der Vergabekammer zu stellen, sofern nicht eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt (Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 22. August 2016 - 2 Verg 7/16; OLG Frankfurt, Beschluss vom 29. August 2014 - 11 Verg 3/14). Zur pflichtgemäßen Ermessensausübung gehört die Berücksichtigung der richtigen Parameter (Willenbruch - Schneevogl, aaO, § 182 GWB, Rn. 11). Ein Ermessensfehler liegt daher u.a. dann vor, wenn die Vergabekammer von einem überhöhten Gegenstandswert ausgegangen ist (OLG Celle, Beschluss vom 29. Juni 2022 - 13 Verg 3/22).
b) Es ist nicht ermessensfehlerhaft, die wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrensgegenstandes zu berücksichtigen und diesen nach dem Bruttoauftragswert zu bestimmen.
Gemäß § 182 Abs. 1 Satz 1 GWB werden für Amtshandlungen der Vergabekammern Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben. Nach § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB ist u.a. § 3 VwKostG anzuwenden. Nach § 3 VwKostG sind die Gebührensätze so zu bemessen, dass zwischen der den Verwaltungsaufwand berücksichtigenden Höhe der Gebühr einerseits und der Bedeutung, dem wirtschaftlichen Wert oder dem sonstigen Nutzen der Amtshandlung andererseits ein angemessenes Verhältnis besteht. Ist gesetzlich vorgesehen, dass Gebühren nur zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben werden, sind die Gebührensätze so zu bemessen, dass das geschätzte Gebührenaufkommen den auf die Amtshandlungen entfallenden durchschnittlichen Personal- und Sachaufwand für den betreffenden Verwaltungszweig nicht übersteigt.
Zulässig und notwendig ist es daher, den personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer (Kostendeckungsprinzip) und die wirtschaftliche Bedeutung der Sache (Äquivalenzprinzip) in die Entscheidung einzubeziehen. Die wirtschaftliche Bedeutung bemisst sich nach dem Wert des Verfahrensgegenstandes (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 - X ZB 5/10, Rn. 14; Willenbruch - Schneevogl, aaO, § 182 GWB, Rn. 11). Für die Gebührenbemessung ist dabei in erster Linie die wirtschaftliche Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens maßgebend. Denn nach dem Äquivalenzprinzip muss zwischen der Gebühr für die Tätigkeit der Vergabekammer und dem Wert dieser Tätigkeit für die Beteiligten ein angemessenes Verhältnis bestehen. Dem mit dem personellen und sachlichen Aufwand verknüpften Kostendeckungsprinzip kommt eine korrigierende Funktion gegenüber dem typisierenden Gebührenansatz nach der wirtschaftlichen Bedeutung der Sache zu. Dabei ist nicht auf den im Einzelfall entstandenen personellen und sachlichen Aufwand abzustellen, sondern soll die Gesamtheit der in einem bestimmten Zeitabschnitt für die Art der Behördenleistung erhobenen Gebühren den in diesem Zeitabschnitt anfallenden personellen und sachlichen Verwaltungsaufwendungen entsprechen (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 23. Januar 2023 - 19 Verg 1/22).
Das Interesse des Antragstellers an der Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen entspricht dem wirtschaftlichen Interesse am Erhalt der Zuschlagschancen und ist pauschaliert mit 5% der Bruttoauftragssumme anzusetzen (BayObLG, Beschluss vom 14. März 2023 - 1 Verg 1/23; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. März 2014 - VII-Verg 11/14).
c) Es ist nicht zu beanstanden, dass die Vergabekammer bei der Bewertung des wirtschaftlichen Interesses den Wert der Verlängerungsoption berücksichtigt hat.
Ziffer 2.1.4 der Auftragsbekanntmachung (vorgelegt als Anlage ASt 2 im Verfahren der Vergabekammer 5090 - 250 -4003/469) lautete: "Zusätzliche Informationen: Laufzeit des Vertrages, der Rahmenvereinbarung oder des dynamischen Beschaffungssystems Beginn 01.01.2024/Ende: 30.09.2025. Bei der vorstehenden Ausschreibung handelt es sich um eine Interimsvergabe. Der Auftraggeber kann den Vertrag jederzeit mit einer Frist von 4 Wochen zum Monatsende kündigen. Sofern der Auftraggeber von seinem Kündigungsrecht bis zum Ablauf der Vertragslaufzeit (30.09.2025) keinen Gebrauch macht, verlängert sich der Vertrag ungeachtet der oben genannten Kündigungsmöglichkeit einmalig um ein Jahr bis zum 30.06.2025. Für das verlängerte Vertragsverhältnis gelten die gesamten Bedingungen, insbesondere die Einheitspreise aus dem regulären bisherigen Vertragsverhältnis fort."
Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 VgV ist bei der Schätzung des Auftragswerts vom voraussichtlichen Gesamtwert der vorgesehenen Leistung ohne Umsatzsteuer auszugehen und sind zudem etwaige Optionen oder Vertragsverlängerungen zu berücksichtigen. Bei der Bemessung des Streitwerts ist damit der Wert der fest vorgesehenen Laufzeit des Vertrages zu bemessen und der Wert der Option zu berücksichtigen, weil auch die nur potenzielle Möglichkeit der Verlängerung der Zeitspanne, in der der Auftragnehmer die vertragsgemäßen Leistungen weiter erbringen kann, einen wirtschaftlichen Wert darstellt, der dem Ausschreibungsgegenstand innewohnt und das Interesse der Bieter am Auftrag mitbestimmt (BGH, Beschluss vom 18. März 2014 - X ZB 12/13 -, Rn. 6, 11). An diesem wirtschaftlichen Interesse ändert es nichts, dass der Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung darauf abstellt, die Verlängerungsoption sei rechtswidrig.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 175 Abs. 2, 71 GWB.
5. Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung, da die Durchführung einer mündlichen Verhandlung angesichts des nicht weiter aufklärungsbedürftigen Sachverhalts nicht notwendig erscheint und sowohl die Beteiligten auf die mündliche Verhandlung verzichtet haben als auch deswegen ohne mündliche Verhandlung über die Beschwerde entschieden werden kann, weil es sich sowohl in Bezug auf die Entscheidung der Vergabekammer über den Vollstreckungsantrag als auch bei der Gebührenfestsetzung um Entscheidungen der Vergabekammer in einem Nebenverfahren handelt, so dass § 175 Abs. 2 GWB iVm § 65 Abs. 1 GWB nicht gilt (BayObLG, Beschluss vom 14. März 2023 - Verg 1/23; OLG Celle, Beschluss vom 29. Juni 2022 - 13 Verg 3/22; KG, Beschluss vom 11. Mai 2022 - Verg 5/21; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 12. März 2013 - Verg W 1/13).
6. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 50 Abs. 2 GKG.
Das Interesse des Antragstellers an der Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen entspricht dem wirtschaftlichen Interesse am Erhalt der Zuschlagschancen und ist pauschaliert mit 5% der Bruttoauftragssumme anzusetzen (BayObLG, Beschluss vom 14. März 2023 - 1 Verg 1/23; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. März 2014 - VII-Verg 11/14). Wie schon die Vergabekammer unter Ziffer 2. des angegriffenen Beschlusses zutreffend ausgeführt hat, kann der Wert des Verfahrensgegenstandes auf Grundlage einer verantwortlichen Einschätzung des Auftraggebers geschätzt werden (OLG Jena, Beschluss vom 17.06.2024, Verg 4/23; OLG Brandenburg, Beschluss vom 23.01.2023, 19 Verg 1/22; VK Thüringen, Besch I. v. 04.10.2023, 5090-250-4002/830), wenn - wie hier - der Antragsteller kein Angebot abgegeben hat. Den Auftragswert hat der Auftraggeber hier ohne MwSt. für die ausgeschriebene Leistung nach Ziffer 5.1.5. der europaweiten Auftragsbekanntmachung im Verfahren 5090-250-4003/469 auf 2.378.151,26 Euro geschätzt. Bei der Schätzung des Auftragswertes nach § 3 Abs. 1 Sätze 1 und 2 und Abs. 11 Nr. 1 VgV ist vom voraussichtlichen Gesamtwert der vorgesehenen Leistung ohne Umsatzsteuer auszugehen. Aus den oben unter Ziffer 3. dargelegten Gründen ist auch der Wert der Verlängerungsoption zu berücksichtigen. Der Streitwert ist somit ausgehend von der Auftragswertschätzung des Auftraggebers und unter Berücksichtigung der Verlängerungsoption zuzüglich der gesetzlichen Mehrwertsteuer in Höhe von 19% auf 5.659.999,99 Euro festzusetzen.
Der Angriff auf die Gebührenfestsetzung erhöht den Geschäftswert nicht, da insoweit keine Gerichtsgebühren zu erheben sind. Die Entscheidung ergeht in Bezug auf den Angriff auf die Gebührenfestsetzung durch die Vergabekammer in entsprechender Anwendung von § 68 Abs. 3 GKG gerichtsgebührenfrei und es werden außergerichtliche Kosten nicht erstattet (BGH, Beschluss vom 25.10.2011, X ZB 5/10, Rn. 24; OLG Celle, Beschluss vom 29. Juni 2022 - 13 Verg 3/22), da sich die angegriffene Gebührenfestsetzung wirtschaftlich für die betroffenen Beteiligten wie eine Streitwertfestsetzung auswirkt.
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OVG Sachsen
Urteil
vom 25.09.2024
6 A 118/20
1. Wird der Zuwendungsempfänger dazu verpflichtet, eine bestimmte Verdingungsordnung anzuwenden oder andere Vergabebestimmungen einzuhalten, hat er die Einhaltung dieser Zuwendungsvoraussetzung der Bewilligungsbehörde durch die Vorlage der Vergabedokumentation nachzuweisen.
2. Der Zuwendungsgeber darf den Zuwendungsbescheid (teilweise) widerrufen, wenn der Zuwendungsempfänger eine mit dem Zuwendungsbescheid verbundene Auflage nicht erfüllt hat.
3. Die Unterlassung einer EU-weiten Ausschreibung trotz Überschreiten des Schwellenwerts ist ein schwerer Vergaberechtsverstoß. Gleiches gilt für die Durchführung einer freihändigen Vergabe oder einer beschränkten Ausschreibung ohne Vorliegen der dafür notwendigen Voraussetzungen.
vorhergehend:
VG Dresden, 16.10.2019 - 4 K 3482/17
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 16. Oktober 2019 - 4 K 3482/17 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i. H. v. 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn der Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit i. H. v. 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Kürzung von Fördermitteln und deren Rückforderung.
Auf ihren Antrag vom 2. August 2011 gewährte der Beklagte der Klägerin mit Zuwendungsbescheid vom 26. September 2011 auf Grundlage der Richtlinie des Sächsischen Staatsministeriums für Umwelt und Landwirtschaft zur Integrierten Ländlichen Entwicklung im Freistaat Sachsen - RL ILE/2007 - vom 18. Oktober 2007 (SächsABl. S. 1601), die zuletzt durch Richtlinie vom 18. April 2011 (SächsABl. S. 652) geändert worden ist (im Folgenden: Förderrichtlinie), eine "nicht rückzahlbare Zuwendung i. H. v. 1.041.630,30 Euro als Anteilsfinanzierung". In der Förderrichtlinie wird auf die Einhaltung der Vergabevorschriften sowie darauf hingewiesen, dass der Zuwendungsempfänger bei Maßnahmen, die an die Anwendung des Vergaberechts gebunden sind, der Bewilligungsbehörde den Vergabevermerk zu übersenden hat und die Bewilligungsbehörde den Zuwendungsbescheid ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen und die Zuwendung zurückfordern kann, wenn der Zuwendungsempfänger gegen Vergabevorschriften verstößt. Im Zuwendungsbescheid waren "Nebenbestimmungen zum Zuwendungsbescheid" enthalten, in deren Nr. 16 Folgendes bestimmt ist: "Die Bewilligungsbehörde kann die Auflagen der Nebenbestimmungen dieses Zuwendungsbescheides nach pflichtgemäßem Ermessen ändern oder ergänzen und neue Auflagen aufnehmen." Zudem waren dem Bescheid die "Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung an kommunale Körperschaften (ANBest-K)" beigefügt.
Zuvor hatte die Klägerin mit dem Ingenieurbüro Dr.-Ing. ### (im Folgenden: IB ###) bereits am 30. Juni 2004 einen "Generalplanvertrag" über die Erbringung von Architekten- und Ingenieurleistungen für die Baumaßnahmen "Sanierung, Umbau und Erweiterung der Mittelschule ###" abgeschlossen. Vertragsgegenstand war unter anderem die Planung für die Sanierung der Turnhalle.
Am 22. Februar 2012 schloss die Klägerin erneut einen "Generalplanervertrag für den Neubau eines Gebäudes" mit dem IB ### Gegenstand waren nach dessen § 1 die Leistungen für die Baumaßnahme "Errichtung einer Turnhalle und Errichtung von Außensportflächen". Dem Generalplanervertrag lagen als Anlage eine "Zusammenfassung der Honorarkalkulation Turnhalle" und eine "Zusammenfassung der Honorarkalkulation Sportplatz" bei. Danach belief sich die Summe des vorläufigen Honorars auf 235.928,55 Euro netto und abzüglich eines gewährten Nachlasses von 5% auf 224.132,12 Euro netto. Vor Abschluss des Generalplanervertrags vom 22. Februar 2012 schrieb die Klägerin die in Auftrag gegebenen freiberuflichen Leistungen weder aus noch holte sie Alternativangebote ein.
Auf Antrag der Klägerin gewährte ihr der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 22. März 2012 weitere Zuwendungen i. H. v. 14.246,63 Euro auf zuwendungsfähige Ausgaben i. H. v. 18.955,51 Euro.
Mit Bescheid vom 17. September 2012 änderte der Beklagte den Zuwendungsbescheid vom 26. September 2011 rückwirkend, indem er die dem Zuwendungsbescheid beigefügten ANBest-K einschließlich der weiteren Nebenbestimmungen, auf die diese Bezug nehmen, sowie die "Nebenbestimmungen zum Zuwendungsbescheid" Nr. 1 bis 20 durch Nebenbestimmungen für ELERfinanzierte Maßnahmen (NB-ELER; Stand 8/2012) ersetzte. Dem Bescheid war eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt. Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin keinen Widerspruch eingelegt.
Mit Änderungsbescheid vom 25. September 2012 gewährte der Beklagte der Klägerin eine Nachbewilligung i. H. v. 17.056,02 Euro auf weitere zuwendungsfähige Kosten i. H. v. 22.741,36 Euro. Damit stieg die Zuwendungssumme auf 1.072.932,95 Euro.
Mit 1. Festsetzungsbescheid vom 14. Dezember 2012 setzte der Beklagte einen Auszahlungsbetrag i. H. v. 411.376,42 Euro fest und wies diesen zur Zahlung an (Nr. 1), setzte zudem den bewilligten Höchstbetrag auf 1.071.985,29 Euro neu fest und stellte fest, dass der Klägerin noch 660.608,47 Euro zustünden (Nr. 2), fügte dem Bescheid eine Berechnung als Anlage bei (Nr. 3), stellte fest, dass darüber hinaus geltend gemachte Beträge nicht anerkannt würden (Nr. 4) und bestimmte, dass der Festsetzungsbescheid den Zuwendungsbescheid vom 26. September 2011 ergänze (Nr. 5).
Mit Änderungsbescheiden vom 19. Dezember und 25. Oktober 2013 nahm der Beklagte eine Änderung der Aufteilung nach Förderjahren vor.
Mit 2. Festsetzungsbescheid vom 30. Oktober 2013 setzte der Beklagte einen weiteren Auszahlungsbetrag i. H. v. 408.380,42 Euro fest und wies diesen zur Zahlung an (Nr. 1), setzte den bewilligten Höchstbetrag auf 1.069.457,04 Euro fest und stellte fest, dass der Klägerin noch 249.699,80 Euro zustünden (Nr. 2), fügte dem Bescheid eine Berechnung als Anlage bei (Nr. 3), stellte fest, dass darüber hinaus geltend gemachte Beträge nicht anerkannt würden (Nr. 4) und bestimmte, dass der Bescheid den Zuwendungsbescheid vom 26. September 2011 ergänze (Nr. 5).
Mit Änderungsbescheid vom 11. März 2014 wurde der Klägerin eine weitere Nachbewilligung i. H. v. 46.634,00 Euro gewährt.
Die Klägerin teilte dem Beklagten im Juli 2014 mit, dass der Sportplatz am 18. Juni 2014 feierlich eröffnet worden sei und die Zuwendungsmaßnahme habe abgeschlossen werden können. Die Abrechnungsbelege wurden vom Beklagten mit Begleitschreiben vom 3. November 2014 an die Klägerin zurückgegeben.
Mit 3. Festsetzungsbescheid vom 11. September 2014 setzte der Beklagte einen weiteren Auszahlungsbetrag i. H. v. 296.333,80 Euro fest und wies diesen zur Zahlung an (Nr. 1), setzte den bewilligten Höchstbetrag endgültig auf 1.116.091,04 Euro fest (Nr. 2), stellte fest, dass kein weiterer Anspruch mehr bestehe sowie darüber hinaus geltend gemachte Ansprüche nicht anerkannt würden, und bestimmte, dass der Festsetzungsbescheid den Zuwendungsbescheid vom 26. September 2011 ergänze (Nr. 4).
Von den an die Klägerin ausgezahlten Beträgen i. H. v. 411.376,82 Euro, 408.380,42 Euro und 296.333,80 Euro (insgesamt 1.116.091,04 Euro) entfielen auf Honorarleistungen für das IB ### 178.602,48 Euro - aus dem 1. Zahlungsantrag 81.000,25 Euro (Rechnung vom 13. September 2012), aus dem 2. Zahlungsantrag 39.915,13 Euro (Rechnung vom 27. Dezember 2012) und aus dem 3. Zahlungsantrag 57.687,10 Euro (36.340,95 Euro aus der Rechnung vom 1. August 2013, und 21.346,15 Euro aus der Rechnung vom 6. Juni 2014).
Das Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft (SMUL) als Bescheinigende Stelle teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 15. Dezember 2014 mit, im Rahmen einer stichprobenartigen Prüfung sei im vorliegenden Förderverfahren ein schwerer Vergabeverstoß gemäß Nr. 4.3 Buchst. a NB-ELER festgestellt worden. Es forderte den Beklagten mit Schreiben vom 28. Januar 2015 auf, gegen die Klägerin ein Rückforderungsverfahren einzuleiten. Die Klägerin habe den Generalplanervertrag mit dem IB ### vom 22. Februar 2012 entgegen dieser Nebenbestimmungen ohne vorherige Durchführung eines Vergabeverfahrens nach der Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) abgeschlossen. Die auf der Beauftragung beruhen16 den Ausgaben seien daher als nicht zuschussfähig anzusehen.
Mit Bescheid vom 26. Februar 2015 widerrief der Beklagte den Zuwendungsbescheid vom 26. September 2011 in der Fassung seiner Änderungen durch die Bescheide vom 23. März und 25. September 2012 und 11. März 2014 sowie in Gestalt der Festsetzungsbescheide vom 14. Dezember 2012, 30. Oktober 2013 und 11. September 2014 teilweise, setzte die Zuwendung auf 763.568,18 Euro neu fest (Nr. 1), forderte die mit Festsetzungsbescheiden vom 14. Dezember 2012, 30. Oktober 2013 und 11. September 2014 ausgezahlten Fördermittel i. H. v. 1.116.091,04 Euro anteilig i. H. v. 352.522,86 Euro zurück (Nr. 2), forderte die Klägerin auf, den Rückforderungsbetrag bis zum 30. April 2015 zurückzuzahlen (Nr. 3) und kündigte der Klägerin die Erhebung von Zinsen an, sollte die Rückzahlung nicht bis zum angegebenen Termin erfolgen (Nr. 4).
Hiergegen legte die Klägerin am 10. März 2015 Widerspruch ein und zahlte im Mai 2015 den Rückforderungsbetrag i. H. v. 352.522,86 Euro (258.654,77 Euro durch Aufrechnung und 93.868,19 Euro durch Zahlung) wie gefordert an die Sächsische Aufbaubank (SAB). Auch ein aufgrund des Zinsbescheids des Beklagten vom 9. Juni 2015 errechneter Zinsbetrag i. H. v. 86,98 Euro wurde beglichen.
Mit Schreiben vom 5. Februar 2015 begründete die Klägerin ihren Widerspruch und führte hierzu im Wesentlichen aus, dass Sie seit dem Jahr 2000 um die Sanierung der denkmalgeschützten Mittelschule ### bemüht gewesen sei. Die hierzu erforderlichen Baumaßnahmen seien in zunächst in drei Bauabschnitte aufgeteilt worden, um das Vorhaben sowohl finanziell als auch in seiner Ausführung bewältigen zu können. Da das Vorhaben aufgrund seiner Größe und des Denkmalschutzes finanziell von ihr allein nicht zu bewältigen gewesen sei, habe sie sich um Zuwendungsgeber bemüht und entsprechend der Empfehlung der OFD Chemnitz mit dem IB ### den Generalplanvertrag vom 30. Juni 2004 geschlossen. Es sei beabsichtigt gewesen, die drei Bauabschnitte des einheitlichen Bauvorhabens zeitlich getrennt nacheinander und entsprechend den denkmalschutzrechtlichen Belangen ausführen zu lassen. Daher sei der Generalplanvertrag 2004 für das gesamte Bauvorhaben vereinbart worden. Es habe sich herausgestellt, dass eine Sanierung der Turnhalle nicht möglich sei, sondern ein Neubau erforderlich werde. Daher habe sie am 2. August 2011 einen Antrag auf Förderung hierfür gestellt. Zu diesem Zeitpunkt sei das IB ### aufgrund des Generalplanvertrags 2004 bereits für sie tätig gewesen. Aufgrund der Fristen des Zuwendungsbescheids (z. B. 1. Abrechnungstermin am 28. September 2012 über ca. 7/10 der bewilligten Zuwendung) habe sie keinen Teilnahmewettbewerb durchführen können. Aufgrund ihrer Finanzsituation sei sie im Frühwarnsystem kommunaler Haushalte für das Haushaltsjahr 2014 mit der Kategorie C (kritische Haushaltslage) und im Jahr 2015 in der Kategorie D (instabile Haushaltslage) bewertet worden. Die Voraussetzungen für den teilweisen Widerruf und die Rückforderung von gewährten Fördermitteln lägen nicht vor. Der Zuwendungsbescheid und die Festsetzungsbescheide hätten getrennt voneinander widerrufen werden müssen, weil es sich jeweils um eigenständige Verwaltungsakte handele. Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 VwVfG lägen nicht vor. Es liege kein Auflagenverstoß vor. Denn es sei allein die ANBest-K bzw. ANBest-P, nicht aber die NB-ELER zu beachten gewesen. Dies ergebe sich aus dem Zuwendungsbescheid vom 26. September 2011. Der Abschluss des Generalplanervertrags vom 22. Februar 2012 habe ohne förmliches Vergabeverfahren erfolgen können, da das IB ### von ihr bereits im Jahr 2004 beauftragt worden sei. Selbst wenn man auf den Generalplanervertrag vom 22. Februar 2012 abstellen wollte, hätte die VOF bei Zugrundelegung eines Schwellenwertes i. H. v. 200.000,00 Euro nicht angewendet werden müssen. Denn das Honorar sei nur mit 196.824,59 Euro zu veranschlagen gewesen. Der für die Notwendigkeit der Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens maßgebliche Schwellenwert von 200.000 Euro sei zudem auch deshalb nicht überschritten worden, weil in dem Generalplanervertrag vom 22. Februar 2012 die Erbringung von verschiedenen Leistungsbildern gemäß HOAI vereinbart worden sei. Diese könnten vergaberechtlich nicht als einheitliche freiberufliche Leistung gewertet werden. Hierfür spreche auch die Regelung in § 7 Generalplanervertrag. Zudem sei hier § 3 Abs. 7 Satz 2 der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung - VgV -) und die hierzu erfolgte Begründung des Verordnungsgebers zu beachten, wonach bei der Bewertung, ob Planungsleistungen gleichartig seien, auch die wirtschaftliche oder technische Funktion einer Leistung zu berücksichtigen sei. Danach sei der Schwellenwert bereits bei Abzug des unter "Tragwerksplanung" eingestellten Betrags unterschritten. Darüber hinaus lasse der Widerrufs- und Erstattungsbescheid auch nicht erkennen, dass der Beklagte Ermessen ausgeübt habe. Auch sei der Widerruf nach Ablauf der Jahresfrist nach § 49 Abs. 3 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG erfolgt. Denn dem Beklagten sei seit Vorlage des 1. Auszahlungsantrags vom 30. September 2012 bekannt gewesen, dass dem Abschluss des Generalplanervertrags vom 22. Februar 2012 keine Vergabe im Verhandlungsverfahren mit vorheriger öffentlicher Aufforderung zur Teilnahme vorausgegangen sei. Mit dem ersten Auszahlungsantrag sei unter anderem die Rechnung des IB ### vom 13. September 2012 vorgelegt worden. Neben der Rechnung und dem Vertrag sei auch der Vergabenachweis einzureichen gewesen. Einen solchen habe sie nicht beigefügt. Die Auszahlung sei daher auf einen Irrtum des Beklagten zurückzuführen, den die Klägerin nicht habe erkennen können. Dies schließe eine Rückforderung nach Art. 5 Abs. 3 VO (EU) Nr. 65/2011 aus. Schließlich sei auch die Festsetzung einer Rückzahlung i. H. v. 352.522,86 Euro unverhältnismäßig, da diese aufgrund ihrer instabilen Haushaltslage eine erdrückende Wirkung entfalte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und änderte den Bescheid vom 26. Februar 2015 in Nr. 1 bis 4 wie folgt:
Der Zuwendungsbescheid vom 26. September 2011, geändert mit Bescheiden vom 22. März 2012, 17. September 2012, 25. September 2012 und 11. März 2014 in Gestalt der Festsetzungsbescheide vom 14. Dezember 2012, 30. Oktober 2013 und 11. September 2014 wird hiermit teilweise widerrufen und die Zuwendung auf 755.410,17 Euro neu festgesetzt (Nr. 1). Die mit den Festsetzungsbescheiden vom 14. Dezember 2012, 30. Oktober 2013 und 11. September 2014 ausgezahlten Fördermittel i. H. v. 1.116.091,04 Euro werden anteilig i. H. v. 360.680,87 Euro zurückgefordert (Nr. 2). Unter Berücksichtigung der bereits gezahlten 93.886,09 Euro und der verrechneten 258.654,77 Euro, mithin insgesamt 352.522,86 Euro, ist noch ein restlicher Betrag von 8.158,01 Euro zurückzuerstatten (Nr. 3). Für den Fall der nicht rechtzeitigen Rückzahlung wird die Berechnung von Zinsen angekündigt (Nr. 4). Der zurückgeforderte Betrag von 360.680,87 Euro setzt sich zusammen aus zurückzuerstattenden Förderbeträgen von insgesamt 178.602,48 Euro und einem Sanktionsbetrag in Höhe von 182.078,39 Euro.
Die Klägerin hat am 20. April 2017 Klage zum Verwaltungsgericht erhoben. Sie trägt ergänzend vor, der Beklagte habe die Vergaberechtswidrigkeit aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen bereits vor dem Schreiben des SMUL vom 15. Dezember 2014 gekannt. Sowohl der Widerruf des Zuwendungsbescheids als auch der Widerruf der Festsetzungsbescheide seien nach § 49 Abs. 3 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG verfristet. Dass Art. 5 VO (EU) Nr. 65/2011 den Vertrauensschutz abschließend regele, treffe nicht zu. Darüber hinaus sei bei der Sanktionierung Art. 30 Abs. 1 Satz 6 VO (EU) Nr. 65/2011 nicht beachtet worden. Sie habe keine Rechtsabteilung und beschäftige keine Volljuristen. Sie habe sich vor Abschluss des Generalplanervertrags vom 22. Februar 2012 über die Vergabebedürftigkeit der freiberuflichen Planungsleistungen informiert und insbesondere auf den Leitfaden für die Vergabe freiberuflicher Ingenieur- und Architektenleistungen der Ingenieurkammer Sachsen (4. Aufl.) zurückgegriffen. Diesem habe sie entnommen, dass die Anwendung der VOF dann entfalle, wenn sich der Auftragswert unter 200.000,00 Euro netto belaufe. Zudem sei die Rückforderung i. H. v. 352.522,96 Euro auch unverhältnismäßig, da sie für sie haushaltsrechtlich eine erdrückende Wirkung habe. Ihre Haushaltslage sei bereits 2015 und 2016 als instabil bewertet worden.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Rechtsgrundlage für den teilweisen Widerruf des Zuwendungsbescheids vom 26. September 2011 in Gestalt der Änderungs- und Festsetzungsbescheide sei § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwVfG i. V. m. § 1 SächsVwVfZG. Es bedürfe keines gesonderten Widerrufs der Festsetzungsbescheide, da diese mit dem Zuwendungsbescheid eine Einheit bildeten. Bereits aus dem Wortlaut der Festsetzungsbescheide (Nr. 4 und 5) sei ersichtlich, dass diese den Zuwendungsbescheid ergänzten und dieser im Übrigen unberührt bleibe. Der Beklagte sei auch zu Recht von einem Auflagenverstoß i. S. v. § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwVfG ausgegangen. Die Klägerin könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass mit Erlass des Änderungsbescheids vom 17. September 2012 eine unzulässig rückwirkende Änderung des Zuwendungsbescheids vom 26. September 2011 herbeigeführt worden sei. Diesem Vorbringen stehe zunächst die Bestandskraft des Änderungsbescheids entgegen. Zudem habe sich der Beklagte in Nr. 16 der "Nebenbestimmungen zum Zuwendungsbescheid" vom 26. September 2011 ausdrücklich vorbehalten, diese nach pflichtgemäßem Ermessen zu ändern oder zu ergänzen und Neuauflagen aufzunehmen. Nach Nr. 4.1 NB-ELER habe die Klägerin der Bewilligungsbehörde durch Vorlage der Vergabedokumentation nachweisen müssen, dass das Vergabeverfahren eingehalten worden sei. Anders als Nr. 3.2 ANBest-K ("bleiben unberührt") lasse sich Nr. 4.1 NB-ELER nicht nur ein bloßer Hinweis auf die Einhaltung vergaberechtlicher Bestimmungen entnehmen, sondern enthalte letztere vielmehr eine Auflage, mit der ein konkretes Tun umschrieben werde, das von der Klägerin erwartet werde. Die Auflage habe von der Klägerin nachträglich auch nichts Unmögliches gefordert, denn zu der Einhaltung der vergaberechtlichen Vorschriften sei sie als kommunale Auftraggeberin bereits aufgrund von §§ 98 ff. GWB und § 1 Abs. 1 SächsVergabeG verpflichtet gewesen. Dieser Verpflichtung sei sie nicht nachgekommen. Sie sei auch zur Einhaltung der VOF verpflichtet gewesen, da der in § 2 Nr. 2 VgV geregelte Schwellenwert von 193.000,00 Euro überschritten gewesen sei. Die Vergabe hätte daher im Rahmen eines Teilnahmewettbewerbs erfolgen müssen. Dieser Verpflichtung sei die Klägerin bei Abschluss des Generalplanervertrags vom 22. Februar 2012 nicht nachgekommen. Dieser stelle sich nicht als bloße Modifizierung des Generalplanervertrags 2004 dar. Die Voraussetzungen für eine Direktvergabe nach § 3 Abs. 4 Buchst. c VOF hätten nicht vorgelegen, da ein dringender Fall nicht vorgelegen habe. Der Widerrufsbescheid leide auch nicht an Ermessensfehlern. Das Ermessen des Beklagten sei intendiert. Der Widerruf sei auch nicht nach § 49 Abs. 3 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG verfristet. Dies gelte auch hinsichtlich der mit Bescheid vom 26. Februar 2015 und im Widerspruchsbescheid festgesetzten Sanktionsbeträge. Die Pflicht zur Erstattung und Verzinsung der aufgrund der widerrufenen Bescheide ausgezahlten Beträge folge aus Art. 5 Abs. 1 VO (EU) Nr. 65/2011; die Festsetzung der Sanktionsbeträge beruhe auf Art. 30 Abs. 1 und 3 VO (EU) Nr. 65/2011. Ein Ausschluss der Sanktionierung nach Art. 30 Abs. 1 Satz 6 VO (EU) Nr. 65/2011 komme aufgrund des Umstands, dass der hier vorliegende Vergaberechtsverstoß in 22 den Verantwortungsbereich der Klägerin falle, nicht in Betracht.
Zur Begründung der vom Verwaltungsgericht im Urteil zugelassen Berufung trägt die Klägerin vor, das angefochtene Urteil sei abzuändern, da der Widerrufsbescheid der Beklagten vom 26. Februar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. März 2017 rechtswidrig und daher aufzuheben sei.
Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht von einem Auflagenverstoß ausgegangen. Die Nebenbestimmungen für ELER-finanzierte Maßnahmen seien nicht Gegenstand des Bewilligungsbescheids vom 26. September 2011. Der mit dem Änderungsbescheid vom 17. September 2012 verfügte Austausch der Nebenbestimmungen entfalte echte Rückwirkung, da der Generalplanervertrag mit dem IB ### bereits am 22. Februar 2012 abgeschlossen worden sei. Das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass es sich bei Nr. 4 NB-ELER um eine Auflage handele. Sie sei bei der Vergabe der freiberuflichen Leistungen nicht zur Durchführung eines Teilnahmewettbewerbs verpflichtet gewesen. Anders als vom Verwaltungsgericht angenommen sei das IB ### bereits aufgrund des Generalplanvertrags aus dem Jahr 2004 tätig geworden. Der 2. Bauabschnitt nach dem Generalplanvertrag 2004 habe die Sanierung der Turnhalle sowie die Sanierung und Erweiterung des westlichen Seitenflügels umfasst. Beide Verträge stellten damit auf denselben Vertragsgegenstand ab.
Einem Widerruf des Zuwendungsbescheids stehe die Jahresfrist des § 49 Abs. 3 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG entgegen. Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Vertrauensschutz in Art. 5 VO (EU) Nr. 65/2011 für alle Mitgliedstaaten der EU abschließend geregelt sei. Der Beklagte habe nicht erstmals durch das Schreiben des SMUL vom 15. Dezember 2014 positive Kenntnis über einen vergaberechtswidrigen Abschluss des Generalplanervertrags erlangt. Der teilweise Widerruf sei nach § 48 Abs. 4 VwVfG ausgeschlossen, da dieser dem Beklagten spätestens seit Vorlage des Auszahlungsantrags Nr. 1 vom 30. September 2012 bekannt gewesen sei, der unter anderem die Rechnung des IB ### vom 13. September 2012 umfasst habe. Spätestens mit dem ersten Auszahlungsantrag sei dem Beklagten somit bekannt gewesen, dass keine Vergabe dieser Planungsleistungen im Teilnahmewettbewerb stattgefunden habe.
Die Entscheidung über den Widerruf des Zuwendungsbescheids sei zudem ermessensfehlerhaft. Gründe dafür, dass das Ermessen des Beklagten intendiert gewesen sei, seien nicht erkennbar. Es fehle daher an einer Ermessensausübung. Es sei davon auszugehen, dass sich der Beklagte an die Weisung des SMUL im Schreiben vom 28. Januar 2015 zur "Durchführung eines Rückforderungsverfahrens" gebunden gesehen habe. Unionsrechtlich sei eine Rückforderung von Zuwendungen nur dann ermessensgerecht, wenn ein Schaden für den Gesamthaushalt der Europäischen Union bewirkt worden sei oder hätte bewirkt werden können. Dazu fehle es an jeglichen Feststellungen. Zudem habe der Beklagte außergewöhnliche Umstände, die einen Abschluss des Generalplanervertrages mit dem IB ### erfordert hätten, nicht berücksichtigt.
Der im Widerspruchsbescheid festgesetzte Verböserungsbetrag berücksichtige entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht die Bestimmung des Art. 5 Abs. 3 VO (EU) Nr. 65/2011, wonach die Verpflichtung zur Rückzahlung dann entfalle, wenn die Zahlung auf einen Irrtum der zuständigen Behörde oder einer anderen Behörde zurückzuführen sei, der vom Begünstigten billigerweise nicht habe erkannt werden können. Der Beklagte habe sich bei der Bewilligung der Auszahlungsbeträge für die Abrechnungen des IB ### im Hinblick auf die Notwendigkeit der Durchführung eines Vergabeverfahrens geirrt. Er sei ersichtlich irrtümlicherweise davon ausgegangen, dass ein solches nicht erforderlich gewesen sei. Im Übrigen seien zwischen den Zahlungen und der Festsetzung des Verböserungsbetrages im Widerspruchsbescheid auch mehr auch als 12 Monate verstrichen gewesen.
Entgegen den Feststellungen des Verwaltungsgerichts sei der Zuwendungsbescheid vom 26. September 2011 in der Fassung der Änderungsbescheide von den Festsetzungsbescheiden vom 14. Dezember 2012, 30. Oktober 2013 und 11. September 2014 abzugrenzen. Hierbei handele es sich jeweils um eigenständige Verwaltungsakte i. S. v. § 35 VwVfG. Insoweit hätte es somit eigenständiger Widerrufsbescheide bedurft. Die Auszahlungsbescheide enthielten keine Auflagen im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG. Daher liege hinsichtlich der Festsetzungsbescheide auch kein Auflagenverstoß vor.
Folglich lägen auch die Voraussetzungen für eine anteilige Rückforderung von zu Unrecht gewährten Fördermitteln (Art. 5 Abs. 1 VO [EU] Nr. 65/2011) sowie für die weitere Kürzung (Art. 30 Abs. 1 VO [EU] Nr. 65/2011) nicht vor. Die Kürzung i. H. v. 182.078,39 Euro stehe nicht mit Art. 30 Abs. 1 Satz 6 VO (EU) Nr. 65/2011 in Einklang. Danach werde eine Kürzung vorgenommen, wenn der Begünstigte nachweisen könne, dass er für die Angabe des nicht förderfähigen Betrags nicht verantwortlich sei. So liege hier der Fall. Hätte der Beklagte bereits bei Erlass des Zuwendungsbescheids darauf hingewiesen, dass die Leistungen des IB ### nicht zuwendungsfähig seien, hätte er einen geminderten Zuwendungsbetrag festsetzen müssen. Der Beklagte habe bereits vor Erlass sämtlicher Änderungsbescheide Kenntnis vom Abschluss des Generalplanervertrags gehabt. Hiervon habe er durch ihre Auszahlungsanträge im Rahmen der Festsetzung Kenntnis erlangt. Die Fördermittel hätten daher insoweit nicht bewilligt und nicht ausgezahlt werden dürfen. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass sie keine Rechtsabteilung habe und keine Volljuristen beschäftigt habe. Im Übrigen habe sie sich über die Vergabebedürftigkeit der freiberuflichen Planungsleistungen informiert und unter anderem auf den Leitfaden für die Vergabe freiberuflicher Ingenieur- und Architektenleistungen der Ingenieurkammer Sachsen zurückgegriffen. Diesem Leitfaden habe sie entnommen, dass die Anwendung der VOF dann entfalle, wenn sich der Auftragswert unter 200.000,00 Euro netto belaufe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 16. Oktober 2019 - 4 K 3482/17 - zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 26. Februar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 21. März 2017 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Berufung für unbegründet und geht mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass der Zuwendungsbescheid - in Gestalt seiner Änderungsbescheide - und die Festsetzungsbescheide als Einheit zu sehen seien. Rechtsgrundlage für den Widerruf des Zuwendungsbescheids sei § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwVfG. Unabhängig davon lasse sich der teilweise Widerruf des Zuwendungsbescheids aber auch auf die unmittelbar geltende Vorschrift des Art. 5 Abs. 1 VO (EU) Nr. 65/2011 i. V. m. § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwVfG stützen. Die Auflage Nr. 4.1 NB-ELER sei mit dem Änderungsbescheid vom 17. September 2012 wirksam eingeführt worden. Es handele sich um eine zulässige unechte Rückwirkung. Der Beklagte habe sich bereits in Nr. 16 der "Nebenbestimmungen des Zuwendungsbescheids" vorbehalten, die Auflagen dieser Nebenbestimmungen nach pflichtgemäßem Ermessen zu ändern oder zu ergänzen und gegebenenfalls neue Auflagen aufzunehmen. Mithin sei für die Klägerin vorhersehbar gewesen, dass sich die Gestalt des ursprünglichen Zuwendungsbescheids nachträglich ändern könne. Folglich müsse sich der Abschluss des Generalplanervertrags vom 22. Februar 2012 an den nachträglich eingefügten Nebenbestimmungen der Nr. 4 NB-ELER, welche die Klägerin zur Einhaltung vergaberechtlicher Vorschriften verpflichtet hätten, messen lassen. Mindestens hätte die rückwirkende Einbeziehung der strengeren Regelungen die Klägerin dazu bewegen müssen, den bereits erfolgten Abschluss des Generalplanervertrags ohne Einhaltung eines Vergabeverfahrens gegenüber dem Beklagten aufzudecken. Im Übrigen sei der Änderungsbescheid vom 17. September 2012 in Bestandskraft erwachsen, da die Klägerin hiergegen keinen Widerspruch eingelegt habe. Mit dem späteren Abruf der Fördermittel habe die Klägerin beim Beklagten den Eindruck erweckt, dass der Generalplanervertrag unter Einhaltung der verbindlich vorgegebenen vergaberechtlichen Vorschriften geschlossen worden sei. Zutreffend sei das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin auch schon vor dem Änderungsbescheid verpflichtet gewesen sei, freiberufliche Leistungen im Wettbewerb zu vergeben. Die Klägerin müsse sich ihrer vergaberechtlichen Verpflichtungen bewusst gewesen sein. Nr. 4 NB-ELER stelle sich auch nicht als bloßer Hinweis, sondern als Auflage i. S. v. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG dar, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt habe. Schon wegen des unterschiedlichen Vertragsgegenstands lasse sich der Generalplanervertrag nicht als bloße Modifizierung des Generalplanvertrags 2004 deuten. Der Widerrufsbescheid leide auch nicht an Ermessensfehlern. Gängige Verwaltungspraxis sei es nach dem Grundsatz einer sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung, eine Zuwendung beim Vorliegen von Widerrufsgründen auch tatsächlich zu widerrufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs müssten - entgegen der Ansicht der Klägerin - die Auswirkungen von rechtswidrigen Zuwendungen auf den Haushalt der Europäischen Union nicht nachgewiesen werden. Es liege ein schwerwiegender Vergabeverstoß vor; die Voraussetzungen nach § 3 Abs. 4 Buchst. c VOF 2009 hätten nicht vorgelegen. Dafür fehle es schon an dringlichen und zwingenden Gründen, die die Klägerin nicht habe voraussehen können oder welche dazu geführt hätten, dass vorgeschriebene Fristen nicht hätten eingehalten werden können. Der Widerruf sei auch nicht verfristet erfolgt. § 48 Abs. 4 VwVfG werde durch Art. 5 VO (EU) Nr. 65/2011 im Wege des direkten Vollzugs von Unionsrecht verdrängt. Sei der Zuwendungsbescheid zu Recht teilweise widerrufen worden, bestehe insoweit auch keine Rechtsgrundlage für ein Behaltendürfen der Fördermittel i. H. v. 178.602,48 Euro. Die Klägerin könne sich auch nicht auf Art. 5 Abs. 3 VO (EU) Nr. 65/2011 berufen. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift sei nur eröffnet, wenn die Bewilligung der Zuwendung von einer Fehlvorstellung geleitet werde und diese dem Verantwortungsbereich der Behörde zuzurechnen sei, also insbesondere nicht auf unzutreffenden Angaben oder Unregelmäßigkeiten des Zuwendungsempfängers beruhe, wie dies vorliegend der Fall sei. Das Verwaltungsgericht habe schließlich auch zutreffend die Rechtmäßigkeit der Sanktionierung der Klägerin nach Art. 30 Abs. 1 und 3 VO (EU) Nr. 65/2011 i. V. m. § 1 Abs. 4 SächsFöpLEDG in Höhe von 182.078,39 Euro bestätigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 26. Februar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. März 2017, mit dem der Zuwendungsbescheid vom 26. September 2011 - in Gestalt seiner Änderungsbescheide vom 22. März, 17. September, 25. September, 19. Dezember 2012, 25. Oktober 2013 und 11. März 2014 sowie der Festsetzungsbescheide vom 14. Dezember 2012, 30. Oktober 2013 und 11. September 2014 - teilweise widerrufen wurde, und die Klägerin zur Rückerstattung zu Unrecht gezahlter Fördermittel in Höhe von 178.602,48 Euro sowie zur weiteren sanktionierenden Rückerstattung der Zuwendung in Höhe von 182.078,39 Euro aufgefordert wird (insgesamt 360.680,87 Euro), ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der teilweise Widerruf des Zuwendungsbescheids ist rechtmäßig.
Der teilweise Widerruf des Zuwendungsbescheides kann entgegen der Ansicht des Beklagten nicht auf Art. 5 Abs. 1 VO (EU) Nr. 65/2011 gestützt werden, wonach der Begünstigte bei zu Unrecht gezahlten Beträgen zur Rückzahlung dieser Beträge zuzüglich Zinsen verpflichtet ist. Diese Vorschrift spricht lediglich von einer Verpflichtung zur Rückzahlung zu Unrecht gezahlter Beträge, jedoch enthält sie keine verfahrensrechtliche Ermächtigung der nationalen Behörden zur Aufhebung von Zuwendungsbescheiden und zum Erlass von Rückforderungsbescheiden (vgl. BVerwG, Urt. v. 1 Oktober 2014 - 3 C 31.13 -; v. 26. August 2009 - 3 C 15.08 -; BayVGH, Urt. v. 5. November 2013 - 19 B 09.1559 -). Rechtsgrundlage ist daher § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwVfG (hier und im Folgenden: i. V. m. § 1 Satz 1 SächsVwVfZG), wonach ein rechtmäßiger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden kann, wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat (Auflagenverstoß). Diese Voraussetzungen liegen vor.
a) Entgegen der Berufung bedurfte es keines gesonderten Widerrufs der Festsetzungsbescheide vom 14. Dezember 2012, 30. Oktober 2013 und 11. September 2014. Gegenstand des Widerrufs ist der Zuwendungsbescheid in der Gestalt, die er durch die Änderungsbescheide, aber auch durch die Festsetzungsbescheide erhalten hat. Diese bilden mit dem Zuwendungsbescheid eine Einheit, was sich schon aus dem eindeutigen Inhalt der einzelnen Festsetzungsbescheide ergibt, wonach diese den Zuwendungsbescheid vom 26. September 2011 "ergänzen und dieser im Übrigen unberührt bleibt".
b) Das Verwaltungsgericht hat zutreffend einen Auflagenverstoß festgestellt. Der Beklagte durfte den Zuwendungsbescheid teilweise widerrufen, da die Klägerin die mit dem Zuwendungsbescheid verbundene Auflage i. S. v. § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwVfG in Nr. 4.1 NB-ELER nicht erfüllt hat.
aa) Die Nebenbestimmung Nr. 4.1 Satz 1 NB-ELER enthält eine Auflage i. S. v. § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwVfG, da der Klägerin als Zuwendungsempfängerin und damit als Begünstigter i. S. v. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG ein Tun vorgeschrieben wird. Ist der Zuwendungsempfänger aufgrund von §§ 98 ff. GWB sowie von § 1 Abs. 1 SächsVergabeG in der jeweils geltenden Fassung verpflichtet, die Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) anzuwenden oder andere Vergabebestimmungen einzuhalten, so hat er nach Nr. 4.1 Satz 1 NB-ELER die Einhaltung dieser Zuwendungsvoraussetzung der Bewilligungsbehörde durch die Vorlage der Vergabedokumentation (§ 12 VOF) nachzuweisen. Dem Auflagencharakter steht nicht entgegen, dass die Nebenbestimmung Nr. 3.2 ANBest-K, wonach
"Verpflichtungen des Zuwendungsempfängers, aufgrund von §§ 98 ff. des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung - VgV) die Abschnitte 2 ff. VOB/A bzw. der VOL/A oder die Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) anzuwenden oder andere Vergabebestimmungen einzuhalten, unberührt bleiben",
von der Rechtsprechung nicht als Auflage, sondern als bloßer Hinweis angesehen wird (vgl. SächsOVG Urt. v. 11 Juli 2017 - 1 A 140/16 -; VGH BW, Urt. v. 17. Oktober 2013 - 9 S 123/12 -, m. w. N.). Denn im Unterschied zu Nr. 3.2 ANBest-K wird dem Zuwendungsempfänger in Nr. 4.1 Satz 1 NB-ELER ein konkretes Tun 39 auferlegt, weshalb diese Rechtsprechung auf Nr. 4.1 Satz 1 NB-ELER nicht übertragbar ist.
bb) Die Auflage in Nr. 4.1 Satz 1 NB-ELER war wirksam. Es kann dahinstehen, ob die nachträgliche Einführung der NB-ELER durch Änderungsbescheid vom 17. September 2012 mit der darin enthaltenen Auflage Nr. 4.1 Satz 1, der Bewilligungsbehörde im Falle der Vergabe von im Wettbewerbsverfahren zu vergebenden Leistungen eine Vergabedokumentation vorzulegen, im Hinblick auf den von der Klägerin bereits zuvor abgeschlossenen Generalplanervertrag vom 22. Februar 2012 eine unzulässige Rückwirkung beinhaltete. Denn der Änderungsbescheid ist bestandskräftig, weil die Klägerin keinen Widerspruch eingelegt hat. Die nachträgliche Beifügung von Auflagen ist selbstständig anfechtbar; sie stellt sich als teilweiser Widerruf des Zuwendungsbescheids dar (vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 36 Rn. 38; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 25. Aufl. 2024, § 36 Rn. 60). Eine Zustellung des Änderungsbescheids lässt sich den Akten nicht entnehmen. Jedoch kann davon ausgegangen werden, dass er der Klägerin bekanntgegeben wurde, da sie ihn in ihren an den Beklagten gerichteten Schreiben vom 23. September und 24. Oktober 2013 jeweils im Betreff ausdrücklich angeführt hat. Im Übrigen hat die Klägerin im Berufungsverfahren auch nicht mehr an ihrem erstinstanzlichen Vortrag festgehalten, den Änderungsbescheid nicht erhalten zu haben. Somit wurde der Zuwendungsbescheid mit dem Änderungsbescheid rückwirkend um die in Rede stehende Auflage ergänzt, wonach eine Vergabedokumentation für alle Vergaben vorzulegen war, für die ein Wettbewerbsverfahren durchzuführen war.
cc) Die Klägerin wäre aufgrund von § 98 Nr. 1, § 99 Abs. 1 und 4, § 100 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 2005 (BGBl. I S. 2114 - GWB a. F.) i. V. m. § 2 Nr. 2 der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge vom 9. Januar 2001 in der Fassung des Art. 1 Nr. 2 der Verordnung vom 7. Juni 2010 (BGBl. I S. 169 - VgV a. F. -), § 1 Satz 1 und 2 Sächsisches Vergabegesetz vom 8. Juli 2002 (SächsGVBl. S. 218 - SächsVergabeG a. F. -), § 1 Sächsische Vergabedurchführungsverordnung vom 17. Dezember 2002 (SächsGVBl. S. 378; 2003 S. 120), die durch Art. 8 der Verordnung vom 8. Dezember 2009 (SächsGVBl. S. 594, 600; 2010 S. 81) geändert worden ist (SächsVergabeDVO a. F.), § 1, und § 3 Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. November 2009 (Bundesanzeiger Nr. 185a vom 8. Dezember 2009 - VOF 2009 -) zum maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Generalplanervertrags vom 22. Februar 2012 verpflichtet gewesen, die mit dem IB ### vereinbarten freiberuflichen Leistungen im Verhandlungsverfahren mit vorheriger öffentlicher Aufforderung zur Teilnahme (Teilnahmewettbewerb) zu vergeben und der Bewilligungsbehörde hierzu eine Vergabedokumentation i. S. v. § 12 VOF 2009 vorzulegen.
Die im Generalplanervertrag vereinbarten Planungsleistungen überstiegen den für eine Direktvergabe und damit ohne Durchführung eines Teilnahmewettbewerbs mit europaweiter Bekanntmachung maßgeblichen Schwellenwert nach § 2 Nr. 2 VgV a. F. von 193.000,00 Euro. Nach der "Zusammenfassung der Honorarkalkulation Turnhalle" des Generalplanervertrags haben die Vertragsparteien für Planungsleistungen ein Honorar von 224.132,12 Euro (235.928,55 Euro abzgl. 5% Nachlass) vereinbart. Auf den Schwellenwert von 200.000,00 Euro nach § 2 Nr. 2 VgV i. d. F. des Art. 1 Nr. 1 Buchst. a der Fünften Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge vom 14. März 2012 (BGBl. I, S. 488) kann sich die Klägerin nicht berufen, da die Erhöhung des Schwellenwerts nach deren Art. 2 erst am 22. März 2012 und damit erst nach der Leistungsvergabe wirksam wurde. Es kann mit dem Verwaltungsgericht schließlich dahinstehen, ob das Honorar für freiberufliche Leistungen um den Betrag für "Projektsteuerung/Sonderleistungen" in Höhe von 9.780,75 Euro (Position IX der "Zusammenfassung der Honorarkalkulation") zu kürzen und nur ein Betrag von 196.824,49 Euro an tatsächlich vergebenen freiberuflichen Leistungen zu berücksichtigen waren, wie die Klägerin vorgerechnet hat. Denn selbst dieser Betrag übersteigt den maßgeblichen Schwellenwert des § 2 Nr. 2 VgV a. F. von 193.000,00 Euro, bis zu dem eine Vergabe ohne Durchführung eines Teilnahmewettbewerbs zulässig war. Auch dass die Honorarkalkulation Honorare für freiberuflichen Leistungen verschiedener Bauabschnitte ausweist, ändert an diesem Ergebnis nichts. Es kann offenbleiben, ob eine Aufteilung der Leistungen für einzelne Abschnitte auf mehrere Lose, die jeweils die Schwellenwerte unterschreiten, dazu führen würde, dass ein europaweites Vergabeverfahren entbehrlich wäre, oder - weil die Leistungen einen einheitlichen Dienstleistungsauftrag bilden (vgl. EuGH, Urt. v. 15. März 2012 - C 574/10 -, NZBau 2012, 311) - gleichwohl ein Vergabeverfahren mit Teilnahmewettbewerb durchzuführen wäre. Die Klägerin hat die Leistungen für die Abschnitte hier einheitlich vergeben. Entschließt sich ein öffentlicher Auftraggeber, sämtliche freiberuflichen Leistungen an einen Auftragnehmer zu vergeben, kommt es für die Berechnung des Schwellenwertes jedenfalls auf die Auftragssumme aller vereinbarten freiberuflichen Leistungen an. Auch kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass sie von der Ingenieurkammer Sachsen im Hinblick auf die Notwendigkeit der Durchführung eines Teilnahmewettbewerbs falsch beraten wurde, da allein sie als Zuwendungsempfängerin für die Einhaltung der Vergabevorschrift in der Verantwortung steht.
Entgegen der Berufungsbegründung war die Durchführung eines Teilnahmewettbewerbs nicht schon deswegen entbehrlich, weil das IB ### von der Klägerin bereits im Generalplanvertrag 2004 mit Planungsleistungen für die Mittelschule ### beauftragt war. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Generalplanvertrag 2004 durch den Generalplanervertrag vom 22. Februar 2012 nicht lediglich "aktualisiert" wurde, wie die Berufung vorträgt. Eine Aktualisierung ergibt sich weder aus dem Wortlaut der beiden Verträge noch aus ihrem Inhalt. Gegenstand des Generalplanvertrags vom 30. April 2004 sind Architektenleistungen für die Baumaßnahme "Sanierung, Umbau und Erweiterung der Mittelschule ###" (§ 1 Nr. 1.1 Generalplanvertrag), wobei sich die Gesamtbaumaßnahme in drei Abschnitte gliederte und lediglich der 2. Bauabschnitt die Turnhalle betraf, die unter den Bauabschnitt "Sanierung Turnhalle sowie Sanierung und Erweiterung des westlichen Seitenflügels" fiel (§ 1 Nr. 1.2.2 Generalplanvertrag). Dagegen regelt der Generalplanervertrag vom 22. Februar 2012 nicht die Sanierung, sondern die Errichtung einer Turnhalle, also ihren Neubau, sowie die Errichtung von Außensportflächen (§ 1 Generalplanervertrag). Selbst die Klägerin scheint im Übrigen davon ausgegangen zu sein, dass mit dem Generalplanervertrag ein "gesonderter Planvertrag" mit dem IB ### abgeschlossen worden ist, wie aus dem Schreiben des Bürgermeisters der Klägerin an den Beklagten vom 12. Dezember 2014 hervorgeht.
Ein öffentliches Vergabeverfahren war auch nicht nach § 3 Abs. 4 Buchst. c VOF 2009 entbehrlich. Danach können die Auftraggeber Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben, soweit dies unbedingt erforderlich ist, wenn aus dringlichen zwingenden Gründen, die die Auftraggeber nicht voraussehen konnten, die vorgeschriebenen Fristen nicht eingehalten werden können. Eine solche Ausnahme lag nicht vor. Wie schon der Wortlaut der Vorschrift (dringliche zwingende Gründe) nahelegt, ist sie wegen ihrer erheblichen wettbewerbsbeschränkenden Wirkung als Ausnahmetatbestand sehr restriktiv auszulegen. Insbesondere dürfen die Umstände, die eine zwingende Dringlichkeit begründen, auf keinen Fall dem Verhalten der Auftraggeber zuzuschreiben sein (vgl. OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14. März 2014, - 2 Verg 1/14 -). Im vorliegenden Fall bestanden solche dringlichen zwingenden Gründe nicht. Auch hätte die Klägerin einen Antrag bei der Bewilligungsbehörde auf Verlängerung des Bewilligungszeitraums stellen können, um einen Teilnahmewettbewerb durchzuführen. Zwischen der Bekanntgabe des Zuwendungsbescheids vom 26. September 2011 und dem Abschluss des Generalplanervertrags vom 22. Februar 2012 verblieben der Klägerin zudem viereinhalb Monate Zeit. Selbst wenn man einen Fall besonderer Dringlichkeit unterstellt, hätte die Klägerin in dieser Zeitspanne ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, gegebenenfalls mit verkürzten Fristen nach § 7 Abs. 2 VOF (beschleunigtes Verfahren), durchführen können, worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen hat.
c) Die Jahresfrist nach § 49 Abs. 3 Satz 2, § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG steht dem teilweisen Widerruf des Zuwendungsbescheids in Gestalt der Änderungs- und Festsetzungsbescheide nicht entgegen. Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche den Widerruf eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist der Widerruf danach nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig.
Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf, dass dem Beklagten der Abschluss des Generalplanervertrages vom 22. Februar 2012 spätestens seit Vorlage des Auszahlungsantrags Nr. 1 vom 30. September 2012 bekannt sein musste, da dieser unter anderem die Rechnung des IB ### vom 13. September 2012 umfasst habe. Der Beklagte habe die Auszahlung auf diesen Auszahlungsantrag hin vorgenommen, obwohl ihr keine Vergabeunterlagen vorlagen.
Hier kann dahinstehen, ob die Anwendung von § 49 Abs. 3 Satz 2, § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ausgeschlossen ist, weil Art. 5 Abs. 3 VO (EU) Nr. 65/2011 insoweit eine abschließende Regelung enthält, wofür Satz 2 der Vorschrift sprechen könnte (vgl. allgemein zu Art. 73 VO [EG] Nr. 796/2004: BVerwG, Urt. v. 1. Oktober 2014 - 3 C 31.13 -). Denn die Jahresfrist beginnt jedenfalls erst mit der vollständigen Kenntnis von dem jeweiligen Widerrufsgrund und den für die Widerrufsentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen zu laufen. Diese für die Ausübung des Rücknahme- oder Widerrufsermessens maßgebliche Kenntnis erlangt die Behörde regelmäßig nur infolge einer - mit einer angemessenen Frist zur Stellungnahme verbundenen - Anhörung des Betroffenen. Erst mit der Stellungnahme des Betroffenen im Anhörungsverfahren erhält die Behörde Kenntnis von den Umständen, die gegebenenfalls bei ihrer Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind, jedenfalls aber die Gewissheit, dass Ihre bisherige Kenntnis vollständig ist (BVerwG, Urt. v. 25. Mai 2022 - 8 C 11.21 -). Im Streitfall ging dem Beklagten die Stellungnahme der Klägerin im Anhörungsverfahren erst am 18. Dezember 2014 zu. Selbst wenn man mit der Klägerin davon ausginge, dass § 48 Abs. 4 VwVfG nicht von Art. 5 Abs. 3 VO (EU) Nr. 65/2011 verdrängt wird, wäre die Jahresfrist des § 49 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 48 Abs. 4 VwVfG vom Beklagten mit Erlass des Widerrufs- und Erstattungsbescheids vom 26. Februar 2015 gewahrt.
d) Die Ermessensausübung des Beklagten zum Teilwiderruf des Zuwendungsbescheids ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht, soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
Die Klägerin verkennt die Besonderheiten, die sich im vorliegenden Fall aus der Anwendbarkeit der Grundsätze über das gelenkte bzw. intendierte Ermessen ergeben. Sie besagen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, folgendes: Ist eine ermessenseinräumende Vorschrift dahin auszulegen, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht, so müssen besondere Gründe vorliegen, um eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (vgl. z. B. BVerwG, Urt. v. 16. Juni 1997 - 3 C 22.96 -).
Von diesen Grundsätzen ausgehend, begegnet die vom Beklagten an der Förderrichtlinie orientierte Ermessensausübung des Beklagten keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Mit dem in Teil I Nr. 2.5.1 Abs. 5 Satz 3 RL ILE/2007 im Abschnitt "Beachtung von Vergabevorschriften" zum Ausdruck kommenden Ermessensrahmen, wonach der Zuwendungsbescheid im Falle eines schweren Vergabeverstoßes "unter Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalls", also im Regelfall, widerrufen "wird", hat der Richtliniengeber das in § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwVfG eingeräumte Widerrufsermessen in zulässiger Weise konkretisiert (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2013 - 3 B 68.12 -).
Die öffentliche Ausschreibung ist nach § 3 Abs. 1 VOF 2009 die Regelvergabeart, von der abzuweichen besondere Sachgründe erfordert. Ihr Vorrang vor anderen Vergabearten verfolgt den Zweck, einen möglichst breiten und transparenten Wettbewerb zu schaffen und damit sicherzustellen, dass der im Sinne der Ausschreibung günstigste Anbieter den Zuschlag erhält. Zuwendungen der öffentlichen Hand werden regelmäßig - so auch hier - mit einer Verpflichtung des Zuwendungsempfängers zur Einhaltung dieser Bestimmung verbunden, weil auf diesem Wege gewährleistet werden kann, dass bei der Verwendung der Zuwendungen das haushaltsrechtliche Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit eingehalten wird. Ausgehend davon liegt es nahe, einen Verstoß gegen die Bestimmungen über die Vergabeart wegen der damit regelmäßig verbundenen Gefährdung der genannten Haushaltsgrundsätze im Regelfall als schwerwiegend einzuordnen (BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2013 - 3 B 68.12 -).
Davon ausgehend durfte der Beklagte bei der Ermessensausübung auf Grundlage der ermessenslenkenden Vorschriften der Förderrichtlinie Integrierte Ländliche Entwicklung und der Nebenbestimmungen für ELER finanzierte Maßnahmen nach der Richtlinie ILE/2011 von einem schweren Vergabeverstoß ausgehen. Gemäß Nr. 2.5.1 Abs. 6 Buchst. a RL ILE 2007 ist ein schwerer Vergabeverstoß insbesondere die Unterlassung einer europaweiten Ausschreibung trotz Überschreiten des Schwellenwertes.
Nach Nr. 4. 3 Buchst. a NB-ELER liegt ein schwerer Vergabeverstoß im förmlichen Vergabeverfahren bei der Wahl der falschen Vergabeart vor, wenn z. B. trotz Verpflichtung keine EU-weite Ausschreibung erfolgt, sowie nach Nr. 4.3 Buchst. b NB-ELER bei Durchführung einer freihändigen Vergabe oder einer beschränkten Ausschreibung ohne Vorliegen der dafür notwendigen Voraussetzungen. Die Vergabe der freiberuflichen Leistungen an das IB ### stellt sich nach allen Alternativen als schwerer Vergabeverstoß dar. Denn die Klägerin hat diese freiberuflichen Leistungen entgegen § 3 Abs. 1 VOF 2009 nicht aufgrund eines Verhandlungsverfahrens mit vorheriger öffentlicher Aufforderung zur Teilnahme (Teilnahmewettbewerb), sondern auf direktem Wege vergeben. Sie hat die falsche Vergabeart gewählt und überhaupt keine Ausschreibung durchgeführt.
Es liegt auf der Hand, dass bei dieser Vergabeform regelmäßig die haushaltsrechtlichen Gebote der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit berührt sind, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass im Falle der Vergabe aufgrund eines Wettbewerbs ein günstigeres Angebot hätte berücksichtigt werden können. Die instabile Haushaltslage der Klägerin stellt keine Ausnahme dar, die eine Abweichung rechtfertigt. Zutreffend hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass nach Unionsrecht maßgeblich auf den Grad des Verschuldens, nicht aber die jeweilige Haushaltslage des Begünstigten abzuheben sei. Dagegen gibt es nichts zu erinnern.
Entgegen der Berufungsbegründung hat die Bewilligungsbehörde im Rahmen der Ermessensausübung nicht festzustellen, ob der Vergabeverstoß einen Schaden für den Gesamthaushalt der Europäischen Union bewirkt hat. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 6. Dezember 2017 - Rs. C-408/16 -, Rn. 61; Urt. v. 14. Juli 2016 - C-406/14 -, Rn. 45) darf nur nicht ausgeschlossen sein, dass der Verstoß Auswirkungen auf den Haushalt des betreffenden Fonds haben könnte. Solche Auswirkungen können bei dem in Rede stehenden Verstoß der direkten Vergabe von freiberuflichen Leistungen nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Hätte die Klägerin die freiberuflichen Leistungen auf Grundlage eines Teilnahmewettbewerbs vergeben, hätte sie möglicherweise ein günstigeren Vertag abgeschlossen mit der Folge, dass weniger Fördermittel angefallen wären.
2. Die teilweise Rückforderung der Fördermittel und deren Verzinsung (a) sowie die Sanktionierung der Klägerin (b) sind gerechtfertigt.
Die Neufestsetzung der Zuwendung (Nr. 1 des Widerspruchsbescheids), die Berechnung des Rückerstattungsbetrags von 178.602,48 Euro sowie der weiteren Kürzung (Sanktionierung) in Höhe von 182.078,39 Euro, die zusammen eine Rückforderung von 360.680,87 Euro ergeben, stehen zwischen den Beteiligten der Höhe nach zu Recht nicht in Streit.
a) Rechtsgrundlage für die Rückforderung der zu Unrecht ausgezahlten Fördermittel ist Art. 5 Abs. 1 VO (EU) Nr. 65/2011 i. V. m. § 49a Abs. 1 VwVfG und für die Verzinsung Art. 5 Abs. 2 VO (EU) Nr. 65/2011 i. V. m. § 49a Abs. 2 VwVfG. Nach Art. 5 Abs. 1 VO (EU) Nr. 65/2011 ist der Begünstigte bei zu Unrecht gezahlten Beträgen zur Rückzahlung dieser Beträge zuzüglich der gemäß Abs. 2 dieses Artikels bezeichneten Zinsen verpflichtet. Die Verpflichtung zur Rückzahlung gemäß Art. 5 Abs. 1 VO (EU) Nr. 65/2011 gilt jedoch nach dessen Abs. 3 Unterabs. 1 dann nicht, wenn die Zahlung auf einen Irrtum der zuständigen Behörde oder einer anderen Behörde zurückzuführen ist, der vom Begünstigten billigerweise nicht erkannt werden konnte. Bezieht sich der Irrtum auf Tatsachen, die für die Berechnung der betreffenden Zahlung relevant sind, so gilt Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 VO (EU) Nr. 65/2011 nach der "Rückausnahme" des Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 2 VO (EU) Nr. 65/2011 jedoch nur, wenn der Rückforderungsbescheid nicht innerhalb von zwölf Monaten nach der Zahlung übermittelt worden ist.
Anders als die Klägerin meint, steht die Rückforderung nicht im Ermessen der Behörde. Die Pflicht zur Rückzahlung ist unionsrechtlich vorgegeben (vgl. Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 VO [EU] Nr. 65/2011) und bindet insoweit das Ermessen der Behörde (OVG NRW, Beschluss vom 27. August 2020 - 12 A 4121/18 -). Sind Beträge - wie hier - zu Unrecht gezahlt worden, ist der Begünstige zur Rückzahlung verpflichtet.
Dass der Rückforderungsbescheid nicht innerhalb von zwölf Monaten nach allen Auszahlungen bekannt gegeben wurde, steht der aus Art. 5 Abs. 1 VO (EU) Nr. 65/2011 folgenden Verpflichtung der Klägerin auf Rückzahlung der zu Unrecht gezahlten Beträge nicht entgegen. Soweit sich die Klägerin auf Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 2 VO (EU) Nr. 65/2011 beruft, verkennt sie, dass diese Vorschrift eine Rückausnahme von Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 VO (EU) Nr. 65/2011 regelt. Die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Rückforderung nach Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 VO (EU) Nr. 65/2011 liegen - soweit der Rückforderungsbescheid nicht innerhalb von zwölf Monaten nach der jeweiligen Zahlung übermittelt worden ist - jedoch nicht vor. Eine Zahlung ist dann im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 VO (EU) Nr. 65/2011 auf einen Irrtum der zuständigen Behörde zurückzuführen, wenn die Bewilligung der Zuwendungen von einer Fehlvorstellung geleitet war und diese dem Verantwortungsbereich der Behörde zuzurechnen ist, also insbesondere nicht auf unzutreffende Angaben oder Unregelmäßigkeiten des Zuwendungsempfängers beruht (BVerwG, Urt. v. 16. September 2015 - 3 C 11.14 -). Hier kann dahinstehen, ob der Beklagte bei der Auszahlung auf den ersten Auszahlungsantrag der Klägerin hin von einer Fehlvorstellung geleitet war. Denn jedenfalls lag diese nicht im Verantwortungsbereich der Behörde. Die Auszahlung der Zuwendung war vielmehr auf Unregelmäßigkeiten zurückzuführen, die in der Sphäre der Klägerin liegen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, hätte es der Klägerin als öffentlicher Auftraggeberin oblegen, beim Überschreiten der Schwellenwerte ein förmliches Vergabeverfahren durchzuführen. Zudem hätte es ihr nach der Förderrichtlinie oblegen, der Bewilligungsbehörde bei der Auszahlung Vergabeunterlagen vorzulegen. Diesen Verpflichtungen ist sie nicht nachgekommen.
b) Die Klägerin hat auch die weitere Kürzung der Zuwendung (Sanktionierung) hinzunehmen. Sie beruht auf Art. 30 Abs. 1 Unterabs. 3 VO (EU) Nr. 65/2011.
Nach Art. 30 Abs. 1 Unterabs. 1 VO (EU) Nr. 65/2011 werden die Zahlungen auf der Grundlage des Betrags berechnet, der bei den Verwaltungskontrollen - hier: der stichprobenartigen Verwaltungskontrolle durch die Bestätigende Stelle (SMUL) - für fördererfähig befunden wurde. Art. 30 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 VO (EU) Nr. 65/2011 prüft der Mitgliedstaat den vom Begünstigten erhaltenen Zahlungsantrag und setzt die förderfähigen Beträge fest. Nach Art. 30 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 2 VO (EU) Nr. 65/2011 setzt die Bewilligungshörde außerdem Folgendes fest: Den dem Begünstigten ausschließlich auf der Grundlage des Zahlungsantrags zu zahlenden Betrag (a) sowie den dem Begünstigten nach Prüfung der Förderfähigkeit des Zahlungsantrags zu zahlenden Betrag (b). Übersteigt der gemäß Buchstabe a ermittelte Betrag den gemäß Buchstabe b ermittelten Betrag um mehr als 3%, so wird der gemäß Buchstabe b ermittelte Betrag gemäß Art. 30 Abs. 1 Unterabs. 3 Satz 1 VO (EU) Nr. 65/2011 gekürzt. Die Kürzung beläuft sich gemäß Art. 30 Abs. 1 Unterabs. 3 Satz 2 VO (EU) Nr. 65/2011 auf die Differenz zwischen diesen beiden Beträgen. Gemäß Art. 30 Abs. 1 Unterabs. 4 VO (EU) Nr. 65/2011 wird jedoch keine Kürzung vorgenommen, wenn der Begünstigte nachweisen kann, dass er für die Angabe des nicht förderfähigen Betrages nicht verantwortlich ist.
Nach den von der Klägerin zu Recht nicht infrage gestellten Berechnungen des Beklagten übersteigt der gemäß Art. 30 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a VO (EU) Nr. 65/2011 den gemäß Art. 30 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. b VO (EU) Nr. 65/2011 ermittelten Betrag um mehr als 3% und lagen somit die Voraussetzungen für eine über die Rückzahlung von zu Unrecht gezahlten Beträgen (Art. 5 Abs. 1 VO [EU] Nr. 65/2011) hinausgehende weitere Kürzung der Zuwendung vor.
Die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Kürzung liegen nicht vor, da die Klägerin nicht nachweisen kann, dass sie für die Angabe des nicht förderfähigen Betrages i. S. v. Art. 30 Abs. 1 Unterabs. 4 VO (EU) Nr. 65/2011 nicht verantwortlich ist. Nach dieser Vorschrift kommt es unionsrechtlich maßgeblich darauf an, ob die Zahlungen der Beträge wegen eines (vorwerfbaren) Fehlverhaltens des Begünstigten zu Unrecht ausgezahlt wurden. Die Klägerin kann sich folglich nicht darauf berufen, dass sie nur zur Rückerstattung verpflichtet gewesen, aber nicht sanktioniert worden wäre, wenn der Beklagte die mangelnde Vorlage der Vergabedokumentation rechtzeitig erkannt und die Auszahlungen nicht vorgenommen hätte. Die Nichterfüllung der Auszahlungsvoraussetzung "Vorlage der Vergabedokumentation" fällt allein in die Sphäre der Klägerin. Die Klägerin war für die Angabe der nicht förderfähigen Beträge in ihren Auszahlungsanträgen i. S. v. Art. 30 Abs. 1 Unterabs. 4 VO (EU) Nr. 65/2011 verantwortlich. Soweit die Auszahlungen freiberufliche Leistungen des IB ### betrafen, hätte die Klägerin erkennen müssen, dass ihr mangels Vorlage der Vergabedokumentation kein Auszahlungsanspruch zustand.
Anders als die Berufung meint, steht die Entscheidung über die Festsetzung einer weiteren Kürzung (Sanktionierung) nach Art. 30 Abs. 1 Unterabs. 3 VO (EU) Nr. 65/2011 nicht im Ermessen der Behörde. Wie die Verpflichtung zur Rückzahlung bei zu Unrecht gezahlten Beträgen nach Art. 5 Abs. 1 VO (EU) Nr. 65/2011 sind auch Kürzungen nach Art. 30 VO (EU) Nr. 65/2011 unionsrechtlich vorgegeben und stehen nicht im Ermessen der Behörde. Liegen die Voraussetzungen dieser Vorschrift vor, so "wird" der gemäß Art. 30 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. b VO (EU) Nr. 65/2011 ermittelte Betrag gekürzt. Die Klägerin kann sich daher nicht darauf berufen, dass sie über keine Rechtsabteilung verfüge, keinen Volljuristen beschäftigt gehabt habe und von der Ingenieurkammer Sachsen über die Notwendigkeit der Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens im Hinblick auf die Planungsleistungen, die Gegenstand des Generalplanervertrags vom 22. Februar 2012 waren, falsch beraten wurde. Auch ihre - zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Rückforderung - labile Haushaltslage rechtfertigt keine andere Beurteilung.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Kein Vertragsschluss bei Zuschlag mit Änderungen!
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OLG Naumburg
Beschluss
vom 11.10.2024
6 Verg 2/24
1. Vergaberechtsschutz wird grundsätzlich nur in einem bereits begonnenen und noch laufenden Vergabeverfahren gewährt. Ein wirksam erteilter Zuschlag kann von der Nachprüfungsinstanz nicht aufgehoben werden. Die Bieter können jedoch die Unwirksamkeit eines öffentlichen Auftrags feststellen lassen.
2. Ein Zuschlagsschreiben, dem als Anlage eine (hier: Rahmen-)Vertragsvereinbarung mit Änderungen gegenüber dem Entwurf beigefügt ist, führt nicht zum Vertragsschluss. Ein solches Schreiben ist als Ablehnung des Angebots verbunden mit der Unterbreitung eines neuen Angebots zu verstehen (sog. modifizierter Zuschlag), das wiederum vom Bieter anzunehmen ist.
3. Die Erteilung eines modifizierten Zuschlags ist vergaberechtswidrig, weil Verhandlungen über den Inhalt der abzuschließenden Vereinbarung nach der Vorlage des endgültigen Angebots nicht mehr zulässig sind. Dieser Vergabeverstoß führt aber nicht zur Unwirksamkeit des Vertragsschlusses.
vorhergehend:
OLG Naumburg, 02.09.2024 - 6 Verg 2/24
VK Sachsen-Anhalt, 14.06.2024 - 2 VK LSA 10/24
VK Sachsen-Anhalt, 14.06.2024 - 2 VK LSA 12/24
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt vom 14. Juni 2024 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen des Antragsgegners zu tragen. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf eine Wertstufe bis zu 65.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
A.
Der Antragsgegner, eine Mittelbehörde des Landes, leitete am 01.08.2023 durch Absendung des Textes der am 04.08.2023 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Auftragsbekanntmachung ein Verhandlungsverfahren mit vorherigem Teilnahmewettbewerb zur Vergabe von Rahmenvereinbarungen über Ingenieurleistungen, betreffend die baufachlichen Prüfungen bei Zuwendungen für Baumaßnahmen im Land Sachsen-Anhalt gemäß den Baufachlichen Ergänzungsbestimmungen zu den Verwaltungsvorschriften zu § 44 LHO (ZBau) ein. Der Auftrag mit einer geschätzten Netto-Auftragssumme von 9,6 Millionen Euro war in drei Lose unterteilt; dabei betrafen das Los 1 den Bereich der Wasserversorgungsanlagen, das Los 2 den Bereich der Abwasseranlagen und das Los 3 den Bereich der Energieanlagen. Die Rahmenvereinbarungen sollten jeweils eine Laufzeit vom 01.02.2024 bis zum 31.01.2027 (d.h. jeweils von drei Jahren) haben, wobei jeweils eine Verlängerungsoption für ein Jahr vorgesehen war. Als alleiniges Zuschlagskriterium wurde der Preis benannt. In der Bekanntmachung (in Abschnitt IV.1.3) war aufgeführt, dass sie den Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit mehreren Wirtschaftsteilnehmern betraf.
Im Anschreiben mit der Aufforderung zur Teilnahme am Wettbewerb vom 01.08.2023 wurde darauf hingewiesen, dass zwar nach § 8 TVergG LSA das Bestbieterprinzip gelte, dass die Bewerber die erforderlichen Nachweise aber auch bereits mit dem Teilnahmeantrag einreichen könnten.
Im Rahmen der Beschreibung des Auftragsumfangs informierte der Antragsgegner darüber, dass er von einem durchschnittlichen Aufwand von ca. 800 bis 1.000 Personentagen (PT = 8 Ingenieurstunden) pro Jahr über alle Lose ausgehe. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seien bereits neun Vorhaben für die ausgeschriebene baufachliche Prüfung bekannt. Seitens des Auftraggebers bestehe keine Mindestabnahmeverpflichtung der Leistung; die bezifferten Angaben dienten allein der groben Bestimmung der Größenordnung des Gesamtauftrags. Es folgte eine tabellarische Aufstellung des losweisen geschätzten Aufwands sowie des Jahresgesamtaufwands und des Gesamtaufwands über die gesamte Laufzeit in Personentagen sowie jeweils auch Angaben zu den Höchstmengen der Personentage (je Los und Jahr 500 PT). Es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass jeder Bieter auf ein, mehrere oder alle Lose anbieten könne (d.h. keine Angebotslimitierung). Den Vergabeunterlagen war ein Entwurf der Rahmenvereinbarung beigefügt.
Innerhalb der bis zum 04.09.2023 laufenden Teilnahmefrist gingen zwei Teilnahmeanträge ein, und zwar von der Antragstellerin und von der Beigeladenen. Beide Bewerber wurden vom Antragsgegner zuletzt als geeignet angesehen und zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert, wobei die Angebotsfrist am 11.12.2023, 10:00 Uhr endete.
Der Antragsgegner führte jeweils ein Bietergespräch mit jedem Teilnehmer, am 20.10.2023 das Gespräch mit der Antragstellerin. Nach dem Inhalt der vom Antragsgegner gefertigten Niederschriften zu diesen Gesprächen wies der Antragsgegner die Antragstellerin bzw. die Beigeladene jeweils darauf hin, dass es allgemein und auch durch mehrere Vertragspartner zu Interessenkonflikten kommen könne, welche vom jeweils beliehenen Dritten zu beachten seien; insoweit solle eine "Befangenheitsklausel" in der Rahmenvereinbarung nachgetragen werden. Es sei eine Prüfung notwendig, ob durch mögliche Befangenheit des Erstplatzierten ggf. ein zweiter beliehener Dritter gefunden werden sollte, um bei Befangenheit des Erstplatzierten reagieren zu können. In den Gesprächen wurde jeweils weiter darauf hingewiesen, dass alle Fördervorhaben durch den Landesrechnungshof geprüft würden. Im Gespräch mit der Antragstellerin wurde ausweislich der Niederschrift auf deren Nachfrage mitgeteilt, dass eine genaue Anzahl der Fördervorhaben nicht genannt werden könne, weswegen auch keine Mindestabnahmemenge in PT garantiert werden könne. Womöglich kämen jedoch weitere Förderfonds hinzu.
Beide Teilnehmer beteiligten sich jeweils mit einem Hauptangebot für jedes Los. Die Hauptangebote der Beigeladenen jeweils vom 08.12.2023 waren jeweils preisgünstiger als die Hauptangebote der Antragstellerin jeweils vom 11.12.2023. Die Beigeladene erklärte jeweils unter dem 22.01.2024 die Verlängerung der Bindefrist ihrer Hauptangebote jeweils vom 08.12.2023 bis zum 16.02.2024.
In seinem Vergabevermerk "Entscheidung über den Zuschlag" (Formblatt 331 VHB - Bund -) gab der Antragsgegner an, dass der Auftrag für sämtliche Lose jeweils sowohl auf das Hauptangebot der Beigeladenen als auch auf das Hauptangebot der Antragstellerin erteilt werden solle. Der Antragsgegner informierte jeden der beiden Bieter jeweils am 31.01.2024 unter Verwendung eines entsprechenden Formblatts darüber, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag auf seine Hauptangebote zu erteilen. Aus den Vorabinformationsschreiben ging jeweils nicht hervor, dass der Zuschlag auf beide Hauptangebote je Los erteilt werden sollte und in welchem Rangverhältnis die bezuschlagten Hauptangebote zueinander standen.
Über die Vergabeplattform übersandte der Antragsgegner an beide Bieter mit gleichlautenden Schreiben vom 09.02.2024 ein Zuschlagsschreiben (Formblatt 328 VHB), bezogen auf die Hauptangebote zu allen drei Losen, mit Anlagen, darunter mit einer "finalen Rahmenvereinbarung mit Änderungen zum Entwurf", welche sich auf den Auftrag zu Los 1 bezog. In der vorgenannten Rahmenvereinbarung wurde der Gegenstand der Vereinbarung neu beschrieben: statt
"für Investitionsvorhaben, welche mit Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW) sowie des Just Transition Fund (JTF) gefördert werden ..."
lautete es nunmehr
"für Investitionsvorhaben, welche mit Mitteln des Landes gefördert werden ...".
Die weiteren Änderungen betrafen insbesondere die Modalitäten zur Abrechnung der Einzelaufträge, den zu gewährleistenden Datenschutz sowie Prüfungsrechte des Landesrechnungshofes. Mit § 11 wurde zusätzlich eine Regelung für den Umgang mit Interessenkonflikten des Auftragnehmers aufgenommen. Das Zuschlagsschreiben enthielt keine Information darüber, dass der Zuschlag jeweils auf zwei Hauptangebote unterschiedlicher Bieter erteilt wurde.
Auf Nachfrage der Antragstellerin teilte der Antragsgegner per E-Mail vom 12.02.2024 mit, dass die Rahmenvereinbarungen zu den Losen 2 und 3 ebenfalls dem Muster entsprechend abgeändert seien und auf dem Postweg übersandt werden. Zugleich übersandte der Antragsgegner einen Entwurf zu Anlage 2 der Rahmenvereinbarungen. Diese Anlage betraf eine Checkliste über Leistungen zur Bearbeitung der baufachlichen Prüfung nach ZBau mit einer Aufstellung von Leistungsphasen mit den jeweils zu erbringenden Teilleistungen und einer Zuordnung des prozentualen Anteils des Honorars zu jeder Teilleistung. Mit E-Mail vom selben Tage zeigte die Antragstellerin bezüglich dieser Anlage 2 einen Gesprächs- und Klärungsbedarf an, den sie mit weiteren E-Mails konkretisierte. Mit E-Mail vom 27.02.2024 modifizierte der Antragsgegner die Anlage 2 dahin, dass erbrachte Teilleistungen auch auf der Grundlage von Tages- bzw. Stundensätzen abgerechnet werden können.
Auf Nachfrage der Antragstellerin teilte der Antragsgegner ihr am 29.02.2024 mit, dass der Zuschlag im Vergabeverfahren auf die Angebote mehrerer Bieter erteilt worden sei und dass die Auftragserteilung nach einem Kaskadenverfahren erfolge. Damit meinte sie, dass die Einzelaufträge dem Auftragnehmer mit dem preisgünstigsten Angebot angedient werden und im Falle fehlender Kapazitäten oder im Falle des Vorliegens eines Interessenkonflikts des Erstplatzierten der Einzelauftrag an den weiteren Auftragnehmer erteilt werde.
Die Beigeladene unterzeichnete die Rahmenvereinbarungen für alle drei Lose am 27.02.2024, für den Antragsgegner erfolgte die Unterschriftsleistung jeweils am 04.03.2024. Im Übrigen unterzeichneten Vertreter der Beigeladenen und des Landes am 27.02./05.03.2024 einen Beleihungsvertrag.
Die Antragstellerin rügte mit Schriftsatz vom 05.03.2024, dass der am 09.02.2024 angezeigte Abschluss von - gegenüber den Vergabeunterlagen modifizierten - Rahmenvereinbarungen eine vergaberechtswidrige de facto-Vergabe darstelle. Die Zuschlagserteilung vom 09.02.2024 sei unwirksam, weil sie Änderungen enthalte. Inzwischen seien die Angebote der Bieter erloschen. Das Vergabeverfahren sei intransparent geführt worden, weil der Antragsgegner nicht offengelegt habe, dass er den Abschluss von Rahmenvereinbarungen jeweils mit mehreren Auftragnehmern anstrebe. Es liege nahe, dass eine mangelhafte Dokumentation des Vergabeverfahrens vorliege und der Antragsgegner gegen das Vertraulichkeitsgebot verstoßen habe.
Der Antragsgegner führte am 21.03.2024 und am 16.04.2024 mit der Antragstellerin Gespräche, in denen er seine Motivation für den Abschluss von Rahmenvereinbarungen jeweils mit zwei Auftragnehmern und das Funktionsprinzip der Verteilung der Einzelaufträge erläuterte. Die von der Antragstellerin angestrebte jeweils hälftige Aufteilung der Einzelaufträge könne er nicht zusichern. Nachdem die Antragstellerin ihre Rügen aufrechterhielt, erklärte der Antragsgegner mit Schreiben vom 16.04.2024, dass er diesen Rügen nicht abhelfe.
Die Antragstellerin erhob am 16.04.2024 die Rüge, dass die Vorgehensweise des Antragsgegners gegen das von ihm bekanntgemachte Bestbieterprinzip verstoße. Damit habe er den Eindruck vermittelt, dass ausschließlich dem Bestbieter der Zuschlag erteilt werde. Zudem sei die Vorabinformation über die beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Beigeladene nicht bzw. nicht ordnungsgemäß erfolgt. Der Zuschlag an sie, die Antragstellerin, sei wirtschaftlich wertlos. Der Antragsgegner half den Rügen vom 05.03. und 16.04.2024 jeweils nicht ab und begründete seine Entscheidung mit Schreiben vom 06.05.2024.
Bereits zuvor, am 26.04.2024 wurde die EU-weite Bekanntmachung vergebener Aufträge veröffentlicht, darin waren beide Beteiligte jeweils als Wettbewerbsgewinner sämtlicher Lose aufgeführt.
Mit Schriftsatz vom 29.04.2024 hat die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt mit dem Ziel beantragt,
dass dem Antragsgegner untersagt werden möge, das Vergabeverfahren durch erneute Zuschlagserteilung abzuschließen (Antrag zu Ziffer 1),
hilfsweise für den Fall, dass er den Zuschlag bereits erneut erteilt habe, festzustellen, dass die Antragstellerin durch die de facto-Vergabe in ihren Rechten verletzt und die geschlossenen Verträge unwirksam seien (Antrag zu Ziffer 2),
den Antragsgegner zu verpflichten, bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht die streitgegenständlichen Dienstleistungen nur in einem unionsrechtskonformen Vergabeverfahren zu vergeben (Antrag zu Ziffer 3),
hilfsweise, unabhängig von den Anträgen auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einzuwirken (Antrag zu Ziffer 4),
sowie festzustellen, dass die vergebenen Einzelaufträge an die Beigeladene nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m. § 134 GWB unwirksam seien.
Der Antragsgegner, der Zurückweisung des Nachprüfungsantrags beantragt hat,
hat sich u.a. darauf berufen, dass der Zuschlag am 09.02.2024 sowohl auf das Angebot der Beigeladenen vom 08.12.2023 als auch auf das Angebot der Antragstellerin vom 11.12.2023 jeweils ohne Änderungen erteilt worden sei. Das Zuschlagsschreiben enthalte keinen Verweis auf Änderungen. Bei den Änderungen am Entwurf der Rahmenvereinbarung handle es sich lediglich um unverbindliche Änderungsvorschläge, welche keine inhaltlichen Änderungen darstellten, sondern Klarstellungen und sprachliche Anpassungen. Die einvernehmliche Änderung der ursprünglichen Rahmenvereinbarungen durch die Unterzeichnung der geänderten Rahmenvereinbarungen am 27.02./04.03.2024 seien kein neues (de facto-) Vergabeverfahren, die vorgenommenen Änderungen seien auch nicht wesentlich i.S.v. § 132 GWB.
Der Antragsgegner teilte im Verlaufe des Nachprüfungsverfahrens am 13.05.2024 mit, dass er im Rahmen der geschlossenen Rahmenverträge zwei Einzelaufträge an die Beigeladene vergeben habe.
Der Vorsitzende der Vergabekammer hat die nach § 167 Abs. 1 GWB bis zum 03.06.2024 laufende Entscheidungsfrist mit Verfügung vom 31.05.2024 bis zum 08.07.2024 verlängert.
Die Vergabekammer hat ohne mündliche Verhandlung durch ihren Beschluss vom 14.06.2024 den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin insgesamt als unzulässig zurückgewiesen. Sie stützt ihre Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass die Anträge zu Ziffern 1 und 3 schon nicht statthaft seien, weil ein wirksam erteilter Zuschlag nicht aufgehoben werden dürfe. Die Feststellung der Unwirksamkeit der bereits erteilten Zuschläge sei nicht begehrt worden. Zwar liege mit den Schreiben vom 09.02.2024 keine wirksame Zuschlagserteilung vor, weil der Antragsgegner hiermit die Angebote jeweils nicht angenommen, sondern seinerseits den Abschluss einer geänderten Fassung der Rahmenvereinbarungen angeboten habe. Die Rahmenvereinbarungen seien jedoch durch die jeweilige Annahmeerklärung der Beigeladenen vom 27.02.2024 geschlossen worden. Soweit die Antragstellerin einen Verstoß gegen die Vorabinformationspflicht rüge, fehle es an einer Darlegung des hieraus entstandenen bzw. zu entstehen drohenden Schadens. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Antragstellerin ihr Angebot preisgünstiger kalkuliert und abgegeben hätte, wenn ihr bewusst gewesen wäre, dass die Rahmenvereinbarungen jeweils mit zwei Auftragnehmern geschlossen und die Erteilung der Einzelaufträge nach dem sog. Kaskadenverfahren beabsichtigt sei. Durch den Abschluss der Rahmenvereinbarungen jeweils mit zwei Vertragspartnern sei die Antragstellerin sogar begünstigt, weil sie anderenfalls den Zuschlag nicht erhalten hätte. Es sei auszuschließen, dass die Änderungen der Rahmenvereinbarung die Kalkulation der Antragstellerin nachteilig im Hinblick auf die Zuschlagschance beeinträchtigt hätten. Die Hilfsanträge zu Ziffern 2 und 4 seien mangels Antragsbefugnis unzulässig. Gleiches treffe auf den Antrag zu Ziffer 5 zu.
Gegen diese, ihr am 22.06.2024 zugestellte Entscheidung richtet sich die mit Schriftsatz vom 01.07.2024 erhobene und am selben Tage per beA beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangene sofortige Beschwerde der Antragstellerin.
Die Antragstellerin ist u.a. der Meinung, dass ihr Nachprüfungsantrag entgegen der Auffassung der Vergabekammer zulässig sei, weil es ihr um die Wahrung der sog. "zweiten Chance" im Falle einer Neuausschreibung ginge. Die Zuschlagserteilung des Antragsgegners sei nach §§ 135 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 134 Abs. 1 GWB unwirksam, weil das Vorabinformationsschreiben inhaltlich fehlerhaft gewesen sei. Darüber hinaus lägen weitere zuschlagsrelevante Vergaberechtsfehler vor. Insbesondere sei den Vergabeunterlagen nicht zu entnehmen gewesen, dass die Rahmenvereinbarung mit zwei Vertragspartnern geschlossen werden solle, was automatisch dazu führe, dass beide Vertragspartner nicht alle in den Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung fallenden Einzelaufträge erhielten, sondern lediglich einen Bruchteil davon. Soweit die Vergabekammer davon ausgegangen sei, dass die Antragstellerin in Kenntnis dieses Umstandes nicht anders - meint preisgünstiger - kalkuliert hätte, erachtet die Antragstellerin dies für spekulativ. Sie habe es angesichts der in den Vergabeunterlagen genannten Schätzungen für abwegig gehalten, dass die Leistungen in einem geringeren Umfange abgerufen werden. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass auch die Beigeladene keine Kenntnis vom Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit mehreren Partnern gehabt habe, und dass sie im Falle einer solchen Kenntnis ihre Preise auch anders kalkuliert hätte. Die Vertragsschlüsse des Antragsgegners mit der Beigeladenen seien auch nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB unwirksam, weil der Zuschlag nicht im Vergabeverfahren erteilt worden sei, sondern - unter Berücksichtigung der Regelungen des § 150 Abs. 2 BGB - außerhalb des Vergabeverfahrens. Schließlich seien die Verträge auch nach § 134 BGB bzw. § 138 Abs. 1 BGB nichtig, weil die Vorabinformationspflicht verletzt worden sei. Die Unwirksamkeit treffe auch die inzwischen erteilten Einzelaufträge, weil diesen ebenfalls keine Vorabinformation vorangegangen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdeschrift vom 01.07.2024 sowie - ergänzend - auf den Schriftsatz vom 02.09.2024 Bezug genommen.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt vom 14.06.2024 aufzuheben und
1. festzustellen, dass a) die Antragstellerin durch das de facto-Vergabeverfahren "Dienstleistungen von Architektur- und Ingenieurbüros sowie planungsbezogene Leistungen (2023/S. 149477264), Beleihung für die Durchführung der Aufgaben der Bauverwaltung bei Zuwendungsbauten, Vergabenummer 103.b_R404-2023", Los 1, 2 und 3, in ihren Rechten verletzt sei und b) die geschlossenen Verträge "Beleihung für die Durchführung der Aufgaben der Bauverwaltung bei Zuwendungsbauten, Los 1, 2 und 3, zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen nach § 135 Abs. 1 GWB unwirksam seien,
2. dem Antragsgegner aufzugeben, bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht ein unionsrechtskonformes Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats durchzuführen,
3. hilfsweise: unabhängig auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einzuwirken.
Der Antragsgegner beantragt,
die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.
Er verteidigt im Wesentlichen die angefochtene Entscheidung und vertieft u.a. die Ansicht, dass die Nachprüfungsanträge der Antragstellerin wegen des Abschlusses des Vergabeverfahrens unzulässig seien. Die Antragstellerin sei nicht antragsbefugt, weil ihr weder ein Schaden entstanden sei noch drohe. Es sei auszuschließen, dass aus den von ihr gerügten Vergabeverstößen eine Verschlechterung ihrer Zuschlagschance im durchgeführten Vergabeverfahren erwachsen sei. Die Rahmenvereinbarungen in den drei Losen mit der Beigeladenen seien jeweils wirksam bereits durch das Zuschlagsschreiben vom 09.02.2024 zustande gekommen, weil dieses Schreiben selbst keine Änderungen enthalten, sondern sich auf das Hauptangebot der Beigeladenen bezogen habe. Nachträglich seien nur unwesentliche Vertragsbestandteile geändert worden. Die Antragstellerin habe nach der Beendigung des Verfahrens mit E-Mail vom 05.03.2024 ihr Angebot für erloschen erklärt. Der Antragsgegner habe diese Erklärung als ein auf die Aufhebung der Rahmenvereinbarungen zwischen ihm und der Antragstellerin gerichtetes Angebot angesehen und der Aufhebung am 23.04.2024 zugestimmt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 30.07.2024 Bezug genommen.
Der Senat hat auf Anregung der Antragstellerin mit Beschluss vom 10.07.2024 die Mitbewerberin beigeladen. Mit weiterem Beschluss vom 02.09.2024 hat er den Antrag der Antragstellerin auf erweiterte Akteneinsicht in die Dokumentation des Vergabeverfahrens durch den Antragsgegner ganz überwiegend zurückgewiesen, sämtlichen Beteiligten jedoch die Niederschrift des Bietergesprächs zwischen dem Antragsgegner und der Antragstellerin vom 20.10.2023 zugänglich gemacht.
Im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 09.09.2024 hat die Antragstellerin u.a. darauf verwiesen, dass sie die Gesprächsnotiz bislang nicht erhalten und nicht gegengezeichnet habe. Von einem zusätzlichen Beleihungsvertrag sei im Bietergespräch vom 20.10.2023 nicht die Rede gewesen. Es sei auch nur in allgemeiner Form angesprochen worden, dass im Falle des Vorliegens eines Interessenkonfliktes die Antragstellerin nicht mit der Prüfung ihrer eigenen Planungsleistungen beauftragt werden könne. Wäre ein Kaskadensystem ausdrücklich angesprochen worden, hätte die Antragstellerin hierzu Fragen gestellt. Die Antragstellerin vertritt die Ansicht, dass sich aus dem Protokoll des Bietergespräches vor Angebotsabgabe ergäbe, dass der Antragsgegner weitere, nicht bekanntgemachte Zuschlagskriterien verwendet habe.
Der Senat hat am 20.09.2024 einen Termin der mündlichen Verhandlung durchgeführt; wegen des Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll vom selben Tage Bezug genommen.
B.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig; sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.
I.
Das Rechtsmittel der Antragstellerin ist zulässig. Es ist nach § 171 Abs. 1 GWB statthaft und wurde nach § 172 Abs. 1 bis 3 GWB frist- und formgerecht beim zuständigen Gericht (§ 171 Abs. 3 Satz 1 GWB) eingelegt. Die auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfenden allgemeinen Voraussetzungen für die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens (§§ 98 f., 103, 106 GWB) liegen vor.
II.
Soweit die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde Fehler im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer gerügt hat, ist diesen vermeintlichen Versäumnissen jedenfalls im Rahmen des Beschwerdeverfahrens abgeholfen worden.
1. Über den Umfang der der Antragstellerin im Rahmen der Nachprüfung zu gewährenden Akteneinsicht hat der Senat mit seinem Beschluss vom 02.09.2024, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, eine eigenständige Entscheidung getroffen. Danach ist der Antragstellerin lediglich eine weitere Unterlage - die Niederschrift über das Bietergespräch des Antragsgegners mit ihr am 20.10.2023 - zugänglich gemacht worden, weil nicht erkennbar gewesen ist, dass sie diese Niederschrift bereits im Verlaufe des Vergabeverfahrens erhalten hat. Eine umfassendere Einsicht in die Dokumentation des Vergabeverfahrens ist zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes der Antragstellerin im Hinblick auf die von ihr gestellten Anträge und die von ihr in diesem Zusammenhang verfolgten Rügen indessen nicht geboten.
2. Der Senat teilt zwar die Auffassung der Antragstellerin, dass im vorliegenden Nachprüfungsverfahren eine mündliche Verhandlung nicht verzichtbar gewesen wäre, gerade auch deswegen, weil die Vergabekammer erhebliche Bedenken gegen formulierten Antragsziele hatte.
U. U. hätte sie auf eine aus ihrer Sicht sachdienliche Antragstellung hinwirken müssen. Es ist auch zu berücksichtigen, dass die im Gesetz als Regelfall vorgesehene Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch die Spruchpraxis nicht zum Ausnahmefall gemacht werden darf. Gleichwohl rechtfertigt dies eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nicht. Denn der Senat hat dadurch, dass er den Beteiligten die Gelegenheit einer ausführlichen Erörterung der Sach- und Rechtslage in mündlicher Verhandlung eingeräumt hat, ein Verfahrensdefizit jedenfalls beseitigt.
III.
Der von der Antragstellerin mit ihren Anträgen im Beschwerdeverfahren verfolgte Nachprüfungsantrag ist unzulässig.
1. Auf die - von der Vergabekammer in der angefochtenen Entscheidung ausführlich erörterten - Fragen der Zulässigkeit der ursprünglichen Einzelanträge der Antragstellerin im Hinblick auf die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB kommt es nicht an, vielmehr ist der Senat gehalten, hinsichtlich der nunmehr gestellten Anträge deren Zulässigkeit zu prüfen.
2. Der mit den Hauptanträgen zu Ziffer 1 a und 2 sowie mit dem Hilfsantrag zu Ziffer 3 im Beschwerdeverfahren verfolgte Nachprüfungsantrag ist jedenfalls statthaft. Nicht statthaft ist der Hauptantrag zu Ziffer 1 b.
a) Allerdings wird der Zugang zum vergaberechtlichen Primärrechtsschutz nach §§ 155, 160 GWB grundsätzlich nur in einem schon begonnenen und noch laufenden Vergabeverfahren gewährt (so schon OLG Naumburg, Beschluss v. 03.03.2000 - 1 Verg 2/99 - OLGR 2000, 318; OLG Naumburg, Beschluss v. 18.07.2006 - 1 Verg 4/06 - ZfBR 2006, 707). Das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren dient dazu, subjektive Rechte eines Teilnehmers bzw. Interessenten am Auftrag auf Einhaltung der vergaberechtlichen Vorschriften zu wahren. Diese Ansprüche können bei objektiv bestehender EU-weiter Ausschreibungspflicht während des Vergabeverfahrens vor den Vergabekammern bzw. Vergabesenaten verfolgt werden. Aufgabe der Nachprüfungsinstanzen ist es nach § 168 Abs. 1 GWB, auf die Rechtmäßigkeit des laufenden Vergabeverfahrens einzuwirken und insbesondere die geeignete Maßnahme anzuordnen, um eine bei der Nachprüfung festgestellte Rechtsverletzung im laufenden Vergabeverfahren zu beseitigen und die endgültige Schädigung der betroffenen Interessen zu vermeiden. Hierdurch kommt, auch ohne eine dies ausdrücklich regelnde Bestimmung, zum Ausdruck, dass die in §§ 155 ff. GWB vorgesehene Möglichkeit der Anrufung der Vergabekammer bzw. des Vergabesenats auf die Zeit beschränkt ist, zu der - wenn sich bei der Nachprüfung ein Verstoß gegen bieterschützende Vergabevorschriften feststellen lassen sollte - noch auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens eingewirkt werden kann. Ist das Vergabeverfahren, in dessen Rahmen bestimmte Maßnahmen des Antragsgegners zur Nachprüfung gestellt werden, wirksam beendet, so führt das regelmäßig dazu, dass das Rechtsschutzziel der Verbesserung der Zuschlagschance auf ein Angebot des Antragstellers i.S.v. § 160 Abs. 2 GWB nicht mehr erreicht werden kann. Das gilt insbesondere dann, wenn der Antragsgegner im Verfahren den Zuschlag bereits erteilt hat, denn die Erteilung des Zuschlags ist nach § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB irreversibel; danach kann ein wirksam erteilter Zuschlag auch von der Nachprüfungsinstanz nicht aufgehoben werden. Die Beschränkung des spezifischen vergaberechtlichen Rechtsschutzes auf den Primärrechtsschutz in einem laufenden Vergabeverfahren und die Zuweisung des Sekundärrechtsschutzes, also die Regulierung von im Vergabeverfahren eingetretenen Schäden, an die Zivilgerichtsbarkeit entspricht auch dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers und steht im Einklang mit dem Unionsrecht (vgl. insgesamt BGH, Beschluss v. 19.12.2000 - X ZB 14/00 - BGHZ 146, 202).
b) Mit der Vorschrift des § 135 GWB hat der Gesetzgeber jedoch die Möglichkeit eröffnet, eine Unwirksamkeit eines öffentlichen Auftrags i.S.v. § 103 Abs. 1 bis 4 GWB - nicht etwa nur eines Zuschlags - dann, wenn die Voraussetzungen einer der Alternativen des § 135 GWB erfüllt sind, in einem Vergabenachprüfungsverfahren festzustellen zu lassen. Im Falle einer Feststellung der Unwirksamkeit des durch Zuschlag oder in anderer Weise zustande gekommenen öffentlichen Auftrags erhält der Antragsteller eine sog. "zweite Chance" auf den Zuschlag, weil der Antragsgegner bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht ein neues Vergabeverfahren einleiten muss (vgl. zusammenfassend auch: Maimann in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, 5. Aufl. 2020, § 135 Rn. 1). Diese Vorschrift ist entsprechend auf den Abschluss einer Rahmenvereinbarung i.S.v. § 103 Abs. 5 GWB anwendbar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 18.08.2021 - VII-Verg 52/20 - VergabeR 2022, 554; vgl. auch Glahs in: Reidt/ Stickler/Glahs, GWB, § 134 Rn. 11).
c) Ein Nachprüfungsantrag, welcher - wie hier - nach der Zuschlagserteilung für bzw. dem Abschluss des Vertrags über einen öffentlichen Auftrag eingereicht wird, ist demnach statthaft, wenn mit ihm die Feststellung der Unwirksamkeit der das Vergabeverfahren beendenden Maßnahme des öffentlichen Auftraggebers geltend gemacht wird. Dieses Antragsziel verfolgt die hiesige Antragstellerin im Beschwerdeverfahren mit den Anträgen zu Ziffern 1 a, 2 und 3, nicht jedoch mit dem Antrag zu Ziffer 1 b.
aa) Die Vergabekammer hat zu Recht festgestellt, dass zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen in jedem Los jeweils eine Rahmenvereinbarung zivilrechtlich wirksam geschlossen wurde. Der Senat teilt insbesondere die Auffassung der Vergabekammer, dass - entgegen der Rechtsmeinung des Antragsgegners - das jeweilige Auftragsschreiben des Antragsgegners vom 09.02.2024 noch nicht zum Vertragsschluss und damit zur Beendigung des Vergabeverfahrens führte. Das formulargetragene Zuschlagsschreiben je Los ist nach §§ 133, 157 BGB auszulegen; dabei sind die beigefügten Anlagen, darunter die finale Rahmenvereinbarung mit Änderungen zum Entwurf, einzubeziehen (so auch OLG Naumburg, Urteil v. 07.06.2019 - 7 U 69/18 - "Zuschlagsschreiben", bestätigt durch BGH, 03.06.2020 - VII ZR 144/19 - VergabeR 2020, 757; zuletzt auch OLG Celle, Urteil v. 29.12.2022 - 13 U 3/22 - VergabeR 2023, 465). Dieser Zuschlag war zivilrechtlich nicht als eine vorbehaltlose Annahme des jeweiligen Angebots der Beigeladenen zu verstehen, sondern als eine sog. modifizierte Annahme, welche nach § 150 Abs. 2 BGB als Ablehnung des Angebots und als Unterbreitung eines neuen Angebots zu bewerten ist. Die Beigeladene nahm dieses geänderte Angebot zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung jedoch am 27.02.2024 an. Mit dem zivilrechtlich wirksamen Abschluss der jeweiligen Rahmenvereinbarung wurde zugleich das jeweilige Vergabeverfahren je Los beendet.
bb) Soweit die Antragstellerin sich auch gegen die Wirksamkeit des zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen am 27.02./05.03.2024 geschlossenen Beleihungsvertrages wendet, ist der Nachprüfungsantrag nicht statthaft. Denn der Beleihungsvertrag ist nicht im Rahmen des Vergabeverfahrens geschlossen worden; er diente bereits der Umsetzung und Abwicklung der drei zuvor geschlossenen Rahmenvereinbarungen. In Bezug auf das Vergabeverfahren kam ihm keine - etwa verfahrensbeendende - Wirkung zu. Der Abschluss des Beleihungsvertrages erfolgte auch nicht etwa als eine de facto-Vergabe, denn sein Gegenstand ist die Übertragung von hoheitlichen Befugnissen und nicht die Beauftragung mit entgeltlichen Dienstleistungen. Dem steht der Einwand der Antragstellerin im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht entgegen, dass beispielsweise ein im Beleihungsvertrag vorgesehenes Recht des zuständigen Fachministers zum Widerruf der Beleihung im Einzelfall von kalkulatorischer Relevanz für die Dienstleistungen sein kann, welche von einer der Rahmenvereinbarungen erfasst sind.
3. Der Antragstellerin fehlt für die Geltendmachung der Unwirksamkeit der zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen geschlossenen drei Rahmenvereinbarungen die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB.
a) In § 135 Abs. 1 GWB ist neben den Voraussetzungen, unter denen ein im förmlichen Vergabeverfahren erteilter öffentlicher Auftrag unwirksam ist, zugleich normiert, dass die Unwirksamkeit nach dieser Vorschrift in einem Nachprüfungsverfahren geltend gemacht werden muss. Damit werden ganz bewusst Einschränkungen für die Geltendmachung der Unwirksamkeit geltend gemacht (vgl. nur Glahs, a.a.O., § 135 Rn. 47). Der Zugang zum Nachprüfungsverfahren mit dem Antragsziel des § 135 GWB ist in persönlicher Hinsicht, wie jedes andere Nachprüfungsverfahren, beschränkt durch das Erfordernis der Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB (vgl. Kühnen in: Byok/Jaeger, GWB, 4. Aufl. 2018, § 135 Rn. 24 ff. m.w.N.; Maimann, a.a.O., § 135 Rn. 22 ff. m.w.N.).
b) Ein Interesse der Antragstellerin am Auftrag besteht. Zwar hat die Antragstellerin das ihr gegenüber mit dem Zuschlagsschreiben vom 09.02.2024 mit Modifikationen abgegebene neue Angebot des Antragsgegners nicht angenommen, insoweit beruft sie sich aber gerade auf die Unzumutbarkeit der Annahme wegen der fehlenden Ausschließlichkeitswirkung und der hinzukommenden Zweitrangigkeit als Rahmenvertragspartnerin.
c) Die Antragstellerin macht als Rechtsverletzungen, welche zur Unwirksamkeit der drei (das Vergabeverfahren beendenden) Rahmenvereinbarungen zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen führen sollen, einerseits die Verletzung der Vorabinformationspflicht nach § 134 Abs. 1 GWB geltend und andererseits das Vorliegen einer de facto-Vergabe i.S.v. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB durch den Vertragsschluss im Wege einer modifizierten Zuschlagserteilung des Antragsgegners und anschließender Annahme durch die Beigeladene. Beide gerügten Rechtsverstöße betreffen bieterschützende Vorschriften des Vergabeverfahrens i.S.v. § 97 Abs. 6 GWB.
d) Nach § 160 Abs. 2 GWB hat der jeweilige Antragsteller jedoch weiter darzulegen, dass ihm durch den behaupteten Vergabeverstoß ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht, wobei der Schaden i.S. dieser Rechtsvorschrift in einer möglichen Verschlechterung seiner Zuschlagsaussichten besteht. Hat der gerügte Verstoß, ggf. gemeinsam mit weiteren, ebenfalls gerügten Vergabeverstößen, die Chancen des jeweiligen Antragstellers nicht beeinträchtigt und ist er damit folgenlos geblieben, ist der Nachprüfungsantrag mangels Antragsbefugnis unzulässig (vgl. Maimann, a.a.O., § 135 Rn. 26 f. und 14; Glahs, a.a.O., § 135 Rn. 20). Eine zumindest drohende Verschlechterung der Zuschlagsaussichten ist hier nach dem Vorbringen der Antragstellerin auszuschließen.
aa) Soweit die Antragstellerin beanstandet, dass die abgeschlossenen Rahmenvereinbarungen zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen vergaberechtswidrig ohne EU-weite Bekanntmachung geschlossen worden seien, teilt der Senat schon nicht die Rechtsauffassung der Antragstellerin, wonach hier eine de facto-Vergabe vorläge, jedenfalls ist eine Beeinträchtigung der Zuschlagschance der Antragstellerin durch die fehlende Auftragsbekanntmachung ausgeschlossen.
(1) Für den Abschluss der drei Rahmenvereinbarungen hat der Antragsgegner ein förmliches Vergabeverfahren eingeleitet, in welchem auch eine EU-weite Auftragsbekanntmachung veröffentlicht wurde. Das Vergabeverfahren wurde durch die - im modifizierten Zuschlag nach § 150 Abs. 2 BGB enthaltene - Ablehnung des jeweiligen Angebots des Bieters nicht beendet. Denn die Willenserklärung des Antragsgegners ist einheitlich zu bewerten: sie beinhaltet zugleich eine Ablehnung des Angebots und die Unterbreitung eines neuen Angebots. Damit wollte der Antragsgegner - für die Antragstellerin bzw. für die Beigeladene als jeweilige Erklärungsempfänger auch erkennbar - das Vergabeverfahren nicht beenden, sondern fortsetzen; er forderte zur unverzüglichen Annahme des geänderten Angebotes auf. Der Vertragsabschluss durch modifizierten Zuschlag des Antragsgegners vom 09.02.2024 und die unverzügliche Annahmeerklärung der Beigeladenen vom 27.02.2024 stand im zeitlichen und situativen Zusammenhang mit diesem förmlichen Vergabeverfahren und schloss es ab. In der Erteilung eines modifizierten Zuschlags nach Ablauf der Frist zur Erstellung eines finalen Angebots lag auch in dem hier durchgeführten Verhandlungsverfahren ein vergaberechtswidriges Verhalten des Antragsgegners, weil Verhandlungen über den Inhalt der abzuschließenden Rahmenvereinbarung nach § 17 Abs. 10 Satz 1 VgV nach der Vorlage des endgültigen Angebots nicht mehr zulässig waren. Der Vergabeverstoß machte aber weder den Vertragsschluss zivilrechtlich unwirksam noch hatte er wegen § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB vergaberechtlich die Unwirksamkeit zur Folge. Für die Vergabe öffentlicher Bauaufträge normiert § 18 EU Abs. 2 VOB/A ausdrücklich, dass ein solcher Vertragsabschluss als Beendigung des Vergabeverfahrens in Betracht kommt. Für den Abschluss eines Dienstleistungs- bzw. Liefervertrages kann nichts Anderes gelten. Schließlich ist der aus dem Zivilrecht entlehnte Rechtsgedanke des wirksamen Abschlusses einer Vertragsverhandlung durch die Annahme eines modifizierten Angebots auch auf die Beendigung des Vergabeverfahrens betreffend Rahmenvereinbarungen über Dienstleistungen durch die Annahme eines modifizierten Zuschlags ohne weiteres übertragbar (ebenso Mentzinis in: Pünder/Schellenberg, VergabeR, 3. Aufl. 2019, § 135 Rn. 15).
(2) Der Umfang der vom Antragsgegner vorgenommenen Modifikationen der ursprünglich ausgeschriebenen Leistungen steht dem nicht entgegen. Zwar muss auch im Verhandlungsverfahren die Identität der ausgeschriebenen Leistungen gewahrt sein (vgl. OLG Dresden, Beschluss v. 02.12.2003 - WVerg 0015/03 - VergabeR 2004, 225; OLG Naumburg, Beschluss v. 01.09.2004 - 1 Verg 11/04 "Stadionneubau II" -; BayObLG, Beschluss v. 29.10.2004 - Verg 22/04 - VergabeR 2005, 74; OLG Dresden, Beschluss v. 21.10.2005 - WVerg 5/05 - VergabeR 2006, 249; OLG München, Beschluss v. 28.04.2006 - Verg 6/06 - VergabeR 2006, 914), d.h. der Vertragsumfang muss sich grundsätzlich im Rahmen des vorgegebenen Konzepts bewegen. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Die abgeschlossenen Rahmenvereinbarungen waren, wie ursprünglich bekanntgemacht, auf die Erbringungen von Dienstleistungen von Architekten- bzw. Ingenieurbüros gerichtet und bezogen sich auf baufachliche Prüfungen bei Baumaßnahmen im Land Sachsen-Anhalt, welche unter Inanspruchnahme von Zuwendungen finanziert werden. Die Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs der Rahmenvereinbarungen im Hinblick auf die Art der Zuwendungen veränderte die Identität des Beschaffungsgegenstandes nicht. Gleiches gilt für die Laufzeit der Verträge. Zwar war bekanntgemacht worden, dass die Rahmenvereinbarungen zunächst für eine Laufzeit von drei Jahren (01.02.2024 bis 31.01.2027) geschlossen werden sollten; eine einseitige Option des Auftraggebers auf Verlängerung der Laufzeit um ein Jahr war aber ebenfalls bekanntgemacht. Der Umstand, dass sich der Antragsgegner in Kenntnis der vorliegenden Angebote dazu entschied, diese Option sogleich mit dem im Vergabeverfahren zu schließenden Vertrag wahrzunehmen, ändert an der Identität des Beschaffungsgegenstandes nichts. Gleiches gilt für die Änderung der Modalitäten der Abschlagszahlungen, den Vorbehalt der Prüfung durch den Landesrechnungshof oder die Klarstellung der zu beachtenden datenschutzrechtlichen Anforderungen.
(3) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kann eine de facto-Vergabe auch nicht unter Heranziehung der Vorschriften des § 132 GWB festgestellt werden. Die Vorschrift ist schon nicht einschlägig, denn sie bezieht sich auf Änderungen eines bereits bestehenden Vertrages und nicht - wie hier - auf Änderungen an einem Vertragsangebot vor dem Vertragsschluss. Auch eine entsprechende Anwendung kommt nicht in Betracht, denn § 132 GWB erfasst einen Sonderfall der Umgehung des Vergaberechts durch die missbräuchliche Verwendung einer bereits vorhandenen "Vertragshülle" zur Deckung eines neuen Beschaffungsbedarfs (vgl. nur Wiedemann in: Byok/Jaeger, a.a.O., § 132 Rn. 1 und 4 m.w.N.). Im vorliegenden Fall soll, wie vorausgeführt, ein im Wesentlichen identischer Beschaffungsbedarf gedeckt werden und die Änderung erfolgt im unmittelbaren Zusammenhang mit einem EU-weit ausgeschriebenen Vergabeverfahren und zu dessen Abschluss. Darüber hinaus verkennt die Antragstellerin in ihrer Argumentation (ebenso Braun in: Ziekow/Völlink, VergabeR, 5. Aufl. 2024, § 135 Rn. 14), dass der Begriff der "wesentlichen Änderung" in § 132 Abs. 1 GWB ein spezifisch vergaberechtlicher Begriff ist, der sich nicht auf eine Änderung der sog. essentialia negotii eines Vertrages nach zivilrechtlichem Verständnis bezieht, sondern an einer am Zweck des Vergaberechts orientierten Prüfung, ob durch die Vertragsänderung im Ergebnis ein Wirtschaftsteilnehmer - der bisherige Leistungserbringer - gegenüber anderen Wirtschaftsteilnehmern ungerechtfertigt bevorzugt wird bzw. ob der Vertragsänderung eine Wettbewerbsrelevanz zukommt (vgl. Wiedemann, a.a.O., § 132 Rn. 3, 17 ff.). Beides ist im vorliegenden Fall nach den Vorausführungen zu verneinen.
(4) Unabhängig davon, ob eine de facto-Vergabe vorliegt oder - wie der Senat meint - nicht, ist auszuschließen, dass sich die vermeintlich fehlende EU-weite Bekanntmachung der Ausschreibung von Rahmenvereinbarungen mit ihrem finalen Inhalt auf die Zuschlagschancen der Antragstellerin ausgewirkt haben könnte. Die Antragstellerin hat sich am Vergabeverfahren beteiligt, sie verfügte über dieselben Informationen wie die Beigeladene und hat in Bezug auf das einzige Zuschlagskriterium - die niedrigsten Positionspreise - ein wirtschaftlich schlechteres Angebot abgegeben. Hinsichtlich der kalkulationsrelevanten Informationen ist darauf zu verweisen, dass in der Auftragsbekanntmachung ausdrücklich angegeben war, dass der Antragsgegner sich die Beauftragung mehrerer Wirtschaftsteilnehmer für die Rahmenvereinbarung vorbehielt, so dass die Antragstellerin mit einer solchen Mehrfach-Beauftragung zumindest rechnen musste. In den Vergabeunterlagen war ausdrücklich angegeben, dass trotz der Angaben zur Größenordnung und zur Höchstmenge der insgesamt abzurufenden Leistungen keine Mindestabnahmemenge zugesagt werden könne. Soweit sich die Antragstellerin darauf beruft, dass sie aus dem Hinweis auf das Bestbieterprinzip den Schluss gezogen habe, dass nur ein Vertragspartner pro Rahmenvereinbarung gebunden werde, lag ein vermeidbarer Rechtsirrtum vor. Das Bestbieterprinzip nach § 8 TVergG LSA bezieht sich nicht auf die Anzahl der Zuschlagsaspiranten bei einer Rahmenvereinbarung, sondern auf eine gestaffelte Prüfung der nach dem Landesgesetz vorzulegenden Unterlagen. Die Verpflichtung zur Vorlage der geforderten Erklärungen und Nachweise besteht nur nach gesonderter Aufforderung und soll vom öffentlichen Auftraggeber nur gegenüber dem Bestbieter oder den Bestbietern geltend gemacht werden, um den bürokratischen Aufwand der Ausschreibung zu reduzieren. In den Vergabeunterlagen hat der hiesige Antragsgegner den Begriff des Bestbieters ausschließlich in dem Kontext benutzt, dass es auch zulässig sei, abweichend von der Regelung des § 8 TVergG LSA die Unterlagen zugleich mit dem Teilnahmeantrag einzureichen, also nicht auf eine gesonderte Aufforderung zu warten. Schließlich bestehen angesichts des Gleichlaufs der Bietergespräche des Antragsgegners mit der Antragstellerin und der Beigeladenen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Niederschrift über das Bietergespräch vom 20.10.2023 inhaltlich unzutreffend sein könnte. Darauf kommt es jedoch nicht entscheidend an. Die Antragstellerin hat nicht einmal selbst behauptet, dass sie im Falle der Kenntnis der finalen Vertragsgestaltung der Rahmenvereinbarungen und des Umstandes, dass der Vertragsschluss jeweils mit zwei Vertragspartnern erfolgen sollte, ein preisgünstigeres Angebot hätte abgeben können. Ihre Darlegungen lassen vielmehr darauf schließen, dass dann, wenn ihr bewusst gewesen wäre, dass die Rahmenvereinbarung u.U. mit zwei Vertragspartnern geschlossen wird und die Vergabe der Einzelaufträge nach dem oben beschriebenen "Kaskadenprinzip" erfolgen soll, höhere Positionspreise hätte ansetzen müssen. Soweit sie im Beschwerdeverfahren geltend gemacht hat, dass die Beigeladene in Kenntnis der näheren Umstände ebenfalls höhere Positionspreise angeboten hätte, ist der Vortrag spekulativ. Mit der Beigeladenen ist - ebenso wie mit der Antragstellerin - im Vorfeld der Abgabe des Erstangebotes Mitte Oktober ein Bietergespräch geführt worden, bei dem der Antragsgegner dieselben Informationen weitergegeben hat. Für dieses Gespräch ist eine Abweichung der Niederschrift vom tatsächlichen Inhalt nicht behauptet worden. Danach hat die Beigeladene ihre Preise in Kenntnis der Absichten des Antragsgegners über das künftige Vorgehen kalkuliert.
bb) Es ist ebenfalls auszuschließen, dass die Zuschlagsaussichten der Antragstellerin durch die beanstandete Verletzung der Vorabinformationspflicht beeinträchtigt worden sein könnten.
(1) Insoweit erachtet der Senat das Vorbringen der Antragstellerin zu einem Vergaberechtsverstoß nicht nur als schlüssig, sondern hielte es - wäre es Gegenstand einer Begründetheitsprüfung durch den Senat - auch für begründet. Die Verwendung eines allgemeinen Formulars für die Information eines Zuschlagsaspiranten führt bei der Ausschreibung einer Mehrpartner-Rahmenvereinbarung regelmäßig und so auch hier zu einem Informationsdefizit. Da es an der Exklusivität des Vertragsschlusses fehlt, ist der Teilnehmer an einem solchen Vergabeverfahren auch darüber zu informieren, dass ein Zuschlag auch auf ein oder mehrere andere Angebote erteilt werden soll, sowie über den bzw. die Namen der anderen erfolgreichen Bieter. Gelten, wie hier, für die Vergabe der Einzelaufträge dieselben Zuschlagskriterien, so dass sich unmittelbar aus der Auswahlentscheidung des Auftraggebers im vorliegenden Vergabeverfahren eine Rangfolge unter den Rahmenvertragspartnern bei der Vergabe der Einzelaufträge ergibt, so ist der dadurch schlechter gestellte (also zweit- oder drittrangige) Zuschlagsaspirant auch darüber zu informieren. Diese erweiterte Vorabinformationspflicht ergibt sich zwar nur mittelbar aus dem Wortlaut der Norm. Danach wäre zumindest die Information über die Identität des (anderen) obsiegenden Bieters erforderlich -, jedenfalls aber aus deren Zweck. Durch die Verpflichtung zu einer Vorabinformation über den beabsichtigten Ausgang des Vergabeverfahrens und die zugleich in § 134 Abs. 2 GWB normierte Wartepflicht soll für den unterlegenen Bieter die Möglichkeit gewahrt werden, gegen die Auswahlentscheidung im Wege des Nachprüfungsverfahrens vorzugehen und seine Chancen auf den Zuschlag im laufenden Vergabeverfahren zu wahren. Im Falle einer Mehrpartner-Rahmenvereinbarung mit einem abgestuften Verhältnis der Einzelbeauftragung ist auch der zweitrangig ausgewählte Bieter der erste unterlegene Bieter. Wie der Geschäftsführer der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung deutlich zum Ausdruck gebracht hat, ist dessen Aussicht auf Erteilung von Einzelaufträgen erheblich reduziert, was bei gleichbleibender Verpflichtung der Vorhaltung von Personalkapazitäten wirtschaftlich nachteilig ist.
(2) Auch insoweit ist allerdings darauf zu verweisen, dass es ausgeschlossen ist, dass im konkreten Fall die Aussichten der Antragstellerin auf einen "erstrangigen" Zuschlag beeinträchtigt worden sind. Durch die fehlerhafte Vorabinformation droht der Antragstellerin kein Schaden.
Sie hätte ein preisgünstigeres Angebot nicht abgeben können.
4. Ergänzend ist darauf zu verweisen, dass die gegenständlichen Rahmenvereinbarungen zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen nicht nach zivilrechtlichen Regelungen nichtig sind.
a) Eine Nichtigkeit des Vertragsschlusses nach § 134 BGB folgt nicht daraus, dass die Antragstellerin vor der Zuschlagserteilung an die Beigeladene nicht über den vorgesehenen Vertragsschluss informiert worden ist. Denn § 134 BGB greift nur ein, wenn ein Rechtsgeschäft gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, wobei sich das Gesetz gerade gegen die Vornahme des betreffenden Rechtsgeschäfts richten muss. Dem Antragsgegner ist der Abschluss von Rahmenvereinbarungen wie der vorliegenden nicht untersagt. Die Verletzung einer Vorabinformationspflicht führt - abgesehen von der gesondert zu prüfenden Spezialregelung des § 135 Abs. 1 GWB - nicht zu einem gesetzlichen Verbot des Vertragsschlusses, wie z.B. das prozessuale Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1 GWB (vgl. BGH, Beschluss v. 19.12.2000 - X ZB 14/00 - BGHZ 146, 202, m.w.N.; vgl. Braun, a.a.O., § 135 Rn. 133).
b) Sittenwidrig i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB ist ein Vertragsschluss allenfalls dann, wenn der öffentliche Auftraggeber im bewussten und gewollten kollusiven Zusammenwirken mit einem Bieter, hier der Beigeladenen, in rechtswidriger Weise außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens den Vertragsabschluss herbeiführt. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Denn die Vertragsnichtigkeit ergibt sich eben nicht aus dem Verstoß gegen Vorschriften, die allein für das Vergabeverfahren gelten. Ein unter Zugrundelegung modifizierter Vertragsbedingungen geschlossener Vertrag ist allenfalls dann sittenwidrig, wenn die Vertragsparteien in gemeinsamer bewusster Missachtung des Vergaberechts zusammenwirken und einen Vertrag ohne Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens schließen oder gezielt ein bestimmtes anderes Unternehmen benachteiligen (vgl. nur OLG Celle, Beschluss v. 24.10.2019 - 13 Verg 9/19 - VergabeR 2020, 230, m.w.N.).
IV.
1. Die Entscheidung über die Kostentragung im Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 175 Abs. 2, 78 GWB. Es entspricht der Billigkeit, der im Beschwerdeverfahren unterlegenen Antragstellerin die gerichtlichen Kosten (Gebühren und Auslagen) des Beschwerdeverfahrens sowie die ggf. von ihr veranlassten Aufwendungen des Antragsgegners aufzuerlegen. Von der weiteren Auferlegung der außergerichtlichen Auslagen der Beigeladenen wird abgesehen, denn es entspricht der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats und auch anderer Vergabesenate, dass sich die Billigkeit in erster Linie nach dem Grad der Mitwirkung der Beigeladenen am Nachprüfungsverfahren richtet. Im vorliegenden Fall hat sich die Beigeladene weder durch schriftsätzlichen oder mündlichen Vortrag aktiv am Beschwerdeverfahren beteiligt; sie hat auch keinen Antrag gestellt und damit auch kein Prozessrisiko übernommen.
2. Die Festsetzung des Gegenstandswertes des gerichtlichen Beschwerdeverfahrens beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Der Senat legt dabei die geprüfte Angebotssumme des Hauptangebotes der Antragstellerin zugrunde, wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erörtert.
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VK Bund
Beschluss
vom 30.12.2024
VK 2-103/24
1. Aus den Abgabemengen aus dem vergangenen Referenzzeitraum kann belastbar auf die zukünftigen Abgabemengen geschlossen werden. Die Kalkulierbarkeit ist weder unmöglich noch unzumutbar.
2. Einer exakten Mengenangabe bedarf es bei Rahmenverträgen nicht. Ein öffentlicher Auftraggeber bei Rahmenverträgen lediglich die maximalen Abnahmemengen bekannt geben.
In dem Nachprüfungsverfahren
[...]
wegen der Vergabe Rahmenverträge für die "Belieferung der [...],
hat die 2. Vergabekammer des Bundes durch [...] auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2024 am 30. Dezember 2024
beschlossen:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) und die den Antragsgegnerinnen zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung entstandenen notwendigen Aufwendungen.
3. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerinnen war notwendig.
Gründe:
I.
1. Die Antragsgegnerinnen (Ag) sind gesetzliche Krankenkassen. Mit gemeinschaftsweiter Bekanntmachung vom [...] Beide Fach- und Gebietslose sind vorliegend Streitgegenstand.
Teil der Vergabeunterlagen sind die Bewerbungsbedingungen. Im Abschnitt 1.2 der Bewerbungsbedingungen werden die für die beiden Gebietslose unterschiedlichen Rahmenbedingungen erläutert:
"Nach Abschnitt I Nr. 3 der SSB-Vereinbarung [...] sowie Abschnitt III der SSB-Vereinbarung [...] gilt für Sprechstundenbedarf das Wirtschaftlichkeitsgebot. Aufgrund der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 21. September 2023, Aktenzeichen B 3 KR 4/22 R) sind andere Produkte als die Vertragsprodukte im Gebietslos 2 (anders als im Gebietslos 1) nicht von der Versorgung oder der Vergütung durch die Krankenkassen ausgeschlossen (keine Exklusivität der abgeschlossenen Verträge). Die Entscheidung für ein konkretes Produkt ist allerdings stets unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots zu treffen. Die Wirtschaftlichkeit ist dabei eine Frage des Einzelfalls. Der Sprechstundenbedarf soll generell nur in solchen Mengen verordnet werden, die für die einzelne Praxis am wirtschaftlichsten sind und in angemessenem Verhältnis zu der Zahl der Behandlungsfälle sowie dem abgerechneten Leistungsspektrum der Anspruchsberechtigten stehen."
"Der Vertragsarzt ist im KV-Bezirk [...]entsprechend den Regelungen der geltenden SSB-Vereinbarung grundsätzlich verpflichtet, die Produkte des Zuschlagsempfängers der jeweiligen Fachlose zu verordnen/bestellen. In den Ländern [...]besteht keine solche vertragliche Verpflichtung der Ärzte zur ausschließlichen oder bevorzugten Bestellung bei den Ausschreibungsgewinnern (keine Exklusivität der ausgeschriebenen Verträge). Die Ärzte sind jedoch generell zur Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots verpflichtet und müssen insoweit sicherstellen, dass sie nur wirtschaftliche Kontrastmittel bestellen und im Einzelfall verwenden, sofern keine medizinischen Gründe im Einzelfall entgegenstehen. Die [...] wird die Ärzte über die geschlossenen Verträge informieren...."
In den Vergabeunterlagen sind die Mengen an den hier relevanten Kontrastmitteln angeführt, die in einem vergangenen Referenzzeitraum zu Lasten der Ag über den Sprechstundenbedarf in den Losgebieten abgegeben wurden.
Alleiniges Zuschlagskriterium ist der Preis. Dabei erfolgt die Bewertung der Wirtschaftlichkeit des Angebots auf Basis des angebotenen produktunabhängigen einheitlichen Preises pro Milliliter je Fachlos. Der günstigste Preis pro Milliliter erhält den Zuschlag. Für unterschiedliche Konzentrationen von Produkten ist ein Korrekturfaktor vorgesehen, mit dem die unterschiedlichen Konzentrationen zwecks Herstellung von Vergleichbarkeit der Angebote ausgeglichen werden.
Mit Schreiben vom 16. Oktober 2024 brachte die ASt mehrere Rügen gegen das Design der Ausschreibung an. Sie machte u.a. geltend, die Ausschreibung sei eine unzulässige Markterkundung, da keine Beschaffung stattfinde. Die Auswahlentscheidung treffe der behandelnde Arzt, nicht die Krankenkasse des Versicherten. Für die Ausschreibung von Rahmenverträgen für Kontrastmittel gebe es keine Rechtsgrundlage. § 130a Abs. 8 SGB V gelte nur für Arzneimittelrabattverträge, nicht aber für Kontrastmittellieferungen. Die Bekanntmachung weise die Vergabekammern des Bundes fälschlicherweise als vergaberechtliche Nachprüfungsinstanzen aus, nicht jedoch die für die KV Bezirke [...] zuständigen Vergabekammern der Länder. Dadurch würden die Rechtsschutzmöglichkeiten der ASt verkürzt.
Die Entscheidung des BSG vom 21. September 2023 stehe dem Vorhaben der Ag entgegen, den Zuschlagsdestinatären eine Lieferexklusivität einzuräumen. Den Bietern werde ein unkalkulierbares Wagnis auferlegt, da die voraussichtliche Abnahmemenge unklar sei. Dem § 21 Abs. 1 Satz 3 VgV zuwider missbrauchten die Ag das Instrument der Rahmenvereinbarung. Durch die angedrohte Überprüfung der Wirtschaftlichkeit des Verordnungsverhaltens des Arztes schränkten die Krankenkassen die Therapiefreiheit des Arztes faktisch ein. Die Ag hätten mittelständische Interessen nicht berücksichtigt, so dass § 97 Abs. 4 GWB nicht Rechnung getragen worden sei. Aus mittelständischer Sicht seien Vergaben im Open House-Modell sachgerecht.
Die Ag lehnten es in einem Schreiben vom 25. Oktober 2024 ab, dem Rügevorbringen abzuhelfen.
Die ASt gab fristgerecht Angebote ab.
2. Mit einem bei der Vergabekammer des Bundes am 8. November 2024 eingegangenen Schriftsatz stellte die ASt durch ihre Verfahrensbevollmächtigten einen Nachprüfungsantrag, den die Vergabekammer den Ag noch am selben Tag übermittelte.
a) Die ASt beanstandet die örtliche Unzuständigkeit der Vergabekammern des Bundes. Die KV Bezirke [...] lägen außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Vergabekammern des Bundes. Die in § 159 Abs. 3 Satz 2 GWB vorgesehene Möglichkeit einer Zuständigkeitskonzentration im Falle einer länderübergreifenden Beschaffung lasse es nicht zu, eine an sich örtlich unzuständige Vergabekammer zu benennen. Die ASt fordert daher die Einräumung eines Wahlrechts entsprechend § 35 ZPO ein.
Nach Ansicht der ASt ist die Ausschreibung nicht vergaberechtskonform. Für das Gebietslos 1 ergebe sich das schon daraus, dass es einer Rechtsgrundlage für den Abschluss von Rabattverträgen ermangele. Der mit dem beabsichtigten Abschluss eines exklusiven Rabattvertrags verbundene Eingriff in das Grundrecht der ASt aus Art. 12 GG sei nur durch oder aufgrund eines Gesetzes zulässig. Hieran fehle es. Die Ansicht der Ag, dass es genüge, wenn die zwischen den Rahmenvertragspartnern geschlossene Sprechstundenbedarfsvereinbarung dien Abschluss exklusiver Rabattverträge zulasse, gehe fehl. Die Ag könnten sich hierbei auch nicht auf die Rechtsprechung des BSG berufen.
Für das Gebietslos 2 sähen die Vergabeunterlagen zwar ausdrücklich keine Exklusivität vor. Die Vergaberechtswidrigkeit der Ausschreibung ergebe sich diesbezüglich aber daraus, dass die Ag durch die angekündigte Wirtschaftlichkeitsprüfung einen mittelbaren Druck auf die Ärzte ausübe, nur die rabattierten Kontrastmittel zu verordnen, was eine faktische Exklusivität bewirken könne.
Hinzu komme, dass das Gesetz die Ag nicht zu einer Ausschreibung verpflichte.
Die ASt trägt ferner vor, die wirkstoffübergreifende Ausschreibung sei zu unbestimmt. Der Leistungsbeschreibung seien zwar die Kontrastmittel und deren Wirkstoffe zu entnehmen, nicht aber die nachgefragten Konzentrationen. Durch dieses Defizit könne es dazu kommen, dass unterschiedliche Wirkstoffkonzentrationen miteinander verglichen würden.
Den Vergabeunterlagen ließen sich keine Mengenangaben zu dem zu erwartenden Liefervolumen entnehmen. Ohne entsprechende Anhaltspunkte drohe der ASt ein erhebliches Kalkulationsrisiko. Wie das OLG Jena in einem Beschluss vom 22. August 2011 (9 Verg 2/11) entschieden habe, seien Angaben hierzu zwingend erforderlich. Der Einwand der Ag, dass die Entscheidung des OLG Jena auf der Grundlage einer alten Rechtslage ergangen sei, gehe fehl. Denn die Obliegenheit der Vergabestelle, den Bietern kein ungewöhnliches Wagnis aufzubürden, sei auf das allgemeine Gleichbehandlungsgebot und das Willkürverbot zurückzuführen, die nach wie vor Geltung beanspruchen würden. Erforderlich sei es, Mindestabnahmemengen vorzugeben, was hier nicht geschehen sei.
Dem Vortrag der ASt zufolge liege keine eigentliche Beschaffung vor, weil die Ag die Kontrastmittel nicht selbst erwerben würden, sondern die Ärzte. Die Ärzte wiederum würden durch die angekündigte Wirtschaftlichkeitsprüfung dazu angehalten, nur die rabattierten Kontrastmittel zu verordnen. Somit liege eine verdeckte Markterkundung vor. Da den Ärzten die Preise nicht bekannt seien, sei für sie die Wirtschaftlichkeit nicht zu beurteilen. In den Vergabeunterlagen hätten die Ag über das Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung in Bezug auf das Verordnungsverhalten der Ärzte aufklären müssen, wonach in jedem Einzelfall einer vom Rahmenvertrag abweichenden Beschaffung ein solches Verfahren nach Ausübung von Ermessen durchgeführt werden müsse und das damit kein taugliches Druckmittel den Ärzten gegenüber darstelle.
Neben den gegen die Vergabeunterlagen gerichteten Angriffen macht die ASt geltend, aus der Rechtsprechung des BSG ergebe sich, dass der Lieferant berechtigt sei, von den Krankenkassen eine Vergütung zu verlangen, wenn der Arzt im Rahmen seiner Therapiefreiheit ein anderes als das bezuschlagte Kontrastmittel verordnet habe. Die Ausschreibung von Leistungen, auf die ein Anspruch bestehe, sei von § 69 Abs. 3 SGB V nicht umfasst.
Die Unverhältnismäßigkeit der streitgegenständlichen Ausschreibung hätten die Ag vermeiden können, indem sie die Kontrastmittel im Rahmen eines sog. Open House-Verfahrens nachgefragt hätten.
Die ASt beantragt,
1. die Ag zu verpflichten, das Verfahren gemäß Bekanntmachung [...] Wettbewerb aufzuheben;
2. der ASt Einsicht in die Vergabeakten zu gewähren,
3. die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der ASt gem. § 182 Abs. 4 GWB für notwendig zu erklären,
4. den Ag die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der ASt aufzuerlegen.
b) Die Ag beantragen,
1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,
2. der ASt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Ag aufzuerlegen,
3. festzustellen, dass die Hinzuziehung anwaltlicher Verfahrensbevollmächtigter durch die Ag notwendig war.
Die Zweifel der ASt an der Zuständigkeit der Vergabekammer des Bundes für die Entscheidung über den Nachprüfungsantrag seien unbegründet. Die Ag setzten sich aus landes- und aus bundesunmittelbaren Krankenkassen zusammen. Für die landesunmittelbaren Krankenkassen ergebe sich die Zuständigkeit der Vergabekammer des Bundes aus § 159 Abs. 1 Nr. 6 GWB. Dementsprechend habe die Vergabekammer des Bundes bereits mehrfach über vergleichbare Ausschreibungen von Röntgenkontrastmitteln entschieden.
Nach Ansicht der Ag ist der Nachprüfungsantrag unbegründet. Der Forderung des BSG in seinem Urteil vom 21. September 2023, wonach der auf kollektivvertraglicher Rechtsgrundlage beruhende Vergütungsanspruch "... nur aufgrund einer auf zumindest gleicher normativer Ebene beruhenden Ermächtigung eingeschränkt werden" könne, sei vorliegend Rechnung getragen worden. Für das Gebietslos 1 [...] bestehe in § 4 Abs. 15 der Sprechstundenbedarfsvereinbarung eine hinreichende Rechtsgrundlage für den Abschluss von Exklusivverträgen. Von dieser hätten die Ag Gebrauch gemacht. Für das Gebietslos 2 [...] gebe es keine vergleichbare Regelung, deshalb sei auf eine Exklusivität der Rahmenvertrags von vornherein verzichtet worden.
Unzutreffend sei die Auffassung der ASt, die wirkstoffübergreifende Ausschreibung sei inhaltlich zu unbestimmt, so dass unterschiedliche Wirkstoffkonzentrationen den Angeboten zugrunde gelegt werden könnten. Das wirkstoffübergreifende Design der Ausschreibung sei von der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf als zulässig anerkannt worden; hierzu seien die Ag aufgrund ihres Leistungsbestimmungsrechts berechtigt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1. August 2012 - Verg 10/12 und vom 29. Juli 2015 - Verg 12/15). Unterschiedlichen Konzentrationen werde durch Korrekturfaktoren Rechnung getragen. So sei in Rn.1.4 der Besonderen Bewerbungsbedingungen vorgesehen, dass der angebotene Preis pro ml Wirkstoff ins Verhältnis zur Konzentration gesetzt wird, sofern dies zur Vergleichbarkeit erforderlich sei. Das System der Korrekturfaktoren sei Gegenstand einer Entscheidung der erkennenden Vergabekammer gewesen (VK Bund, Beschluss vom 14. Dezember 2020, VK 2-103/20), und von dieser gebilligt worden.
Entgegen der Annahme der ASt finde eine verdeckte Markterkundung nicht statt. Dass die eigentliche Auswahlentscheidung des einzusetzenden Röntgenkontrastmittels durch den behandelnden Arzt getroffen werde, ändere nichts daran, dass die Ag durch die ausgeschriebenen Rahmenverträge Röntgenkontrastmittel beschafften. In der Rechtsprechung der vergangenen Jahre sei dies nie in Zweifel gezogen worden.
Fehl gehe die ASt mit der Annahme, durch die Wirtschaftlichkeitsprüfung werde unzulässiger Druck auf die Ärzte ausgeübt. Das Wirtschaftlichkeitsgebot sei in §§ 12, 71 SGB V gesetzlich verankert. In Ergänzung hierzu verpflichte § 73 Abs. 8 SGB V u.a. die Krankenkassen dazu, auch vergleichend über preisgünstige verordnungsfähige Leistungen und Bezugsquellen einschließlich der jeweiligen Preise und Entgelte zu informieren. Vorbehaltlich therapeutischer Gründe im Einzelfall seien die Ärzte daher von Gesetzes wegen verpflichtet, das preisgünstigste Röntgenkontrastmittel zu verordnen. Der Hinweis in Rn. 1.3 der Besonderen Bewerbungsbedingungen auf die Wirtschaftlichkeitsprüfung ziele ab auf die ex postRechtmäßigkeitskontrolle beim Arzt.
Der ASt sei auch nicht darin zu folgen, die Preiskalkulation sei ihr unzumutbar.
Ausschreibungsgegenstand sei der Abschluss einer Rahmenvereinbarung.
Rahmenvereinbarungen wohnten typischerweise kalkulatorische Unsicherheit inne, die vom Bieter zu tragen seien. Voraussetzung sei lediglich, dass der Auftraggeber das zu erwartenden Auftragsvolumen so präzise wie ihm möglich angebe und den Bietern die ihm bekannten und für eine Kalkulation relevanten Informationen zur Verfügung stelle. Diesen Anforderungen seien die Ag mit den Angaben in den Anlagen 4a und 4b der Vergabeunterlagen hinreichend nachgekommen.
Die Behauptung der ASt, die Ag hätten das Instrument der Rahmenvereinbarung missbräuchlich verwendet, werde von dieser nicht näher erläutert. Dass Beschaffungen im Open House-Modell möglich seien, führe nicht zur Unzulässigkeit der vorliegenden Ausschreibung.
Eine Verletzung des § 97 Abs. 4 GWB liege nicht vor. Die Praxis der vergangenen Jahre habe gezeigt, dass sich auch mittelständische Unternehmen mit Erfolg an den mit der Vorliegenden vergleichbaren Ausschreibungen beteiligt haben. Ferner läge eine Aufteilung in Gebiets- und Fachlose vor.
3. Die Vergabekammer hat der ASt nach Anhörung der Ag Einsicht in die Vergabeakte gewährt, soweit Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht betroffen waren. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die elektronische Vergabeakte, soweit sie der Vergabekammer vorgelegen hat, sowie auf die Verfahrensakte der Vergabekammer wird verwiesen.
Die mündliche Verhandlung fand am 13. Dezember 2024 statt. Die Entscheidungsfrist wurde verlängert bis zum 15. Januar 2025.
Soweit die ASt mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2024 nochmals im Nachgang zur mündlichen Verhandlung Stellung genommen hat, so war dieser Schriftsatz zwar nicht nachgelassen. Der Schriftsatz wurde dennoch berücksichtigt, da aufgrund der ohnehin erfolgten Fristverlängerung keine Verzögerung des Rechtsstreits eintrat.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, aber unbegründet.
1. Das Nachprüfungsverfahren ist eröffnet, der Antrag ist zulässig.
a) Der Nachprüfungsantrag, der nach §§ 155, 106 Abs. 1 GWB nur für öffentliche Aufträge eröffnet ist, ist statthaft.
Zwar handelt es sich bei den streitgegenständlichen Rabattverträgen nicht selbst um öffentliche Aufträge, denn ein Austausch von Leistung und Gegenleistung findet auf Basis der Rabattverträge nicht statt. Die Legaldefinition des öffentlichen Auftrags, § 103 Abs. 1 GWB, ist mithin nicht erfüllt. Es werden aber Bedingungen, insbesondere der Preis, für nachfolgende Einzelabrufe festgelegt, so dass es sich um eine Rahmenvereinbarung handelt. Diese unterliegt den vergaberechtlichen Vorgaben in gleicher Weise wie der öffentliche Auftrag selbst, § 103 Abs. 5 GWB. Die Rahmenverträge werden abgeschlossen zwischen den Ag als gesetzlichen Krankenkassen und damit als öffentlichen Auftraggebern (vgl. grundlegend EuGH, Urteil vom 11. Juni 2009, Rs. C-300/07; VK Bund, Beschluss vom 25. Juli 2016 - VK 2-61/16) und dem pharmazeutischen Unternehmen als jeweiligem Wettbewerbsgewinner. Die Tatsache, dass der Bestellvorgang und damit der Einzelabruf durch den Arzt vorgenommen wird, ändert nichts am Vorliegen einer zwischen öffentlichen Auftraggebern und privaten Unternehmen abgeschlossenen Rahmenvereinbarungen als einer vertraglichen Beziehung, die keine Markterkundung darstellt. Bei einer reinen Markterkundung kommt es nicht zum Abschluss von Verträgen. Würde man hier lediglich eine Markterkundung unterstellen, so wäre das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren nicht eröffnet, § 155 GWB.
b) Die Vergabekammer des Bundes ist zuständig. Die Information, die die Ag in der Auftragsbekanntmachung hinsichtlich der zuständigen Überprüfungsinstanz gegeben haben, ist damit zutreffend. Gerade vor dem Hintergrund unklarer Zuständigkeiten zwischen Ländervergabekammern auf der einen und den Vergabekammern des Bundes auf der anderen Seite in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenkassen hat der Gesetzgeber die Zuordnungsregel des § 159 Abs. 1 Nr. 6 GWB geschaffen: Es gibt einen Anknüpfungspunkt auf Länderebene, da die Aufsicht über die gesetzlichen Krankenkassen weitgehend auf Landesebene erfolgt, andererseits basiert die Finanzierung, die maßgeblich war für die Qualifikation als öffentliche Auftraggeber (EuGH, a.a.O.), auf einem Bundesgesetz. Nach § 159 Abs 1 Nr. 6 GWB ist in derartigen Fällen ausschließlich die Vergabekammer des Bundes zuständig.
Wenn die ASt stattdessen von einem Wahlrecht analog § 35 ZPO ausgeht, so hätte es ihr freigestanden, den Nachprüfungsantrag bei einer Ländervergabekammer anhängig zu machen. Die Information durch die Ag in der Auftragsbekanntmachung, wonach die Vergabekammern des Bundes als zuständig benannt wurden, war jedenfalls richtig.
c) Die ASt ist als Teilnehmerin am Wettbewerb zwanglos antragsbefugt im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB. Das erforderliche Interesse der ASt am Auftrag ergibt sich aus ihrer Teilnahme am Wettbewerb durch Abgabe eines Angebots sowie aus dem gegen die Vergabeentscheidung gerichteten Rügevorbringen.
d) Die Rüge vom 15. Oktober 2024, die sich gegen die Grundlagen des Vergabeverfahrens richtet, ist binnen der Angebotsfrist erhoben worden und damit fristgemäß i.S.v. § 160 Abs. 3 S. 1 NR. 2, 3 GWB.
2. In der Sache ist das Nachprüfungsbegehren indes unbegründet. Die seitens der ASt erhobenen Beanstandungen greifen nicht durch.
a) Die wirkstoffübergreifende, indikationsbezogene Ausschreibung ist grundsätzlich zulässig (vgl. bereits OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Juli 2015 - Verg 12/15; VK Bund, Beschluss vom 14. Dezember 2020 - VK 2-103/20). Werden Produkte mit unterschiedlichen Wirkstoffkonzentrationen angeboten, so wird eine Vergleichbarkeit der Preise für Röntgenkontrastmittel mit unterschiedlichen Konzentrationen vorliegend hergestellt, indem Korrekturfaktoren bei unterschiedlichen Konzentrationen vorgesehen sind (so anschaulich erläutert in Ziffer 1.4 der Besonderen Bewerbungsbedingungen). Die Vergleichbarkeit der angebotenen Preise für Produkte mit höherer Konzentration, die eine geringere Anwendungsmenge erfordern, mit Produkten geringerer Konzentration, von denen eine größere Menge zur Anwendung kommen muss, ist dadurch vollkommen sichergestellt, eine wie auch immer geartete Wettbewerbsverzerrung nicht zu befürchten (VK Bund vom 14. Dezember 2020, a.a.O.).
b) Die Ag haben mit den Vergabeunterlagen eine vergaberechtskonforme Basis für die Kalkulation der Angebote geschaffen.
aa) Es sind den Bietern mit Anlage 4 a und 4 b die regionalen Absatzmengen aus dem Referenzzeitraum zwischen 1. Juli 2023 und 30. Juni 2024 an die Hand gegeben worden, aufgeschlüsselt nach Konzentrationen, im Gebietslos 2 noch weiter aufgeschlüsselt nach Abrechnungsmonat und Abgabevolumina. Die Ag haben damit vollumfänglich den Vorgaben der Rechtsprechung entsprochen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. November 2016 - Verg 27/16). Aus den Abgabemengen aus dem vergangenen Referenzzeitraum kann belastbar auf die zukünftigen Abgabemengen geschlossen werden, die Kalkulierbarkeit ist weder unmöglich, noch ist sie unzumutbar. Einer exakten Mengenangabe bedarf es bei Rahmenverträgen gerade nicht. Der Rechtsprechung des EuGH (zuletzt EuGH, Urteil vom 17.Juni 2021 - Rs. C-23/20), wonach ein öffentlicher Auftraggeber bei Rahmenverträgen die maximalen Abnahmemengen bekannt geben muss, haben die Ag bereits in der Auftragsbekanntmachung entsprochen.
bb) Die Entscheidung des BSG vom 21. September 2023 - B 3 KR 6/22 R ändert auch im Gebietslos 2[...], wo dem Rabattvertrag nach den Vorgaben der Ausschreibung keine Exklusivität zukommt (Ziffer 1.2 der Bewerbungsbedingungen), nichts an der Zumutbarkeit der Kalkulation. Die Mengenangaben aus der Vergangenheit bleiben belastbar für eine Prognose der Mengen, die über die Laufzeit des streitgegenständlichen Rabattvertrags zukünftig abgegeben werden wird. Die Entscheidung des BSG besagt für eine Konstellation, in der die Sprechstundenbedarfsvereinbarung - wie hier in Gebietslos 2 - allein auf den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz rekurriert, dass ein Lieferant eines Kontrastmittels auch dann einen Zahlungsanspruch gegen die gesetzliche Krankenkasse hat, wenn es sich bei dem gelieferten Kontrastmittel nicht um das Rabattvertragsprodukt handelt. Auch wenn der Lieferant einen Zahlungsanspruch gegen die Krankenkasse hat, kann daraus nicht abgeleitet werden, dass radiologische Praxen dazu übergehen werden, andere als die vom Rabattvertrag erfassten Kontrastmittel zu beschaffen. Die Ärzte werden von den Krankenkassen über den Rabattvertrag als wirtschaftlichste Bezugsquelle informiert; dies ist eine gesetzliche Pflicht der Krankenkassen. Die Ärzte sind ihrerseits an den sozialrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgrundsatz gebunden, der letztendlich der Finanzierbarkeit des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung als überragend wichtigem Gemeinschaftsgut, so das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung, dient. Es gibt keinen, jedenfalls keinen legitimen Anhaltspunkt für die Annahme der ASt, die Ärzte würden ihr Bestellverhalten auf Produkte außerhalb des Rabattvertrags hin orientieren, nur weil die Ag laut BSG auch für diese Produkte eine Zahlung nicht verweigern dürfen. Da es sich vorliegend um Sprechstundenbedarf handelt, der einmal im Quartal für die Praxis bestellt wird und der grundsätzlich gleichförmig für weitgehend alle Patienten aus einer großen Durchstechflasche, die nicht für jeden Patienten gewechselt wird, eingesetzt wird, wäre ein abweichendes Bestellverhalten erklärungsbedürftig vor dem Hintergrund des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes. Die rabattierten Preise liegen deutlich unter den Listenpreisen. Bei Unverträglichkeiten oder Allergien einzelner Patienten besteht ohnehin die Möglichkeit, einzelfallbezogen ein anderes Kontrastmittel als das Rabattvertragsprodukt zu beschaffen. Es ist davon auszugehen, dass die Ärzte sich konform mit dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz verhalten werden. Einer näheren Erläuterung der gesetzlich geregelten Grundsätze der Wirtschaftlichkeitsprüfung in den Vergabeunterlagen, welche die ASt für erforderlich hält, ist nicht indiziert; es kann davon ausgegangen werden, dass den Ärzten als fachkundigen Akteuren auf dem Gesundheitsmarkt der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit als wesentliches Prinzip im Sozialrecht bekannt sind. Soweit einzelne Ärzte neben dem Rabattvertrag bestellen sollten, so führt dies nicht dazu, dass die Mengen aus dem Referenzzeitraum nicht mehr belastbar wären als Kalkulationsgrundlage für den neuen Zeitraum.
Dass die Entscheidung des BSG nicht zu einer Änderung des Bestellverhaltens der Ärzte hin zu Produkten außerhalb des Rabattvertrags führen wird, belegen auch die Referenzzahlen der Ag für das Gebietslos 2 [...]aus dem Zeitraum 1. Juli 2023 bis 30. Juni 2024. Die Entscheidung des BSG datiert vom 21. September 2023. Die Ag haben die Ärzte über diese Entscheidung und die Konsequenzen hieraus informiert und auf den damit nicht exklusiven Charakter des Rabattvertrags verwiesen. Dennoch gab es keine Änderung im Bestellverhalten, vgl. die monatsweise Darlegung der Absatzmengen in Gebietslos 2 sowohl vor als auch nach der Entscheidung. Dies belegt, dass die Ärzte ihr Bestellverhalten auch in Kenntnis der Nicht-Exklusivität am Wirtschaftlichkeitsgrundsatz ausrichten.
c) Die Ag haben zwei Gebiets- und zwei Fachlose gebildet. Eine gegen § 97 Abs. 4 S. 1 GWB verstoßende Mittelstandsfeindlichkeit kann daher nicht gesehen werden; die ASt hatte die Loseinteilung nicht etwa als zu groß o.Ä. beanstandet. Aus der Tatsache, dass die Krankenkassen befugt sind, statt der Durchführung eines Vergabeverfahrens alternativ ein Open-house-Modell zu wählen, das mangels Auswahlentscheidung keinen öffentlichen Auftrag darstellt, führt nicht dazu, dass ein Vergabeverfahren zwecks Abschlusses eines Rabattvertrags mittelstandsfeindlich oder, wie die ASt auch vorträgt, rechtsmissbräuchlich wäre. Beide Möglichkeiten stehen den gesetzlichen Krankenkassen offen. Richtig ist zwar, dass sich beim Open-house-Modell jedes geeignete Unternehmen beteiligen kann und Vertragspartner wird, wenn der von der Krankenkasse vorgegebene Preis akzeptiert wird, wohingegen nach Ausschreibung nur ein oder wenige Unternehmen Rabattvertragspartner werden (je nach Ein- oder Mehrpartnermodell, § 21 Abs. 3, 4 VgV). Aus Sicht der Ag sind die beiden Möglichkeiten jedoch nicht austauschbar, da die Einsparungen beim Open-house-Modell geringer sind als im Ausschreibungsmodell.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 1, 3 S. 1 sowie Abs. 4 S. 1, 2 GWB.
Die ASt trägt als unterliegende Verfahrensbeteiligte die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren und Auslagen) gemäß § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Ag. Die Hinzuziehung anwaltlicher Bevollmächtigter durch die Ag war notwendig. Da der Sprechstundenbedarf mangels Zuordnungsmöglichkeit zu einzelnen Versicherten und deren Krankenkassen durch alle gesetzlichen Kassen gemeinsam abgerechnet wird, gibt es eine Vielzahl von Antragsgegnerinnen, was einen erhöhten Koordinierungsaufwand generiert. Der Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens bewegt sich ferner nicht nur im Vergaberecht, sondern an der Schnittstelle zwischen Vergabe- und Sozialrecht. Dies rechtfertigt die Hinzuziehung anwaltlicher Bevollmächtigter durch die Ag.
IV.
(...)
Wann dürfen vertragliche Zusagen der Bieter berücksichtigt werden...
Wann dürfen vertragliche Zusagen der Bieter berücksichtigt werden?
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OLG Karlsruhe
Urteil
vom 28.08.2024
6 U 12/24
Führt die Gemeinde das Konzessionsvergabeverfahren (auch) in Bezug auf den von den Bietern vorzulegenden Konzessionsvertragsentwurf als offenen Ideen- und Konzeptwettbewerb durch, können ihre Planungshoheit und ihr Recht zur Konkretisierung der energiewirtschaftsrechtlichen Ziele es rechtfertigen, bei der Auswahl des Netzbetreibers vertragliche Zusagen der Bieter bei der Bewertung der Auswahlkriterien zu berücksichtigen, ohne dies vorab mitzuteilen.*)
vorhergehend:
LG Mannheim, 01.02.2024 - 22 O 42/23
Tenor
1. Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 1. Februar 2024, 22 O 42/23, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung einschließlich der Kosten der Streithelferin der Verfügungsbeklagten fallen der Verfügungsklägerin zur Last.
Gründe
I.
Die Parteien streiten im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens über die Rechtmäßigkeit eines Konzessionsvergabeverfahrens.
Die Verfügungsklägerin (fortan: Klägerin) ist eine Verteilnetzbetreiberin in Südbaden und aktuelle Betreiberin des Stromversorgungsnetzes der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet der Verfügungsbeklagten (fortan: Beklagten).
Die Klägerin ist Bieterin in dem von der Beklagten durchgeführten Stromkonzessionsverfahren zur Neuvergabe der Wegenutzungsrechte für den Betrieb des Stromversorgungsnetzes der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet der Beklagten. Auf die Anzeige der Beklagten im Bundesanzeiger hin bekundete neben der Klägerin auch die Streithelferin ihr Interesse am Abschluss eines neuen Stromkonzessionsvertrags.
Im 1. Verfahrensbrief vom 09.08.2018 teilte die Beklagte der Klägerin und der Streithelferin die Verfahrensbedingungen sowie sämtliche Eignungskriterien (inklusive der Mindestanforderungen und der Auswahlkriterien nebst deren jeweiliger Gewichtung) mit (Anlage AS 1). Die Auswahlkriterien sowie deren Gewichtung sind in einem Kriterienkatalog (Anlage 1 zum 1. Verfahrensbrief) wie folgt festgelegt:
[Von Darstellung wird abgesehen]
In der Vorbemerkung zum Kriterienkatalog heißt es zudem:
Damit bei den jeweiligen Kriterien ein Erfüllungsgrad festgestellt werden und in seiner jeweiligen Ausprägung zu den korrespondierenden Wertungspunkten führen kann, ist es erforderlich, dass die Aussagen des Bieters aus Sicht der Vergabestelle nachvollziehbar und plausibel sind. Mangelt es schon an Nachvollziehbarkeit oder Plausibilität, so ist es in der Folge irrelevant, was der Bieter in Aussicht stellt; es werden keine Wertungspunkte vergeben.
Unter B. 4. des 1. Verfahrensbriefes heißt es:
Die Bieter haben dem Angebot ein verbindliches, schriftliches Konzessionsvertragsangebot beizufügen, das die unter B.II.2 dargestellten Mindestanforderungen erfüllt.
Für die Bewertung sind ausschließlich die Auswahlkriterien gemäß Ziff. III des als Anlage 1 beigefügten Kriterienkataloges ausschlaggebend.
Die absolute Bewertung der Angebote erfolgt nach den Erläuterungen im 1. Verfahrensbrief unter C. wie folgt:
Die Gemeinde wertet die form- und fristgerecht eingegangenen vollständigen und verbindlichen Angebote geeigneter Bieter, die die Mindestanforderungen erfüllen, anhand der in der Anlage 1 unter Ziff. III dargestellten gewichteten Auswahlkriterien nebst Erläuterungen und Wertungsstufen aus.
Dabei wird eine Auswertung des jeweiligen Angebotes je Kriterium anhand der zum Kriterium jeweils gegebenen Erläuterungen und Zielsetzung vorgenommen. Anhand der jeweils vorgesehenen Wertungsstufen wird sodann der Erfüllungsgrad bestimmt und dadurch die erreichte Wertungspunktzahl ermittelt. Die danach beim jeweiligen Kriterium erreichte Wertungspunktzahl wird mit der in der Tabelle am Anfang des Kriterienkataloges für das entsprechende Kriterium angegebenen Punktzahl (Kriteriumspunktzahl) multipliziert und durch die beim jeweiligen Kriterium höchstmöglich zu vergebende Wertungspunktzahl laut Wertungsskala dividiert. Als Formel lässt sich dies wie folgt darstellen:
Erreichte Wertungspunktzahl x Maximal erreichbare Kriteriumspunktzahl / Maximal erreichbare Wertungspunktzahl = P
Daraus ergibt sich die beim jeweiligen Kriterium erreichte Punktzahl (P). Diese wird nach kaufmännischen Regeln (DIN 1333) auf zwei Nachkommastellen gerundet. Nach Auswertung des jeweiligen Angebotes anhand sämtlicher Kriterien werden die bei den Kriterien erreichten gerundeten Punktzahlen addiert. Das Ergebnis dieser Addition stellt die insgesamt erreichte Punktzahl dar und dient als Entscheidungsgrundlage für die Auswahlentscheidung.
Die Wertungsstufen für die Unterkriterien der Kriterien Nr. 1 "Sichere Versorgung", Nr. 3 "Verbraucherfreundlichkeit", Nr. 4 "Effizienz" und Nr. 5 "Umweltverträglichkeit" werden in den Erläuterungen zum Kriterienkatalog wie folgt dargestellt:
[Von Darstellung wird abgesehen]
In den Erläuterungen zu den Auswahlkriterien heißt es zu zum Unterkriterium 2.1 ("Netznutzungsentgelte") u.a. wie folgt:
Zur Sicherstellung der Vergleichbarkeit der Angebote haben die Bieter bei der Erstellung der Prognose folgende Prämissen zu beachten:
Regulierungsrahmen: Es ist der Regulierungs- und Kalkulationsrahmen gemäß ARegV und StromNEV mit Stand zum Datum des Verfahrensbriefes zugrunde zu legen.
In der Anlage zum 1. Verfahrensbrief heißt es weiter u.a.:
An Plausibilität und Nachvollziehbarkeit der Berechnungen, die notwendigen Bedingungen zur Erlangung von Wertungspunkten, werden sehr strenge Maßstäbe angelegt: Herkunft und Bedeutung jeder einzelnen, relevanten Zahl oder Zahlenreihe müssen für einen sachkundigen Dritten zweifelsfrei erkennbar sein. Im Zweifel sind Belege beizufügen.
Im 2. Verfahrensbrief vom 28.08.2018 (Anlage AS 2) teilte die Beklagte mit, "dass die Prognose ausschließlich unter Verwendung der vom bisherigen Konzessionär zur Verfügung gestellten Netzdaten hinsichtlich des Netzes im ausgeschriebenen Konzessionsgebiet und unter Beachtung der im Kriterienkatalog (Anlage 1 zum ersten Verfahrensbrief) vorgegebenen Prämissen erstellt wurde."
Im 4. Verfahrensbrief vom 20.09.2018 (Anlage AS 2) beantwortete die Beklagte die Rückfrage des Bieters 1, ob bei der Ermittlung der Erlösobergrenze die Inhalte aus einem derzeit von der Bundesnetzagentur durchgeführten Anhörungsverfahren zur Anpassung der kalenderjährlichen Erlösobergrenze zu berücksichtigen seien, oder ob auf die aktuell genehmigte Erlösobergrenze als Grundlage abzustellen sei, wie folgt:
Es ist für das Bestandsnetz des jeweiligen Bieters auf die aktuell genehmigte Erlösobergrenze (2. Regulierungsperiode) als Grundlage abzustellen.
Ihre Angebote zum Abschluss eines neuen Stromkonzessionsvertrags reichten die Streithelferin unter dem 18.10.2018 und die Klägerin unter dem 19.10.2018 ein (Anlage AS 3 und AS 16).
In der Gemeinderatssitzung vom 2. Mai 2019 (Anlage AS 5) entschied die Beklagte, den Zuschlag dem Angebot der Streithelferin zu erteilen. Grundlage der Entscheidung über die Vergabe der Stromkonzession bildete der von der beratenden Rechtsanwaltskanzlei erstellte Vermerk über die Bewertung der verbindlichen Angebote (Anlage AS 17, nachfolgend auch "Auswertungsvermerk"). Nach dem Auswertungsvermerk erreichte die Klägerin in dem streitgegenständlichen Konzessionsverfahren insgesamt 87,33 Punkte, die Streithelferin 91,00 Punkte. Mit Schreiben vom 28. Mai 2019 (Anlage AS 7) teilte die Beklagte der Klägerin ihre Auswahlentscheidung zugunsten der Streithelferin und die Höhe der insgesamt vergebenen Punkte an beide Bewerber mit.
Mit Schreiben vom 28. Mai 2019 beantragte die Klägerin Einsicht in die Verfahrensakten der verfahrensleitenden Stelle (Anlage AS 8). Die daraufhin von der Beklagten übersandten Akten enthielten die teilweise geschwärzten Angebotsunterlagen der Streithelferin. Auf dieser Grundlage erhob die Klägerin mit Schreiben vom 11. Juli 2019, der verfahrensleitenden Stelle per E-Mail und per Post am selben Tag zugegangen, mehrere Rügen. Zugleich forderte die Klägerin die verfahrensleitende Stelle auf, ihrem Antrag auf Akteneinsicht vollständig nachzukommen. Mit Schreiben vom 9. September 2019 teilte die verfahrensleitende Stelle der Klägerin mit, dass sie den Antrag auf vollständige Akteneinsicht als verfristet und unbegründet ablehne sowie sämtliche Rügen zurückweise. Dieses Schreiben ging der Klägerin per Fax am 10. September 2019 zu.
Dagegen wandte sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der sie einstweilen den Abschluss eines Konzessionsvertrags mit der Streithelferin verhindern wollte. Mit Urteil des Landgerichts Mannheim, Az.: 14 O 167/19, wurde der Beklagten - unter Androhung von Ordnungsmitteln - untersagt, einen Wegenutzungsvertrag über den Betrieb des Stromverteilnetzes mit der Streithelferin abzuschließen bis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über das Akteneinsichtsgesuch der hiesigen Klägerin entschieden würde (Anlage AS 9). Mit Urteil des Senats vom 5. Juli 2021, Az.: 6 U 101/20, wurde die Berufung der Streithelferin zurückgewiesen.
Die Beklagte gewährte der Klägerin am 22. Februar 2023 ordnungsgemäß Akteneinsicht. Mit Schreiben vom 23. März 2023 erhob die Klägerin zahlreiche Rügen gegen die Auswahlentscheidung der Beklagten (Anlage AS 11). Unter anderem machte sie in Bezug auf die Unterkriterien 1.1 ("Investitionskonzept"), 1.2 ("Versorgungsunterbrechung"), 1.4 ("Interventionszeiten"), 1.5 ("Erdverkabelung"), 3.5 ("Verbraucherinformation zu Baumaßnahmen"), 4.1 ("Regulatorische Effizienzwerte") und 5.3 ("Bauverfahren") geltend, die Auswahlentscheidung der Beklagten sei im Hinblick darauf evident rechtswidrig, dass die Beklagte im Wege der Einbeziehung der Regelungen des jeweiligen Konzessionsvertragsentwurfs in die Bewertung der Angebote unter Verstoß gegen das Transparenzgebot ein ganz offensichtlich nicht vom Kriterienkatalog umfasstes Wertungskriterium herangezogen habe.
Mit Nichtabhilfeentscheidung vom 9. November 2023, der Beklagten per E-Mail am selben Tag bekanntgemacht, half die Beklagten den Rügen der Klägerin gegen die Auswahlentscheidung nicht ab (Anlage AS 12). Zu der Rüge der Klägerin bezüglich der Einbeziehung der Regelungen des jeweiligen Konzessionsvertragsentwurfs in die Bewertung der Angebote führte sie aus, nach den jeweiligen Vorgaben des Kriterienkataloges komme es zum einen darauf an, ob die Ausführungen des Bieters plausibel seien und fundiert auf sämtliche von der Gemeinde vorgegebenen Aspekte eingehen würden. Sei dies der Fall, komme es zum anderen darauf an, inwieweit die Ausführungen die Erfüllung des gemeindlichen Ziels erwarten lassen würden. Bei der Beurteilung, ob diese Zielerfüllung "noch möglich", "wahrscheinlich" oder "in besonderem Maße gewährleistet" sei, komme es letztlich auf eine Gesamtbetrachtung der jeweiligen Angebotsinhalte an. Dabei sei es entgegen der Rüge nicht sachwidrig, auch die Verbindlichkeit und Qualität der rechtlichen Absicherung der jeweiligen Angebotsaussagen miteinzubeziehen. Das liege insbesondere bei der Frage nahe, ob die Zielerfüllung in "besonderem Maße gewährleistet" sei, was anzunehmen sei, wenn die Maßnahmen, die zur Erreichung des Ziels vorgesehen seien, durch entsprechende vertragliche Regelungen garantiert und zudem mit Sanktionsrechten bewehrt würden. Nachfolgend schloss die Beklagte keinen Konzessionsvertrag mit der Streithelferin.
Am 23. November 2023 ging beim Landgericht Mannheim der Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ein, mit der sie einstweilen begehrte, der Beklagten den Abschluss eines Konzessionsvertrags mit der Streithelferin zu untersagen. Der Antrag wurde der Beklagten am 29. November 2023 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2023 trat die Streithelferin dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten bei.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Beklage habe den von ihr selbst gesetzten Plausibilitätsmaßstab bei der Bewertung des Angebots der Streithelferin zum Unterkriterium 2.1 ("Netznutzungsentgelte") in sämtlichen drei Unter-Unterkriterien 2.1.1 bis 2.1.3 ("Abnahmefall Haushaltskunde", "Abnahmefall Gewerbekunde", "Abnahmefall Industriekunde") ohne sachlichen Grund nicht zur Anwendung gebracht. Die Entgeltprognose der Streithelferin fuße entgegen den Vorgaben im 4. Verfahrensbrief nicht auf der aktuell genehmigten Erlösobergrenze (2. Regulierungsperiode). Statt als Ausgangsniveau den Wert von 68.370.799 Euro zugrunde zu legen, hätte sie gemäß Veröffentlichung der Bundesnetzagentur in der sog. ARegV31Tabelle (Anlage AS 13), Reiter "Datentabelle", den Wert von 71.289.903 Euro zugrunde legen müssen. Die Streithelferin habe weiter einen falschen Wert von 400.000 Euro für die notwendigen Entflechtungskosten angesetzt. Sie habe einen Anschluss des betroffenen Netzgebietes direkt ab Umspannwerk angenommen, obwohl es zwingend einer Anschlussleitung in das nächste Umspannwerk außerhalb des Netzgebietes bedürfe, was mit Kosten von rund 1 Mio. Euro verbunden sei.
Mit der Einbeziehung der Regelungen des jeweiligen Konzessionsvertragsentwurfs bei der Bewertung der Angebote zu den Unterkriterien der Gruppe A (1.1 ("Investitionskonzept"), 1.2 ("Versorgungsunterbrechung"), 1.4 ("Interventionszeiten"), 1.5 ("Erdverkabelung"), 3.5 ("Verbraucherinformation zu Baumaßnahmen"), 4.1 ("Regulatorische Effizienzwerte") und 5.3 ("Bauverfahren")) habe die Beklagte sich sachgrundlos und damit willkürlich sowie unter Verletzung des Transparenzgebots über die von ihr selbst aufgestellten Bewertungsmaßstäbe gemäß dem Kriterienkatalog hinweggesetzt. An keiner Stelle im Kriterienkatalog werde ausgeführt, dass die vertragliche Ausgestaltung für die Bewertung des jeweiligen Erfüllungsgrades der genannten Unterkriterien der Auswahlkriterien der Gruppe A relevant sein würde. Selbst in dem Fall, dass die Konzessionsvertragsentwürfe bei der Bewertung der genannten Unterkriterien zu berücksichtigen gewesen wären, habe die Beklagte in Bezug auf das Angebot der Klägerin zudem unzutreffend unterstellt, dass das Angebot der Klägerin keine hinreichend konkreten vertraglichen Zusagen enthielte.
Die Auswahlentscheidung der Beklagten sei zudem im Hinblick auf eine Vielzahl von Unterkriterien mit weiteren offenkundigen Beurteilungsfehlern behaftet und damit rechtswidrig. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Angebot der Klägerin ohne die gerügten Rechtsverstöße in der Summe 98,33 Punkte und das Angebot der Streithelferin in der Summe (ohne Berücksichtigung des Fehlers bzgl. des Unterkriteriums 2.1) 85,34 bzw. (mit Berücksichtigung des Fehlers bzgl. des Unterkriteriums 2.1) 68,67 Punkte erhalten hätte und mithin das Angebot der Klägerin das Angebot der Streithelferin in der Rangfolge überholen würde.
Die Klägerin hat in erster Instanz zuletzt beantragt:
1. Der Verfügungsbeklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt, den durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger am 22.12.2016 ausgeschriebenen Wegenutzungsvertrag über den Betrieb des Stromverteilernetzes der allgemeinen Versorgung für das Gemeindegebiet der Verfügungsbeklagten abzuschließen, bis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Auswahl eines Bieters entschieden worden ist.
2. Hilfsweise festzustellen, dass der Stromkonzessionsvertrag, den die Beklagten mit der Streithelferin (etwa) bereits geschlossen hat, nichtig ist.
3. Es wird festgestellt, dass die Auswahlentscheidung der Beklagten in dem Stromkonzessionsverfahren der Gemeinde [...] gemäß Beschluss des Gemeinderates vom 2. Mai 2019 rechtswidrig und unwirksam ist.
4. Die Beklagte wird verpflichtet, das Stromkonzessionsverfahren der Gemeinde [...] (unter Aufhebung des Beschlusses des Gemeinderates vom 2. Mai 2019) fortzusetzen. Hilfsweise hierzu, das Stromkonzessionierungsverfahren der Gemeinde [...] (unter Aufhebung des Beschlusses des Gemeinderates vom 2. Mai 2019) zu wiederholen.
5. Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das Unterlassungsgebot (vorstehend Ziffer 1.) ein Ordnungsgeld in Höhe von EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an dem gesetzlichen Vertreter, angedroht.
Die Beklagte und die Streithelferin haben beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Die Beklage und die Streithelferin haben geltend gemacht, die Anträge Ziff. 1 bis 5 seien unzulässig, da sie nicht auf eine einstweilige Anordnung durch das Gericht gerichtet seien und die Hauptsache vorwegnähmen. Außerdem seien die Anträge 1., 2. und 4. zu unbestimmt, da sie keinen Bezug auf konkrete Rügen nähmen und ihr Verhältnis zueinander unklar sei. Den Feststellunganträgen Ziff. 2 und 3 fehle das Feststellungsinteresse der Klägerin. Dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung stehe die Rechtskraft aus den Urteilen des Landgerichts Mannheim vom 4. März 2020 (14 O 167/19 Kart) und des Senats vom 5. Juli 2021 (6 U 101/20) entgegen. Die Anträge seien auch unbegründet. Die behaupteten Rechtsverletzungen der Beklagten seien für die Klägerin bereits im Rahmen des ersten Akteneinsichtsgesuchs erkennbar gewesen, weshalb die Klägerin diese schon 2019 erhoben habe. Sie seien nunmehr präkludiert, im Übrigen aber auch nicht substantiiert dargelegt sowie nicht glaubhaft gemacht. Die Beklagte habe ein rechtmäßiges, den maßgeblichen Anforderungen aus dem Transparenzgebot und dem Diskriminierungsverbot genügendes Auswahlverfahren durchgeführt.
Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen aller Feststellungen und Einzelheiten ergänzend Bezug genommen wird, hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Die Klägerin habe sämtliche Rügen zwar innerhalb der Frist des § 47 Abs. 2 S. 2 und 3 EnWG erhoben und der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stehe auch nicht die Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Mannheim, Az.: 14 0 167/19, entgegen. Die mit den Anträgen Ziff. 2 und Ziff. 3 verfolgten Feststellungsbegehren der Klägerin seien jedoch bereits unzulässig, da im einstweiligen Verfügungsverfahren eine (jedenfalls uneingeschränkt) in Rechtskraft erwachsende und damit verbindliche Feststellung nicht erwirkt werden könne. Bezüglich Antrag Ziff. 4 sei kein Rechtsschutzinteresse erkennbar. Antrag Ziff. 1 sei zwar zulässig, aber unbegründet, da der Klägerin ein Verfügungsanspruch i. S. v. § 935 ZPO, der auf § 33 Abs. 1 i. V. m. § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. §§ 46, 47 Abs. 6 EnWG GWB beruhen könnte, nicht zustehe. Die Beanstandungen der Klägerin in ihrem Rügeschreiben (unter Beibehaltung der Gliederung der in der Antragsschrift verfolgten Rügen) betreffend:
2.
a) Nichtberücksichtigung des Plausibilitätsmaßstabes bei Bewertung des Angebots der Streithelferin zu Unterkriterium 2.1 ("Netznutzungsentgelte") in sämtlichen drei Unter-Unterkriterien 2.1.1 bis 2.1.3 ("Abnahmefall Haushaltskunde", "Abnahmefall Gewerbekunde", "Abnahmefall Industriekunde")
b) Rechtswidrige Einbeziehung der Regelungen des jeweiligen Konzessionsvertragsentwurfs in die Bewertung von Unterkriterien der Gruppe A (1.1 ("Investitionskonzept"), 1.2 ("Versorgungsunterbrechung"), 1.4 ("Interventionszeiten"), 1.5 ("Erdverkabelung"), 3.5 ("Verbraucherinformation zu Baumaßnahmen"), 4.1 ("Regulatorische Effizienzwerte") und 5.3 ("Bauverfahren")).
3.
a) Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung im Hinblick auf das Unterkriterium 1.1 des Kriterienkataloges ("Investitionskonzept") - Fehlerhafte Punktevergabe zulasten der Klägerin
b) Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung im Hinblick auf das Unterkriterium 1.2 des Kriterienkataloges ("Versorgungsunterbrechungen") - Fehlerhafte Punktevergabe zulasten der Klägerin
c) Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung im Hinblick auf das Unterkriterium 1.4 des Kriterienkataloges ("Interventionszeiten") - Fehlerhafte Punktevergabe an die Streithelferin
d) Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung im Hinblick auf das Unterkriterium 1.5 des Kriterienkataloges ("Erdverkabelung") - Fehlerhafte Punktevergabe zulasten der Klägerin
e) Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung im Hinblick auf das Unterkriterium 1.5 des Kriterienkataloges ("Erdverkabelung") - Fehlerhafte Punktevergabe an die Streithelferin
f) Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung im Hinblick auf das Kriterium 2.2 des Kriterienkataloges ("Netzanschlusskosten") - Fehlerhafte Punktevergabe an die Streithelferin und an die Klägerin
g) Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung im Hinblick auf das Unterkriterium 3.2 des Kriterienkataloges ("Verbraucherservice zu verbraucherfreundlichen Öffnungszeiten") - Fehlerhafte Punktevergabe zulasten der Klägerin
h) Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung im Hinblick auf das Unterkriterium 3.5 des Kriterienkataloges ("Verbraucherinformation zu Baumaßnahmen") - Fehlerhafte Punktevergabe zulasten der Klägerin
i) Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung im Hinblick auf das Unterkriterium 4.1 des Kriterienkataloges ("Regulatorische Effizienzwerte") - fehlerhafte Punktevergabe an die Streithelferin
j) Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung im Hinblick auf das Unterkriterium 5.3 des Kriterienkataloges ("Bauverfahren") - Fehlerhafte Punktevergabe zulasten der Klägerin
seien unbegründet. Es sei sachgerecht im Rahmen der Gesamtbetrachtung der Angebotsinhalte zu den jeweiligen Kriterien vertragliche Regelungen bei der Beurteilung, ob ein bestimmter Zielerfüllungsgrad gegeben ist, miteinzubeziehen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie nur noch die erstinstanzlich mit den Hauptanträgen Ziff. 1 und 5 verfolgten Begehren weiterverfolgt. Sie macht geltend, das Urteil des Landgerichts beruhe auf zahlreichen Rechtsverletzungen. Das Landgericht habe in Verstoß gegen das Transparenzgebot nach § 33 Abs. 1 i. V. m. § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. § 46 EnWG verkannt, dass die Beklagte in unzulässiger Weise vertragliche Zusagen/Regelungen aus dem Konzessionsvertragsentwurf der Bieter in die Angebotsbewertung gemäß den Unterkriterien 1.1, 1.2, 1.4, 1.5, 2.2, 3.5, 4.1 und 5.3 der Gruppe A der Anlage zum 1. Verfahrensbrief mit einbezogen habe, obwohl eine Berücksichtigung von vertraglichen Zusagen/Regelungen bei den Auswahlkriterien dieser Gruppe gerade nicht vorgesehen gewesen sei. Zudem habe das Landgericht rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Beklagte schon bei Zugrundelegung des unstreitigen Sachverhalts gegen den von ihr selbst aufgestellten Plausibilitätsmaßstab in Bezug auf die Bewertung des Unterkriteriums 2.1 ("Netznutzungsentgelte") verstoßen habe, indem die Verfügungsbeklagte einen - nach Auffassung der Klägerin unstreitig - unzutreffenden Ausgangswert in der Netzentgeltprognose der Streithelferin ungeprüft hingenommen habe. Weiter habe das Erstgericht bei der Bewertung des Unterkriteriums 2.1 ("Netznutzungsentgelte") auch gegen das Diskriminierungsverbot aus §§ 33 Abs. 1 i. V. m. § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. § 46 EnWG verstoßen, indem es außer Acht gelassen habe, dass die Beklagte offenkundige - und unstreitige - Widersprüche im Angebot der Streithelferin im Rahmen der Angebotsbewertung unberücksichtigt gelassen habe. Das Erstgericht habe dabei verkannt, dass das Angebot der Streithelferin in sich widersprüchlich sei, wenn dort nämlich einerseits im Rahmen der Netznutzungsentgeltprognose ein Anschluss direkt ab Umspannwerk angenommen werde, anderseits aber kein einziger Euro für die damit zwingend erforderliche Anschlussleitung an das nächste Umspannwerk in die Berechnungen des Investitionskonzepts eingestellt werde.
Die Klägerin beantragt,
1. Das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 01.02.2024, Az. 22 O 42/23, wird aufgehoben.
2. Der Verfügungsbeklagten und Berufungsbeklagten (nachfolgend nur noch "Verfügungsbeklagte") wird im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt, den durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger am 22.12.2016 ausgeschriebenen Wegenutzungsvertrag über den Betrieb des Stromverteilernetzes der allgemeinen Versorgung für das Gemeindegebiet der Verfügungsbeklagten abzuschließen, bis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Auswahl eines Bieters entschieden worden ist.
3. Der Verfügungsbeklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das Unterlassungsgebot (vorstehend Ziff. 2) ein Ordnungsgeld in Höhe von EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an dem gesetzlichen Vertreter, angedroht.
Die Beklagte und die Streithelferin beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte und die Streithelferin verteidigen das angegriffene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Die Berufung genüge den Begründungsanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO nicht und sei daher bereits unzulässig. Die Berufungsklägerin verfolge in der Berufungsinstanz lediglich den erstinstanzlichen und unbestimmten Hauptantrag weiter und trage zudem einzig zu drei erstinstanzlich streitgegenständlichen Rügen und deren Beurteilung durch das Landgericht Mannheim vor. Das Landgericht habe die Rechtsprechung zu den Transparenzanforderungen an die Angebotsauswertung korrekt auf das Auswahlverfahren der Berufungsbeklagten angewendet sowie zu Recht auf die unzureichende Glaubhaftmachung des vermeintlich falschen EOG-Werts für die Netzentgeltprognose der Streithelferin und die vermeintlich erforderlichen Entflechtungskosten abgestellt. Darüber hinaus seien die Rügen gegen die Wertung der vertraglichen Zusagen und gegen die Wertung der Netzentgeltprognose der Streithelferin auch im Übrigen unbegründet. Bei den streitgegenständlichen Kriterien handle es sich um einen Konzeptwettbewerb, bei dem es nicht erforderlich sei, dass sämtliche bei der Bewertung zum Tragen kommenden Aspekte und Erwägungen bereits im Vorhinein benannt würden. Es sei Wesen des Konzeptwettbewerbs, dass die Bieter aufgerufen seien, Ideen zu entwickeln und Maßnahmen in ihrem Angebot zu unterbreiten, die die Sicherstellung des mit dem jeweiligen Kriterium zu erreichenden Ziels gewährleisteten. Das bringe es mit sich, dass solche Maßnahmen, die die Gewährleistung des vorgegebenen Ziels fördern und sicherstellen, auch der Bewertung unterliegen würden. Sie seien Teil des angebotenen Konzepts, was auch für rechtliche Maßnahmen, wie beispielsweise die hier streitgegenständlichen vertraglichen Zusagen und Sicherungsmittel, gelte. Auch insoweit handle es sich um materielle Aspekte des Konzeptes, die der vom Kriterium vorgegebenen Zielerfüllung dienten. Zudem seien die geltend gemachten angeblichen Rechtsverletzungen bereits nicht kausal für die Auswahlentscheidung, sodass auch die Erheblichkeit vermeintlicher Fehlanwendungen materiellen und prozessualen Rechts durch das Landgericht ausscheide. Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stünden schließlich weiterhin die bereits eingetretene Rechtskraft und Präklusion entgegen.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 28. August 2024 verwiesen.
II.
Die nur teilweise zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Beklagte hat die Klägerin in dem Verfahren nach §§ 46 f. EnWG nicht unbillig behindert.
1. Die Berufung ist bereits nur teilweise zulässig. Die Berufungsbegründung ist nur insoweit genügend, als sie eine fehlerhafte Rechtsanwendung des Landgerichts bei der Beurteilung der Rügen der Beklagten bezüglich
- der nach Auffassung der Beklagten unzulässiger Weise erfolgten Berücksichtigung von vertraglichen Zusagen/Reglungen bei der Bewertung der Angebote zu den Unterkriterien 1.1, 1.2, 1.4, 1.5, 2.2, 3.5, 4.1 und 5.3 (vorstehend wiedergegeben unter 2 b)) und
- des von der Klägerin angenommenen Verstoßes der Beklagten gegen ihren eigenen Plausibilitätsmaßstab (unzutreffende Erlösobergrenze) und das Diskriminierungsverbot (unberücksichtigte Widersprüche bei Entflechtungskosten) bei der Bewertung des Unterkriteriums 2.1 ("Netznutzungsentgelte") (vorstehend wiedergegeben unter 2 a))
beanstandet.
Soweit die Berufung sich gemäß den Ausführungen der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 5. August 2024 und den Erläuterungen ihrer Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vom 25. August 2024 auch auf die weiteren erstinstanzlich geltend gemachten, vorstehend unter 3 a) bis 3 j) dargestellten Rügen zur Bewertung der Angebote im Hinblick auf netzbetriebskonzeptionelle Inhalten erstreckt, die damit Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden sind, ist sie unzulässig.
a) Nach § 520 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 ZPO muss die Berufungsbegründung die bestimmte Bezeichnung der im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten. Die gesetzliche Regelung bezweckt, formale und nicht auf den konkreten Streitfall bezogene Berufungsbegründungen auszuschließen, um dadurch auf die Zusammenfassung und Beschleunigung des Verfahrens im zweiten Rechtszug hinzuwirken (BGH, NJW 1984, 177 = ZIP 1983, 1510; NJW 1999, 3126). Die Rechtsmittelbegründung muss zudem geeignet sein, das gesamte angefochtene Urteil in Frage zu stellen. Bei mehreren Streitgegenständen oder einem teilbaren Streitgegenstand muss die Berufungsbegründung sich grundsätzlich auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich deren eine Abänderung beantragt ist; andernfalls ist das Rechtsmittel für den nicht begründeten Teil unzulässig (BGHZ 22, 272 [278] = NJW 1957, 424; BGH, NJW 1998, 1081 [1082]; NJW-RR 2006, 1044 Rn. 20 ff. - Schlank-Kapseln; BGH, NJW-RR 2007, 414 Rn. 10; BGH, NJW 2015, 3040 Rn. 11).
b) Nach der Rechtsprechung des Senats qualifiziert sich der Streitgegenstand, wie er durch den geltend gemachten Klaganspruch sowie durch den Lebenssachverhalt definiert wird, aus dem er hergeleitet und mit dem er begründet wird, im Verfahren nach § 47 Abs. 5 EnWG - so auch im Streitfall - durch das auf Primärrechtsschutz gerichtete Verlangen der Klagepartei in einem laufenden Konzessionierungsverfahren, eine (potenzielle) subjektive Rechtsverletzung des Konzessionsbewerbers abzuwehren, welche aus dem gerügten objektiven Rechtsverstoß der Gemeinde ohne dessen Abstellen bei Fortsetzung oder Abschluss des Konzessionierungsverfahrens folgen und durch eine etwaige Präklusion perpetuiert würde. Die einzelne Rüge, die eine als rechtswidrig angesehene Verfahrensweise in ihrem den objektiven Rechtsverstoß begründenden Sachgehalt tatsächlich umreißt, berührt dabei regelmäßig einen separaten Klage-/Antragsgrund und begründet hiernach grundsätzlich einen gesonderten Streitgegenstand (vgl. Senat, Urteil vom 28. August 2019 - 6 U 109/18 Kart).
c) Diese Grundsätze gelten auch im Verfahrensstadium der Auswahlentscheidung der Gemeinde (§ 46 Abs. 5 Satz 1 EnWG), da dortige Rechtsverletzungen der Gemeinde ebenso wie Rechtsverletzungen bei der Aufstellung der Auswahlkriterien (§ 46 Abs. 4 Satz 4 EnWG), nach § 47 Abs. 2 Satz 2 EnWG zu rügen sind und, sofern eine Rüge nicht erfolgt ist, nicht mehr geltend gemacht werden können. Danach handelt es sich bei den vorstehend unter 3 a) bis 3 j) wiedergegebenen Rügen der Beklagten um gesonderte Streitgegenstände, da sie, wie sich aus den zu deren Begründung vorgetragenen Tatsachen ergibt, jeweils auf anderen Umständen als die vorstehend unter 2 a) und 2 b) wiedergegebenen Rügen beruhen und damit selbständige Rechtsverstöße der Beklagten bei der Bewertung der Angebote der Klägerin bzw. der Streithelferin zu einzelnen Kriterien bzw. Unterkriterien betreffen. Daher ist das Rechtsmittel der Klägerin unzulässig, als es keine Begründung der Anfechtung des landgerichtlichen Urteils bezüglich der Rügen 3 a) bis 3 j) enthält. Soweit die Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 25. August 2024 - wie auch bereits in der Replik ausgeführt - erläutert haben, sämtliche - bereits vorprozessual erhobenen und erstinstanzlich weiterverfolgten - Rügen seien Gegenstand der Berufung, da die unzulässige Berücksichtigung vertraglicher Zusagen bei der Bewertung einer Vielzahl von Unterkriterien, nämlich bei der Bewertung der Unterkriterien 1.1, 1.2, 1.4, 1.5, 2.2, 3.5, 4.1 und 5.3, sich durch die gesamte angegriffene Entscheidung des Erstgerichts ziehe, vermag der Senat dem nicht zu folgen, auch wenn die Klägerin die Unterkriterien 1.1, 1.2, 1.4, 1.5, 2.2, 3.5, 4.1 und 5.3 sowohl mit der Rüge 2 b) als auch mit den Rügen 3 a) bis 3 j) beanstandet. Denn die Rüge 2 b) betrifft die aus Sicht der Klägerin unzulässige Berücksichtigung eines bestimmten nicht im Kriterienkatalog vorab mitgeteilten Gesichtspunkts, nämlich vertragliche Zusagen / Regelungen, während die Rügen unter 3 a) bis 3 j) davon trennbare behauptete Rechtsverstöße bei der Bewertung der Angebote im Hinblick auf netzbetriebskonzeptionelle Inhalte betreffen, deren Anfechtung einer gesonderten Begründung bedarf, die der klägerische Vortrag vermissen lässt, sodass die Berufung insoweit unzulässig ist.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 47 Abs. 5 EnWG unterliegt - soweit er im Berufungsverfahren Gegenstand der Beurteilung ist - keinen entscheidungserheblichen Zulässigkeitsbedenken.
a) Das einstweilige Verfügungsverfahren ist als solches nach § 47 Abs. 5 Satz 2 EnWG mit dem gestellten Unterlassungsantrag grundsätzlich statthaft und scheitert auch nicht an besonderen Voraussetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes (siehe Senat, Urteil vom 27. Januar 2021 - 6 U 95/20 Kart mwN). Nach § 47 Abs. 5 Satz 3 EnWG muss ein Verfügungsgrund nicht glaubhaft gemacht werden. Nach der Gesetzesbegründung soll sich die Rechtsgefährdung bereits aus der drohenden Präklusion ergeben (vgl. BT-Drucks. 18/8184, S. 17; siehe Senat, Urteil vom 28. August 2019 - 6 U 109/18 Kart; Urteil vom 27. Januar 2021 - 6 U 95/20 Kart).
b) Der Zulässigkeit des Antrags steht eine etwaig eingetretene Präklusion der im Verfahren (noch zulässigerweise) verfolgten Rügen nicht entgegen.
Die Präklusionsanordnung in § 47 EnWG formuliert anders als § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB im Rahmen des Vergabeverfahrens im Oberschwellenbereich nicht lediglich eine Zulässigkeits- und Zugangsvoraussetzungen zu einem spezifischen Nachprüfungsverfahren (vgl. hierzu: BeckOK VergabeR/Gabriel/Mertens, Stand 31. Juli 2018, GWB, § 160 Rn. 134, 135). Während es zu § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB umstritten und noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ob dem Versäumen der Geltendmachung von Vergaberechtsverstößen in einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren eine materiell-rechtliche Wirkung zukommt im Sinne eines Hindernisses, derartige Verstöße nachträglich zum Gegenstand eines Zivilrechtsverfahrens zu machen (vgl. OLG Celle, NZBau 2018, 314 Rn. 29 ff. mwN), dient die Präklusion nach § 47 EnWG dazu, eine frühzeitige Rechtssicherheit herbeizuführen (vgl. BT-Drs. 18/8184, S. 16), indem es den beteiligten Unternehmen überhaupt verwehrt ist, sich nach Ablauf der Rügefristen auf präklusionsfähige, aber nicht gerügte Rechtsverletzungen zu berufen (vgl. Czernek, EnWZ 2018, 99, 102, 104). Ob sich der Teilnehmer am Bieterwettbewerb im Konzessionierungsverfahren nach § 46 EnWG auf eine Rechtsverletzung berufen kann oder ihm dies mangels rechtzeitiger Rüge verwehrt ist, erscheint danach als Frage der materiellen Begründetheit eines auf einen behaupteten Rechtsverstoß gestützten (Verfügungs-)Anspruchs (so im Ergebnis auch: KG, Urteil vom 25. Oktober 2018 - 2 U 18/18 (Kart) Rn. 22, insoweit nicht veröffentlicht in EnWZ 2019, 76; Senat, Urteil vom 28. August 2019 - 6 U 109/18 Kart).
c) Gegen die Zulässigkeit des im Verfügungsverfahren verfolgten Antrags im Übrigen bestehen keine Bedenken. Insbesondere ist der Antrag hinreichend bestimmt (§ 253 ZPO).
Die Klägerin erstrebt mit Antrag Ziff. 1, dass es der Beklagten untersagt wird, den gegenständlichen Wegenutzungsvertrag abzuschließen, bis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Auswahl eines Bieters entschieden worden ist. Soweit für eine hinreichende Bestimmtheit des Antrags im Verfahren nach § 47 EnWG aus Sicht des Senats zu fordern ist, dass der Antrag den gerügten Rechtsverstoß konkret benennt, ist der Gegenstand der in der Berufungsinstanz (zulässig) weiterverfolgten Rügen nach der zur Auslegung des Antrags heranzuziehenden Begründung der Antragsschrift eindeutig bestimmbar und vom Landgericht zutreffend erfasst worden. Eine insoweit klarstellende und bestimmte Fassung eines etwaigen Verpflichtungs-/Verbotstenors von Amts wegen ermöglichte dem Senat die im Verfügungsverfahren Anwendung findende Regelung nach § 938 ZPO.
d) Der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung steht auch nicht, wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, die Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Mannheim, Az.: 14 O 167/19, entgegen. Die Klägerin erhielt auf Grund dieses Urteils, das zu einem von der Klägerin zulässigerweise (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 5. Juli 2021, Az. 6 U 101/20 Kart) allein auf den Einwand der unzureichenden Akteneinsicht gestützten Begehren ergangen ist, erstmals vollständige Akteneinsicht. Auch wenn es sich bei den von der Klägerin nach erfolgter vollständiger Akteneinsicht erhobenen Rügen um solche handelt, zu deren Rüge sie sich zuvor auch ohne vollständige Akteneinsicht in der Lage gesehen hat, führt dies entgegen der Auffassung der Beklagten und der Streithelferin nicht dazu, dass sie diese bereits in dem auf die unzureichende Akteneinsicht gestützten Verfahren hätte geltend machen müssen. Denn ob sie diese Rügen nach Erhalt der Akteneinsicht weiterverfolgen würde und/oder ob noch weitere Rügen hinzukommen würden, konnte sie vor Erhalt der vollständigen Akteneinsicht nicht absehen. Bei Zugrundelegung der Auffassung der Beklagten und der Streithelferin würde die Klägerin für den Fall, dass sich auf Grundlage der Akteneinsicht weitere Rügen ergeben, zur Durchführung mehrerer Verfahren gezwungen, was ihre Interessen unzumutbar beeinträchtigen und auch dem Grundsatz der Prozessökonomie zuwiderlaufen würde. Schließlich ließe sich ein solches Ergebnis nicht mit § 47 Abs. 6 EnWG nicht in Einklang bringen. Denn danach darf der Konzessionsvertrag erst nach Ablauf der in § 47 Abs. 2 Satz 3 EnWG gesetzten Frist für die Rüge von Rechtsverletzungen im Rahmen der Auswahlentscheidung, die aus der Information nach § 46 Abs. 5 Satz 1 EnWG erkennbar sind, geschlossen werden, und beginnt nach § 47 Abs. 2 Satz 4 EnWG die Frist nach Satz 3 für den Antragsteller erneut ab dem ersten Tag, an dem die Gemeinde die Akten zur Einsichtnahme bereitgestellt hat. Daraus kann nur geschlossen werden, dass ohne eine den Anforderungen des § 47 EnWG genügende Akteneinsicht die Frist für die Geltendmachung von Rechtsverletzungen im Rahmen der Auswahlentscheidung nicht ablaufen soll, sondern dass ab dem Tag, an dem die Gemeinde die Akten zur Einsichtnahme bereitgestellt hat, die Frist erneut beginnt (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 5. Juli 2021, Az. 6 U 101/20 Kart).
2. Die Berufung ist - soweit sie zulässig ist - unbegründet. Das Landgericht hat ohne Verletzung des Rechts angenommen, dass der Klägerin kein Verfügungsanspruch i. S. v. § 33 Abs. 1 i. V. m. § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. §§ 46, 47 Abs. 6 EnWG zusteht. Die Beklagte hat die Klägerin in dem Verfahren nach §§ 46 f. EnWG nicht unbillig behindert.
a) Die Klägerin hat die hier geltend gemachten Rechtsverstöße allerdings in Einklang mit § 47 Abs. 1 EnWG und innerhalb der Frist nach § 47 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 EnWG durch eine Rüge in Textform gegenüber der Gemeinde erklärt und begründet sowie die gerügten Rechtsverletzungen sodann nach Zugang der Nicht-Abhilfeentscheidung binnen der Frist nach § 47 Abs. 5 Satz 1 EnWG vor Gericht geltend gemacht (siehe zu diesen Anforderungen Senat, Urteil vom 27. Januar 2021 - 6 U 95/20 Kart).
b) Das Landgericht ist bei der Beurteilung der mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vorgebrachten Rügen von einem zutreffenden Prüfungsmaßstab ausgegangen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist es den Gemeinden als marktbeherrschenden Anbietern der Wegenutzungsrechte im Sinn von § 46 Abs. 2 EnWG in ihrem Gebiet gemäß § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB untersagt, ihre marktbeherrschende Stellung durch unbillige Behinderung der Bewerber um den Abschluss eines Konzessionsvertrags missbräuchlich auszunutzen. Die Gemeinden sind vielmehr nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB und § 46 EnWG verpflichtet, den Konzessionär für den Betrieb eines Energieversorgungsnetzes in einem diskriminierungsfreien Wettbewerb auszuwählen. Die Auswahl muss in einem transparenten Verfahren erfolgen und ist vorrangig an Kriterien auszurichten, die das Ziel des § 1 EnWG (Gewährleistung einer sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträglichen, leitungsgebundenen örtlichen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas) konkretisieren. Genügt die Konzessionsvergabe diesen Anforderungen nicht, liegt eine unbillige Behinderung derjenigen Bewerber vor, deren Chancen auf die Konzession dadurch beeinträchtigt werden (vgl. BGHZ 199, 289 Rn. 16 ff, 34 ff - Stromnetz Berkenthin; BGH, RdE 2020, 358 Rn. 31 f - Gasnetz Leipzig).
Ob ein fehlerhaftes Auswahlverfahren Bewerber um die Konzession unbillig behindert, bestimmt sich anhand einer Gesamtwürdigung und Abwägung aller beteiligten Interessen unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die auf eine Sicherung des Leistungswettbewerbs und insbesondere die Offenheit der Marktzugänge gerichtet ist (vgl. BGH, Urteile vom 17. Dezember 2013, KZR 65/12, - Stromnetz Heiligenhafen, Rn 43 ff; OLG Schleswig, Urteil vom 7. März 2022 - 16 U 166/21 Kart).
aa) Das Auswahlverfahren muss so gestaltet werden, dass die am Netzbetrieb interessierten Unternehmen erkennen können, worauf es der Gemeinde bei der Auswahlentscheidung ankommt. Denn nur dann ist gewährleistet, dass die Auswahlentscheidung im unverfälschten Wettbewerb nach sachlichen Kriterien und diskriminierungsfrei zugunsten desjenigen Bewerbers erfolgt, dessen Angebot den Auswahlkriterien am besten entspricht. Das aus dem Diskriminierungsverbot folgende Transparenzgebot verlangt dementsprechend, dass den am Netzbetrieb interessierten Unternehmen die Entscheidungskriterien der Gemeinde und ihre Gewichtung rechtzeitig vor Angebotsabgabe mitgeteilt werden (vgl. BGHZ 199, 289 Rn. 35 - Stromnetz Berkenthin; BGH, RdE 2015, 29 Rn. 52 - Stromnetz Homberg; RdE 2020, 358 Rn. 32 - Gasnetz Leipzig; RdE 2020, 422 Rn. 15 - Stromnetz Steinbach). Die notwendige Transparenz ist im Allgemeinen dann hergestellt, wenn alle gebührend informierten und mit der üblichen Sorgfalt handelnden Bieter die genaue Bedeutung der Bedingungen und Modalitäten verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können, und auch die Gemeinde überprüfen kann, ob und in welchem Umfang die Angebote der Bieter die geltenden Kriterien erfüllen (vgl. Senat, Urteil vom 3. April 2017 - 6 U 153/16 Kart,; Urteil vom 28. August 2019 - 6 U 109/18 Kart; Urteil vom 27. Januar 2021 - 6 U 95/20 Kart).
bb) Bei der Bewertung der Angebote steht der Gemeinde ein Bewertungsspielraum zu. Deshalb kann die Auswahlentscheidung gerichtlich nur daraufhin überprüft werden, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten worden ist, von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen wurde, keine sachwidrigen Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen sind und sich die Wertungsentscheidung im Rahmen der Gesetze und der allgemeingültigen Beurteilungsmaßstäbe - d.h. Besseres besser, Schlechteres schlechter, Gleiches gleich zu werten und Minder- oder Mehrbemessungen nur bei bedeutsamen Abweichungen vorzunehmen - hält. Die Bewertung muss plausibel, nachvollziehbar und sachlich gut vertretbar sein (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 16. April 2018 - 16 U 110/17 Kart; Senat, Urteil vom 27. März 2019 - 6 U 113/18 Kart; OLG Koblenz, Urteil vom 12. September 2019 - U 678/19 Kart).
c) Die von der Beklagten getroffene Auswahlentscheidung genügt diesen Anforderungen und führt nicht zu einer unbilligen Behinderung der Klägerin. Eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums bei der Auswertung der nachfolgenden Kriterien ist nicht feststellbar.
aa) In Bezug auf die Unterkriterien 1.1 ("Investitionskonzept"), 1.2 ("Versorgungsunterbrechung"), 1.4 ("Interventionszeiten"), 1.5 ("Erdverkabelung"), 2.2 ("Netzanschlusskosten), 3.5 ("Verbraucherinformation zu Baumaßnahmen"), 4.1 ("Regulatorische Effizienzwerte") und 5.3 ("Bauverfahren") durfte die Beklagte bei deren Bewertung vertragliche Zusagen / Regelungen des jeweiligen Konzessionsvertragsentwurfs berücksichtigen, auch wenn dies im Kriterienkatalog nicht vorab mitgeteilt worden ist.
(1) Die Beklagte hat sich entschieden, das Konzessionsvergabeverfahren als offenen Ideen- und Konzeptwettbewerb (auch in Bezug auf den von den Bietern vorzulegenden Konzessionsvertragsentwurf) in Verbindung mit der Ankündigung einer absoluten Bewertungsmethode auszugestalten, was die Klägerin auch nicht beanstandet.
Das Transparenzgebot verlangt von den Gemeinden nicht, sämtliche materiellen Aspekte, die sie bei der vorzunehmenden Wertung der Angebote berücksichtigen will, im Vorhinein bis ins letzte Detail wertungsmäßig aufzuschlüsseln (vgl. Senat, Urt. v. 27. April 2022 - 6 U 318/21 Kart; Urt. v. 27. Januar 2021 - 6 U 95/20 Kart Rn. 349 f.). Dies gilt zumindest, wenn die zur Erläuterung der Unterkriterien aufgeführten Aspekte keine abschließende Auflistung, sondern vielmehr die aus Sicht der Kommune zentralen Gesichtspunkte darstellten. Dies ist notwendige Folge, soweit eine inhaltliche Offenheit des Bieterwettbewerbs den Bewerbern Spielraum dafür lässt, auch eigene (neue) Gesichtspunkte einzubringen (vgl. Senat, Urteil vom 11. Dezember 2019 - 6 U 81/19, S. 26, unveröffentlicht; KG, Urteil vom 25. Oktober 2018 - 2 U 18/18 EnWG). Insoweit fordert das Transparenzgebot bei zulässigen Offenheiten der Ausschreibung für eigene Gestaltungen des Bieters nicht, dass er bei Abgabe seines Gebots weiß, welche Leistungen er bieten muss, um das am höchsten zu bewertende Gebot zu machen (siehe auch Senat, Urteil vom 11. Dezember 2019 - 6 U 81/19, S. 26, unveröffentlicht; Beck-VergabeR/Opitz, 4. Aufl., GWB § 127 Rn. 133 mwN zum Vergaberecht; Senat, Urteil vom 27. April 2022 - 6 U 318/21 Kart).
Ferner ist es grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass die angekündigten Bewertungsmaßstäbe ausfüllungsbedürftige Begriffe enthalten, die erst bei der Bewertung und Einstufung der Angebote im Einzelfall - ohne Veränderung der Zuschlagskriterien oder ihrer Gewichtung - konkretisiert werden können und damit in ihrer Anwendung qualitative Wertungen erfordern. Solche sind nicht zu vermeiden, soweit die Ausschreibung ergebnisoffene Elemente enthält, was unter dem Gesichtspunkt der Transparenz der Bewertungsabsicht nicht unzulässig ist, sofern die Bieter erkennen können, welche Anforderungen damit an sie gestellt werden, insbesondere welche Gesichtspunkte eines Angebots positiv gewertet werden (vgl. Senat, Urt. v. 27. April 2022 - 6 U 318/21 Kart).
Auch wenn das Transparenzgebot demnach bei zulässigen Offenheiten der Ausschreibung für eigene Gestaltungen des Bieters nicht verlangt, dass er bei Abgabe seines Gebots weiß, welche Leistungen er bieten muss, um das am höchsten zu bewertende Gebot zu machen (vgl. Senat, Urt. v. 27. Januar 2021 - 6 U 95/20 Kart Rn. 349), bleibt es auch in diesem Zusammenhang dabei, dass der Bieter gerade im Graubereich wissen muss, welche Aspekte überhaupt positiv bewertet werden, weil er andernfalls nicht in die Lage versetzt wird, ein sachgerechtes Angebot abzugeben (vgl. Senat, Urt. v. 27.01.2021, 6 U 95/20 Kart Rn. 415 zum Graubereich bei höchstrichterlich in ihrer Zulässigkeit nicht geklärter Leistungsangebote). Ob bei einzelnen Kriterien weitere Konkretisierungen in den Ausschreibungsbedingungen insbesondere zur Vorbeugung von Spielräumen für sachwidrige Bewertungen geboten sind, ohne dabei den Ausschreibungsspielraum der Gemeinden, die mit dem offenen Ideen- und Konzeptwettbewerber gerade die Expertise der Bieter fruchtbar machen möchten, anstatt konkrete Leistungen selbst vorzugeben, unzumutbar einzuengen, ist eine Frage der transparenten Ausformulierung des jeweiligen Kriteriums nach dessen etwaigen Besonderheiten (vgl. Senat, Urt. v. 27. April 2022 - 6 U 318/21 Kart, Rn. 102, 112).
(2) Nach diesen Maßstäben durfte die Beklagte vertragliche Zusagen und Regelungen des jeweiligen Konzessionsvertragsentwurfs bei der Bewertung der Unterkriterien 1.1 ("Investitionskonzept"), 1.2 ("Versorgungsunterbrechung"), 1.4 ("Interventionszeiten"), 1.5 ("Erdverkabelung"), 3.5 ("Verbraucherinformation zu Baumaßnahmen"), 4.1 ("Regulatorische Effizienzwerte") und 5.3 ("Bauverfahren") berücksichtigen, auch wenn dies im Kriterienkatalog nicht vorab mitgeteilt worden ist, ohne gegen das Transparenzgebot zu verstoßen.
(aa) Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass es unbedenklich sein dürfte, als Wertungskriterium beim Angebotsvergleich Einflussmöglichkeiten der Gemeinde (insbesondere Informations- und Nachverhandlungspflichten, Mitwirkungs- und Konsultationsrechte) zu berücksichtigen, wie sie auf vertragsrechtlicher Grundlage geschaffen werden können, um insbesondere auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Entwicklung der Gemeinde über die gesamte Laufzeit des Konzessionsvertrags und die sich hieraus ergebenden veränderten Anforderungen an den Netzbetrieb nicht zuverlässig vorhersehbar sind (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 - KZR 66/12 - Berkenthin, BGHZ 199, 289-322, Rn. 52). Allerdings hält der Bundesgerichtshof es für erforderlich, dass die Gemeinde Einflussmöglichkeiten, die sie für unverzichtbar hält, bereits im Rahmen der Leistungsbeschreibung für den Konzessionsvertrag für alle Angebote verbindlich vorgeben muss. Ihre zusätzliche Berücksichtigung bei der Bewertung der ordnungsgemäßen Angebote ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann nicht mehr möglich.
(bb) In der Literatur und der Rechtsprechung wird daher teilweise gefordert, dass die Gemeinde, wenn sie zu einzelnen Auswahlkriterien vertragliche Zusagen verlangt, vorab mitteilen müsse, wie diese Zusagen bei der Bewertung der Angebote gewichtet werden (Berliner Kommentar zum Energierecht/Säcker, 4. Auflage 2019, § 46 EnWG Rn. 129; OLG Frankfurt, Beschluss vom 9. März 2015,11 W 47/14,) bzw. dass die nicht vorab mitgeteilte Berücksichtigung vertraglicher Zusicherungen einen Bewertungsfehler darstelle (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 5. August 2022 - 13 U 81/21, Rn. 20).
(cc) Dass vertragliche Zusagen von der Kommune bei der Bewertung der Auswahlkriterien nur dann berücksichtigt werden dürfen, wenn dies vorab mitgeteilt wurde, folgt nach Auffassung des Senats aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch nicht, da diese nur den Fall betrifft, dass die Kommune vertragliche Einflussmöglichkeiten für unverzichtbar hält, was im Streitfall nicht ersichtlich ist, da das Vorliegen von vertraglichen Zusagen bei der Bewertung der einzelnen Auswahlkriterien im Hinblick auf den Grad der Zielerfüllung lediglich als einer von vielen Gesichtspunkten herangezogen wurde und nicht etwa als unabdingbare Voraussetzung für das Erreichen einer bestimmten Punktzahl.
Die Frage, ob die Planungshoheit der Gemeinde und ihr Recht zur Konkretisierung der energiewirtschaftsrechtlichen Ziele des Netzbetriebs es rechtfertigen können, bei der Auswahl des Netzbetreibers auch gemeindliche Einflussmöglichkeiten auf betriebliche Entscheidungen des Netzbetreibers und deren Umfang [ohne vorherige Mitteilung] zu berücksichtigen, hat der Bundesgerichtshof dagegen ausdrücklich offengelassen (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013, KZR 66/12 - Berkenthin, BGHZ 199, 289, Rn. 51).
(dd) Der Senat beantwortet diese Frage für den Streitfall nach seiner vorstehenden Rechtsprechung zu den Anforderungen an die Wahrung des Transparenzgebots in einem Konzeptwettbewerb dahingehend, dass die Beklagte vertragliche Zusagen der Bieter bei der Bewertung der Auswahlkriterien berücksichtigen durfte, auch wenn dies nicht vorab im Kriterienkatalog mitgeteilt worden ist.
Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass die Existenz und Qualität vertraglicher Sicherungsmittel und Sanktionsmechanismen einen geeigneten Gradmesser dafür darstellen, inwieweit der jeweilige Bieter sich über die Ausführungen in seinem Konzept hinaus zur Erfüllung seiner Angebotsinhalte vertraglich verpflichtet und dass die Berücksichtigung von kriteriumsbezogenen Leistungszusagen, hieran anknüpfenden Informations- und Berichtspflichten, Abhilfepflichten bei Nichterfüllung, Vertragsstrafen und Sonderkündigungsrechten dazu beitragen kann, zu ermitteln, ob die von der Beklagten vorgegebene Zielerfüllung "in besonderem Maße gewährleistet ist" (= 3 Wertungspunkte), "wahrscheinlich ist" (= 2 Wertungspunkte), "noch möglich ist" (= 1 Wertungspunkt) oder "kein belastbarer Schluss auf die Zielerfüllung möglich ist" (= 0 Wertungspunkte) (vgl. auch KG Berlin, Urteil vom 25. Oktober 2018, 2 U 18/18 EnWG, Rn. 61; Theobald/Kühling/Theobald/Schneider, 115. EL Januar 2022, EnWG § 46 Rn. 118). Die Gemeinde und die Netzkunden haben grundsätzlich keine rechtlichen Möglichkeiten, die Umsetzung der Konzepte einzufordern. Ohne vertragliche Absicherung handelt es sich bei den in den Konzepten enthaltenen Darstellungen nur um unverbindliche Absichtserklärungen (OLG Celle, Beschluss vom 5. August 2022, 13 U 81/21). Dass die Gemeinde einer rechtlich abgesicherten Verpflichtung bei der Bewertung eines Angebots eine höhere Wertschätzung entgegenbringen wird, als einer bloßen unverbindlichen Selbstanpreisung der Absichten des Bieters, erscheint dem Senat zudem so selbstverständlich, dass es hierzu keiner ausdrücklichen Erwähnung im Kriterienkatalog bedurfte.
Dem steht auch nicht entgegen, dass im Kriterienkatalog eine Untergliederung der Kriterien in die Gruppe A "Erreichung der Ziele des § 1 EnWG" und Gruppe B "Konzessionsvertrag" erfolgte. Aus Sicht eines durchschnittlichen Bewerbers war es durchaus vorhersehbar, dass die Umsetzung der Konzepte im Konzessionsvertragsentwurf (Gruppe B) in die Bewertung der Kriterien der Gruppe A einfließen könnte. Denn die Beklagte hat auch bezüglich des Konzessionsvertrags einen offenen Bieterwettbewerb durchgeführt, der den Bewerbern Spielraum bei der Gestaltung der vertraglichen Regelungen lässt. Dadurch war aus der Sicht eines verständigen Bewerbers erkennbar, dass es sich um eine rein inhaltliche Trennung zwischen netzkonzeptionellen und vertraglichen Inhalten handelt und er die Möglichkeit hat, durch eigene (neue) Ideen bei der Vertragsgestaltung die Wahrscheinlichkeit der Zielerfüllung bei den Kriterien der Gruppe A zu beeinflussen. Die Forderung der vorherigen Mitteilung der für die einzelnen Kriterien zu berücksichtigenden vertraglichen Regelungen liefe darauf hinaus, der Gemeinde die Durchführung eines partiell anderen Vergabeverfahrens aufzuerlegen, als es ihren eigentlichen Intentionen entspricht, und den Bietern direkt oder mittelbar Lösungskomponenten vorzugeben, die diese zwangsläufig aufgreifen würden, um in der Angebotswertung bestehen zu können; damit würde die Gemeinde gezwungen, Aufgaben zu übernehmen, deren Lösung sie im Rahmen des offenen Ideen- und Konzeptwettbewerbs in rechtlich unbedenklicher Weise auf die Bieter delegieren wollte (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 6. Juni 2019 - 2 U 218/18; Senat, Urteil vom 27. April 2022 - 6 U 318/21 Kart). Mithin würde ein nach konzeptionellen Kriterien beabsichtigter Ideenwettbewerb konterkariert, wenn die Gemeinde gezwungen wäre, vertragliche Regelungen für die einzelnen Kriterien zu entwickeln und vorzugeben, was zugleich dazu führen würde, dass sie nicht von ihr bedachte, vom Bieter (neu) entwickelte Vertragsgestaltungen nicht berücksichtigen dürfte. An dieser Bewertung ändert auch der von der Klägerin vorgebrachte Umstand nichts, dass die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zwischenzeitlich in "neueren" - wie die Klägerseite in der mündlichen Verhandlung vom 28. August 2024 klargestellt hat - nicht von der Beklagten betriebenen Energiekonzessionsverfahren Unterkriterien zur Bewertung etwaiger vertraglicher Zusagen in die Gruppe A des Kriterienkatalogs aufgenommen haben, da diese in keinerlei Zusammenhang mit Vergabeverfahren der Beklagten stehende Vorgehensweise keine Auswirkung auf die Zulässigkeit der Ausschreibung im Streitfall haben kann. Unabhängig davon führt der Umstand, dass die Kommune im vorliegenden Fall nicht gezwungen war, Unterkriterien zur Bewertung vertraglicher Gestaltungen vorzusehen, nicht dazu, dass es ihr nicht freistehen würde, dies zu tun, ohne dass vorherige Ausschreibungen dadurch unzulässig würden.
bb) Auch soweit sich die Klägerin mit der Berufung noch dagegen wendet, dass das Landgericht die Bewertung der Beklagten zum Unter-Kriterium 2.1 "Netznutzungsentgelte" als vom gemeindlichen Beurteilungsspielraum gedeckt angesehen hat, erweist sich die Berufung als unbegründet.
(1) Es bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Streithelferin ihrem Angebot eine unplausible Prognose zugrunde gelegt hätte und dass die von der Beklagten durchgeführte Prüfung der Plausibilität daher unzureichend gewesen wäre.
(aa) Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Klägerin nicht glaubhaft gemacht hat, dass die Streithelferin von einem unzutreffenden Ausgangswert in Gestalt der Erlösobergrenze bei der Netzentgeltprognose ausgegangen ist.
Gemäß den Vorgaben des ersten Verfahrensbriefes war für den Regulierungs- und Kalkulationsrahmen gemäß Anreizregulierungsverordnung und Stromnetzentgeltverordnung der Stand zum Datum des Verfahrensbriefes zugrunde zu legen. Im vierten Verfahrensbrief hat die Beklagte zudem die Rückfrage eines Bieters, ob bei der Ermittlung der Erlösobergrenze die Inhalte aus einem derzeit von der Bundesnetzagentur durchgeführten Anhörungsverfahren zur Anpassung der kalenderjährlichen Erlösobergrenze zu berücksichtigen seien, ausdrücklich dahingehend beantwortet, dass für das Bestandsnetz des jeweiligen Bieters auf die aktuell genehmigte Erlösobergrenze (2. Regulierungsperiode) als Grundlage abzustellen sei.
Beklagte und Streithelferin haben nachvollziehbar dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die von der Klägerin mit Anlage AS 13 vorgelegte Tabelle im Zeitpunkt der Angebotsabgabe noch nicht veröffentlicht war und dass dem zu diesem Zeitpunkt aktuellen Veröffentlichungsstand (Mai 2018) der von der Klägerin behauptete Wert nicht zu entnehmen war (Anlage SH 3). Vielmehr ergab sich aus diesem ein Wert von 39.010.200 Euro. Beklagte und Streithelferin haben weiter nachvollziehbar dargelegt, dass die zwingend erforderliche Berücksichtigung der Verfahrensvorgaben ausschließt, dass die konkret zugrunde gelegten Berechnungen und Zahlen zwingend identisch mit den tatsächlich im Rahmen der für das jeweilige Kalenderjahr einer Regulierungsperiode von der Regulierungsbehörde genehmigten sind. Dementsprechend erläutert die Streithelferin in ihrem Angebot (Anlage AS 3, 147) den von ihr als Ausgangsniveau für die Erlösobergrenze (EOG) bestimmten Wert wie folgt:
Um den aktuellen Regulierungsrahmen (ARegV und StromNEV) zum Stand des 1. Verfahrensbriefes zu berücksichtigen, müssen diejenigen Sachverhalte des Regulierungsrahmens der dritten Regulierungsperiode beachtet werden, die sich im Vergleich zur zweiten Regulierungsperiode Strom geändert haben. Dazu zählt der Wegfall des Erweiterungsfaktors als Bestandteil der EOG und die Aufnahme eines Kapitalkostenabgleichs, bestehend aus einem Kapitalkostenabzug und einem Kapitalkostenaufschlag. Ebenfalls berücksichtigt wurden die im Laufe des Jahres 2018 von der Behörde final beschiedenen EOGs für Netzzugänge sowie Erweiterungsfaktoren, da in 2017 für die Ermittlung der EOG für das Preisblatt 2018 aufgrund noch ausstehender Bescheide und Festlegungen der BNetzA noch mit Planwerten gearbeitet werden musste. Die auf diesem Wege ermittelte EOG für das Jahr 2018 (= Ausgangsniveau für die dritte Regulierungsperiode Strom) beträgt 68.370.799 Euro.
Konkrete Anhaltspunkte, warum diese Wertermittlung unplausibel sein soll, zeigt die Klägerin nicht auf. Allein aus dem Umstand, dass die Bundesnetzagentur zu einem späteren Zeitpunkt einen anderen Wert veröffentlichte, ergeben sich solche nicht, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass es sich - wie von der Beklagten unwidersprochen vorgetragen - bei den Veröffentlichungen der Bundesnetzagentur um Zwischenstände eines monatelangen Regulierungsprozesses ohne Anspruch auf Finalität handelt. Soweit die Klägerin in der Berufungsinstanz anführt, Beklagte und Streithelferin hätten damit unstreitig gestellt, dass sie nicht die aktuell genehmigte Erlösobergrenze herangezogen hätten, dringt sie damit nicht durch. Der Verfahrensbrief sieht vor, dass bei der Prognose der künftigen Netznutzungsentgelte auf die aktuell genehmigte Erlösobergrenze "als Grundlage abzustellen" sei, was die Bieter nicht daran hindert, diesen vielmehr verpflichtet, auf dieser Grundlage unter Berücksichtigung der Verfahrensvorgaben und des Prognosezeitraums (hier 2019 bis 2023) eine hiervon ggfs. abweichende Erlösobergrenze zu bestimmen.
(bb) Sonstige Anhaltspunkte, die eine weitergehende Plausibilitätsprüfung erfordert hätten, als diese tatsächlich stattgefunden hat, legt die Klägerin nicht mit Substanz dar. Demgegenüber hat die Beklagte durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung hinreichend glaubhaft gemacht, dass die konkrete Berechnung der Netzentgeltprognose im Angebot der Streithelferin im Sinne des im Verfahrensbrief aufgestellten Plausibilitätsmaßstabes auch für einen fachkundigen Dritten nachvollziehbar Schritt für Schritt transparent dargestellt ist.
cc) Zu Recht hat das Landgericht auch die Rüge der Klägerin bezüglich der angeblichen Außerachtlassung von Widersprüchen bei den Entflechtungskosten zum Unterkriterium 2.1 ("Netznutzungsentgelte") als nicht durchgreifend angesehen.
Die Beklagte konnte davon ausgehen, dass die von der Streithelferin in deren Angebot zugrunde gelegten Entflechtungskosten in Höhe von 400.000 Euro plausibel sind. Die Streithelferin hat in ihrem Angebot den technischen Aufwand für die Umsetzung ihres Entflechtungskonzepts detailliert beschrieben. Sie hat insbesondere zur Umsetzung ihres Entflechtungskonzepts ausgeführt, dass sie mit dem Neubau von drei Übergabestationen zur galvanischen Netztrennung der Stromnetze sowie einer messtechnischen Entflechtung durch Einbau dreier Niederspannungsmessungen an der Maststation rechne (Anlage AS 3, S. 25).
Sie hat weiter nachvollziehbar ausgeführt, dass es für ihr technisches Entflechtungskonzept nicht auf das Vorhandensein eines Umspannwerkes oder einer Anschlussleitung ankomme. Auch die von der Streithelferin vorgesehene messtechnische Entflechtung (technische Ebene) sei ein taugliches und branchenübliches Vorgehen zur Netzentflechtung. Für die Beurteilung des von der Streithelferin angebotenen Entflechtungskonzepts seien daher das von der Klägerin zur Entflechtung vorgesehene Umspannwerk nebst Anschlussleitung irrelevant. Wenn in der Netzentgeltprognose der Streithelferin der Anschluss des Konzessionsnetzes über die Umspannungsebene Hochspannung/Mittelspannung (HS/MS) angenommen werde, obwohl es im Konzessionsgebiet selbst kein Umspannwerk HS/MS gibt, sei dies zudem einzig als sachgerechtes Vermeiden des sog. "Pancaking-Effekts" zu verstehen, bei dem ein Netznutzer nicht nur für die Netzebene (Hoch-/Mittel-/Niederspannung) bezahle, an die er unmittelbar angeschlossen sei, sondern auch einen Anteil an den Netzkosten aller vorgelagerten Netzebenen trage. Ein in Niederspannung angeschlossener Netznutzer zahle somit einmal anteilig für alle Spannungs- und Umspannebenen. Beim "Pancaking-Effek" müsse der Netznutzer hingegen für eine Netzebene zweimal zahlen. Die Streithelferin hat weiter nachvollziehbar aufgezeigt, dass der "Pancaking-Effekt" vorliegend auftreten könnte, da das Konzessionsnetz vom regionalen Hochspannungsnetz der Klägerin umgeben ist, die Umspannebene ebenfalls in der Hand der Klägerin liegt und die Eigentumsgrenze zum Netz der Streithelferin auf derselben Netzebene, der Mittelspannungsebene, liegt. Ausgehend von den von der Klägerin selbst zur Verfügung gestellten Netzdaten hat die Streithelferin daher in ihrer Netzentgeltprognose zum Zwecke des Kundenschutzes plausibel einen entsprechenden Anschluss an die Umspannebene HS/MS unterstellt. Diese regulatorische Hilfslösung zur Vermeidung des "Pancaking-Effekts" hat mit der tatsächlichen Umsetzung der Netzentflechtung - insbesondere dem tatsächlichen Vorhandensein eines entsprechenden Umspannwerks im Konzessionsgebiet - sowie den hierfür tatsächlich anfallenden Entflechtungskosten aber nichts zu tun.
Gegenteiliges zeigt die Klägerin, die lediglich pauschal bestreitet, dass das Konzept der Streithelferin eine messtechnische Entflechtung vorsehe, nicht auf und ist auch sonst nicht ersichtlich, sodass die Klägerin nicht glaubhaft gemacht hat, dass mit der Entflechtung höhere Kosten von rund 1 Million Euro verbunden sein sollen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 101 ZPO. Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist nicht veranlasst.
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