BayObLG
Beschluss
vom 11.01.2023
Verg 2/21
1. Die Aufzählung der fakultativen Ausschlussgründe in § 124 GWB ist abschließend.*)
2. Bei richtlinienkonformer Auslegung steht allerdings der in § 97 Abs. 2 GWB normierte Gleichbehandlungsgrundsatz einer Berücksichtigung von Angeboten miteinander verbundener Unternehmen entgegen, die zwar getrennt abgegeben wurden, aber weder eigenständig noch unabhängig sind.*)
3. Die Vergabestelle ist verpflichtet, unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu prüfen, ob die Angebote miteinander verbundener Unternehmen eigenständig und unabhängig voneinander erstellt worden sind. Dies folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.*)
4. Die Eröffnung der sog. "zweiten Chance" durch eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens kommt nur in Betracht, wenn aufgrund der Sach- und Rechtslage am Schluss der (letzten) mündlichen Verhandlung feststeht, dass ein vergaberechtskonformer Zuschlag unmöglich ist und sich daran auch durch bloße Fortsetzung des Vergabeverfahrens nichts mehr ändern kann.*)
vorhergehend:
EuGH, Urteil vom 15.09.2022 - Rs. C-416/21
BayObLG, Beschluss vom 24.06.2021 - Verg 2/21
VK Südbayern, Beschluss vom 12.01.2021 - 3194.Z3-3_01-20-15
Im Nachprüfungsverfahren
wegen der Vergabe Regionalbuslinienverkehr - Linienbündel "###"
(...)
erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht - Vergabesenat - durch den Vorsitzenden Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Fischer, den Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Niklaus, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Willner, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Löffler und die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Muthig aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7. Dezember 2022 folgenden
Beschluss
I. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 12. Januar 2021 in den Ziffern 1. und 3. aufgehoben. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.
II. Die Hilfsanschlussbeschwerde der Antragsteller wird zurückgewiesen.
III. Bei Ziffer 2 des Beschlusses der Vergabekammer Südbayern vom 12. Januar 2021 hat es sein Bewenden. Im Übrigen wird der Nachprüfungsantrag der Antragsteller zurückgewiesen.
IV. Die Antragsteller tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner und durch die Beigeladene im Verfahren vor der Vergabekammer wird jeweils für notwendig erklärt.
V. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 600.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsgegner, ein Landkreis, beabsichtigt, im offenen Verfahren öffentliche Busverkehrsdienstleistungen zu vergeben. Zur Abwicklung der Ausschreibung bedient er sich der Augsburger Verkehrs- und Tarifverbund GmbH (im Folgenden: AVV GmbH), deren Geschäftsführung dazu mit Beschlüssen vom 26. Februar 2015 und 10. Oktober 2018 vom Kreisentwicklungsausschluss ermächtigt worden war.
Nach der im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Auftragsbekanntmachung vom 17. Dezember 2019 ist der Preis nicht das einzige Zuschlagskriterium (Ziffer II.2.5]). Aus den Vergabeunterlagen ergibt sich, dass folgende Zuschlagskriterien in die Wertung einfließen: Gesamtausgleich je Fahrplankilometer (Faktor 80), garantierte Höchstzeit für die Bereitstellung von Ersatzfahrzeugen (Faktor 5), Alter der eingesetzten Fahrzeuge (Faktor 10) und zusätzlich angebotene Fahrzeugqualität (Faktor 5).
Unter Ziffer II.2.7) der Bekanntmachung ist die Laufzeit vom 13. Dezember 2020 bis 9. Dezember 2028 mit einer Verlängerungsoption von zwei Jahren angegeben. Nach Ziffer IV.2.6) muss das Angebot bis 31. Mai 2020 gültig bleiben.
Ziffer II.2.11) der Bekanntmachung enthält - hinsichtlich der im Beschwerdeverfahren allein streitgegenständlichen Optionen 3 und 4 - folgende Angaben:
"Optionen: ja
Beschreibung der Optionen: Die AVV GmbH hat einen Förderantrag für ein mandantenfähiges rechnergestütztes Betriebsleitsystem (ITCS = Intermodal Transport Control System) für den A. Regionalbusverkehr bei der Regierung von Schwaben gestellt, um allen Regionalbusunternehmen im A. Verkehrs- und Tarifverbund einen gleichen und diskriminierungsfreien Zugang zu einem solchen, Echtzeitdaten generierenden System zu gewähren. Über den Förderantrag der AVV GmbH wurde bis zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens jedoch noch nicht entschieden. Daher gibt es diesbezüglich verschiedene Optionen. ..."
Aus den Vergabeunterlagen ergibt sich, dass bei Vorliegen eines positiven Bescheids der Regierung von Schwaben über den Förderantrag der AVV GmbH die Regelungen zur Option 3 gelten und für den Fall, dass kein oder ein negativer Bescheid der Regierung von Schwaben über den Förderantrag der AVV GmbH vorliegt, die Regelungen zur Option 4.
Ziffer III.2.2) der Bekanntmachung legt insbesondere folgende Bedingungen für die Ausführung des Auftrags fest:
"1) Bietergemeinschaften sind zulässig. Näheres findet sich in den Vergabeunterlagen;
2) Die Bieter können max. 30 % der Leistungen (gemessen an den Fahrplan km pro Jahr) an Subunternehmer vergeben. Näheres regeln die Vergabeunterlagen. ...;
Die konkreten Anforderungen an die einzusetzenden 15 Fahrzeuge (Standardlinienbusse: 7 Neufahrzeuge und 7 Gebrauchtfahrzeuge; Gelenklinienbus: 1 Gebrauchtfahrzeug) sind in der Anlage K. I. 3. zur Leistungsbeschreibung festgelegt."
Es sind fristgerecht sechs Angebote eingegangen, u. a. von den beiden Antragstellern und der Beigeladenen. Der Antragsteller zu 1) ist ein Kaufmann, der unter seiner im Handelsregister eingetragenen Firma auftritt, die Antragsstellerin zu 2) eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Antragsteller zu 1) ist. Über das Vermögen des Antragstellers zu 1) ist mit Beschluss vom 1. November 2019 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Insolvenzverwalter hat mit Schreiben vom 1. Dezember 2019 den Betrieb der selbständigen Tätigkeit des Antragstellers zu 1) freigegeben. Die Angebote der beiden Antragsteller vom 27. Februar 2020 sind von derselben Person abgegeben worden, als Person des Erklärenden wurde jeweils der eingetragene Kaufmann (Antragsteller zu 1]) angegeben. Der Antragsteller zu 1) hat in seinem Angebot u. a. angegeben, über das Vermögen des Unternehmers sei ein Insolvenzverfahren weder beantragt noch eröffnet worden.
Aufgrund der dringlichen Anordnung des Landrats des Antragsgegners vom 1. April 2020 ist den beiden Antragstellern mit Informationsschreiben vom 2. April 2020 jeweils mitgeteilt worden, ihre Angebote seien wegen Verstoßes gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs und wegen Wettbewerbsverfälschung ausgeschlossen worden, da sie von der gleichen Person gefertigt worden seien. Der Zuschlag solle - unter Zugrundelegung des Angebotspreises der Option 4 - auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden.
Darauf haben die Antragsteller am 9. April 2020 insbesondere gerügt, ihr Ausschluss sei vergaberechtswidrig. Ein Wettbewerbsverstoß bzw. eine Verfälschung des Wettbewerbs könne schon deshalb nicht vorliegen, da sie nicht in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander stünden. Weil sie eine wirtschaftliche Einheit bildeten, seien ihre Angebote wie mehrere (Haupt-)Angebote durch ein und denselben Bieter zu betrachten. Es sei zudem davon auszugehen, dass bezüglich der Beigeladenen, die nach Informationen in der Presse in kartellrechtliche Ermittlungen rund um das "Augsburger Buskartell" verwickelt sei, etwaige Ausschlussgründe gemäß §§ 123, 124 GWB nicht hinreichend geprüft worden seien. Außerdem leide das Verfahren an grundsätzlichen Vergabefehlern, es fehle die Vergabereife und es sei vergaberechtswidrig der Einsatz von Nachunternehmern beschränkt worden.
Nachdem der Antragsgegner die Rügen der Antragsteller mit Schreiben vom 14. April 2020 zurückgewiesen hatte, haben die Antragsteller am 15. April 2020 einen Nachprüfungsantrag gestellt. Sie haben sich insbesondere gegen ihren Ausschluss gewendet, der - zumal ohne vorherige Aufklärung - zu Unrecht erfolgt sei. Entgegen der Annahme des Antragsgegners liege kein Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz bzw. keine Verfälschung des Wettbewerbs vor. Beide Antragsteller bildeten ein einheitliches Unternehmen, sie stünden nicht in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander. Dies sei durch die umfassende Leitungsmacht des Antragstellers zu 1) sowie die vollständige Beherrschung der Antragstellerin zu 2) ausgeschlossen. Ein nicht bestehender Wettbewerb könne nicht eingeschränkt oder verfälscht werden. Im streitgegenständlichen Verfahren seien die Angebote der Antragsteller im Verfahren wie mehrere (Haupt)Angebote durch ein und denselben Bieter zu betrachten. Dies sei nach der Rechtsprechung anerkannt und im vorliegenden Fall in den Vergabeunterlagen auch nicht ausgeschlossen oder untersagt worden. Die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung bestehe in einem solchen Fall nicht und sei jedenfalls dann unproblematisch, wenn sich die Angebote nicht nur im Preis, sondern auch sachlich-technisch voneinander unterschieden. Diese Vorgabe sei hier erfüllt, da ihre Angebote voneinander abweichende Fahrzeugkombinationen (Neu- bzw. Gebrauchtfahrzeug im Bestand bzw. noch zu beschaffen) beinhalteten. Die Antragsteller hätten sich wegen der Begrenzung von Subunternehmerleistungen gegen eine "Unterauftragnehmer-Konstellation" entschieden. Aufgrund der qualitativen Zuschlagskriterien sollte in den Angeboten zudem jeweils der Fuhrpark des Antragstellers zu 1) und der Antragstellerin zu 2) zur Geltung kommen und bei der Wertung der Angebote Berücksichtigung finden. Angesichts der als Alternativen ausgeschriebenen vier Optionen habe dem Vergabeverfahren die erforderliche Vergabereife (Sicherstellung der Finanzierung) gefehlt, sodass den Bietern unverhältnismäßiger Angebotserstellungsaufwand abverlangt worden sei. Die Beschränkung des Einsatzes von Unterauftragnehmern auf einen Prozentsatz von maximal 30 % der ausgeschriebenen Leistungen sei vergaberechtswidrig, sie lasse sich nicht auf Art. 4 Abs. 7 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 stützen. Der Nichtausschluss der Beizuladenden bei gleichzeitigem Ausschluss der Antragsteller unter Verweis auf die angebliche Unverzichtbarkeit eines reinen und unverfälschten Wettbewerbs sei eine unzulässige Ungleichbehandlung der Bieter. Angesichts der Schwere der im Raum stehenden Vorwürfe gegen die Beteiligten des "Augsburger Buskartells" erscheine es wenig glaubhaft, dass der Antragsgegner sein Ermessen fehler- und diskriminierungsfrei ausgeübt habe. Es liege zudem nahe, dass der Antragsgegner die Ausgestaltung und Durchführung des gesamten Vergabeverfahrens der AVV GmbH überlassen und somit vergaberechtswidrig wesentliche Entscheidungen im Vergabeverfahren nicht selbst getroffen habe.
Die Antragsteller haben beantragt,
I. festzustellen, dass die Antragsteller in ihren Bieterrechten gemäß § 97 Abs. 6 GWB verletzt sind und
II. die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen der Antragsteller zu verhindern, insbesondere:
a) dem Antragsgegner die Erteilung des Zuschlags auf der Grundlage des bisherigen Vergabeverfahrens zu untersagen und
b) dem Antragsgegner für den Fall der fortgesetzten Vergabeabsicht aufzugeben,
c) vorrangig die Angebote der Antragsteller wieder in die Wertung zunehmen und die Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen und
d) hilfsweise das Vergabeverfahren in den Stand vor Auftragsbekanntmachung oder (hilfsweise) in den Stand vor der Angebotsprüfung und -wertung zurückzuversetzen und unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut durchzuführen.
Nachdem der Antragsgegner am 30. Juni 2020 mitgeteilt hatte, er habe wegen des positiven Förderbescheids der Regierung von Schwaben für ein mandantenfähiges rechnergestütztes Betriebsleitsystem die Wertung nunmehr unter Zugrundelegung des Angebotspreises der Option 3 vorgenommen und beabsichtige, den Zuschlag an die Beigeladene zu erteilen, haben die Antragsteller mit Schriftsatz vom 4. Januar 2021 ausgeführt, ihr Rügepunkt der fehlenden Vergabereife im Hinblick auf die Ausschreibung der Optionen 3 und 4 habe sich nachträglich erledigt. Auch die Rüge, der Landrat sei für die dringliche Anordnung vom 1. April 2020 nicht zuständig gewesen, habe sich nachträglich durch den Beschluss des Kreistags vom 2. November 2020 erledigt.
Hinsichtlich dieser beiden Rügepunkte haben sie beantragt, die Rechtsverletzung gemäß § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB festzustellen.
Der Antragsgegner und die Beigeladene haben beantragt, den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Es fehle schon an der Antragsbefugnis der Antragsteller, da ihre Angebote zwingend auszuschließen seien und kein Sachverhalt gegeben sei, bei dem alle übrigen Angebote ebenfalls auszuschließen seien. Hinsichtlich der Rügen der fehlenden Vergabereife und der vergaberechtswidrigen Selbsterbringungsquote sei der Nachprüfungsantrag wegen Rügepräklusion unzulässig. Der Antrag sei jedenfalls unbegründet. Eine Aufklärung der Angebote der Antragsteller sei entbehrlich gewesen, da der Antragsteller zu 1) als die für beide Angebote verantwortliche Person benannt worden sei, sodass seine Kenntnis beider Angebote feststehe mit der Folge, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs vorliege. Die Antragsteller hätten getrennte Angebote abgegeben, wodurch ein Wettbewerbsverhältnis zu Dritten entstanden sei. Ein echter Bieterwettbewerb sei nur dann möglich, wenn jeder Bieter die ausgeschriebene Leistung in Unkenntnis der Angebote seiner Mitbewerber anbiete. Aufgrund des wirksamen Ausschlusses der Antragsteller und der vorliegenden zuschlagsfähigen Angebote der Mitbewerber hätten die Antragsteller keine Chance auf die Auftragserteilung, eine Prüfung der übrigen von den Antragtellern vorgebrachten Vergabeverstöße, die im Übrigen nicht vorlägen, sei somit nicht angezeigt. Art. 4 Abs. 7 der Verordnung (EG) 1370/2007 sei auf den Auftrag anwendbar. Der Aufbau eines rechnergestützten Betriebsleitsystems für den AVV-Regionalbusverkehr, das die Betriebsabwicklung mit der entsprechenden Echtzeitdatenlieferung im Interesse der Fahrgäste planbarer und verlässlicher gewährleiste, sei zulässigerweise von dem Vorliegen eines positiven Förderbescheids abhängig gemacht worden. Der Antragsgegner sei nach Prüfung der Eignung der Beigeladenen gemäß § 42 Abs. 1 VgV i. V. m. §§ 122 ff. GWB rechts- und ermessensfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, von einem Ausschluss deren Angebots nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB abzusehen. Die AVV GmbH sei nicht wie ein Beratungsunternehmen in die Durchführung des Vergabeverfahrens eingebunden, ihr Handeln sei vielmehr den Aufgabenträgern für den öffentlichen Nahverkehr, die ihre Gesellschafter seien, zuzurechnen.
Mit Beschluss vom 12. Januar 2021 hat die Vergabekammer entschieden, die Angebote der Antragsteller seien unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer wieder in die Prüfung und Wertung aufzunehmen (Ziffer 1. des Tenors). Sie hat zudem festgestellt, die Antragsteller seien durch die Ausschreibung von Optionen bezüglich des mandantenfähigen rechnergestützen Betriebsleitsystems und durch die Vergabeentscheidung vom 1. April 2020 durch den seinerzeit unzuständigen Landrat vor Erledigung dieser Rügepunkte in ihren Rechten verletzt gewesen (Ziffer 2. des Tenors).
Der Antragsgegner sei kein Sektorenauftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 1 GWB, da er die Verkehrsleistungen lediglich organisiere, sodass die Richtlinie 2014/25/EU nicht anwendbar sei. Der - hinsichtlich der im Beschwerdeverfahren noch streitgegenständlichen Rügen - zulässige Nachprüfungsantrag sei im Hauptantrag begründet, da die Antragsteller zu Unrecht wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs vom Verfahren ausgeschlossen worden seien. Das Verhalten der Antragsteller sei nach geltender Rechtslage am fakultativen Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu messen. Die vom Antragsgegner zitierte ältere Rechtsprechung sei nicht ohne Weiteres auf die aktuelle Rechtslage und den konkreten Fall übertragbar. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe im Urteil vom 17. Mai 2018 (Rs. C-531/16 - Specializuotas transportas) darauf hingewiesen, dass Art. 101 AEUV nicht anwendbar sei, wenn die Absprache oder die Verhaltensweisen, die er verbiete, von Unternehmen angewandt würden, die eine wirtschaftliche Einheit bildeten, wie dies bei den Antragstellern der Fall sei. Die Angebote stellten auch keine unzulässigen Doppelangebote dar. Sie stammten von unterschiedlichen, wenn auch stark miteinander verflochtenen Unternehmen. Weitere Ausschlussgründe hinsichtlich der Antragsteller habe der Antragsgegner bislang nicht festgestellt oder geltend gemacht. Durch den Nichtausschluss der Beigeladenen nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB wegen ihrer Beteiligung am "Augsburger Buskartell" seien die Antragsteller nicht in ihren Rechten verletzt. Ob ein Ausschluss im Hinblick auf die Frist des § 126 Nr. 2 GWB noch möglich sei, sei zweifelhaft, jedenfalls sei die Entscheidung des Antragsgegners, die Beigeladenen nicht auszuschließen, noch von seinem Ermessenspielraum gedeckt.
Auf den zulässigen Antrag der Antragsteller sei festzustellen, dass sie durch die Ausschreibung von Optionen bezüglich des mandantenfähigen rechnergestützten Betriebsleitsystems und durch die Vergabeentscheidung vom 1. April 2020 durch den seinerzeit unzuständigen Landrat vor Erledigung dieser Rügepunkte in ihren Rechten verletzt gewesen seien. Der Antragsgegner habe ein berechtigtes Interesse an der Ausschreibung dieser Optionen nicht dargelegt. Es spreche einiges dafür, dass der Antragsgegner die Optionen gebildet habe, ohne ausreichende Informationen zur Erfolgsaussichtigkeit seines Förderantrags und zur möglichen Bearbeitungsdauer einzuholen. Der Landrat sei für die Vergabeentscheidung nicht zuständig gewesen. Die Voraussetzungen für eine dringliche Anordnung gemäß Art. 34 Abs. 3 Satz 1 LKrO hätten am 1. April 2020 nicht vorgelegen. Dieser Verstoß sei erst nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens durch die Genehmigung des zuständigen Kreistags in der Sitzung vom 2. November 2020 behoben worden. Die weiteren Rügepunkte hätten die Antragsteller nur noch hilfsweise aufrechterhalten. Es bestehe kein Anlass, das Vergabeverfahren aufzuheben oder in einen früheren Verfahrensstand zurückzuversetzen.
Gegen den Beschluss der Vergabekammer hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 1. Februar 2021, der am selben Tag bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen ist, sofortige Beschwerde eingelegt, der sich die Beigeladene mit Schriftsatz vom 18. Februar 2021 angeschlossen hat.
Der Senat hat das Verfahren mit Beschluss vom 24. Juni 2021 (NZBau 2021, 755) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Mit Urteil vom 15. September 2022 (Rs. C-416/21 - Landkreis Aichach-Friedberg, NZBau 2022, 750) hat der Gerichtshof entschieden, dass der in Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d) der Richtlinie 2014/24/EU genannte fakultative Ausschlussgrund nicht auf die in Art. 101 AEUV angeführten Vereinbarungen beschränkt ist und dass Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU die fakultativen Ausschlussgründe abschließend regelt, sich daraus jedoch nicht ergibt, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des in Rede stehenden Auftrags an Wirtschaftsteilnehmer, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, nicht entgegenstehen könnte. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vorlagebeschluss des Senats sowie das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union verwiesen.
Zur Begründung ihrer sofortigen Beschwerde vertiefen der Antragsgegner und die Beigeladene insbesondere ihre Argumentation zur Rechtfertigung des Ausschlusses der Angebote der Antragsteller. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe entschieden, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung einer Beauftragung von Bietern entgegenstehe, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und nicht eigenständige und unabhängige Angebote abgegeben haben. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei dadurch Genüge getan, dass auf der "Tatbestandsebene" die Prüfung erfolgt sei, ob eine Beeinflussung der Angebote stattgefunden habe. Aufgabe des Vergaberechts sei es, für einen echten Wettbewerb der an dem Vergabeverfahren teilnehmenden Bieter zu sorgen, die Anspruch darauf hätten, dass die Angebote in Unkenntnis der Angebote der Mitbewerber abgegeben werden. Die eine wirtschaftliche Einheit bildenden Unternehmen könnten sich, da sie formal zwei unterschiedliche Rechtssubjekte bildeten, z. B. dadurch einen Vorteil verschaffen, dass sie sich unter Nachweis unterschiedlicher Eignungsvoraussetzungen an der Ausschreibung mittels abgestimmter Angebote beteiligten. Jedenfalls handele es sich bei den Angeboten der Antragsteller um die unzulässige Abgabe eines Doppelangebots. Die Angebote unterschieden sich außer bei dem angebotenen Ausgleichsbetrag in technischer Hinsicht nicht. Die Antragsteller hätten jeweils, wie gefordert, sieben Neufahrzeuge und im Übrigen Gebrauchtfahrzeuge angeboten. Hinsichtlich der gewählten Fahrzeugkategorien und der hierzu in der Leistungsbeschreibung aufgestellten Mindestanforderungen seien bei den angebotenen Fahrzeugen keine Unterschiede ersichtlich. Der Umstand, dass der Antragsteller zu 1) angegeben habe, es seien bereits Fahrzeuge im Fuhrpark vorhanden, während die Antragstellerin zu 2) entsprechende Fahrzeuge erst noch beschaffen müsse, führe nicht dazu, dass es sich deshalb in technischer Hinsicht um unterschiedliche Angebote handele.
Der Antragsgegner wendet sich zudem gegen die Feststellung der Vergabekammer, es habe kein berechtigtes Interesse zur Bildung der Optionen bestanden. Obwohl der Förderantrag bereits am 6. Dezember 2018 gestellt worden sei, sei der Förderbescheid erst am 18. Juni 2020 ergangen. Zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung im Dezember 2019 sei nicht absehbar gewesen, wann und mit welchem Ergebnis der Förderantrag beschieden werde. Verbindliche Aussagen dazu habe die Regierung von Schwaben zu diesem Zeitpunkt nicht erteilen können. Nachdem sie am 3. Mai 2019 auf verschiedene offene Fragen hingewiesen habe, hätten weitere Abstimmungen stattgefunden. Am 6. November 2019 habe bei der Bayerischen Eisenbahngesellschaft mbH, unter Beteiligung des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr sowie der Regierung von Schwaben eine Besprechung stattgefunden, um weitere klärungsbedürftige Punkte der Ausgestaltung des mandantenfähigen rechnergestützten Betriebsleitsystems abzustimmen. Kernpunkt sei dabei gewesen, dass eine direkte Anbindung des aufzubauenden Betriebsleitsystems an den von der Bayerischen Eisenbahngesellschaft mbH betriebenen Bayern-Fahrplan habe sichergestellt werden müssen. Der Förderantrag und die Techniksystembilder seien überarbeitet worden und am 22. November 2019 übersandt worden. Nach der Rückmeldung von der Bayerischen Eisenbahngesellschaft mbH am 13. Dezember 2019 sei der Förderantrag schließlich am 16. Dezember 2019 angepasst worden. Zum Zeitpunkt der Absendung der Auftragsbekanntmachung am 13. Dezember 2019 sei weiterhin unklar gewesen, ob ein positiver Förderbescheid ergehen werde. Ein längeres Zuwarten mit der Veröffentlichung der Ausschreibung, um die Unklarheit zu beseitigen, sei im Hinblick auf das Ende des bestehenden Verkehrsvertrags im Dezember 2020 und unter Berücksichtigung der Zeitdauer eines Ausschreibungsverfahrens und der erforderlichen Vorlaufzeit für die Beschaffung von Neufahrzeugen nicht zumutbar gewesen.
Der Antragsgegner beantragt,
1. die Entscheidung der Vergabekammer Südbayern vom 12. Januar 2021, Gz. 3194.Z3-3_01-20-15, aufzuheben,
2. den Nachprüfungsantrag der Beschwerdegegner zurückzuweisen.
Die Beigeladene beantragt im Wege der "Anschlussbeschwerde",
die Entscheidung der Vergabekammer Südbayern vom 12. Januar 2021 (Az.: 3194.Z3-3_01-20-15) aufzuheben, soweit sie sich gegen einen Ausschluss der Antragsteller zu 1) und zu 2) richtet, und den Nachprüfungsantrag der Antragsteller zu 1) und zu 2) vom 15. April 2020 zurückzuweisen.
Die Antragsteller beantragen,
I. die sofortige Beschwerde des Antragsgegners vom 1. Februar 2021 und die "Anschlussbeschwerde" der Beigeladenen vom 18. Februar 2021 als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise jedenfalls als unbegründet zurückzuweisen.
Hilfsweise erheben sie (Hilfs-)Anschlussbeschwerde und beantragen,
II. den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 12. Januar 2021 - 3194.Z3-3_01-20-15 - in Ziffer 1. des Beschlusstenors hinsichtlich der geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Rechtsverletzung abzuändern, insbesondere indem dem Antragsgegner für den Fall der fortgesetzten Vergabeabsicht aufgegeben wird, das Vergabeverfahren in den Stand vor Absendung der Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut durchzuführen.
Für den Fall, dass es - im Zusammenhang mit der Frage, ob einem Ausschluss der Beigeladenen § 126 GWB entgegenstünde - auf die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Geschäftsführer der Beigeladenen nach § 153a StPO am 29. August 2017 ankommen sollte, begehren die Antragsteller
die Feststellung gemäß § 178 Satz 4, § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB, dass bis zum Eintritt der (Teil-)Erledigung des Nachprüfungsverfahrens eine Verletzung ihrer Rechte vorgelegen hat.
Die Antragsteller ziehen die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde und der "Anschlussbeschwerde" in Zweifel und verteidigen in der Sache die Entscheidung der Vergabekammer, soweit sie den Ausschluss ihrer Angebote als vergaberechtswidrig angesehen hat. Sie sind der Ansicht, ihre Angebote könnten nicht auf der Grundlage der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgeschlossen werden, es fehle vielmehr an einer entsprechenden Rechtsgrundlage im deutschen Recht. Nach der Gesetzessystematik bestehe neben den normierten Tatbeständen für den Ausschluss eines Bieters in §§ 123, 124 GWB kein Raum für weitere, ungeschriebene Ausschlussgründe. Der in § 97 Abs. 2 GWB enthaltene allgemeine Grundsatz, dass die Bieter in einem Vergabeverfahren gleich zu behandeln seien, biete keine ausreichende Rechtsgrundlage für einen Angebotsausschluss. Die Norm sei auch nicht richtlinienkonform dahin erweiterbar, dass sie den Ausschluss eines Angebots begründen könnte. Eine derart weitgehende vom Gesetzgeber nicht vorgesehene Rechtsfortbildung würde die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung im Lichte der Verfassungsgrundsätze der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) und der richterlichen Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) überschreiten. Die Annahme, dass eine wirtschaftliche Einheit bildende Bieter, die jeweils ein Angebot (bzw. mehrere Angebote) abgeben, sich dadurch "unberechtigte Vorteile" gegenüber den anderen Bietern verschaffen könnten, treffe für den vorliegenden Fall nicht zu. Dem Gerichtshof der Europäischen Union sei der Umstand nicht bewusst gewesen, dass im streitgegenständlichen Vergabeverfahren alle Bieter mehrere Angebote einreichen durften und diese Angebote, sofern sie von demselben Bieter stammten, zwangläufig gegenseitig beeinflusst und abgestimmt seien. Dieser wesentliche Umstand werde in dem Urteil vom 15. September 2022 nicht erwähnt. Sie regen eine Ergänzungsvorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union an. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stehe einem Ausschluss ihrer Angebote entgegen. Wenn es die vergaberechtswidrige Vorgabe der Selbsterbringungsquote von 70 % nicht gegeben hätte, wäre es zu der jetzt umstrittenen Form der parallelen Teilnahme beider Antragsteller gar nicht gekommen.
Zur Begründung ihrer Hilfsanschlussbeschwerde, die insbesondere für den Fall gestellt wird, dass die Beschwerde des Antragsgegners hinsichtlich des Ausschlusses ihrer Angebote Erfolg hat, vertiefen die Antragsteller ihre Argumentation zur vergaberechtswidrigen Selbsterbringungsquote, zur übermäßigen Delegation des Vergabeverfahrens an die AVV GmbH und zum Nichtausschluss der Beigeladenen. Es werde - weiterhin - bestritten, dass es noch andere "zuschlagsfähige" Angebote gebe. Auch angesichts der am 30. Mai 2020 abgelaufenen Bindefristen der Angebote sei fraglich, ob die anderen Bieter für eine Zuschlagserteilung noch zur Verfügung stünden. Das Vergabeverfahren sei allein schon deshalb zu wiederholen, weil von Beginn an eine zeitnahe Dokumentation durch den Antragsgegner fehle. Es gebe, von lediglich punktuell und außerhalb der Vergabeakte dokumentierten Einzelfragen in den Gesellschafterbeschlüssen der AVV GmbH abgesehen, keinen Vergabevermerk des Antragsgegners im Sinne des § 8 VgV und § 97 Abs. 1 GWB. Es liege zudem nahe, dass der Antragsgegner auch die Vorbereitung und Einleitung des Vergabeverfahrens der AVV GmbH überlassen habe.
Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und das Protokoll vom 7. Dezember 2022 Bezug genommen.
II.
Die abgestimmten Angebote der Antragsteller sind zwingend auszuschließen, sodass der Beschluss der Vergabekammer in Ziffer 1. des Tenors aufzuheben und der Nachprüfungsantrag insoweit zurückzuweisen ist. Insoweit ist die zulässige sofortige Beschwerde des Antragsgegners, der sich die Beigeladene angeschlossen hat, begründet.
Keinen Erfolg hat die sofortige Beschwerde des Antragsgegners dagegen, soweit sie sich bezüglich des mandantenfähigen rechnergestützten Betriebsleitsystems gegen Ziffer 2. des Tenors des Beschlusses der Vergabekammer richtet. Die Feststellung einer Rechtsverletzung der Antragsteller durch die Vergabeentscheidung vom 1. April 2020 durch den seinerzeit unzuständigen Landrat war nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.
Die zulässige Hilfsanschlussbeschwerde der Antragsteller hat in der Sache keinen Erfolg, auch insoweit ist der Nachprüfungsantrag der Antragsteller zurückzuweisen.
A.
Die sofortige Beschwerde hat überwiegend Erfolg.
1. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners, der sich die Beigeladene angeschlossen hat, ist form- und fristgerecht eingegangen und auch im Übrigen zulässig.
a) Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners, die am 1. Februar 2021 bei dem nach § 171 Abs. 4 GWB i. V. m. § 3 Nr. 43 DelV, § 33 Abs. 3 BayGZVJu zuständigen Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen ist, ist fristgerecht binnen der zweiwöchigen Notfrist des § 172 Abs. 1 GWB eingelegt worden. Der Beschluss der Vergabekammer ist den Bevollmächtigten des Antragsgegners gemäß § 168 Abs. 3, § 61 Abs. 1 GWB i. V. m. § 5 Abs. 4 VwZG gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden, das als Zustelldatum den 18. Januar 2021 (Montag) aufweist. Gründe, einen vor diesem Datum liegenden Fristbeginn anzunehmen, liegen nicht vor. Auch für eine Beweisaufnahme bestand keine Veranlassung.
Das Empfangsbekenntnis ist nicht bloßes Beweismittel, sondern zudem Voraussetzung für die Wirksamkeit der Zustellung. Es bringt aber als Privaturkunde nach § 416 ZPO auch grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks, sondern auch für den Zeitpunkt dessen Empfangs (vgl. BayObLG, Beschl. v. 9. November 2021, Verg 5/21, NZBau 2022, 308 m. w. N.). Der Gegenbeweis für die Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben ist zwar zulässig, erfordert aber, dass die Richtigkeit der Angaben im Empfangsbekenntnis nicht nur erschüttert wird, sondern die Möglichkeit, die Angaben in dem Empfangsbekenntnis könnten richtig sein, ausgeschlossen ist (BGH, Beschl. v. 7. Oktober 2021, IX ZB 41/20, NJW-RR 2021, 1584 Rn. 10; Beschl. v. 11. September 2018, XI ZB 4/17, NJW-RR 2018, 1400 Rn. 5). Für Letzteres genügt ein ungewöhnlich langer Zeitraum zwischen Zustellungsverfügung des Vorsitzenden und Zustellung noch nicht (BGH NJW-RR 2021, 1584 Rn. 11), selbst wenn die gleichzeitig veranlasste Zustellung an einen anderen Verfahrensbeteiligten deutlich früher bewirkt wurde (BGH, a. a. O., Rn. 9). Der Erhebung eines Gegenbeweises bedurfte es somit auch angesichts der Erklärungen der Antragsteller vom 7. Dezember 2022 nicht.
Die Antragsteller haben ihre zunächst geltend gemachten Zweifel an der Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses, die sie mit dem früheren Empfang des Vergabekammerbeschlusses begründet haben, in der mündlichen Verhandlung vom 7. Dezember 2022 nicht mehr aufrechterhalten, nachdem der Antragsgegnervertreter die näheren Umstände des Eingangs des Beschlusses und der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses dargelegt hat.
b) Ohne Erfolg rügen die Antragsteller, die sofortige Beschwerde habe das falsche Dateiformat, nämlich PDF 1.4 statt eines der in der Elektronischer-RechtsverkehrBekanntmachung 2018 - ERVB 2018 (Bekanntmachung des BMJuVS v. 19. Dezember 2017) genannten Formate PDF 2.0, PDF/A-1, PDF/A-2 und PDF/UA. Ein elektronisches Dokument ohne bildliche Darstellungen ist nach § 175 Abs. 2, § 72 Nr. 2 GWB i. V. m. § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO, § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV im Dateiformat PDF zu übermitteln, das nach § 2 Abs. 1 Satz 3 ERVV den nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV bekanntgemachten Versionen entsprechen muss. Dies hier ist der Fall, denn zulässige PDF-Dateiversionen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV sind nach der ERVB 2018 "PDF einschließlich PDF 2.0, PDF/A-1, PDF/A-2, PDF/UA". Wegen der Verwendung des Worts "einschließlich" handelt es sich nicht um eine abschließende Aufzählung. Dies wird auch in der Bekanntmachung des BMJuVS v. 20. Dezember 2018 deutlich, mit der Regelungen "hinsichtlich der zulässigen Dateiversionen PDF, insbesondere PDF/A-1, PDF/A-2, PDF/UA" getroffen wurden.
c) Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen des § 172 Abs. 1 Nr. 1 GWB. Aus ihr ergibt sich insbesondere, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten wird. Der Antragsgegner wendet sich gegen die in Ziffer 1. tenorierte Verpflichtung, die Angebote der Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer wieder in die Prüfung und Wertung aufzunehmen, sowie gegen die in Ziffer 2. tenorierte Feststellung, die Antragsteller seien durch die Ausschreibung von Optionen bezüglich des mandantenfähigen rechnergestützten Betriebsleitsystems in ihren Rechten verletzt.
Im Übrigen ist der Beschluss der Vergabekammer vom 12. Januar 2021 bestandskräftig geworden. Die weitere in Ziffer 2. tenorierte Feststellung, die Antragsteller seien durch die Vergabeentscheidung vom 1. April 2020 durch den seinerzeit unzuständigen Landrat in ihren Rechten verletzt, hat der Antragsgegner - auch wenn er die Aufhebung des Beschlusses der Vergabekammer insgesamt beantragt hat - nicht angegriffen. Er setzt sich mit dieser Feststellung in seiner sofortigen Beschwerde inhaltlich nicht auseinander und es sind auch sonst keinerlei Anhaltspunkte für die Auslegung ersichtlich, der Antragsgegner habe sich auch gegen die Feststellung wenden wollen, dass am 1. April 2020 das unzuständige Organ entschieden habe. Dieses Verständnis des Senats von den Angriffszielen des Antragsgegners wurde von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung geteilt.
d) Der Einwand der Antragsteller, dem Antragsgegner fehle das Rechtsschutzbedürfnis, soweit er sich gegen die Feststellung einer Rechtsverletzung durch die Ausschreibung der Optionen 3 und 4 wende, greift nicht durch. Die Argumentation, es hätte weder auf die Kostenfolge noch auf mögliche Schadensersatzansprüche der Antragsteller Auswirkungen, wenn diese Feststellung wegfiele, steht im Widerspruch zu ihrer Behauptung, die Abgabe von Alternativangeboten habe unzumutbaren Aufwand verursacht. Ein auf den Ersatz des negativen Interesses gerichteter Schadensersatzanspruch (vgl. BGH, Urt. v. 6. Oktober 2020 - XIII ZR 21/19 - Ortenau-Klinikum, NZBau 2021, 57 Rn. 12; Grüneberg in Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 311 BGB Rn. 37) in Höhe des Mehraufwandes für die Erstellung ihrer Angebote auf der Grundlage der Optionen 3 und 4 kommt allein aufgrund der Feststellung, die Antragsteller seien durch die Vergabeentscheidung der unzuständigen Stelle vom 1. April 2020 in ihren Rechten verletzt, nicht in Betracht.
e) Die Beigeladene verfolgt dasselbe Rechtsschutzziel wie der Antragsgegner und unterstützt dessen Beschwerde. Es handelt sich, worauf die Antragsteller zu Recht hinweisen, nicht um eine Anschlussbeschwerde in analoger Anwendung des § 524 Abs. 1 ZPO.
2. Hinsichtlich der im Beschwerdeverfahren noch streitgegenständlichen Rügen ist der Nachprüfungsantrag zulässig.
a) Das Nachprüfungsverfahren ist eröffnet. Der Antragsgegner ist Auftraggeber im Sinne des § 98 GWB, wobei es keiner Entscheidung bedarf, ob er öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 Abs. 1 Nr. 1 GWB ist oder Sektorenauftraggeber im Sinne des § 100 Abs. 1 Nr. 1 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet nicht nur den Schwellenwert nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB, sondern auch den nach § 106 Abs. 2 Nr. 2 GWB in Höhe von Euro 428.000,00 erheblich.
b) Der Antragsteller zu 1) ist prozessführungsbefugt, denn er hat mit der Freigabe seiner selbständigen Tätigkeit durch den Insolvenzverwalter (§ 35 Abs. 2 Satz 1 InsO) die Verfügungsbefugnis zurückgewonnen (vgl. BGH, Urt. v. 18. April 2013, IX ZR 165/12).
c) Die Antragsteller, die sich gegen den Ausschluss ihrer Angebote wenden, sind auch hinsichtlich ihrer weiteren Rügen antragsbefugt. Es ist keine die Zulässigkeit des Gesuchs um Nachprüfung beeinflussende Frage, ob das Angebot des antragstellenden Unternehmens ohnehin von der Wertung in dem eingeleiteten Vergabeverfahren hätte ausgeschlossen werden können oder müssen (BGH, Beschl. v. 26. September 2006, X ZB 14/06 - Polizeianzüge, BGHZ 169, 131 Rn. 32 m. w. N.). Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Bieter nachweist, dass der öffentliche Auftraggeber gehalten wäre, das Vergabeverfahren zu wiederholen. Es reicht insoweit aus, dass diese Möglichkeit besteht (EuGH, Urt. v. 21. Dezember 2021, Rs. C-497/20 - Randstad Italia, NZBau 2022, 293 Rn. 70; Urt. v. 5. September 2019, Rs. C-333/18 - Lombardi, NZBau 734 Rn. 29).
Dass die Antragsteller jeweils angegeben haben, keine Nachunternehmer einzusetzen, steht ihrer Antragsbefugnis hinsichtlich der Selbsterbringungsquote nicht entgegen, denn sie haben vorgetragen, sie hätten sich wegen der vergaberechtswidrigen Vorgabe gegen eine Nachunternehmerkonstellation entschieden.
d) Hinsichtlich der noch streitgegenständlichen Rügen sind die Antragsteller nicht präkludiert. Dies gilt auch, soweit die Antragsteller aus den im Nachprüfungsverfahren gewonnenen Erkenntnissen ableiten, der Antragsgegner habe das Vergabeverfahren übermäßig delegiert.
Im Übrigen wird auf die Ausführungen der Vergabekammer Bezug genommen.
3. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet, soweit sie sich gegen die Entscheidung der Vergabekammer richtet, die Angebote des Antragstellers zu 1) und der Antragstellerin zu 2) wieder in die Prüfung und Wertung aufzunehmen. § 97 Abs. 2 GWB steht einer Berücksichtigung dieser Angebote entgegen, die zwar getrennt abgegeben wurden, aber weder eigenständig noch unabhängig sind.
Dass die fakultativen Ausschlussgründe in § 124 GWB abschließend aufgezählt sind, bedeutet bei richtlinienkonformer Auslegung nicht, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des in Rede stehenden Auftrags an Wirtschaftsteilnehmer, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, nicht entgegenstehen stehen könnte. Bei miteinander verbundenen Bietern wäre der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt, wenn man es zuließe, dass diese Bieter abgesprochene oder abgestimmte, d. h. weder eigenständige noch unabhängige, und ihnen deshalb gegenüber den anderen Bietern möglicherweise ungerechtfertigte Vorteile verschaffende Angebote einreichen könnten (vgl. EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg Rn. 57 und 59).
Einer ergänzenden Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bedarf es nicht.
a) Ein Ausschluss der Angebote der Antragsteller nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB kommt mangels einer Vereinbarung zwischen zwei Wirtschaftsteilnehmern, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielt, allerdings nicht in Betracht.
aa) Es bedarf keiner Entscheidung, ob der Antragsgegner entgegen der Annahme der Vergabekammer, der keiner der Beteiligten entgegengetreten ist, Sektorenauftraggeber ist.
Wenn der streitgegenständliche Auftrag unter die Richtlinie 2014/25/EU (Sektorenrichtlinie) fällt, ist § 124 GWB gemäß § 142 GWB entsprechend anwendbar. Die Richtlinie 2014/25/EU enthält keine eigenständige Bestimmung über fakultative Ausschlussgründe, sondern verweist insofern auf die Richtlinie 2014/24/EU (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 31).
bb) Die Anwendung des Ausschlusstatbestandes nach Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d) der Richtlinie 2014/24/EU setzt zwingend eine Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei verschiedenen Wirtschaftsteilnehmern voraus (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 49), was bei der Auslegung und Anwendung des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu berücksichtigen ist (vgl. Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 6. Aufl., Stand: 19. Dezember 2022, § 124 GWB Rn. 81.1).
Den Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 50), bei einer Fallgestaltung wie der hier in Rede stehenden könne nicht davon ausgegangen werden, dass zwei Wirtschaftsteilnehmer, deren Entscheidungsfindung im Wesentlichen über dieselbe natürliche Person läuft, untereinander "Vereinbarungen" schließen können, da nicht ersichtlich sei, dass es zwei verschiedene Willensäußerungen gäbe, die übereinstimmen könnten, ist keiner der Beteiligten entgegengetreten.
Angesichts der zwischen den Antragstellern bestehenden Verbindungen besteht nach Auffassung des Senats keine Möglichkeit, dass sie derartige "Vereinbarungen", die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen, schließen. Entscheidend ist nicht, dass es sich bei den Antragstellern juristisch um zwei unterschiedliche Rechtssubjekte (§ 1 BGB, § 13 GmbHG) handelt, sondern dass auch für die Antragstellerin zu 2) die Willensbildung ausschließlich über den Antragsteller zu 1) möglich ist, der als Geschäftsführer deren Vertretungsorgan ist (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG) und als Alleingesellschafter die Gesellschafterversammlung bestimmt (§§ 45 ff. GmbHG).
b) Es ist nicht ersichtlich, dass hinsichtlich beider Angebote der Antragsteller ein anderer fakultativer Ausschlussgrund verwirklicht ist. Ob das Angebot des Antragstellers zu 1) nach § 124 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 8 GWB ausgeschlossen werden könnte, hat weder die Vergabekammer entschieden noch ist dies nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.
c) Die in Umsetzung des Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU in § 124 GWB normierten fakultativen Ausschlussgründe sind allerdings abschließend.
aa) In Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU sind die fakultativen Ausschlussgründe abschließend aufgezählt, mit denen der Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren aus Gründen gerechtfertigt werden kann, die sich, gestützt auf objektive Anhaltspunkte, auf seine berufliche Eignung sowie auf einen Interessenkonflikt oder eine aus seiner Einbeziehung in die Vorbereitung dieses Verfahrens resultierende Wettbewerbsverzerrung beziehen (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 54).
bb) Damit in Einklang steht die nationale Rechtsprechung, die in den §§ 123, 124 GWB nach der Gesetzessystematik eine abschließende Regelung sieht (vgl. BGH, Urt. v. 3. Juni 2020, XIII ZR 22/19 - Vergabesperre, NZBau 2020, 609 Rn. 36; BayObLG, NZBau 2021, 755 m. w. N.).
d) Dies schließt jedoch nicht aus, dass die Angebote der Antragsteller, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, wegen des Grundsatzes der Gleichbehandlung nicht berücksichtigt werden können, wenn sie nicht eigenständig und unabhängig abgegeben worden sind.
aa) Auch insoweit ist es unerheblich, ob der streitgegenständliche Auftrag unter die Sektorenrichtlinie fällt.
Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25/EU, nach dem die Auftraggeber alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nicht diskriminierender Weise behandeln und transparent und verhältnismäßig handeln, entspricht im wesentlichen Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 30).
bb) Dass die fakultativen Ausschlussgründe in Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU abschließend aufgezählt sind, bedeutet nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht, dass der in Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25/EU bzw. in Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU vorgesehene Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des in Rede stehenden Auftrags an Wirtschaftsteilnehmer, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, nicht entgegenstehen stehen könnte (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 57).
cc) Durch die Abgabe abgestimmter Angebote haben die miteinander verbundenen Bieter gegenüber den anderen Bietern möglicherweise ungerechtfertigte Vorteile (vgl. BayObLG, NZBau 2021, 755). Der Feststellung eines darüberhinausgehenden "spezifischen Unrechtselements" bedarf es entgegen der Ansicht der Antragsteller nicht.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat seine frühere Rechtsprechung (Urt. v. 17. Mai 2018, Rs. C-531/16 - Specializuotas transportas, EuZW 2018, 702 Rn. 29 und 38) bestätigt und ausgeführt, bei miteinander verbundenen Bietern wäre der Grundsatz der Gleichbehandlung in Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25/EU verletzt, wenn man es zuließe, dass diese Bieter abgesprochene oder abgestimmte, d. h. weder eigenständige noch unabhängige, und ihnen deshalb gegenüber den anderen Bietern möglicherweise ungerechtfertigte Vorteile verschaffende Angebote einreichen könnten. Die - nach der zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit von der Vergabestelle vorzunehmenden Prüfung (s. u. e]) getroffene - Feststellung, dass die Verbindungen zwischen den Bietern den Inhalt ihrer im Rahmen desselben Verfahrens eingereichten Angebote beeinflusst haben, genügt dafür, dass diese Angebote von der Vergabestelle nicht berücksichtigt werden dürfen, denn die Angebote müssen eigenständig und unabhängig abgegeben werden, wenn sie von miteinander verbundenen Bietern stammen (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 59 und 62).
Der Argumentation der Antragsteller, diese Ausführungen bezögen sich nur auf Fälle, in denen keine wirtschaftliche Einheit vorliege, hat der Gerichtshof der Europäischen Union eine Absage erteilt. Diese Erwägungen gelten erst recht für die Situation von Bietern, die nicht lediglich miteinander verbunden sind, sondern eine wirtschaftliche Einheit bilden (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 62).
Der Ansicht der Antragsteller, die vom Senat im Vorlagebeschluss beispielhaft beschriebenen möglichen Vorteile miteinander verbundener Bieter, die abgestimmte Angebote abgeben, gegenüber den anderen Bietern hinsichtlich der bieterbezogenen Ausschlussgründe und Eignungskriterien seien jedenfalls nicht unberechtigt, weil sie diese Vorteile auch hätten, wenn sie sich in einer Konstellation der Nachunternehmerschaft und Eignungsleihe beworben hätten, vermag der Senat im Übrigen nicht zu folgen. Hätte die Antragstellerin zu 2) beabsichtigt, im Fall der Zuschlagserteilung den Antragsteller zu 1) als Nachunternehmer zu beauftragen, oder zum Nachweis ihrer Eignung auf die Leistungsfähigkeit des Antragstellers zu 1) verwiesen (vgl. Opitz in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Aufl. 2022, § 122 Rn. 36), läge nur ein Angebot vor. Auch wenn die Antragstellerin zu 2) zwei unterschiedliche Angebote abgegeben hätte, lägen nur Angebote eines Bieters vor. Insoweit wird auf die Ausführungen unter dd) verwiesen.
dd) Ohne Erfolg wenden die Antragsteller ein, dem Gerichtshof der Europäischen Union sei die Zulässigkeit der Einreichung mehrerer Angebote durch einen Bieter nicht bewusst gewesen, ihm seien damit wesentliche, entscheidungserhebliche Aspekte des Falles verborgen geblieben und es sei davon auszugehen, dass der Gerichtshof die Vorlagefragen abweichend beantwortet haben könnte, wenn ihm die besondere Konstellation des Streitfalles bewusst gewesen wäre.
(1) Die Begründung der Antragsteller, ihre Angebote seien im streitgegenständlichen Verfahren wie mehrere - zulässige - (Haupt-)Angebote durch ein und denselben Bieter zu betrachten, sodass die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung nicht bestehe, ist im Vorlagebeschluss des Senats vom 24. Juni 2021 wiedergegeben (NZBau 2021, 755).
(2) Ob die dieser Argumentation der Antragsteller zugrunde liegende Annahme zutrifft, ein Bieter hätte die beiden streitgegenständlichen Angebote zulässigerweise als zwei Hauptangebote abgeben können, ist zweifelhaft, bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung.
Nach der nationalen Rechtsprechung kann ein Bieter zwar - unter bestimmten Voraussetzungen - mehr als ein Hauptangebot abgeben (vgl. BGH, Urt. v. 29. November 2016, X ZR 122/14 - Universitätsinstitut, NZBau 2017, 176 Rn. 12 [zur Auslegung, ob zwei Hauptangebote vorliegen]). Als zulässig angesehen wurde dies in Fällen, in denen der Auftraggeber durch die Gestaltung der Vergabeunterlagen inhaltlich verschiedene Hauptangebote veranlasst hat oder sonst dazu aufgefordert hat (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21. Oktober 2015, Verg 28/14, NZBau 2016, 235 m. w. N.), insbesondere wenn ein Bieter aus vertretbaren Gründen im Unklaren war, ob die angebotene Leistung als mit den vorgegebenen Spezifikationen "gleichwertig" angesehen werden wird, und zwei sich in technischer Sicht unterscheidende Angebote abgegeben hat (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9. März 2011, Verg 52/10 [zu § 9 Nr. 7, 8 und 10 und § 21 Nr. 2 VOB/A 2006]; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21. Oktober 2015, Verg 28/14, NZBau 2016, 235; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1. Oktober 2012, Verg 34/12; OLG München, Beschl. v. 15. November 2013, Verg 13/13; Beschl. v. 29. Oktober 2013, Verg 11/13 [zustimmend, aber die Zulässigkeit von Doppelangeboten im konkreten Fall verneinend]). Dass mehrere Hauptangebote generell zulässig wären, ergibt sich aus dieser Rechtsprechung aber nicht (OLG Düsseldorf, NZBau 2016, 235 Rn. 114). § 13 EU Abs. 3 Satz 3 VOB/A und § 16 EU Nr. 6 und Nr. 8 VOB/A entsprechende Regelungen enthalten weder die VgV noch die SektVO.
Ob die zitierte Rechtsprechung auf den hypothetischen Fall übertragbar wäre, dass die streitgegenständlichen Angebote nur von einem der beiden Antragsteller abgegeben worden wären bzw. dass die Antragstellerin zu 2) ein Angebot mit ihrem eigenen Fuhrpark und ein zweites Angebot unter Inanspruchnahme des Antragstellers zu 1) und dessen Fuhrpark abgegeben hätte, erscheint schon angesichts der für die Fahrzeuge in den Vergabeunterlagen festgelegten Vorgaben fraglich, die nicht auf ein Leitfabrikat oder ein gleichwertiges Fabrikat abstellen. Dass der Antragsteller zu 1) in seinem Angebot einige in seinem Fuhrpark befindliche Fahrzeuge genannt hat, während die Antragstellerin zu 2) angegeben hat, alle Fahrzeuge müssten noch beschafft werden, führt jedenfalls nicht ohne Weiteres dazu, dass sich die Angebote in technischer Hinsicht unterscheiden. Konkrete, auf die Fahrzeuge bezogene technische Unterschiede in ihren Angeboten haben die Antragsteller nicht aufgezeigt. Letztlich bedarf die Frage aber keiner Entscheidung.
(3) Dass Bieter ihre Angebote eigenständig und unabhängig voneinander abgeben müssen und dies auch ungeachtet dessen gilt, ob ein Bieter zulässigerweise zwei sich nicht nur im Preis unterscheidende Hauptangebote abgeben kann, ist durch die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. September 2022, in der er seine frühere Rechtsprechung fortführt, in einer Weise geklärt, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt.
Es handelt sich um unterschiedliche Konstellation und Fragestellungen.
Von der Abgabe mehrerer in technischer Sicht voneinander abweichender Hauptangebote eines Bieters unterscheidet sich die abgestimmte Abgabe von jeweils einem Angebot mehrerer Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, dadurch, dass sie wie Konkurrenten auftreten, obwohl sie tatsächlich nicht miteinander konkurrieren.
Für die letztgenannte Fallkonstellation hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des Auftrags an die Bieter entgegensteht, die ihre Angebote nicht eigenständig und unabhängig abgegeben haben. Dies gilt auch, wenn diese miteinander verbundenen Bieter zudem mehrere - nach der nationalen Rechtsprechung - zulässige Hauptangebote abgegeben haben. Auch wenn man die Zulässigkeit mehrerer Hauptangebote im Streitfall annähme, bezöge sich dies nur auf den jeweiligen einzelnen Bieter.
Der Grundsatz der Gleichbehandlung steht zwar nach der - bisherigen - nationalen Rechtsprechung der Zulässigkeit mehrerer Hauptangebote eines Bieters nicht entgegen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9. März 2011, Verg 52/10; Beschl. v. 23. März 2010, Verg 61/09). Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass auch die Abgabe abgestimmter Angebote zulässig wäre.
Wie der Gerichtshof der Europäischen Union die Abgabe von zwei Hauptangeboten eines Bieters beurteilen würde, ist deshalb nicht entscheidungserheblich, auch wenn die Antragsteller in ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 23. Dezember 2022 zu suggerieren versuchen, sie hätten nicht parallel "als wirtschaftliche Einheit" zwei Hauptangebote eingereicht, wenn die Einreichung mehrerer Hauptangebote desselben Bieters ausgeschlossen gewesen wäre (s. u. h]).
(4) Es ist somit entgegen der Ansicht der Antragsteller nicht geboten, gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. b) und Abs. 2 AEUV eine ergänzende Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu folgender Frage einzuholen:
"Sind Art. 36 Abs. 1 Richtlinie 2014/25/EU und Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU dahin auszulegen, dass sie einer Erteilung des Zuschlags an Unternehmen, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, auch dann entgegenstehen, wenn es nach den Bedingungen des Vergabeverfahrens zulässig war, dass alle Bieter mehrere Angebote einreichen und diese Angebote zwangsläufig ebenfalls, sofern sie von demselben Bieter stammen, weder eigenständig noch unabhängig sind[?]"
e) Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt, dass miteinander verbundenen Unternehmen der Nachweis möglich sein muss, dass ihre Angebote eigenständig und unabhängig voneinander erstellt worden sind (vgl. EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 58; Specializuotas transportas, EuZW 2018, 702 Rn. 40; Urt. v. 19. Mai 2009, Rs. C-538/07 - Assitur, EuZW 2009, 550 Rn. 30; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16. März 2022, Verg 28/21).
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist es zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geboten, dass die Vergabestelle verpflichtet ist, eine Prüfung und Würdigung der Tatsachen vorzunehmen, um zu bestimmen, ob das Verhältnis zwischen zwei Einheiten den Inhalt der einzelnen im Rahmen eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens abgegebenen Angebote konkret beeinflusst hat, wobei die Feststellung eines solchen wie auch immer gearteten Einflusses ausreicht, um die betreffenden Einheiten von dem Verfahren ausschließen zu können (EuGH - Landkreis AichachFriedberg, Rn. 60 m. w. N.). Die Feststellung, dass die Verbindungen zwischen den Bietern den Inhalt ihrer im Rahmen desselben Verfahrens eingereichten Angebote beeinflusst haben, genügt dafür, dass diese Angebote von der Vergabestelle nicht berücksichtigt werden dürfen, denn die Angebote müssen eigenständig und unabhängig abgegeben werden, wenn sie von miteinander verbundenen Bietern stammen (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 61 m. w. N.). Diese Erwägungen gelten erst recht für die Situation von Bietern, die nicht lediglich miteinander verbunden sind, sondern eine wirtschaftliche Einheit bilden (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 62 m. w. N.).
Dies ist ebenfalls in einer Weise geklärt, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt. Nicht geboten ist daher eine ergänzende Vorlage zu der Frage: "Sind Art. 36 Abs. 1 Richtlinie 2014/25/EU und Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU dahin auszulegen, dass sie einer Erteilung des Zuschlags an Unternehmen, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch dann entgegenstehen, wenn die Gefahr einer Beeinflussung des Wettbewerbs unter den Bietern dadurch nicht bestand[?]"
f) Der in § 97 Abs. 2 GWB normierte Grundsatz der Gleichbehandlung steht unter den vom Gerichtshof der Europäischen Union genannten Voraussetzungen (Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 60 und 63) der Berücksichtigung abgesprochener oder abgestimmter Angebote entgegen. Ohne Erfolg wenden die Antragsteller ein, die nationale Regelung enthalte keine Rechtsgrundlage für einen Angebotsausschluss und sei auch nicht richtlinienkonform erweiterbar.
aa) Ob und inwieweit das innerstaatliche Recht eine entsprechende richtlinienkonforme Auslegung zulässt, haben die nationalen Gerichte zu beurteilen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26. September 2011, 2 BvR 2216/06, ZIP 2012, 911 Rn. 47 m. w. N.).
Die von den Antragstellern angeregte ergänzende Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zu der Frage, ob Art. 36 Abs. 1 Richtlinie 2014/25/EU und Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU dahin auszulegen sind, dass ein öffentlicher Auftraggeber Angebote unter Verweis auf den darin enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatz auch dann ausschließen darf bzw. muss, wenn eine solche Befugnis des öffentlichen Auftraggebers in den materiell-rechtlichen Vorschriften des nationalen Rechts nicht [Anmerkung des Senats vermutlich gemeint: nicht ausdrücklich] vorgesehen ist, kommt daher nicht in Betracht.
bb) Der erklärte Wille des Gesetzgebers steht einer Auslegung, dass abgesprochene oder abgestimmte Angebote von zwei miteinander verbundenen Bietern nach § 97 Abs. 2 GWB nicht zu berücksichtigen sind, nicht entgegen.
(1) Der von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geprägte Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung verlangt von den nationalen Gerichten mehr als bloße Auslegung im engeren Sinne; er fordert auch, das nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist, richtlinienkonform fortzubilden (BGH, Urt. v. 26. November 2008, VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 Rn. 21). Die Pflicht zur Verwirklichung des Richtlinienziels im Auslegungswege findet ihre Grenzen an dem nach innerstaatlicher Rechtstradition methodisch Erlaubten. Sie darf nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen (BVerfG, ZIP 2012, 911 Rn. 47 m. w. N.).
(2) Der Einwand der Antragsteller, das deutsche Vergaberecht kenne keine übergesetzlichen oder ungeschriebenen Ausschlussgründe, die neben dem geschriebenen Recht herangezogen werden könnten, und das GWB und die VgV regelten die Gründe, aus denen ein Angebot ausgeschlossen werden könne, abschließend, blendet aus, dass insbesondere die Zweifel des Senats, ob die abschließende Aufzählung der fakultativen Ausschlussgründe einem Rückgriff auf den Grundsatz der Gleichbehandlung entgegensteht, um zu rechtfertigen, dass Angebote zweier Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, wegen eines Verstoßes gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs nicht berücksichtigt werden können, Grund für die Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union waren, der die Frage verneint hat.
Die Umsetzung von Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU in § 124 Abs. 1 GWB orientiert sich nach der Gesetzesbegründung eng an den Vorgaben der Richtlinie (BT-Drs. 18/6281 S. 105). Nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union steht der abschließende Charakter der Ausschlussgründe einem Rückgriff auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nach den Richtlinien 2014/24/EU bzw. 2014/25/EU, die - nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers - beide mit dem Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts umgesetzt wurden (BT-Drs. 18/6281 S. 1) nicht entgegen. Anhaltspunkte dafür, dass mit §§ 123, 124 GWB auf nationaler Ebene engere Grenzen für den Ausschluss von Angeboten gesetzt werden sollten, als nach den Richtlinien, liegen nicht vor. Daher geht der Einwand fehl, der Gesetzgeber habe sich für eine abschließende Regelung der Ausschlussgründe in §§ 123, 124 GWB entschieden und es bedürfe deshalb einer - über § 97 Abs. 2 GWB hinausgehenden - ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage, um abgestimmte oder abgesprochene Angebote unter den vom Gerichtshof der Europäischen Union genannten Voraussetzungen ausschließen zu können.
c) Erfolglos wenden die Antragsteller ein, der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz sei nicht geeignet, daraus konkrete Handlungsbefugnisse für die Vergabestelle abzuleiten.
Dessen Anwendung ist zwar regelmäßig eine Frage des Einzelfalls, was einer Ableitung von Verbotsregeln und damit verbundenen starren Rechtsfolgen in den meisten Fällen entgegensteht (vgl. Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2021, GWB § 97 Rn. 77). Für die konkrete Fallkonstellation hat der Gerichtshof der Europäischen Union aber gerade entschieden, dass der Gleichheitsgrundsatz der Vergabe des Auftrags an einen der Antragsteller entgegensteht, wenn deren Angebote nicht eigenständig und unabhängig abgegeben worden sind (vgl. EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 63).
Die - vor dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union im streitgegenständlichen Verfahren ergangene - Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Beschl. v. 14. Oktober 2020, Verg 36/19, NZBau 2020, 732 Rn. 52 f.) vermag die Ansicht der Antragsteller nicht zu stützen. Sie betrifft zum einen eine andere Fallkonstellation. Zum anderen führt das Oberlandesgericht Düsseldorf aus, es lasse sich auch nicht aus dem europäischen Recht ableiten, dass die Verletzung eines gesetzlichen Marktzutrittsverbots einen Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz im Sinne von § 97 Abs. 1 GWB darstelle. Für den vorliegenden Fall ist indes die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. September 2022 zu berücksichtigen.
Es ist zudem anerkannt, dass § 97 Abs. 2 GWB ein subjektives Recht der Betroffenen begründet und nach § 97 Abs. 6 GWB im Nachprüfungsverfahren geltend gemacht werden kann (vgl. Dörr in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, § 97 Abs. 2, Rn. 6).
Einzuräumen ist, dass sich aus der Vorschrift des § 97 Abs. 2 GWB, mit der auch die grundrechtlichen Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG umgesetzt werden (Dörr in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, § 97 Abs. 2, Rn. 14), nicht ohne weiteres konkrete Rechtsfolgen für die Vergabestelle ableiten lassen, sondern dies immer einer sorgfältigen Prüfung im Einzelfall bedarf. Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in den Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge stellt keinen Zweck an sich dar, sondern muss aus dem Blickwinkel der mit ihm verfolgten Zielsetzungen begriffen werden (EuGH, Urt. v. 10. Oktober 2013, Rs. C-336/12 - Manova, EuZW 2013, 949 Rn. 29). Anerkannt ist, dass das Diskriminierungsverbot auch sachwidrige Gleichbehandlungen verbietet (EuGH a. a. O., Rn. 30 m. w. N.). Für die vorliegende Fallkonstellation hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, unter welchen Voraussetzungen der Gleichheitssatz der Berücksichtigung von Angeboten miteinander verbundener Bieter entgegensteht.
dd) Ohne Erfolg wenden die Antragsteller ein, das den Mitgliedstaaten zur Umsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zustehende Ermessen sei nicht ausgeübt worden, sofern man das Fehlen einer Regelung zum Ausschluss abgestimmter Angebote (s. o. bb]) nicht als Ermessenausübung ansehen wolle.
Zwar ist den Mitgliedstaaten, was die Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz betrifft, ein gewisses Ermessen zuzuerkennen, um zur Einhaltung dieser Grundsätze bestimmte Maßnahmen zu erlassen, die öffentliche Auftraggeber bei jedem Verfahren zur Vergabe eines Auftrags zu beachten haben (vgl. EuGH, Urt. v. 23. Dezember 2009, Rs. C-376/08 - Serrantoni, NZBau 2010, 261 Rn. 31 m. w. N.). Für die hier vorliegende Fallkonstellation hat der Gerichtshof der Europäischen Union jedoch entschieden, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz der Zuschlagserteilung an Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, entgegensteht. Eine davon abweichende Regelung des nationalen Gesetzgebers wäre europarechtswidrig.
Schließlich steht die Formulierung im Urteil vom 15. September 2022, die abschließende Aufzählung der Ausschlussgründe schließe nicht "die Befugnis der Mitgliedstaaten aus, materiell-rechtliche Vorschriften aufrechtzuerhalten oder einzuführen", durch die u. a. gewährleistet werden soll, dass auf dem Gebiet der öffentlichen Aufträge der Grundsatz der Gleichbehandlung und der daraus implizit folgende Grundsatz der Transparenz eingehalten werden (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 58), einer Heranziehung des § 97 Abs. 2 GWB zur Begründung eines Angebotsausschlusses in der vom Gerichtshof der Europäischen Union entschiedenen Fallkonstellation nicht entgegen. Der Einwand der Antragsteller, eine "nur" richtlinienkonforme Auslegung könne nicht als Ersatz für eine gesetzgeberische Umsetzung von europäischem Sekundärrecht fungieren, überzeugt aus den dargelegten Erwägungen nicht.
g) Die Antragsteller haben ihre Angebote nicht eigenständig und unabhängig abgeben. Sie behaupten dies auch nicht.
Beide Angebote wurden von derselben natürlichen Person abgegeben, dem Antragsteller zu 1), der als Geschäftsführer und Alleingesellschafter auch in der Antragstellerin zu 2) die Leitungsmacht hat. Diese personelle Verflechtung hat sich auf die Erstellung der Angebote konkret ausgewirkt.
h) Eine Unklarheit der Vergabeunterlagen, die dem Ausschluss der Antragsteller entgegenstehen könnte, ist nicht ersichtlich.
Unbehelflich ist insbesondere die Argumentation der Antragsteller, sie wären nicht auf die Idee gekommen, parallel zwei Angebote einzureichen, wenn der Antragsgegner die Einreichung mehrerer Hauptangebote desselben Bieters ausgeschlossen hätte. Die Tatsache, dass die (bisherige) nationale Rechtsprechung es in den dargelegten Konstellationen für zulässig erachtet hat, dass ein Bieter mehrere Hauptangebote einreicht, schafft keinerlei Unklarheit zur Frage der Angebotsabgabe durch mehrerer (gegebenenfalls auch eng verbundener) Unternehmen. Selbst wenn die Antragsteller bei Angebotserstellung solche Überlegungen angestellt haben sollten, handelt es sich lediglich um eine fehlerhafte rechtliche Interpretation, die der Antragsgegner nicht zu verantworten hat. Eine diesbezügliche Klarstellungspflicht, wie sie die Antragsteller für erforderlich halten, hatte der Antragsgegner nicht.
i) Der Antragsgegner hat somit zu Recht die Angebote der Antragsteller ausgeschlossen.
Durch Beschluss des Kreistags vom 2. November 2020 hat der Antragsgegner die dringliche Anordnung des Landrats vom 1. April 2020, in der auch der Ausschluss der Antragsteller begründet wurde, genehmigt. Ausweislich der Sitzungsvorlage war die Eilentscheidung den Unterlagen beigefügt. Es liegt daher eine eigenverantwortliche Entscheidung des Antragsgegners (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 9. Juli 2010, 11 Verg 5/10; OLG München, Beschl. v. 29. September 2009, Verg 12/09) vor, die Angebote der Antragsteller auszuschließen.
4. Soweit sich die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen die Feststellung richtet, die Antragsteller seien durch die Ausschreibung von Optionen bezüglich des mandantenfähigen rechnergestützten Betriebsleitsystems in ihren Rechten verletzt, ist sie unbegründet.
a) Zu Recht hat die Vergabekammer das für die Feststellung, die Antragsteller seien durch die Ausschreibung der Optionen 3 und 4 in ihren Rechten verletzt, erforderliche Feststellungsinteresse im Hinblick auf die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, bejaht, auch wenn die Antragsteller nun die Ansicht vertreten, der Wegfall dieser Feststellung habe wegen der Feststellung einer Rechtverletzung durch einen anderen Vergaberechtsverstoß keine Auswirkungen auf ihre Schadensersatzansprüche (s. o. 1. d]).
Ein Feststellungsinteresse rechtfertigt sich durch jedes nach vernünftigen Erwägungen und nach Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern. Dieses kann sich aus der nicht auszuschließenden Möglichkeit eines Schadensersatzanspruchs des Bieters gegen den öffentlichen Auftraggeber im Falle des Vorliegens eines Vergaberechtsverstoßes ergeben, es sei denn ein Schadensersatzanspruch ist offensichtlich nicht gegeben und eine auf seine Durchsetzung gerichtete Klage aussichtslos (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 7. August 2019, Verg 9/19 m. w. N.).
Der Ersatz des negativen Interesses ist denkbar, wenn der Bieter darlegen kann, dass ihm bei ordnungsgemäßer Durchführung des Verfahrens bestimmte Aufwendungen nicht entstanden wären, wobei die Kosten der Angebotserstellung üblicherweise nicht erstattungsfähig sind und kein Feststellungsinteresse begründen können (vgl. Blöcker in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, 5. Aufl. 2020, § 168 Rn. 103). Hier ist dagegen ein durch eine unzulässige Optionsbildung entstandener Mehraufwand nicht ausgeschlossen. Die Vergabekammer hat zudem auf die von ihrer Kostenentscheidung nicht umfassten Rechtsverfolgungskosten für die Prüfung der Ausschreibung und der anwaltlichen Rüge vom 9. April 2020 abgestellt, die sich auch auf die Bildung der Optionen bezog.
Der Ersatz des negativen Interesses ist durch den zwingenden Ausschluss der Angebote der Antragsteller nicht offensichtlich ausgeschlossen. Etwas anders würde für den Ersatz entgangenen Gewinns gelten (vgl. BGH, Urteil vom 13. September 2022, XIII ZR 9/20, Rn. 12 m. w. N.).
b) Die von der Vergabekammer getroffene Feststellung, dass die Antragsteller durch die Aufnahme der Optionen 3 und 4 in die Bekanntmachung und die Vergabeunterlagen in ihren Rechten verletzt wurden, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, da der Antragsgegner ein berechtigtes Interesse dafür nicht nachgewiesen hat.
Die Ausschreibung von Wahlpositionen bzw. Optionen, die der Antragsgegner ausdrücklich als solche bezeichnet hat, setzt ein berechtigtes Interesse des öffentlichen Auftraggebers voraus, die zu beauftragende Leistung in den betreffenden Punkten einstweilen offen zu halten (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15. Mai 2019, Verg 61/18 m. w. N.).
Der Antragsgegner hat seinen Vortrag in der mündlichen Verhandlung dahingehend ergänzt, dass zwar das Bayerische Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr bereits Ende 2018 mitgeteilt habe, dass auch Verbundgesellschaften die Förderung für den Aufbau eines rechnergestützten Betriebsleitsystems nach dem BayGVFG und dem BayFAG beantragen könnten, die genauen Fördervoraussetzungen aber erst im konkreten Verfahren geklärt worden seien. Der Senat versteht dieses Vorbringen dahin, dass dies der Grund für den geschilderten Abstimmungsprozess mit der Bayerischen Eisenbahngesellschaft mbH, dem Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr sowie der Regierung von Schwaben im Jahr 2019 gewesen sei.
Ob der nach dem Vorbringen des Antragsgegners im Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung noch andauernde Abstimmungsprozess die Ausschreibung der Optionen 3 und 4 zu rechtfertigen vermag, bedarf keiner Entscheidung. Denn die Antragsteller haben diesen Vortrag zuletzt in der mündlichen Verhandlung zulässigerweise mit Nichtwissen bestritten. Die Vergabedokumentation enthält keine - über die Vergabeunterlagen hinausgehende - Begründung für die Bildung der Optionen. Trotz des Hinweises des Senats vom 8. März 2021, dass der Antragsgegner die Beweislast für die eine Ausschreibung von Optionen rechtfertigenden Umstände trägt, hat er keine weiteren Unterlagen vorgelegt. Im Übrigen lässt sich dem Vorbringen des Antragsgegners nicht entnehmen, aus welchen Gründen er nach Anpassung des Förderantrags im November 2019 davon ausging, die weitere Prüfung des Antrags werde noch einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen.
B.
Die Hilfsanschlussbeschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg.
1. Die Hilfsanschlussbeschwerde der Antragsteller ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, sie wurde insbesondere fristgerecht eingelegt (vgl. BGH, Beschl. v. 4. April 2017, X ZB 3/17 - Postdienstleistungen, NZBau 2017, 366 Rn. 16 und 18).
Die Antragsteller haben zudem klargestellt, dass sie für den Fall, dass die sofortige Beschwerde in vollem Umfang oder nur hinsichtlich des Ausschlusses ihrer Angebote Erfolg hat, hilfsweise das Ziel verfolgen, sich bei fortbestehender Beschaffungsabsicht des Antragsgegners an einem zu wiederholenden Vergabeverfahren erneut zu beteiligen.
2. Die Hilfsanschlussbeschwerde ist unbegründet. Die Antragsteller, deren Angebote zu Recht ausgeschlossen wurden, haben keinen aus dem Gleichbehandlungsgebot (§ 97 Abs. 2 GWB) abgeleiteten Anspruch darauf, dass der Antragsgegner derzeit von der Beauftragung eines anderen Bieters Abstand nimmt und das laufende Vergabeverfahren in ein früheres Stadium zurückversetzt und damit einem von ihnen auf diese Weise eine "zweite Chance" zur Abgabe eines wertbaren Angebots gibt.
a) Dass ihre Angebote zwingend auszuschließen waren, wodurch die Bedingung für die Hilfsanschlussbeschwerde eingetreten ist, steht zwar der Antragsbefugnis der Antragsteller nicht entgegen (s. o. A. 2. c]), ein Nachprüfungsantrag kann aber nur dann Erfolg haben, wenn neben einer Rechtsverletzung zusätzlich eine zumindest nicht ausschließbare Beeinträchtigung der Auftragschancen festgestellt werden kann (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16. Oktober 2019, Verg 6/19, NZBau 2020, 318 m. w. N.; Beschl. v. 15. Juni 2010, Verg 10/10; OLG München, Beschl. v. 12. Mai 2011, Verg 26/10; Blöcker in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, 5. Aufl. 2020, § 168 Rn. 7 m. w. N.; a. A. Antweiler in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, § 168 Rn. 28).
Die Eröffnung der sogenannten "zweiten Chance" durch eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens, die die Antragsteller mit ihrer Hilfsanschlussbeschwerde begehren, kommt nur in Betracht, wenn aufgrund der Sach- und Rechtslage am Schluss der (letzten) mündlichen Verhandlung feststeht, dass ein vergaberechtskonformer Zuschlag unmöglich ist und sich daran auch durch bloße Fortsetzung des Vergabeverfahrens nichts mehr ändern kann (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 23. Juni 2020, 11 Verg 2/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29. Mai 2020, Verg 26/19; OLG Koblenz, Beschl. v. 16. März 2016, 1 Verg 8/13).
Der Einwand der Antragsteller, diese Ansicht sei europarechtswidrig, geht fehl. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union darf (nur) die Zulässigkeit von Nachprüfungsverfahren im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 89/665/EWG in der durch die Richtlinie 2014/23/EU geänderten Fassung nicht von dem Nachweis abhängig gemacht werden, dass der öffentliche Auftraggeber im Fall eines erfolgreichen Nachprüfungsverfahrens gehalten wäre, das Vergabeverfahren zu wiederholen (vgl. EuGH - Randstadt Italia, NZBau 2022, 293 Rn. 70 f. m. w. N.). Die Nachprüfungsinstanzen sind vielmehr verpflichtet, in einem Fall, in dem ein ausgeschlossener Bieter nicht nur seinen Ausschluss anficht, sondern auch die Ordnungsgemäßheit des Verfahrens in Abrede stellt, auch in der Sache zu prüfen, ob der Auftraggeber gehalten ist, das Verfahren oder bestimmte Verfahrensschritte zu wiederholen, weil ohne eine Zurückversetzung des Verfahrens der Zuschlag auf keines der eingereichten Angebote erteilt werden dürfte. Ist dies nicht der Fall, ist der Nachprüfungsantrag der Antragsteller zwar zulässig, ihre Hilfsanschlussbeschwerde aber unbegründet.
Eine Zurückversetzung des Verfahrens ist dann geboten, wenn die Vorgaben in der Ausschreibung zu der zu erbringenden Leistung und Wertung zu unbestimmt sind (OLG München, Beschl. v. 8. Juli 2019, Verg 2/19, NZBau 2020, 331 Rn. 52 f.; vgl. auch OLG Frankfurt, Beschl. v. 15. März 2022, 11 Verg 10/21, NZNau 2022, 417) oder wenn sich ein Zuschlag aus einem anderen Grund verbietet.
b) Eine solche Konstellation liegt hier nicht vor.
aa) Es ist nicht ersichtlich, dass in Folge eines gravierenden Verfahrensfehlers ein vergaberechtskonformer Abschluss des Verfahrens durch Zuschlagserteilung unmöglich ist.
(1) Es bedarf keiner Entscheidung, ob der Antragsgegner den Einsatz von Unterauftragsnehmern nach Art. 4 Abs. 7 Satz 2 der VO (EG) Nr. 1370/2007 auf 30 % beschränkt durfte. Denn eine - unterstellt - vergaberechtswidrige Festlegung einer Selbstausführungsquote steht einer vergaberechtskonformen Zuschlagserteilung nicht entgegen; die Vorgabe war weder intransparent noch berührt sie die Wertungskriterien.
Keiner der anderen Bieter hat die Vorgabe in Ziffer III.3.3) Absatz 2 der Bekanntmachung als vergaberechtswidrig gerügt. Etwaige Fehler können von den Bietern auch hingenommen werden, das Vergabenachprüfungsverfahren dient nicht der allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle.
Zu prüfen ist vielmehr, ob der - hier unterstellte - konkrete Vergaberechtsverstoß geeignet ist, die Chancen der Antragsteller auf Erlangung des Auftrages zu beeinträchtigen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Festlegung der Selbstausführungsquote zur Verwirklichung des Ausschlussgrundes in den Angeboten der Antragsteller beigetragen haben kann. Die Antragsteller konnten nicht plausibel begründen, warum sie sich durch die Vorgabe veranlasst sahen, statt der ursprünglich geplanten Abgabe nur eines Angebots der Antragstellerin zu 2) unter Einsatz des Antragstellers zu 1) als Nachunternehmer zwei Angebote abzugeben. Wenn die Antragsteller die Selbsterbringungsquote von 70 % als problematisch ansahen, weil sie - wie sie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt haben - die Fuhrparks beider nutzen wollten, hätte es nahegelegen sich als Bietergemeinschaft zu beteiligen, zumal die Antragsteller nicht in einem potenziellen Wettbewerbsverhältnis zueinander stehen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8. Juni 2016, Verg 3/16; Opitz in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, § 124 Rn. 61). Dass sie mit der gewählten Vorgehensweise ebenfalls ihre beiden Fuhrparks nutzen konnten, haben die Antragsteller nicht dargelegt. Sie haben vielmehr ausgeführt, sie hätten verschiedene, in ihrem jeweiligen Fuhrpark vorhandene Fahrzeuge sowie noch zu beschaffende Fahrzeuge angeboten. Nicht nachvollziehbar ist die Argumentation, der Umstand, dass nicht nur der Antragsteller zu 1) sondern auch die Antragstellerin zu 2) jeweils ein Angebot abgegeben haben, sei "direkte Folge" der rechtswidrigen Vorgabe des Antragsgegners.
(2) Weder wurde das Vergabeverfahren durch die Einbindung der AVV GmbH übermäßig delegiert noch leidet es an so gravierenden Dokumentationsmängeln, dass eine Zurückversetzung des Verfahrens geboten wäre.
Offenbleiben kann, ob die Dokumentation des Antragsgegners in allen Punkten ausreichend ist, denn etwaige Dokumentationsmängel stehen einer vergaberechtskonformen Zuschlagserteilung nicht per se entgegen. Auf sie kann sich ein Bieter nur dann erfolgreich stützen, wenn sie sich auf seine Rechtsstellung nachteilig auswirken, die beanstandete Dokumentation also gerade in Bezug auf die gerügten Vergaberechtsverstöße unzureichend ist (vgl. OLG Karlsruhe Beschl. v. 29. April 2022, 15 Verg 2/22; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10. August 2011, Verg 36/11, NZBau 2011, 765 [768]; Brauser-Jung in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, 2. Aufl. 2021, § 8 Rn. 53); abgesehen davon bestehen auch Heilungsmöglichkeiten im laufenden Verfahren. Dass nicht jeder Dokumentationsmangel dazu führt, dass eine Wiederholung der betreffenden Verfahrensabschnitte anzuordnen sei, räumen auch die Antragsteller unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschl. v. 8. Februar 2011, X ZB 4/10 - S-Bahn-Verkehr Rhein/Ruhr I, BGHZ 188, 200 Rn. 73) ein.
Gleiches gilt für die Rüge, der Antragsgegner habe das Verfahren übermäßig delegiert. Auch wenn sich der Antragsgegner einen entsprechenden Vorschlag der AVV GmbH zur Festlegung der Selbstausführungsquote nicht zu eigen gemacht hätte, wofür keinerlei Anhaltspunkte bestehen, stünde dies einer vergaberechtskonformen Zuschlagserteilung aus den oben unter (1) dargelegten Gründen nicht entgegen. Auch die Entscheidung, die Beigeladene nicht auszuschließen, kann als vergaberechtswidrig unterstellt werden (s. u. bb]), sodass es nicht darauf ankommt, ob die Entscheidung vom Antragsgegner selbst getragen wird (vgl. zu nicht delegierbaren Entscheidungen: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16. Oktober 2019, Verg 6/19 m. w. N.).
Für die Vermutung, es liege ein das gesamte Verfahren betreffender Transparenzverstoß vor, weil der Antragsgegner das gesamte Verfahren auf die AVV GmbH delegiert habe und sich damit seiner Pflichten als "Herr des Verfahrens" fast vollständig entledigt habe, bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Im Übrigen ist die AVV GmbH, zu deren Gesellschaftern der Antragsgegner gehört, nicht ohne weiteres mit einem externen Beratungsbüro gleichzusetzen.
bb) Entgegen der Ansicht der Antragsteller ist eine Zurückversetzung des Verfahrens nicht deshalb geboten, da kein zuschlagsfähiges Angebot vorliegt.
Ob die Entscheidung, das Angebot der Beigeladenen nicht auszuschließen ermessensfehlerfrei getroffen wurde, bedarf dabei keiner Entscheidung. Ebenso wenig kommt es auf die Frage an, ob der Ablauf der Frist nach § 126 GWB einem Ausschluss der Beigeladenen entgegensteht, sodass die innerprozessuale Bedingung für den weiteren Hilfsantrag der Antragsteller nach § 178 Satz 4, § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB nicht eingetreten ist.
Zwar kann auch ein Bieter, dessen Angebot zu Recht ausgeschlossen wird, dessen Angebot zu Recht ausgeschlossen werden kann oder dessen Angebot ausgeschlossen werden muss, in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt sein, wenn ein anderes Angebot unter Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren nicht ausgeschlossen wird und den Zuschlag erhalten soll oder wenn sich der beabsichtigte Zuschlag aus einem anderen Grund verbietet (vgl. BGH - Polizeianzüge, BGHZ 169, 131 Rn. 52).
Hier steht aber zum einen ein zwingender Ausschluss des Angebots der Beigeladenen, weil auch ihr Angebot nicht eigenständig und unabhängig ist, nicht im Raum und zum anderen ist nach dem maßgeblichen Vorbringen zum Schluss der mündlichen Verhandlung auch eine Zuschlagserteilung auf eines der weiteren Angebote nicht ausgeschlossen.
(1) Unerheblich ist die pauschale in der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptung der Antragsteller, es seien - neben der Beigeladenen - auch alle anderen Bieter [bzw. deren Angebote] auszuschließen.
Dem Antrag auf weitergehende Akteneinsicht war nicht stattzugeben.
Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 27. April 2021 den Antrag auf ergänzende Akteneinsicht abgelehnt. Ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht nur in dem Umfang, wie er zur Durchsetzung des effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist. Er hat eine rein dienende, zum zulässigen Verfahrensgegenstand akzessorische Funktion (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27. April 2022, Verg 25/21). Ein Anspruch auf Akteneinsicht setzt über den Wortlaut von § 165 Abs. 1 GWB hinaus einen das Akteneinsichtsgesuch begründenden beachtlichen und entscheidungserheblichen Sachvortrag voraus (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29. März 2021, Verg 9/21, NZBau 2021, 632 Rn. 27 m. w. N.). Daran fehlt es hier.
Die Vergabekammer hat den Antragstellern mit Beschluss vom 8. Oktober 2020 Akteneinsicht gewährt. Aus den auszugsweise übermittelten internen Aktenvermerken vom 1. April 2020 zur Prüfung und Wertung der Angebote - unter Zugrundelegung der Optionen 1 bis 4 - ist ersichtlich, dass der Antragsgegner nicht nur das Angebot der Beigeladenen (Angebot 4), sondern auch die drei weiteren Angebote (Angebote 1 bis 3) und die Eignung dieser vier Bieter geprüft hat. Als Ergebnis ist - hinsichtlich der Option 3 - festgehalten, dass die Angebote 1 bis 4 vollständig, rechnerisch und fachlich richtig sind (Seite 36 des Vermerks), hinsichtlich dieser Angebote keine Ausschlussgründe nach § 57 Abs. 1 VgV vorliegen (Seite 43 des Vermerks) und die Bieter der Angebote 1 bis 4 über die für die Ausführung des Auftrags erforderliche Eignung verfügen (Seite 64 des Vermerks). Die Behauptung der Antragsteller, der Antragsgegner habe die Angebote noch gar nicht geprüft, entbehrt somit jeder Grundlage.
Aus welchen Gründen, die Angebote 1 bis 3 auszuschließen seien, haben die Antragsteller nicht ansatzweise dargelegt.
Der Senat verkennt nicht, dass der Bieter in weiten Teilen keinen Einblick in das Vergabeverfahren hat und damit nicht überprüfen kann, ob die Vergabestelle korrekt handelt oder unter Missachtung seiner Rechte einem Konkurrenten den Auftrag erteilen will. Erforderlich ist jedoch, dass ein Bieter Anknüpfungstatsachen oder Indizien vorträgt, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen. Ein Bieter darf im Nachprüfungsverfahren behaupten, was er auf der Grundlage seines - oft nur beschränkten - Informationsstands redlicherweise für wahrscheinlich oder möglich halten darf, reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstößen reichen dagegen nicht aus (vgl. BayObLG, Beschl. v. 31. August 2022, Verg 18/21, ZfBR 2022, 826 [828]; OLG Düsseldorf, NZBau 2021, 632 Rn. 19, und Beschl. v. 1. April 2020, Verg 30/19, NZBau 2020, 739 Rn. 41 jeweils m. w. N.).
(2) Es steht nicht fest, dass wegen des Ablaufs der Bindefrist der Zuschlag nicht auf das günstige der Angebote 1 bis 3 erteilt werden kann.
Ein zivilrechtlich nach § 146 BGB erloschenes Angebot ist nicht schlechthin hinfällig. Die verspätete Annahme eines Angebots gilt nach § 150 Abs. 1 BGB als neuer Antrag. Die Vergabestelle kann daher bei dem Bieter mit dem günstigsten Angebot nachfragen, ob ein Vertragsschluss nach Maßgabe des sachlichen Inhalts seines Angebots noch möglich ist, und ist dazu wegen der Pflicht zur sparsamen und effektiven Verwendung der öffentlichen Mittel auch gehalten (BGH, Urt. v. 28. Oktober 2003, X ZR 248/02; OLG Celle, Beschl. v. 30. Januar 2020, 13 Verg 14/19, ZfBR 2020, 691 [695 f.]; OLG München, Beschl. v. 23. Juni 2009, Verg 08/09).
Mit der bloßen Begründung, sie seien infolge der nicht verlängerten Bindefrist erloschen, dürfte der Antragsgegner die Angebote 1 bis 3 nicht ausschließen (vgl. OLG Celle a. a. O.).
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 3 Satz 1 und 2 und Abs. 4 Satz 1 und 2 sowie auf § 175 Abs. 2 i. V. m. § 71 Satz 1 GWB. Es entspricht der Billigkeit, den Antragstellern, die mit ihren zentralen Begehren unterlegen sind, die gesamten Kosten einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen aufzuerlegen. Die in Ziffer 2. des Beschlusses der Vergabekammer getroffene Feststellung, dass die Antragsteller in ihren Rechten verletzt wurden, ist von so untergeordneter Bedeutung, dass eine Kostenquotelung nicht veranlasst ist. Zwar wird die gesamtschuldnerische Haftung der Kostenschuldner nur für die Kosten vor der Vergabekammer (§ 182 Abs. 3 Satz 2 GWB) und für die Gerichtskosten (§ 32 Abs. 1 GKG) angeordnet, hier entspricht es jedoch der Billigkeit auch hinsichtlich der Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen im Beschwerdeverfahren die gesamtschuldnerische Haftung der Antragsteller anzuordnen, die eine wirtschaftliche Einheit darstellen und die Ansicht vertreten, sie seien trotz ihrer "formaljuristisch" getrennten Rechtspersönlichkeit als eine (Bieter-)Einheit zu behandeln. In einem solchen Fall entspräche es nicht der Billigkeit im Sinne des § 71 GWB, wenn der Antragsgegner und die Beigeladene wegen der Erstattung ihrer Aufwendungen gegen beide Antragsteller vorgehen müssten.
Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten auf Seiten des Antragsgegners und der Beigeladenen für das Verfahren vor der Vergabekammer war gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i. V. m. § 80 Abs. 2 VwVfG für notwendig zu erklären.
D.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 50 Abs. 2 GKG. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass die Antragsteller zwar zwei Angebote abgeben haben, aber wirtschaftlich gleichgerichtete Interessen verfolgen. Herangezogen wurde - entsprechend der ergänzenden Erläuterung der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung - der Angebotspreis der Antragstellerin zu 2).
Aktuelle Entscheidungen
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VK Bund
Beschluss
vom 07.12.2022
VK 1-95/22
1. Die Wertungsentscheidung kann vom Auftraggeber nicht auf Dritte delegiert werden. Es handelt sich um eine eigenverantwortlich zu treffende Entscheidung des Auftraggebers.
2. Zieht der Auftraggeber - was grundsätzlich zulässig ist - externen Sachverstand bei der Angebotsbewertung hinzu, muss die Wertungsentscheidung dennoch vom Auftraggeber selbst getragen werden.
3. An den "billigenden Prüfvermerk", mit dem sich der Auftraggeber die Angebotswertungen des externen Dienstleisters zu eigen machen kann, sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Der Vermerk "inhaltlich richtig" oder "einverstanden" auf dem Vergabevermerk reicht bereits aus.
In dem Nachprüfungsverfahren
[...]
wegen der Vergabe "Neubau [...] / Planungsleistungen", Vergabe-Nr.: [...] (ABI. EU Nr. [...])
hat die 1. Vergabekammer des Bundes durch den Vorsitzenden Direktor beim Bundeskartellamt Behrens, den hauptamtlichen Beisitzer Oberregierungsrat Dr. Schier und den ehrenamtlichen Beisitzer Riedel nach Lage der Akten am 7. Dezember 2022
beschlossen:
1. Der Nachprüfungsantrag wird teils als unzulässig verworfen, im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Aufwendungen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen.
3. Die Zuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Beigeladenen war notwendig.
Gründe:
I.
1. Die Antragsgegnerin machte den oben genannten Auftrag im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb im Supplement zum Amtsblatt der EU unionsweit bekannt. Die Antragstellerin wurde, ebenso wie die Beigeladene, nach erfolgreichem Durchlaufen des Teilnahmewettbewerbs zur Angebotsabgabe aufgefordert.
Aus der Aufforderung zur Abgabe eines Erstangebotes vom 29. Juli 2022 ergibt sich aus Ziffer 5, dass der Preis als Wertungskriterium 1 mit 30 % in die Wertung einfließt. Weiter heißt es zur Angebotsbewertung auszugsweise:
"Bei den folgenden Kriterien werden nur volle Punktwerte nach folgender Systematik vergeben:
- 5 Punkte erhält der Bieter, der alle wesentlichen Gesichtspunkte der Aufgabenstellung in vollem Umfang erkennt und die Bewältigung der Problemstellungen in vollem Umfang erwarten lässt.
- 4 Punkte erhält der Bieter, der die wesentlichen Gesichtspunkte der Aufgabenstellung in nahezu vollem Umfang erkennt und Bewältigung der Problemstellungen in nahezu vollem Umfang erwarten lässt.
- 3 Punkte erhält der Bieter, der die wesentlichen Gesichtspunkte der Aufgabenstellung in überwiegendem Umfang erkennt und die Bewältigung der Problemstellungen in überwiegendem Umfang erwarten lässt.
- 2 Punkte erhält der Bieter, der die wesentlichen Gesichtspunkte der Aufgabenstellung in nicht überwiegendem Umfang erkennt und die Bewältigung der Problemstellungen in geringem Umfang erwarten lässt.
- 1 Punkt erhält der Bieter, der die wesentlichen Gesichtspunkte der Aufgabenstellung in geringem Umfang erkennt und die Bewältigung der Problemstellungen nur in sehr geringem Umfang erwarten lässt.
- 0 Punkte erhält der Bieter, der die wesentlichen Gesichtspunkte der Aufgabenstellung nicht erkennt und die Bewältigung der Problemstellungen nicht erwarten lässt.
Kriterium 2: Qualität der Arbeitsprozesse: Wichtung 35 %
Weitere Erläuterung: siehe Bewertungsmatrix Angebote (Anlage 0.5)
Kriterium 3: Fachlicher und Technischer Wert: Wichtung 35 %
Weitere Erläuterung: siehe Bewertungsmatrix Angebote (Anlage 0.5)"
Als Anlage 0.5 findet sich in den Vergabeunterlagen die Bewertungsmatrix. Zur mit 35 % gewichteten "Qualität der Arbeitsprozesse" werden die folgenden Unterkriterien aufgeführt:
"Personalkonzept
Personaleinsatzplan im Projektablauf gegliedert nach Projektstufen und
Verfügbarkeit der Personalkapazitäten insb. des projektleitenden Personals
Organisationskonzept
Zusammenwirken mit Ag und Dritten sowie innerhalb des Planungsteams, Informationsprozesse, Arbeits- und Reaktionsabläufe
Qualitätsmanagement
Organisation der Qualitätskontrolle innerhalb des Planungsteams zur Einhaltung der Qualitäts-, Kosten- und Terminvorgaben des Auftraggebers"
Zum mit weiteren 35 % gewichteten Kriterium "Fachlicher und Technischer Wert" sind die folgenden Unterkriterien aufgeführt:
"Vorgehensweise Planung
Erläuterung der projektspezifischen Vorgehensweise sowie projektspezifischen Besonderheiten und Herausforderungen (Projektanalyse)
Vorgehensweise Projektsteuerung
Objektablaufmanagement und Schnittstellenmanagement und Koordinierung der gebundenen Fachplaner, Vorgehensweise Öffentlichkeitsarbeit
Vorgehensweise Terminplanung und -steuerung
Ablaufplan, Vorgehensweise Beschleunigung der Planung, Begegnung von Störungen im Planungsablauf
Vorgehensweise Kostenmanagement
Kostenkontrolle und -management, Steuerung Mittelabfluss"
Weiter war dort ausgeführt:
"Die Bewertung der Wertungskriterien erfolgt gem. der folgenden Abstufung:
5 Pkt.= Die Qualität der Konzepte bzw. der Umsetzung der Anforderungen wird bezogen auf das Wertungskriterium insgesamt mit sehr gut bewertet. Insbesondere im Vergleich zu den übrigen Angeboten lässt das Angebot bezogen auf das Wertungskriterium eine überdurchschnittlich hohe Umsetzungsqualität erwarten.
3 Pkt.= Die Qualität der Konzepte bzw. der Umsetzung der Anforderungen wird bezogen auf das Wertungskriterium insgesamt mit befriedigend bewertet. Insbesondere im Vergleich zu den übrigen Angeboten lässt das Angebot bezogen auf das Wertungskriterium eine durchschnittlich hohe Umsetzungsqualität erwarten.
1 Pkt.= Die Qualität der Konzepte bzw. der Umsetzung der Anforderungen wird bezogen auf das Wertungskriterium insgesamt mit ausreichend bewertet. Das Angebot enthält bezogen auf das Wertungskriterium entweder wesentliche und/oder zahlreiche Schwächen. Insbesondere im Vergleich zu den übrigen Angeboten lässt das Angebot bezogen auf das Wertungskriterium eine unterdurchschnittlich hohe Umsetzungsqualität erwarten.
0 Pkt.= Das Angebot entspricht nicht den Anforderungen der Vergabeunterlage und kann nicht bewertet werden. Führt zum Angebotsausschluss"
Hinsichtlich der Wertung des Preises enthielt die Aufforderung zur Angebotsabgabe ursprünglich die Angabe, dass ein fiktives Angebot mit dem 2fachen des niedrigsten Preises 0 Punkte erhalte. Gemäß der Wertungsmatrix sollte dies jedoch für ein fiktives Angebot mit dem 1,5fachen des niedrigsten Preises gelten. Auf eine Bieterfrage der Antragstellerin hin teilte die Antragsgegnerin mit, dass hier ein Widerspruch vorliege und der Faktor 1,5 zur Anwendung komme.
Die Antragstellerin reichte ein Erstangebot und, nach entsprechender Aufforderung, ein Folgeangebot vom 21. September 2022 ein. In der Aufforderung zur Abgabe des Zweitangebotes heißt es unter 5. Zuschlagserteilung:
"Der Zuschlag erfolgt auf das Angebot, welches im Rahmen der in der Auftragsbekanntmachung und in der Aufforderung zur Erstangebotsabgabe/Verhandlung genannten Zuschlagskriterien und deren Gewichtung insgesamt den höchsten Punktwert erreicht. [...]"
Mit Schreiben gem. § 134 GWB vom 13. Oktober 2022 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass nicht beabsichtigt sei, ihr den Zuschlag zu erteilen, da ihr Angebot nicht das wirtschaftlichste sei. Zum Wertungsergebnis teilte die Antragsgegnerin insbesondere mit, dass das Angebot der Antragstellerin im Zuschlagskriterium "Qualitätsmanagement" 3 Punkte erzielt habe. Insgesamt habe sie 85,81 % erreicht, der erfolgreiche Bieter erziele 86 %. Als vorgesehenen Zuschlagsempfänger benannte die Antragsgegnerin ein Mitglied der Antragstellerin. Der Zuschlag solle frühestens am 25. Oktober 2022 erteilt werden.
Mit Schreiben vom 13. Oktober 2022 bat die Antragstellerin um Erläuterung der genauen Bewertungskomponenten des Zuschlagskriteriums Qualitätsmanagement sowie um Überprüfung der Angabe des Zuschlagskandidaten.
Mit Schreiben gem. § 134 GWB vom 17. Oktober 2022 (datiert auf den 13. Oktober 2022) teilte die Antragsgegnerin bei ansonsten gleichem Wortlaut mit, dass der Zuschlag frühestens am 25. Oktober 2022 an die Beigeladene erteilt werden solle.
Ebenfalls am 17. Oktober 2022 antwortete die Antragsgegnerin auf die Anfrage der Antragstellerin zur Bewertung des Angebotes:
"Die Grundlage für die Wertung der Angebote bildeten sowohl die in der Aufforderung zur Verhandlung [...] veröffentlichten Kriterien und Unterkriterien, als auch die in der Anlage 05 enthaltene Bewertungsmatrix.
Im Absageschreiben teilten wir Ihnen mit, dass für Ihr Angebot in der Bewertung des Unterkriteriums "Qualitätsmanagement" nicht die höchstmögliche Punktzahl (5 Wertungspunkte) erreicht worden ist.
Dazu möchten wir Ihnen folgenden Hinweis geben:
Die Höchstpunktzahl pro Unterkriterium wurde dann erreicht, wenn der Bieter vorhabenspezifisch umfassend auf das jeweils genannte Punktekriterium eingegangen ist. Die in Ihrem Angebot beschriebenen Maßnahmen zum beabsichtigten Qualitätsmanagement waren allgemein beschrieben. Bezogen auf das projektbezogene QM wurden zwar detailliert Ziele des Qualitätsmanagement in den Projektstufen 1 und 2 genannt, jedoch ohne auf konkrete Maßnahmen Bezug zu nehmen."
Mit Schreiben vom 21. Oktober 2022 rügte die Antragstellerin die beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Beigeladene. Die Vorabinformationsschreiben vom 13. und 17. Oktober 2022 seien fehlerhaft, so dass der Antragstellerin nicht ausreichend Zeit bleibe, sich mit dem Erläuterungsschreiben vom 17. Oktober 2022 auseinanderzusetzen. Das Wertungsergebnis im Zuschlagskriterium Qualitätsmanagement sei vor dem Hintergrund der Erläuterungen der Antragsgegnerin ebenfalls fehlerhaft. Auch müsse das Angebot des Bestbieters angesichts des Einzelergebnisses der Preiswertung unangemessen niedrig sein.
Ebenfalls am 21. Oktober 2022 übermittelte die Antragsgegnerin der Antragstellerin ein weiteres Vorabinformationsschreiben gem. § 134 GWB. Dieses war auf den 17. Oktober 2022 datiert und nannte als frühesten Termin der Zuschlagserteilung den 28. Oktober 2022.
2. Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 24. Oktober 2022 stellt die Antragstellerin Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer.
a) Der Antrag sei zulässig, insbesondere entfalle die Antragsbefugnis hinsichtlich der fehlerhaften Informationsschreiben auch nicht durch die Einreichung des Nachprüfungsantrages und das daraus folgende Zuschlagsverbot. Insoweit sei die Beschwer erst nachträglich entfallen und eine Teilerledigung gem. § 168 Abs. 2 S. 2 Alt. 4 GWB eingetreten. Aufgrund eines Schadensersatzinteresses hinsichtlich der vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens angefallenen Rechtsanwaltskosten sei insoweit festzustellen, dass eine Verletzung der Rechte der Antragstellerin vorgelegen habe.
Hinsichtlich der Rüge der unterlassenen Preisprüfung bei der Beigeladenen habe die Antragstellerin mit Bezug auf das Informationsschreiben gem. § 134 GWB die ihr zur Verfügung stehenden Anknüpfungstatsachen benannt. Der Bezifferung des genauen Preisabstandes bedürfe es dabei nicht. Eine Rüge ins Blaue hinein liege damit nicht vor.
Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet.
- Die Informationsschreiben gem. § 134 GWB seien fehlerhaft gewesen. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2022 sei ein falscher Zuschlagskandidat genannt worden, bei den Schreiben vom 17. und 21. Oktober 2022 sei jeweils, bezogen auf den Absendetag, der angegebene früheste Zeitpunkt des Vertragsschlusses fehlerhaft und unterschreite die Mindestfrist des § 134 Abs. 1 GWB. Dies verkürze den vorgesehenen Bieterrechtsschutz und stelle eine Rechtsverletzung i.S.d. § 97 Abs. 6 GWB dar. Jedenfalls zum Zeitpunkt der Einreichung des Nachprüfungsantrages sei dieser insoweit auch begründet gewesen. Eine rückwirkende Heilung der fehlerhaften Informationsschreiben komme nicht in Betracht.
- Der Angebotspreis der Beigeladenen hätte einer Preisprüfung gem. § 60 VgV unterzogen werden müssen. Ursprünglich sei die Antragstellerin bei Rüge und Stellung des Nachprüfungsantrages, aufgrund eines Rechenfehlers bei Rückrechnung des Angebotspreises der Beigeladenen aus den erzielten Preispunkten der Antragstellerin, von einem Preisabstand von rund 30 % ausgegangen. Nach Korrektur dieses Fehlers gehe die Antragstellerin nunmehr von einem Preisabstand zwischen Angebot der Beigeladenen und Angebot der Antragstellerin von rund 19 % aus. Dieser Wert liege zwar unter der Aufgreifschwelle, diese sei jedoch nicht das einzige Kriterium für eine Preisprüfung. Vorliegend unterschreite der Angebotspreis der Beigeladenen auch die untere Kostenschätzung der Antragsgegnerin erheblich.
- Beurteilungsfehlerhaft habe die Antragsgegnerin die vierstufige Wertungsskala aus der Wertungsmatrix verwendet. Damit habe sie zwei Punktstufen gar nicht erst in Betracht gezogen und auch die Definition der Punktstufen nach Ziffer 5 der Angebotsaufforderung außen vor gelassen. Richtigerweise hätten die beiden nebeneinander stehenden Punktwertesystematiken gemeinsam, ineinander integriert, angewendet werden müssen. Die vier Punktstufen in der Wertungsmatrix seien eine Präzisierung und nähere Ausgestaltung der "Hauptmatrix" aus der Angebotsaufforderung. Mangels Widersprüchlichkeit der
Wertungsskalen aus Sicht eines Bieters komme auch keine Rügepräklusion in Betracht.
Die Antragsgegnerin hätte daher bei der Angebotswertung auch die Punktstufe von vier Punkten als Wertungsmöglichkeit in Betracht ziehen müssen. Aufgrund des geringen Wertungsabstandes zwischen Antragstellerin und Beigeladener hätte eine entsprechende mögliche Besserbewertung der Antragstellerin auch die Angebotsreihenfolge geändert.
- Aus der Akteneinsicht ergebe sich, dass es an einer dokumentierten eigenen Wertungsentscheidung der Antragsgegnerin fehle. Die Wertungsdokumentation sei von einer externen Beratungsgesellschaft erstellt worden. Ein eigenverantwortlicher Prüfungsvermerk der Antragsgegnerin sei nicht erkennbar.
- Die Wertung des Angebotes der Antragstellerin im Unterkriterium Qualitätsmanagement sei fehlerhaft. Die Antragsgegnerin weiche von den vorab bekanntgemachten Wertungsmaßstäben ab. Im Erläuterungsschreiben vom 17. Oktober 2022 stelle sie dar, dass ein Bieter die Höchstpunktzahl pro Unterkriterium erreiche, wenn er vorhabenspezifisch auf das jeweilige Kriterium eingegangen sei. Weder in der Angebotsaufforderung noch im Rahmen der Bewertungsmatrix finde sich dieser Maßstab pauschal für alle Wertungskriterien. Dies begründe in jedem Fall einen Verstoß gegen den Transparenzgrundsatz gem. §§ 97 Abs. 1, 127 Abs. 5 GWB, 58 VgV. An ihren Ausführungen im Schreiben vom 17. Oktober 2022 müsse sich die Antragsgegnerin auch festhalten lassen, da es sich um eine Unterrichtung der Antragstellerin nach § 62 Abs. 2 GWB handele.
Mit ihren weiteren Ausführungen im Erläuterungsschreiben vom 17. Oktober 2022 wie auch in der Antragserwiderung, dass im Konzept der Antragstellerin die Maßnahmen zum Qualitätsmanagement allgemein beschrieben seien, projektbezogen jedoch nur die Ziele des Qualitätsmanagements, aber keine konkreten Maßnahmen dargestellt seien, zeige die Antragsgegnerin auch gerade zum Unterkriterium Qualitätsmanagement, dass sie von einem anderen Verständnis der Zuschlagskriterien ausgehe, als es aus den Vergabeunterlagen ersichtlich sei. Das Unterkriterium Qualitätsmanagement stehe unter der Überschrift des Hauptkriteriums Qualität der Arbeitsprozesse. Daraus folge, dass es in diesem Kriterium vor allem um die Darstellung von Prozessqualitäten gehe, die von Natur aus einen allgemeineren und übergeordneten Charakter hätten. Eine projektspezifische Darstellung der Vorgehensweisen werde stattdessen in dem nachfolgenden Hauptkriterium Fachlicher und Technischer Wert und dessen Unterkriterien verlangt. Hier würden auch Teilbereiche des Unterkriteriums Qualitätsmanagement wieder aufgegriffen. Damit dränge sich eine Unterscheidung zwischen einer allgemeineren Darstellung im Unterkriterium Qualitätsmanagement und einer projektspezifischen Darstellung in den nachfolgenden Unterkriterien auf, da es andernfalls zu Überschneidungen und einer Doppelbewertung komme. Die Antragsgegnerin vermische hier Aspekte der internen Organisation innerhalb des Planungsteams und der externen Projektsteuerung. Dieses Verständnis der Antragstellerin, nach dem hier allgemeine, unternehmensbezogene Inhalte abgefragt würden, bestätige sich durch einen Blick auf § 58 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 VgV. Das Unterkriterium Qualitätsmanagement richte sich auf einen Teilaspekt der Organisation des mit der Ausführung beauftragten Personals. Ihrer Natur nach handele es sich um Eignungskriterien, die die unternehmensbezogene Leistungsfähigkeit des Bieters beträfen.
Die von der Antragsgegnerin vermissten Ausführungen seien in den anderen Teilkonzepten der Antragstellerin vorhanden und dort auch durchweg positiv bewertet worden.
Im Übrigen enthalte das Konzept der Antragstellerin zum Qualitätsmanagement sehr wohl eine vorhabenspezifische Darstellung und zahlreiche konkrete Maßnahmen. Die Antragsgegnerin sei daher bei der Wertung von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Das Konzept nehme konkret Bezug auf die im vorliegenden Projekt eingebundenen Beteiligten, ihre Rollen und Besonderheiten. Das Konzept könne nicht ohne Weiteres für ein anderes Projekt verwendet werden und sei daher vielmehr unmittelbar auf das hiesige Projekt abgestimmt. Gleiches gelte für die Vielzahl konkret benannter Maßnahmen. Soweit sich die Antragsgegnerin nunmehr auch auf einen Vergleich der Konzepte von Antragstellerin und Beigeladener beziehe, ergebe sich dieser aus der Wertungsdokumentation nicht und seien auch die angeblichen Vorteile des Angebotes der Beigeladenen im Erläuterungsschreiben vom 17. Oktober 2022, trotz entsprechender Verpflichtung nach § 62 Abs. 2 Nr. 3 VgV, nicht aufgeführt.
Auch unter Berücksichtigung eines Beurteilungsspielraumes der Antragsgegnerin bei der Konzeptbewertung sei die vorliegende Benotung jedoch nicht plausibel. Die Antragstellerin hätte hier die Höchstpunktzahl erreichen müssen, da sie die wesentlichen Gesichtspunkte der geforderten Aufgabenstellung in vollem Umfang dargestellt habe. Selbst bei unterstellt leichten Mängeln wäre jedenfalls noch eine Bewertung mit 4 Punkten gerechtfertigt. Die Antragsgegnerin hätte sich in der Dokumentation in der Vergabeakte auch konkret mit den einzelnen Punktwerten auseinandersetzen müssen.
- Soweit in der Wertungsdokumentation ein Leerraum zwischen den Textteilen "Es werden" sowie "allgemeine Maßnahmen [...] zur Qualitätsorganisation genannt" bestehe, deute dies darauf hin, dass hier nachträglich eine Änderung des Fließtextes durch das Einfügen eines Wortes vorgenommen worden sei. Die Unterscheidung zwischen allgemeinen und vorhabenspezifischen Maßnahmen sei offenkundig erst nachträglich hinzugekommen. Insoweit werde die Kammer um Amtsermittlung ersucht und um Akteneinsicht in den vorbereitenden Vergabevermerk.
- Aufgrund der Formulierungen in mehreren Passagen der Antragserwiderung sei davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin das Erstangebot der beiden Bieter gewertet habe, nicht jedoch das Folgeangebot.
- Die Hinzuziehung anwaltlicher Bevollmächtigter durch die Antragsgegnerin sei nicht notwendig. Bei den geltend gemachten Vergaberechtsverstößen betreffend die fehlerhafte Vorabinformation gem. § 134 GWB, die unterlassene Preisprüfung gem. § 60 VgV sowie eine fehlerhafte Wertung im Zuschlagskriterium Qualitätsmanagement handele es sich um Fragen, die jeder öffentliche Auftraggeber selbständig bearbeiten können müsse.
Die Antragstellerin beantragt über ihre Verfahrensbevollmächtigten,
1. festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Bieterrechten verletzt ist und
2. die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Rechtsverletzung der Antragstellerin zu beseitigen und eine Schädigung ihrer betroffenen Interessen zu verhindern.
Als geeignete Maßnahme regt die Antragstellerin an:
- der Antragsgegnerin zu untersagen, den Zuschlag auf der Grundlage des bisherigen Vergabeverfahrens zu erteilen und
- die Antragstellerin zu verpflichten, bei fortbestehender Vergabeabsicht das Vergabeverfahren in den Stand der Angebotsprüfung und -wertung zurück zu versetzen und die Prüfung und Wertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.
Vorsorglich weist die Antragstellerin darauf hin, dass der gerügte Verstoß gegen § 134 GWB durch die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens eine Erledigung gemäß § 168 Abs. 2 S. 2 Alt. 4 GWB erfahren werde und kündigt für den Fall der (Teil-)Erledigung dieses Rügepunktes an, gemäß § 168 Abs. 2 S. 2 2. Halbsatz GWB insoweit zu beantragen,
festzustellen, dass eine Verletzung der Rechte der Antragstellerin vorgelegen habe.
3. der Antragstellerin Einsicht in die Vergabeakten gem. § 165 Abs. 1 GWB zu gewähren,
4. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin gem. § 182 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 2 VwVfG für notwendig zu erklären sowie
5. der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens und die der Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen außergerichtlichen Aufwendungen aufzuerlegen.
Mit Schriftsatz vom 11. November 2022 begehrt die Antragstellerin ergänzende Akteneinsicht und die Aufhebung von Schwärzungen im Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 9. November 2022. Für den Fall, dass schutzbedürftige Geheimnisse erkennbar oder vorgetragen würden, beantragt die Antragstellerin gem. § 165 Abs. 2 GWB ein Zwischenverfahren über die (Akten-)Einsicht.
Mit Schriftsatz vom 18. November 2022 beantragt die Antragstellerin hilfsweise, für den Fall, dass der Nachprüfungsantrag nicht schon aus anderen Gründen zulässig und begründet sein sollte, gem. § 168 Abs. 2 S. 2 HS 2 GWB die Feststellung, dass hinsichtlich des Rügepunktes eines Vergaberechtsverstoßes gegen § 134 GWB eine Verletzung der Rechte der Antragstellerin vorgelegen habe. Darüber hinaus beantragt die Antragstellerin nochmals die vollständige Einsicht in den Erwiderungsschriftsatz der Antragsgegnerin vom 9. November 2022 sowie die Akteneinsicht gemäß § 165 Abs. 1 GWB in - mindestens - das dokumentierte Ergebnis der Wertung des Angebotes der Beigeladenen im Zuschlags-/Unterkriterium "Qualitätsmanagement".
b) Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 9. November 2022 beantragt die Antragsgegnerin,
1. den Nachprüfungsantrag vollumfänglich zurückzuweisen;
2. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens, einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin aufzuerlegen und
3. festzustellen, dass die Hinzuziehung des Bevollmächtigten für die Antragsgegnerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war.
Der Nachprüfungsantrag sei teilweise unzulässig.
- Bereits vor Anhängigkeit des Nachprüfungsantrages habe die Antragsgegnerin die fehlerhafte Information über den vorgesehenen Zuschlagskandidaten mit Korrektur vom 17. Oktober 2022 geheilt. Aufgrund der Rückwirkung dieser Heilung habe keine fehlerhafte Fristsetzung vorgelegen, so dass die Antragsbefugnis fehle.
- Da der Antragstellerin ihr Punkteabstand im Rahmen der Preiswertung zum Angebot der Beigeladenen bekannt sei, gebe es objektiv keine Anhaltspunkte dafür, einen Preisabstand zwischen den Angeboten in Höhe von 30 % zu vermuten. Auch insoweit fehle die Antragsbefugnis der Antragstellerin.
Der Nachprüfungsantrag sei im Übrigen vollumfänglich unbegründet.
- Hinsichtlich der Information gem. § 134 GWB habe die Antragsgegnerin mit Korrektur vom 17. Oktober 2022 den richtigen Zuschlagsempfänger angegeben. Aufgrund der Rückwirkung dieser Heilung hätte die Stillhaltefrist gar nicht bis auf den 28. Oktober 2022 verlängert werden müssen. Inzwischen sei die Stillhaltefrist in jedem Fall abgelaufen und die Beigeladene bislang nicht bezuschlagt, so dass Heilung jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt eingetreten sei.
- Die Antragsgegnerin habe der Punktevergabe nur Bewertungsaspekte zugrunde gelegt, die sich aus den Vergabeunterlagen ergäben. Dabei habe sie, für alle Bieter gleichermaßen, die Notenskala der Bewertungsmatrix angewendet. Bei der abweichenden Notenskala im Schreiben zur Angebotsaufforderung habe es sich um ein redaktionelles Versehen der Antragsgegnerin gehandelt. Soweit hierin ein Verstoß gegen den Transparenzgrundsatz liegen sollte, hätte dieser jedoch, da er aus den Vergabeunterlagen erkennbar gewesen sei, gem. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB gerügt werden müssen. Für die Erkennbarkeit spreche hier insbesondere, dass die Antragstellerin einen vergleichbaren Widerspruch, der sich zwischen Aufforderung zur Angebotsabgabe und Wertungsmatrix hinsichtlich der Berechnung der Preispunkte ergeben habe, im Rahmen einer Bieterfrage thematisiert habe.
Ein Auftraggeber müsse kein bis in letzte Unterkriterien gestaffeltes Wertungssystem aufstellen, auch müssten bei Noten mit zugeordneten Punktwerten keine konkretisierenden Angaben dazu gemacht werden, wovon die jeweils zu erreichende Punktzahl konkret abhängen solle. Schließlich sei für die Begründung der Punktevergabe nicht auf die Ausführungen in der Mitteilung nach § 134 GWB vom 17. Oktober 2022 abzustellen, sondern auf die Bewertung entsprechend der Vergabeakte. Dass die Bewertung im Vergleich der einzelnen Angebote erfolge, ergebe sich bereits aus den mit der Bewertungsmatrix mitgeteilten Bewertungsmaßstäben.
Die Beigeladene habe insgesamt ein umfangreicheres und konkreteres Konzept zum Qualitätsmanagement eingereicht, was die Antragsgegnerin vertieft darlegt. Vergleichbare Ausführungen befänden sich im Konzept der Antragstellerin gerade nicht, was den notenmäßigen Unterschied begründe. Die inhaltlichen Lücken ließen sich auch nicht durch den Verweis der Antragstellerin auf die übrigen Konzepte schließen.
Der Vortrag der Antragstellerin sei auch insoweit widersprüchlich, als diese darauf abstelle, dass die Bewertung des Qualitätsmanagements nicht von einer projektbezogenen Darstellung abhängig gemacht werden dürfe, sie jedoch weiter ausführe, dass sie eine solche Darstellung erbracht habe. Insoweit müsse davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin die Relevanz der projektbezogenen Darstellung erkannt habe. Die Antragstellerin benenne auch die Ziele des Qualitätsmanagements, bleibe bei der Konkretisierung ihrer Maßnahmen jedoch pauschal.
Auch in den Unterkriterien Personalkonzept und Organisationskonzept fordere die Bewertungsmatrix ebenfalls nicht ausdrücklich eine projektbezogene Darstellung. Gleichwohl seien solche Darstellungen in den Konzepten der Antragstellerin vorhanden. Diese könne also nicht behaupten, von dem Erfordernis einer projektbezogenen Darstellung lediglich im Oberkriterium Fachlicher und Technischer Wert ausgegangen zu sein.
Der Auftragsbezug sei auch schon dem Begriff des Zuschlagskriteriums immanent. Die unternehmensbezogene Eignungsprüfung der Bieter sei hier bereits im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs erfolgt. Die Bewertung projektspezifischer Ausführungen im Unterkriterium Qualitätsmanagement führe auch nicht zu einer Doppelbewertung dieser Umstände bei anderen Kriterien. Das Qualitätsmanagement bilde gegenüber dem Kostenmanagement und der Terminplanung ein eigenes Managementsystem, so dass nicht gewährleistet sei, dass die Maßnahmen zur Erreichung der Ziele des Qualitätsmanagements in den Konzepten der genannten anderen Kriterien aufgenommen würden.
- Es bestehe auch kein Verstoß gegen § 60 VgV. Die entsprechende Behauptung der Antragstellerin, dass das Angebot der Beigeladenen um ca. 30 % unter dem Honorarangebot der Antragstellerin liege, gehe schon ins Blaue hinein. Die in der Rechtsprechung vertretene Aufgreifschwelle von 20 % sei vorliegend nicht erreicht.
c) Mit Beschluss vom 26. Oktober 2022 ist die Beigeladene zum Verfahren hinzugezogen worden. Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 11. November 2022 beantragt sie:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen.
3. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Beigeladenen wird für notwendig erklärt.
Der Nachprüfungsantrag sei unbegründet.
- Der mit der Vorabinformation nach § 134 GWB verfolgte Schutzzweck, dem unterlegenen Bieter ausreichend Zeit zu verschaffen, die Wertungsentscheidung des Auftraggebers überprüfen zu lassen, sei vorliegend gewahrt, so dass die Frage, ob die Vorabinformation richtig war, hier auf keinen Fall zu einer Rechtsverletzung der Antragstellerin führen könne.
- Darin, dass die Antragsgegnerin in der Vorabinformation das Wort "vorhabenbezogen" verwendet habe, sei eine Abweichung von den bekannt gemachten Wertungsregeln nicht erkennbar. Schon in der mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe mitgeteilten Notenbeschreibung werde jeweils auf die "Aufgabenstellung" Bezug genommen, welche per se mit dem konkreten Vorhaben zu tun habe. Da gem. § 127 Abs. 3 S. 1 GWB alle Zuschlagskriterien mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen müssten, müssten diese per definitionem vorhabenbezogen sein.
Soweit die Antragstellerin eine Differenzierung zwischen dem projektspezifischen Hauptkriterium Fachlicher und Technischer Wert sowie dem nicht projektspezifischen Hauptkriterium Qualität der Arbeitsprozesse vornehme, könne dies nicht überzeugen. Auch im Hauptkriterium Fachlicher und Technischer Wert beinhalte nur eines der drei Unterkriterien das Wort "projektspezifisch". Zum anderen enthalte auch die Erläuterung zum Zuschlagskriterien Qualitätsmanagement einen klaren Vorhabenbezug, da hier auf die Einhaltung der Vorgaben des Auftraggebers abzustellen sei.
Auch eine Doppelbewertung liege nicht vor. Im Qualitätsmanagement sei aufzuzeigen, wie innerhalb des Planungsteams organisiert werde, dass die Vorgaben des Auftraggebers in Bezug auf Qualität, Kosten und Termine sichergestellt würden, was bei den im vorliegenden Verfahren zu erwartenden Bietergemeinschaften durchaus eine erhebliche Herausforderung darstelle. Die beim Fachlichen und Technischen Wert abgefragte Terminplanung und das Kostenmanagement bezögen sich hingegen auf die intellektuelle Planungsleistung und die eingesetzten Planungswerkzeuge.
Schließlich berufe sich die Antragstellerin selbst darauf, dass sie auch zum Qualitätsmanagement sehr wohl eine vorhabenspezifische Darstellung abgegeben habe. Dies widerspreche dem Vortrag, dass sie angeblich nicht verstehen könne, dass auch beim Qualitätsmanagement ein Vorhabenbezug gewollt sei.
- Bezugspunkt einer Preisaufklärung nach § 60 VgV könne nur dann der nächsthöhere Angebotspreis sein, wenn weitere, noch höhere Angebote vorlägen, so dass davon ausgegangen werden könne, dass der Bieter mit dem nächsthöheren Angebot einen angemessenen Preis eingereicht habe. Bei, wie vorliegend, insgesamt nur zwei Angeboten, könne genauso gut der höhere Preis unangemessen hoch sein. Der Preis der Beigeladenen liege deutlich weniger als 20 % unter der Kostenschätzung der Antragsgegnerin, so dass die Aufgreifschwelle nicht ansatzweise erreicht sei.
3. Der Antragstellerin und der Beigeladenen ist Akteneinsicht gewährt worden, der Antragstellerin auch ergänzende Akteneinsicht. Alle Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Die Vergabekammer hat einen rechtlichen Hinweis zu ihrer vorläufigen Rechtsauffassung erteilt, zu dem die Beteiligten Stellung nehmen konnten. Auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten, die Vergabeakte der Antragsgegnerin, soweit sie der Kammer vorlag, sowie die Verfahrensakte wird Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist nur teilweise zulässig, auch insoweit jedoch unbegründet.
1. Der Nachprüfungsantrag richtet sich gegen die Vergabeentscheidung eines dem Bund zuzurechnenden öffentlichen Auftraggebers, der Auftragswert liegt oberhalb des eine europaweite Ausschreibung erfordernden Schwellenwertes.
a) Die Antragstellerin ist auch grundsätzlich antragsbefugt i.S.d. § 160 Abs. 2 GWB. Ihr Interesse am Auftrag hat sie durch Beteiligung am Vergabeverfahren und Abgabe eines Angebotes belegt. Weiter kann die Antragstellerin auch einen ihr drohenden Schaden i.S. einer Verschlechterung ihrer Zuschlagschancen geltend machen. Sie beruft sich u.a. - was im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung dann vorerst zu unterstellen ist - auf eine fehlerhafte Bewertung ihres Angebotes. Aufgrund des geringen Punktabstandes zwischen den Angeboten von Antragstellerin und Beigeladener hätte die Antragstellerin bei besserer Bewertung ihres Konzeptes auch Chancen auf den Zuschlag. Sie hat die angeblich fehlerhafte Angebotswertung, selbst bei Abstellen auf das erste Informationsschreiben vom 13. Oktober 2022, mit ihrem Schreiben vom 21. Oktober 2022 rechtzeitig i.S.d. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB gerügt und anschließend einen Nachprüfungsantrag eingereicht.
b) Nicht (mehr) antragsbefugt ist die Antragstellerin allerdings hinsichtlich der geltend gemachten Fehlerhaftigkeit der drei Informationsschreiben nach § 134 GWB. Insbesondere aufgrund des ausgelösten Zuschlagsverbotes (vgl. § 169 Abs. 1 GWB) kann der Antragstellerin durch die fehlerhaften Informationsschreiben kein Schaden mehr drohen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. September 2019 - Verg 9/17; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. August 2019 - 15 Verg 10/19). Die Antragstellerin wurde auch zwischenzeitlich über den korrekten Zuschlagskandidaten informiert. Auch wenn vorliegend viel dafürspricht, dass nicht nur das erste Informationsschreiben aufgrund der Angabe des falschen Zuschlagsprätendenten sondern auch die folgenden Informationsschreiben aufgrund unzutreffender Stillhaltefristen fehlerhaft waren, kann die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag nicht mehr hierauf stützen. Relevant könnten die fehlerhaften Vorabinformationen nach rechtzeitig gestelltem Nachprüfungsantrag nur noch für die Kostenentscheidung im Fall einer Rücknahme nach erfolgter zutreffender Information durch den Auftraggeber bzw. Eintritt des Zuschlagsverbotes durch Stellen des Nachprüfungsantrages sein. Dies steht vorliegend jedoch nicht in Rede.
Der von der Antragstellerin geltend gemachte Feststellungsantrag nach § 168 Abs. 2 S. 2 GWB hinsichtlich der Fehlerhaftigkeit der Informationsschreiben ist unzulässig. Es ist keine Erledigung i.S. dieser Vorschrift eingetreten. Die Informationsschreiben sind trotz zwischenzeitlich eingeleitetem Nachprüfungsverfahren in der Welt, so dass der Nachprüfungsantrag insoweit auch nicht gegenstandslos geworden ist, anders als z.B. bei einer im Wege der Abhilfe aufgehobenen Wertungsentscheidung oder einem mangels fortbestehender Beschaffungsabsicht beendeten Vergabeverfahren. Geändert hat sich damit nicht der Gegenstand des Nachprüfungsantrages, sondern lediglich das anerkennenswerte Interesse der Antragstellerin an einer Entscheidung über diesen Gegenstand im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens. Über das Bestehen dieses (vorliegend nunmehr fehlenden) Interesses und damit das Fehlen einer Sachentscheidungsvoraussetzung kann die Kammer auch jetzt noch entscheiden. Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass das Nachprüfungsverfahren nicht einer allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle dient, sondern ausschließlich Schäden der Bieter in Form einer Verschlechterung der Zuschlagschancen verhindern soll (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. September 2019 - Verg 9/17).
Die womöglich mangelhaften Vorabinformationsschreiben haben sich jedoch nicht auf die Zuschlagschancen der Antragstellerin ausgewirkt, da die Antragsgegnerin ihre Zuschlagsentscheidung auf die preisliche und qualitative Auswertung der Angebote stützt, die auch bei einer korrekten Vorabinformation nicht anders ausgefallen wäre, so dass die Antragstellerin auch in diesem Fall den Zuschlag nicht erhalten hätte. Die Annahme einer Erledigung in sonstiger Weise i.S.d. § 168 Abs. 2 S. 2 GWB würde hier also dazu führen, dass die Vergabekammer über einen Gegenstand entscheiden würde, hinsichtlich dessen die Antragstellerin sich nicht auf einen Schaden i.S.d. Vergaberechtes berufen kann.
c) Soweit die Antragstellerin eine unterbliebene Preisprüfung des Angebotes der Beigeladenen rügt, die aufgrund eines Preisabstandes von rund 30 % geboten sei, handelt es sich um eine unzulässige Rüge ins Blaue hinein. Ein Bieter darf zwar, mangels konkreter Kenntnisse über das Angebot eines Wettbewerbers, im Rahmen der Rüge behaupten, was er insoweit redlicherweise vermuten konnte. Er muss dabei jedoch eigene Erkenntnismöglichkeiten nutzen und seine Vermutungen plausibilisieren. Vorliegend hatte die Antragsgegnerin im Rahmen der Informationsschreiben gem. § 134 GWB die Preispunkte des Angebotes der Antragstellerin mitgeteilt. Der Antragstellerin war aus den Vergabeunterlagen auch die Berechnungsweise dieser Preispunkte bekannt, dass nämlich das niedrigste Angebot mit 5 Punkten, ein Angebot mit dem 1,5-fachen des niedrigsten Preises mit 0 Punkten bewertet wird. Zwischen diesen beiden Werten sollten die Preispunkte durch Interpolation ermittelt werden. Vor diesem Hintergrund und in Kenntnis sowohl des eigenen Angebotspreises wie auch der damit erzielten, mit drei Nachkommastellen angegebenen Preispunkten, ist nicht ersichtlich, wie die Antragstellerin im Nachprüfungsantrag einen preislichen Abstand der Angebote von rund 30 % vermuten kann. In der Rüge war insoweit noch pauschaler von "einem derart niedrigen Honorarsatz" die Rede. Die Antragstellerin hat zwischenzeitlich selbst eingeräumt, dass ihr insoweit ein Rechenfehler unterlaufen ist und der Preisabstand vielmehr unter 20 % liege. Hinsichtlich der Frage, ob ein Bieter plausible Hinweise auf einen Vergaberechtsverstoß hat und substantiiert seiner Rügeverpflichtung nachgekommen ist, kann es nicht auf ein mögliches Missverständnis beim Bieter ankommen, sondern darauf, ob dem Auftraggeber, der infolge der Rüge das Vorliegen eines Vergaberechtsverstoßes prüfen soll, dieser Verstoß nachvollziehbar dargelegt wurde. Im vorliegenden Sachverhalt geht es auch nicht um die Frage, was ein Bieter, der keinen Einblick in das Angebot der Wettbewerber hat, ggf. auf Basis fundierter Vermutungen rügen können muss. Vielmehr lag der Antragstellerin die zur Substantiierung der Rüge erforderliche Information, nämlich die Höhe des Preisabstandes, im Ergebnis gerade vor. Auch besondere Umstände, die eine Preisprüfung ggf. bei einem Abstand von unter 20 % erforderlich machen könnten, hatte die Antragstellerin nicht angegeben.
Letztlich kommt es hinsichtlich der Preisprüfung des Angebotes der Beigeladenen jedoch auch nicht auf die Frage der Rügepräklusion an, so dass diese im Ergebnis offen bleiben kann. Eine Verletzung der Prüfpflicht des Auftraggebers ist vorliegend nicht gegeben. In materieller Hinsicht ist für die Vergabekammer anhand der Angebotsauswertung in der Vergabeakte ersichtlich, dass der Preisabstand zwischen Beigeladener und Antragstellerin weniger als 20 % beträgt. Die Aussagekraft dieses, für sich die Aufgreifschwelle (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. April 2019 - Verg 49/18) nicht erreichenden, Preisabstandes relativiert sich hier auch noch durch den Umstand, dass lediglich zwei Angebote vorliegen, so dass aus dem reinem Preisabstand noch nicht klar geschlossen werden kann, welches der Angebote näher am "Marktangemessenen" liegt und ob es sich bei dem Angebot der Beigeladenen mithin um ein besonders preisgünstiges, oder vielmehr bei dem Angebot der Antragstellerin um ein besonders teures Angebot handelt.
Auch die Preisschätzung der Antragsgegnerin begründet keinen Anlass dafür, in eine vertiefte Preisprüfung einsteigen zu müssen. Der Abstand des Angebotspreises der Beigeladenen zur unteren Preisschätzung der Antragsgegnerin ist noch deutlich geringer als 20 %. Die Antragsgegnerin führt auch selbst im Vermerk zur Prüfung und Wertung der Angebotspreise (Anlage 19b zum Vergabevermerk) aus, dass sich ihre Kostenschätzung im Wesentlichen nicht bestätigt habe, was in den getroffenen pauschalisierten Annahmen begründet sei. Die mangelnde Abbildung der aktuellen Marktverhältnisse und der kalkulatorischen Annahmen der Bieter spiegelt sich dabei auch in der im Verhältnis zu den eingegangenen Angeboten stark überhöhten oberen Kostenschätzung der Antragsgegnerin. Die Aussagekraft der Preisschätzungen der Antragsgegnerin für die Angemessenheit der angebotenen Preise ist damit stark eingeschränkt. Weiter hat die Antragsgegnerin bei Bewertung der Angebotspreise berücksichtigt, dass beide Bieter im Rahmen der zweiten Angebotsrunde, nach Präzisierung der Leistungsbeschreibungen, ihre Angebotspreise erhöht haben. Diese Beobachtung der Antragsgegnerin kann aus Sicht der Kammer grundsätzlich für eine gleichgerichtete, am Leistungserbringungsaufwand für die Bieter orientierte und damit sachgerechte Kalkulation sprechen. Zusätzlich hat die Antragsgegnerin in einem Preisspiegel beide Angebote nebeneinander gestellt. Wenn die Antragsgegnerin vor diesem geschilderten Hintergrund in ihrem Vermerk zur Prüfung und Wertung der Angebotspreise zu dem Eindruck gelangt, dass der Angebotspreis der Beigeladenen nicht ungewöhnlich niedrig erscheint, ist hier im Hinblick auf das Einsetzen einer Prüfpflicht auch ohne Erreichen der einschlägigen Aufgreifschwellen nach Auffassung der Vergabekammer keine Überschreitung des Beurteilungsspielraumes erkennbar.
d) Soweit die Antragstellerin sich darauf stützt, dass die Antragsgegnerin die beiden Wertungsskalen aus der Aufforderung zur Angebotsabgabe und der Wertungsmatrix ineinander integriert hätte anwenden müssen statt nur eine der beiden Skalen, hier die aus der Wertungsmatrix, alleine anzuwenden, ist sie mit dieser Rüge gem. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB präkludiert. Die Wertungsskala unter Ziffer 5 des Aufforderungsschreibens zur Abgabe der Erstangebote, auf die auch die Aufforderung zur Abgabe der Zweitangebote verweist, und die Wertungsskala aus der Wertungsmatrix widersprechen sich. Insbesondere lässt schon der einleitende Satz in der Wertungsmatrix ("Die Bewertung der Wertungskriterien erfolgt gem. der folgenden Abstufung") keinen Raum für die Vermutung, die nachfolgende Notenskala stelle ggf. nur einen Auszug sämtlicher möglicher Noten dar und die Wertungsstufen 2 Punkte und 4 Punkte seien nur nicht explizit genannt. Gegen eine solche auszugsweise Wiedergabe spricht auch, dass die textliche Beschreibung der einzelnen Notenstufen beider Notenskalen voneinander abweicht. Weiter lässt die Notenbeschreibung der Wertungsmatrix zusätzliche, ungenannte Zwischenstufen auch nicht zu. Zur Note 5 Punkte findet sich die Erläuterung, dass eine "überdurchschnittlich hohe Umsetzungsqualität" erwartet werden könne. Bei 3 Punkten soll das Angebot eine "durchschnittlich hohe Umsetzungsqualität" erwarten lassen, bei 1 Punkt eine "unterdurchschnittlich hohe Umsetzungsqualität". Die Notenstufen 2 und 4 Punkte sind damit ersichtlich nicht angelegt, da schon eine sprachliche Beschreibung dieser Zwischenstufen kaum möglich wäre. Eine "Integration" der beiden Notenskalen aus Wertungsmatrix und Aufforderung zur Angebotsabgabe in eine gemeinsame Notenskala erscheint damit schon aufgrund der unterschiedlichen Notenabstufungen nicht möglich.
Dieses Nebeneinander zweier unterschiedlicher Wertungsskalen, die auch nicht miteinander kompatibel sind und nicht gleichzeitig angewandt werden können, war für die Bieter aus den vorgenannten Gründen in tatsächlicher Hinsicht und auch bereits aus den Vergabeunterlagen erkennbar und stellt für die Bieter, die ihr Angebot an den Wertungsmaßstäben des Auftraggebers ausrichten wollen, zwangsläufig ein Transparenzproblem dar. Dass Vergabeverfahren u.a. dem Grundsatz der Transparenz entsprechen müssen, folgt bereits unmittelbar aus der "Einleitungsvorschrift" zum Vergaberecht (§ 97 Abs. 1 S. 1 GWB) und ist ein allgemeiner Grundsatz im Vergabeverfahren, der den Bietern bekannt ist. Damit waren sowohl der zugrundeliegende Sachverhalt als auch der daraus womöglich folgende Rechtsverstoß für einen durchschnittlichen Bieter erkennbar i.S.d. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB. Der hier wohl vorliegende Transparenzverstoß durch Vorgabe zweier unterschiedlicher Wertungssysteme hätte daher vor Ablauf der Angebotsfrist gerügt werden müssen. Dafür ist es auch unerheblich, dass die Antragstellerin vorträgt, sie habe hier keinen Widerspruch zwischen den beiden Wertungssystemen gesehen. Entscheidend ist nicht das tatsächliche Erkennen des Vergaberechtsverstoßes durch den konkreten Bieter, sondern seine objektive Erkennbarkeit (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. April 2019 - Verg 49/18). Wie dargestellt, passen die beiden Wertungsskalen bei unbefangener Lektüre nicht zusammen, eine widerspruchsfreie gleichzeitige Anwendung scheidet aus. Auch die womöglich bestehende Vorstellung der Antragstellerin, dass die Antragsgegnerin diese beiden verschiedenen Wertungsskalen mit Bedacht, explizit ausgehend von der Rechtmäßigkeit ihres eigenen Vorgehens, aufgestellt habe, da sie zwar einen Widerspruch zwischen Angebotsaufforderung und Wertungsmatrix im Bereich der Preiswertung auf Bieterfrage hin beseitigt habe, die in unmittelbarem textlichen Zusammenhang aufgeführten Wertungsvorgaben im Bereich der Qualität jedoch unverändert belassen habe, kann an der Erkennbarkeit des Vergaberechtsverstoßes für die Bieter nichts ändern. Für die Erkennbarkeit des Transparenzmangels durch die Bieter ist es unerheblich, ob der Auftraggeber versehentlich oder mit Bedacht gehandelt hat. Dass die Präklusionsvorschriften vom Bieter ggf. verlangen, hinsichtlich der Anwendung der Vergaberechtsvorschriften "besser" als der Auftraggeber zu sein und Dinge zu erkennen, die selbst der Auftraggeber nicht erkannt hat, liegt in der Ausgestaltung des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 und 3 GWB, der bloße "Erkennbarkeit" genügen lässt, wie auch im grundsätzlichen Sinn dieser Vorschriften, der entfiele, wenn Bieter stets die Vergabeunterlagen als vom Auftraggeber vorgegeben und juristisch nicht zu beanstanden zugrundelegen dürften.
Aus der genannten Bieterfrage bzw. der Antwort der Antragsgegnerin darauf lässt sich im Übrigen auch bereits schließen, dass die Antragsgegnerin in der Wertungsmatrix augenscheinlich die spezielleren, für diesen Auftrag vorgesehenen Wertungsmaßstäbe aufgeführt hatte. Der Widerspruch im Rahmen der Preiswertung zwischen den Angaben in der Aufforderung zur Abgabe der Erstangebote und der Wertungsmatrix wurde von der Antragsgegnerin dahin aufgelöst, dass die Vorgaben der Wertungsmatrix angewandt werden sollten. Dieses Vorgehen bestätigt sich auch hinsichtlich der Wertungsstufen im Bereich der qualitativen Angebotswertung.
Für die Vergabekammer steht auch nicht in Zweifel, dass die Antragsgegnerin tatsächlich die vierstufige Wertungsskala angewandt hat. Dies hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 14. November 2022 so vorgetragen. Gestützt wird dieser Vortrag der Antragsgegnerin zur angewandten Wertungsmethodik durch den für die Kammer aus der Vergabeakte ersichtlichen Umstand, dass die Zwischennoten 2 und 4 Punkte auch tatsächlich nicht vergeben wurden, wie auch durch einen Antwortentwurf der Antragsgegnerin an die Antragstellerin vom 25. Oktober 2022, in dem ausgeführt wird, dass eine Interpolation der Punktzahl zwischen 1-3-5 nicht vorgesehen sei. Hat die Antragsgegnerin damit jedoch alle Bieter nach den gleichen Maßstäben gemessen, liegt insoweit kein (neuer, ggf. noch rügbarer) Vergaberechtsverstoß vor. Es bleibt dann bei dem, nicht rechtzeitig gerügten, Transparenzverstoß durch Bekanntmachung unterschiedlicher Wertungsmethoden.
2. Der Nachprüfungsantrag ist nicht begründet.
Die von der Antragsgegnerin angelegten Wertungsmaßstäbe im Unterkriterium "Qualitätsmanagement" sind nicht zu beanstanden. Die konkrete Wertung des Angebotes der Antragstellerin ist beurteilungsfehlerfrei erfolgt. Anlass für weitere Ermittlungen der Kammer besteht nicht, ebensowenig ist weitergehende Akteneinsicht zu gewähren.
a) Die Antragsgegnerin geht von zutreffenden Wertungsmaßstäben aus. Die Antragstellerin bemängelt zwar insoweit, dass die Antragsgegnerin laut ihrem Informationsschreibern vom 17. Oktober 2022 fordere, dass die Konzepte "vorhabenspezifisch umfassend auf das jeweils genannte Punktekriterium" eingehen müssten, um die volle Punktzahl zu erlangen. Dies ergebe sich nicht aus den Notenbeschreibungen. Diese Auffassung trifft aus Sicht der Vergabekammer jedoch nicht zu. Auch wenn der Auftragsbezug sich wörtlich nur im Unterkriterium "Vorgehensweise Planung" findet, nicht jedoch in der Beschreibung des Unterkriteriums "Qualitätsmanagement", folgt er jedoch aus dessen Sinn. Das Konzept soll darstellen, wie der Auftragnehmer die Qualitäts-, Kosten- und Terminvorgaben des Auftraggebers(!) einhalten möchte. Auch wenn also die Organisation innerhalb des Planungsteams darzustellen war, ergibt sich aus der Beschreibung des Kriteriums, dass diese Organisation konkret der Sicherstellung der Einhaltung der Vorgaben des Auftraggebers dienen sollte. Selbst wenn im Bereich des Qualitätsmanagements vielfach wiederkehrende Routinen eingesetzt werden, schließt dies nicht aus, die Ausgestaltung und Auswirkungen konkret auch für den vorliegenden Auftrag darzustellen. Dies ist vielmehr auch geboten, um dem Auftraggeber die Vorteile des jeweiligen Konzeptes für dessen spezifisches Vorhaben zu erläutern.
Auch soweit sich die Antragstellerin für ihre Auffassung, dass im Rahmen des Qualitätsmanagements eher allgemeine Ausführungen gefordert seien, auf den systematischen Aufbau der Wertungskriterien stützt und daraus Schlüsse auf die geforderten Konzeptinhalte im Unterkriterium Qualitätsmanagement ableiten möchte, können diese Argumente nicht durchdringen. Die Antragstellerin führt aus, dass im Kriterium "Qualität der Arbeitsprozesse" lediglich allgemeinere, übergreifende Darstellungen gefordert würden, konkret projektbezogene Ausführungen hingegen erst im Kriterium "Fachlicher und Technischer Wert". Dies ergebe sich auch aus der Aufteilung des Auftrages in "Leistungsbereich 1 - Generalplaner" und "Leistungsbereich 2 - Projektsteuerung", der sich in der Wertungsmatrix widerspiegele. Eine solche klare Trennung ist der Wertungsmatrix jedoch schon nicht zu entnehmen. So fällt auf, dass es in der Wertungsmatrix nur einmal das Unterkriterium Qualitätsmanagement, nämlich im Kriterium Qualität der Arbeitsprozesse, gibt, obwohl auch nach Sicht der Antragstellerin auch und gerade im Bereich der Projektsteuerung, der nach Darstellung der Antragstellerin im Kriterium Fachlicher und Technischer Wert bewertet werden soll, Qualitätssicherungsmaßnahmen erfolgen. Ein Auftraggeber ist schon nicht verpflichtet, seine Wertungskriterien streng nach den ausgeschriebenen Leistungspaketen zu gliedern, sondern kann auch übergreifend z.B. Qualitätsaspekte aus verschiedenen Leistungspaketen gebündelt in einem Kriterium betrachten. Insbesondere ergibt sich aus der Beschreibung des Unterkriteriums Qualitätsmanagement ja, dass es hier um die Einhaltung der Qualitäts-, Kosten- und Terminvorgaben des Auftraggebers gehen soll. Wenn diese Bereiche aber nach Darstellung der Antragstellerin schwerpunktmäßig dem Projektmanagement zuzuordnen wären, spräche dies gegen eine Unterteilung der Wertungsmatrix entlang der Bereiche Generalplanung bzw. Projektsteuerung.
Auch aus der von der Antragsgegnerin aufgestellten Leistungsbeschreibung ergibt sich vorliegend nichts für die von der Antragstellerin hergeleitete Auffassung zu den geforderten Konzeptinhalten. In der Leistungsbeschreibung zum "Leistungsbereich 1 - Generalplaner" (S. 3) erläutert die Antragsgegnerin, dass sie das Erfordernis einer separat durch den Auftragnehmer zu bindenden Projektsteuerung sehe. Deren Steuerung wiederum erfolge durch die Generalplanerleitung. Daraus folgt letztlich eine umfassende Verantwortung des Bieters für das Gesamtprojekt, einschließlich der Projektsteuerung. Die Antragsgegnerin weist auch schon selbst in der Leistungsbeschreibung zur Generalplanung darauf hin, dass es bei einigen Leistungen zu Überschneidungen zum Leistungsbild der Projektsteuerung komme (S. 3). Soweit sich die Antragstellerin konkret an dem von der Antragsgegnerin zur Begründung der Wertung herangezogenen Aspekt der unzureichenden Darstellung des Projektkommunikationssystems stört, ist der Antragstellerin zwar zuzugeben, dass dieses in der Beschreibung zum "Leistungsbereich 2 - Projektsteuerung", an mehreren Stellen gefordert wird. Hier zeigen sich aber auch die von der Antragsgegnerin angemerkten Überschneidungen, da auch für den Leistungsbereich 1 das "Bereitstellen, Einrichten, Pflegen und Betreiben eines Projektkommunikationssystems für die externe und interne Kommunikation" gefordert wird (S. 4 unter Punkt 20), ebenso wie das "Betreiben eines einfachen Dokumenten-/Planmanagementsystems [...] inkl. Ordnerstruktur, Dokumentation und Ablage aller Dokumente" und "eines Datenbankmanagementsystems [...] inkl. Ordnerstruktur, Dokumentation und Ablage aller Dokumente".
Die Anforderung konkreter, projektbezogener Ausführungen auch im Bereich Qualitätsmanagement war für einen durchschnittlichen Bieter erkennbar. Insbesondere erscheint die von der Antragstellerin unterstützend angeführte Argumentation mit § 58 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 VgV, der grundsätzlich als Eignungskriterien einzustufende unternehmensbezogene Umstände betreffe, was wiederum darauf schließen ließe, dass im Unterkriterium Qualitätsmanagement vorliegend nur allgemeinere Angaben abgefragt sein könnten, nicht die Sicht eines durchschnittlichen Bieterunternehmens verdeutlichen zu können.
Die Antragstellerin dürfte dies auch grundsätzlich erkannt haben, andernfalls hätte sie mit den für sich reklamierten projektbezogenen Ausführungen in ihrem Konzept bewusst an den unterstellten Anforderungen des Wertungskriteriums vorbeigeschrieben. Dass es bei der Darstellung des Qualitätsmanagements und einzelner zu erbringender Leistungen, insbesondere auch in den Unterkriterien "Vorgehensweise Terminplanung und -steuerung" sowie "Vorgehensweise Kostenmanagement" zu Überschneidungen kommen kann, macht die Kriterienausgestaltung noch nicht unzulässig. Es lässt sich jeweils klar ein unterschiedlicher inhaltlicher Schwerpunkt ausmachen. Soweit die Antragstellerin sich darauf stützt, dass an anderen Stellen der Konzepte positiv bewertete Darstellungen auch zu Fragen des Qualitätsmanagements erfolgt seien, ist daher insbesondere schon zu berücksichtigen, dass die vom Bieter zu liefernden Angaben an der Stelle erfolgen müssen, wo sie vom Auftraggeber verlangt werden, es dem Auftraggeber mit anderen Worten nicht obliegt, sich die einschlägigen Informationen aus verschiedenen Angebotsteilen zusammenzusuchen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23. März 2011 - 15 Verg 2/11).
b) Auch die konkrete Wertung des Konzeptes der Antragstellerin im Unterkriterium Qualitätsmanagement ist nach dem insoweit für die Vergabekammer geltenden Überprüfungsmaßstab nicht zu beanstanden.
Dem Auftraggeber steht bei der Bewertung der Angebote ein Beurteilungsspielraum zu, der von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbar ist, insbesondere auf die Zugrundelegung eines unzutreffenden Sachverhaltes, auf Verstöße gegen allgemeine Wertungsregeln oder sachfremde Erwägungen. Auch ist die gleichmäßige Anwendung der Wertungsmaßstäbe auf die Angebote insbesondere von Antragstellerin und Zuschlagskandidatin überprüfbar. In diesem Rahmen erscheint die konkrete Bewertung des Konzeptes der Antragstellerin im Unterkriterium "Qualitätsmanagement" als beurteilungsfehlerfrei. Zur Wahrung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Beteiligten können hier keine Details der jeweiligen Konzepte dargelegt werden. Die Konzepte liegen der Kammer jedoch vor und können von dieser vollumfänglich berücksichtigt werden (siehe hierzu BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 - X ZB 10/16). Im direkten Vergleich der Konzepte von Antragstellerin und Beigeladener kann die Vergabekammer das Urteil der Antragsgegnerin zu den Konzepten betreffend das Qualitätsmanagement nachvollziehen, Beurteilungsfehler sind nicht ersichtlich. Dass ein solcher Vergleich erfolgen sollte, ergab sich bereits aus dem mit der Wertungsmatrix mitgeteilten Wertungssystem und ist auch bei von den Bietern anzufertigen Konzepten, deren Inhalt der Auftraggeber weder im Detail vorhersehen noch abfordern kann, systemimmanent. Die in den jeweiligen Wertungsmatrizen zu den Angeboten von Antragstellerin und Beigeladener angegebenen Begründungen erschließen sich für die Kammer aus den vorliegenden Konzepten. Insbesondere wird in der Wertung des Konzeptes der Antragstellerin auch nicht jeglicher Projektbezug abgestritten. Allgemeine Maßnahmen wurden von der Antragsgegnerin gesehen und auch beispielhaft aufgezählt. Es wird weiter ausgeführt, dass durchaus detailliert die Ziele genannt würden, ohne jedoch auf konkrete Maßnahmen Bezug zu nehmen. Für die Vergabekammer erscheint nachvollziehbar, dass der Auftraggeberin in der konzeptionellen Darstellung der Antragstellerin die konkrete Beschreibung der Vorgehensweise im vorliegenden Projekt, abseits "allgemein" benannter Vorgehensweisen, hier jedoch nicht ausreichend detailliert war, um die Sicherstellung der Qualitätsziele durch die Antragstellerin mit einer höheren Qualitätspunktzahl bewerten zu können. Die Entscheidung, das Konzept der Antragstellerin im Vergleich zum Konzept der Beigeladenen schlechter zu bewerten, erscheint der Kammer somit insgesamt nicht als Überschreitung des Beurteilungsspielraums.
Soweit die Antragstellerin die Frage aufwirft, ob der Zuschlagsentscheidung der Antragsgegnerin die finalen Konzepte oder die mit dem Erstangebot eingereichten Konzepte zugrundeliegen, geht die Vergabekammer, trotz einzelner missverständlicher Passagen in der Antragserwiderung, davon aus, dass die Antragsgegnerin die Wertung anhand der finalen Angebote vorgenommen hat. Auf S. 4 ihrer Antragserwiderung schreibt die Antragsgegnerin insoweit ausdrücklich von der "Bewertung des finalen Angebots der Antragstellerin" und verweist auf die tabellarische Übersicht zur Auswertung der "Folgenagebote vom 27.09.2022". Auch soweit die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz Inhalte aus dem Konzept der Beigeladenen zum Qualitätsmanagement wiedergibt, entsprechen diese der Fassung des Konzeptes des Folgeangebotes. Zu berücksichtigen ist zusätzlich und maßgeblich, dass sich in der Vergabeakte als Anlage 14 zum Vergabevermerk auch das Dokument "Bewertung Erstangebote vom 23.08.2022" findet. Auf dieser Grundlage, insbesondere auch unter ergänzender Berücksichtigung des Vergabevermerkes unter Punkt 4.15, der hinsichtlich der Gesamtauswertung auf die schon genannte "Anlage 20 - Auswertung finale Angebote" abstellt, sieht die Vergabekammer hier letztlich keine Unklarheiten, die weiterer Aufklärung bedürften.
Ein Vergaberechtsfehler liegt auch nicht darin, dass die Antragsgegnerin sich bei der Auswertung der eingereichten Konzepte eines externen Dienstleisters bedient hat. Zwar geht die Antragstellerin zutreffend davon aus, dass die Wertungsentscheidung vom Auftraggeber nicht auf Dritte delegiert werden kann, es sich hier vielmehr um eine eigenverantwortlich zu treffende Entscheidung des Auftraggebers handelt. In Fällen, in denen der Auftraggeber, was auch grundsätzlich zulässig ist, externen Sachverstand bei der Angebotsbewertung hinzuzieht, muss die Wertungsentscheidung dennoch vom Auftraggeber selbst getragen werden. An den "billigenden Prüfvermerk", mit dem sich der Auftraggeber die Angebotswertungen des externen Dienstleisters zu eigen machen kann, sind jedoch keine hohen Anforderungen zu stellen. In der Entscheidung des OLG Frankfurt vom 9. Juli 2010 - 11 Verg 5/10, wurde der Vermerk des Auftraggebers "inhaltlich richtig" auf dem Vergabevermerk des Dienstleisters als ausreichend anerkannt. Das OLG München, Beschluss vom 15. Juni 2005 - Verg 14/05, dürfte dahin zu verstehen sein, dass u.a. ein Randvermerk "einverstanden" bereits als Zeichen für eine Beteiligung des Auftraggebers zu verstehen sei. Vorliegend hat die Antragsgegnerin in dem von ihr erstellten Vergabevermerk unter Ziffer 4.15 Ergebnis der Angebotsauswertung hinsichtlich der Gesamtauswertung auf die Anlage 20 und damit auf die "Bewertungsmatrix Folgeangebote vom 27.09.2022" verwiesen. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin unter Punkt 4.16 des Vergabevermerkes ("Vergabevorschlag") ausgeführt:
"Die [Beigeladene] lässt die bestmögliche Leistung erwarten und hat das wirtschaftlichste Angebot unterbreitet. Der Auftrag ist an diesen Bieter mit dem Honorar in Höhe von [...] Euro brutto zu erteilen."
Dies stellt die dokumentierte eigene Zuschlagsentscheidung der Antragsgegnerin dar. In dieser wird auch auf die "bestmögliche Leistung" und damit die vorangehende Angebotsbewertung Bezug genommen. Nicht entscheidend kann es darauf ankommen, ob sich die Zustimmung des Auftraggebers zu dem Wertungsvorschlag des Dienstleisters aus einem Vermerk unmittelbar auf dem Wertungsvorschlag ergibt, oder, wie hier, aus einem gesonderten Vermerk. Damit ist die Zueigenmachung der Konzeptbewertung des externen Dienstleisters und das Treffen einer eigenen Zuschlagsentscheidung durch die Antragsgegnerin knapp, aber noch ausreichend dokumentiert. Diese schon im Vergabevermerk dokumentierte Zueigenmachung der Wertungsentscheidung bekräftigt die Antragsgegnerin auch durch die Verteidigung dieser Wertungsentscheidung im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens.
c) Soweit die Antragstellerin auf den Umstand hinweist, dass im Rahmen der Wertungsbegründung zu ihrem Qualitätsmanagementkonzept eine Lücke zwischen den Worten "werden" und "allgemeine" besteht, die über die Breite eines Leerzeichens hinausgeht, und daraus eine zwischenzeitliche Änderung des Wertungsmaßstabes ableiten möchte, der die Kammer von Amts wegen nachgehen solle, sieht die Kammer insoweit keinen weiteren Ermittlungsbedarf. Aus der Vergabeakte ergibt sich, dass diese Lücke sowohl in der Bewertungsmatrix zu den Erstangeboten als auch in der Bewertungsmatrix zu den Folgeangeboten und jeweils sowohl bei Antragstellerin wie auch bei der Beigeladenen immer aufzufinden ist, bevor das Wort "allgemein[e]" in unterstrichener Form verwendet wird, nicht jedoch, wenn das Wort ohne Unterstreichung erscheint. Ein plausibler Hinweis auf Änderungen zu Ungunsten der Antragstellerin ist für die Kammer hier nicht ersichtlich. Der Vergabekammer ist keine Stelle in der Vergabeakte bekannt, aus der sich solche Hinweise ergäben. Akteneinsicht in insoweit relevante Unterlagen kann daher nicht gewährt werden.
d) Soweit die Antragstellerin vollständige Einsicht in den Erwiderungsschriftsatz der Antragsgegnerin vom 9. November 2022 sowie Akteneinsicht in das Wertungsergebnis der Beigeladenen zum Unterkriterium Qualitätsmanagement begehrt, wird der Antrag abgelehnt. Akteneinsicht ist lediglich in die für das Nachprüfungsverfahren relevanten Akteninhalte zu gewähren. Hierbei sind die Geheimnisse der übrigen Beteiligten zu wahren (§ 165 Abs. 2 GWB). Der abstrakte Umstand, dass die Beigeladene in ihrem Konzept zum Qualitätsmanagement konkretere Maßnahmen vorgestellt hat, ist der Antragstellerin offengelegt worden. Die Kenntnis dieser konkreten, von der Antragsgegnerin im Vergleich zu den Ausführungen der Antragstellerin vorteilhaft gewerteten Aspekte im Angebot der Beigeladenen könnte einen bestehenden Wettbewerbsvorteil der Beigeladenen in zukünftigen, vergleichbar ausgestalteten Vergabeverfahren nivellieren. In einem solchen Fall ist der Sachverhalt durch die Kammer zu würdigen. Insbesondere teilt die Kammer, wie dargelegt, auch nicht die Ansicht der Antragstellerin, dass sich aus den Begründungen der Antragsgegnerin hinsichtlich der Wertung des Konzeptes der Antragstellerin ein fehlerhaftes Verständnis des Wertungskriteriums Qualitätsmanagement ergebe; daher ist die Akteneinsicht auch nicht zur sachgerechten Stellungnahmemöglichkeit der Antragstellerin geboten.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1, 2 und 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2, Abs. 3 S. 2 VwVfG.
Die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) sind der Antragstellerin aufzuerlegen, da sie im Verfahren unterliegt. Dies gilt auch für die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen von Antragstellerin und Beigeladener. Hinsichtlich der Beigeladenen ist dabei zu berücksichtigen, dass sie im Nachprüfungsverfahren Anträge gestellt und sich schriftsätzlich eingelassen hat. Damit hat sie ein Kostenrisiko auf sich genommen und erscheint es billig, ihr auch einen Kostenerstattungsanspruch zuzugestehen.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Beigeladene war notwendig, da das Nachprüfungsverfahren Rechtsfragen aufgeworfen hat, die ein durchschnittliches Bieterunternehmen ohne eigene Rechtsabteilung nicht sachgerecht beurteilen kann (vgl. BGH, Beschl. v. 26. September 2006 - X ZB 14/06). Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigen der Antragsgegnerin war jedoch nicht notwendig. Das Nachprüfungsverfahren betraf angeblich fehlerhafte Informationsschreiben nach § 134 GWB, eine unterlassene Angebotsaufklärung nach § 60 VgV sowie die Angebotswertung. Sämtliche dieser Verfahrensgegenstände gehören unmittelbar zu den ureigenen Aufgaben einer Vergabestelle und müssen daher von der Antragsgegnerin aus eigener Sachkunde beurteilt werden können. Konkrete Umstände des Einzelfalles, die vorliegend die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigen rechtfertigen könnten, z.B. eine besondere Komplexität oder Bedeutung des Falles, sind nicht ersichtlich. Insbesondere macht die bloße Zuziehung von Verfahrensbevollmächtigten auf Antragstellerseite noch nicht automatisch zur Wahrung der "Waffengleichheit" die Zuziehung von Verfahrensbevollmächtigten auch auf Seiten der Vergabestelle notwendig. Auch dies beruht auf dem Umstand, dass eine Vergabestelle grundsätzlich das Vergaberecht beherrschen muss und die diesbezüglich getroffenen Entscheidungen dann auch ohne anwaltliche Beratung vor der Vergabekammer darlegen können muss.
IV.
(...)
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OLG Schleswig
Beschluss
vom 06.07.2022
54 Verg 4/22
1. Eine zum zwingenden Ausschluss des Angebots führende Änderung der Vergabeunterlagen liegt vor, wenn der Bieter manipulativ in die Vergabeunterlagen eingreift, indem er ein von den Vorgaben abweichendes Angebot macht, das bei einem Wegdenken der Abweichungen unvollständig bleibt.
2. Dazu ist keine körperliche Veränderung etwa im Sinne einer Änderung der vorgegebenen Leistungsmengen oder -beschreibungen notwendig. Es reicht, dass der Bieter bei der Ausfüllung von Berechnungsschemata von den Vorgaben abweicht.
3. Eine Änderung der Vergabeunterlagen liegt auch vor, wenn das Angebot von den Leistungsvorgaben in der Ausschreibung abweicht.
4. Der Auftraggeber muss das Angebot eines Bieters darauf prüfen, ob dieser die Leistungszusage einhalten kann, wenn konkrete Tatsachen dessen Leistungsversprechen nicht plausibel erscheinen lassen.
vorhergehend:
VK Schleswig-Holstein, 10.06.2022 - VK-SH 2/22
nachfolgend:
OLG Schleswig, Beschluss vom 15.08.2022 - 54 Verg 5/22
In Sachen
(
)
hat der Vergabesenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ###, den Richter am Oberlandesgericht ### und den Richter am Oberlandesgericht ### am 06.07.2022
beschlossen:
Der Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer Schleswig-Holstein vom 10.06.2022 wird zurückgewiesen.
Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung von Akteneinsicht wird zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten.
Gründe
I.
Der Antragsgegner schrieb unter dem 16.02.2021 Personenbeförderungsleistungen auf ÖPNV-Linien im Kreis O. aus. Angebote waren nach Verlängerungen der Frist bis zum 28.04.2021 abzugeben. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis.
Die Vertragsbedingungen sahen eine Verpflichtung des Auftragnehmers vor, die beim Bestandsbetreiber beschäftigen Arbeitnehmer zu den Arbeitsbedingungen zu übernehmen, zu denen sie zuvor beschäftigt waren, beschränkt auf die Regelungen, die in einer Anlage zum Vertragsentwurf aufgeführt waren. Eine der Bestandsbetreiberinnen ist die Antragstellerin.
Unter anderem die Antragstellerin und die Beigeladene gaben Angebote ab. Das Angebot der Beigeladenen wurde bis Anfang August 2021 einer eingehenden Prüfung mit vier Nachfragen unterzogen.
Am 31.08.2021 forderte der Antragsgegner die Bieter über das Vergabeportal zur Abgabe neuer Angebote innerhalb einer bis zum 17.09.2021 verlängerten Frist auf. Dabei sollte unter anderem eine bisher nicht aufgeführte Betriebsvereinbarung über die Vergütung der Fahrer an Wochenfeiertagen berücksichtigt werden. Die Antragstellerin und die Beigeladene gaben je ein weiteres Angebot ab.
Die Antragstellerin führte ein Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahren wegen der Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in eine weitere Angebotsrunde durch. Im Verlauf dieses Verfahrens teilte der Antragsgegner der Antragstellerin in einem Schreiben vom 22.03.2022 mit, dass er beabsichtige, vorbehaltlich der Entscheidung über die sofortige Beschwerde den Zuschlag auf das zweite Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Die Antragstellerin machte darauf Ausführungen dazu, dass dieses Angebot ausgeschlossen werden müsse. Der Senat wies darauf hin, dass Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens allein das Begehren sei, das Vergabeverfahren in die erste Angebotsrunde zurückzuversetzen, sodass es auf die zweiten Angebote nicht ankomme. Die Antragstellerin nahm ihren Nachprüfungsantrag zurück.
Mit Schreiben vom 30.03.2022 rügte die Antragstellerin unter Verweis auf ihren Vortrag im Beschwerdeverfahren die beabsichtigte Zuschlagserteilung als vergaberechtswidrig. Mit Schreiben vom 20.04.2022 wies der Antragsgegner die Rüge zurück. Am 25.04.2022 reichte die Antragstellerin ihren Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer ein.
Die Antragstellerin hat zur Begründung ihres Antrags im Wesentlichen ausgeführt, der Auftraggeber müsse prüfen, ob ein Bieter das zugesagte Leistungsversprechen einhalten könne, wenn im Einzelfall Zweifel an dessen Plausibilität bestünden. Dem sei der Antragsgegner nicht nachgekommen. Die Beigeladene sei aufgrund ihres Betriebskonzepts nicht in der Lage, die Verkehrsdienstleistungen zu erbringen. Es sei zu besorgen, dass sie mit einer geringeren Anzahl als der benötigten 39 Busse kalkuliert habe. Sie selbst habe ein sehr kompetitives Angebot gemacht. Es sei aus ihrer Sicht ausgeschlossen, dass dieses unterboten werde, ohne Abstriche an den Leistungsvorgaben zu machen. Zudem sei zu besorgen, dass die Beigeladene nicht die tatsächlich anfallenden Personalkosten in ihre Kalkulation einbezogen habe. Allein aus der Personalübernahme resultierten erhebliche Kosten.
Im Verlauf des Nachprüfungsverfahrens hat die Antragstellerin ein Gutachten vorgelegt (Anlage ASt 6 = Anlage Bf 2, Bl. 2 ff. d. A.), wonach für die Linienverkehre mindestens 38 Fahrzeuge benötigt würden.
Die Antragstellerin hat beantragt,
den Antragsgegner zu verpflichten, das Vergabeverfahren nur unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzusetzen;
die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch sie für notwendig zu erklären;
dem Antragsgegner die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich ihrer zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen aufzuerlegen.
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Nachprüfungsantrag abzulehnen;
die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch ihn für notwendig zu erklären;
der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich seiner zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen aufzuerlegen.
Der Antragsgegner hat im Wesentlichen ausgeführt, der Nachprüfungsantrag sei unzulässig. Die Antragstellerin habe die angeblichen Vergabefehler nicht rechtzeitig gerügt. Es fehle an einer hinreichenden Substantiierung. Die Rügen seien bereits in einem anderen Verfahren geltend gemacht worden.
Er habe das Betriebskonzept der Beigeladenen anhand der angeforderten Umlaufpläne umfassend geprüft und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass es fahrbar sei. Die von der Antragstellerin kalkulierten Personalkosten lägen unterhalb des Angebots der Beigeladenen.
Die Beigeladene hat beantragt,
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen;
der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich ihrer zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen aufzuerlegen;
die Hinzuziehung ihrer Verfahrensbevollmächtigten für notwendig zu erklären.
Die Beigeladene hat im Wesentlichen ausgeführt, der Nachprüfungsantrag sei wegen Rügen ins Blaue hinein unzulässig. Die Antragstellerin trage keine Tatsachen vor. Die Rügen seien verspätet.
Ihr Fahrzeugkonzept erfülle die Vorgaben der Vergabeunterlagen. Sie habe alle tatsächlich anfallenden Personalkosten in ihre Kalkulation einbezogen.
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Sie hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag sei zulässig. Die Antragstellerin sei mit den Rügen nicht präkludiert, weil sie erst mit der offiziellen Vorinformation über die Vergabeentscheidung Anlass gehabt habe, diese zu rügen. Ihre im vorherigen Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahren erhobenen Rügen seien durch die Zurücknahme des Nachprüfungsantrags gegenstandslos geworden.
Der Antragsgegner habe die Vergabeentscheidung beurteilungsfehlerfrei getroffen. Er habe das Angebot der Beigeladenen intensiv aufgeklärt und dabei eine Vielzahl von Fragen gestellt. Die Fragen seien von der Beigeladenen fristgerecht und erschöpfend beantwortet worden. Anhaltspunkte dafür, dass deren Betriebskonzept nicht mit den Vergabeunterlagen vereinbar sei oder Personalkosten in unzulässiger Weise zu niedrig kalkuliert worden seine, seien nicht erkennbar.
Zur Begründung ihrer frist- und formgerecht eingelegten und begründeten sofortigen Beschwerde führt die Antragstellerin aus, die Vergabekammer habe sich nicht mit den Ausschlusstatbeständen des § 57 VgV und dem Gutachten auseinandergesetzt. Der Verkehrsvertrag verpflichte den Auftragnehmer, eine ausreichende Menge von Fahrzeugen für die Durchführung des Fahrplanangebots vorzuhalten. Die Beigeladene habe eine zu geringe Anzahl an Fahrzeugen angeboten. Ihr Angebot sei wegen einer Änderung der Vergabeunterlagen auszuschließen.
Dasselbe gelte im Hinblick auf die Personalkosten. Die Kalkulation geringer Personalkosten deute darauf hin, dass nicht die für die Erbringung der Leistungen erforderlichen Personalkapazität vorgehalten werde. So müsse die Kalkulation die Übernahme des Personals vom Bestandsbetreiber berücksichtigen. Der Antragsgegner habe wegen der Anzahl der Vollzeitäquivalenten nachgefragt, was darauf hindeute, dass die Beigeladene in diesem Bereich den Preis zu niedrig kalkuliert habe.
Der Antragsgegner habe wegen der Haltestelleninfrastruktur nachgefragt. Der Auftragnehmer sei verpflichtet, neue Haltestellen einzurichten und bestehende Masten vom Bestandsbetreiber zu übernehmen und zu ertüchtigen. Das Angebot müsse dafür Kosten vorsehen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Entscheidung der Vergabekammer Schleswig-Holstein vom 10.06.2022, VK-SH 02/22, aufzuheben;
den Antragsgegner und Beschwerdegegner zu verpflichten, das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts fortzuführen;
ihr Akteneinsicht gemäß § 165 GWB zu gewähren;
die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch sie für notwendig zu erklären;
dem Antragsgegner und Beschwerdegegner die Kosten des Verfahrens sowie ihre notwendigen Auslagen aufzuerlegen;
gemäß § 173 Abs. 1 S. 3 GWB die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über sie zu verlängern.
Der Antragsgegner beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen;
den Antrag nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB abzulehnen;
der Antragstellerin die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer aufzuerlegen;
festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch ihn notwendig war.
Der Antragsgegner verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung seines Vortrags vor der Vergabekammer.
II.
Der Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde bleibt erfolglos. Sie hat auch keinen Anspruch auf erweiterte Akteneinsicht.
1. Nach § 173 Abs. 2 GWB wird der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt, wenn unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zur Entscheidung über die Beschwerde die damit verbundenen Vorteile überwiegen. Bei der Abwägung sind unter anderem die Erfolgsaussichten der Beschwerde, die Aussichten des Antragstellers auf Erhalt des Auftrags und das Interesse der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens zu berücksichtigen.
Bei der Auslegung ist das unionsrechtliche Gebot eines effektiven Rechtsschutzes zu berücksichtigen. Die Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde haben daher entscheidendes Gewicht, sodass nur ausnahmsweise Gründe des Allgemeinwohls überwiegen können (Losch in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., § 173 GWB, Rn. 47; Wilke in: MKVergabeR I, 2. Aufl., § 173 GWB, Rn. 47). Hat die sofortige Beschwerde bei summarischer Prüfung hohe Erfolgsaussichten, wird dem Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung in der Regel stattzugeben sein, hat sie dagegen nur geringe Erfolgsaussichten, ist ein schutzwürdiges Interesse an der Verlängerung in der Regel nicht anzunehmen (Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., § 173 GWB, Rn. 52 f.; Wilke in: MKVergabeR I, 2. Aufl., § 173 GWB, Rn. 50).
2. Bei einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist hinreichend sicher, dass die sofortige Beschwerde der Antragstellerin keine oder nur geringe Aussicht auf Erfolg hat, sodass kein überwiegendes Interesse an einer Verlängerung der aufschiebenden Wirkung besteht. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, aber unbegründet.
a) Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss der Vergabekammer Bezug genommen.
b) Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet.
Die von der Antragstellerin erhobenen Rügen greifen nicht durch. Das Angebot der Beigeladenen ist nicht wegen einer Veränderung der Vergabeunterlagen nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV auszuschließen.
aa) Es liegt keine Veränderung der Vergabeunterlagen in Hinblick auf die Anzahl der einzusetzenden Fahrzeuge vor.
Eine Änderung der Vergabeunterlagen i. S. d. §§ 53 Abs. 7 S. 1, 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV liegt vor, wenn der Bieter manipulativ in die Vergabeunterlagen eingreift, indem er ein von den Vorgaben abweichendes Angebot macht, das bei einem Wegdenken der Abweichungen unvollständig bleibt (BGH NZBau 2019, 661, 663, Rn. 26). Dazu ist keine körperliche Veränderung etwa im Sinne einer Änderung der vorgegebenen Leistungsmengen oder -beschreibungen notwendig. Es reicht, dass der Bieter bei der Ausfüllung von Berechnungsschemata von den Vorgaben abweicht (Senat, Beschluss vom 12.11.2020, 54 Verg 2/20; Senat, Beschluss vom 21.12.2018, 54 Verg 1/18). Eine Änderung der Vergabeunterlagen liegt auch vor, wenn das Angebot von den Leistungsvorgaben in der Ausschreibung abweicht (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.11.2000, Verg 21/00; Koch in: Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl., § 53 VgV, Rn. 45).
Zudem muss der Auftraggeber das Angebot eines Bieters darauf prüfen, ob dieser die Leistungszusage einhalten kann, wenn konkrete Tatsachen dessen Leistungsversprechen nicht plausibel erscheinen lassen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.01.2020, Verg 20/19).
Die Beigeladene sieht indes in ihrem Angebot den Einsatz einer hinreichenden Anzahl von Fahrzeugen vor. Sie kann mit dieser Anzahl die ausgeschriebenen Verkehrsdienstleistungen erbringen. Der Antragsgegner hat sich von diesem Umstand überzeugt, indem er sich die Umlaufpläne hat vorlegen lassen und diese bis in einzelne Verbindungen hinein überprüft hat.
Das von der Antragstellerin vorgelegte Gutachten der ### vom 20.05.2022 (Anlage Bf 2, Bl. 2 ff. d. A.) ist nicht geeignet, das Ergebnis der Prüfung durch den Antragsgegner in Zweifel zu ziehen. Denn es steht nicht im Widerspruch zu diesem Ergebnis. In dem Gutachten wird dargelegt, dass eine Mindestanzahl von 38 Fahrzeugen notwendig sei, um die ausgeschriebenen Linienverkehre zu erbringen. Das Angebot der Beigeladenen unterschreitet diese Anzahl nicht.
Ebenso wenig unterschreitet das Angebot der Beigeladenen die in dem Gutachten für notwendig gehaltene Anzahl an Fahrzeugen in den einzelnen Kategorien. Soweit sich in der Anzahl der Fahrzeuge bezogen auf die verschiedenen Fahrzeugtypen (GA S. 2; Beschwerdebegründung S. 15 ff.) Abweichungen ergeben, liegen zulässige Verschiebungen in eine höhere Kategorie vor. Der Auftragnehmer ist nach Ziff. 3.1.4.2 des Verkehrsvertrages berechtigt, Fahrzeuge einer Kategorie durch Fahrzeuge einer höheren Kategorie zu ersetzen.
bb) Es liegt keine Änderung der Vergabeunterlagen hinsichtlich der Personalkapazität vor. Die im Angebot der Beigeladenen kalkulierten Personalkosten bieten keinen Anhaltspunkt dafür, dass sie den Einsatz von zu wenig Personal vorsieht oder die durch die Übernahme des Bestandspersonals entstehenden Kosten nicht berücksichtigt hat. Sie liegen nicht unterhalb des Wertes von 2,96 Mio. , der nach den Angaben der Antragstellerin durch die Personalübernahme entsteht.
Die Frage des Antragsgegners nach den Vollzeitäquivalenten bezog sich allein auf die Verwaltungstätigkeit. Die Frage ist im Rahmen der Angebotsaufklärung geklärt worden.
cc) Die Beigeladene hat unter Ziff. 2.5.1. Vorlaufkosten für die Haltestelleninfrastruktur vorgesehen. Auch das wurde bei der Angebotsaufklärung festgestellt.
3. Der Antrag auf erweiterte Akteneinsicht ist unbegründet. Der erweiterten Akteneinsicht steht die Geheimhaltungspflicht entgegen.
a) Nach § 165 Abs. 4 GWB kann eine von der Vergabekammer versagte Akteneinsicht nur im Zusammenhang mit der sofortigen Beschwerde gemäß § 171 GWB angegriffen werden. Dem entsprechend kann im Beschwerdeverfahren auch überprüft werden, ob und in welchem Umfang der Beschwerdeführerin weitergehende Einsicht in bestimmte, dem Vergabeverfahren zuzuordnende Akten zu bewilligen ist, um die Akteneinsicht diesbezüglich gegebenenfalls nachzuholen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.03.2009, Verg 67/08).
Das Recht auf Akteneinsicht besteht in dem Umfang, in dem es zur effektiven Durchsetzung subjektiver Rechte der Beschwerdeführerin erforderlich ist, was nur bezüglich entscheidungsrelevanter Aktenbestandteile gilt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.03.2021, Verg 9/21). Akteneinsicht ist nach dem auch für das Beschwerdeverfahren anzuwendenden Maßstab gemäß § 165 Abs. 2 GWB zu versagen, soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere des Geheimschutzes oder zur Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen geboten ist. Es besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch auf rechtliches Gehör, der eine Kenntnis der Akten als Entscheidungsgrundlage erfordert, und dem Schutz von Geheimnissen. Diese Interessen sind gegeneinander abzuwägen. Akteneinsicht ist in dem Umfang zu gewähren, der zur Durchsetzung des objektiven Rechts, bezogen auf das konkrete Rechtsschutzziel, notwendig ist, soweit keine berechtigten Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen (OLG München, NZBau 2016, 591, 592, Rn. 27 f.; OLG Celle, NZBau 2014, 784, 789, Rn. 72; Vavra in: Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl., § 165 GWB, Rn. 20). Wenn es zur Durchsetzung der Rechte des Antragstellers notwendig ist, kann auch Einsicht in das Angebot eines am Nachprüfungsverfahren beteiligten anderen Bieters zu gewähren sein (Vavra in: Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl., § 165 GWB, Rn. 23). In den Vergabevermerk ist grundsätzlich Einsicht zu gewähren, weil sonst nicht nachvollzogen werden kann, wie das beanstandete Wertungsergebnis zustande gekommen ist (OLG München, Beschluss vom 09.08.2012, Verg 10/12; Vavra in: Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl., § 165 GWB, Rn. 25). Notfalls können einzelne Angaben geschwärzt werden (Vavra in: Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl., § 165 GWB, Rn. 27). Andererseits kann dem Informationsbedürfnis des Antragstellers auch in anderer Form Rechnung getragen werden, etwa indem der Sachverhalt allgemein erörtert wird (BGH, Beschluss vom 31.01.2017, X ZB 10/16, Rn. 55).
b) Unter Abwägung der beiderseitigen Interessen hat die Antragstellerin keinen Anspruch auf weitere Einsicht in den Vergabevermerk. Soweit dieser geschwärzt wurde, betraf das die Einzelheiten der eingegangenen Angebote und vor allem der Aufklärung des Angebots der Beigeladenen. Einsicht in das Angebot der Beigeladenen ist nicht zu gewähren.
Das Interesse der Antragstellerin an einer erweiterten Akteneinsicht ist als gering zu werten. Ihre sofortige Beschwerde hat keine oder allenfalls geringe Aussicht auf Erfolg.
Die Akteneinsicht könnte zwar Erkenntnisse über die Aufklärung des Angebots der Beigeladenen bieten. Diese gingen aber nicht über die Erkenntnisse hinaus, die der Antragstellerin im vorangegangenen Nachprüfungsverfahren wegen der Rückversetzung des Vergabeverfahrens - dort mit teilweiser Akteneinsicht - und im vorliegenden Nachprüfungsverfahren vermittelt worden sind. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten überwiegt das Geheimhaltungsinteresse der Beigeladenen.
Einzelheiten des Angebots eines Mitbewerbers sind gegenüber einem Antragsteller geheim zu halten (OLG München, Beschluss vom 09.08.2012, Verg 10/12). Dasselbe gilt für die Ergebnisse der Aufklärung eines Angebots (Zeise in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 15, Rn. 49).
Würde die Antragstellerin Einsicht in den Vergabevermerk erhalten, soweit er die Aufklärung des Angebots der Beigeladenen betrifft, oder erst recht in das Angebot selbst, wäre nicht zu vermeiden, dass sie Informationen erhält, aus denen sie Rückschlüsse über da Angebot der Beigeladenen ziehen könnte. Das gilt auch für die Anzahl der geplanten Fahrzeuge und deren Verteilung auf die Fahrzeugklassen, die Rückschlüsse auf das Betriebskonzept der Antragstellerin und die von ihr angesetzten Fahrzeugkosten erlauben würde. Die Beigeladene muss sich mit einer Erörterung in der Verhandlung begnügen, in der der Inhalt der Aufklärung umschrieben wird.
Unzweckmäßige Vorgaben rechtfertigen keine Änderung der Vergabeun...
Unzweckmäßige Vorgaben rechtfertigen keine Änderung der Vergabeunterlagen!
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OLG Bremen
Beschluss
vom 04.11.2022
2 Verg 1/22
1. Wissenschaftliche Hochschulen in Form der Körperschaft öffentlichen Rechts sind öffentliche Auftraggeber.
2. Angebote, bei denen Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen wurden, sind von der Wertung auszuschließen. Eine (unzulässige) Änderung der Vergabeunterlagen liegt vor, wenn ein Bieter von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht, er also eine andere als die ausgeschriebene Leistung anbietet.
3. Hält ein Bieter die Vorgaben des Auftraggebers für unzweckmäßig, rechtfertigt dies keine Abweichung von für sich genommen eindeutigen Vorgaben der Leistungsbeschreibung. Es ist Sache des Auftraggebers, den eigenen Bedarf zu definieren.
4. Der öffentliche Auftraggeber ist nicht dazu verpflichtet, in der Ausschreibung eine weitergehende Vielfalt von technischen Lösungen zuzulassen.
5. Ein Nachprüfungsantrag ist grundsätzlich nur solange der statthafte Rechtsbehelf ist, ein Vergabeverfahren noch nicht durch einen wirksamen Zuschlag abgeschlossen ist.
6. Sobald der Zuschlag wirksam erteilt ist und eine damit verbundene Rechtsverletzung des Bieters nicht mehr verhindert werden kann, können die Vergabenachprüfungsinstanzen nicht mehr in zulässiger Weise angerufen werden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nur in den beiden in § 135 Abs. 1 GWB genannten Fällen.
vorhergehend:
VK Bremen, 18.07.2022 - 16-VK 1/22
In dem Vergabenachprüfungsverfahren
(...)
hat der Vergabesenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. P., die Richterin am Oberlandesgericht Dr. K. und den Richter am Oberlandesgericht Dr. K. auf die mündliche Verhandlung vom 23.09.2022
beschlossen:
1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 01.08.2022 gegen den Beschluss der Vergabekammer der Freien Hansestadt Bremen vom 18.07.2022 - 16-VK 1/22 - wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag der Antragstellerin, der Antragsgegnerin, hilfsweise der Beigeladenen, für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens die Durchführung des Auftrages "[...]" mit der Referenznummer [...] zu untersagen sowie der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Beschwerde anzuordnen, werden abgelehnt.
3. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die durch die Eilanträge gemäß §§ 169 Abs. 3 GWB analog, 173 Abs. 1 S. 3 GWB verursachten Kosten, jeweils einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu tragen.
4. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 52.800,- Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Nachprüfungsantrag gegen den Ausschluss ihres Angebotes in dem von der Antragsgegnerin durchgeführten Vergabeverfahren. Sie beanstandet die Verwerfung ihres Nachprüfungsantrages durch die Vergabekammer als unzulässig und beantragt ergänzend die einstweilige Untersagung der Durchführung des Auftrages "bzw." die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde, vorrangig gegenüber der Antragsgegnerin, hilfsweise gegenüber der beigeladenen erfolgreichen Bieterin.
1. Die Antragsgegnerin veröffentlichte am 09.03.2022 eine Bekanntmachung zur Vergabe eines Auftrages über die Lieferung von Rechenclustern mit der Bezeichnung "Rechencluster, Referenz-Nr. der Bekanntmachung: [...]". Danach sollte die Hard- und Software für einen Rechencluster als Gesamtsystem einschließlich Wartung und Gewährleistungsverlängerung beschafft werden. Die Mittel hierfür waren auf 1.056.000,- Euro brutto beschränkt, wovon 56.000,- Euro brutto auf Wartung und Gewährleistungsverlängerung entfallen durften. Bei begrenztem Auftragswert sollte primär die Rechenleistung optimiert werden.
Die Kommunikation erfolgte elektronisch über eine Vergabeplattform. Die Antragstellerin gab ein Angebot ab. Mit elektronisch übermitteltem Schreiben vom 19.05.2022 teilte die Antragsgegnerin mit, dass das Angebot der Antragstellerin von der Wertung ausgeschlossen werde, weil die angebotene Lieferung von Rechenknoten technisch von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweiche. So seien die angebotenen GPU-Rechenknoten, anders als in der Leistungsbeschreibung gefordert, untereinander nicht identisch. Ferner sei es physikalisch unmöglich, die angebotenen Server über einen einzigen bestimmten Switch zu verbinden und schließlich seien nur 3 anstatt 6 Racktüren angeboten worden. Zugleich kündigte die Antragsgegnerin an, dass sie beabsichtige, den Zuschlag am 30.05.2022, einem Montag, an die beigeladene M. GmbH zu erteilen.
Mit Schreiben vom 23.05.2022 rügte die Antragstellerin die Berechnung der Stillhaltefrist und den daraus folgenden frühesten Zuschlagstermin. Außerdem wandte sie sich gegen den Ausschluss ihres Angebotes. Die Antragsgegnerin wies die Rügen am 25.05.2022 zurück.
Am Montag, den 30.05.2022, um 09:16 Uhr übermittelte die Antragsgegnerin über die elektronische Vergabeplattform eine Mitteilung an die beigeladene erfolgreiche Bieterin, mit der sie erklärte,
"... die Informations- und Wartepflicht zum Vergabeverfahren [...] ist beendet und wir informieren Sie hiermit, dass Sie den Zuschlag erhalten."
Am selben Tag, um 09:41 Uhr, übermittelte die Vergabekammer per E-Mail-Nachricht den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 27.05.2022 an die Antragsgegnerin, der zuvor, am selben Tag um 00:49 Uhr bei der Vergabekammer eingegangenen war.
2. Mit ihrem Nachprüfungsantrag vom 27.05.2022 begehrte die Antragstellerin im Kern die Wiederholung der Wertung unter Berücksichtigung ihres Angebotes, ergänzt um Auskunfts- und Akteneinsichtsbegehren. Sie wendet sich gegen die Berechnung des Zuschlagstermins, gegen den Ausschluss ihres Angebotes und führt an, dass die von der Antragsgegnerin vermisste Eigenschaft der zu liefernden GPU-Rechenknoten in den Vergabeunterlagen nicht hinreichend zum Ausdruck gekommen sei.
Die Vergabekammer gewährte Akteneinsicht in Teile der Vergabeakte und wies darauf hin, dass der Nachprüfungsantrag unzulässig sei, weil der Auftrag bereits vergeben worden sei und diese Auftragsvergabe auch nicht wegen einer Verletzung der Stillhaltefrist unwirksam sei. Daraufhin wandte sich die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 20.06.2022, der nach Auskunft der Vergabekammer dort am 21.06.2022 eingegangen ist, gegen die angeführte Fristberechnung und rügte, dass die Stillhaltefrist des § 134 Abs. 2 GWB nicht wie von der Antragsgegnerin und der Vergabekammer angenommen am Sonntag, den 29.05.2022, sondern gemäß § 193 BGB am Montag, den 30.05.2022 geendet habe. Diese Vorschrift sei anwendbar, weil es sich bei § 134 Abs. 2 GWB nicht nur um eine an den Auftraggeber gerichtete Stillhaltefrist handele, sondern ausweislich der Gesetzesbegründung auch um eine Mindestüberlegungsfrist für den unterlegenen Bieter, vor dessen Ablauf der Bieter zumindest faktisch gezwungen sei, den Nachprüfungsantrag zu stellen, um sich die Möglichkeit effektiven Primärrechtsschutzes zu bewahren. Jedenfalls aber folge aus der Vorgabe des Art. 3 Abs. 4 S. 1 VO (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 des Rates vom 03.07.1971, dass die Frist am folgenden Montag ende. Die Ausnahme des Art. 3 Abs. 4 S. 2 der VO (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 greife dagegen nicht. Angesichts dessen sei eine etwaige Auftragsvergabe vor Ablauf des 30.05.2022 jedenfalls nichtig.
3. Die Vergabekammer verwarf den Nachprüfungsantrag mit Beschluss vom 18.07.2022 als unzulässig, da der Zuschlag bereits wirksam auf das Angebot eines anderen Bieters erteilt worden sei. Dem stehe auch ein Zuschlagsverbot nicht entgegen. Die in § 134 Abs. 2 GWB normierte Wartefrist sei mit Ablauf des 29.05.2022 und damit vor Auftragserteilung verstrichen gewesen. Unschädlich sei, dass es sich bei dem 29.05.2022 um einen Sonntag gehandelt habe, denn die Regelung des § 193 BGB sei auf die Fristberechnung nach § 134 Abs. 2 GWB nicht anwendbar. Auch Art. 3 Abs. 4 der VO (EG) Nr. 1182/71 gebiete keine andere Auslegung und auch keine Vorlage der entsprechenden Rechtsfrage an den EuGH, da diese Vorschrift nicht auf solche Fristen anwendbar sei, die von einem bestimmten Datum oder einem bestimmten Ereignis an rückwirkend berechnet werden. So liege es hier.
Ein Zuschlagsverbot folge auch nicht aus § 169 Abs. 1 GWB, denn ein solches entstehe erst mit Information des Auftraggebers durch die Vergabekammer über den Antrag auf Nachprüfung. Noch vor Absendung dieser Information durch die Vergabekammer habe die Antragsgegnerin aber den Zuschlag erteilt.
4. Gegen diesen Beschluss, der der Antragstellerin nach eigener Darstellung noch am 18.07.2022 zugestellt worden ist, wendet sich die Antragstellerin und Beschwerde- führerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 01.08.2022, die am selben Tag bei Gericht eingegangen ist. Die Antragstellerin begehrt nunmehr die Feststellung der Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Auftragsvergabe, die Aufhebung des Vergabeverfahrens sowie die Feststellung der Rechtsverletzung. Einstweilen bis zur Entscheidung über diese Anträge begehrt sie, der Antragsgegnerin, hilfsweise der erfolgreichen Bieterin die Durchführung des Auftrages zu untersagen.
Zu Unrecht habe die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag als unzulässig verworfen. Die Antragstellerin wiederholt und vertieft ihr Vorbringen zur Fristberechnung. Der Verstoß gegen die Stillhaltepflicht führe auch zur Nichtigkeit der Auftragsvergabe.
Die Antragsgegnerin habe das Angebot der Antragstellerin auch zu Unrecht ausgeschlossen. Die Vorgabe, dass die anzubietenden GPU-Rechenknoten auch untereinander im Hinblick auf die Anzahl der in jedem GPU-Rechenknoten enthaltenen GPU-Rechenkarten identisch sein müssen, sei in der Leistungsbeschreibung nicht enthalten. Die weiteren zunächst angeführten Ausschlussgründe habe die Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren nicht mehr aufrechterhalten.
Schließlich liege ein schwerwiegender, von Amts wegen zu berücksichtigender Vergabeverstoß darin, dass die Antragsgegnerin die Eignungskriterien nur durch Verweis auf die Vergabeunterlagen bekannt gemacht und auf diese Weise nicht wirksam aufgestellt habe, was eine Rückversetzung des Vergabeverfahrens erfordere.
Die Antragstellerin beantragt,
1. den Beschluss der Vergabekammer der Freien Hansestadt Bremen vom 18.07.2022 aufzuheben,
2. den Auftrag der Antragsgegnerin in der Vergabe "[...]" mit der Referenznummer [...] an die M. GmbH mit Zuschlagsschreiben vom 30.05.2022 gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB für unwirksam zu erklären,
3. für die Dauer des Verfahrens der Antragsgegnerin die Durchführung des Auftrages in der Vergabe "[...]" mit der Referenznummer [...] zu untersagen bzw. die aufschiebende Wirkung gemäß § 173 Abs. 1 S. 3 GWB bis zur Entscheidung über die Beschwerde anzuordnen,
4. hilfsweise, im Falle der Beiladung der Zuschlagsprätendentin, in dieser für die Dauer des Verfahrens die Durchführung des Auftrages in der Vergabe "[...]" mit der Referenznummer [...] zu untersagen bzw. die aufschiebende Wirkung gemäß § 173 Abs. 1 S. 3 GWB bis zur Entscheidung über die Beschwerde anzuordnen,
5. festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist,
6. das verfahrensgegenständliche Vergabeverfahren (Vergabeverfahren "[...]" mit der Referenznummer [...]) aufzuheben,
7. hilfsweise die Vergabekammer zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des erkennenden Gerichts über die Sache erneut zu entscheiden,
8. hilfsweise der Antragsgegnerin aufzuerlegen, das Angebot der Beschwerdeführerin vom 04.05.2020 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Vergabesenats erneut zu bewerten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin verteidigt die angegriffene Entscheidung der Vergabekammer. Im Übrigen sei der Nachprüfungsantrag aber auch unbegründet, weil die Antragsgegnerin die Antragstellerin zwingend vom Vergabeverfahren habe ausschließen müssen. Das Angebot der Antragstellerin weiche vom geforderten Leistungsinhalt ab; dass die GPU- Rechenknoten, die Teil des zu liefernden Rechenclusters seien, in jeder Hinsicht und damit auch mit Blick auf die Anzahl der in diesem GPU-Rechenknoten verbauten GPU- Karten identisch sein sollten, ergäbe sich deutlich aus der Leistungsbeschreibung, die im Übrigen auch von allen anderen Bietern so verstanden worden sei. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, hätte das Angebot der Antragstellerin aber selbst bei einer fiktiven Bewertung keine Aussicht darauf gehabt, den Zuschlag zu erhalten, da es mehrere 100 Punkte hinter dem erfolgreichen Angebot der Beigeladenen gelegen hätte.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Die Beigeladene hat mit Schriftsatz vom 13.09.2022 Stellung genommen.
II.
1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer der Freien Hansestadt Bremen vom 18.07.2022 ist zulässig.
Sie ist insbesondere statthaft, § 171 Abs. 1 S. 1 GWB. Die Antragstellerin ist als Beteiligte des Nachprüfungsverfahrens auch beschwerdebefugt, § 171 Abs. 1 S. 2 GWB, und durch die Zurückweisung ihres Nachprüfungsantrages bereits formell beschwert. Die sofortige Beschwerde wurde zudem innerhalb der Notfrist des § 172 Abs. 1 GWB eingelegt und genügt den weiteren formalen Anforderungen des § 172 Abs. 2, Abs. 3 GWB.
2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet.
Zwar hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag zu Unrecht als unzulässig angesehen, jedoch gebietet dieser Umstand keine abweichende Entscheidung, da der Nachprüfungsantrag unbegründet ist.
a) Zu Unrecht hat die Vergabekammer allerdings den Nachprüfungsantrag als unzulässig verworfen. Der Nachprüfungsantrag ist statthaft und zum überwiegenden Teil auch im Übrigen zulässig.
aa) Die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Nachprüfungsantrag sind gegeben. Insbesondere ist die Antragsgegnerin als wissenschaftliche Hochschule ausweislich ihres Internetauftritts als Körperschaft öffentlichen Rechts verfasst; anerkannt ist, dass wissenschaftliche Hochschulen in Form der Körperschaft öffentlichen Rechts öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB sind (vgl. nur BeckOK VergabeR/Bungenberg/Schelhaas, 24. Ed. 30.4.2022, GWB § 99 Rn. 34).
Auch der Schwellenwert für den hier in Rede stehenden Lieferauftrag, der gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB in Verbindung mit Art. 4 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. Nr. L 94, S. 65) 215.000,- Euro beträgt, ist vorliegend überschritten. Schließlich ist die Zuständigkeit der Vergabekammer der Freien Hansestadt Bremen gegeben.
bb) Entgegen der Ansicht der Vergabekammer ist der Nachprüfungsantrag auch statthaft.
Zutreffend ist zwar die Ansicht der Vergabekammer, dass ein Nachprüfungsantrag gemäß § 160 Abs. 1 GWB grundsätzlich nur solange der statthafte Rechtsbehelf ist, wie ein Vergabeverfahren noch nicht durch einen wirksamen Zuschlag abgeschlossen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000 - X ZB 14/00 -, BGHZ 146, 202). Das Nachprüfungsverfahren dient nur dazu, einem Bieter Rechtsschutz in einem laufenden Vergabeverfahren zu gewähren (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04. Mai 2009 - Verg 68/08 -; OLG Celle, Beschluss vom 04. Mai 2001 - 13 Verg 5/00 -). Sobald der Zuschlag wirksam erteilt ist und eine damit verbundene Rechtsverletzung des Bieters nicht mehr verhindert werden kann, können die Vergabekammern nicht mehr in zulässiger Weise angerufen werden. Die Entscheidung über etwaige Schadensersatzansprüche des Bieters obliegt dann allein den hierfür zuständigen Zivilgerichten (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000 - X ZB 14/00 -, BGHZ 146, 202).
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt jedoch in den beiden in § 135 Abs. 1 GWB (n.F.) genannten Fällen. Bereits aus dem Gesetzeswortlaut des § 135 Abs. 1 GWB folgt, dass der Bieter einen der beiden dort genannten Vergaberechtsverstöße mit dem Ziel der Feststellung der Unwirksamkeit eines - notwendig bereits erteilten - öffentlichen Auftrages in einem Nachprüfungsverfahren geltend machen kann. Auch nach Zuschlagserteilung kann deshalb binnen der in § 135 Abs. 1 GWB genannten Fristen vor der Vergabekammer ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet werden mit dem Ziel, dass einer der beiden im Gesetz genannten Vergaberechtsverstöße festgestellt wird. In dem Fall, dass ein Verstoß festgestellt wird, ist der mit dem Zuschlag zunächst schwebend wirksame Vertrag von Anfang an unwirksam. § 135 Abs. 1 GWB regelt damit den Spezialfall der Statthaftigkeit eines Nachprüfungsantrags trotz eines bereits erteilten Zuschlags (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. April 2017 - Verg 38/16 -; Beschluss vom 12. Juni 2019 - Verg 54/18 -; OLG Bremen, Beschluss vom 1. April 2022 - 2 Verg 1/21 -).
Ein solches Begehren hat die Antragstellerin bereits im Nachprüfungsverfahren verfolgt. Auch wenn ihre verfahrenseinleitend gestellten Nachprüfungsanträge auf die Neubewertung gerichtet waren, so hat sie - nachdem sie von der Zuschlagserteilung in Kenntnis gesetzt worden war - mit Schriftsatz vom 20.06.2022 auch die Nichtigkeit des mit der Zuschlagsmitteilung vom 30.05.2022, 09:16 Uhr zugleich geschlossenen Vertrages mit der Beigeladenen geltend gemacht. An einem solchen Nachschieben eines bestimmten Begehrens im Sinne des § 161 Abs. 1 S. 2 GWB sowie der Begründung hierfür im Sinne des § 161 Abs. 1 S. 1 GWB ist die Antragsgegnerin nicht gehindert. Bei der Formvorschrift des § 161 Abs. 1 S. 2 GWB, wonach der Antrag ein bestimmtes Begehren enthalten "soll", handelt es sich nicht um eine zwingende Formvorschrift derart, dass nur die verfahrenseinleitend gestellten Anträge zu berücksichtigen wären. Dies korrespondiert mit der Vorgabe in § 168 Abs. 1 S. 2 GWB, wonach die Vergabekammer an die Anträge nicht gebunden ist (vgl. auch Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 161 Rn. 8). Aus § 161 Abs. 1 S. 1 GWB, wonach der Antrag unverzüglich zu begründen ist, folgt zudem, dass ein Auseinanderfallen von Antrag und Begründung unschädlich ist, soweit kein schuldhaftes Zögern vorliegt (vgl. Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 161 Rn. 9). Ein schuldhaftes Zögern liegt aber nicht vor, wenn die Antragstellerin wie hier erst im Nachprüfungsverfahren von der Zuschlagserteilung erfährt und innerhalb der Frist des § 135 Abs. 2 S. 1 GWB einen Verstoß gegen die Stillhaltefrist des § 134 Abs. 2 GWB geltend macht.
Für die Frage der Statthaftigkeit des auf § 160 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 1 GWB gestützten Nachprüfungsantrags kommt es auch nicht darauf an, ob einer der in § 135 Abs. 1 GWB aufgeführten Vergaberechtsverstöße im Ergebnis zu bejahen ist. Die Frage eines Verstoßes gegen § 135 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 GWB betrifft sowohl die Statthaftigkeit als auch die Begründetheit des Nachprüfungsantrags (sog. doppelrelevante Tatsache). In solchen Fällen ist eine rechtliche Argumentation, nach der ein Verstoß gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 GWB zu bejahen ist, nicht schon im Rahmen der Statthaftigkeit des Rechtsbehelfs, sondern erst im Rahmen der Begründetheit zu überprüfen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. April 2017 - Verg 38/16 -).
Dementsprechend durfte vorliegend die Statthaftigkeit des Nachprüfungsantrags nicht mit dem Argument verneint werden, dass der Zuschlag bereits erteilt gewesen sei, da die Antragstellerin sich auch auf einen Verstoß gegen §§ 135 Abs. 1 Nr. 1, 134 Abs. 2 GWB beruft und dafür geltend macht, dass die Antragsgegnerin den Zuschlag verfrüht, mithin vor Ablauf der zu beachtenden Wartefrist erteilt habe.
cc) Die Antragstellerin ist zum überwiegenden Teil auch antragsbefugt im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB.
Voraussetzung ist gemäß § 160 Abs. 2 GWB, dass die Antragstellerin ein Unternehmen ist, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat und eine Verletzung in eigenen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht; hierbei ist darzulegen, dass dem Unternehmen ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.
(1) Ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag bedarf keiner näheren Darlegung, wenn es - wie hier - durch die Abgabe eines Angebotes belegt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006 - X ZB 14/06 -, BGHZ 169, 131).
(2) Für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags ist die schlüssige Behauptung erforderlich und regelmäßig ausreichend, dass und welche vergaberechtlichen Vorschriften im Verlaufe des Vergabeverfahrens missachtet worden sein sollen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2004 - X ZB 7/04 -, BGHZ 159, 186; Beschluss vom 26. September 2006 - X ZB 14/06 -, BGHZ 169, 131).
Die Antragstellerin hat die Möglichkeit einer Verletzung der bieterschützenden Regelungen der § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV, § 121 GWB dadurch hinreichend dargelegt, dass sie vorgetragen hat, dass die Leistungsbeschreibung die von der Antragsgegnerin vermisste Eigenschaft der angebotenen GPU-Rechenknoten nicht, jedenfalls nicht in der gebotenen Deutlichkeit erkennen lasse, als dass dies einen Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin rechtfertige. Auch die im weiteren Verlauf des Nachprüfungsverfahrens angeführte Rüge, dass ein Verstoß gegen die Stillhaltefrist des § 134 Abs. 2 GWB vorliege, reicht als Darlegung einer Verletzung einer bieterschützenden Vorschrift aus. Dasselbe gilt für die Darstellung, dass die Eignungskriterien nicht in hinreichender Weise veröffentlicht worden seien.
(3) Die Antragstellerin hat hinsichtlich des gerügten Ausschlusses auch die Möglichkeit eines Schadenseintritts im Sinne des § 160 Abs. 2 S. 2 GWB hinreichend dargelegt. Dabei kann es offenbleiben, ob ein Schaden dann nicht hinreichend dargetan ist, wenn feststeht, dass das Angebot des ausgeschlossenen Bieters auch bei seiner Berücksichtigung keine Aussicht auf Erfolg gehabt haben könnte. Ein drohender Schaden im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB ist vielmehr bereits dargetan, wenn der Vortrag des Antragstellers ergibt, dass er im Fall eines ordnungsgemäßen (neuerlichen) Vergabeverfahrens bessere Chancen auf den Zuschlag haben könnte als in dem beanstandeten Verfahren. Ein Schaden droht bereits dann, wenn die Aussichten dieses Bieters auf die Erteilung des Auftrags zumindest verschlechtert worden sein können (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - X ZB 8/09 -, BGHZ 183, 95 m.w.N.), insbesondere wenn - auf Grundlage des Vortrages des Antragstellers - eine Rückversetzung des Vergabeverfahrens in Betracht kommt (vgl. Ziekow/Völlink/Dicks, 4. Aufl. 2020, GWB § 160 Rn. 23). Da im Fall einer auch hier gerügten unklaren Leistungsbeschreibung und dem darin liegenden Verstoß gegen § 121 GWB eine Rückversetzung oder Aufhebung des Vergabeverfahrens in Betracht kommt (vgl. Ziekow/Völlink/Trutzel, 4. Aufl. 2020, GWB § 121 Rn. 22 f; BeckOK VergabeR/Stein/Wolf, 25. Ed. 31.1.2021, GWB § 121 Rn. 31; vgl. auch Tresselt/Braren, NZBau 2020, 562 [563]), ist vorliegend die Möglichkeit eines Schadens hinreichend dargelegt.
Da die Beschwerdeführerin demnach in zulässiger Weise einen Ausschluss ihres Angebotes unter Verstoß gegen § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV, § 121 GWB rügt, kann es offenbleiben, ob die isolierte Darlegung eines Verstoßes gegen die Wartefrist geeignet sein kann, einen möglichen Schaden des unterlegenen Bieters zu begründen (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. September 2017 - Verg 9/17 -).
(4) Soweit die Antragstellerin allerdings auch rügt, dass die Eignungskriterien nicht in hinreichender Weise bekannt gemacht worden seien, so ist die erhobene Rüge bereits unzulässig, da es insoweit an der Darlegung der Möglichkeit des Eintritts eines Schadens fehlt, § 160 Abs. 2 GWB. Selbst wenn man einmal unterstellt, dass die Veröffentlichung der Eignungskriterien nicht wie geschehen hätte erfolgen dürfen, so legt die Antragstellerin nicht dar, dass ihr insoweit ein Schaden entstanden wäre. Die Antragstellerin wurde nicht von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausgeschlossen. Sie legt auch nicht dar, dass sie einzelne Eignungsanforderungen nicht oder nicht rechtzeitig erkannt habe und dass sich dadurch ihre Zuschlagchancen verschlechtert hätten. Die Situation unterscheidet sich grundlegend von derjenigen nach Ausschluss eines Bieters wegen Nichterfüllung fehlerhaft bekanntgemachter Eignungsanforderungen. Während in jener Konstellation ein drohender Schaden auf der Hand liegt, fehlt es vorliegend an Anhaltspunkten einer Benachteiligung der Antragstellerin. Eine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle ohne Rücksicht auf eine Beeinträchtigung der Antragstellerin ist auch dann nicht eröffnet, wenn andere Rügen zulässig erhoben worden sein sollten (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 12. August 2020 - 17 Verg 3/20 -).
Auch soweit die Antragstellerin Dokumentationsmängel rügt, zeigt sie nicht auf, inwieweit sich die diesbezüglichen Mängel gerade auch auf ihre Rechtsstellung im Vergabeverfahren nachteilig ausgewirkt haben können (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. März 2004 - Verg 1/04 -).
dd) Die Antragstellerin ist weder mit der Rüge des Verstoßes gegen § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV, § 121 GWB noch mit der Rüge einer Verletzung der Stillhaltefrist präkludiert.
(1) Die Antragstellerin hat sich gegen den beanstandeten Ausschluss ihres Angebotes innerhalb der Frist des § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB gewandt.
Die Rügeobliegenheit des § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB entsteht, wenn der Bieter im Verlauf des Vergabeverfahrens Kenntnis von dem gerügten Vergaberechtsverstoß erlangt. Dies setzt positive Kenntnis aller tatsächlichen Tatumstände, aus denen die Beanstandung im Nachprüfungsverfahren abgeleitet wird, sowie die zumindest laienhafte rechtliche Wertung voraus, dass sich aus ihnen eine Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren ergibt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006 - X ZB 14/06 -, BGHZ 169, 131).
Soweit man davon ausgeht, dass mit der Ankündigung des Auftraggebers über einen beabsichtigten Ausschluss eines Angebotes eine Rügefrist zu laufen beginnen kann (vgl. Ziekow/Völlink/Dicks, 4. Aufl. 2020, GWB § 160 Rn. 41), so könnte auf diese Weise vorliegend frühestens mit der Vorabinformation vom 19.05.2022 Kenntnis von dem bevorstehenden Vergaberechtsverstoß begründet worden sein. Dass die Antragstellerin zuvor die gerügte Unklarheit der Leistungsbeschreibung erkannt hätte, hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt. Ausgehend hiervon hat die Antragstellerin eine Rügeobliegenheit aus § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB rechtzeitig erfüllt, indem sie sich mit Schreiben vom 23.05.2022 gegenüber der Antragsgegnerin gegen die Begründung des angekündigten Ausschlusses wandte. Andere Präklusionsvorschriften sind nicht einschlägig.
(2) Dasselbe gilt, soweit man annehmen wollte, dass mit Zugang der Vorabinformation Kenntnis von der Bemessung der Stillhaltefrist und dem darin nach Auffassung der Antragstellerin liegenden Vergaberechtsverstoß begründet worden sein sollte; auch insoweit hätte die Antragstellerin einer Rügeobliegenheit rechtzeitig genügt.
ee) Die Antragstellerin hat den geltend gemachten Verstoß gegen § 134 Abs. 2 GWB auch rechtzeitig zum Gegenstand ihres Nachprüfungsantrages gemacht. Gemäß § 135 Abs. 2 S. 1 GWB kann eine Unwirksamkeit des Vertrages gemäß § 135 Abs. 1 GWB - u.a. wegen Verstoßes gegen die Stillhaltefrist, § 135 Abs. 1 Nr. 1, 134 Abs. 2 GWB - nur festgestellt werden, wenn sie im Nachprüfungsverfahren innerhalb von 30 Kalendertagen nach Information der betroffenen Bieter durch den öffentlichen Auftraggeber über den Abschluss des Vertrages geltend gemacht worden ist. Dies ist hier der Fall.
Eine fristenauslösende Information über den erfolgten Vertragsabschluss, die nicht gleichzusetzen ist mit der gemäß § 134 Abs. 1 GWB erforderlichen Vorabinformation (vgl. Beck VergabeR/Dreher/Hoffmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 135 Rn. 65), hat die Antragstellerin frühestens mit Zugang des Schriftsatzes der Antragsgegnerin vom 30.05.2022 erhalten, den die Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren an die Vergabekammer gerichtet hatte. Dass die Antragsgegnerin zuvor über den am 30.05.2022 erfolgten Vertragsschluss informiert und diese Information auch den Mindestanforderungen der Art. 2f Abs. 1 der hier einschlägigen Richtlinie 89/665/EWG (Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, ABl. EG Nr. L 395 vom 30. Dezember 1989, S. 33, zul. geänd. d. RL 2014/23/EU, ABl. Nr. L 94 vom 28. März 2014, S. 1) genügte, hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt.
Auf den Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 30.05.2022 hat die Antragstellerin ihrerseits mit Schriftsatz vom 20.06.2022 reagiert, der nach Auskunft der Vergabekammer am 21.06.2022 und damit jedenfalls innerhalb der Frist des § 135 Abs. 2 S. 1 GWB dort eingegangen ist.
Nach allem erweist sich der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin, soweit er einen unrechtmäßigen Ausschluss ihres Angebotes auf Grundlage einer unklaren Leistungsbeschreibung und eine Verletzung der Stillhaltefrist rügt, als zulässig.
b) Der Nachprüfungsantrag ist allerdings unbegründet, soweit die Antragstellerin die Aufhebung der angegriffenen Entscheidung der Vergabekammer, die Feststellung der Unwirksamkeit der Auftragserteilung an die Beigeladene, die Aufhebung des Vergabeverfahrens und die Feststellung begehrt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist.
Denn der Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin ist nicht zu beanstanden. Ein etwaiger Verstoß gegen Stillhaltefrist für sich genommen vermag dem Nachprüfungsantrag nicht zur Begründetheit zu verhelfen.
aa) Der Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV begegnet keinen Bedenken.
(1) Nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV sind Angebote von der Wertung auszuschließen, bei denen Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen wurden. Eine solche unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen liegt vor, wenn Unternehmen von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweichen, wenn sie also eine andere als die ausgeschriebene Leistung anbieten (vgl. BR-Drucks. 87/16 vom 29.02.2016, S. 211, § 57 zu Nummer 4; MüKoEuWettbR/Pauka/Krüger, 4. Aufl. 2022, VgV § 57 Rn. 23). Zur Sicherung eines fairen Wettbewerbes darf der Auftraggeber nur Angebote berücksichtigen, die seinen Vorgaben entsprechen und daher vergleichbar sind (vgl. BR-Drucks. 87/16 vom 29.02.2016, S. 211, § 57 zu Nummer 4; BeckOK VergabeR/von Wietersheim, 25. Ed. 31.7.2022, VgV § 57 Rn. 19). Demnach genügt bereits die formale Abweichung für einen Ausschluss des Angebots, ohne dass es auf die Wettbewerbsrelevanz, Wesentlichkeit oder Geringfügigkeit der Abweichung ankäme (vgl. OLG München, Beschluss vom 21. April 2017 - Verg 1/17 -; BeckOK VergabeR/von Wietersheim, 25. Ed. 31.7.2022, VgV § 57 Rn. 19a). Was konkret - als Mindestanforderung - nachgefragt wurde, ist anhand der für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133 und 157 BGB) aus der Sicht eines verständigen und fachkundigen potentiellen Bieters durch Auslegung der Leistungsbeschreibung zu ermitteln (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 - X ZR 78/07 -; OLG München, Beschluss vom 21. April 2017 - Verg 1/17 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Februar 2016 - Verg 41/15 -). Sofern sich bei der Auslegung ergibt, dass eine Leistungsbeschreibung zu unbestimmt oder unklar ist, genügt sie ihrerseits den Anforderungen des § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB nicht und ist vergaberechtswidrig. In diesem Fall kann ein "Abweichen" des Bieters auch nicht zu dessen Ausschluss führen (vgl. OLG München, Beschluss vom 21. April 2017 - Verg 1/17 -; BeckOK VergabeR/von Wietersheim, 25. Ed. 31.7.2022, VgV § 57 Rn. 19j).
(2) Ausgehend hiervon ist der Angebotsausschluss vorliegend nicht zu beanstanden.
Gegenstand der Leistungsbeschreibung ist der beabsichtigte Erwerb eines Rechenclusters durch die Antragsgegnerin. Im Abschnitt 1 des "Beiblatt 1: Leistungsbeschreibung und Mindestanforderungen" werden ausdrücklich als Mindestanforderungen bezeichnete technische Anforderungen an den zu liefernden Rechencluster definiert. Nach Abschnitt 1.1 besteht der zu liefernde Rechencluster primär aus Rechenknoten und einem sie verbindenden Hochleistungsnetzwerk; ergänzend dazu wird - neben weiteren Komponenten - ein Administrationsnetzwerk eingerichtet, über das der Zugriff der Nutzer unter Heranziehung weiterer Komponenten erfolgt. Die Anzahl der mindestens zu liefernden Prozessorkerne wird in Abschnitt 1.3 in einer als Mengengerüst bezeichneten Tabelle ("Beiblatt 1 Tabelle 1") in Abhängigkeit zur Anzahl der angebotenen High-Memory-Rechenknoten und GPU-Karten festgelegt. Die vorgesehenen Rechenknoten gliedern sich in 3 verschiedene Gruppen, die als Basis-Rechenknoten, GPU-Rechenknoten und HighMemory-Rechenknoten bezeichnet werden. Die Mindestanforderungen an die jeweiligen Rechenknoten werden im Leistungsverzeichnis in jeweils eigenen Abschnitten geregelt.
In Abschnitt 1.7 ("Basis-Rechenknoten") wird der Begriff Rechenknoten einleitend definiert als eine logische, für sich betriebsfähige Einheit, die mindestens Prozessoren, Arbeitsspeicher, Massenspeicher und Netzwerkkomponenten umfasst und deren Betriebszustand sich unabhängig von anderen Rechenknoten und ohne diese notwendigerweise zu beeinflussen ändern kann. Für die Basis-Rechenknoten wird in Abschnitt 1.7, Ziffer 2 festgelegt, dass alle Basis-Rechenknoten untereinander identisch sein müssen. In Abschnitt 1.8 ("High-Memory-Rechenknoten") wird einleitend festgelegt, dass High-Memory-Rechenknoten eine Variation der Basis-Rechenknoten in Bezug auf Arbeitsspeicher und Prozessoren darstellen. Auch dort wird die Vorgabe gestellt, dass alle High-Memory-Rechenknoten identisch sein müssen.
Schließlich wird in Abschnitt 1.9 ("GPU-Rechenknoten") einleitend definiert, dass diese eine Variation der Basis-Rechenknoten in Bezug auf eine Ausstattung mit GPU-Karten und Prozessoren darstellen.
Im Anschluss heißt es dort:
"1. Es müssen mindestens 8 GPU-Karten in GPU-Rechenknoten mit Steigerung der Mindestmenge der GPU-Karten abhängig von der Gesamtanzahl der angebotenen Prozessorkerne in Basis-Rechenknoten nach Beiblatt 1 Tabelle 1 angeboten werden.
2. Alle GPU-Rechenknoten müssen untereinander identisch sein.
3. Es müssen mindestens zwei GPU-Karten pro GPU-Rechenknoten angeboten werden.
4. Es dürfen nicht mehr als vier GPU-Karten pro GPU-Rechenknoten angeboten werden.
[...]
1.9.1 Prozessoren und Rechenleistung
[...]
3. Werden zwei oder drei GPU-Karten pro GPU-Rechenknoten angeboten, so muss mindestens ein Prozessorsockel bestückt mit einem Prozessor in jedem GPU-Rechenknoten angeboten werden.
4. Werden vier GPU-Karten pro GPU-Rechenknoten angeboten, so müssen mindestens zwei Prozessorsockel bestückt mit jeweils einem Prozessor in jedem GPU-Rechenknoten angeboten werden.
[...]
1.9.3 GPU-Erweiterungskarten
[...]
1. Jeder der anzubietenden GPU-Rechenknoten muss mindestens zwei identische GPU-Karten enthalten.
2. Jeder der anzubietenden GPU-Rechenknoten darf nicht mehr als vier identische GPU-Karten enthalten. Konfigurationen die mehr als vier GPU-Karten pro GPU-Rechenknoten enthalten sind unzulässig.
[...]"
Das Angebot der Antragstellerin bietet die Lieferung von 6 GPU-Rechenknoten mit insgesamt 16 identischen GPU-Karten an, wobei die GPU-Rechenknoten teils mit 2 und teils mit 3 GPU-Karten bestückt werden sollen. Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass sich aus der vorgenannten Leistungsbeschreibung eine Vorgabe, dass alle GPU- Rechenknoten untereinander auch eine identische Anzahl von GPU-Karten enthalten müssten, nicht, jedenfalls nicht mit der hinreichenden Klarheit, die einen Angebotsausschluss rechtfertigen könne, ergebe.
Dieser Auffassung vermag sich der Senat bei Auslegung der in der Leistungsbeschreibung genannten Mindestbedingungen nicht anzuschließen. Ausgehend von der im Abschnitt 1.9 einleitend gegebenen Definition, dass es sich bei einem GPU-Rechenknoten um einen Rechenknoten handele, der sich von Basis- Rechenknoten unter anderem in der Ausstattung mit GPU-Karten unterscheide, stellt die Ausstattung mit GPU-Karten prägendes Merkmal des GPU-Rechenknoten dar. Auch die weiteren folgenden Vorgaben der Leistungsbeschreibung sprechen für ein solches Verständnis, denn dort wird ersichtlich davon ausgegangen, dass die Anzahl der GPU-Karten ein wesentliches Merkmal der GPU-Rechenknoten ist. So gibt die Leistungsbeschreibung in Abschnitt 1.9, Ziffern 3 und 4, vor, das mindestens 2 und höchstens 4 GPU-Karten pro GPU-Rechenknoten angeboten werden. In Abschnitt 1.9.1, Ziffern 3 und 4, werden zudem unterschiedliche technische Anforderungen für die beiden Fälle vorgegeben, dass entweder 2 oder 3 GPU-Karten "pro GPU- Rechenknoten" oder aber 4 GPU-Karten "pro GPU Rechenknoten" verwendet werden. Dann aber erfasst die Vorgabe, dass die GPU-Rechenknoten untereinander identisch sein müssen, zwingend auch das Ausstattungsmerkmal der GPU-Karten.
Ausgehend hiervon ist die Vorgabe, dass alle GPU-Rechenknoten untereinander identisch sein müssen, bei Auslegung der Leistungsbeschreibung nach Maßgabe der §§ 133, 157 BGB aus Sicht eines Erklärungsempfängers dahingehend zu verstehen, dass die einzelnen GPU-Rechenknoten sich auch in der Anzahl der verwendeten GPU- Karten nicht unterscheiden dürfen. Dieser Vorgabe haftet auch keine Unklarheit an, die dem Ausschluss insoweit abweichender Angebote entgegenstünde.
Der Auffassung der Antragstellerin, dass es sich bei den Rechenknoten letztendlich um Server handele, die eine Basis für GPU-Karten darstellten und dass die von der Antragstellerin als solche Basis angebotenen Rechenknoten untereinander identisch seien, vermag sich der Senat demgegenüber nicht anzuschließen. Dass die Ausstattung mit GPU-Karten prägendes Ausstattungsmerkmal des GPU-Rechenknoten ist, ergibt sich unmissverständlich aus der abschnittseinleitend gegebenen Definition des Begriffes GPU-Rechenknoten, die auch für die Auslegung der anschließend aufgeführten Anforderungen maßgebend ist. Weshalb sich die Vorgabe, dass die GPU- Rechenknoten untereinander identisch sein müssten, sich nicht auf dieses wesentliche Ausstattungsmerkmal beziehen solle, bleibt im Dunkeln. Träfe die Annahme der Antragstellerin zu, dass es keine Rolle spielte, in welchem Umfang GPU-Rechenknoten (abweichend von Basis-Rechenknoten) mit GPU-Karten ausgestattet werden, hätte es der Auftraggeber im Übrigen bei der Vorgabe, die Basis-Rechenknoten müssten untereinander identisch sein, belassen können und müssen.
Die Antragstellerin hat auch nicht dargelegt, dass aus Sicht eines Erklärungsempfängers aus dem Verkehrskreis der angesprochenen Hersteller von solchen Rechenclustern ein anderes Verständnis der Vorgaben des Leistungsverzeichnisses wegen besonderer technischer Umstände anzunehmen sei. Ihre Ausführung, dass es technisch auf eine exakte Identität der GPU-Rechenknoten mit Blick auf die Anzahl der jeweils verwendeten GPU-Karten deshalb nicht ankomme, weil es unproblematisch möglich sei, eine ausgewogene Ansteuerung auch ungleich verteilter GPU-Karten mit Rechenvorgängen durch die verwendete Software sicherzustellen, vermag ein solches abweichendes technisches Verständnis jedenfalls nicht zu belegen. Auf diese Weise stellt die Antragstellerin vielmehr lediglich die Zweckmäßigkeit der Vorgaben der Antragsgegnerin infrage. Dies allein rechtfertigt aber keine Abweichung von für sich genommen eindeutigen Vorgaben der Leistungsbeschreibung (vgl. OLG Celle Beschl. v. 19. Februar 2015 - 13 Verg 12/14, BeckRS 2015, 12548 Rn. 43; OLG Frankfurt, Beschluss vom 26. Juni 2012 - 11 Verg 12/11 -), da es Sache des Auftraggebers ist, den eigenen Bedarf bis hin dazu zu definieren, welche Anforderungen er an die von ihm gewünschte Leistung stellt (vgl. OLG München, Beschluss vom 28. Juli 2008 - Verg 10/08 -; OLG Brandenburg, Beschluss vom 30. Januar 2014 - Verg W 2/14 -). Der Auftraggeber ist auch nicht verpflichtet, in der Ausschreibung eine weitergehende Vielfalt von technischen Lösungen zuzulassen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 30. Januar 2014 - Verg W 2/14 -). Daher muss auch der Darstellung der Antragsgegnerin, dass die Aufteilung der GPU-Karten technisch sehr wohl einen Unterschied mache, nicht nachgegangen werden.
Insgesamt ist die Vorgabe der Leistungsbeschreibung bei deren Auslegung daher als eindeutig anzusehen; die Abweichung des Angebotes der Antragstellerin von der Vorgabe, untereinander identische GPU-Rechenknoten anzubieten, trägt auch den (zwingenden) Ausschluss ihres Angebotes.
bb) Da der Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin nicht zu beanstanden ist, bedarf es auch keiner abschließenden Beurteilung der Frage - und mit ihr auch keiner Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof -, ob die Antragsgegnerin die Stillhaltefrist des § 134 Abs. 2 S. 2 GWB zutreffend berechnet hat.
Zwar ist ein öffentlicher Auftrag gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber gegen § 134 GWB verstoßen hat. Ein solcher Verstoß kann auch in der Verletzung der Stillhaltefrist des § 134 Abs. 2 GWB liegen, wonach der öffentliche Auftraggeber einen Vertrag mit dem erfolgreichen Bieter erst nach Ablauf der in § 134 Abs. 2 GWB geregelten Frist schließen darf, die im Fall der - wie hier erfolgten - Versendung der Vorabinformation auf elektronischem Wege 10 Tage beträgt.
Jedoch dient das Nachprüfungsverfahren auch, soweit es auf die Feststellung der Unwirksamkeit des vergebenen Auftrages gemäß § 135 Abs. 1 GWB gerichtet ist, nicht einer allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle, sondern dem Individualschutz des einzelnen Bieters. Eine rein "abstrakte" Unwirksamkeitserklärung würde dazu führen, dass ein Bieter, der auch bei einer ordnungsgemäßen Vorabinformation keine Aussicht auf den Zuschlag gehabt hätte, eine neue Ausschreibung veranlassen könnte. Er könnte damit, auch wenn die Nichtberücksichtigung seines Angebotes zu recht erfolgt ist, durch ein neues Ausschreibungsverfahren seine Position verbessern, indem er nun ein geändertes Angebot vorlegt. Das ist nicht der Sinn eines Nachprüfungsverfahrens. Dieses soll einem zu Unrecht nicht berücksichtigten Bieter die Möglichkeit verschaffen, zu einer rechtmäßigen Berücksichtigung seines Angebotes und gegebenenfalls zum Zuschlag zu gelangen. Hat sich aber der Vergaberechtsverstoß nicht kausal für den Bieter ausgewirkt, ist also sein Angebot auch bei ordnungsgemäßem Ablauf des Nachprüfungsverfahrens aus anderen Gründen zu Recht nicht berücksichtigt worden, ist er im Endergebnis in seiner Rechtsposition nicht beeinträchtigt; er hat weder einen Anspruch auf eine Wiederholung oder Neudurchführung des Ausschreibungsverfahrens noch auf eine Feststellung nach § 135 Abs. 1 GWB (vgl. OLG München, Beschluss vom 31. Januar 2013 - Verg 31/12 -, zu § 101 b Abs. 2 GWB; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. September 2017 - Verg 9/17 -). Demnach hat sich hier ein etwaiger Vergaberechtsverstoß, der in der Nichteinhaltung der Stillhaltefrist des § 134 Abs. 2 GWB liegen könnte, nicht kausal zu Lasten der Antragstellerin ausgewirkt, weil ihr Angebot ohnehin auszuschließen war.
Angesichts dessen kann auch die vom Senat im Beschluss vom 25.08.2022 aufgeworfene Frage im Ergebnis offenbleiben, ob der in der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur vertretenen Auffassung gefolgt werden kann, dass auch vor dem Hintergrund der Regelung des Art. 3 Abs. 4 S. 1 der VO (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 des Rates vom 03.07.1971 (ABl. Nr. L 124 vom 08.06.1971, S. 1) der Ablauf der Stillhaltefrist an einem Sonntag unschädlich sei. Allerdings bestehen nach Ansicht des Senats hiergegen zumindest deshalb Bedenken, weil Art. 3 Abs. 4 S. 1 der VO (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 eine Verlängerung einer am Sonntag ablaufenden Frist auf den sich anschließenden Arbeitstag anordnet und hiervon gemäß Art. 3 Abs. 4 S. 2 der VO (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 nur dann eine Ausnahme vorgesehen ist, wenn es sich um eine rückwärts berechnete Frist handelt. Entgegen der nahezu einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Mai 2008 - Verg 11/08 -; VK Bund, Beschluss vom 28.06.2021 - VK 2-77/21; Ziekow/Völlink/Völlink, 4. Aufl. 2020, VgV § 82 Rn. 6; BeckOK VergabeR/von Wietersheim, 24. Ed. 30.4.2022, VgV § 82 Rn. 17; MüKoEu-WettbR/Fülling, 4. Aufl. 2022, VgV § 82 Rn. 10) - erscheint es zumindest zweifelhaft, dass es sich bei § 134 Abs. 2 GWB um eine solche rückwärts "berechnete" Frist handelte (vgl. Kafedzic, Vergabeblog.de vom 16/08/2021, Nr. 47673). Die Regelung des Art. 2a Abs. 2 der RL 89/665/EWG (Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, ABl. EG Nr. L 395 vom 30. Dezember 1989, S. 33, zul. geänd. d. RL 2014/23/EU, ABl. EG Nr. L 94 vom 28. März 2014, S. 1), deren Umsetzung § 134 Abs. 2 GWB dient, knüpft für den Fristbeginn an das Ereignis der isolierten Zuschlagsentscheidung an und bemisst die sich daran anschließende Frist für die Zukunft. Ebenso knüpft § 134 Abs. 2 S. 2 GWB an das fristauslösende Ereignis der Vorabinformation nach § 134 Abs. 1 GWB an und bemisst die sich daran anschließende Frist mit 10 Tagen, mithin vom Ereignis aus betrachtet für die Zukunft. Eine rückwärts berechnete Frist wäre eine solche, die - wie etwa § 123 Abs. 1 AktG - von dem fristauslösenden Ereignis aus betrachtet einen in die Vergangenheit reichenden Zeitraum bestimmt. Da Art. 3 Abs. 4 S. 2 der VO (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 auf die Berechnung der Frist abstellt, dürfte es auf die in der obergerichtlichen Rechtsprechung angeführte Erwägung, welche Rechtswirkungen am Fristenende eintreten (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Mai 2008 - Verg 11/08 -; VK Bund, Beschluss vom 28.06.2021 - VK 2-77/21; Ziekow/Völlink/Völlink, 4. Aufl. 2020, VgV § 82 Rn. 6; BeckOK VergabeR/von Wietersheim, 24. Ed. 30.4.2022, VgV § 82 Rn. 17; MüKoEu-WettbR/Fülling, 4. Aufl. 2022, VgV § 82 Rn. 10), dagegen nicht ankommen.
Da es auf diese Frage letztlich aber nicht entscheidungserheblich ankommt, bedurfte es insoweit - anders als noch im Beschluss vom 25.08.2022 erwogen - keiner Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof.
3. Die Eilanträge der Antragstellerin waren jedenfalls mangels Erfolgsaussicht aus den vorstehenden Gründen als unbegründet abzulehnen. Offenbleiben kann daher, ob der Vergabesenat berechtigt ist, auf die Vorschrift des § 169 Abs. 3 S. 1 GWB, die unmittelbar im Nachprüfungsverfahren Anwendung findet, zurückzugreifen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. November 2016 - Verg 40/16 -, zu § 115 Abs. 3 GWB a.F.; OLG Rostock, Beschluss vom 21. Juli 2017 - 17 Verg 3/17 -; Vavra/Willner, in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechts- kommentar, 4. Aufl. 2022, GWB § 173 Rn. 36). Ebenso offenbleiben kann, ob der hilfsweise gestellte Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gemäß § 173 Abs. 1 S. 3 GWB in der vorliegenden Situation, in der sich die Antragstellerin gegen einen vermeintlich zu Unrecht erteilten Zuschlag auch mit einem Feststellungsantrag gemäß § 135 Abs. 1 GWB wehrt, zulässig ist.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 175 Abs. 2 in Verbindung mit § 71 S. 2 GWB. Die Antragstellerin hat die Kosten ihrer erfolglos gebliebenen sofortigen Beschwerde zu tragen. Billigkeitsgesichtspunkte, die eine abweichende Kostenverteilung rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich. Gleiches gilt für die Kosten des erfolglosen Eilantrages gemäß § 169 Abs. 3 GWB analog sowie den hilfsweise gestellten Antrag gemäß § 173 Abs. 1 S. 3 GWB; auch insoweit richtet sich die Kostenlast nach dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen in der Hauptsache (vgl. OLG Celle Beschl. v. 11. Juni 2015 - 13 Verg 4/15, BeckRS 2015, 11003 Rn. 115).
Die Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch die Antragstellerin und die Beigeladene bedarf für den Beschwerderechtszug keiner gesonderten Tenorierung; sie folgt unmittelbar kraft Gesetzes aus § 175 Abs. 1 Satz 1 GWB (vgl. OLG Celle Beschl. v. 11. Juni 2015 - 13 Verg 4/15, BeckRS 2015, 11003 Rn. 116; OLG Koblenz Beschl. v. 27. Januar 2021 - Verg 1/19, BeckRS 2021, 10061 Rn. 77; Beck VergabeR/Vavra/Willner, 4. Aufl. 2022, GWB § 175 Rn. 14). Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 50 Abs. 2 GWB.
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VK Bund
Beschluss
vom 18.11.2022
VK 1-87/22
1. Erscheint der Angebotspreis ungewöhnlich niedrig, klärt der Auftraggeber die kalkulatorischen Grundlagen des Angebots auf (das Angebot bleibt unverändert). Der Auftraggeber ist hierbei frei darin, solange aufzuklären, bis er die zweckentsprechenden Informationen zur Prüfung des Ausschlussgrunds eines ungewöhnlich niedrigen Angebots erhalten hat.
2. Eine Aufklärung über die Angebote darf im offenen Verfahren mündlich geschehen.
3. Kann die mündliche Kommunikation mit Bietern Einfluss auf Inhalt und Bewertung von deren Angebot haben, hat der öffentliche Auftraggeber darauf zu achten, dass in hinreichendem Umfang und in geeigneter Weise dokumentiert wird.
In dem Nachprüfungsverfahren
[...]
wegen der Vergabe "Räumen und Streuen im Winterdienst - Strecke und Grasmäharbeiten", Referenznummer der Bekanntmachung: [...], EU-Bekanntmachung [...],
hat die 1. Vergabekammer des Bundes durch den Vorsitzenden Direktor beim Bundeskartellamt Behrens, die hauptamtliche Beisitzerin Leitende Regierungsdirektorin Brauer und den ehrenamtlichen Beisitzer Dr. Jamrath aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. November 2022 am 18. November 2022
beschlossen:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren und Auslagen) sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen.
3. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin war notwendig.
Gründe:
I.
1. Die Antragsgegnerin führt derzeit europaweit ein offenes Verfahren zur Vergabe "Räumen und Streuen im Winterdienst - Strecke und Grasmäharbeiten" durch.
In der im Laufe des Verfahrens geänderten Ausführungsbeschreibung (aktuell Stand Juli 2022) waren in Teil 1 (Räumen und Streuen im Winterdienst) unter Ziffer 2.2 zwei Fahrzeuge für Räum- und Streueinsätze bereitzustellen, davon Fahrzeug 1 mit der technischen Anforderung für den Schneepflug: "Mindesträumbreite/32°: 6,70 m (Front-/Seitenpflug)". Weiter heißt es:
"Die Fahrzeuge sind in der Winterdienstperiode jeden Tag von 00:00 Uhr bis 24:00 Uhr in einem betriebs- und verkehrssicheren Zustand vorzuhalten. Die Bereitstellung des Bedienpersonals gemäß Arbeitszeitgesetz in diesem Zeitraum ist bei der Kalkulation mit zu berücksichtigen."
Nach Ziffer 2.8 (Fahrpersonal) wird für die Leistungspositionen "Streuen" und "Fahrten durchführen" lediglich der Fahrer des Fahrzeugs zur Leistungserbringung benötigt. Beim Räumeinsatz ist zusätzlich ein Beifahrer zur Bedienung des Seitenräumpfluges erforderlich. Nach Ziffer 2.1 (Technische Anforderungen) müssen die bereitgestellten Fahrzeuge hinsichtlich der Achslasten und des Gesamtgewichts so konfiguriert sein, dass einschließlich der Winterdienstgeräte in jedem Beladungszustand die zulässigen Achslasten und das zulässige Gesamtgewicht gemäß StVZO eingehalten werden.
Unter Teil 2 (Grasmäharbeiten) war unter Ziffer 5.1.3 (Weitere mögliche Leistungen) der ursprünglich veröffentlichten Ausführungsbeschreibung ausgeführt:
"Stellung eines Geräteträgers und/oder eines Mobilbaggers".
Aufgrund der Bieterfrage Nr. 6 zu Größe, Gewicht oder Reichweite des Mobilbaggers änderte die Antragsgegnerin die Anforderungen und teilte in ihrer Antwort mit:
"Die Reichweite des Mobilbaggers soll mindestens 14 m betragen (siehe Änderungspaket Nr. 1)".
In Ziffer 5.1.3 der Ausführungsbeschreibung hieß es nun (Stand Juli 2022):
"Stellung eines Geräteträgers und/oder eines Mobilbaggers (Reichweite des Auslegers bis 14,0 m)".
Leistungsverzeichnis Ziffer 2.3.5 lautete nun:
"Einsatz eines Mobilbaggers (Ausleger-Reichweite bis 14,0 m) einschließlich Bedienpersonal für zusätzliche Grün- bzw. Gehölzpflegearbeiten (...)".
Das Mähgut, das Verunreinigungen (z.B. Reiseabfälle, Glas, Kleinmetalle) enthalten kann, soll nach Ziffer 5.1.1 der Ausführungsbeschreibung "einer fachgerechten Verwertung" zugeführt werden. Weiter heißt es:
"Die fachgerechte Verwertung ist vom AN nachzuweisen."
Nach Ziffer 7.1.1 soll das Zugfahrzeug für den Warnleitanhänger für Autobahnen ein zulässiges Gesamtgewicht von mindestens 25 t aufweisen.
Die Antragsgegnerin hat für den Winterdienst die Möglichkeit des "zusätzlichen Personaleinsatzes bei Anforderung des AG im besonderen Fall" (Schichtdienst Spät- und Nachschicht bei Personalausfall des AG, vgl. Ziffer 1.1, letzter Spiegelstrich der Ausführungsbedingungen) vorgesehen. Für die Mäharbeiten hat sie die "Bereitstellung von bis zu drei Mitarbeitern des AN [...], welche bei Bedarf des AG vom AN angefordert werden" (jeweils vor der Grasmahd, vgl. Ziffer 5.1.3, letzter Spiegelstrich) geregelt.
Die Antragstellerin und die Beigeladene haben jeweils bis zum Angebotsschlusstermin am 2. August 2022 ein Angebot abgegeben. Mit Bieterinformationsschreiben vom 26. August 2022 teilte die Antragsgegnerin gemäß § 134 GWB der Antragstellerin mit, dass der Zuschlag nicht auf ihr Angebot erteilt werden könne, da es nicht das wirtschaftlichste sei. Für den Zuschlag sei das Angebot der Beigeladenen vorgesehen.
Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 30. August 2022 die geplante Zuschlagserteilung. Die Antragsgegnerin teilte am 12. September 2022 mit neuem Informationsschreiben gemäß § 134 GWB mit, dass die Zuschlagserteilung weiterhin auf das Angebot der Beigeladenen vorgesehen sei. Am selben Tag teilte die Antragsgegnerin schriftlich mit, dass sie der Rüge der Antragstellerin nicht abhelfe; sie halte an ihrer Entscheidung und den bereits mitgeteilten Gründen der Nichtberücksichtigung fest. Eine weitere Rüge der Antragstellerin vom 14. September 2022 wies die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 16. September ebenfalls zurück.
2. Die Antragstellerin beantragte am 21. September 2022 mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten bei der Vergabekammer des Bundes die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag am selben Tag an die Antragsgegnerin übermittelt.
Im Anschluss an die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 23. September 2022 die Aufklärung einzelner Angebotspreise nach § 60 Abs. 2 VgV bei Antragstellerin und Beigeladener angefordert. Bei der Antragstellerin betraf dies alle Positionen (Mäh- und Winterdienst), bei der Beigeladenen nur bestimmte Positionen zum Winterdienst. Die eingegangenen Unterlagen hat sie der Vergabekammer mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 30. September 2022 vorgelegt. Mit weiterem Schreiben vom 17. Oktober 2022 bat die Antragsgegnerin um eine ergänzende Aufklärung für die weiteren - bis dahin noch nicht aufgeklärten - Positionen des Leistungsverzeichnisses. In einem Telefonat am 21. Oktober 2022 hat sie zu den Positionen 1.2.5, 1.2.6, 1.4.5 und 1.4.6 zur Überprüfung der Winterdienstgeräte Fahrzeug 1 und 2 mündlich aufgeklärt und dies in einem Vermerk vom 24. Oktober 2022 niedergelegt.
a) Der Nachprüfungsantrag ist nach Auffassung der Antragstellerin zulässig und begründet. Ihr Vortrag genüge im Hinblick auf den begrenzten Einblick in den Ablauf des Vergabeverfahrens dem notwendigen Mindestmaß an Substantiierung.
Das Angebot der Beigeladenen sei wegen Nichterfüllung der Anforderungen an den Schneepflug des Fahrzeugs 1 auszuschließen. Sie verfüge laut Webseite nicht über den für die Mindesträumbreite von 6,70 m notwendigen Seitenpflug. Es gebe nur zwei Anbieter, die den notwendigen Seitenpflug als teuren Sonderbau anbieten würden. Diese Hersteller seien von keiner anderen Firma als der Antragstellerin angefragt worden. Ein weiterer Anbieter in der Schweiz vertreibe nicht in Deutschland, so dass eine rechtzeitige Reparatur oder ein Vorhalten von Ersatzteilen nicht sichergestellt sei. Mit einem Seitenwinkel von 32° könne nicht geräumt werden, da der Schnee seitlich nicht abfließe. Es sei unklar, welcher Pflug welchen Winkel haben müsse (dies habe sie am 14. September 2022 gerügt). Falls die Beigeladene aber einen Seitenschneepflug mit einem Winkel von 45° anbiete, entspreche dies nicht den Vorgaben der Vergabeunterlagen. Die Antragstellerin habe zudem erfahren, dass sich die Unterauftragnehmerin am 10. Oktober 2022 in der für den streitgegenständlichen Auftrag zuständigen Autobahnmeisterei einen Seitenpflug ausgeliehen habe. Die Antragstellerin bezweifelt zudem, dass das angebotene Fahrzeug einschließlich der angebotenen Winterdienstgeräte in jedem Beladungszustand die zulässigen Achslasten und das zulässige Gesamtgewicht nach StVZO einhält. Damit sei die Beigeladene wegen fehlender Eignung gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 VgV sowie wegen Änderung an den Vergabeunterlagen (§ 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV) auszuschließen.
Ferner sei das Angebot wegen Nichterfüllung der Anforderungen an den Mobilbagger auszuschließen. Der im Fuhrpark der Beigeladenen aufgeführte Bagger "Sennebogen 718" weise nach Herstellerangaben nur eine Ausleger-Reichweite von 13 m auf. Es komme auch nicht auf die Länge inklusive Anbaugerät an, sondern auf die Länge des Auslegers. Sie tritt der Aussage entgegen, die Vorgabe der Ausleger-Reichweite sei nicht als eindeutige Mindestanforderung bezeichnet.
Ferner müsse angesichts der Vorgaben der Ausführungsbedingungen bei Bedarf Personal des Auftragnehmers für den Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden; dieses Personal müsse durch den Auftraggeber in die Nutzung von dessen Geräten eingewiesen werden. Hierin liege eine Arbeitnehmerüberlassung. Diese bedürfe einer Erlaubnis, § 1 Abs. 1 AÜG. Eine solche sei wegen der notwendigen Bearbeitungsdauer nicht rechtzeitig zum Leistungsbeginn am 1. November 2022 zu erlangen.
Das Angebot sei zudem wegen unzureichendem Personal auszuschließen. Die Antragstellerin bezweifelt, dass die Beigeladene über die in der Eignungserklärung anzugebenden technischen Fachkräfte verfügt und jeweils Funktion und berufliche Qualifikation angegeben habe. Nach den Ausschreibungsbedingungen müssten im Winterdienst 9 Personen angeboten werden (Fahrzeug 1 mit zwei Personen, Fahrzeug 2 mit einer Person, jeweils à drei Schichten). Der für den Winterdienst benannte Unterauftragnehmer habe aber nur vier Personen benannt. Die Annahme, die Beigeladene würde dem Unterauftragnehmer ihr Personal zur Verfügung stellen, sei eine Fiktion oder eine unstatthafte nachträgliche Änderung des Angebotes (und zudem eine erlaubnispflichtige Arbeitnehmerüberlassung).
Die Antragstellerin bezweifelt, dass die Beigeladene über die gemäß §§ 53, 54 KrWG benötigte Erlaubnis zum Abtransport und zur fachgerechten Verwertung verfüge. Die vorgelegte Meldung datiere vom 31. August 2022, also erst nach Versand der § 134 GWB-Information vom 26. August 2022. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Eingangsbestätigung rechtzeitig bis zum Leistungsbeginn am 1. November 2022 vorliegen werde.
Sie bezweifelt, dass die Beigeladene alle Erklärungen im Hinblick auf den beabsichtigten Einsatz anderer Unternehmen vorgelegt habe. Für den Fall, dass die Beigeladene die [...] als Unterauftragnehmerin vorsehe, sei zu vermuten, dass diese als in einem reinen Wohngebiet angesiedeltes Fuhrunternehmen nicht über die für ihren Betriebsstützpunkt notwendige Genehmigung verfüge. Ein Verstoß gegen § 3 BauNVO sei wahrscheinlich.
Die Antragsgegnerin sei zu einer Preisprüfung gemäß § 60 VgV verpflichtet. Das Preisaufklärungsersuchen vom 23. September 2022 sei unzureichend. Es betreffe nicht die wichtige - Fixkosten betreffende - Vorhaltepauschale im Winterdienst und nicht die Positionen für Mäharbeiten/Grünpflege mit Verkehrssicherung, die einen signifikanten Preisabstand aufwiesen. Die Beigeladene habe unzureichend an den Preisaufklärungen mitgewirkt. Die mit der weiteren Preisaufklärung am 18. Oktober 2022 eingereichten Excel-Tabellen mit Kommentaren stellten keine schriftliche detaillierte Erläuterung dar. Bestimmte Positionen (1.2.5, 1.2.6, 1.4.5, 1.4.6) seien von der Beigeladenen offenbar nicht aufgeklärt worden. Dies gelte auch laut Vergabeakte für die Position 2.3.3. Sogenannte preistreibende Faktoren seien nicht geprüft worden. Am 21. Oktober 2022 sei eine unzulässige mündliche, zudem nachträgliche Aufklärung erfolgt. Dies sei gemäß § 9 VgV vergaberechtswidrig. Die Antragsgegnerin hätte die unzureichenden Antworten bei ihrer Prognoseentscheidung berücksichtigen müssen und nicht weiter aufklären dürfen. Die Preisaufklärung sei auch inhaltlich unzureichend. Die Antragstellerin führt dazu weiter (u.a. Zeitansätze bei Kalibrierung und Montagen, berücksichtigungsfähige Kosten bei der Kalkulation der KFZ und Geräte) aus. Die Erwägungen der Antragsgegnerin bei der Überprüfung der Kalkulation seien sachfremd und willkürlich.
Die Kostenschätzung der Antragsgegnerin lasse kein wirklichkeitsnahes Schätzergebnis erwarten. Die Antragsgegnerin habe sich mit den unterschiedlichen Leistungsgegenständen der Ausschreibung nicht hinreichend auseinandergesetzt. Die Kostenschätzung sei nicht geeignet den Angebotspreis der Beigeladenen zu validieren.
Der Hilfsantrag sei zulässig und begründet. Die Vergabeunterlagen böten nicht die Gewähr dafür, dass alle Bieter sie im gleichen Sinne (bezogen auf das zulässige Gesamtgewicht des Sicherungsfahrzeugs für die Mäharbeiten sowie Anforderung einer "Mindesträumbreite/32°: 6,70 m") verstanden haben und die Angebote vergleichbar seien.
Die Antragstellerin beantragt über ihre Verfahrensbevollmächtigten:
1. Der Antragsgegnerin wird untersagt, den Zuschlag auf das Angebot des Bieters [...] zu erteilen.
2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, bei fortbestehender Vergabeabsicht die Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.
3. Hilfsweise: Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, das Vergabeverfahren in den Stand vor Versendung der Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen und bei fortbestehender Vergabeabsicht unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.
4. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der
Antragstellerin.
5. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
6. Der Antragstellerin wird die Einsichtnahme in die Vergabeakte gewährt, sobald diese bei der Vergabekammer eingegangen ist.
b) Die Antragsgegnerin beantragt über ihren Verfahrensbevollmächtigten:
1. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 21.09.2022 wird als unzulässig verworfen, jedenfalls aber als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung der Antragstellerin entstandenen Aufwendungen zu tragen.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin [gemeint: Antragsgegnerin] wird für erforderlich erklärt.
Nach Auffassung der Antragsgegnerin ist der Nachprüfungsantrag teilweise unzulässig. Die Antragstellerin beanstande eine Vielzahl von Defiziten des Angebots der Beigeladenen mit ins Blaue hinein aufgestellten Behauptungen. Dies betreffe die Schneepflugbreite, die Reichweite des Mobilbaggers, Beanstandungen bezüglich Bereitstellung der Fahrzeuge und des Fahrpersonals.
Der Antrag sei unbegründet. Die Antragstellerin gehe zu Unrecht davon aus, dass der von der Beigeladenen angebotene Schneepflug zu Nr. 2.2 der Ausführungsbeschreibung (Ziffer 1.1 des Leistungsverzeichnisses) die Mindesträumbreite von 6,70 m nicht aufweise. Der Frontpflug sei mit einer Räumbreite von 5,91 m bei 32 Grad und einem Seitenpflug von 3,60 m Räumbreite bei 32 Grad ausgestattet. Es bestünden keine konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit der Angaben begründeten.
Auch die Anforderungen an den Mobilbagger würden erfüllt. Nach einer entsprechenden Aufklärung der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 6. September 2022 (unter Ziffer 2.27) sei mitgeteilt worden, dass der sich im Eigentum der Beigeladenen befindliche Sennebogen-Mobilbagger eine Reichweite von mehr als 14 m aufweise. Anhaltspunkte, die eine weitergehende Verifizierung beim Hersteller notwendig machten, lägen nicht vor. Im Übrigen ergebe sich aus der Antwort zu Frage Nr. 6, das die Vorgabe über die Reichweite nicht als eindeutige Mindestanforderung bezeichnet werden, sondern nur als "Soll"-Anforderung.
Die Beigeladene habe sich auf die Kapazität anderer Unternehmen gestützt. Sie habe die Verpflichtungserklärung des hierfür vorgesehenen Unterauftragnehmers vorgelegt.
Zur behaupteten Notwendigkeit der Arbeitnehmerüberlassung führt die Antragsgegnerin aus, dass die Beigeladene nach in ihrer Eigenerklärung und zusätzlichen Angaben über eine ausreichende Anzahl an Personen verfüge, die zur Leistungserbringung herangezogen werden könnten. Einer (blanko-)Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung bedürfe es nicht. Die Personen, die für die Ausführung der Leistung zur Verfügung stünden, seien zudem namentlich benannt. Zugleich stehe auch das Personal des für den Winterdienst benannten Unterauftragnehmers mit weiteren vier Personen zur Verfügung. Das Personal sei hinreichend qualifiziert. Erlaubnisse nach Kreislaufwirtschaftsgesetz seien nach Aufklärungsschreiben von der Beigeladenen durch Vorlage der Meldung und vorangehender Anzeige vorgelegt worden. Ein Ausschlusstatbestand im Hinblick auf eine angebliche baurechtswidrige Nutzung eines Betriebsstützpunktes bestehe nicht. Die Nutzung eines Betriebsstützpunkts begründe keine schwere Verfehlung. Eine bestandskräftige Untersagung der Nutzung liege nicht vor.
Die Entscheidung der Antragsgegnerin dahingehend, dass die von der Beigeladenen erteilte Preisaufklärung gemäß § 60 Abs. 3 VgV zufriedenstellend war, sei auf der Grundlage eines vollständig ermittelten Sachverhalts beurteilungsfehlerfrei getroffen worden. Die Beigeladene habe mit Schreiben vom 27. September und 18. Oktober 2022 geantwortet und die Preise schlüssig und nachvollziehbar erläutert. Die in den Dateien der Beigeladenen hinterlegten Funktionen stellten eine ausreichende Erläuterung der aufgeklärten Preise dar. Eine Preisaufklärung stelle keine inhaltliche Nachbesserung des Angebots dar. § 60 VgV schreibe keine bestimmte Form vor. Auch die in einer Datei hinterlegten und für den Empfänger erkennbaren und nachvollziehbaren Funktionen könnten eine ausreichende Erläuterung der aufgeklärten Preise darstellen. Zwar habe eine Abweichung zwischen den Angebotspreisen der Bieter in der Position 2.3.3 nicht ausreichend aufgeklärt werden. Der Preisunterschied resultiere hier in erster Linie aus dem hohen Angebotspreis der Antragstellerin. Die Kosten aus dieser Stillstands-Position seien im Vergleich zu den zu erwartenden Gesamtkosten aus dem Vertrag gering. Die Plausibilität der Preisaufklärung trotz Unaufklärbarkeit sei noch gewahrt. Auch die Positionen 1.2.5, 1.2.6, 1.4.5 und 1.4.6 hätten keine Anhaltspunkte dafür aufgewiesen, dass die Beigeladene den ausgeschriebenen Auftrag nicht entsprechend der Leistungsvorgaben ausführen könne. Von preistreibenden Faktoren könne hier nicht gesprochen werden. Denn die Einheitspreise in diesen Positionen spielten für den Gesamtauftrag nur eine untergeordnete Rolle. Auch die Preisunterschiede in den Positionen 1.1.1, 1.1.6, 1.3.1, 1.4.6 und 2.1.1 bis 2.1.8 seien hinsichtlich der Preisunterschiede aus den verschiedenen Fahrzeug- und Personalkosten verständlich und nachvollziehbar dargelegt worden. Dies ergebe sich aus der Kalkulation mit Neufahrzeugen versus Gebrauchtfahrzeugen sowie unterschiedlicher Kosten für die Montage zum Auf- und Abbau von Winterdienstgeräten aufgrund der Bauart. Das Preisaufklärungsgespräch vom 21. Oktober 2022 sei zulässig gewesen. § 60 VgV begrenze die Kontaktaufnahme nicht, vielmehr könne der Auftraggeber sogar dazu verpflichtet sein "nachzufassen". Auch sei eine mündliche Kommunikation gemäß Artikel 22 Abs. 2 Satz 1 RL 2014/24/EU nicht ausgeschlossen, soweit keine wesentlichen Bestandteile des Vergabeverfahrens betroffen seien und der Inhalt ausreichend dokumentiert sei. Hier seien einzelne Aspekte noch nicht restlos aufgeklärter Kalkulationsmaßgaben zu untergeordneten Positionen betroffen gewesen. Die Dokumentation sei ausreichend und vergaberechtskonform. Die Annahme eines im Zuschlagsfalle ordnungsgemäßen Vertragsvollzugs sei gerechtfertigt. Die Beigeladene habe sich mit der Leistungsbeschreibung vertieft auseinandergesetzt. Eine positive Prognose sei möglich, dass der Auftrag ordnungsgemäß, ohne Nachträge, erfüllt werde. Die Beigeladene habe mit ihrem Angebot auch keine Veranlassung gegeben, dass sie die arbeitsrechtlichen Vorgaben nicht einhalten werde. Dem Leistungsversprechen dürfe die Antragsgegnerin vertrauen. Kein Beurteilungsfehler ergebe sich daraus, dass die Antragsgegnerin sich auch auf die Schätzung ihres Auftragswerts stütze, wenn sie insoweit feststellt, dass ein Vergleich des Angebotspreises der Beigeladenen mit dem geschätzten Auftragswert die für eine obligatorische Preisprüfung relevante Schwelle nicht erreiche. Die Schätzung sei eine valide Grundlage für die Entscheidung über die Preisprüfung.
Der Hilfsantrag auf Aufhebung der Ausschreibung sei unbegründet. Eine Aufhebung stehe gemäß § 63 VgV im Ermessen der Vergabestelle. Hier bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vergabeunterlagen von den Bietern in unterschiedlichem Sinne verstanden worden sein könnten. Die Antragstellerin zeige auch nicht auf, inwieweit sie durch eine eventuelle Widersprüchlichkeit in ihren Rechten verletzt worden sein solle. Die Beigeladene habe ein Fahrzeug mit einem Gesamtgewicht von 27 Tonnen angeboten. Die angeblichen Unklarheiten würden von der Antragstellerin nunmehr nachträglich vorgebracht, während sie während des Vergabeverfahrens keine Veranlassung dafür gesehen habe, entsprechende Fragen zu stellen.
c) Mit Beschluss vom 22. September 2022 wurde die Beigeladene zum Verfahren hinzugezogen. Sie hat zu den gegen ihr Angebot gerichteten Ausführungen im Nachprüfungsverfahren Stellung genommen. Sie erfülle sämtliche in der Ausschreibung und in den Nachforderungsschreiben geforderten Bedingungen, Auflagen, Nachweise und Genehmigungen. Diese seien vorhanden, würden eingehalten und entsprechend beigebracht bzw. stünden, soweit nicht schon gefordert, zur Einsicht bereit.
Sie habe für das Fahrzeug 1 eine Pflugkombination wie vorgegeben angeboten. Sie verweist auf die Wiegeprotokolle, die Berechnung der Räumbreite sowie die Ausnahmegenehmigung der zuständigen Behörde. Der Hersteller gebe an, dass eine Räumung bei einem Schwenkwinkel von 45° effektiver sei. Mit diesem höheren Schwenkwinkel könne man bei der angegebenen Pflugkombination, bei ausreichender Überlappung ohne Weiteres eine Räumbreite von 6,70m erreichen. Die Antragstellerin hätte im Rahmen einer Bieterfrage klären können, wenn sie die Vorgaben für unzureichend halte. Ihr Mobilbagger erfülle die Reichweite des Auslegers von 14 m mit den notwendigen Anbaugeräten. Sie führt dazu aus. Eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung sei nicht notwendig.
Die Angaben im Angebot wiesen ausreichend Personal innerhalb eines 24-StundenBetriebes auf.
Eine Transportgenehmigung beziehungsweise Meldung gem. § 53 KrWG mit amtlicher Bestätigung und aktualisierter Meldung lägen vor. Das aktuelle Zertifikat zum Entsorgungsfachbetrieb der Entsorgungsanlage sei auf Nachforderung ebenfalls übersandt worden. Die Beigeladene und ihr Unterauftragnehmer könnten entsprechende Genehmigungen für die Betriebsstandort beziehungsweise gemietete Lagerflächen für Einsatzfahrzeuge vorlegen.
Sie habe alle Positionen des Leistungsverzeichnisses positionsbezogen und auskömmlich kalkuliert. Bei der Preisprüfung gemäß § 60 VgV habe sie mitgewirkt.
Die Vergabekammer hat der Antragstellerin nach vorheriger Zustimmung der Antragsgegnerin Einsicht in die Vergabeakten gewährt, soweit keine geheimhaltungsbedürftigen Aktenbestandteile betroffen waren. Die Antragstellerin hat ergänzende Akteneinsicht in die Antwort der Beigeladenen auf das spätere Aufklärungsersuchen, die Dokumentation der Preisprüfung und das EFB-Zertifikat der für die Entsorgung vorgesehenen Firma beantragt.
In der mündlichen Verhandlung am 10. November 2022 hatten die Beteiligten Gelegenheit, ihre Standpunkte darzulegen und mit der Vergabekammer umfassend zu erörtern. Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 14. November 2022 hat die Antragstellerin sich im Nachgang zur mündlichen Verhandlung unter Wiederholung ihres bisherigen Sachvortrags geäußert. Die Ausführungen sind gemäß § 167 Abs. 2 S. 2 GWB als verspätet zurückzuweisen und wurden von der Vergabekammer nicht berücksichtigt.
Durch Verfügung des Vorsitzenden vom 25. Oktober 2022 wurde die Entscheidungsfrist bis zum 18. November 2022 einschließlich verlängert.
Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakten der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist teilweise zulässig, im Übrigen unbegründet.
1. Der Nachprüfungsantrag ist teilweise zulässig.
a) Die Antragstellerin hat die geltend gemachten Vergaberechtsverstöße rechtzeitig im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB gerügt.
Die Rügeschreiben vom 30. August und 14. September 2022 genügen den an eine ordnungsgemäße Rüge zu stellenden Anforderungen. Da ein Bieter regelmäßig nur begrenzten Einblick in den Ablauf des Vergabeverfahrens hat, darf er - etwa wenn es um Vergaberechtsverstöße geht, die sich ausschließlich in der Sphäre der Vergabestelle bewegen oder das Angebot eines Mitbewerbers betreffen - im Rahmen der Rüge vortragen, was er auf Grundlage seines Informationsstands redlicherweise für wahrscheinlich oder möglich halten darf. Insoweit ist jedoch ein Mindestmaß an Substantiierung einzuhalten. In der Rüge müssen zumindest Anknüpfungstatsachen oder Indizien vorgetragen werden, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen. Der Antragsteller ist gehalten, Erkenntnisquellen auszuschöpfen, die ihm ohne großen Aufwand zur Verfügung stehen. Zudem muss er, um eine Überprüfung zu ermöglichen, angeben, woher seine Erkenntnisse stammen (vgl. zuletzt OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. März 2021, Verg 9/21 m.w.N.). Die Rügen der Antragstellerin genügen diesen Anforderungen. Es handelt sich bei den geltend gemachten Vergabeverstößen ausschließlich um solche, die interne Prüfungsschritte der Antragsgegnerin (Eignungsprüfung, Einhaltung der Vorgaben der Leistungsbeschreibung) sowie die - der Antragstellerin nicht bekannte - Kalkulation der Beigeladenen (Prüfung der Auskömmlichkeit des Angebotspreises durch die Antragsgegnerin) betreffen.
b) Das für die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB erforderliche Interesse am Auftrag hat die Antragstellerin durch die Abgabe eines Angebots hinreichend dokumentiert. Ihr droht ein Schaden im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB, weil im Falle eines Ausschlusses des Angebots der Beigeladenen ihr Angebot als zweitplatziertes Angebot für den Zuschlag in Frage kommt.
Die Antragstellerin fehlt es allerdings im Hinblick auf die geltend gemachten Verstöße gegen Bauordnungsrecht durch den Nachunternehmer der Beigeladenen, gegen das Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung (AÜG), das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) sowie die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) an der Antragsbefugnis. Hierzu müsste sie sich auf eine Verletzung ihres subjektiven Rechts auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren nach § 156 Abs. 2 iVm § 97 Abs. 6 GWB berufen. Denn der vor der Vergabekammer geltend zu machende Rechtsanspruch setzt voraus, dass es sich bei den in Rede stehenden Vorschriften um originär vergaberechtliche Normen handelt oder zumindest sonstige Ansprüche geltend gemacht werden, die auf die Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet sind (s. § 156 Abs. 2 GWB). Erforderlich ist hierfür eine hinreichend bestimmte Regelung über eine Verhaltenspflicht des öffentlichen Auftraggebers gegenüber dem einzelnen Mitbewerber. Normen, die etwa nur die Durchführung öffentlicher Aufträge, nicht aber das Vergabeverfahren selbst betreffen, gehören nicht zu den Bestimmungen, deren Einhaltung der Bieter gemäß § 156 Abs. 2 iVm § 97 Abs. 6 GWB verlangen kann (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. April 2003, Verg 43/02). Eine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle durch die Nachprüfungsinstanzen erfolgt nicht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Juni 2005, Verg 5/05). Die von der Antragstellerin angeführten, von ihr vermuteten Verstöße der Beigeladenen gegen Bauordnungsrecht, KrWG, AÜG sowie die StVZO betreffen im Sinne der genannten Rechtsprechung primär die Ausführung des öffentlichen Auftrags. Eine Relevanz im Hinblick auf Bestimmungen des Vergabeverfahrens kann ihnen nur dann zukommen, wenn eine vergaberechtliche Anknüpfungsnorm einen Verstoß sanktioniert. In Betracht kommt hier ein Ausschlusstatbestand nach § 124 Abs. 1 GWB. Ein Ausschlussgrund wäre danach tatbestandlich gegeben, wenn ein Unternehmen gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB bei der Ausführung öffentlicher Aufträge nachweislich gegen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen verstoßen hat. Oder wenn das Unternehmen gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt ist. Voraussetzung für das Vorliegen des - fakultativen - Ausschlusstatbestands ist allerdings das Vorliegen einer gesicherten Kenntnis des Auftraggebers. Ein Ausschluss setzt daher voraus, dass der öffentliche Auftraggeber einen Verstoß gegen entsprechende Verpflichtungen nachweisen kann. Vermutungen oder Anhaltspunkte reichen hierfür ebenso wenig aus, wie laufende Ermittlungs- oder Verwaltungsverfahren oder dringende Verdachtsmomente. Unbelegte Behauptungen anderer Bieter genügen nicht. Eine rechtskräftige oder bestandskräftige Feststellung der Pflichtverletzung reicht hingegen regelmäßig aus, ist aber nicht zwingend erforderlich (vgl. Stolz in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, § 124 Rn. 9).
Vorliegend fehlt es im Hinblick auf Verstöße gegen Normen des Bauordnungsrechts (durch den Nachunternehmer), gegen KrWG, AÜG sowie die Vorschriften zum zulässigen Gesamtgewicht eines Kraftfahrzeugs nach StVZO an den notwendigen gesicherten Erkenntnissen über etwaige Verstöße. Nach Angaben der Antragstellerin gibt es im Hinblick auf einen möglichen Verstoß gegen die Baunutzungsverordnung keine behördliche Verfügung gegenüber der Nachunternehmerin der Beigeladenen. Auch im Übrigen vermutet die Antragstellerin allenfalls Verstöße gegen Normen des KrWG, AÜG sowie StVZO, ohne dass hier bestandskräftige oder zumindest bewiesene Feststellungen über Verstöße vorliegen würden (zum Erfordernis eines Vollbeweises im Sinne von § 286 ZPO soweit die Tatbestände des §124 Abs. 1 GWB "nachweisliche" Verstöße erfordern siehe OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Juni 2022, Verg 36/21). Darüber hinaus ist bei den geltend gemachten Verstößen auch in materieller Hinsicht zweifelhaft, ob sie die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen (dazu unten, Ziffer 2. lit. f).
Hinsichtlich der übrigen Rügepunkte liegt die Antragsbefugnis vor.
2. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Das Angebot der Beigeladenen ist nicht gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV wegen Änderung der Vergabeunterlagen im Hinblick auf die Anforderungen an die Schneepflüge (dazu unter lit. a), an die Reichweite des Mobilbaggers (unter lit. b), an das angebotene Sicherungsfahrzeug für die Mäharbeiten (lit. c) auszuschließen. Die Beigeladene hat die geforderten Erklärungen zum Einsatz eines Unterauftragnehmers vorgelegt (lit. d). Das Angebot der Beigeladenen ist nicht wegen Änderung der Vergabeunterlagen im Hinblick auf das einzusetzende Personal im Winterdienst auszuschließen (lit. e). Es spricht zudem vieles dafür, dass die geltend gemachten Verstöße gegen Normen des KrWG, AÜG sowie StVZO schon tatbestandlich nicht vorliegen (lit. f). Die Entscheidung der Antragsgegnerin, das Angebot der Beigeladenen nicht wegen eines ungewöhnlich niedrigen Angebots gemäß § 60 Abs. 3 GWB auszuschließen, bewegt sich im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums (lit. g). Eine Teilaufhebung und Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Versendung der Auftragsbekanntmachung, von der Antragstellerin hilfsweise geltend gemacht, kommt nicht in Betracht (lit. h).
a) Das Angebot der Beigeladenen ist nicht gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV wegen Änderung der Vergabeunterlagen im Hinblick auf die Anforderungen an die Schneepflüge des Fahrzeugs 1 von der Wertung auszuschließen. Die Prüfung der Antragsgegnerin ist nicht zu beanstanden.
Der von der Beigeladenen angebotene Schneepflug weist mit Front- und Seitenpflug die in der Ausführungsbeschreibung unter Ziffer 2.2 für das Fahrzeug 1 geforderte "Mindesträumbreite/32°" von 6,70 m auf. Der Frontpflug nimmt bei einem Schwenkwinkel von 32° eine Breite von 5,91 m ein, hinzu kommt der Seitenflügel, der mit einer Überlappung und einem entsprechenden Schwenkwinkel von 32° die vorgeschriebene Mindesträumbreite erreicht. Aufgrund der Breite der beiden Schneepflüge ist nach den Angaben der Beigeladenen (und durch die vorgelegte Skizze des Herstellers bestätigt, siehe Anlage 1b des Schriftsatzes vom 11. Oktober 2022) das Erreichen der Mindesträumbreite von 6,70 m auch bei einem Schwenkwinkel von 45° gewährleistet.
Ob letzteres - ein Räumen mit einem Winkel von 45° eine Abweichung von den Vergabeunterlagen darstellt, so die Antragstellerin - muss an dieser Stelle nicht entschieden werden. Die Antragstellerin trägt vor, dass mit einem Seitenpflug mit einem Seitenwinkel von 32° nicht geräumt werden könne, da der Schnee seitlich nicht abfließe.
Der geforderte Winkel sei nur mit dem Vorderpflug erreichbar, ein Seitenpflug habe einen Winkel von 42-50°. In ihrer Rüge vom 14. September 2022 (nach Erhalt des § 134 GWBSchreibens) hat die Antragstellerin bemängelt, es sei unklar, welcher Pflug welchen Winkel haben müsse. Falls die Beigeladene aber einen Seitenschneepflug mit einem Winkel von 45° angeboten habe, entspreche dies nicht den Vorgaben der Vergabeunterlagen. Abgesehen davon, dass eine Rüge dieses Umstands gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB bis zum Angebotsabgabe hätte erfolgen müssen - von einer Erkennbarkeit ist bei einem fachkundigen Bieter, spätestens bei der Angebotskalkulation unter Beachtung der Vorgaben der Leistungsbeschreibung auszugehen -, ist der Vortrag jedoch widersprüchlich, als auch die Antragstellerin bei dem von ihr eingesetzten Seitenpflug ihrem eigenen Vortrag zufolge keinen Winkel von 32° anbieten kann. Sollte das Angebot der Beigeladenen deshalb nicht den Vorgaben der Vergabeunterlagen entsprechen, wäre dies auch beim Angebot der Antragstellerin der Fall. Der Zuschlag könnte auf keines der Angebote ergehen. Die Frage des korrekten Schwenkwinkels des Seitenpflugs kann jedoch letztlich offen bleiben, denn es ist davon auszugehen, dass beide Bieter die von der Antragsgegnerin gestellten - und vor Angebotsabgabe von keinem Bewerber gerügten - Anforderungen der Vergabeunterlagen einer Mindesträumbreite von 6,70 m auch bei einem höheren Schwenkwinkel des Seitenpflugs einhalten.
Ein Abweichen von der Leistungsbeschreibung ist auch nicht deshalb anzunehmen, weil eine rechtzeitige Reparatur und Ersatzteilversorgung bei der von der Beigeladenen angebotenen Pflugkombination nicht sichergestellt sein könnte. Abgesehen davon, dass die Beigeladene eine Pflugkombination angeboten hat, die der Leistungsbeschreibung entspricht, schuldet sie eine vertragskonforme Leistung. Die Antragstellerin hat hier zur Plausibilisierung der Abweichung von den Vergabeunterlagen lediglich darauf verwiesen, dass der schweizerische Hersteller - soweit dieser von der Beigeladenen angeboten worden sei - keinen Vertrieb über deutsche Händler aufweise. Reparaturen (möglicherweise in einer Werkstatt des Auftragnehmers) oder eine rechtzeitige Ersatzteilversorgung aus der Schweiz erscheinen aus Sicht der Vergabekammer aber nicht ausgeschlossen. Hierzu fehlt ein substantiierter Vortrag. Ob der Nachunternehmer - wie die Antragstellerin zuletzt vorgetragen hat - von der hier betroffenen Autobahnmeisterei einen Seitenpflug geliehen hat, kann gleichfalls nicht zur Herleitung eines Abweichens von der Leistungsbeschreibung dienen. Selbst wenn man unterstellt, die Information wäre korrekt, wäre insoweit der konkrete Bezug zum vorliegenden Vergabeverfahren offen, denn die Nachunternehmerin könnte durchaus auch andere Aufträge für andere Auftraggeber ausführen und hierfür einen Seitenpflug benötigen. Sie führt aus Sicht der Vergabekammer jedenfalls ohne weitere belastbare Tatsachen hier nicht zu einem Ausschlussgrund wegen Abweichens von der Leistungsbeschreibung.
b) Das Angebot der Beigeladenen ist nicht gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV wegen Änderung der Vergabeunterlagen im Hinblick auf die Anforderungen an die Reichweite des Mobilbaggers von der Wertung auszuschließen. Die Prüfung der Antragsgegnerin ist nicht zu beanstanden.
Der von der Beigeladenen angebotene Mobilbagger erfüllt die Anforderungen der Ausführungsbedingungen in Teil 2 (Grasmäharbeiten) unter Ziffer 5.1.3 (Weitere mögliche Leistungen). Danach ist die Stellung eines Geräteträgers und/oder eines Mobilbaggers mit einer "Reichweite des Auslegers bis 14,0 m" gefordert. Im Leistungsverzeichnis heißt es in Ziffer 2.3.5: "Einsatz eines Mobilbaggers (Ausleger-Reichweite bis 14,0 m) einschließlich Bedienpersonal für zusätzliche Grün- bzw. Gehölzpflegearbeiten". In der Antwort auf Bieterfrage Nr. 6 teilte die Antragsgegnerin mit: "Die Reichweite des Mobilbaggers soll mindestens 14 m betragen (siehe Änderungspaket Nr. 1)". Nach einer entsprechenden Aufforderung der Antragsgegnerin zur Aufklärung mit Schreiben vom 2. September 2022 (vgl. Ziffer 2.27) hat die Beigeladene mit Schreiben vom 6. September 2022 bestätigt, dass der in ihrem Eigentum befindliche Mobilbagger Sennebogen "718E" eine Reichweite von mehr als 14 m habe und dies schriftsätzlich im Nachprüfungsverfahren unter Hinweis auf die Anbaugeräte, mit denen die Gehölzarbeiten vorgenommen werden, wiederholt. Laut Broschüre des Herstellers weist der Fällbagger unter "Technische Daten, Ausstattung / Arbeitsausrüstung" eine Reichweite von bis zu 15 m mit Anbaugerät auf (siehe Seite 20, auffindbar unter www.sennebogen.com/produkte). Der reine Ausleger ohne Anbaugeräte hat bei der Angabe der Traglastwerte auf Seite 22 der Broschüre eine Reichweite von 13 m in der Waagrechten bis zum sog. Stielende. In der Senkrechten weist er eine Länge bis zum Stielende über 14 m und mit Anbaugerät von nahezu 16 m auf. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist allerdings nicht allein auf das Stielende des waagrechten Auslegers ohne Anbaugeräte abzustellen. Die Frage, welcher Erklärungswert den maßgeblichen Teilen der Vergabeunterlagen zukommt, ist nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) zu entscheiden. Dabei ist im Rahmen einer normativen Auslegung auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter beziehungsweise Bewerber, also einen abstrakten Adressatenkreis, abzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13). Es kommt darauf an, wie der durchschnittliche Bewerber des angesprochenen Bewerberkreises die Unterlagen verstehen musste oder konnte. Entscheidend ist die Verständnismöglichkeit aus der Perspektive eines verständigen und mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Unternehmens, das über das für eine Angebotsabgabe oder die Abgabe eines Teilnahmeantrags erforderliche Fachwissen verfügt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Juni 2022, VII-Verg 19/22). Aus der Perspektive eines verständigen Bieters ist - unter Berücksichtigung der Antwort auf die Bieterfrage Nr. 6 - auf die "Reichweite des Mobilbaggers" als Arbeitsgerät und nicht allein auf die reine Stiellänge des Auslegers abzustellen. Hierfür entscheidend ist der Einsatzzweck des Baggers. Nach der Ausführungsbeschreibung (Ziffer 5.1.3, 1. Spiegelstrich) sind für das Freihalten bestimmter Anlagen im Außenbereich von Gras- und Gehölzbewuchs Anbaugeräte zu verwenden, deren Einsatz auch zur Bearbeitung von Gräsern, Ästen und Strauchwerk geeignet ist. Es spricht daher einiges dafür, bei der Anforderung der Antragsgegnerin die Reichweite des arbeitsfähigen Baggers einschließlich Anbaugerät zu berücksichtigen. Mit Anbaugeräten erfüllt der von der Beigeladenen angebotene Mobilbagger die Anforderung einer Reichweite von 14 m auch in der Waagrechten. Für diese Auslegung sprechen insbesondere auch die Angaben des Herstellers in der Produktbroschüre ("Reichweite bis zu 15 m", Seite 1 und 20). Die zeichnerische Darstellung der Radien auf Seite 22 der Broschüre dient hingegen laut "Anmerkungen" des Herstellers zur Festlegung der Traglastwerte. Dabei wird auf das Stielende des Auslegers ohne Anbaugeräte abgestellt. In einer Länge von 13 m darf nach der Zeichnung bei entsprechend tragfähigem Untergrund eine Belastung von 1,69 t aufnehmen. Aufgrund der technischen Vorgaben zur Festlegung der zulässigen Traglast am Stielende ist nicht gleichzeitig auf die Reichweite des Baggers im Arbeitseinsatz zu folgern. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Vorgabe der Antragsgegnerin einer Reichweite von 14 m nicht technisch, sondern praktisch mit Bezug zur Arbeitsleistung anzusehen ist. Auch die Beigeladene hat insoweit bestätigt, dass der Fällbagger mit den hier benötigten Anbaugeräten die Reichweite erreicht. Nur das Arbeitsgerät Freischneider sei mit 0,5 m kürzer, so dass der Bagger dann nur eine Reichweite von 13,5 m aufweise. Wenn aber die vorliegend im Wesentlichen einzusetzenden Anbaugeräte, etwa der benötigte Woodcracker, die Reichweite von 14 m erreichen, sind die Anforderungen der Ausschreibung erfüllt.
c) Das Angebot der Beigeladenen ist nicht gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV wegen Änderung der Vergabeunterlagen im Hinblick auf die Anforderungen an das angebotene Sicherungsfahrzeug für die Mäharbeiten von der Wertung auszuschließen. Das von der Beigeladenen angebotene Fahrzeug für die Fahrbahnsicherung hält nach der vorgelegten Eigenerklärung die zulässige Achslast von 25 t ein.
d) Die Beigeladene stützt sich im Hinblick auf Teile des Winterdiensts nach Nr. 2 der Ausführungsbeschreibung auf die Kapazität eines anderen Unternehmens. Sie hat in dem entsprechenden Formblatt "Verzeichnis der Leistungen von Unterauftragnehmern" mit Angebotsabgabe die betreffenden Angebotsteile ordnungsgemäß benannt und die Verpflichtungserklärung des vorgesehenen Unternehmens vorgelegt.
e) Das Angebot der Beigeladenen ist nicht wegen Änderung der Vergabeunterlagen im Hinblick auf die Anforderungen an das einzusetzende Personal im Winterdienst auszuschließen. Aufgrund der Vorgaben der Ausführungsbedingungen sind die Fahrzeuge in der Winterdienstperiode jeden Tag von 00:00 Uhr bis 24:00 Uhr in einem betriebs- und verkehrssicheren Zustand vorzuhalten. Die Bereitstellung des Bedienpersonals gemäß Arbeitszeitgesetz in diesem Zeitraum ist bei der Kalkulation mit zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass nach Arbeitszeitgesetz innerhalb eines Dauereinsatzes bei Schneefall in 24 Stunden ein Drei-Schicht-Betrieb gewährleistet sein muss. Beim Räumeinsatz wird nach Ziffer 2.8 der Ausführungsbedingungen zur Leistungserbringung neben dem Fahrer des Fahrzeugs zusätzlich ein Beifahrer zur Bedienung des Seitenräumpfluges benötigt. Daher sind in der Winterperiode für den Fall des Räumeinsatzes in drei Schichten insgesamt 9 Personen (Fahrzeug 1 mit 6 Personen, Fahrzeug 2 mit 3 Personen) einzusetzen. Die Beigeladene erfüllt diese Anforderungen selbst und unter Inanspruchnahme der Kapazitäten ihres Nachunternehmers (für Teile des Winterdienstes) mit den in der Eignungserklärung angegebenen technischen Fachkräften (siehe "Anlagen zum Angebot" zum Formblatt Eigenerklärung der Beigeladenen sowie "vorläufiger Personaleinsatzplan" des Nachunternehmers). Bestätigt wird der geforderte Personaleinsatz auch durch die Kalkulationsunterlagen "Winterdienst" (siehe hier: Stundensätze).
f) Darüber hinaus spricht bei den geltend gemachten Verstößen gegen Normen des KrWG, AÜG sowie StVZO neben der bereits oben festgestellten fehlenden Antragsbefugnis auch in materieller Hinsicht viel dafür, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der von der Antragstellerin geltend gemachten Normen und die damit einhergehenden Verstöße nicht vorliegen. Es ist davon auszugehen, dass nach den Vergabeunterlagen keine gefährlichen Abfälle nach § 54 KrWG zu verwerten sind. Die Ausführungsbeschreibung sieht in 5.1.1 vor, dass das Mähgut, insbesondere aus den "Intensivbereichen" Verunreinigungen wie Reiseabfälle, Glas, Kleinmetalle enthalten kann. Die fachgerechte Verwertung ist vom Auftragnehmer während der Auftragsausführung nachzuweisen. Einer Erlaubnis nach § 54 KrWG bedarf es daher nicht, sondern lediglich einer Anzeige nach § 53 Abs. 1 KrWG. Letztere ist in einer aktualisierten Fassung (Änderungsanzeige) von der Beigeladenen vorgelegt worden.
Ebenfalls zweifelhaft ist nach der Konzeption der Ausschreibung das Erfordernis einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nach AÜG. Zum einen ist die Vorlage einer Erlaubnis nach den Ausführungsbedingungen nicht explizit gefordert. Zum anderen bestehen Zweifel daran, ob ein Erlaubnistatbestand überhaupt besteht. Eine Arbeitnehmerüberlassung liegt gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG nur vor, wenn Arbeitnehmer in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert werden und seinen Weisungen unterliegen. Hierfür gibt es schon nach den Ausführungsbedingungen keine Anhaltspunkte: Eine Eingliederung ist dort nicht vorgesehen, lediglich ein Einsatz "im besonderen Fall", z.B. bei Personalausfall der Antragsgegnerin (vgl. Ziffer 1.1, letzter Spiegelstrich der Ausführungsbedingungen). Bei den Mäharbeiten hat die Antragsgegnerin die Bereitstellung von bis zu drei Mitarbeitern geregelt, die bei Bedarf der Antragsgegnerin angefordert werden können (jeweils vor der Grasmahd, vgl. Ziffer 5.1.3, letzter Spiegelstrich). Jedenfalls fehlt es aber an einer Anwendbarkeit des AÜG gemäß § 1 Abs. 3 Ziffer 2a AÜG, denn die Überlassung ist nach den gerade dargestellten Bedingungen nur "gelegentlich" und die Mitarbeiter der Beigeladenen - so auch in der mündlichen Verhandlung bestätigt - werden nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt.
Auch hinsichtlich des zulässigen Gesamtgewichts des Räum- und Streufahrzeugs (Fahrzeug 1) nach StVZO liegen keine gesicherten Anhaltspunkte für einen Verstoß vor. Vielmehr hat die Beigeladene eine aktuelle Ausnahmegenehmigung gemäß § 70 StVZO der [...] für das Winterdienstfahrzeug ihres Nachunternehmers mit einem erhöhten zulässigen Gesamtgewicht vorgelegt.
g) Die Antragsgegnerin ist ihrer Pflicht zur Aufklärung der Preise nach § 60 Abs. 1 VgV nachgekommen. Die vorgenommene Aufklärung der Preise / Kosten des Angebots der Beigeladenen begegnet keinen Bedenken. Die Entscheidung der Antragsgegnerin, das Angebot der Beigeladenen nicht wegen eines ungewöhnlich niedrigen Angebots gemäß § 60 Abs. 3 GWB auszuschließen, bewegt sich im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums.
aa) Vorliegend bestand aufgrund des Erreichens der nach ständiger Rechtsprechung bestehenden Aufgreifschwelle eine Pflicht zur Aufklärung der Preise nach § 60 Abs. 1 VgV, denn der Abstand des Angebots der Beigeladenen zum Angebot der Antragstellerin liegt bei mehr als 20%. Eine Preisprüfung ist bei Erreichen einer Aufgreifschwelle eines Preisunterschieds von 20 % zum nächsthöheren zwingend durchzuführen (vgl. BGH, Beschluss vom 31.01.2017, X ZB 10/16; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. April 2019, Verg 49/18). Inwieweit eine geringere Abweichung von einer qualifizierten Kostenschätzung der Antragsgegnerin vorliegt, muss hier nicht weiter geprüft werden, da zwei Angebote vorliegen (vgl. grundsätzlich EuGH, Urteil vom 15. September 2022, C-669/20).
Der Prüfpflicht ist die Antragsgegnerin während des laufenden Nachprüfungsverfahrens zunächst durch das Aufklärungsersuchen vom 23. September 2022 nachgekommen. Hier hat die Antragsgegnerin die Aufklärung einzelner Angebotspreise nach § 60 Abs. 2 VgV bei Antragstellerin und Beigeladener angefordert. Bei der Antragstellerin betraf dies alle Positionen (Mäh- und Winterdienst), bei der Beigeladenen einzelne Positionen des Winterdienstes. Mit weiterem Aufklärungsschreiben vom 17. Oktober 2022 bat die Antragsgegnerin um eine ergänzende Aufklärung für die weiteren - bis dahin noch nicht aufgeklärten - Positionen des Leistungsverzeichnisses der Beigeladenen.
(1) Die Beigeladene ist beiden Aufklärungsersuchen ordnungsgemäß nachgekommen. Sie hat der Antragsgegnerin ihre vollständige Kalkulation in Form von schriftlichen Erläuterungen (per PDF) und Excel-Dateien (einschließlich Nutzung der Kommentarfunktion mit weiteren Erläuterungen) durch Hochladen auf der elektronischen Vergabeplattform zur Verfügung gestellt. Die Verwendung elektronischer Dateien (hier insbesondere Excel und die dort zur Verfügung stehende Kommentarfunktion) ist im Rahmen der Aufklärung im elektronischen Vergabeverfahren gemäß § 9 Abs. 1 VgV sachgerecht. Danach verwenden öffentliche Auftraggeber und die Unternehmen für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten in einem Vergabeverfahren grundsätzlich Geräte und Programme für die elektronische Datenübermittlung. Die Beigeladene ist ihrer Mitwirkungsobliegenheit dementsprechend ordnungsgemäß nachgekommen.
(2) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin durfte die Antragsgegnerin ihre zu Beginn unvollständige Aufklärung der Preise der Beigeladenen durch weitere Preisaufklärung präzisieren und ergänzen. Die Antragsgegnerin ist bei der Preisaufklärung nicht auf eine einmalige Aufforderung zur Aufklärung reduziert. Sind die Antworten des Bieters - bedingt möglicherweise auch durch ungenaue oder unzureichende Fragen des Auftraggebers - diffus oder nicht hinreichend, kann der Auftraggeber beispielsweise verpflichtet sein, "nachzufassen" und unter Fristsetzung eine weitere Begründung anzufordern. Andererseits muss sich der Auftraggeber angesichts des Beschleunigungsgebots im Allgemeinen nicht auf eine mehr als einmalige Nachforderung einlassen (vgl. Dicks in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, 2. Auflage 2022, § 60 Rn. 18). Die Antragsgegnerin durfte daher hier weiter aufklären, insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass inhaltlich nicht vollständig aufklärt worden war.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die Aufklärung der Preise grundsätzlich nicht vergleichbar mit der Nachforderung von Unterlagen gemäß § 56 Abs. 2 VgV. Danach kann der öffentliche Auftraggeber den Bewerber oder Bieter zur Nachreichung, Vervollständigung oder Korrektur fehlender, unvollständiger oder fehlerhafter unternehmensbezogener Unterlagen sowie zur Nachreichung oder Vervollständigung fehlender oder unvollständiger leistungsbezogener Unterlagen auffordern. In einem solchen Fall ist ein Angebot bei unvollständiger Einreichung der nachgeforderten Unterlagen nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV von der Wertung auszuschließen. Eine weitere Nachforderung ist nicht zulässig (so auch 1. Vergabekammer des Bundes, Beschluss vom 11. März 2022, VK 1-23/22). Die Nachreichung von Unterlagen nach § 56 Abs. 2 VgV ist aber mit der Aufklärung der Preise gemäß § 60 VgV nicht gleichzusetzen. Hier klärt der Auftraggeber die kalkulatorischen Grundlagen des Angebots auf (das Angebot bleibt insofern unverändert). Der Auftraggeber ist hierbei frei darin, solange aufzuklären bis er die zweckentsprechenden Informationen zur Prüfung des Ausschlussgrunds eines ungewöhnlich niedrigen Angebots nach § 60 Abs. 3 VgV erhalten hat.
(3) Die weitere Aufklärung der Positionen 1.2.5, 1.2.6, 1.4.5 und 1.4.6 (Überprüfung der Winterdienstgeräte Fahrzeuge 1 und 2) durch Telefonat mit der Beigeladenen am 21. Oktober 2022 war statthaft.
Eine Aufklärung über die Angebote darf im offenen Verfahren nach § 15 Abs. 5 Satz 1 VgV im Rahmen des § 9 Abs. 2 GWB mündlich geschehen (vgl. Wichmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 9 Rn. 9). Änderungen der Angebote oder Preise sind nach § 15 Abs. 5 Satz 2 VgV unzulässig. § 9 Abs. 2 VgV untersagt in diesem Zusammenhang nicht die mündliche Kommunikation in einem Vergabeverfahren, solange sie lediglich in der Aufklärung des Angebots besteht. Dies ergibt sich aus einer Auslegung der Norm. Bei einer Gesetzesauslegung ist über den Wortlaut hinaus neben Systematik sowie Sinn und Zweck der Norm gerade auch der Wille des Gesetzgebers zu berücksichtigen. Nach der Gesetzesbegründung der Verordnung zur Modernisierung des Vergaberechts ist nach § 9 Abs. 2 VgV eine mündliche Kommunikation über die Angebote gerade nicht ausgeschlossen (vgl. BT-Drucksache 18/7318 vom 20. Januar 2016, zu § 9 Abs. 2, S. 153). So setzt die Regelung Artikel 22 Absatz 2 der Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe vom 26. Februar 2014 um. In Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU heißt es ausdrücklich, dass "die mündliche Kommunikation mit Bietern, die einen wesentlichen Einfluss auf den Inhalt und die Bewertung des Angebots haben könnte, in hinreichendem Umfang und in geeigneter Weise dokumentiert werden" muss. Hieraus ergibt sich, dass der EU-Richtliniengeber die Berücksichtigung einer mündlichen Kommunikation auch im Rahmen der Angebotswertung als zulässig erachtet. Diese Zulässigkeit wird vom innerstaatlichen Gesetzgeber in der Begründung zur VgV ohne Einschränkung aufgegriffen, indem es dort in der Begründung zu § 9 Abs. 2 heißt:
"Bei der Dokumentation der mündlichen Kommunikation mit Bietern, die einen Einfluss auf Inhalt und Bewertung von deren Angebot haben könnte, ist in besonderem Maße darauf zu achten, dass in hinreichendem Umfang und in geeigneter Weise dokumentiert wird."
Grundsätzlich kann daher sogar die fachlich-inhaltliche Vorstellung des Angebots sowie des einzusetzenden Personals in Form einer mündlichen Präsentation vorgenommen und entsprechend bewertet werden (vgl. 1. Vergabekammer des Bundes, Beschluss vom 13. November 2019, VK 1 - 83/19; OLG München, Beschluss vom 2. November 2011, Verg 26/12). Erst recht muss dies für die mündliche Aufklärung von schriftlichen Angebotsinhalten und die Preisaufklärung gelten. Die Antragstellerin hat hier entsprechend die Preise in bestimmten Positionen des Winterdienstes aufgeklärt und dies in einem Vermerk vom 24. Oktober 2022 ausreichend und in geeigneter Weise dokumentiert. Vor dem Hintergrund des Beschleunigungsgebots war eine mündliche Nachfrage mit entsprechender Dokumentation der Antworten nach § 9 Abs. 2 VgV statthaft.
bb) Die Entscheidung der Antragsgegnerin, den Zuschlag nicht wegen eines ungewöhnlich niedrigen Angebots gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 GWB abzulehnen, bewegt sich im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums. Eine Ablehnung des Zuschlags kann gemäß § 60 Abs. 3 VgV nur bei nicht zufriedenstellender Aufklärung des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten erfolgen. Die Antragsgegnerin ist beurteilungsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass sie die Höhe des Angebotspreises zufriedenstellend aufklären konnte und keine Zweifel an der Auskömmlichkeit des Angebots der Beigeladenen bestehen.
Eine Aufklärung ist zufriedenstellend, wenn sie eine gesicherte Tatsachengrundlage für die Feststellung bietet, das Angebot sei angemessen und der Bieter sei in der Lage, den Vertrag ordnungsgemäß durchzuführen. Dadurch soll im Interesse des öffentlichen Auftraggebers vermieden werden, dass Bieter den Zuschlag erhalten, die wegen des niedrig kalkulierten Preises nicht in der Lage sind, den Vertrag zu Ende zu führen. Die Notwendigkeit der Begründung eines ungewöhnlich niedrigen Preises zielt im Kern darauf ab, Zweifel an der vertragskonformen Leistungserfüllung des Bieters auszuräumen. Aus diesem Grund betrifft die Aufklärung neben rechnerischen Unklarheiten auch alle preisrelevanten inhaltlichen Aspekte des Angebots (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Mai 2020, Verg 26/19). Auch auf Unterkostenangebote kann der öffentliche Auftraggeber den Zuschlag erteilen, wenn der Bieter mit ihm wettbewerbskonforme Ziele verfolgt und er nachweisen kann, trotz Unauskömmlichkeit den Auftrag zu erfüllen. Die Entscheidung darüber prognostiziert der öffentliche Auftraggeber aufgrund gesicherter tatsächlicher Erkenntnisse, wobei ihm ein dem Beurteilungsspielraum rechtsähnlicher Wertungsspielraum zukommt, der von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur dahin überprüfbar ist, ob der Auftraggeber seiner Entscheidung einen zutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt hat und aufgrund sachgemäßer und sachlich nachvollziehbarer Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Bieter nicht zuverlässig wird leisten können.
Die Antragsgegnerin ist fehlerfrei zu der Einschätzung gelangt, dass die Beigeladene den Anschein der Unauskömmlichkeit ihres Angebots ausgeräumt hat und den Auftrag zuverlässig ausführen kann. Der Sachverhalt ist von der Antragsgegnerin mit der nachgeholten Preisaufklärung vollständig aufgeklärt worden. Die Beigeladene hat die Kalkulationsgrundlagen für sämtliche Positionen des Leistungsverzeichnisses mitgeteilt und hierbei ausführliche Erläuterungen zur Kalkulation im Winterdienst (siehe Aufklärung vom 23. September 2022) und zu den Vorhaltepositionen 1.1.1 und 1.3.1 im Winterdienst sowie den Mäharbeiten (Aufklärung vom 17. Oktober 2022 einschließlich Telefonat am 21. Oktober 2022) abgegeben. Die Antragsgegnerin hat in ihrem aktualisierten Vergabevermerk vom 24. Oktober 2022 insoweit festgestellt, dass die Prüfung der vorliegenden Bieterunterlagen und die mündliche Aufklärung bestätigten, dass die Preise auskömmlich seien, eine ordnungsgemäße Leistung im gesamten Vertragszeitraum erbracht werden könne und etwaige Nachtragsansprüche ausgeschlossen werden könnten. Die mündliche Aufklärung der Positionen 1.2.5, 1.2.6, 1.4.5 und 1.4.6 (Überprüfung der Winterdienstfahrzeuge 1 und 2) habe diese als auskömmlich bestätigt. Im Übrigen seien im Winterdienst schwerpunktmäßig die Angebotspreise der Bereitstellungspauschalen und die Einsatzstunden der Winterdienstfahrzeuge 1 und 2 von Bedeutung, während die Positionen 1.2.5, 1.2.6, 1.4.5 und 1.4.6 nur eine untergeordnete Rolle spielten. Die Antragsgegnerin hat sich zusätzlich alle Positionen angesehen, bei denen eine signifikante Abweichung zwischen den Bietern feststellbar war (1.1.1, 1.2.6, 1.3.1, 1.4.6, 2.1.1 bis 2.1.8 und 2.3.3). Preisunterschiede seien aus den verschiedenen Fahrzeug- und Personalkosten als Kalkulationsgrundlage verständlich und nachvollziehbar dargelegt worden. Sie kommt zu dem Ergebnis, die Bieterunterlagen zu den Preisermittlungen beider Bieter seien "im Gros zufriedenstellend" (Vermerk vom 20. Oktober 2022). Die Überlegungen korrespondieren mit den von der Beigeladenen angegebenen Erläuterungen ihrer Kalkulationsgrundlagen. Es erscheint aus Sicht der Vergabekammer möglich, dass die Beigeladene mit den angegebenen Preisen sowohl den Winterdienst als auch die Mäharbeiten bestreiten kann. Alle Positionen sind ausgeführt. Anhaltspunkte für die Kalkulation zu niedriger Löhne sind nicht ersichtlich. Die Detail-Erläuterungen der Beigeladenen zu einzelnen Kostenansätzen sind in sich plausibel. Dies gilt für die Kalkulation der Winterpauschalen, in denen aus Sicht der Vergabekammer die Kosten für die Winterfahrzeuge vollständig (Anschaffungskosten, Restwert, Nutzungsdauer, Verzinsung, Betriebsstunden, Reparaturkosten einschließlich Verschleiß, Abschreibung, Versicherung, Steuer) kalkuliert sind. Auch die Angabe zu den Stundensätzen für das Personal sind nachvollziehbar. Aufgrund der Erfahrungen mit Voraufträgen ist davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin die Überprüfung der Kalkulation der Beigeladenen im Hinblick auf die vertragsgerechte Ausführung des Auftrags während des gesamten Vertragszeitraums einschätzen kann. Nachtragsansprüche sind aufgrund der Gestaltung des Leistungsverzeichnisses unwahrscheinlich. Die Antragsgegnerin bewegt sich bei ihrer Prognose in dem ihr zukommenden Beurteilungsspielraum. Dass sie in einer einzelnen Position wie der Position 2.3.3 (Stillstand Mähen) eine fehlende Aufklärbarkeit feststellt, ändert nichts an dem Gesamtergebnis. Die Antragsgegnerin verweist insoweit zu Recht darauf, dass aufgrund der Vorgaben des Leistungsverzeichnis bestimmte Positionen (wie etwa die Vorhaltepauschalen im Winterdienst) aufgrund ihres Volumens wichtiger sind als andere Positionen. Daher ist eine fehlende Aufklärbarkeit nachrangiger Positionen ohne Relevanz für das Gesamtergebnis der Auskömmlichkeitsprüfung.
bb) Eine Pflicht zum Ausschluss des Angebots der Beigeladenen nach § 60 Abs. 3 Satz 2 bei Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher, umweltrechtlicher Verpflichtungen, die sich auf die Kalkulation auswirken, ist nicht gegeben. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass solche Normen etwa arbeitsrechtliche Vorgaben im Hinblick auf §§ 3 und 6 Arbeitszeitgesetz nicht eingehalten werden (vgl. dazu auch oben unter lit. f).
h) Eine Teilaufhebung und Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Versendung der Auftragsbekanntmachung, die die Antragstellerin hilfsweise geltend macht, kommt nicht in Betracht.
Soweit die Antragstellerin der Auffassung ist, die Bewerber hätten die Vergabeunterlagen im Hinblick auf das geforderte Gesamtgewicht des Sicherungsfahrzeugs von 25 t sowie die Mindesträumbreite der Pflugkombination nicht im gleichen Sinn verstanden, so dass die Angebote nicht vergleichbar seien, muss hierüber nicht entschieden werden. Es ist kein Schaden zu Lasten der Bieter erkennbar, der durch eine etwaige Unklarheit entstanden sein könnte. Beide Bieter erfüllen mit ihren Angeboten die Anforderungen sowohl an das Gewicht des Sicherungsfahrzeugs als auch die Mindestbreite des Schneepflugs (dazu bereits unter lit. a). Zudem dürfte dieser Vortrag auch im Hinblick auf eine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB nicht weiter verfolgbar sein. Die Antragstellerin hätte diese aus den Vergabeunterlagen erkennbaren Anforderungen als verständige Bieterin vor Angebotsabgabe als missverständlich rügen müssen.
3. Der Antrag der Antragstellerin auf weitergehende Akteneinsicht in die Antwort der Beigeladenen auf das spätere Aufklärungsersuchen, die Dokumentation der Preisprüfung und das Zertifikat der für die Entsorgung vorgesehenen Firma ist abzulehnen. Da die Antwort der Beigeladenen auf das Aufklärungsersuchen, die Dokumentation der Preisprüfung zwangsläufig Rückschlüsse auf die Kalkulation ihres Angebots gestattet, kommt eine ergänzende Akteneinsicht nicht in Betracht. Die Amtsermittlungspflicht, aufgrund der die Vergabekammer auch Umstände berücksichtigen kann, deren Offenlegung mit Rücksicht auf Geheimhaltungsinteressen abzulehnen ist, stellt das vergaberechtliche Instrument dar, die Rechte und Interessen eines Antragstellers im Nachprüfungsverfahren gegenüber den Rechten eines als Beigeladener hinzugezogenen Unternehmens hinreichend zu wahren (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. April 2022, Verg 25/21 m.z.N.). Das gilt auch hinsichtlich des Zertifikats der für die Entsorgung vorgesehenen Firma.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1, 2, 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 VwVfG.
Die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) sind der Antragstellerin aufzuerlegen, da sie im Verfahren unterlegen ist.
Die Antragstellerin hat sich mit ihrem Nachprüfungsantrag ausdrücklich, bewusst und gewollt in einen Interessengegensatz zur Beigeladenen gestellt, da sie ihren Antrag darauf stützt, dass das Angebot der Beigeladenen auszuschließen sei. Diese hat sich aktiv durch eigenen Sachvortrag am Nachprüfungsverfahren beteiligt und damit ein Kostenrisiko auf sich genommen hat (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Juni 2014, Verg 41/13). In einem solchen Fall entspricht es der Billigkeit im Sinne des § 182 Abs. 4 Satz 2 GWB, der unterliegenden Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Auslagen der Beigeladenen aufzuerlegen.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragsgegnerin war notwendig. In dem Nachprüfungsverfahren stellten sich komplexe Sach- und Rechtsfragen u.a. zum Thema Abweichung von den Vergabeunterlagen sowie zur Prüfung der Kalkulation im Hinblick auf ein mögliches Unterkostenangebot, so dass eine anwaltliche Vertretung notwendig gewesen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06). Zudem wurde so die erforderliche "Waffengleichheit" gegenüber der anwaltlich vertretenen Antragstellerin hergestellt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Mai 2019, Verg 55/18).
IV.
(...)
Preisanpassungsklausel ist kein Muss!
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VK Bund
Beschluss
vom 19.10.2022
VK 1-85/22
1. Nachdem es bei der Vergabe von Lieferleistungen kein allgemeines Verbot für öffentliche Auftraggeber mehr gibt, den Bietern ungewöhnliche Wagnisse aufzubürden, ist eine Preisanpassungsklausel nur dann anzuordnen, wenn den Bietern eine vernünftige kaufmännische Kalkulation unzumutbar ist (hier verneint).
2. Dass der öffentliche Auftraggeber bei Preisgleichstand von Angeboten über den Zuschlag durch Los entscheiden will, ist nicht vergaberechtswidrig.
In dem Nachprüfungsverfahren
[
]
wegen der Vergabe "[
] Rahmenvereinbarung über die Lieferung von Klebebändern", Lose 1 bis 3, EU-Bekanntmachung [
],
hat die 1. Vergabekammer des Bundes durch den Vorsitzenden Direktor beim Bundeskartellamt Behrens, die hauptamtliche Beisitzerin Leitende Regierungsdirektorin Dr. Dittmann und den ehrenamtlichen Beisitzer Dr. Filter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2022 am 19. Oktober 2022
beschlossen:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren und Auslagen) sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin.
Gründe:
I.
1. Die Antragsgegnerin führt derzeit europaweit ein offenes Verfahren zur Vergabe einer Rahmenvereinbarung über die Lieferung von Klebebändern durch. Die Leistung ist in drei Fachlose aufgeteilt. Das Los 3 umfasst selbstklebende Folienbänder (Pos. 1080 bis 1360 des Leistungsverzeichnisses (LV)) sowie nichtklebende Folienbänder (Pos. 1370 bis 1390 des LV), wobei die erstgenannten Folienbänder die Anforderungen der Technischen Lieferbedingungen (TL) der Antragsgegnerin [
] erfüllen müssen.
Der ausgeschriebene Vertrag soll drei Jahre laufen und kann um weitere 12 Monate verlängert werden. Gemäß § 16 Abs. 1 des Vertragsentwurfs kann
"jede Partei (
) den Vertrag (
) jeweils zum Ablauf eines Kalenderjahres unter Einhaltung einer Frist von 3 Monaten - erstmalig zum 31.12.2023 - kündigen."
Alleiniges Zuschlagskriterium ist der Preis. Sofern mehrere Bieter zu einem Los denselben Gesamtpreis (Menge x Einzelpreis) anbieten, soll das Los über den Zuschlag entscheiden (sogenannter Stichentscheid) (s. Aufforderung zur Angebotsabgabe unter "Sonstiges", Ziffer 2). Die Preise gelten für die gesamte Laufzeit des Vertrags (s. Aufforderung zur Angebotsabgabe, ebenda). Des Weiteren ist in der Angebotsaufforderung vorgesehen, dass für einige der ausgeschriebenen Leistungspositionen Muster zur technischen Prüfung durch das antragsgegnereigene [
] Institut für [
] einzureichen sind. Im Los 3 betrifft dies zwei selbstklebende Folienbänder (Pos. 1270 und 1360 des LV). Nach mehreren Verlängerungen endet die Angebotsabgabefrist derzeit am 19. Oktober 2022, 13 Uhr.
Die Antragstellerin ist in der verfahrensgegenständlichen Branche tätig. Aufgrund mehrerer Rahmenverträge seit 2011 hatte sie die Antragsgegnerin mit Klebebändern der ausgeschriebenen Art beliefert, seit einigen Jahren beschafft die Antragsgegnerin solche Waren im Rahmen von Kleinstbeschaffungen zu Listenpreisen bei der Antragstellerin und anderen Unternehmen. Nach ihren eigenen Angaben in ihrem Nachprüfungsantrag sowie auf ihrer Homepage ist die Antragstellerin spezialisiert u.a. auf die Herstellung und den Vertrieb von Selbstklebebändern, Elektroklebebändern, Industrieklebebändern, Verpackungsklebebändern sowie doppelseitigen Klebebändern, die sie ggf. entsprechend dem jeweiligen Wunsch eines Kunden fertigt (sog. Converting) und unterhält ein eigenes Labor zur Prüfung von Klebebändern. Am 2. Juni sowie am 13. September 2022 rügte die Antragstellerin mehrere der ausgeschriebenen Vorgaben als vergaberechtswidrig. In den weiterhin streitgegenständlichen Punkten half die Antragsgegnerin diesen Rügen nicht ab.
2. Die Antragstellerin beantragte über ihre Verfahrensbevollmächtigten die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens (vollständiger Eingang bei der Vergabekammer des Bundes am 14. September 2022). Der Antrag wurde der Antragsgegnerin am 14. September 2022 übermittelt.
a) Die Antragstellerin meint, das Vergabeverfahren sei aus mehreren Gründen vergabefehlerhaft.
So sei es ihr mangels Preisanpassungsklausel unmöglich, ein kaufmännisch kalkuliertes Angebot abgeben. Dadurch dass die Antragsgegnerin ein Angebot mit Festpreisen über die mögliche Vertragslaufzeit von vier Jahren verlange, bürde sie der Antragstellerin ein unzumutbares Kalkulationsrisiko auf. Die Antragstellerin trägt vor, dass die Rohstoff-, Energie- und Transportpreise aufgrund des Ukraine-Kriegs und dessen Folgen (z.B. weltweit verhängte Sanktionen gegen Russland) teilweise extrem gestiegen seien. Außerdem verzögerten sich aus denselben Gründen die Lieferketten und die Währungen schwankten erheblich (EUR vs. US-Dollar). Einige Hersteller der von ihr benötigten Materialien und Waren gäben daher schon jetzt keine verbindlichen Preislisten mehr heraus und ihre Lieferanten hätten ihre Preise in den letzten Wochen je nach Produkt um bis zu ca. [
]% erhöht. Zum Beleg legt die Antragstellerin mehrere Preisänderungsmitteilungen ihrer Lieferanten vor. Die weitere Preisentwicklung sei derzeit nicht einmal für wenige Wochen vorhersehbar. Da die Kalkulationsrisiken hier weit über das bei Rahmenvereinbarungen Typische hinausgingen, sei die Antragsgegnerin verpflichtet, die Kalkulationsrisiken der Bieter zu minimieren. Ohne eine Preisanpassungsklausel müsse die Antragstellerin massive Risikoaufschläge vornehmen, wobei auch dann nicht sicher wäre, dass diese die möglichen Preissteigerungen auffangen würden. Da die weiteren Preisveränderungen nicht absehbar seien und keine entsprechenden Erfahrungswerte bestünden, müsse jeder Bieter willkürliche Risikoaufschläge nehmen, so dass die Angebote nicht vergleichbar seien. Ergänzend verweist die Antragstellerin auf die Erlasse des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) vom 25. März 2022 und des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) vom 22. Juni 2022, in denen die Aufnahme von Stoffpreisgleitklauseln in laufende Vergabeverfahren aufgrund des Ukraine-Kriegs ausdrücklich erwähnt werde. Auch aus dem Erlass des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vom 24. Juni 2022 folge die klare Handlungsanweisung an öffentliche Auftraggeber, bei jeder Vergabe zu prüfen, ob die zu beschaffenden Produkte besonders von den volatilen Preisentwicklungen betroffen seien. Zudem bejahe das BMWK in seinem Erlass erhebliche Preissteigerungen insbesondere bei Erdölprodukten. Obwohl die Antragsgegnerin wisse, dass Klebebänder und Folien der ausgeschriebenen Art erdölbasiert seien, habe sie ihr Ermessen, ob sie Preisgleitklauseln in den ausgeschriebenen Vertrag aufnehme, überhaupt nicht ausgeübt. Des Weiteren führt die Antragstellerin näher aus, dass eine Anpassung der Preise über § 313 BGB und § 132 GWB nicht möglich sei. § 313 BGB scheitere vor allem daran, dass die massiven Preissteigerungen wegen des Ukraine-Konflikts bereits jetzt bekannt und daher nicht unvorhersehbar seien i.S.d. Vorschrift.
In der mündlichen Verhandlung trägt die Antragstellerin zur Erforderlichkeit einer Preisanpassungsklausel ergänzend den Sachverhalt vor, dass ihre Lieferanten sie gegebenenfalls auch gar nicht mehr beliefern (könnten). Nachdem sie sich hinsichtlich der Kalkulationsunsicherheiten bisher nur auf die mindestens dreijährige Laufzeit des Vertrages berufen hatte, macht die Antragstellerin auf den Vorhalt der Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung, dass die Verträge jeweils jährlich gekündigt werden könnten, geltend, die Antragsgegnerin würde im Fall der Kündigung zum Jahresablauf zeitgleich aus dem Rahmenvertrag sehr viele Produkte abrufen. Wenn die Antragstellerin diese Einzelabrufe trotz steigender Kosten bediene und damit ihren vertraglichen Verpflichtungen nachkomme, drohe ihr die Insolvenz.
Ein weiterer Vergabefehler besteht nach Auffassung der Antragstellerin darin, dass die Antragsgegnerin im Los 3 die selbstklebenden Folienbänder i.S.d. Pos. 1080 bis 1360 der LV und die nichtklebenden Folienbänder (Pos. 1370 bis 1390 des LV) in einem einzigen Los zusammengefasst und kein separates Los für die selbstklebenden Folienbänder gebildet habe. Anders als die Antragsgegnerin vortrage, sei die Antragstellerin insoweit antragsbefugt, weil die vergaberechtswidrige Losaufteilung die Möglichkeiten der Antragstellerin beeinträchtige, ein zuschlagsfähiges Angebot zu unterbreiten; bei einer sachgerechten Losaufteilung könne die Antragstellerin "besser kalkulieren. Zudem sei ihre Zuschlagschance für das gesamte Los 3 beeinträchtigt, wenn sie die Prüfung des [
], die allein Muster der selbstklebenden Folienbänder beträfen, zu Recht oder zu Unrecht nicht bestehe. Die Antragstellerin führt näher aus, dass für die selbstklebenden Folienbänder gemäß der TL [
] erhöhte Anforderungen z.B. bzgl. Reißkraft, Klebkraft und Brennbarkeit gälten. Es handele sich hierbei um Spezialbänder, die nur von Unternehmen geliefert werden könnten, die Klebebänder für den speziellen Einsatz bei der Antragsgegnerin gemäß der TL [
] aufbereiteten und ein spezielles Prüflabor unterhielten. Demgegenüber stellten die übrigen von Los 3 erfassten nichtklebenden nachleuchtenden Folienbänder, die für Absperrungen, zur Markierung oder zur Kenntlichmachung benötigt würden, eine völlig andere Produktgruppe dar und würden von zahlreichen Unternehmen als Standardprodukte angeboten werden. Bei ihrer eigenen Suche nach Lieferanten für die selbstklebenden Folienbänder habe die Antragstellerin "wenig Erfolg gehabt". Sofern sie im Rahmen des Loses 3 mit der Belieferung der speziellen selbstklebenden Folienbänder beauftragt werden sollte, würde sie wie bereits bisher sog. "Logrollen" beziehen, also deutlich breitere Bänder, die sie selbst mit ihren Fertigungsmaschinen für den besonderen Bedarf der Antragsgegnerin auf die geforderten Breiten zuschneide. Sog. Convertierer wie die Antragstellerin könnten die im Los 3 ausgeschriebenen Produkte anbieten, weil sie sich auf solche Nischenprodukte spezialisiert hätten. Demgegenüber stehe ein "erheblich relevanter Kreis potentieller Marktteilnehmer" im Wettbewerb außen vor, nämlich alle Unternehmen, die solche Folienbänder nicht selbst produzierten bzw. keine Bezugsquellen für sich eröffnen könnten.
Des Weiteren meint die Antragstellerin, der von der Antragsgegnerin vorgesehene Losentscheid, der dann durchgeführt werden solle, wenn mehrere Bieter denselben Netto-Gesamtpreis anböten, verstoße gegen den vergaberechtlichen Wettbewerbsgrundsatz und das Willkürverbot. So verpflichte der Wettbewerbsgrundsatz (§ 97 Abs. 1 GWB) öffentliche Auftraggeber dazu, im Wettbewerb zu beschaffen - bei einem Losverfahren als Auswahlmechanismus für das wirtschaftlichste Angebot erfolge die Bieterauswahl jedoch nach Glück. Darüber hinaus sehe § 127 Abs. 1 S. 1 GWB vor, dass der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen sei und nicht per Zufall. Außerdem müssten Zuschlagskriterien gemäß § 127 Abs. 4 S. 1 GWB so festgelegt und bestimmt sein, dass sie ein hinreichendes Differenzierungspotential aufwiesen - solange die Antragsgegnerin dieses Differenzierungspotential nicht ausgeschöpft habe, sei das Losverfahren nicht gerechtfertigt. Die Antragstellerin schlägt vor, die Antragsgegnerin könne bei Preisgleichheit demjenigen Bieter den Vorzug geben, der bei den Artikeln mit der höchsten geschätzten Bestellmenge den geringeren Preis angeboten habe.
Ferner sei es vergaberechtswidrig, dass die Antragsgegnerin bei den vor Zuschlagserteilung vorgesehenen Prüfungen durch das [
] über die in den einschlägigen Normen angegebenen Fertigungstoleranzen hinaus keine Messtoleranzen berücksichtigen wolle. Dies stehe den Realitäten bei der Prüfung von Werkstoffen, die wie hier aus natürlichen Materialien bestünden, entgegen, sei sachlich nicht nachvollziehbar und daher unverhältnismäßig. Denn Produktprüfungen/Messungen würden überwiegend händisch von Menschen und nicht computergesteuert durchgeführt. Solche Prüfverfahren seien daher fehleranfällig, was durch entsprechende Messtoleranzen berücksichtigt werden müsse.
Einige der zunächst mit ihrem Nachprüfungsantrag geltend gemachten Beanstandungen erklärt die Antragstellerin in ihren Schriftsätzen vom 6. und 17. Oktober 2022 nach entsprechender Korrektur oder Klarstellung durch die Antragsgegnerin für erledigt bzw. nimmt diese zurück (der Zeitraum, auf den sich die von der Antragsgegnerin im Leistungsverzeichnis prognostizierten Schätzmengen bezögen, sei intransparent; der Auftragsgegenstand des Loses 1 sei nicht eindeutig beschrieben; das Verhältnis zwischen den Regelungen des Leistungsverzeichnisses einerseits und der TL [
] andererseits sei unklar; mehrere Einzelpositionen des LV seien nicht eindeutig und nicht erschöpfend beschrieben; die für die Pos. 160 des LV einschlägigen Qualitätssicherungsanforderungen seien unklar; die Anforderungen der TL [
] bzgl. des Brennverhaltens könnten von gar keinem Unternehmen erfüllt werden).
Die Antragstellerin beantragt über ihre Verfahrensbevollmächtigten:
1. Das Nachprüfungsverfahren gemäß § 160 Abs. 1 GWB einzuleiten;
2. den Nachprüfungsantrag gemäß § 163 Abs. 2 S. 3 GWB an die Antragsgegnerin zu übermitteln;
3. das Vergabeverfahren in den Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen und der Antragsgegnerin aufzugeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht den Bietern unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer überarbeitete Vergabeunterlagen zur neuen Angebotslegung bereit zu stellen;
4. hilfsweise sonstige geeignete Maßnahmen gemäß § 168 Abs. 1 GWB zu treffen, um die Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern;
5. der Antragstellerin gemäß § 165 Abs. 1 GWB Einsichtnahme in die Vergabeakten zu gewähren;
6. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin aufzuerlegen;
7. festzustellen, dass die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin notwendig war.
Nach Erhalt der Akteneinsicht beantragt die Antragstellerin
eine erweiterte Akteneinsicht in bestimmte von der Antragsgegnerin vorgelegte Unterlagen dazu, ob und inwieweit die von anderen Anbietern in einer 2020 erfolglos durchgeführten Vorgängerausschreibung für die Lieferung ähnlicher Klebebänder die Musterprüfung des [
] nach der TL [
] bestanden hätten. Diese Unterlagen seien relevant für die Frage, ob es einen Markt für "Komplettanbieter" gebe, die das gesamte Los 3 so wie ausgeschrieben bedienen könnten.
b) Die Antragsgegnerin beantragt:
1. Der Nachprüfungsantrag wird kostenpflichtig zurückgewiesen;
2. der Antragstellerin wird nur eingeschränkt Akteneinsicht gewährt.
Die Antragsgegnerin meint, dass der Nachprüfungsantrag teilweise bereits unzulässig, jedenfalls aber unbegründet sei.
Sie sei nicht verpflichtet, eine Preisanpassungsklausel zu vereinbaren. Der Gesetzgeber wolle, dass Preisgleitklauseln regelmäßig zurückhaltend vereinbart würden. Nach der vertragstypischen Risikoverteilung sei es vielmehr Sache der Bieter, für Kostensteigerungen Vorsorge zu treffen und einen entsprechenden Wagniszuschlag in ihrer Preiskalkulation zu berücksichtigen. Dies treffe hier alle Bieter gleichermaßen. Die ministeriellen Erlasse, die die Antragstellerin diesbezüglich zitiere, seien hier nicht einschlägig. So gälten die Erlasse des BMWSB und des BMDV nur für den Bundeshochbau und den Bundesverkehrswegebau. Der Erlass des BMWK, der Lieferleistungen betreffe, spreche sich demgegenüber dafür aus, Preisgleitklauseln grundsätzlich zurückhaltend vorzusehen. Danach könne der Ukrainekrieg zwar ein außergewöhnliches Ereignis sein, aber jede Vergabestelle müsse im Einzelfall eigenverantwortlich prüfen, ob sie Preisgleitklauseln vereinbare. Im vorliegenden Fall komme dies nicht in Betracht. Zudem fehle es an einem konkreten Vortrag der Antragstellerin etwa zum Zusammenhang zwischen den Preissteigerungen der hiesigen Produkte und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Die Antragstellerin müsse darlegen, in welcher Art und Weise sich welches Zulieferprodukt genau auf welches von ihr im hiesigen Vergabeverfahren anzubietende Endprodukt und dessen Angebotspreis auswirke. Die von der Antragstellerin unter Vorlage von Schreiben ihrer Lieferanten genannten Preissteigerungen bewegten sich in der Größenordnung der derzeitigen Inflation und seien nicht schlechterdings unkalkulierbar. Die zweifellos derzeit höheren Risikoaufschläge müssten alle Bieter gleichermaßen kalkulieren und einpreisen. Dass sich andere Unternehmen, die sich am laufenden Vergabeverfahren aktiv beteiligten, die Kalkulation ihrer Angebote offenbar weiterhin für möglich und zumutbar hielten, dürfe ein tatsächliches Indiz dafür sein, dass die Angebotskalkulation objektiv möglich und zumutbar sei. Unabsehbare Vertragsrisiken könnten durch § 313 BGB aufgefangen werden, ohne dass dem § 132 GWB entgegenstehe. Demgegenüber verlagere eine Preisgleitklausel und der darin liegende Automatismus die Risiken vollständig auf die Antragsgegnerin.
Zur angeblich fehlerhaften Losbildung trägt die Antragsgegnerin vor, der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig, weil die Antragstellerin nicht vorbringe, durch den Loszuschnitt in ihren eigenen Rechten verletzt zu sein. Wie die Antragsgegnerin näher ausführt, sei der Nachprüfungsantrag insoweit zudem unbegründet.
Soweit sich die Antragstellerin gegen den bei Preisgleichheit vorgesehenen Losentscheid wende, sei ihr Nachprüfungsantrag ebenfalls bereits unzulässig. Die Antragstellerin sei jetzt noch nicht beschwert, sondern begehre unzulässigerweise vorbeugenden Rechtsschutz. Darüber hinaus sei der Nachprüfungsantrag insoweit unbegründet, da ein Stichentscheid in dem praktisch extrem unwahrscheinlichen Fall eines vollständigem Preisgleichstands ultima ratio sei. Denn die Angebotswertung erfolge hier ausschließlich anhand des Preises, andere Kriterien seien nicht ersichtlich. Es wäre gleichermaßen willkürlich, bei einem Preisgleichstand eine bestimmte Leistungsposition als zuschlagsentscheidend heranzuziehen, da es hierfür keine sachlichen Gründe gebe. Die Antragsgegnerin habe hier alles getan, was zur Ausdifferenzierung der Angebote nach dem Preis möglich sei. Die Alternative, das Vergabeverfahren bei einem Preisgleichstand aufzuheben, sei demgegenüber unzumutbar bzw. mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden.
Zum Fehlen von Messtoleranzen führt die Antragsgegnerin aus, sie fordere von den Bietern keine "Exaktheit", die nicht zu den ausgeschriebenen Produkten passe. Ihre Qualitätsansprüche seien vielmehr legitim und von ihrem Leistungsbestimmungsrecht gedeckt. In Wahrheit gehe es der Antragstellerin um Fertigungstoleranzen, denen gegenüber die Messunsicherheiten im hochspezialisierten Labor des [
] nicht ins Gewicht fielen. Toleranzbereiche oder Schwellenwerte, die mindestens zu erreichen seien, seien in der einschlägigen TL [
] bereits enthalten. Es sei nicht unüblich, sondern eine gängige Vorgehensweise, dass bei der Angabe solcher Wertebereiche keine zusätzlichen Toleranzen bei der Messung eingeräumt würden. Für die Messverfahren gebe es zudem DIN-Normen, auf die in den Vergabeunterlagen Bezug genommen werde, die die Vorgehensweise bei den Messungen und Prüfungen detailliert regelten. Über diese DINNormen hinaus müsse die Antragsgegnerin keine Toleranzen einräumen.
Die Vergabekammer hat der Antragstellerin nach vorheriger Zustimmung der Antragsgegnerin Einsicht in die Vergabeakten gewährt, soweit keine geheimhaltungsbedürftigen Aktenbestandteile betroffen waren.
In der mündlichen Verhandlung am 14. Oktober 2022 hatten die Beteiligten Gelegenheit, ihre Standpunkte darzulegen und mit der Vergabekammer umfassend zu erörtern.
Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakten der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist teilweise bereits unzulässig, im Übrigen unbegründet (dazu unter 1. und 2.). Der Antrag der Antragstellerin auf weitergehende Akteinsicht ist abzulehnen (dazu unter 3.).
1. Soweit die Antragstellerin meint, das Los 3 sei fehlerhaft gebildet worden, ist ihr Nachprüfungsantrag bereits unzulässig, weil sie nicht antragsbefugt ist (§ 160 Abs. 2 GWB). Die Antragstellerin legt nämlich nicht dar, dass sie aufgrund der fehlenden Aufteilung der Produkte des Loses 3 in ein weiteres, separates Los für die selbstklebenden Folienbänder (Pos. 1080 bis 1360 des LV) an der Vergabe des aktuell ausgeschriebenen Loses nicht teilnehmen könne und somit in ihren Zuschlagschancen beeinträchtigt ist. Sie führt lediglich aus, bei einer anderen Aufteilung der Leistungen in selbstklebende Folienbänder einerseits und nichtklebende Folienbänder andererseits "besser kalkulieren" zu können (s. Nachprüfungsantrag (NPA), S. 37, und Schriftsatz der Antragstellerin vom 6. Oktober 2022, S. 2), und dass sie wie bereits bisher geschehen sog. Logrollen beziehen und entsprechend der ausgeschriebenen Anforderungen der Antragsgegnerin zuschneiden würde, sofern sie mit der Belieferung der selbstklebenden Folienbänder nach dem aktuellen Zuschnitt des Loses 3 beauftragt werden sollte (s. Schriftsatz vom 6. Oktober 2022, S. 3). Zudem hat die Antragstellerin ausgeführt, dass Unternehmen, die das Converting betrieben, also Klebebänder für den speziellen Einsatz bei der Antragsgegnerin gemäß der TL [
] aufbereiteten, und ein spezielles Prüflabor unterhielten, das Los 3 bedienen könnten (Schriftsatz vom 6. Oktober 2022, S. 27). Auch dies trifft auf die Antragstellerin selbst zu. Denn auch wenn ihr "Schwerpunkt" tatsächlich "im Handel und nicht in der Weiterverarbeitung" liegen sollte (so die Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 6. Oktober 2022, S. 10), ist sie laut ihrem Nachprüfungsantrag "spezialisiert auf die Herstellung und den Vertrieb von Selbstklebebändern" und verfügt über ein eigenes Labor zur Prüfung von Klebebändern (NPA, S. 4), auf ihrer Homepage wirbt die Antragstellerin damit, auf Kundenwunsch "Klebebänder in sämtlichen Breiten und Längen" zu liefern (sog. Converting). Damit droht der Antragstellerin selbst unter dem gebotenen weiten Begriffsverständnis kein "Schaden" i.S.d. § 160 Abs. 2 S. 2 GWB. Denn das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren ist in allererster Linie auf Primärrechtsschutz ausgerichtet, d.h. geschützt sind die Zuschlagschancen eines Bieters. Wenn jedoch ein Unternehmen durch den beanstandeten Vergaberechtsverstoß in seiner Möglichkeit, den Zuschlag zu erhalten, (nicht einmal) beeinträchtigt ist - wie hier: die Antragstellerin kann auch den angeblich fehlerhaften Loszuschnitt komplett bedienen -, ist der Vergaberechtsschutz mangels Antragsbefugnis nicht eröffnet. Rein wirtschaftliche Interessen wie die Antragstellerin sie hier geltend macht (ohne die angebliche fehlerhafte Losaufteilung wirtschaftlicher und besser kalkulieren zu können) sind von § 160 Abs. 2 S. 2 GWB nicht erfasst (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Dezember 2021 - Verg 55/20).
Sollte die Antragstellerin wie sie befürchtet im Los 3 deshalb den Zuschlag nicht erhalten, weil die Musterklebebänder zu Recht oder zu Unrecht nicht die Prüfungen des [
] bestehen, ist dies nicht auf den (nach Auffassung der Antragstellerin fehlerhaften) Loszuschnitt der Antragsgegnerin zurückzuführen, sondern auf die Qualität ihrer Produktmuster bzw. die Prüfung des [
]. Auch mit diesem Argument ist die Antragsbefugnis der Antragstellerin hinsichtlich des Loszuschnitts daher nicht zu bejahen. Dass ein "erheblich relevanter Kreis" anderer Unternehmen möglicherweise kein Angebot auf das Los 3 abgeben kann, führt ebenfalls nicht zur Antragsbefugnis der Antragstellerin. Denn die Antragsbefugnis i.S.d. § 160 Abs. 2 GWB ist nur dann zu bejahen, wenn ein Antragsteller eine Verletzung in "seinen", also eigenen, Rechten geltend macht und nicht die Rechte Dritter.
Ob die Antragstellerin ebenfalls bezüglich der Frage nicht antragsbefugt ist, ob bei einem Preisgleichstand mehrerer Angebote ein Losentscheid durchgeführt werden darf, weil ein solcher Stichentscheid derzeit noch nicht drohe und die Antragstellerin unzulässiger Weise vorbeugenden Rechtsschutz begehre (so die Antragsgegnerin), braucht nicht entschieden zu werden. Denn insoweit ist der Nachprüfungsantrag jedenfalls unbegründet (s. dazu unten unter 2c)).
Im Übrigen bestehen gegen die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags keine Bedenken.
2. Soweit er nicht bereits unzulässig ist, ist der Nachprüfungsantrag unbegründet.
a) Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf eine Preisanpassungsklausel.
Nachdem es bei der Vergabe von Lieferleistungen kein allgemeines Verbot für öffentliche Auftraggeber mehr gibt, den Bietern ungewöhnliche Wagnisse aufzubürden, wäre eine Preisanpassungsklausel nur dann anzuordnen, wenn den Bietern eine vernünftige kaufmännische Kalkulation unzumutbar wäre (std. Rspr., s. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Dezember 2020 - Verg 36/20 m.w.N.). Die diesbezüglich hohen rechtlichen Anforderungen sind hier nicht erfüllt. Zwar weist die Antragstellerin zu Recht auf die besondere aktuelle Wirtschaftslage hin (die aktuellen Kriegsereignisse in der Ukraine, große Preissteigerungen bei vielen Produkten (insbesondere Gas und Rohöl), Lieferverzögerungen etc.). Dass die Preise ihrer eigenen Zulieferer in den letzten Monaten mehrfach erheblich gestiegen sind, hat die Antragstellerin anhand entsprechender Preiserhöhungsverlangen belegt. Da die Angebotsfrist derzeit noch läuft, braucht die Antragstellerin jedoch keine Preisanpassungsklausel, um diese Situation kalkulatorisch "abzufangen": Vielmehr kann sie die jüngsten Preissteigerungen bereits jetzt bei der Kalkulation ihres Angebotspreises berücksichtigen. Hinzu kommt ein weiterer erheblicher Umstand, der dazu führt, dass der Antragstellerin eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation ihres Angebots im o.g. Sinne nicht unzumutbar ist: Anders als die Antragstellerin vorträgt, ist sie mit den fix anzubietenden Preisen nicht für die gesamte Vertragslaufzeit von drei Jahren (mit einem weiteren Jahr als Verlängerungsoption) gebunden. Sollte sie während der Vertragslaufzeit feststellen, dass das Festhalten an ihren Preisen unwirtschaftlich ist, kann sie den Vertrag vielmehr gemäß § 16 Abs. 1 des ausgeschriebenen Vertrags zum Ablauf eines jeden Kalenderjahrs (mit einer Frist von drei Monaten) kündigen. Eine solche Kündigung ist ohne Weiteres, also insbesondere ohne irgendwelche inhaltlichen Anforderungen, zulässig. Sollte sich die wirtschaftliche Situation dennoch so dramatisch verschlechtern, wie es die Antragstellerin befürchtet, erscheint eine Preisanpassung gemäß § 313 BGB jedenfalls nicht ausgeschlossen. Denn auch wenn ausweislich der von der Antragstellerin zitierten Erlasse u.a. des BMWSB bereits heute aufgrund des Ukraine-Kriegs erhebliche Preissteigerungen bestehen und auch weiter zu erwarten sind, dürfte die Anwendbarkeit des § 313 BGB nicht generell mit dem Argument ausgeschlossen sein, alle zukünftigen negativen (welt-)wirtschaftlichen Entwicklungen seien angesichts der heutigen Erkenntnisse nicht unvorhersehbar i.S.d. § 313 BGB. Gerade was die weitere Preisentwicklung angeht, betont die Antragstellerin selbst, dass diese derzeit von niemandem und nicht einmal für wenige Wochen im Voraus abgeschätzt werden könne. Auch das von der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung angesprochene Szenario, einer oder mehrerer ihrer Lieferanten würden sie nicht mehr beliefern (können) und sie könne deshalb die Einzelabrufe der Antragsgegnerin aus dem Rahmenvertrag nicht vertragsgemäß bedienen, spricht hier nicht für die Erforderlichkeit einer Preisanpassungsklausel. Denn erstens ist nicht erkennbar, inwieweit eine Anpassung des Angebotspreises das von der Antragstellerin dargestellte Problem, dass ihre Vorlieferanten ausfallen, lösen könnte. Zweitens werden solche Vertragsstörungen ggf. von § 17 Abs. 1 des ausgeschriebenen Vertrags i.V.m. § 5 Nr. 1 und Nr. 2 VOL/B erfasst und berechtigen die Antragstellerin ggf. zu einer Verlängerung der Ausführungsfristen, zur Kündigung oder zum Rücktritt vom Vertrag. Ähnliches gilt für das weitere tatsächliche Szenario, das die Antragstellerin in ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 17. Oktober 2022 vorträgt: Im Fall einer vorzeitigen Vertragskündigung durch die Antragstellerin nach § 16 Abs. 1 des Vertrags würde die Antragsgegnerin bis zur maximalen Grenze des Rahmenvertrags umfangreiche Vorratskäufe zu den vereinbarten Konditionen tätigen, um nicht mit noch höheren Preisen nach einer Folgebeschaffung konfrontiert zu werden. Egal, wie "unbestreitbar" ein solches Szenario sein mag (so die Antragstellerin), ist nicht nachvollziehbar, inwiefern eine Preisanpassungsklausel ein geeignetes Instrument wäre, um etwaigen Lieferschwierigkeiten der Antragstellerin abzuhelfen.
Wenn die Antragstellerin so wie voraussichtlich die weiteren Bieter auch, die denselben wirtschaftlichen Umständen ausgesetzt sind, Risikoaufschläge kalkuliert, um etwaige Preissteigerungen auch ohne die Möglichkeit einer späteren Preisanpassung zu berücksichtigen, führt dies - anders als die Antragstellerin meint - auch nicht dazu, dass die Angebote in vergaberechtlich bedenklicher Weise nicht vergleichbar wären. Denn wie die Bieter ihre Preise kalkulieren, beruht auf deren Kalkulationsfreiheit. Unterschiedliche Risikoannahmen der einzelnen Unternehmen sind daher nicht auf ein möglicherweise vergaberechtswidriges Verhalten der Antragsgegnerin zurückzuführen, sondern auf die unternehmerische Freiheit der Bieter.
Die weiteren Vorschläge der Antragstellerin, wie die Antragsgegnerin ihr eine kaufmännisch belastbare Kalkulation ermöglichen könne, wenn die Vergabekammer keine Preisanpassungsregelung anordne (u.a. ein unterjähriges Kündigungsrecht, Verkürzung der Bindefrist, Regelungen zu höchstens abrufbaren Mengen), sind von der Vergabekammer nicht in rechtlicher Hinsicht zu prüfen. Der entsprechende Sachvortrag erfolgte erst in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz nach der mündlichen Verhandlung und zwei Tage vor Ablauf der 5-wöchigen Entscheidungsfrist der Vergabekammer. Ein solches Vorbringen ist im Hinblick auf die den Beteiligten obliegende Verfahrensförderungspflicht, § 167 Abs. 2 GWB, verspätet und bleibt bei der Entscheidungsfindung unbeachtet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 19. November 2003 - Verg 22/03, und vom 28. Juni 2006 - Verg 18/06). Denn es ist der Antragsgegnerin nicht mehr möglich, hierauf schon in der mündlichen Verhandlung, aufgrund der die Entscheidung der Vergabekammer ergeht (§ 166 Abs. 1 S. 1 GWB), oder zumindest bis zum Ablauf der Entscheidungsfrist unter zumutbaren Bedingungen zu erwidern, so dass ein solcher Sachvortrag allein schon aus verfassungsrechtlichen Gründen bei der Entscheidungsfindung unberücksichtigt bleiben muss (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. November 2003, a.a.O.).
b) Die Antragsgegnerin ist ebenfalls nicht verpflichtet, im Rahmen der vorgesehenen Prüfungen einzelner Angebotsmuster durch ihr Institut [
] Messtoleranzen einzuräumen.
Welches Produkt er beschafft und damit auch die Qualitätsanforderungen, die die zu liefernden Produkte erfüllen müssen, bestimmt der Auftraggeber nämlich grundsätzlich selbst - das Vergaberecht regelt nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur die Art und Weise der Beschaffung. Die Grenzen ihres Leistungsbestimmungsrechts hätte die Antragsgegnerin nur dann überschritten, wenn die Bestimmung nicht nachvollziehbar und objektiv durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt wäre oder andere Wirtschaftsteilnehmer diskriminiert (std. Rspr., vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. August 2018 - Verg 30/18, m.z.N.).
Diese Grenzen hat die Antragsgegnerin hier eingehalten. Der objektive und nachvollziehbare Auftragsbezug ist vorliegend darin zu sehen, dass es beim Verzicht auf Messtoleranzen bei der Prüfung der Qualität der Produktmuster im Ergebnis darum geht, ob der betreffende Bieter im Falle des Vertragsschlusses ausschreibungskonform liefern kann. Wie die Antragstellerin selbst einräumt, sind insbesondere in der TL [
] bereits einige Fertigungstoleranzen enthalten. Über diese Toleranzen hinaus möchte die Antragsgegnerin keine (weiteren) Toleranzen bei der technischen Prüfung durch das [
] einräumen, weil sie meint, dass sie sonst qualitativ schlechtere Waren geliefert bekäme als sie möchte und benötigt. Eine Diskriminierung einzelner Bieter, insbesondere der Antragstellerin, ist in diesem Wunsch weder zu sehen noch in der Praxis zu befürchten. Denn wie die Antragsgegnerin durch die Vorlage einzelner DIN-Normen, nach denen sich ausweislich der TL [
] die einzelnen Prüfungen und Messungen richten, belegt hat, enthalten diese von entsprechend fachkundigen und erfahrenen Personen einheitlich erstellten Normen u.a. detaillierte Vorgaben zu der Durchführung dieser Prüfungen und Messungen (zur Anzahl der Proben, Vorbereitung/Vorbehandlung der Proben, Beschaffenheit der Prüfeinrichtung, Versuchsdurchführung im Einzelnen, Prüftemperatur, Vorgehen bei der Feststellung des Prüfergebnisses etc. und wie häufig die Messungen unter gleichen Bedingungen zu wiederholen sind). Dies gilt insbesondere für die DIN 4102-1, die die Prüfung des von der Antragstellerin mehrfach in diesem Zusammenhang angesprochenen Brennverhaltens der ausgeschriebenen Folienbänder regelt (s. z.B. Ziffer 5.1.3, 6.2.3 bis 6.2.6 der DIN 4102-1). Diese Normen wurden gerade dazu geschaffen, die "menschlichen Fehler", die die Antragstellerin befürchtet, wenn keine Messtoleranzen berücksichtigt werden, zu nivellieren. Damit ist eine gleichbleibende Messqualität hinreichend sichergestellt, so dass es der Einräumung zusätzlicher Messtoleranzen nicht bedarf. Soweit die Antragstellerin meint, im konkreten Fall sei dennoch fehlerhaft geprüft worden und sie sei deshalb zu Unrecht aus dem Vergabeverfahren ausgeschlossen worden, könnte sie dies in einem Nachprüfungsverfahren überprüfen lassen.
c) Dass die Antragsgegnerin bei Preisgleichstand von Angeboten über den Zuschlag durch Los entscheiden will, ist nicht vergaberechtswidrig.
Da sich der wertungserhebliche Preis eines Angebots hier aus der Summe der Preise zahlreicher Einzelpositionen des Leistungsverzeichnisses ergibt, ist die Durchführung eines solchen Losentscheids zunächst bereits sehr unwahrscheinlich. Sollte es dennoch zu einem Losentscheid kommen, ist dies nicht vergaberechtswidrig, vor allem widerspricht diese Vorgehensweise nicht den rechtlichen Vorgaben an Zuschlagskriterien nach § 127 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1 GWB oder dem Wettbewerbsgrundsatz i.S.d. § 97 Abs. 1 GWB. Denn das wirtschaftlichste Angebot i.S.d. § 127 Abs. 1 GWB hat die Antragsgegnerin im Fall des Gleichstands bereits anhand ihres Zuschlagskriteriums "Preis" ermittelt. Auch der Angebotswettbewerb i.S.d. § 97 Abs. 1 und § 127 Abs. 4 S. 1 GWB hat zu diesem Zeitpunkt bereits stattgefunden. Hier allerdings mit der Folge, dass sich im Wettbewerb nicht nur ein "wirtschaftlichstes" Angebot ergeben hat, sondern mehrere, die gleichermaßen wirtschaftlich sind und sich unter denselben Bedingungen im Wettbewerb untereinander behaupten konnten. Dies ist wie eingangs gesagt, in der Praxis regelmäßig unwahrscheinlich, gerade wenn es nur den Preis als einziges Zuschlagskriterium gibt. Theoretisch ist diese Situation jedoch denkbar. Wie § 127 Abs. 1 S. 4 GWB zeigt, ist es dennoch nicht vergaberechtswidrig, den Zuschlag nur aufgrund des Preises oder der Kosten der ausgeschriebenen Leistungen zu erteilen. Die Antragsgegnerin hat also bereits alle einschlägigen vergaberechtlichen Vorschriften beachtet, um das wirtschaftlichste Angebot im Wettbewerb zu ermitteln - führt dies wie im Fall des Preisgleichstands nicht zum Erfolg (weil nicht "das" wirtschaftlichste Angebot ermittelt wurde), kommt praktisch kein anderes Kriterium in Betracht, das ebenso eine hinreichende Objektivität, Transparenz, Diskriminierungsfreiheit gewährleistet und Manipulationsmöglichkeiten ausschaltet, wie der Losentscheid (vgl. auch OLG Hamburg, Beschluss vom 20. März 2020, 1 Verg 1/19 m.w.N.).
Da eine Vergabe allein anhand des Preises vergaberechtlich zulässig und der Auftraggeber grundsätzlich in seiner Entscheidung frei ist, anhand welcher Kriterien er über den Zuschlag entscheidet, kann von der Antragsgegnerin auch nicht verlangt werden, allein für den (noch dazu praktisch unwahrscheinlichen, s.o.) Fall des Preisgleichstands weitere Zuschlagkriterien vorzusehen (so auch OLG Hamburg, Beschluss vom 20. März 2020, a.a.O.). Das gilt erst recht in Fällen wie hier, in denen die Qualität der ausgeschriebenen Produkte durch Technische Lieferbedingungen bereits umfassend beschrieben und vorgegeben ist. Ebenso untauglich, erst recht aber einem öffentlichen Auftraggeber unzumutbar erscheint die Alternative, ein Vergabeverfahren im Falle des Preisgleichstands aufzuheben und erneut auszuschreiben bis ein einziges wirtschaftlichstes Angebot erfolgreich ermittelt wurde.
3. Der Antrag der Antragstellerin auf weitergehende Akteneinsicht ist abzulehnen, da die betreffenden Unterlagen, in die sie Einsicht begehrt, nicht entscheidungserheblich sind (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Juni 2017 - Verg 7/17). Denn da sie insoweit bereits nicht antragsbefugt ist, kommt es auf die Frage, ob die Antragsgegnerin für die selbstklebenden Folienbänder ein separates Los hätte bilden müssen, weil es keine
"Komplettanbieter" gibt, die das gesamte Los 3 in seiner jetzigen Fassung bedienen könnten, für die Entscheidung nicht an.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 GWB.
Zwar hat die Antragstellerin einige der von ihr zunächst beanstandeten Aspekte im Nachprüfungsverfahren für erledigt erklärt, weil die Antragsgegnerin diese korrigiert habe, und einige Beanstandungen zurückgenommen. Ob die Reaktion der Antragsgegnerin auf den Vortrag der Antragstellerin wie eine (Teil-)Abhilfe kostenmäßig zugunsten der Antragstellerin zu würdigen sein könnte, braucht indes nicht entschieden zu werden. Denn selbst wenn dies zu bejahen wäre, käme dies einem Obsiegen der Antragstellerin in einem so geringen Umfang gleich, dass dies bei Anwendung der sich aus § 92 Abs. 2 ZPO ergebenden Grundsätze eine (teilweise) Kostenbelastung der Antragsgegnerin nicht rechtfertigt. Denn die Antragstellerin hat ihr Rechtsschutzziel, das Vergabeverfahren zurückzuversetzen und überarbeiten zu lassen, nicht erreicht (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. April 2022 - Verg 5/22).
IV.
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Zuschlagskriterien können nachträglich präzisiert werden!
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VK Bund
Beschluss
vom 07.12.2022
VK 2-96/22
1. Zuschlagskriterien müssen so festgelegt und bestimmt sein, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen.
2. Die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung müssen in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen aufgeführt werden müssen. Das gilt grundsätzlich sowohl für die Zuschlags(haupt)kriterien als auch für die Unterkriterien.
3. Der öffentliche Auftraggeber ist aber nicht daran gehindert, nachträglich - auch erst nach dem Ablauf der Angebotsfrist - eine Präzisierung der bekannt gemachten Zuschlagskriterien vorzunehmen.
4. Hinsichtlich der Entscheidung, in welcher Form ein Nachteilsausgleich zu gewähren ist, wenn ein Bieter im Vergabeverfahren mit unvorhersehbaren und nicht zu vertretenen Erschwernissen belastet wird, steht dem Auftraggeber ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu.
In dem Nachprüfungsverfahren der
[...]
wegen der Vergabe [...]
hat die 2. Vergabekammer des Bundes durch die Vorsitzende Direktorin beim Bundeskartellamt Dr. Herlemann, den hauptamtlichen Beisitzer Regierungsdirektor Brune und die ehrenamtliche Beisitzerin Bachmann auf die mündliche Verhandlung vom 29. November 2022 am 7. Dezember 2022
beschlossen:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf weitergehende Akteneinsicht wird zurückgewiesen.
3. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin.
Gründe:
I.
1. Die Antragsgegnerin (Ag) machte am [...] die oben genannte Vergabe im Rahmen eines nichtoffenen Verfahrens im Supplement zum Amtsblatt der EU [...] unionsweit bekannt. Als geschätzter Auftragswert wurde ein Betrag von [...] Mio. Euro (brutto) angegeben (Ziffer II.1.4 der Bekanntmachung). Als Zuschlagskriterium wurde ausgeführt: "das wirtschaftlich günstigste Angebot in Bezug auf die Kriterien, die in den [Vergabeunterlagen] aufgeführt sind" (Ziffer II.2.1 der Bekanntmachung).
Die Vergabeunterlagen enthielten ein Dokument "Hinweise für dieses Verfahren und besondere Bewerbungsbedingungen" ("Hinweise BBB") sowie ein Dokument "Fragen der Angebotspräsentation zur Bewertung der Angebote" ("Kriterienkatalog Leistung"). Der Kriterienkatalog Leistung umfasste zunächst nur 5 Seiten.
Gemäß Ziffer 3.9.2 der Hinweise BBB sollte das wirtschaftlichste Angebots anhand der erweiterten Richtwertmethode aufgrund der im Kriterienkatalog Leistung geforderten Nachweise und Erklärungen ermittelt werden (siehe dort Ziffer 2). Dort hieß es:
"Bei der Auswertung der schriftlichen Angebote werden die mit "B" gekennzeichneten Kriterien des Kriterienkataloges bewertet und für jedes B-Kriterium 0 bis 10 Wertungspunkte vergeben. Diese werden entsprechend den angegebenen Gewichtungspunkten gewichtet und fließen so in die Bewertung ein.
Die Bewertung der einzelnen Kriterien erfolgt nach dem folgenden Prinzip, die Abstufung erfolgt wie in der unten aufgeführten Tabelle dargestellt. [...]"
"Wertungspunkt / Definition
0: Die Anforderungen der Vergabestelle sind nicht erfüllt.
2,5: Die Anforderungen der Vergabestelle sind kaum erfüllt.
5: Die Anforderungen der Vergabestelle sind teilweise erfüllt.
7,5: Die Anforderungen der Vergabestelle sind überwiegend erfüllt.
10: Die Anforderungen der Vergabestelle sind vollständig erfüllt"
Zentraler Bestandteil der qualitativen Angebotswertung war die Beantwortung einer in neun Stunden zu erstellenden Testaufgabe (nachfolgend "9-Stunden-Aufgabe" bzw. "Testaufgabe"), bestehend aus insgesamt 6 Arbeitspaketen.
In den Hinweisen BBB hieß es hierzu unter Ziffer 3.10:
"Nach Prüfung und Wertung der Angebote lädt die Auftraggeberin die Bieter, deren Angebote nicht aus formellen Gründen ausgeschlossen wurden, zur Teilnahme an einer 9 Stunden-Aufgabe ein. Die Auftraggeberin versendet die Einladungen einschließlich einer Aufgabenstellung. Die Aufgabenstellung muss dann von den Bietern innerhalb von 9 Stunden bearbeitet werden. Zum Ende der Bearbeitungsfrist sind die Ergebnisse inkl. der Eigenerklärung über die Teamzusammensetzung (siehe Ziffer 3 der Anlage "Kriterienkatalog Leistung") der Vergabestelle über die Nachrichtenfunktion eVergabePlattform zu übermitteln. Die Ergebnisse werden im Anschluss von der Vergabestelle bewertet. Die Bewertung fließt in die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots ein. Der voraussichtliche Termin für die Versendung der Aufgabenstellungen wird mit der Angebotsaufforderung bekanntgegeben. Die Versendung erfolgt an dem dafür vorgesehenen Tag um 09:00 Uhr."
Im Kriterienkatalog Leistung wurde einleitend (unter Ziffer 1) ausgeführt:
"Nachfolgend sind als Fragen und Forderungen die Leistungskriterien tabellarisch zusammengestellt, deren Beantwortung die Grundlage der Bewertung der Angebote durch die Vergabestelle ist.
Die Leistungskriterien, welche als Bewertungskriterium (B) gekennzeichnet sind, haben einen Bewertungsraum von 0 bis 10 Punkten. Die Punkte werden entsprechend dem Erfüllungsgrad der Anforderung vergeben. Selbst wenn ein Einzelkriterium lediglich "0" Punkte erreicht, wird das Angebot nicht automatisch ausgeschlossen. Die Bewertungskriterien sind, je nach Wichtigkeit entsprechend, mit einem Gewichtungsfaktor versehen, der in einer Spalte angegeben wird. Bitte formulieren Sie Ihre Antworten frei."
Als weiterer Hinweis wird für die Arbeitspakete AP 1 bis AP6 eine Begrenzung der einzureichenden Antworten auf 500 Wörter (AP 1 bis AP4 und AP6) bzw. 1.000 Wörter (AP 5) vorgegeben.
Nach Ziffer 3 des Kriterienkatalogs Leistung ("Teamzusammenstellung) waren mit dem Angebot mindestens 30 bis maximal 40 Personalprofile einzureichen, denen jeweils verschiedene Rollen ("Spezialist", "Berater" und "Assistenz") zuzuweisen waren. Für die Bearbeitung der Testaufgabe waren vier von diesen Personalprofilen zu benennen (drei "Berater" und eine "Assistenz"). Um dem Risiko des Ausfalls einzelner Personen am Tag der Testaufgabe vorzubeugen, konnte eine entsprechende Anzahl an Ersatzprofilen benannt werden.
Unter Ziffer 4 des Kriterienkatalogs Leistung (Seite 5) hieß es:
"Schriftliche Angebotspräsentation - 9h-Aufgabe: Fiktives Beispielprojekt
Nähere Informationen hierzu finden Sie unter Ziffer 3.10 der Anlage "Hinweise BBB"."
Weitere Informationen wurden zunächst nicht gegeben.
Mehrere Bieter stellten Fragen (u.a.) zu den in den Vergabeunterlagen nicht genannten Bewertungskriterien und Gewichtungsfaktoren die Testaufgabe betreffend.
Die Ag beantwortete die Bieterfrage Nr. 34 eines dritten Bieters wie folgt:
"Bei den genannten B-Kriterien handelt es sich um die Arbeitspakete (AP) der 9-Stunden-Aufgabe, die Ihnen erst bei Versendung der schriftlichen Angebotspräsentation zukommen gelassen werden. Ansonsten sind in diesem Verfahren keine weiteren B-Kriterien vorhanden."
Die Antragstellerin (ASt) stellte folgende Bieterfrage Nr. 41 am 28. April 2022:
"Bei der Auswertung der schriftlichen Angebote werden die mit "B" gekennzeichneten Kriterien des Kriterienkataloges bewertet und für jedes B-Kriterium 0 bis 10 Wertungspunkte vergeben".
Der Kriterienkatalog enthält keine Kriterien mit der Kennzeichnung "B". Können Sie uns mitteilen, an welcher Stelle der Vergabeunterlagen die genannten B-Kriterien zu finden sind?" Hierauf antwortete die Ag:
"Siehe Antwort zu Bieterfrage Nr. 34. Der Aufgabenstellung kann auch die Gewichtung entnommen werden."
Diese Bieterfragen und Antworten wurden an alle Bieter übermittelt.
Nachdem die ASt und die Beigeladene (Bg) erfolgreich das Verfahrensstadium des Teilnahmewettbewerbs durchlaufen hatten, gaben beide jeweils fristgerecht zum 31. Mai 2022 ein Angebot ab.
Am 14. Juni 2022 wurde den Bietern die Aufgabenstellung zur "9 Stunden-Aufgabe" um 9:00 Uhr über die E-Vergabeplattform mit der Maßgabe übermittelt, die "Lösungen bis spätestens 18:00 Uhr desselben Tages auf gleichem Weg" einzureichen. Diese Aufforderung enthielt einen ergänzten Kriterienkatalog Leistung, der anstatt fünf nun neun Seiten umfasste. Die ersten vier Seiten blieben unverändert. Auf Seite 5 wurde die Aufgabenstellung eingefügt.
Diese versetzte die Bieter in die Rolle als zuständiger "Rahmenvertragspartner für das Thema "Beratung zu Informationssicherheitsmanagementsystemen und IT-Sicherheitskonzepten", der "eine Bundesbehörde mit 40 Mitarbeitern zu einem Sicherheitskonzept beraten und dieses maßgeblich miterstellt" habe. "Den ersten Entwurf für eine Maßnahmenplanung [habe] der Informationssicherheitsbeauftragte (ISB) der Behörde ohne Ihre bisherige Beteiligung erstellt." Zu diesem ersten Entwurf werden eine Reihe von Eckdaten konkret benannt (erforderliches Gesamtbudget für technische Maßnahmen und Infrastrukturmaßnahmen sowie sonstige Maßnahmen; zuzüglich erforderlicher Personentage für die Umsetzung von organisatorischen und personellen Maßnahmen (z. B. Teilnahme an Schulungen). Das allein für die Umsetzung der Basisanforderungen nach IT-Grundschutz erforderliche Budget nebst Personentagen wird benannt und auf zusätzliche bislang noch nicht berücksichtigte "Kosten und Aufwände für die Aufrechterhaltung des Betriebs [z.B. Protokollierungsserver] " hingewiesen.
Die Bieter in der Rolle als zukünftige Rahmenvertragspartner sollten im Rahmen eines "Workshop zur Abstimmung der Meilensteinplanung (Umsetzungsplanung bzw. Festlegung der Umsetzungsreihenfolge der Maßnahmen)" aufgrund einer Vorlage des Informationssicherheitsbeauftragten (ISB) mit den genannten Eckdaten und einer von der Behördenleitung vorgegebenen Budgetrestriktion auf rund 56% des eigentlich als erforderlich veranschlagten Budgets "Kriterien für die Priorisierung [...] finden, aus denen sich die Umsetzungsreihenfolge" ergäbe.
Hierzu wurde die Erwartungshaltung ausgeführt, dass die Behördenleitung vom Rahmenvertragspartner und dem ISB erwarte, "im Nachgang des Workshops eine optimale Reihenfolge für die Umsetzung der Maßnahmen aus diesen Kriterien" abzuleiten und das vorhandene Budget "so sinnvoll wie möglich" zu investieren. Zusätzlich äußern weitere, namentlich benannte Workshop-Teilnehmer (Akteure wie der ISB, Firewalladministrator, IT-Leiter, Verfahrensverantwortliche, Datenschutz- und Geheimschutzbeauftragte der zu beratenden Behörde) konkrete Anforderungen zur Priorisierung bestimmter Themen oder Maßnahmen (u.a. zu Stichworten wie schnell umsetzbarer Maßnahmen ("Quick Wins"), "IT-Grundschutz", Schutz besonders wichtiger Anwendungen ("Kronjuwelen"), "IT-Notfallvorsorge", "Mindeststandards des [...]", "Verschlusssachenanweisung" zum Geheimschutz und "Protokollierungsrichtline Bund").
Zusammenfassend heißt es hierzu:
"Wie gehen Sie vor, um nach dem Workshop eine Empfehlung für eine optimale Maßnahmenplanung erarbeiten zu können? Beantworten Sie diese Frage anhand der nachfolgenden Aufgaben in den Arbeitspaketen AP 1 bis AP 6. Stellen Sie sich vor, die Fragen in den AP 1 bis AP 4 würden Ihnen von den Workshop-Teilnehmern gestellt und die Behördenleitung und der ISB bäten Sie, die Fragen zu beantworten. Mit den Fragen zu AP 5 haben Sie Gelegenheit, eigene Impulse zu setzen. Bitte beachten Sie, dass AP 5 die größte Gewichtung besitzt. Es werden sowohl fachliche Kompetenz als auch Beratungskompetenz bewertet."
Anschließend wurden die Arbeitspakete AP 1 und 6 in tabellarischer Form mit Beschreibung der Aufgabenstellung, Gewichtung und Ausführungen zum Erwartungshorizont aufgeführt. Als "Art" der Kriterien wurde "B" vermerkt.
Im AP 1 (Gewichtungsfaktor 100) "Übliche Vorgehensweise und bisherige Vorarbeiten" wurde u.a. eine Beschreibung verlangt, "welche Vorgehensweise für die Findung einer optimalen Maßnahmenplanung üblich ist." Hierzu sollte auf "Zusammenhänge" eingegangen werden, "z.B. Rolle der Informationssicherheitsleitlinie, der Schutzbedarfsfeststellung und der Risikoanalyse".
Zum Erwartungshorizont heißt es u.a.:
"Es werden nachvollziehbare Praxisbeispiele aufgezeigt, bei denen ein unzureichendes Budget zu berücksichtigen war (mindestens 3). [...] werden die für die Bundesverwaltung einschlägigen Standards und Vorgaben berücksichtigt [...], werden die Vorgehensweise und Zusammenhänge der einzelnen Bestandteile des IT-Sicherheitskonzepts anhand der genannten Standards und Vorgaben aufgezeigt und wird auf die anwendbaren Vorgehensweisen nach IT-Grundschutz eingegangen, die Unterschiede dieser Vorgehensweisen kurz beschrieben und ein begründeter Vorschlag für die hier zu beratende Behörde gemacht."
Im AP 2 (Gewichtungsfaktor 100) waren die Wortbeiträge der Teilnehmer des fiktiven Workshops zu bewerten und zu den Kriterien für die Priorisierung Stellung zu nehmen. Es war u.a. aufzuzeigen, "auf welchen Feldern die bisherige Argumentation so nicht tragfähig ist" und es waren die für Bundesbehörden geltenden Standards und Vorgaben bei Empfehlungen zu berücksichtigen.
Im AP3 (Gewichtungsfaktor 50) war die Erläuterung eines Beispielszenarios gefordert, anhand dessen die Findung einer Umsetzungsreihenfolge anhand von zwei Maßnahmen exemplarisch zur erläutern war und anhand von Kriterien gegeneinander abzuwägen war. Dabei wurde erwartet, dass Abhängigkeiten vollständig und nachvollziehbare Konsequenzen der Entscheidung dargestellt werden.
Im AP 4 (Gewichtungsfaktor 200) war der "Zusammenhang zwischen Maßnahmenplanung und Risikoanalyse" bezogen auf das Gesamtrisiko zu erklären und es wurde erwartet, dass diese mit den von Bundesbehörden anzuwendenden Standards nachvollziehbar übereinstimmen.
Im AP 5 ("Nächste Schritte" - Gewichtungsfaktor 500) war ein Vorschlag für das weitere Vorgehen zu erstellen und Empfehlungen an Behördenleitung und ISB zu begründen und ausführen, wie sichergestellt werden könne, dass die zu entwickelnde Maßnahmenplanung optimal sei und akzeptiert werde. Erwartet wurden nachvollziehbare Ausführungen zu anfallenden Aufwänden, verfügbaren Ressourcen, zum verbliebenen Klärungsbedarf, zur "Frage, ob und, wenn ja, in welchem Umfang Maßnahmen zur Mitigation vorgeschlagen werden" sowie zu den Empfehlungen.
Im AP 6 (Gewichtungsfaktor 50) sollte ein nachvollziehbares und vollständiges Ergebnisprotokoll der Workshop-Sitzung mit den wesentlichen Problemen und Festlegungen unter Berücksichtigung der vorherigen Beiträge in AP 1 bis 5 erstellt werden.
Die ASt reichte ihre Testaufgabe am 14. Juni 2022 fristgerecht bis 18:00 Uhr ein.
Die Räumlichkeiten der Bg wurden an diesem Tag gegen 13:25 Uhr auf polizeiliche Anordnung - wegen einer Bombendrohung das Nachbargebäude betreffend - evakuiert. Nach Aufhebung der polizeilichen Maßnahmen gegen 14:00 Uhr erfolgte die Rückführung der evakuierten Personen ausweislich einer Bescheinigung der Hausverwaltung der Bg bis gegen 14:30 Uhr.
Aufgrund dieses Sachverhalts beantragte die Bg telefonisch und schriftlich eine Fristverlängerung um eine Stunde und legte die Bescheinigung der Hausverwaltung vor. Die Ag gewährte die Fristverlängerung und die Bg reichte ihre Lösung der Testaufgabe um 18:36 Uhr ein.
Mit der fachlichen Bewertung der Testaufgaben der Bieter betraute die Ag das [...] und dieses erstellte in der Folge einen 26-seitigen Prüfungsvermerk mit der Bewertungsentscheidung, der vom 27. September 2022 datiert. In der im Vergabevermerk dokumentierten Gesamtwertung wurde das Angebot der Bg auf dem ersten Rang und das Angebot der ASt auf dem dritten Rang platziert.
Mit Schreiben vom 5. Oktober 2022 teilte die Ag der ASt gem. § 134 GWB mit, dass sie deren Angebot nicht berücksichtigen könne, weil dieses nicht das wirtschaftlichste sei. Beabsichtigt sei, den Zuschlag frühestens am 17. Oktober 2022 auf das Angebot der Bg zu erteilen.
Hierzu wurden zu jedem Arbeitspaket AP 1 bis 6 die vergebenen Wertungspunkte (jeweils zwischen 5 und 7,5 Punkten) genannt und die Wertungsentscheidung anhand des Prüfvermerks des [...] begründet.
Dazu wurden konkrete Defizite in der Testaufgabe der ASt benannt (u.a. nicht einschlägiges Praxisbeispiel, fehlende Bezüge zur konkreten Situation, Empfehlungen und Vorgehensweisen sowie einer Stellungnahme zu Priorisierungskriterien und der Abwägung von Grundschutzmaßnahmen) und erklärt, dass Erläuterungen "lediglich in allgemeiner Form" und stichwortartig vorgenommen worden seien. Auf die Rollen der Akteure bzw. deren Wortbeiträge im Beispielszenario werde nicht genügend eingegangen bzw. deren Aussagen nicht hinreichend problematisiert. Die Darstellung wirke nicht ausreichend konkret und ein Vorschlag für eine Reihenfolge von Maßnahmen auf Basis von Kriterien sei nicht erkennbar. Es würden unklare oder sachliche falsche Begriffe verwendet, das Protokoll hätte präziser, strukturierter ausfallen können und es fehlten konkrete Anforderungen an die Akteure.
Die Verfahrensbevollmächtigten der ASt rügten mit Schreiben vom 11. Oktober 2022 die Wertungsentscheidung, die fehlende Bekanntmachung von Unterkriterien und deren Gewichtung als vergaberechtswidrig. Die Begründungen der Wertungsentscheidung seien nicht nachvollziehbar, fachtechnisch falsch und von sachwidrigen Erwägungen geleitet.
Hierzu wurde der der Ag eine Frist zur Beantwortung bis zum 13. Oktober 2022 gesetzt.
Die Ag teilte den Verfahrensbevollmächtigten der ASt mit Schreiben vom 12. Oktober 2022 mit, dass sie für die Prüfung und Beantwortung der Rüge voraussichtlich bis zum 19. Oktober 2022 Zeit benötige. Die Ag sicherte zu, den Zuschlag nicht vor dem 24. Oktober 2022 zu erteilen.
Mit Schreiben vom 13. Oktober 2022 rügten die Verfahrensbevollmächtigten der ASt das Vorgehen der Ag. Ein Auftraggeber könne den Lauf der Frist gemäß § 134 GWB nicht verlängern. Die Ag wurde aufgefordert, das Schreiben gem. § 134 GWB vom 5. Oktober 2022 zurücknehmen und als gegenstandslos anzusehen.
Die Ag teilte den Verfahrensbevollmächtigten der ASt mit Schreiben vom 13. Oktober 2022 mit, dass sie das Schreiben gem. § 134 GWB vom 5. Oktober 2022 nicht zurückziehe und nach Prüfung der Rüge voraussichtlich am 19. Oktober 2022 eine Rückmeldung geben werde. Die Ag sicherte zu, den Zuschlag nicht vor dem 31. Oktober 2022 zu erteilen.
Mit Schreiben vom 19. Oktober 2022 lehnte es die Ag ab, der Rüge abzuhelfen.
Mit Schreiben vom 21. Oktober 2022 forderte die ASt weitere Informationen zur Leistungs- und Preiskennzahl und erhielt diese von der Ag mit Schreiben vom 24. Oktober 2022.
2. Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 28. Oktober 2022 beantragte die ASt bei der Vergabekammer des Bundes die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag am selben Tag an die Ag übermittelt.
a) Mit ihrem Nachprüfungsantrag macht die ASt geltend:
Die ASt habe ihrer Rügeobliegenheit am 11. Oktober 2022 gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB genügt. Eine Präklusion gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB komme hinsichtlich der nicht rechtzeitig bekannt gegebenen Unterkriterien mit Gewichtungskoeffizienten nicht in Betracht. Der Verstoß gegen das Transparenzgebot sei für einen durchschnittlichen Bieter nicht erkennbar gewesen. Daran ändere auch die Bieterfrage Nr. 41 der ASt nichts.
Die Bekanntgabe der Bewertungs(Unter-)Kriterien ("B") zu den einzelnem Arbeitspakten mit Gewichtung am Tag der Testaufgabe durch Ergänzung des Kriterienkatalogs Leistung verstoße gegen § 127 Abs. 5 GWB und den Transparenzgrundsatz gem. § 97 Abs. 1 GWB. Es handele sich hierbei um Zuschlags- bzw. Unterkriterien und diese seien zu Beginn des Verfahrens in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen aufzuführen. Dies wäre auch erforderlich gewesen, da bereits mit der Angebotsabgabe zum 31. Mai 2022 Personalprofile für diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzugeben waren, die mit der Testaufgabe betraut werden sollten. Die Bieter seien so daran gehindert worden, die Angebote in Kenntnis der Bewertungskriterien taktisch auszurichten.
Auch die Wertungsentscheidung selbst sei vergaberechtswidrig, fachtechnisch unzutreffend, beurteilungsfehlerhaft und basiere auf unzutreffendem Sachverhalt. Wertungen müssten im Quervergleich stimmig sein. Ein solcher Quervergleich sei von der Ag vergaberechtswidrig unterlassen worden. Soweit die Ag die Aufgabenlösung der ASt wegen Erläuterungen allgemeiner Art abgewertet habe, sei es wegen der Beschränkung der Beantwortung nach der vorgegebenen Anzahl der Wörter ausgeschlossen, dass andere Bieter hierzu umfangreicher vortragen konnten. Zu den Bewertungen in den einzelnen Arbeitspaketen AP 1 bis 6 wird u.a. Folgendes beanstandet:
Im AP 1 sei die Abwertung fachtechnisch unzutreffend. Auch das dritte Praxisbeispiel sei als einschlägig zu bewerten, weil auch im Rahmen einer Umsetzung eines Sicherungskonzepts regelmäßig Sicherheitskonzepte als Maßnahmen erstellt, aktualisiert oder überarbeitet würden. Die Abwertung wegen lediglich "allgemeiner Form" der Antwort der ASt sei sachwidrig, weil im Kriterienkatalog kein Detailierungsgrad vorgegeben und kein Bezug zur konkreten Situation gefordert worden sei. Nicht nachvollziehbar sei die bemängelte fehlende Stellungnahme zu Priorisierungskriterien. Solche seien nicht gefordert gewesen. Das Fallbeispiel lege vielmehr die Erstellung (nicht die Umsetzung) eines Sicherheitskonzepts nahe.
Im AP 2 sei eine Abwertung wegen unzureichender Berücksichtigung des [...]Mindeststandards nicht nachvollziehbar und beurteilungsfehlerhaft, weil das Sicherheitskonzept für eine Bundesbehörde erstellt werde, so dass "denknotwendig davon ausgegangen werden [müsse], dass alle Anforderungen der Erfüllung der Fachaufgaben dienen." Daher lasse sich nicht ohne weitere Informationen ableiten, inwieweit sich die Verbindlichkeit der Mindeststandards von denen des Datenschutzes, des Geheimschutzes oder der Umsetzung der [...]-Standards unterscheide. Dementsprechend ergebe sich hieraus kein Einfluss auf die Maßnahmenpriorisierung. Geheimschutz sei richtigerweise kein Teil der Informationssicherheit und die Erwartung der Ag von diesbezüglichen Hinweisen ergäbe sich nicht aus der Aufgabenstellung. Unzutreffend sei auch, dass die ASt nicht auf die "Protokollierungsrichtlinie Bund" eingegangen sei.
Die Abwertung im AP 3 aufgrund nur allgemeiner Beschreibung ohne konkrete Erläuterung von Beispielen für Kriterien, Faktoren und Abhängigkeiten sei nicht plausibel. Hiermit überschreite die Ag den vorgegebenen Erwartungshorizont. Die zwei geforderten Maßnahmen seien ausgewiesen und aufgabengemäß gegeneinander abgewogen worden.
Die Bewertung im AP 4 und AP 5 seien vergaberechtswidrig. Die Ausführungen der ASt seien fachtechnisch korrekt. Im AP 5 sei lediglich ein Vorschlag zum weiteren Vorgehen gefordert gewesen. Weitergehende Anforderungen zum Detaillierungs/Konkretisierungsgrad der Antworten - etwa ob eine Basis-, Kern- oder Standardabsicherung angestrebt werden solle oder konkrete Erläuterungen zum Budget -, ergäben sich nicht aus dem Kriterienkatalog Leistung. Die ASt habe mehrfach konkrete Vorschläge aufgeführt und auch das ursprünglich veranschlagte Budget genannt. Sofern die Ag die Aussage der ASt, dass "die Umsetzung technischer Maßnahmen auch ggf. durch organisatorische Maßnahmen mitigiert werden" als falsch bewertet habe, sei die Wertung fachtechnisch nicht korrekt. Diese Aussage sei nicht zu beanstanden.
Hinsichtlich des AP 6 sei die Wertung vergaberechtswidrig, weil unzutreffender Sachverhalt zugrunde gelegt worden sei. Zu Unrecht habe die Ag Aspekte (u.a. unzureichendes Eingehen auf die besondere Rolle bzw. die Anforderungen an die die Behördenleitung sowie fehlende konkrete Schritte außer den Verweis auf künftige Workshops) bemängelt. Diese seien in der Aufgabenstellung nicht gefordert worden. Vielmehr hätten nur die wesentlichen Ergebnisse des Workshops protokolliert werden sollen. Zudem sollten diese Aspekte den Teilnehmern im Fallbeispiel hinreichend bekannt sein.
Nach Akteneinsicht wird beanstandet, dass die Aufgabenstellung der Testaufgabe zum Zeitpunkt der Bekanntmachung der Ausschreibung noch nicht endabgestimmt gewesen sei. Dies ergebe sich aus der Vergabedokumentation (Bl. 1448-1450), da in dieser als Anlage auf eine korrigierte Fassung der Testaufgabe verwiesen werde Offenbar habe das [...] der Ag erst einen Tag vor dem 14. Juni 2022 die Aufgabenstellung übermittelt. Dies verstoße gegen vergaberechtliche Grundsätze, denn die Ag habe so die Testaufgabe in Ansehung des Angebotsinhalts - insbesondere des angebotenen Personals - erstellen können.
Die Verlängerung der Abgabefrist der Testaufgabe um 60 Minuten ausschließlich zugunsten der Bg infolge der angeblichen Bombendrohung habe dieser überdies vergaberechtswidrig einen erheblichen Vorteil gewährt. Die Durchführung der Testaufgabe hätte abgebrochen werden müssen, eine neue Testaufgabe hätte zu einem späteren Zeitpunkt gestellt werden müssen.
Die ASt beantragt:
1. gegen die Ag ein Vergabenachprüfungsverfahren gem. § 160 Abs. 1 GWB einzuleiten und die Ag unverzüglich in Textform darüber zu informieren Fax-Nr.: [...]
2. der Ag die beabsichtigte Zuschlagserteilung zu untersagen und ihr aufzugeben, das Vergabeverfahren zurückzuversetzen und das Verfahren vergaberechtskonform nach Maßgabe der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen;
3. hilfsweise geeignete Maßnahmen zu treffen, um die von der Vergabekammer festgestellten Rechtsverletzungen der ASt zu beseitigen;
4. der ASt gem. § 165 Abs. 1 GWB die Einsichtnahme in die Vergabeakte zu gestatten;
5. der Ag die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der ASt aufzuerlegen;
6. festzustellen, dass die Hinzuziehung der Bevollmächtigten der ASt notwendig war.
b) Die Ag beantragt:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Der ASt werden die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Die Ag macht geltend, dass der Nachprüfungsantrag unzulässig und im Übrigen unbegründet sei:
Der Antrag sei wegen Verstoßes gegen § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 3 GWB präkludiert. Ausweislich der Bieterfrage Nr. 41 habe die ASt bereits im April Kenntnis von der Nichtveröffentlichung der Aufgabenstellung und der Gewichtung der Arbeitspakete gehabt. Die ASt hätte dies jedenfalls bis zum Ablauf der Angebotsfrist im Mai 2022 rügen müssen.
Der Antrag sei auch unbegründet. Ein Verstoß gegen § 127 Abs. 5 GWB und den Transparenzgrundsatz liege nicht vor. Es handele sich bei der Testaufgabe nicht um Unterkriterien im vergaberechtlichen Sinn. Nach der Rechtsprechung bestehe keine Pflicht zur Bekanntgabe der Bewertungsmethode. Vergabestellen müssten die Möglichkeit haben, Bieter im Dienstleistungsbereich nach unter Zeitdruck zu bearbeitenden Lösungen zu bewerten. Dies erfordere, dass die Aufgabenstellung nicht vorab veröffentlicht werde.
Die Wertungsentscheidung sei nicht zu beanstanden und überschreite nicht den Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers, was hinsichtlich der Arbeitspakete AP 1 bis AP 6 im Einzelnen ausgeführt wird. Soweit die ASt einen mangelnden Quervergleich der Angebote moniere, habe die Ag die einheitliche Anwendung des Erwartungshorizonts noch einmal überprüft und reiche eine ergänzende Dokumentation hierzu ein.
Die Verlängerung der Frist zur Abgabe der Testaufgabe zugunsten der Bg sei als Nachteilsausgleich gerechtfertigt. Der der Ag zustehende Ermessensspielraum, auf ein außergewöhnliches und nicht zu verhinderndes Ereignis (Räumung wegen einer Bombendrohung) zu reagieren, sei nicht überschritten worden. Eine Wiederholung der Testaufgabe hätte eine Verzögerung um mehrere Monate bewirkt und das Risiko von Schadensersatzforderungen begründet.
Die Aufgabenstellung zur Testaufgabe habe bereits zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Teilnahmewettbewerbs im November 2021 festgestanden. Dies werde durch die Vergabedokumentation belegt (Bl. 29ff. und 1939ff. der Vergabeakte). Danach seien nur noch minimale redaktionelle Änderungen vorgenommen worden.
c) Die mit Beschluss vom 31. Oktober 2022 zum Verfahren hinzugezogene Bg hat keine Anträge gestellt und nicht schriftsätzlich vorgetragen, sich allerdings an der mündlichen Verhandlung beteiligt.
3. Die Vergabekammer hat der ASt am 8. November 2022 Einsicht in die Vergabeakten gewährt, soweit keine geheimhaltungsbedürftigen Aktenbestandteile betroffen waren. Mit Schriftsatz vom 16. November 2022 hat die ASt ergänzende Akteneinsicht beantragt in die Dokumentation der Ag im Zusammenhang mit der Bombendrohung, die Dokumentation der Ag im Zusammenhang mit der internen Feststellung und Endredaktion der Testaufgabe, die Aufgabenlösung der Bg nebst deren Angebotswertung. Der ASt wurde daraufhin die von der Bg vorgelegte Bescheinigung der Hausverwaltung übermittelt. Die Ag hat weitere Vergabedokumentation im Zusammenhang mit der Konzeption der Aufgabenstellung der Testaufgabe vorgelegt und ist dem Antrag auf weitergehende Akteneinsicht der ASt im Übrigen entgegengetreten.
4. In der mündlichen Verhandlung am 29. November 2022 hatten die Beteiligten Gelegenheit, ihre Standpunkte darzulegen und mit der Vergabekammer umfassend zu erörtern. Die Bg erläuterte die Situation der polizeilich angeordneten Räumung der Geschäftsräume der Bg infolge einer Bombendrohung am 14. Juni 2022 und stellte klar, dass die Fristverlängerung schriftlich über die Vergabeplattform beantragt wurde. Die Ag erklärte, dass die Aufgabenstellung der Testaufgabe bereits vor Bekanntmachung der Ausschreibung fertig gestellt worden sei, verwies hierzu auf die Vergabedokumentation und stellte klar, dass vor dem Testtermin nur noch redaktionelle Mängel korrigiert wurden.
Mit Verfügung der Vorsitzenden der Vergabekammer vom 2. Dezember 2022 wurde die Entscheidungsfrist bis 13. Dezember 2022 verlängert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a) Das für die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB erforderliche Interesse am Auftrag hat die Antragstellerin durch die Abgabe eines Angebots hinreichend dokumentiert. Ungeachtet ihrer Platzierung im Wettbewerb auf dem dritten Rang droht ihr ein Schaden im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB, weil es prima facie vorliegend nicht ausgeschlossen ist, dass sie im Falle grundlegender Verfahrensfehler oder einer beurteilungsfehlerhaften Angebotswertung gegebenenfalls im Rahmen einer Zurückversetzung des Vergabeverfahrens eine bessere Bewertung bzw. eine erneute Auftragschance erhalten könnte. Mit der Ungleichbehandlung hinsichtlich der Abgabefrist der Testaufgabe, der nachträglichen Festlegung der Testaufgabe und der beanstandeten Angebotswertung macht die ASt solche Fehler konkret geltend.
b) Soweit die ASt die verspätete Bekanntgabe der Aufgabenstellung und der Gewichtung der Arbeitspakete der Testaufgabe selbst angreift, bestehen zwar Anhaltspunkte dahingehend, dass der angebliche Vergaberechtsverstoß in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht für einen durchschnittlichen fachkundigen Bieter des mit dem Vergabeverfahren angesprochenen Bieterkreises vorab gem. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB erkennbar gewesen sein könnte. Das Wertungssystem ist in den Vergabeunterlagen detailliert beschrieben (vgl. Ziffer 3.9.2 und 3.10 der Hinweise BBB sowie die Anlage Kriterienkatalog Leistung). Dies umfasste eine Erläuterung der erweiterten Richtwertmethode und der Vergabe der Leistungspunkte anhand von "Bewertungskriterien (B)" mit den einzelnen Notenstufen. Auch die Tatsache, dass Grundlage der qualitativen Angebotswertung eine schriftliche Angebotspräsentation in Form einer 9-Stunden-Aufgabe anhand eines fiktiven Beispielsprojekts am 14. Juni 2022 sein würde, wurde den Bietern von vorneherein im Kriterienkatalog Leistung bekannt gegeben.
Unklarheiten bestanden allerdings dahingehend, wie diese 9-Stunden-Aufgabe konkret beurteilt werden würde. Dass es sich bei dem ursprünglich fünfseitigen Kriterienkatalog Leistung um eine gekürzte Fassung eines vollständig neunseitigen Dokuments handelte, war für die Bieter nicht erkennbar. Dass insoweit vorab keine Informationen gegeben wurden, war der ASt allerdings auch schon im April 2022 ausweislich der Bieterfrage Nr. 41 aufgefallen, und dass diese bewusst von der Ag bis zur Bekanntgabe der Aufgabenstellung am Morgen des 14. Juni 2022 vorenthalten bleiben sollten, wurde mit den veröffentlichten Bieterfragen und - antworten Nr. 34 und Nr. 41 seitens der Ag auch unmissverständlich klargestellt. Dass die Ag vorab keine weiteren Informationen zur Testaufgabe nebst Bewertungsmaßstäben geben würde, war somit in tatsächlicher Hinsicht vollumfänglich klar und damit erkennbar.
Allerdings ist im Rahmen der Erkennbarkeit im Sinne des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB auch erforderlich, dass der jeweilige Antragsteller die im Nachprüfungsantrag geltend gemachte Rechtswidrigkeit auch in rechtlicher Hinsicht im Sinne einer Parallelwertung in der Laiensphäre erkennen konnte. Die ASt qualifiziert die Arbeitspakete als Unterkriterien. Es ist zwar fraglich, ob die Arbeitspakete, welche die Inhalte der zu bearbeitenden Testaufgabe darstellen, als Unterkriterien zu bezeichnen sind; deren Bearbeitung durch die Bieter ist vielmehr Grundlage für die Bewertung. Der ASt ist allerdings zugute zu halten, dass die Stellung einer Testaufgabe als Basis für eine Bewertung nicht dem Regelfall in Vergabeverfahren entspricht. Gesetzte und etablierte Regeln oder Rechtsprechung gibt es daher insoweit nicht. Auch abgesehen davon ist die Frage, was an Unterkriterien und Erwartungshorizont durch einen Auftraggeber z.B. bei Konzeptwettbewerben vorab bekannt zu geben ist, vornehmlich durch Rechtsprechung geprägt und konkretisiert. Vom fachkundigen Bieter, der nicht selbst Adressat des Vergaberechts ist, kann keine vergaberechtliche Einschätzung dieser Fragen erwartet werden. Eine Präklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB in Bezug auf die Grundlagen des Vergabeverfahrens ist daher nicht gegeben.
Für das Vorliegen einer positiven Kenntnis der Vergaberechtswidrigkeit i.S.d. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB fehlt es indes an konkreten Anhaltspunkten. [...]
Im Ergebnis hat die ASt den Anforderungen an eine rechtzeitige Rüge im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB genügt.
2. Der Nachprüfungsantrag ist jedoch unbegründet.
Die Bekanntgabe der Aufgabenstellung der Testaufgabe am 14. Juni 2022 nebst Bewertungskriterien und Gewichtung ist vergaberechtlich nicht zu beanstanden (dazu unter lit. a). Gleiches gilt für die Endabstimmung der Testaufgabe im Vorfeld der Testaufgabe (lit. b). Die Verlängerung der Abgabefrist der Testaufgabe um 60 Minuten war als Nachteilsausgleich zugunsten der Bg statthaft und verhältnismäßig (lit. c). Auch die Wertung der Testaufgabe bewegte sich im Rahmen des Beurteilungsspielraums der Ag und ist nicht zu beanstanden (lit. d). Ein weitergehender Anspruch auf Akteneinsicht besteht nicht (lit. e).
a) Die Bekanntgabe der Aufgabenstellung der Testaufgabe am 14. Juni 2022 nebst Bewertungskriterien und Gewichtung verstößt weder gegen § 127 Abs. 5 GWB noch den Transparenzgrundsatz (§ 97 Abs. 1 GWB).
Am Morgen des 14. Juni 2022 wurde - wie vorab transparent angekündigt - das fiktive Beispielszenario mit der Aufgabenstellung in den Arbeitspaketen AP 1 bis 6, deren Gewichtungsfaktoren sowie Ausführungen zum Erwartungshorizont an alle Bieter übermittelt. Diese Aufgabe war unter Zeitdruck innerhalb von neun Stunden zu lösen. Das Beispielszenario bezog sich auf eine konkrete Beratungssituation im IT-Bereich. Die ASt macht nicht geltend, dass diese Beratungssituation im Hinblick auf den ausgeschriebenen Auftragsgegenstand irgendwie ungewöhnlich, überraschend oder nicht lösbar gewesen wäre. Dies ist auch nicht ersichtlich, denn ausgeschrieben wurde eine Rahmenvereinbarung über Beratungen zu Informationssicherheitsmanagementsystemen und IT-Sicherheitskonzepten. Dies umfasst die Beratungssituation der fiktiven Testaufgabe, in der die typisierte Umsetzung eines Sicherheitskonzeptes unter der Erschwernis einer Budgetrestriktion zum Gegenstand gemacht wurde. Am Morgen des 14. Juni 2022 bestanden mithin für alle Bieter im Ausgangspunkt die gleichen Bedingungen. Die verbleibende Unsicherheit wie die Aufgabenlösungen bewertet werden würden, liegt in der Natur der Sache, die mit jeglicher Prüfungssituation - zumal unter Zeitbegrenzung -verbunden ist. Ein Verstoß gegen grundlegende Transparenzanforderungen im Wettbewerb ist in dieser Sachverhaltskonstellation nicht ersichtlich.
Diese Art der Aufgabenstellung unter Zeitdruck verstößt auch nicht gegen § 127 Abs. 5 GWB, weil es sich beim fiktiven Beispielszenario, den einzelnen Arbeitspaketen AP 1 bis 6, deren Gewichtung sowie den Ausführungen zum Erwartungshorizont der Ag nicht um Zuschlagskriterien bzw. Unterkriterien i.S.d. § 127 GWB handelt.
Zuschlagskriterien müssen so festgelegt und bestimmt sein, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen (§ 127 Abs. 4 Satz 1 GWB). Die Zuschlagskriterien spiegeln dementsprechend wider, wie der Auftraggeber im jeweiligen Vergabeverfahren das Preis-Leistungs-Verhältnis bewerten möchte, wenn sich bei den Angebotspreisen einerseits und der Qualität des Angebots andererseits unterschiedliche Rangfolgen ergeben. Hierfür ist ihm ein weiter Beurteilungs- und Handlungsspielraum eröffnet. § 127 Abs. 5 GWB schreibt vor, dass die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen aufgeführt werden müssen. Das gilt grundsätzlich sowohl für die Zuschlags(haupt)kriterien als auch für die Unterkriterien (BGH, Beschluss vom 4. April 2017 - X ZB 3/17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Mai 2020 - Verg 26/19; OLG Celle, Beschluss vom 25. März 2021 - 13 Verg 1/21; s.a. EuGH, Urteil vom 14. Juli 2016 - Rs. C-6/15).
Dies hindert den Auftraggeber aber nicht daran, nachträglich - auch erst nach dem Ablauf der Angebotsfrist - eine Präzisierung der bekannt gemachten Zuschlagskriterien vorzunehmen. Dies hat der EuGH ausdrücklich für Gewichtungskoeffizienten der Unterkriterien klargestellt. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die nachträglichen Änderungen bzw. Präzisierungen "im Wesentlichen den Kriterien entsprechen, die den Bietern vorher zur Kenntnis gebracht wurden" (EuGH, Urteil vom 14. Juli 2016 - Rs. C-6/15, Rn. 26). Hierdurch dürfen die bekannt gemachten Zuschlagskriterien nicht derart verändert werden, dass dies die Vorbereitung der Bieter beeinflussen oder diese diskriminieren könnte. Zusätzlich hat der Auftraggeber nachträglich den Bietern das Wertungssystem zur Kenntnis zu bringen.
Dies entspricht auch der Rechtsprechung, die eine Methode der Qualitätsbewertung billigt, bei der konkretisierenden Angaben, wovon die jeweils in den Unterkriterien erreichbare Punktzahl in einem Konzeptwettbewerb konkret abhängen soll (BGH, Beschluss vom 4. April 2017 - X ZB 3/17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Mai 2020 - Verg 26/19; OLG Celle, Beschluss vom 25. März 2021 - 13 Verg 1/21).
Nach den Grundsätzen dieser Rechtsprechung beinhaltete der am Morgen des 14. Juni 2022 den Bietern übermittelte, nun auf neun Seiten erweiterte Kriterienkatalog Leistung keine zusätzlichen Unterkriterien oder Gewichtungen, die eine wesentliche Veränderung der bereits bekannten Zuschlagskriterien bewirken konnten.
Im vorliegenden Fall gab es nur ein Zuschlagskriterium im Qualitätswettbewerb, die mit der Lösung der Testaufgabe zu erreichende Gesamtleistungspunktzahl, die nach der erweiterten Richtwertmethode in Bezug zum Angebotspreis als weiterem Zuschlagskriterium gesetzt wurde. Eine Veränderung der Gesamtbewertung von Leistung und Preis nach der erweiterten Richtwertmethode erfolgte hierdurch nicht. Die zusätzlichen Informationen (Aufgabenstellung, Einzelfragen der Arbeitspakete, Gewichtungsfaktoren und Erläuterungen zum Erwartungshorizont) sollten lediglich Ausgangspunkt, Anforderungen und Erwartungen in der befristeten Prüfungssituation klarstellen und dienten somit allein der Hilfestellung der Bieter zur Ermöglichung eines transparenten Wettbewerbs. Auch die bekannt gegebene Notenskala wurde hierdurch nicht tangiert. Hierdurch wurde auch die Vorbereitung der Bieter nicht vergaberechtswidrig beeinflusst. Im Gegenteil sollte durch diese Form der Aufgabenstellung gerade eine für alle Bieter vergleichbare Prüfungssituation geschaffen werden, in der diese ihre Fach- und Beratungskompetenzen in einem auftragsbezogenen Beispielsszenario ohne spezifische Vorbereitungszeit im Wettbewerb untereinander anbieten sollten. Wenn diese Informationen vorab bekannt gegeben worden wären, wäre der bekannt gemachte Qualitätswettbewerb so nicht mehr durchführbar gewesen. Denn es liegt in der Natur von Test- und Prüfungsaufgaben, dass der Inhalt des Tests bzw. der Prüfung den Bearbeitern nicht vorab bekannt gegeben werden, ansonsten wäre eine Prüfung sinnlos. Das Vergaberecht schränkt indes den Beurteilungs- und Handlungsspielraum des Auftraggebers nicht ein, konkrete auftragsspezifische Wettbewerbssituationen zu schaffen, wenn wie hier eine Beeinträchtigung der Grundsätze von Gleichbehandlung, Transparenz und Wettbewerb ausgeschlossen ist.
Hinzu kommt, dass mit den konkreten Aufgabenstellungen in den Arbeitspaketen, deren Gewichtung und den Erläuterungen zum Erwartungshorizont vorliegend sogar ein erhöhtes Maß an Information zum Wertungsprogramm zu Beginn der Prüfungssituation gewährt wurde, die über die o.g. Anforderungen der Rechtsprechung an einen Konzeptwettbewerb sogar deutlich hinaus reicht.
b) Soweit die ASt beanstandet, dass die Ag die Testaufgabe vor dem 14. Juni 2022 noch einmal endabgestimmt und eine korrigierte Fassung verteilt habe, begründet dies keinen Verfahrensfehler. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese Endabstimmung in Ansehung der mit den Angeboten eingereichten Personalprofile erfolgte und die ASt hierdurch eine Beeinträchtigung der Zuschlagschancen erfahren haben könnte. Vielmehr ergibt sich aus dem Vergabevermerk, dass bereits am 14. Oktober 2021 eine Fassung der Aufgabenstellung vorlag (Bl.1939 der Vergabeakte). Die Ag hat weiterhin eine auf den 16. September 2021 datierte Entwurfsfassung des neunseitigen Kriterienkatalog Leistung mit Schriftsatz vom 24. November 2022 nachgereicht, die im Vergleich zur finalen Fassung bereits weitgehend finalisiert erscheint. Die Ag hat in der mündlichen Verhandlung diesen Ablauf bestätigt. Selbst wenn man unterstellt, dass eine Endabstimmung der Testaufgabe noch einmal im Zeitraum seit dem Angebotsabgabetermin im Vorfeld des 14. Juni 2022 erfolgte, begründet dies keinen Vergaberechtsfehler, denn eine Präzisierung des Wertungssystems und der Zuschlagskriterien ist nach der bereits genannten Rechtsprechung zulässig. Dies gilt erst recht für die Korrektur redaktioneller Fehler.
Aufgrund der inhaltlichen Festlegung der Aufgabenstellung bereits im Vorfeld des Teilnahmewettbewerbs im November 2021 ist es ausgeschlossen, dass Änderungen in Ansehung der Ende Mai 2022 eingereichten Personalprofile zum Nachteil der ASt vorgenommen wurden.
c) Die Verlängerung der Abgabefrist der Testaufgabe um 60 Minuten war als Nachteilsausgleich zugunsten der Bg statthaft und verhältnismäßig. Die Tatsache, dass (u.a.) die Geschäftsräume der Bg am 14. Juni 2022 aufgrund polizeilicher Anordnung nach einer Bombendrohung in unmittelbarer Nähe für einen Zeitraum von rund einer Stunde geräumt werden mussten, hat die Bg durch Vorlage einer Bescheinigung ihrer Hausverwaltung belegt. Diese Tatsache wurde nach Erörterung in der mündlichen Verhandlung auch von der ASt nicht mehr bestritten. Aufgrund dieses unvorhersehbaren Ereignisses hat die Ag noch am 14. Juni 2022 die Abgabefrist um eine Stunde verlängert. Diese Frist hat die Bg nicht ausgeschöpft, sondern nach 36 Minuten die Aufgabenlösung übermittelt.
Hinsichtlich der Entscheidung, in welcher Form ein Nachteilsausgleich zu gewähren ist, wenn ein Bieter im Vergabeverfahren mit unvorhersehbaren und nicht zu vertretenen Erschwernissen belastet wird, die wie vorliegend der Kategorie der "höheren Gewalt" zuzuordnen sind, steht dem Auftraggeber ein im Vergabenachprüfungsverfahren nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Bei der Ausübung desselben hat sich der Auftraggeber an den vergaberechtlichen Grundsätzen des § 97 Abs. 1 und 2 GWB zu orientieren. Hierzu gehören sowohl das Gleichbehandlungsgebot als auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip.
Vorliegend ist es nicht zu beanstanden, dass sich die Ag gegen eine Wiederholung der Prüfung und für eine Fortsetzung des Verfahrens mit einem Nachteilsausgleich zugunsten der Bg entschieden hat. Eine Wiederholung der Testaufgabe hätte einen erheblichen Zeitverzug bedeutet und die Konzeption einer neuen Aufgabenstellung erfordert. Auch eine Wiederholung hätte aber keine sichere Gewähr dafür gegeben, dass es nicht zukünftig wieder zu unvorhersehbaren Erschwernissen gekommen wäre. Daher ist grundsätzlich das Interesse des Auftraggebers anzuerkennen, Auswirkungen externer Störungen auf ein effizientes Vergabeverfahren zu minimieren. Vergaberechtlich ist der Fall einer unverschuldeten Fristversäumung in anderem Zusammenhang, nämlich bei verspäteter Angebotseinreichung, ebenfalls dahin geregelt, dass die Verfristung dem betroffenen Bieter nicht zum Nachteil gereichen darf, vgl. z.B. § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV.
Soweit ein Nachteilsausgleich gewährt wird, muss dieser verhältnismäßig sein und darf den erlittenen Nachteil nicht überkompensieren. Vorliegend entspricht die gewährte Fristverlängerung dem Zeitraum der eingetretenen Störung. Selbst wenn man unterstellt, dass die Vertreter sich auch während des Zeitraums der Störung gedanklich weiter mit der Aufgabenstellung hätten befassen können, ist die Unterbrechung der selbstbestimmten Arbeitsabläufe unbestreitbar eine erhebliche Erschwernis in einer zeitlich begrenzten Prüfungssituation. Es entspricht auch allgemeiner Lebenserfahrung, dass eine solche erzwungene Unterbrechung des Arbeitsflusses durchaus auch noch Nachwirkungen über den Zeitraum einer Störung hinaus haben kann. Hinzu kam vorliegend für die Bg die Notwendigkeit, die Störung gegenüber der Ag zu kommunizieren, die Fristverlängerung zu beantragen, eine Bescheinigung einzuholen und die zumindest zeitweise Unsicherheit, ob eine Fristverlängerung überhaupt gewährt werde.
Vor diesem Hintergrund war die Entscheidung der Ag zur Fristverlängerung verhältnismäßig und vergaberechtlich nicht zu beanstanden.
Hinzu tritt der Umstand, dass das Risiko einer etwaigen graduellen Benachteiligung der weiteren Bieter faktisch auch dadurch reduziert wurde, dass die Bg diese Fristverlängerung nicht einmal ausgeschöpft hat.
d) Die Wertung der Testaufgabe ist nicht zu beanstanden.
Die Ag verwendet im vorliegenden Verfahren ein Wertungssystem, welches die Lösung von Testaufgaben, die im Kontext einer fiktiven Beratungssituation gestellt werden anhand qualitativer Kriterien in einem fünfstufigen Wertungssystem bewertet. Einem solchen Wertungssystem ist immanent, dass, abhängig von der konkreten Person des Beurteilendens, trotz vergaberechtskonformer Wertungsschritte unterschiedliche Wertungsentscheidungen fallen können, die jeweils für sich genommen als richtig hinzunehmen sind. Der Vergabestelle kommt bei der Bewertung ein Beurteilungsspielraum zu, der von den Nachprüfungsinstanzen nur darauf überprüft werden kann, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten wurde, von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen wurde, keine sachwidrigen Erwägungen für die Entscheidung herangezogen wurden und nicht gegen allgemein gültige Bewertungsansätze verstoßen wurde (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. August 2019 - Verg 56/18). Die Vergabenachprüfungsinstanzen überprüfen die Bewertung des Angebotes der Antragstellerin als solche und in Relation zu den übrigen Angeboten, insbesondere zu dem des Zuschlagsprätendenten (BGH, Beschluss vom 4. April 2017 - X ZB 3/17).
Bei Zugrundelegung dieses Maßstabes ist die Wertungsentscheidung, die für die Ag durch die [...] erstellt wurde, nicht zu beanstanden. Die Aufgabenlösungen der ASt wurden in den Arbeitspaketen AP 1 bis AP 6 mit 5 bis 7,5 Punkten bewertet. Dies entspricht einer Abwertung von 1 bis 2 Notenstufen gegenüber der Bestnote (10 Punkte).
Soweit die ASt beanstandet, dass der vorgegebene Kriterienkatalog keinen vorgegebenen Detaillierungs- oder Konkretisierungsgrad enthalte, ist diese Argumentation - ungeachtet der tatsächlich vorliegenden detaillierten Vorgaben - schon im Ansatz ungeeignet einen Beurteilungsfehler nach den Grundsätzen der Rechtsprechung zu belegen. Wie bei einem Konzeptwettbewerb ist es auch bei der vorliegenden, offen formulierten Aufgabenstellung in einer fiktiven Beratungssituation systemimmanent, dass der öffentliche Auftraggeber nicht gezwungen ist, einen Detaillierungs- oder Konkretisierungsgrad vorzugeben, sondern einen offenen Wettbewerb eröffnen darf, in dem die Lösungen anhand der bekannt gegebenen Bewertungskriterien und des formulierten Erwartungshorizonts im Quervergleich ausgewertet werden. Was der Auftraggeber erwarten kann, ergibt sich hierbei nicht allein aus den zur Hilfestellung explizit genannten Kriterien, sondern aus einer Gesamtschau der Vergabeunterlagen mit Blick auf die ausgeschriebene Leistung.
Diesbezüglich macht die ASt nicht geltend, dass die Erwartungen der Ag Ausführungen zu bestimmten Themen zu erhalten, die nicht durch den Gegenstand der Ausschreibung gedeckt seien. Vielmehr erscheint es naheliegend und zumindest beurteilungsfrei vertretbar, wenn im zu bearbeitenden fiktiven Beratungsszenario Stichwörter ausdrücklich genannt werden, hierzu auch zulässigerweise Ausführungen erwartet werden. Dies gilt nicht unter dem Gesichtspunkt, dass zu einzelnen Aspekten überhaupt Ausführungen gemacht werden, sondern auch hinsichtlich der Darstellungstiefe und konkretheit. In diesem Wertungssystem ist es auch nicht zu beanstanden, wenn allgemeinere Ausführungen mit weniger Details schlechter beurteilt werden als konkretere, detailreichere Erläuterungen.
Dies gilt erst recht, wenn - wie hier - Ausgangspunkt der Aufgabenstellung ein fiktives Beratungsszenario mit typisiertem Rollenspiel-Elementen ist. Es ist nachvollziehbar, dass ein Auftraggeber ein solches Szenario entwirft, um die Bieter zu veranlassen, sich möglichst spezifisch mit dem Sachverhalt und den verschiedenen Rollen auseinanderzusetzen und generische Ausführungen mit weniger konkretem Bezug schlechter bewertet.
Soweit die ASt konkrete weitere Gesichtspunkte der Bewertung bezüglich der einzelnen Arbeitspakete AP 1 bis 6 beanstandet, sind die von der Bg angegebenen Begründungen zur Abwertung nachvollziehbar und im vorliegenden Wertungssystem beurteilungsfehlerfrei vertretbar.
Die Abwertung im AP 1aufgrund der unbestrittenen Tatsache, dass das von der ASt benannte dritte Praxisbeispiel die Erstellung eines Sicherheitskonzepts und nicht - wie im Beispielszenario - dessen Umsetzung betraf, ist vertretbar und nachvollziehbar. Dass Gegenstand des Beratungsszenario die Umsetzung und nicht die Erstkonzeption eines Sicherheitskonzepts war, ergibt sich ausdrücklich aus dem Sachverhalt der Testaufgabe. Mit der Aufgabenstellung sollte augenscheinlich abgeprüft werden, ob die Bieter in der Lage waren, den vorgegebenen Sachverhalt praxisgerecht zu erfassen. Die Argumentation der ASt, dass sich auch bei der Umsetzung von Sicherheitskonzepten die Notwendigkeit ergeben könne, Konzeptionen teilweise zu überarbeiteen oder auf anderen Ebenen Sicherheitskonzepte neu zu erstellen, widerspricht nicht der Feststellung der Ag, dass das Praxisbeispiel nicht dem vorgegebenen Szenario entspricht, und rechtfertigt eine Abwertung. Die Behauptung der ASt, dass eine Stellungnahme zu Priorisierungskriterien nicht gefordert gewesen sei, ist nicht nachvollziehbar. Zum einen wurde dies im Sachverhalt der Testaufgabe ausdrücklich gefordert ("Ziel des Workshops solle nun sein, Kriterien für die Priorisierung zu finden, aus denen sich die Umsetzungsreihenfolge finden, aus denen sich die Umsetzungsreihenfolge") und zum anderen zielt das AP 1 explizit darauf ab, Vorgehensweisen zur optimalen Maßnahmenplanung innerhalb des begrenzten Budgets vorzuschlagen und den entsprechenden Beratungsvorgang zur zu simulieren.
Im AP 2 ist die Abwertung wegen unzureichender Berücksichtigung der im Beratungsszenario genannten verschiedenen stichwortartigen Anforderungen der Workshop-Teilnehmer (z.B. Mindeststandards, Geheim- und Datenschutz) nachvollziehbar. Die Aufgabenstellung umfasste ausdrücklich, aufzuzeigen, auf welchen Feldern die Argumentation der Teilnehmer "so nicht tragfähig ist" und es waren die "geltenden Standards und Vorgaben bei Empfehlungen zu berücksichtigen". Dies erforderte augenscheinlich eine kritische Auseinandersetzung mit der Argumentation der Workshop-Teilnehmer. Wenn die ASt in ihrer Antwort davon ausgeht, dass "denknotwendig [...] alle Anforderungen der Erfüllung der Fachaufgaben dienen" und sich aus diesen kein Einfluss auf die Maßnahmenpriorisierung ergäbe, weil sich diese in ihrer Verbindlichkeit nicht unterschieden, dann kann die Höchstpunktzahl in dieser Aufgabe schon deshalb nicht beansprucht werden, weil offensichtlich auf die Aufgabenstellung im Beratungsszenario nicht differenzierend eingegangen wurde. Dieses war gerade dadurch geprägt, dass diese Anforderungen grundsätzlich alle im Mindestmaß zu erfüllen waren, aber nicht ausreichend Budget zur Umsetzung aller ursprünglich eingeplanten Maßnahmen zur Verfügung stand. Für die Vertretbarkeit der Abwertung von der Höchstpunktzahl ist es auch unerheblich, ob die einzelnen Aussagen in der Lösung der ASt fachtechnisch korrekt waren, denn korrekte Ausführungen sind gemeinhin zwar eine erforderliche, aber keine hinreichende Bedingung für eine Bestbewertung.
Gleiches gilt im AP 3 und AP4, soweit die ASt geltend macht, die zwei geforderten Maßnahmen ausgewiesen und gegeneinander abgewogen zu haben und eine Abwertung aufgrund nur allgemeiner Beschreibung den vorgegebenen Erwartungshorizont überschreite. Es ist gerade das Wesen der vorgegebenen Aufgabenstellung im Beratungsszenario, dass eine möglichst konkrete Auseinandersetzung gefordert wurde, nach der auch im Rahmen der Bewertung differenziert werden muss. Im AP 3 war zudem ausdrücklich eine vollständige Darstellung der Abhängigkeiten und der nachvollziehbaren Konsequenzen der abzuwägenden Entscheidungen gefordert.
Im AP5 wurde neben der unzureichenden Konkretisierung auch die Verwendung unpräziser Begriffe moniert. Es ist beurteilungsfehlerfrei vertretbar auch hierfür Punktabzüge von der Höchstbewertung vorzunehmen. Gerade von Fachberatern in schriftlichen Ausarbeitungen kann die Verwendung präziser Begriffe erwartet werden, um Missverständnissen vorzubeugen. Selbst wenn man zugunsten der ASt unterstellt, ein fachtechnisch vertretbares Konzept mit einem missverständlichen Begriff dargestellt zu haben, würde dies einen Punktabzug rechtfertigen.
Darüber hinaus ist es vertretbar, einen Punktabzug wegen nicht hinreichend konkretem Bezug auf die Budgetrestriktion und mangels einer konkreten Entscheidung zum Grundschutzvorgehen bei der Maßnahmenpriorisierung vorzunehmen. Dieser Bezug und die daraus resultierenden Konsequenzen waren nun gerade der Kernbestandteil des Beratungsszenarios. Zudem wurde im AP 5 explizit gefordert, konkrete Schritte vorzuschlagen und Empfehlungen auszusprechen. Die Nennung des ursprünglichen Budgets ohne weitere konkrete Ausführungen, dass es tatsächlich nicht zur Verfügung stand, lässt es vertretbar erscheinen, diesbezüglich einen Abzug wegen nicht hinreichend konkretem Bezug zur Aufgabenstellung vorzunehmen.
Die Bewertung im AP 6 erscheint plausibel, weil ausdrücklich ein nachvollziehbares und vollständiges Protokoll unter Einbeziehung wesentlicher Probleme und Feststellungen gefordert war. Soweit die ASt behauptet, dass kein Eingehen auf die Rollen gefordert wurde und diese Aspekte im Übrigen den Teilnehmern des Fallbeispiels hinreichend bekannt gewesen seien, vermag dies keinen Beurteilungsfehler oder die Berücksichtigung unzutreffenden Sachverhalts zu belegen. Vielmehr ist die Erwartungshaltung nachvollziehbar, dass die im Beratungsszenario vorgestellten Rollen, Anforderungen und die resultierenden Vorschläge/Empfehlungen sich auch konkret in dem im AP6 zu erstellendem Protokoll widerspiegeln sollten und auf diese Weise eine behördentypische Arbeitsweise (Verfahrensdokumentation) geprüft werden sollte.
Bei der Qualitätsbewertung ist zudem ein maßstabswahrender, konsistenter Quervergleich der von den Bietern eingereichten Lösungen oder Konzepte vorzunehmen. Allerdings ist es nicht zu beanstanden, wenn zunächst eine absolute Bewertung jeder Lösung anhand des festgelegten Wertungssystems erfolgt und in einem zweiten Schritt ein Quervergleich zur Plausibilisierung der gleichmäßigen Anwendung des Wertungssystems erfolgt. Die Ag vorgetragen, dass sie diesen Quervergleich noch einmal wiederholt hat.
Insbesondere im Abgleich mit der Aufgabenlösung der Bg und deren Bewertung konnte sich die Vergabekammer davon überzeugen, dass das Konzept der Bg in den betreffenden Kriterien in qualitativer Hinsicht für die Vergabekammer durchaus nachvollziehbar besser als das Konzept der ASt bewertet wurde; Beurteilungsfehler der Ag sind insoweit nicht feststellbar. In diesem Quervergleich zeigt sich, dass die Ag sachlich begründet zwischen den Angeboten differenziert und dabei einen einheitlichen Wertungsmaßstab angewandt hat. Die insofern vorgenommene Differenzierung bewegt sich innerhalb des Beurteilungsspielraums, der der Ag zusteht.
e) Der ASt steht kein Recht auf weitergehende Akteneinsicht zu.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats hat der Anspruch auf Akteneinsicht im Nachprüfungsverfahren eine rein dienende, zum zulässigen Verfahrensgegenstand akzessorische Funktion. Die Beschleunigungsbedürftigkeit von Vergabenachprüfungsverfahren steht einem gänzlich voraussetzungslosen Akteneinsichtsanspruch aus § 165 Abs. 1 GWB entgegen. Ein Anspruch auf Akteneinsicht setzt vielmehr über den Wortlaut von § 165 Abs. 1 GWB hinaus einen das Akteneinsichtsgesuch begründenden beachtlichen und entscheidungserheblichen Sachvortrag voraus (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. März 2021 - Verg 9/21; Beschluss vom 9. Januar 2020 - Verg 10/18 m.w.N.). Ferner steht einem Verfahrensbeteiligten zwecks Wahrung von Geschäftsgeheimnissen des Konkurrenten kein Anspruch zu auf Einsicht in die auftraggeberseitig vorgenommene Bewertung von dessen Konzepten (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. April 2022 - Verg 25/21).
Soweit der ASt Einblick in die Dokumentation im Zusammenhang mit der Bombenbedrohung bei der Bg und der internen Fertigstellung und Endredaktion der Testaufgabe begehrte, wurde diesem Begehren durch die Vorlage weiterer Dokumente entsprochen.
Soweit weitergehend Einsicht in die Aufgabenlösung der Bg und deren Bewertung begehrt wird, steht diesem nicht nur das Geheimhaltungsinteresse der Bg zum Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse im Konzeptwettbewerb entgegen.
Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass die ASt aufgrund der Bewertung ihrer Aufgabenlösung insgesamt im vorliegenden Wettbewerb nur auf dem dritten Rang und damit auch nachrangig zur qualitativen Bewertung eines weiteren Bieters geführt wird.
Ein Anspruch auf Einsichtnahme in die Aufgabenlösung und die Bewertung der Bg ist daher von vorneherein allenfalls zur Überprüfung der gleichmäßigen Anwendung des Wertungssystems im Quervergleichs relevant. Eine Zuschlagschance würde sich nur dann für die ASt ergeben, wenn deren Aufgabenlösung unabhängig von der Wertung der Bg insgesamt besser im Vergleich zu mehreren Bietern bewertet werden müsste, so dass eine Erstplatzierung im Gesamtwettbewerb erreichbar wäre. In einer solchen Sachverhaltskonstellation, in der es entscheidungserheblich nicht auf die Bewertung eines Konkurrenten, sondern im Grunde auf eine umfängliche Überprüfung der Wertungspraxis im Quervergleich insgesamt ankommt, müssten schon erhebliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass tatsächlich Inkonsistenzen im Wertungsprozess zum Nachteil der ASt bestehen, denn nur dann könnte das Informationsinteresse der ASt gegenüber den Geheimhaltungsinteressen der übrigen Bieter überwiegen.
Zu solchen Anhaltspunkten wurde hier allerdings nichts konkret vorgetragen. Solche Anhaltspunkte sind auch für die Vergabekammer nach Überprüfung der Bewertung der Aufgabenlösung weder in absoluter Hinsicht noch in relativ quervergleichender Hinsicht ersichtlich. Daher muss das Informationsinteresse der ASt an der Offenlegung der Angebotsbestandteile der konkurrierenden Bieter und deren Bewertungen vorliegend zurücktreten.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 und 2 GWB.
Die Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Ag sind der ASt aufzuerlegen, da sie im Verfahren unterliegt. Die Bg hat ihre Aufwendungen selbst zu tragen, da sie sich außer durch Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nicht aktiv am Verfahren beteiligt hat, insbesondere nicht schriftsätzlich vorgetragen, keine Anträge gestellt und kein Kostenrisiko übernommen hat.
IV.
(...)
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